© 2021 Deutscher Bundestag WD 10 - 3000 - 068/20 Löschungen von Nutzerbeiträgen durch YouTube – Marktmacht und Einfluss auf den politischen Willensbildungsprozess Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 2 Löschungen von Nutzerbeiträgen durch YouTube – Marktmacht und Einfluss auf den politischen Willensbildungsprozess Aktenzeichen: WD 10 - 3000 - 068/20 Abschluss der Arbeit: 11. Mai 2021 Fachbereich: WD 10: Kultur, Medien und Sport Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 5 2. Statistische Werte 5 2.1. Online-Videoplattformen 5 2.2. Soziale Netzwerke 6 2.3. Alternativen 6 3. Zwischenfazit 7 4. Rechtliche Zulässigkeit inhaltsbezogener Löschungen von Beiträgen auf Plattform sozialer Medien 7 4.1. Entfernung von rechtswidrigen Beiträgen nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) 8 4.2. Entfernung von nicht-rechtswidrigen Beiträgen 9 4.2.1. Sog. „Community-Richtlinien“ von YouTube – Grundsatz 9 4.2.2. Sog. „Community-Richtlinien“ von YouTube – Sparten 10 4.2.2.1. Sog. „Community-Richtlinien“ von YouTube – COVID-19 10 4.2.2.2. Sog. „Community-Richtlinien“ von YouTube – „Hassrede“ 12 4.2.2.3. Keine sog. „Community-Richtlinien“ von YouTube zu PRO ASYL 14 4.2.3. Exkurs I: Grundrechte und Privatrecht 14 4.2.3.1. Die mittelbare Wirkung der Grundrechte auf das Privatrecht 14 4.2.3.2. Das Grundrecht des Nutzers auf freie Meinungsäußerung 16 4.2.3.2.1. Schmähkritik 16 4.2.3.2.2. Bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen 17 4.2.3.2.3. Wissenschaftsfreiheit 17 4.2.3.3. Das Grundrecht des Betreibers einer Plattform auf Privatautonomie – Art. 2 Abs. 1 GG 18 4.2.3.4. Die praktische Konkordanz der Grundrechte 19 4.2.4. Exkurs II: die Rechtsnatur der sog. „Community-Richtlinien“ 20 4.2.5. Mögliche Rechtsansprüche des Nutzers auf Wiederherstellung von aufgrund von Verstößen gegen die sog. „Community-Richtlinien“ entfernten nicht-rechtswidrigen Beiträgen gegen den Betreiber einer Plattform 21 4.2.5.1. OLG München, Beschluss vom 24. August 2018 – 18 W 1294/18 21 4.2.5.2. OLG München, Beschluss vom 30. November 2018 – 24 W 1771/18 22 4.2.5.3. KG Berlin, Beschluss vom 22. März 2019 – 10 W 172/18 23 4.2.5.4. OLG Nürnberg, Urteil vom 4. August 2020 – 3 U 3641/19 – Goldstücke – Richtlinien des Plattformbetreibers im Rahmen der Berufsfreiheit 24 4.2.5.5. OLG Dresden, Urteil vom 20. August 2020 – 4 U 784/20 – Wirksamkeit der Richtlinien des Plattformbetreibers 25 4.2.6. Sonstige zivilrechtliche Aspekte 27 4.2.7. Mögliche Rechtsansprüche des Nutzers auf Wiederherstellung von aufgrund einer unzutreffenden Anwendung des NetzDG durch den Betreiber einer Plattform entfernten Beiträge gegen diesen 27 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 4 4.2.8. Mögliche Rechtsansprüche des Nutzers auf Entsperrung seines Kontos aufgrund von Verstößen gegen die sog. „Community- Richtlinien“ des Betreibers einer Plattform gegen diesen 27 5. Fazit 27 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 5 1. Fragestellung Gegenstand der Untersuchung sind die Marktmacht und der Einfluss von YouTube auf die politische Willensbildung. Außerdem ist zu prüfen, ob es nach hiesiger Rechtsordnung zulässig ist, wenn YouTube im Sinne bestimmter Weltbilder und Interessengruppen – im Auftrag werden Pro Asyl oder WHO genannt – inhaltsbezogene Löschungen von Nutzerbeiträgen vornimmt. 2. Statistische Werte Die Online-Videoplattform YouTube ist eine Tochter von Google LLC. YouTube. Sie ermöglicht es, Nutzern professionelle oder Amateurvideos hochzuladen, eigene Kanäle zu unterhalten, sich gegenseitig Kommentare zu hinterlassen etc. YouTube ist nach eigenen Angaben in mehr als 100 Ländern präsent. Mehr als zwei Milliarden angemeldete Nutzer nutzen YouTube jeden Monat wetweit .1 Jeden Tag schauen die Nutzer eine Milliarde Stunden Videos an.2 Zur Verdeutlichung der Marktstellung können zahlreiche Kriterien herangezogen werden. Je nach Abgrenzung relevanter Bezugsgrößen (z. B. speziell Bereich der Online-Videoplattformen oder generell soziale Netzwerke) erhält man mehr oder weniger abweichende Rangfolgen. Hier werden einige Kriterien mit Schwerpunkt bei diesen beiden Bezugsgrößen dargestellt. 2.1. Online-Videoplattformen Nach den Angaben von Datanyz3 für 2020 beträgt im Bereich der Online-Videoplattformen der Marktanteil von YouTube weltweit 73,81%. Der größte Konkurrent Vimeo erreicht lediglich 18,86% und den Rest in Höhe 7,32% teilen sich 80 Anbieter mit Anteilen zwischen 1,92% und weniger als 0,01%. In Deutschland hatte YouTube in 2016 schon einen Marktanteil von über 80% unter den Videoportalen4. 1 About Youtube. Abrufbar unter: https://www.youtube.com/intl/en-GB/about/press/. Zuletzt abgerufen am 11. Mai 2021 wie alle anderen URL in dieser Arbeit. Zur Entwicklung seit 2013: Statista: Anzahl der monatlich eingeloggten Nutzer von YouTube weltweit in ausgewählten Jahren von 2013 bis 2020. Abrufbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/718383/umfrage /anzahl-der-monatlich-eingeloggten-nutzer-von-youtube-weltweit/#:~:text=Diese%20Statistik%20bildet %20die%20Anzahl,von%20YouTube%20auf%20zwei%20Milliarden. 2 About Youtube. Abrufbar unter: https://www.youtube.com/intl/en-GB/about/press/. 3 Datanyze: Market Share Category Online Video Platforms Market Share. Abrufbar unter: https://www.datanye.com/market:-share/online-video--12. 4 Verivox: YOUTUBE. Abrufbar unter: https://www.verivox.de/internet/themen/youtube/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 6 2.2. Soziale Netzwerke Unter den Social-Media-Portalen allgemein erreichte YouTube im Januar 2021 weltweit einen Marktanteil von 4,9 %5, in Deutschland dagegen zu demselben Zeitpunkt lediglich 3,41%6. In Deutschland geben 14 % der Befragten an, unter einer Auswahl an Social-Media-Portalen YouTube als Nachrichtenquelle zu bevorzugen.7 Eine weitere Befragung bei deutschen YouTube- Nutzern kam zu dem Ergebnis, dass 16% der täglichen Nutzungsdauer bei YouTube auf Nachrichten , Dokus und Sport entfallen.8 2.3. Alternativen Neben YouTube gibt es noch andere Videoplattformen wie Facebook (monatlich 2 Milliarden Nutzer weltweit), Dailymotion (monatlich 120 Millionen Nutzer), Instagram (monatlich 800 Millionen aktive Nutzer, gerichtet an eine junge Zielgruppe), Snapchat (monatlich 158 Millionen Nutzer, gerichtet an eine junge Zielgruppe), Musical.ly (monatlich 100 Nutzer), Twitch (monatlich 15 Millionen Nutzer, gerichtet an Gamer), Vimeo (monatlich 280 Millionen Nutzer), oder Vevo (monatlich 450 Millionen Nutzer). 9 Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass Facebook und YouTube sich an eine breite Zielgruppe richten, wohingegen sich andere Videoplattformen an speziellere Zielgruppen richten.10 5 Statista Research Department: Marktanteile von Social-Media-Seiten nach Seitenabrufen weltweit von April 2019 bis Januar 2021. Abrufbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/241601/umfrage/marktanteile -fuehrender-social-media-seiten-weltweit/. 6 Statista: Marktanteile von Social-Media-Portalen in Deutschland von März 2019 bis Januar 2021. Abrufbar unter : https://de.statista.com/statistik/daten/studie/559470/umfrage/marktanteile-von-social-media-seiten-indeutschland /. 7 Reuters Institute for the Study of Journalism: Welche der folgenden sozialen Netzwerke nutzen Sie, um Nachrichten zu konsumieren? In: Statista. Abrufbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/499379/umfrage /nutzung-von-sozialen-netzwerken-als-nachrichtenquelle-in-ausgewaehlten-laendern/. 8 SevenOne Media: Verteilung der täglichen Nutzungsdauer von Videos bei YouTube nach Genre in Deutschland im Jahr 2020. In Statista, Oktober 2020. Abrufbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie /703426/umfrage/verteilung-der-nutzungsdauer-von-youtube-videos-nach-genre-in-deutschland/. 9 Fischer, Raoul: Internet World. Die besten Videoplattformen im Vergleich, 12.2.2018. Abrufbar unter: https://www.internetworld.de/marketing-trends/streaming/besten-video-plattformen-im-vergleich- 1471659.html. 10 Fischer, Raoul: Internet World. Die besten Videoplattformen im Vergleich, 12.2.2018. Abrufbar unter: https://www.internetworld.de/marketing-trends/streaming/besten-video-plattformen-im-vergleich- 1471659.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 7 3. Zwischenfazit YouTube ist (Stand: 2016) mit einem Marktanteil von über 80 % in Deutschland auf dem Gebiet der Video-Sharing-Plattformen das dominierende und marktmächtigste Unternehmen, über das viele Menschen auch ihre Nachrichten beziehen. Die Frage, inwieweit – und gegebenenfalls wie – die Nutzung von YouTube die politische Meinung beeinflusst, kann in dieser Pauschalität nicht beantwortet werden. