© 2013 Deutscher Bundestag WD 10 - 3000 - 068/13 Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Namensnennung in öffentlichen Petitionen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 068/13 Seite 2 Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Namensnennung in öffentlichen Petitionen Verfasserin: r Aktenzeichen: WD 10 - 3000 - 068/13 Abschluss der Arbeit: 10. 12. 2013 Fachbereich: WD 10 Kultur, Medien und Sport Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 068/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Öffentliche Petitionen 4 2. Das Schutzgut allgemeines Persönlichkeitsrecht 5 3. Die Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts 6 4. Die hier maßgeblichen Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts 7 4.1. Das Recht am eigenen Namen 7 4.2. Der Schutz gegen Entstellung und Unterschieben von Äußerungen 8 5. Die Abwägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit im Allgemeinen 9 6. Zur Abwägung bei Namensnennung und identifizierender Berichterstattung 10 7. Aktuelle Tendenzen in der Rechtsprechung 14 7.1. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) 14 7.2. Rechtsprechung deutscher Gerichte 15 7.3. Mögliche Gründe für diese Tendenz 17 8