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass YouTube – wie alle social-Media-Portale – dazu geeignet ist, als „Echokammer“politische Meinungen zu verstärken. Zu berücksichtigen ist, dass es keine „Nutzung von YouTube“im Allgemeinen gibt – die große Vielfalt der eingestellten Beiträge macht eine so generelle Betrachtungsweise unmöglich. Stattdessen müsste das für eine bestimmte Gruppe gedachte Angebot und seine Annahme durch den Kreis der Adressaten analysiert werden. 4. Rechtliche Zulässigkeit inhaltsbezogener Löschungen von Beiträgen auf Plattform sozialer Medien Die Frage der rechtlichen Zulässigkeit inhaltsbezogener Löschungen von Beiträgen durch die Betreiber von Plattformen ist sehr vielschichtig. Höchstrichterliche Entscheidungen zu den zentralen Aspekten dieser Problematik stehen noch aus. Eine erste Entscheidung des Bundesgerichtshofs – die Revision des in 4.2.5.4 referierten Urteils – über die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Nutzer eines sozialen Netzwerks Ansprüche – und gegebenenfalls welche – Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 8 gegen den Plattformbetreiber haben, wenn dieser Beiträge wegen des Vorwurfs der „Hassrede“ gelöscht hat, soll am 22. Juli 2021 ergehen.11 Daher seien hier zusammenfassend die wichtigsten Facetten der Problematik angesprochen und eine Auswahl der aktuellsten Rechtsprechung in Grundzügen dargestellt. 4.1. Entfernung von rechtswidrigen Beiträgen nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) Rechtswidrige Beiträge gem. § 1 Abs. 3 Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG)12 müssen vom Betreiber einer gewinnorientierten Plattform mit mehr als zwei Millionen Nutzern in Deutschland gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 NetzDG entfernt werden, wenn die Rechtswidrigkeit offensichtlich ist. Beiträge sind dann rechtswidrig, wenn Nutzer Beiträge mit anderen Nutzern teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich machen und die Beiträge den Tatbestand der §§ 86, 86a, 89a, 91, 100a, 111, 126, 129 bis 129b, 130, 131, 140, 166, 184b, 185 bis 187, 201a, 241 oder 269 des Strafgesetzbuches (StGB)13 erfüllen und nicht gerechtfertigt sind.14 11 Presseerklärung des Bundesgerichtshofs Nr. 083/2021 vom 19. April 2021: Ansprüche gegen den Betreiber eines sozialen Netzwerks, der unter dem Vorwurf der „Hassrede“Beiträge gelöscht und Konten gesperrt hat. Abrufbar unter: https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/2021083.html;jsessionid =A4A69FF0A8B8A4575ABB92809DC65595.1_cid368?nn=10690868. In einem der beiden anhängigen Verfahren postete die Klägerin folgenden Beitrag: "Schon der Wahnsinn, kann mich nicht an ein Attentat erinnern, das sog. Reichsbürger verübt haben. Im Gegensatz dazu dann die Morde von islamischen Einwanderern, die man zwar beobachtet hat, aber nichts dazu machen konnte. Deutsche Menschen werden kriminalisiert, weil sie eben eine andere Ansicht von ihrem Heimatland haben als das Regime. Migranten können hier morden und vergewaltigen und keinen interessiert's! Da würde ich mir mal ein Durchgreifen des Verfassungsschutzes wünschen." In dem anderen anhängigen Verfahren kommentierte der Kläger am 10. August 2018 den Beitrag eines Dritten, der ein Video beinhaltet, in dem eine Person mit Migrationshintergrund es ablehnt, von einer Polizistin kontrolliert zu werden, wie folgt: "Was suchen diese Leute hier in unserem Rechtsstaat … kein Respekt … keine Achtung unser Gesetze … keine Achtung gegenüber Frauen … DIE WERDEN SICH HIER NIE INTEGRIEREN UND WERDEN AUF EWIG DEM STEUERZAHLER AUF DER TASCHE LIEGEN … DIESE GOLDSTÜCKE KÖNNEN NUR EINES MORDEN … KLAUEN … RANDALIEREN … UND GANZ WICHTIG … NIE ARBEITEN." 12 Netzwerkdurchsetzungsgesetz vom 1. September 2017 (BGBl. I S. 3352), das zuletzt durch Artikel 15 Nummer 3 u. 6 des Gesetzes vom 30. März 2021 (BGBl. I S. 448) geändert worden ist. Abrufbar unter: https://www.gesetzeim -internet.de/netzdg/BJNR335210017.html. 13 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 30. März 2021 (BGBl. I S. 441) geändert worden ist. Abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/BJNR001270871.html. 14 Dies sind: § 86 StGB: Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen § 86a StGB: Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen § 89a StGB: Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 9 4.2. Entfernung von nicht-rechtswidrigen Beiträgen Rechtlich umstritten ist die Entfernung von Beiträgen, die nicht gem. § 1 Abs. 3 NetzDG rechtswidrig sind. Dabei handelt es sich in der Regel um Beiträge, die den sog. „Community-Richtlinien “ der Plattformbetreiber nicht entsprechen. Bei den sog. „Community-Richtlinien“ der Plattformbetreiber handelt es sich um – teilweise sehr umfangreiche – Regelwerke, die bestimmte Anforderungen an die Beiträge der Nutzer stellen. Die Beurteilung, ob ein Verstoß von Nutzern gegen diese Regelwerke vorliegt, obliegt dabei in der Regel den Betreibern der Plattformen. 4.2.1.Sog. „Community-Richtlinien“ von YouTube – Grundsatz YouTube hat eigene sog. „Community-Richtlinien“ statuiert, bei deren Nichteinhaltung sich der Betreiber der Plattform Löschungen vorbehält: „Für alle Inhalte auf YouTube gelten die Community-Richtlinien, die vorgeben, was auf der Plattform erlaubt ist und was nicht. Inhalte, die gegen diese Richtlinien verstoßen, werden weltweit entfernt, wenn sie uns durch Nutzer oder unsere automatischen Systeme gemeldet werden.“15 Dabei verwendet YouTube sowohl maschinelle als auch individuelle Methoden, um richtlinienwidrige Inhalte aufzufinden und bietet den Nutzern eine Beschwerdefunktion. 16 § 91 StGB: Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat § 126 StGB: Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten § 129 StGB: Bildung krimineller Vereinigungen § 129a StGB: Bildung terroristischer Vereinigungen § 129b StGB: Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland; Einziehung § 130 StGB: Volksverhetzung § 131 StGB: Gewaltdarstellung § 140 StGB: Belohnung und Billigung von Straftaten § 184b StGB: Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften § 184d StGB: Zugänglichmachen pornographischer Inhalte mittels Rundfunk oder Telemedien; Abruf kinderund jugendpornographischer Inhalte mittels Telemedien § 241 StGB: Bedrohung. 15 YouTube: Community-Richtlinien – Übersicht. Abrufbar unter: https://www.youtube.com/howyoutubeworks /policies/community-guidelines/. 16 YouTube: Wofür wir stehen., Welche Arten von Inhalten werden von YouTube entfernt? Abrufbar unter: https://www.youtube.com/intl/ALL_de/howyoutubeworks/our-commitments/managing-harmfulcontent /#removing-content. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 10 4.2.2.Sog. „Community-Richtlinien“ von YouTube – Sparten Die Richtlinien sind – einem umfangreichen Gesetzeswerk ähnlich – in verschiedene Kapitel gegliedert :17 Spam und irreführende Praktiken o mit den Unterkategorien gefälschte Interaktionen, Identitätsdiebstahl, Links in Inhalten , Spam und irreführende Praktiken und Betrug, sensible Inhalte o mit den Unterkategorien Schutz von Kindern, personalisierte Thumbnails, Nacktheit und pornografische Inhalte, Selbstmord und Selbstverletzung, gewaltverherrlichende oder gefährliche Inhalte, o mit den Unterkategorien Belästigung und Cybermobbing, schädliche oder gefährliche Inhalte, Hassrede, gewalttätige kriminelle Organisationen, gewalttätige oder grausame Inhalte und Fehlinformationen über COVID-19, Waren, die gesetzlichen Beschränkungen unterliegen o mit den Unterkategorien Inhalte mit Schusswaffen und Verkauf von illegalen oder gesetzlichen Beschränkungen unterliegenden Waren. Um eine Vorstellung der Komplexität und Detaillierung dieser Unterkategorien zu vermitteln, seien die sog. „Community-Richtlinien“ von YouTube zu COVID-19 und zur Hassrede im Folgenden vorgestellt. 4.2.2.1. Sog. „Community-Richtlinien“ von YouTube – COVID-19 YouTube entfernt Inhalte, die den Erkenntnissen der World Health Organization (WHO) in Bezug auf Behandlung, Prävention, Diagnose, Übertragung, Abstands- und Isolationsregeln und die Existenz des Coronavirus SARS-CoV-2 widersprechen:18 „Auf YouTube sind keine Inhalte in Bezug auf COVID-19 erlaubt, die ein ernsthaftes Risiko erheblicher Gefährdung mit sich bringen. Auf YouTube sind keine Inhalte erlaubt, die medizinische Fehlinformationen zu COVID- 19 verbreiten, die im Widerspruch zu medizinischen Informationen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder lokaler Gesundheitsbehörden stehen. Dies beschränkt sich auf Inhalte, die den Informationen der WHO oder lokaler Gesundheitsbehörden zu folgenden Themen widersprechen: Behandlung Prävention Diagnose Übertragung 17 YouTube: Community-Richtlinien – Übersicht. Abrufbar unter: https://www.youtube.com/howyoutubeworks/policies/community-guidelines/. 18 YouTube: Richtlinie zu medizinischen Fehlinformationen über COVID-19. Abrufbar unter: https://support.google.com/youtube/answer/9891785?hl=de&ref_topic=9282436. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 11 Richtlinien zu Social Distancing und Selbstisolation Die Existenz von COVID-19 Hinweis: Die Richtlinien von YouTube zu COVID-19 können sich ändern, wenn sich die zugrunde liegenden Informationen der weltweiten oder lokalen Gesundheitsbehörden zum Virus ändern. Diese Richtlinie wurde am 20. Mai 2020 veröffentlicht.“ Diese Grundsätze werden dann im Folgenden noch präzisiert und anhand von Beispielen erläutert : „Leugnung, dass COVID-19 existiert Behauptungen, dass bisher niemand an COVID-19 gestorben ist Behauptungen, dass es sich bei Schutzimpfungen jeder Art um eine garantiert wirksame Methode zur Prävention von COVID-19 handelt Behauptungen, dass eine spezielle Behandlung oder ein bestimmtes Medikament ein garantiert wirksames Heilmittel gegen COVID-19 ist Behauptungen, dass Hydroxychloroquin gegen COVID-19 hilft Bewerbung von MMS (Miracle Mineral Supplement) zur Behandlung von COVID-19 Behauptungen, dass bestimmte Personen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft oder Nationalität immun gegen COVID-19 sind Inhalte, die bei Krankheit dazu ermutigen, Hausmittel zu nehmen, statt sich medizinisch behandeln zu lassen Inhalte, die Nutzern davon abraten, eine medizinische Fachkraft zu konsultieren, wenn sie krank sind Inhalte, in denen behauptet wird, dass Luftanhalten als Diagnosetest für COVID-19 dienen kann Videos, in denen behauptet wird, dass zum Schutz vor dem Coronavirus auf asiatisches Essen verzichtet werden sollte Videos, in denen behauptet wird, dass das Virus durch Feuerwerke aus der Luft entfernt und seine Verbreitung damit verhindert werden kann Behauptungen, dass COVID-19 durch die Strahlung von 5G-Netzwerken verursacht wird Videos, in denen behauptet wird, dass der COVID-19-Test das Virus verursacht Behauptungen, dass sich das Virus in Ländern mit heißem Klima nicht verbreitet Videos, in denen behauptet wird, dass Social Distancing und Selbstisolation für die Eindämmung des Virus nicht effektiv sind Behauptungen, dass das Tragen einer Maske den Sauerstoffgehalt im Blut auf ein gefährliches Niveau absinken lässt Behauptungen, dass Masken Lungenkrebs oder Hirnschäden verursachen Behauptungen, dass man durch das Tragen einer Maske COVID-19 bekommt Behauptungen, dass der Impfstoff gegen COVID-19 für die Geimpften tödlich ist Behauptungen, dass der Impfstoff gegen COVID-19 dazu dienen soll, einen Bevölkerungsrückgang zu erreichen Videos, in denen behauptet wird, dass der Impfstoff gegen COVID-19 fetales Gewebe enthält Behauptungen, dass eine Grippeimpfung zur Ansteckung mit COVID-19 führt Behauptungen, dass Impfstoffe gegen COVID-19 die Ausbreitung von COVID-19 nicht wirksam verhindern Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 12 Behauptungen, dass der Impfstoff gegen COVID-19 zur Ansteckung mit anderen Infektionskrankheiten führt oder anfälliger für die Ansteckung mit anderen Infektionskrankheiten macht Behauptungen, dass die Impfstoffe gegen COVID-19 einen Mikrochip oder ein Instrument zum Tracking enthalten Behauptungen, dass das Erreichen von Herdenimmunität durch natürliche Infektion sicherer ist als die Impfung der Bevölkerung Behauptungen, dass COVID-19 niemals zu ernsten Symptomen oder zur Einweisung ins Krankenhaus führt Behauptungen, dass die Sterblichkeit bei der saisonalen Grippe höher ist als bei COVID- 19 Behauptungen, dass manche Menschen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft immun gegen das Virus sind Behauptungen, dass Kinder nicht an COVID-19 erkranken oder erkranken können Behauptungen, dass es in Ländern, in denen Krankheits- oder Todesfälle von den lokalen Gesundheitsbehörden oder der WHO bestätigt wurden, keine Krankheits- oder Todesfälle gab.“19 4.2.2.2. Sog. „Community-Richtlinien“ von YouTube – „Hassrede“ Die sog. „Community-Richtlinien“ von YouTube sehen vor: „Hassrede ist auf YouTube nicht erlaubt. Wir entfernen Inhalte, die in Bezug auf die folgenden Merkmale zu Gewalt oder Hass gegen Einzelpersonen oder Gruppen aufrufen: Alter Gesellschaftsklasse Behinderung Ethnische Herkunft Geschlechtsidentität und -ausdruck Nationalität Rasse Einwanderungsstatus Religion Geschlecht Sexuelle Orientierung Opfer von schwerwiegenden Gewaltereignissen und deren Angehörige Veteranenstatus“20 Auch hier werden diese Grundzüge mit Erläuterungen und Beispielen illustriert: 19 YouTube: Richtlinie zu medizinischen Fehlinformationen über COVID-19. Abrufbar unter: https://support .google.com/youtube/answer/9891785?hl=de&ref_topic=9282436. 20 YouTube: Richtlinie zu Hassrede. Abrufbar unter: https://support.google.com/youtube/answer /2801939?hl=de&ref_topic=9282436#zippy=%2Cweitere-beispiele. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 13 „‘Ich freue mich, dass es zu diesem [gewalttätigen Ereignis] gekommen ist. Sie haben bekommen , was sie verdienen [in Bezug auf Personen mit den oben genannten Merkmalen].’ ‘[Personen mit den oben genannten Merkmalen] sind Hunde’ oder ‘[Personen mit den oben genannten Merkmalen] sind Tiere.’ … ‘Geht raus und schlagt [eine Person mit den oben genannten Merkmalen].’ ‘Alle [Personen aus Gruppen mit den oben genannten Merkmalen] sind Verbrecher und Kriminelle.’ ‘[Person mit den oben genannten Merkmalen] ist der Abschaum der Menschheit.’ ‘[Personen mit den oben genannten Merkmalen] sind eine Krankheit.’ ‘[Personen mit den oben genannten Merkmalen] sind nicht so intelligent wie wir, weil ihr Gehirn kleiner ist.’ ‘[Gruppe mit oben genannten Merkmalen] bedrohen unsere Existenz, daher sollten wir jede Gelegenheit nutzen, sie aus dem Land zu vertreiben.’ ‘[Gruppe mit oben genannten Merkmalen] wollen die Weltherrschaft an sich reißen und uns vernichten.’ ‘[Oben genanntes Merkmal] ist eine Geisteskrankheit, die behandelt werden muss.’ ‘[Person mit oben genannten Merkmalen] sollte keine Schule besuchen, denn sie sollte überhaupt keine Bildung erhalten.’ ‘Alle angeblichen Opfer dieses Gewaltereignisses sind nur Schauspieler. Niemand wurde verletzt, das ist alles nur gelogen.’ ‘Alle angeblichen Opfer sind nur Schauspieler. Niemand wurde verletzt.’ Das Rufen von ‘[Personen mit den oben genannten Merkmalen] sind Abschaum!’, unabhängig davon, ob die genannten Merkmale auf eine Person zutreffen oder nicht. Videospiele, die entwickelt oder modifiziert (‘gemoddet’) wurden, um Gewalt oder Hass gegen eine Gruppe mit den oben genannten Merkmalen zu schüren.“21 21 YouTube: Richtlinie zu Hassrede. Abrufbar unter: https://support.google.com/youtube/answer /2801939?hl=de&ref_topic=9282436#zippy=%2Cweitere-beispiele. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 14 4.2.2.3. Keine sog. „Community-Richtlinien“ von YouTube zu PRO ASYL Eine vergleichbare Richtlinie zu PRO ASYL, die vorsieht, den Interessen und Meinungen dieser Organisation widersprechende Inhalte zu entfernen, gibt es nicht. Insofern geht die in dem dieser Ausarbeitung zugrunde liegenden Auftrag geäußerte Vermutung fehl. 4.2.3.Exkurs I: Grundrechte und Privatrecht Objektiv rechtswidrige Beiträge auf gewinnorientierten Plattformen mit mehr als zwei Millionen Nutzern in der Bundesrepublik Deutschland sind aufgrund der staatlichen Vorgaben im NetzDG von dem Betreiber der Plattform zu löschen. In diesen Fällen kommt der Betreiber also einer ihm vom Staat auferlegten Pflicht nach. Die sog. „Community-Richtlinien“ dagegen werden von dem Betreiber der Plattform, also einem privatrechtlichen Akteur, erstellt. Sie sind Bestandteil des dem Privatrecht unterliegenden Verhältnisses zwischen dem Nutzer und dem Betreiber der Plattform. Fraglich ist daher, ob und inwieweit die als Schutzrechte gegenüber dem Staat konzipierten Grundrechte der Verfassung in die zwischen zwei Subjekten des Privatrechts frei vereinbarten Rechtsbeziehungen hineinwirken. 4.2.3.1. Die mittelbare Wirkung der Grundrechte auf das Privatrecht Die mittelbare Wirkung der Grundrechte auf privatrechtliche Rechtsverhältnisse ist in den letzten Jahrzehnten durch das Bundesverfassungsgericht nicht nur als ausdrücklich geboten gesehen, sondern auch immer weiter gestärkt worden. Insbesondere soll dies gelten, wenn Privaten eine dem Staat vergleichbare Pflichten- und Garantenstellung zukommt.22 „Ob und ggf. welche rechtlichen Forderungen sich insoweit auch für Betreiber sozialer Netzwerke im Internet ergeben, ist jedoch weder in der Rspr. der Zivilgerichte noch in der Rspr. des BVerfG abschließend geklärt.“23 Die Beurteilung ist dabei einzelfallabhängig.24 In dem wegweisenden „Lüth“-Urteil entschied das Bundesverfassungsgericht bereits 1958, dass die Grundrechte zwar in der Tat in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat seien, aber auch eine „objektive Wertordnung“ darstellten, „die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt.“25 22 BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 18. Juli 2015 – 1 BvQ 25/15 – Bierdosen-Flashmob für die Freiheit –, juris Rn. 6. 23 BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 22. Mai 2019 – 1 BvQ 42/19 – Der III. Weg –, juris Rn. 15. 24 BVerfG, Beschluss vom 11. April 2018 – 1 BvR 3080/09 – Stadionverbot – juris Rn. 33. 25 BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51 – Lüth –, juris Ls. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 15 „Im bürgerlichen Recht entfaltet sich der Rechtsgehalt der Grundrechte mittelbar durch die privatrechtlichen Vorschriften. Er ergreift vor allem Bestimmungen zwingenden Charakters und ist für den Richter besonders realisierbar durch die Generalklauseln.“26 Dabei könnten auch zivilrechtliche Vorschriften „allgemeine Gesetze“ im Sinne des Art. 5 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG)27 sein,28 müssten aber „im Lichte der besonderen Bedeutung des Grundrechts der freien Meinungsäußerung für den freiheitlichen demokratischen Staat ausgelegt werden .“29 Zusammengefasst gilt also: „Das Grundgesetz enthält in seinem Grundrechtsabschnitt verfassungsrechtliche Grundentscheidungen für alle Bereiche des Rechts. Diese Grundentscheidungen entfalten sich durch das Medium derjenigen Vorschriften, die das jeweilige Rechtsgebiet unmittelbar beherrschen , und haben vor allem auch Bedeutung bei der Interpretation zivilrechtlicher Generalklauseln (vgl. BVerfGE 7, 198 <205 f.>; 42, 143 <148>). Indem § 138 und § 242 BGB ganz allgemein auf die guten Sitten, die Verkehrssitte sowie Treu und Glauben verweisen, verlangen sie von den Gerichten eine Konkretisierung am Maßstab von Wertvorstellungen, die in erster Linie von den Grundsatzentscheidungen der Verfassung bestimmt werden. Deshalb sind die Zivilgerichte von Verfassungs wegen verpflichtet, bei der Auslegung und Anwendung der Generalklauseln die Grundrechte als ‚Richtlinien‘ zu beachten. Verkennen sie das und entscheiden sie deshalb zum Nachteil einer Prozeßpartei, so verletzen sie diese in ihren Grundrechten (vgl. BVerfGE 7, 198 <206 f.>; st. Rspr.).“30 Diese Rechtsprechung wurde vom Bundesverfassungsgericht kontinuierlich weiterentwickelt. So heißt es in dem „Bierdosen-Flashmob für die Freiheit“-Beschluss aus dem Jahr 2015: „Dennoch entfalten die Grundrechte als objektive Prinzipien Wirkung, und die Versammlungsfreiheit ist im Wege der mittelbaren Drittwirkung nach Maßgabe einer Abwägung zu beachten. Die Reichweite dieser Bindung bestimmt sich dabei nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz in Ausgleich der sich gegenüberstehenden Grundrechte. Wie das Bundesverfassungsgericht insoweit festgestellt hat, können Private im Wege der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten freilich unbeschadet ihrer eigenen Grundrechte auch ähnlich oder auch genauso weit wie der Staat durch die Grundrechte in Pflicht genommen werden, insbesondere, wenn sie in tatsächlicher Hinsicht in eine vergleichbare Pflichten- 26 BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51 – Lüth –, juris Ls. 2. 27 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 u. 2 Satz 2 des Gesetzes vom 29. September 2020 (BGBl. I S. 2048) geändert worden ist. Abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet .de/gg/BJNR000010949.html. 28 BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51 – Lüth –, juris Ls. 3. 29 BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51 – Lüth –, juris Ls. 5. 30 BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1993 – 1 BvR 567/89 – Bürgschaft –, juris Rn. 48. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 16 oder Garantenstellung hineinwachsen wie traditionell der Staat (vgl. BVerfGE 128, 226 <248>). Je nach Gewährleistungsinhalt und Fallgestaltung kann die mittelbare Grundrechtsbindung Privater einer Grundrechtsbindung des Staates nahe oder auch gleichkommen .“31 Die zentrale, aber derzeit von der Rechtsprechung noch nicht beantwortete Frage ist, welche Kriterien genau vorliegen müssen, damit ein privatrechtliches Unternehmen eine Pflichten- oder Garantenstellung hat, die mit der des Staates vergleichbar ist. 4.2.3.2. Das Grundrecht des Nutzers auf freie Meinungsäußerung Art. 5 GG gewährleistet jedermann das sehr umfassende Recht, seine Meinung frei zu äußern: „Jeder soll frei sagen können, was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt oder angeben kann. Zugleich ist es der Sinn von Meinungsäußerungen, geistige Wirkung auf die Umwelt ausgehen zu lassen, meinungsbildend und überzeugend zu wirken. Werturteile sind danach geschützt, ohne daß es darauf ankäme, ob die Äußerung wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch, emotional oder rational ist (vgl. BVerfGE 61, 1 <7>; 85, 1 <15>).“32 4.2.3.2.1. Schmähkritik Schmähkritik unterliegt nicht mehr dem grundgesetzlichen Schutz der Meinungsfreiheit. Hier tritt die Meinungsfreiheit hinter den Ehrenschutz zurück. Im Interesse eines lebendigen Meinungsbildungsprozesses hat das Bundesverfassungsgericht aber den von der Fachgerichtsbarkeit entwickelten Begriff eng definiert: Danach macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muß vielmehr, daß bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muß jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen (vgl. BVerfGE 82, 272 <283 f.>). Aus diesem Grund wird Schmähkritik bei Äußerungen in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vorliegen und im übrigen eher auf die sogenannte Privatfehde beschränkt bleiben (vgl. BGH, NJW 1974, S. 1762).33 Deutlich wird die Unterscheidung im „Soldaten sind Mörder“-Urteil: „Die Beschwerdeführer haben mit ihren Äußerungen, Soldaten seien Mörder oder potentielle Mörder, nicht von bestimmten Soldaten behauptet, diese hätten in der Vergangenheit 31 BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 18. Juli 2015 – 1 BvQ 25/15 – Bierdosen-Flashmob für die Freiheit –, juris Rn. 6. 32 BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 1994 – 1 BvR 434/87 – Kriegsschuld –, juris Rn. 56. 33 BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995 – 1 BvR 1476/91 –, Soldaten sind Mörder –, juris Rn. 122. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 17 einen Mord begangen. Sie haben vielmehr ein Urteil über Soldaten und über den Soldatenberuf zum Ausdruck gebracht, der unter Umständen zum Töten anderer Menschen zwingt. Vom Vorliegen eines Werturteils, nicht einer Tatsachenbehauptung, sind auch die Strafgerichte ausgegangen.“34 Hier wäre im Einzelfall zu prüfen, ob die von YouTube als beispielhafte Verfehlungen genannten Äußerungen für Hassrede noch von der Meinungsfreiheit des Grundgesetzes gedeckt sind. Eine pauschale Beurteilung verbietet sich. 4.2.3.2.2. Bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen Bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen sind von der Meinungsfreiheit nicht mehr erfasst, da Lügen keinen Beitrag leisten können zu dem von der Verfassung intendierten Meinungsbildungsprozess in der Bevölkerung: „Nur die bewußt unwahre Tatsachenbehauptung fällt von vornherein aus dem Schutzbereich des Grundrechts heraus, weil sie zur verfassungsmäßig vorausgesetzten Meinungsbildung nicht beitragen kann (vgl. BVerfGE 61, 1 <7 ff.>; 85, 1 <15>).“35 4.2.3.2.3. Wissenschaftsfreiheit Von besonderer Bedeutung – gerade bei der Diskussion um Covid-19 – ist die Wissenschaftsfreiheit . „Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG erklärt Wissenschaft, Forschung und Lehre für frei. Damit wird nicht nur eine objektive Grundsatznorm für den Bereich der Wissenschaft aufgestellt.“36 Sie gilt vielmehr für jeden, der sich wissenschaftlich betätigt – auch wenn er nicht mit einer wissenschaftlichen Institution verbunden ist. „Jeder, der wissenschaftlich tätig ist, genießt daher Schutz vor staatlichen Einwirkungen auf den Prozeß der Gewinnung und Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse.“37 Das Bundesverfassungsgericht vertritt einen weiten, aber nicht grenzenlosen Wissenschaftsbegriff : „darunter fällt alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter Versuch zur Ermittlung von Wahrheit anzusehen ist (vgl. BVerfGE 35, 79 <113>; 47, 327 <367>).“38 „Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG schützt aber nicht eine bestimmte Auffassung von Wissenschaft oder eine bestimmte Wissenschaftstheorie. Das wäre mit der prinzipiellen Unvollständigkeit und Unabgeschlossenheit unvereinbar, die der Wissenschaft trotz des für sie konstitutiven Wahrheitsbezugs eignet (vgl. BVerfGE 35, 79 <113>; 47, 327 <367 f.>). Der Schutz 34 BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995 – 1 BvR 1476/91 –, Soldaten sind Mörder –, juris Rn. 109. 35 BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 1994 – 1 BvR 434/87 – Kriegsschuld –, juris Rn. 57. 36 BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 1994 – 1 BvR 434/87 – Kriegsschuld –, juris Rn. 46. 37 BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 1994 – 1 BvR 434/87 – Kriegsschuld –, juris Rn. 46. 38 BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 1994 – 1 BvR 434/87 – Kriegsschuld –, juris Rn. 47. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 18 dieses Grundrechts hängt weder von der Richtigkeit der Methoden und Ergebnisse ab noch von der Stichhaltigkeit der Argumentation und Beweisführung oder der Vollständigkeit der Gesichtspunkte und Belege, die einem wissenschaftlichen Werk zugrunde liegen. Über gute und schlechte Wissenschaft, Wahrheit oder Unwahrheit von Ergebnissen kann nur wissenschaftlich geurteilt werden (vgl. BVerfGE 5, 85 <145>); Auffassungen, die sich in der wissenschaftlichen Diskussion durchgesetzt haben, bleiben der Revision und dem Wandel unterworfen. Die Wissenschaftsfreiheit schützt daher auch Mindermeinungen sowie Forschungsansätze und -Ergebnisse, die sich als irrig oder fehlerhaft erweisen. Ebenso genießt unorthodoxes oder intuitives Vorgehen den Schutz des Grundrechts. Voraussetzung ist nur, daß es sich dabei um Wissenschaft handelt.“39 Diese Grenze ist da erreicht, wo vorgefassten Meinungen – z.B. durch systematische Ausblendung von Fakten – lediglich der Anschein einer wissenschaftlichen Arbeit verliehen wird. Es muss vielmehr „ein ernsthafter Versuch zur Findung der Wahrheit“40 vorliegen: „Einem Werk kann allerdings nicht schon deshalb die Wissenschaftlichkeit abgesprochen werden, weil es Einseitigkeiten und Lücken aufweist oder gegenteilige Auffassungen unzureichend berücksichtigt. All das mag ein Werk als fehlerhaft im Sinn der Selbstdefinition wissenschaftlicher Standards durch die Wissenschaft ausweisen. Dem Bereich der Wissenschaft ist es erst dann entzogen, wenn es den Anspruch von Wissenschaftlichkeit nicht nur im einzelnen oder nach der Definition bestimmter Schulen, sondern systematisch verfehlt . Das ist insbesondere dann der Fall, wenn es nicht auf Wahrheitserkenntnis gerichtet ist, sondern vorgefaßten Meinungen oder Ergebnissen lediglich den Anschein wissenschaftlicher Gewinnung oder Nachweisbarkeit verleiht. Dafür kann die systematische Ausblendung von Fakten, Quellen, Ansichten und Ergebnissen, die die Auffassung des Autors in Frage stellen, ein Indiz sein. Dagegen genügt es nicht, daß einem Werk in innerwissenschaftlichen Kontroversen zwischen verschiedenen inhaltlichen oder methodischen Richtungen die Wissenschaftlichkeit bestritten wird.“41 Hier wäre im Einzelfall zu prüfen, ob die von YouTube als beispielhafte Verfehlungen genannten Äußerungen zu Covid-19 noch von der Wissenschaftsfreiheit des Grundgesetzes gedeckt sind. Eine pauschale Beurteilung verbietet sich. 4.2.3.3. Das Grundrecht des Betreibers einer Plattform auf Privatautonomie – Art. 2 Abs. 1 GG Bei der Abwägung ist auch die in Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Privatautonomie zu berücksichtigen . Sie gewährleistet eine weitgehende Freiheit bei der Ausgestaltung privatrechtlicher Vertragsbeziehungen . Darunter könnte auch ein sog. „virtuelles Hausrecht“ fallen. Das „virtuelle Hausrecht “ ist die Befugnis eines Forenbetreibers, einem Nutzer den Zutritt zu einem virtuellen Raum (= seiner Homepage) ganz oder zeitweise zu verweigern bzw. Beiträge zu löschen, die gegen von dem Betreiber aufgestellte sog. „Community-Richtlinien“ verstoßen. 39 BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 1994 – 1 BvR 434/87 – Kriegsschuld –, juris Rn. 47. 40 BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 1994 – 1 BvR 434/87 – Kriegsschuld –, juris Rn. 51. 41 BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 1994 – 1 BvR 434/87 – Kriegsschuld –, juris Rn. 49. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 19 Die Privatautonomie kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eingeschränkt sein, wenn eine der vertragsschließenden Parteien ein so starkes – beispielsweise wirtschaftliches – Übergewicht hat, dass sie der anderen die Vertragsbedingungen faktisch diktiert und zu einer übermäßigen Belastung der unterlegenen Partei führt. Eine solche könnte in einer Beschränkung der Meinungsfreiheit des Nutzers liegen. Dabei darf nicht nur das „Recht des Stärkeren“42 gelten – alle Beteiligten genießen im Zivilrechtsverkehr den Schutz von Art. 2 Abs. 1 GG und können sich gleichermaßen auf ihre Privatautonomie berufen: „Die kollidierenden Grundrechtspositionen sind in ihrer Wechselwirkung zu sehen und so zu begrenzen, daß sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden. Hat einer der Vertragsteile ein so starkes Übergewicht, daß er den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen kann, bewirkt dies für den anderen Vertragsteil Fremdbestimmung (vgl BVerfG, 1990- 02-07, 1 BvR 26/84, BVerfGE 81, 242 <255>).“43 Dies bedeutet nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts konkret: „Für die Zivilgerichte folgt daraus die Pflicht, bei der Auslegung und Anwendung der Generalklauseln darauf zu achten, daß Verträge nicht als Mittel der Fremdbestimmung dienen . Haben die Vertragspartner eine an sich zulässige Regelung vereinbart, so wird sich regelmäßig eine weitergehende Inhaltskontrolle erübrigen. Ist aber der Inhalt des Vertrages für eine Seite ungewöhnlich belastend und als Interessenausgleich offensichtlich unangemessen , so dürfen sich die Gerichte nicht mit der Feststellung begnügen: ‚Vertrag ist Vertrag‘. Sie müssen vielmehr klären, ob die Regelung eine Folge strukturell ungleicher Verhandlungsstärke ist, und gegebenenfalls im Rahmen der Generalklauseln des geltenden Zivilrechts korrigierend eingreifen. Wie sie dabei zu verfahren haben und zu welchem Ergebnis sie gelangen müssen, ist in erster Linie eine Frage des einfachen Rechts, dem die Verfassung einen weiten Spielraum läßt. Ein Verstoß gegen die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie kommt aber dann in Betracht, wenn das Problem gestörter Vertragsparität gar nicht gesehen oder seine Lösung mit untauglichen Mitteln versucht wird.“44 4.2.3.4. Die praktische Konkordanz der Grundrechte In Fällen der vorliegenden Art muss die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) des Nutzers der Plattform mit der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und der grundgesetzlich garantierten Privatautonomie (Art. 1 i.V.m. der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG) des Betreibers 42 BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1993 – 1 BvR 567/89 – Bürgschaftsvertrag –, juris Orientierungssatz 1. 43 BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1993 – 1 BvR 567/89 – Bürgschaftsvertrag –, juris Orientierungssatz 1. 44 BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1993 – 1 BvR 567/89 – Bürgschaftsvertrag –, juris Rn. 56. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 20 der Plattform abgewogen werden. Dabei kommt der Meinungsfreiheit eine besondere Bedeutung auch dort zu, wo sie mit den privaten Interessen anderer in Konflikt tritt:45 „Dabei kollidierende Grundrechtspositionen sind hierfür in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (vgl. BVerfGE 129, 78 <101 f.>; 134, 204 <223 Rn. 68>; 142, 74 <101 Rn. 82>; stRspr.).“46 4.2.4.Exkurs II: die Rechtsnatur der sog. „Community-Richtlinien“ Die Nutzer der Videoplattform und YouTube schließen bei der Registrierung einen Nutzungsvertrag .47 Bestandteil des Nutzungsvertrages werden regelmäßig Verhaltensnormen, die bei YouTube „Community-Richtlinien“ genannt werden und als vorformulierte Vertragsbedingungen Allgemeine Geschäftsbedingungen (§ 305 Abs. 1 S. 1 des Bürgerliches Gesetzbuchs48 BGB) darstellen.49 Diese müssen einer inhaltlichen Kontrolle im Sinne der §§ 305 ff. BGB (sog. AGB-Kontrolle) standhalten und dürfen insbesondere nicht überraschend sein. Es ist evident, dass bei der Prüfung der Frage, ob eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB vorliegt, auch die wertbildende Regelung des Art. 5 GG zu berücksichtigen ist. Das Landgericht Köln umreißt das Spannungsfeld plastisch: „Es ist jedoch zweifelhaft, ob hieraus entnommen werden kann, dass ein Plattformanbieter oder jedenfalls die Verfügungsbeklagte im Rahmen ihres Geschäftsmodells verpflichtet ist, jedwede Meinung, soweit sie grundsätzlich als zulässige Meinungsäußerung im Sinne von Art. 5 GG anzusehen ist, auch als Post zuzulassen. Inwieweit ein Plattformbetreiber - und insbesondere ein Plattformbetreiber mit der besonderen Marktstellung, wie sie die Verfügungsbeklagte innehat - berechtigt ist, aus bestimmten Gründen bestimmte Meinungsäußerungen (sei es wegen ihrer Form oder ihres Inhalts) nicht (mehr) zuzulassen, ist eine heikle Frage.“50 45 BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51 – Lüth –, juris Rn. 77. 46 BVerfG, Beschluss vom 11. April 2018 – 1 BvR 3080/09 – Stadionverbot – juris Rn.32. 47 Friehe, Matthias, Löschen und Sperren in sozialen Netzwerken, NJW 2020, 1697. 48 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 10 des Gesetzes vom 30. März 2021 (BGBl. I S. 607) geändert worden ist. Abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/BJNR001950896.html. 49 So z.B.: LG Köln, Urteil vom 27. Juli 2018 – 24 O 187/18 – Otterngezücht – facebook, juris Rn. 98. 50 LG Köln, Urteil vom 27. Juli 2018 – 24 O 187/18 – Otterngezücht – facebook, juris Rn. 101. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 21 4.2.5.Mögliche Rechtsansprüche des Nutzers auf Wiederherstellung von aufgrund von Verstößen gegen die sog. „Community-Richtlinien“ entfernten nicht-rechtswidrigen Beiträgen gegen den Betreiber einer Plattform Sowohl hinsichtlich der Rechtsnatur des zwischen dem Nutzer und dem Betreiber der Plattform geschlossenen Vertrags als auch hinsichtlich der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte auf diesen Vertrag gibt es noch keine höchstrichterliche Entscheidung. Die Entscheidungen der Oberlandesgerichte divergieren. Um den Stand der Rechtsprechung zu illustrieren, seien hier einige aktuelle Entscheidungen hinsichtlich der Beurteilung der sog. „Community-Richtlinien“ vorgestellt : 4.2.5.1. OLG München, Beschluss vom 24. August 2018 – 18 W 1294/18 Der 18. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München untersagte Facebook die Löschung eines Beitrages aufgrund einer Klausel51 in dem Richtlinienwerk des Plattformbetreibers. Diese Klausel benachteilige den Vertragspartner des Plattformbetreibers entgegen der Gebote von Treu und Glauben unangemessen gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, da es für die Löschung nach der Klausel allein auf die Ansicht des Plattformbetreibers ankomme52 und diese im Hinblick auf die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte nicht vertretbar sei53. Im Einzelnen: „Nach dem Wortlaut der Klausel – dem zugleich die bei der gebotenen Auslegung zu Lasten des Verwenders (§ 305c Abs. 2 BGB) zugrunde zu legende kundenunfreundlichste Auslegung entspricht – kommt es für die Beurteilung der Frage, ob ein geposteter Beitrag gegen die Richtlinien der Antragsgegnerin verstößt und deshalb gelöscht werden darf, allein auf das Urteil der Antragsgegnerin an. Dieses einseitige Bestimmungsrecht der Antragsgegnerin steht im Widerspruch dazu, dass der Vertrag zwischen Nutzer und Plattformbetreiber gemäß § 241 Abs. 2 BGB seinem Inhalt nach beide Vertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichtet (ebenso LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 14.05.2018 – 2-03 O 182/18, S. 4).“54 Diese Auslegung begründet der 18. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München mit der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte auf die Auslegung zivilrechtlicher Generalklauseln: 51 "5. Schutz der Rechte anderer Personen Wir respektieren die Rechte anderer und erwarten von dir, dass du dies ebenfalls tust. 1. Du wirst keine Inhalte auf F posten oder Handlungen auf F durchführen, welche die Rechte einer anderen Person verletzen oder auf sonstige Art gegen das Gesetz verstoßen. 2. Wir können sämtliche Inhalte und Informationen, die du auf F postest, entfernen, wenn wir der Ansicht sind, dass diese gegen die Erklärung oder unsere Richtlinien verstoßen.“ Zitiert nach: OLG München, Beschluss vom 24. August 2018 – 18 W 1294/18 –, juris Rn. 23 ff. 52 OLG München, Beschluss vom 24. August 2018 – 18 W 1294/18 –, juris Rn. 26 f. 53 OLG München, Beschluss vom 24. August 2018 – 18 W 1294/18 –, juris Rn. 28 ff. 54 OLG München, Beschluss vom 24. August 2018 – 18 W 1294/18 –, juris Rn. 27 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 22 „Mit dem gebotenen Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz wäre es unvereinbar, wenn der Betreiber einer Social-Media -Plattform gestützt auf ein ‚virtuelles Hausrecht‘ auf der von ihm bereitgestellten Plattform den Beitrag eines Nutzers, in dem er einen Verstoß gegen seine Richtlinien erblickt, auch dann löschen dürfte, wenn der Beitrag die Grenzen zulässiger Meinungsäußerung nicht überschreitet.“55 4.2.5.2. OLG München, Beschluss vom 30. November 2018 – 24 W 1771/18 Im Widerspruch zu der Rechtsprechung des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München56 entschied der Einzelrichter des 24. Zivilsenats, „dass Nutzerbeiträge, die terroristische oder kriminelle Organisationen unterstützen, unabhängig davon, ob ein derartiger Beitrag durch die Meinungsfreiheit gedeckt ist, vom Plattformbetreiber entfernt werden.“57 Diese Entscheidung wurde damit begründet, dass die Richtlinien des Plattformbetreibers wieder überraschend noch mehrdeutig seien, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit sei auf die Rechtsbeziehungen Privater untereinander nicht unmittelbar anwendbar, sodass der Nutzer der Plattform in seinen Rechten nicht eingeschränkt sei und der Nutzer keinen Anspruch auf Zugang zu – in Anbetracht der Vielfalt der Plattformen für soziale Medien – nicht-marktbeherrschenden Medien habe. In der Begründung führte der Richter aus: „Bei den Gemeinschaftsstandards handelt es sich aus Sicht des Beschwerdegerichts um allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinn des § 305 BGB, die wirksam in den zwischen dem Antragsteller und der Antragsgegnerin geschlossenen Vertrag einbezogen wurden. Dabei kann offen bleiben, ob auch nachträgliche Änderungen der Gemeinschaftsstandards Vertragsinhalt geworden sind, da die oben genannte Regelung betreffend die Unterstützung von terroristischen oder kriminellen Organisationen bereits in der ursprünglichen Fassung der Gemeinschaftsstandards enthalten war (vgl. Anlage K21). Die Gemeinschaftsstandards sind weder überraschend noch mehrdeutig im Sinn des § 305c BGB. Sie konkretisieren in zulässiger Weise, die bereits in den Nutzungsbedingungen enthaltene Verpflichtung des Antragstellers , keine gegen die Gemeinschaftsstandards verstoßende Inhalte in die Kommunikationsplattform einzustellen (vgl. Oberlandesgericht Dresden, Beschluss vom 08.08.2018 - 4 W 577/18). Die in den Gemeinschaftsstandards getroffenen Regelung, dass Beiträge, die terroristische oder kriminelle Organisationen unterstützen, von der Antragstellerin entfernt werden, hält auch einer inhaltlichen Überprüfung stand. Das Beschwerdegericht teilt insbesondere nicht die Auffassung, die Gemeinschaftsstandards müssten gewährleisten, dass 55 OLG München, Beschluss vom 24. August 2018 – 18 W 1294/18 –, juris Ls. 3. 56 Eine vorhergehende Entscheidung des 18. Zivilsenats wird unter 4.2.5.1 in dieser Ausarbeitung vorgestellt. 57 OLG München, Beschluss vom 30. November 2018 – 24 W 1771/18 – Löschungsbefugnis des Plattformbetreibers , Ls. 1. Entscheidung abrufbar unter: https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS- B-2018-N-50857?hl=true. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 23 Beiträge, die vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) gedeckt sind, nicht von der Kommunikationsplattform der Anstragsgegnerin entfernt werden (vgl. Oberlandesgericht München, Beschluss vom 24.08.2018 - 18 W 1294/18). Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gilt für die Rechtsbeziehungen Privater untereinander nicht unmittelbar. Vielmehr entfaltet sich der Rechtsgehalt der Grundrechte im Privatrecht mittelbar in der Weise, dass ihre verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen über die Auslegung von Generalklauseln und sonstigen auslegungsbedürftigen Begriffen im Privatrecht zur Geltung zu bringen sind. Die mittelbare Drittwirkung von Grundrechten ist demnach auch bei der Frage zu berücksichtigen, ob Allgemeine Geschäftsbedingungen den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen (§ 307 Abs. 1 BGB). Die Regelung, dass die Antragsgegnerin Beiträge löscht, die terroristische oder kriminelle Organisationen unterstützen, stellt auch unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG keine unangemessene Benachteiligung des Antragstellers im Sinn des § 307 BGB dar. Dabei ist zu sehen, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG grundsätzlich keinen Anspruch darauf gibt, dass demjenigen, der eine Meinung kundtun will, Mittel zur Meinungskundgabe zur Verfügung gestellt werden. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gibt insbesondere keinen Anspruch auf Zugang zu bestimmten Medien (vgl. Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 15 Aufl. 2015, Art. 5 Rdnr. 18 mit weiteren Nachweisen). Eben dies verlangt der Antragsteller jedoch, wenn er die Antragsgegnerin verpflichten will, seinen Beitrag mit den ihr zur Verfügung stehenden technischen Mitteln weiterhin auf ihrer Kommunikationsplattform zu verbreiten. Ein verfassungsrechtlicher Leistungsanspruch auf aktive Unterstützung bei der Meinungskundgabe besteht schon nicht gegenüber staatlichen Stellen und umso weniger gegenüber Privaten. Social Media Plattformen, wie die der Antragsgegnerin , sind auch nicht mit öffentlich zugänglichen Einrichtungen gleichzustellen, die als Forum öffentlicher Meinungsäußerung jedem zugänglich sein müssen. Vielmehr erfolgt eine zulässige Beschränkung der Nutzung von Social Media Plattformen bereits durch den in den Nutzungsbedingungen vorgegebenen Nutzungszweck. Dementsprechend ist die Antragsgegnerin im Rahmen der vertraglichen Zweckvereinbarung berechtigt, die Nutzung ihrer Plattform für die Verbreitung jeglicher Beiträge auszuschließen, die terroristische oder kriminelle Organisationen unterstützen, unabhängig davon, ob ein derartiger Beitrag im Einzelfall durch die Meinungsfreiheit gedeckt ist oder nicht. Der Antragsteller kann sich ferner nicht darauf berufen, die Antragsgegnerin nehme eine Monopolstellung als Medium zur Meinungsverbreitung ein. Dies ist - angesichts der Vielfalt der Möglichkeiten der Meinungsverbreitung innerhalb und außerhalb des Internets - offensichtlich nicht der Fall (vgl. hierzu Beurskens, ‚Hate-Speech‘ zwischen Löschungsrecht und Veröffentlichungspflicht, in NJW 2018, 3418/3419).“58 4.2.5.3. KG Berlin, Beschluss vom 22. März 2019 – 10 W 172/18 Das Kammergericht stützt den Wiederherstellungsanspruch des Klägers auf §§ 241 Abs. 2 i.V.m. 1004 BGB. Die Löschung des Videos und die darauf gestützte Einschränkung der Nutzung des Li- 58 OLG München, Beschluss vom 30. November 2018 – 24 W 1771/18 – Löschungsbefugnis des Plattformbetreibers , Rn. 20. Entscheidung abrufbar unter: https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z- BECKRS-B-2018-N-50857?hl=true. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 24 vestreamings seien „eine Pflichtverletzung hinsichtlich der vertraglich eingeräumten Nutzungsmöglichkeiten “, für die es an der erforderlichen Grundlage fehle.59 Dabei lässt es die Fragen, welche Rechtsnatur der zwischen den Beteiligten geschlossene Vertrag hat und ob und inwieweit die sog. „Community-Richtlinien“ zu berücksichtigen sind, offen. Der von YouTube entfernte Beitrag hätte nach Ansicht des Kammergerichts schon deshalb nicht gelöscht werden dürfen, weil er noch nicht einmal gegen die sog. „Community-Richtlinien“ verstoßen habe.60 Für den Untersuchungsgegenstand ebenfalls relevant ist das obiter dictum der Entscheidung: „Die Antragsgegnerin, die nach eigener Darstellung eine Video-Hosting- und Kommunikationsplattform betreibt, auf der Nutzern die Möglichkeit geboten wird, eigene Videoinhalte zum Abruf für Dritte einzustellen, und auf der mehrere 100 Millionen Videos eingestellt sind, hat bei der Anwendung ihrer Richtlinien in jedem Fall die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte, insbesondere des Grundrechts der Nutzer auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), zu berücksichtigen. Es muss deshalb gewährleistet sein, dass eine zulässige Meinungsäußerung nicht von der Plattform entfernt werden darf (vgl. OLG München, Beschl . v. 24.08.2018 – 18 W 1294/18, NJW 2018, 3115 unter Verweis auf LG Frankfurt a.?M., MMR 2018, 545 m.w.N. zu Facebook).“61 Das Kammergericht kann also dahingehend interpretiert werden, dass keine von dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckte Äußerung von dem Plattformbetreiber entfernt werden darf. 4.2.5.4. OLG Nürnberg, Urteil vom 4. August 2020 – 3 U 3641/19 – Goldstücke – Richtlinien des Plattformbetreibers im Rahmen der Berufsfreiheit Das Oberlandesgericht Nürnberg entschied in einem derjenigen Urteile, die derzeit beim Bundesgerichtshof als Revisionsinstanz anhängig sind, dass „die Grundentscheidung, Maßnahmen zu ergreifen, damit sich andere Nutzer nicht wegen einer Verrohung von der Plattform des Betreibers eines sozialen Netzwerks abwenden,“ als unternehmerische Entscheidung in den Schutzbereich der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) fiele. „Wegen der kollidierenden Interessen kann in den Nutzungsbedingungen eines sozialen Netzwerks dem Äußernden wegen Art. 5 Abs. 2 GG z.B. ein ‚Mäßigungs- oder Sachlichkeitsgebot‘ auferlegt werden. Auf diese Art und Weise können die Freiheitsrechte der Beteiligten in ein Verhältnis praktischer Konkordanz gebracht und miteinander vereinbart werden.“ Die Benutzerrichtlinien des Plattformbetreibers seien dem Nutzer einseitig vorgegeben und daher einer Inhaltskontrolle zugängliche AGB62, die aber einer Inhaltskontrolle standhielten. 59 KG Berlin, Beschluss vom 22. März 2019 – 10 W 172/18 – YouTube –, juris Rn. 15. 60 KG Berlin, Beschluss vom 22. März 2019 – 10 W 172/18 – YouTube –, juris Rn. 21, 24. 61 KG Berlin, Beschluss vom 22. März 2019 – 10 W 172/18 – YouTube –, juris Rn. 17. 62 OLG Nürnberg, Urteil vom 4. August 2020 – 3 U 3641/19 – Goldstücke –, juris Rn.68. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 25 Folgerichtig verneint das Gericht im Anschluss an die Rechtsprechung des OLG Dresden trotz eingeräumter Marktmacht des Betreibers der Plattform einen Kontrahierungszwang: „Auch wenn die Plattform der Beklagten im Bereich der sozialen Netzwerke in Deutschland eine überragend wichtige Stellung einnimmt, unterliegt die Beklagte im Rahmen allgemeiner Diskriminierungsverbote keinem Kontrahierungszwang, sondern ist bei der Auswahl ihrer Vertragspartner im Rahmen allgemeiner Diskriminierungsverbote frei (OLG Dresden, Beschluss vom 11. Dezember 2019 – 4 U 1680/19, juris-Rn. 7).63“ Eine Besonderheit dieses Urteils ist der Hinweis auf das aus dieser Prämisse konsequenterweise resultierende ordentliche Kündigungsrecht des Betreibers gegenüber dem Nutzer: „Zu berücksichtigen ist zudem, dass der Beklagten ein ordentliches Kündigungsrecht zusteht , auch wenn ein solches nicht vertraglich eingeräumt ist. Dies folgt daraus, dass bei Dauerschuldverhältnissen, die keine feste Laufzeit aufweisen, die Kündigungsmöglichkeit die Funktion hat, die Privatautonomie wiederherzustellen, indem die bestehenden Bindungen aufgehoben werden. Ohne jegliches Kündigungsrecht würde das Dauerschuldverhältnis die Parteien endlos aneinanderbinden und wechselseitig verpflichten, womit die vom Privatrecht als unerschöpflich vorausgesetzte Freiheitsbetätigung durch individuelle Selbstbestimmung ausgehöhlt würde. Bei Verträgen mit unbestimmter Vertragslaufzeit folgt das ordentliche Kündigungsrecht somit aus dem Bedürfnis zur Wiederherstellung umfänglicher Freiheitsentfaltungsmöglichkeit. Das Lösungsinteresse erlangt hier den Stellenwert eines rechtsethischen „Entpflichtungsinteresses“(vgl. jeweils Sorge, JA 2017, 887 (889 f.); Esser/Schmidt Schuldrecht Allgemeiner Teil I/1, 8. Aufl. 1995, § 20 I pr (S. 320)). Die Frage kann daher lediglich lauten, mit welcher Frist die Beklagte ordentlich kündigen kann, und ob sie hierzu zwar nicht eines wichtigen Grundes wie in § 314 BGB, aber jedenfalls eines sachlich berechtigten Interesses bedarf. Ein sachlicher Grund könnte aber, auch in kartellrechtlicher Hinsicht, gerade daraus hergeleitet werden, dass die Beklagte sich und ihren Nutzern neue Regeln gibt und sie nicht parallel zwei oder mehr Regelwerke benutzen möchte.“64 4.2.5.5. OLG Dresden, Urteil vom 20. August 2020 – 4 U 784/20 – Wirksamkeit der Richtlinien des Plattformbetreibers Das Oberlandesgericht Dresden gelangt zu der Überzeugung, dass die Richtlinien eines Plattformbetreibers zwischen ihm und dem Nutzer wirksam vereinbart seien. Für die Wirksamkeit der Richtlinie im konkreten Fall sprechen nach Ansicht des Gerichts objektivierbare Kriterien, Vorhersehbarkeit der Sanktion für den Nutzer, keine Benachteiligung des Nutzers, da keine Verletzung wesentlicher Rechte des Nutzers, 63 OLG Nürnberg, Urteil vom 4. August 2020 – 3 U 3641/19 – Goldstücke –, juris Rn. 74. 64 OLG Nürnberg, Urteil vom 4. August 2020 – 3 U 3641/19 – Goldstücke –, juris Rn. 77. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 26 Geschäftszweck des Plattformbetreibers: respektvoller Umgang, abgestuftes Sanktionssystem und Interesse des Plattformbetreibers, nicht als Störer in Anspruch genommen zu werden. Im Einzelnen begründet das Gericht dies wie folgt: „Die neuen Nutzungsbedingungen, insbesondere die darin enthaltenen Gemeinschaftsstandards sind, auch nach §§ 138, 307ff. BGB wirksam. Die in Ziffer 3. der Nutzungsbedingungen der Beklagten enthaltenen Sanktionsmöglichkeiten knüpfen an objektivierbare Kriterien an und sind auch nicht intransparent. Diese rechtliche Würdigung gilt so- Seite 5 von 10 - wohl für die Voraussetzungen, unter denen sich .. Sanktionen vorbehält, als auch hinsichtlich der Rechtsfolgen. Richtig ist zwar, dass sich Ziffer 3.2 der Nutzungsbedingungen (Anlage K1) nicht im Einzelnen mit der Frage befasst, bei welchen Verstößen genau welche Sanktionen vorgesehen sind. Wie der Senat bereits mehrfach ausgeführt hat, genügt es aber, wenn der Nutzer weiß, dass ihn ein abgestuftes Sanktionssystem erwartet und die Beklagte je nach Schwere des Verstoßes eine Sanktion bis hin zur Deaktivierung des gesamten Kontos verhängen kann. Damit ist dem Nutzer hinreichend klar, dass ihn eine Sanktion treffen kann, an deren Ende bei wiederholten Zuwiderhandlungen gegen die Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards die komplette Deaktivierung des Kontos steht. Dies ist hinreichend transparent und benachteiligt den Kläger auch nicht unangemessen. Eine unangemessene Benachteiligung eines Vertragspartners des Verwenders im Sinne des § 397 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB, bei der der Verwender durch seine einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (BGH, Urteil vom 17.09.2009 - III ZR 207/08; Urteil vom 01.02.2005 - 10 ZR 10/04, jeweils nach juris und jeweils m.w.N.), liegt hierin schon deshalb nicht, weil hierdurch keine wesentlichen Rechte der Nutzer verletzt oder unangemessen beschränkt werden, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben. Nach der Natur des Nutzungsvertrages möchte die Beklagte eine Plattform zur Verfügung stellen, auf der die Nutzer einen respektvollen Umgang miteinander wahren und auf der sich jeder Nutzer „sicher“fühlt (vgl. Gemeinschaftsstandards, dort unter „Einleitung“). Dies ist der Geschäftszweck, der dem Kunden bei Inanspruchnahme der Leistungen vor Augen geführt wird und zu dessen Definition die Beklagte als privater Anbieter berechtigt ist. Innerhalb eines solchermaßen definierten Vertragszwecks liegt keine unzulässige Einschränkung darin, bei Verstößen gegen die an diesem Vertragszweck orientierten Standards ein abgestuftes Sanktionssystem bis hin zur Deaktivierung des Kontos auszusprechen (vgl. OLG Dresden, 4 U 2890/19 - juris Rz. 27 m.w.N.; Senatsbeschluss vom 11.12.2019 - 4 U 1618/18 m.w.N.; OLG Hamm, Beschluss vom 16.03.2020 - I-22 U 40/19; Schleswig-Holstein . OLG, Urteil vom 26.02.2020 - 9 U 125/19; OLG Bamberg, Beschluss vom 06.02.2020 - 8 U 246/19; OLG München, Beschluss vom 30.11.2018 - 24 W 1771/18). Dabei darf auch nicht außer Betracht bleiben, dass der Vertrag zwischen Nutzer und Plattformbetreiber gem. § 241 Abs. 2 BGB auch den Nutzer verpflichtet, bei der Inanspruchnahme von Leistungen auf die Belange des Betreibers Rücksicht zu nehmen (OLG München, Urteil vom 18.2.2020, 18 U Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 27 3465/19, Rn 79 - juris). Hierzu zählt auch das Interesse, von einer Inanspruchnahme als Störer nach dem NetzDG in weitestgehenden Ausmaß verschont zu bleiben.65 “ 4.2.6.Sonstige zivilrechtliche Aspekte Die Darstellung sonstiger in diesem Zusammenhang diskutierter zivilrechtlicher Aspekte war nicht Gegenstand des Auftrags. 4.2.7.Mögliche Rechtsansprüche des Nutzers auf Wiederherstellung von aufgrund einer unzutreffenden Anwendung des NetzDG durch den Betreiber einer Plattform entfernten Beiträge gegen diesen Die Darstellung möglicher Rechtsansprüche des Nutzers auf Wiederherstellung eines durch den Betreiber einer Plattform entfernten Beitrages, wenn dieser das NetzDG fehlerhaft angewendet (sog. „Overblocking“) hat, war nicht Gegenstand des Auftrags. 4.2.8. Mögliche Rechtsansprüche des Nutzers auf Entsperrung seines Kontos aufgrund von Verstößen gegen die sog. „Community-Richtlinien“ des Betreibers einer Plattform gegen diesen Die Darstellung der zivilrechtlichen Grundlagen möglicher Rechtsansprüche des Nutzers auf Entsperrung seines Kontos aufgrund von Verstößen gegen die sog. „Community-Richtlinien“ des Betreibers einer Plattform gegen diesen – insbesondere die Konsequenzen der (un)mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte in Bezug auf die im Vergleich zu der bloßen Löschung eines Beitrages gravierendere Sanktion der Kontensperrung – war nicht Gegenstand des Auftrags. 5. Fazit YouTube ist (Stand: 2016) mit einem Marktanteil von über 80 % in Deutschland auf dem Gebiet der Video-Sharing-Plattformen das dominierende und marktmächtigste Unternehmen , über das viele Menschen auch ihre Nachrichten beziehen. Die Frage, inwieweit die Nutzung von YouTube – und gegebenenfalls wie – die politische Meinung beeinflusst, kann in dieser Pauschalität nicht beantwortet werden. Es kann aber da-on ausgegangen werden, dass YouTube – wie alle social-Media-Portale – dazu geeignet ist, zumindest als „Echokammer“politische Meinungen zu verstärken. 65 OLG Dresden, Urteil vom 20. August 2020 – 4 U 784/20 – Wirksamkeit der Richtlinien des Plattformbetreibers – juris Rn. 22. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 068/20 Seite 28 Die zentrale Frage bei der rechtlichen Beurteilung der Löschungspraxis/Sperrpraxis der Plattformbetreiber ist, ob von der allgemeinen Meinungsfreiheit/Wissenschaftsfreiheit umfasste Äußerungen von Nutzern aufgrund von sog. „Community Richtlinien“ der Plattformbetreiber sanktioniert werden dürfen. Die von dem Betreiber einer Plattform einseitig festgelegten sog. „Community-Richtlinien“ sind Allgemeine Geschäftsbedingungen und unterliegen einer entsprechenden Inhaltskontrolle durch die Zivilgerichte. Im Rahmen dieser Inhaltskontrolle wird geprüft, ob das so statuierte „virtuelle Hausrecht“des Betreibers einer Plattform ein wirksamer Bestandteil des Vertrages zwischen ihm und dem Nutzer geworden ist. Dies wäre nur dann der Fall, wenn eine Balance zwischen den Grundrechten des Nutzers und denjenigen des Betreibers der Plattform durch die sog. „Community Richtlinien“ gewahrt wäre. Dabei müsste im konkreten Einzelfall geprüft werden, ob eine einzelne Regelung des oft sehr umfangreichen Regelungswerks der Betreiber von Plattformen wirksam ist. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zu dieser Frage divergiert. Eine höchstrichterliche Entscheidung liegt derzeit nicht vor. Der Bundesgerichtshof wird als Fachgericht zu der Problematik am 22. Juli 2021 Stellung nehmen. ****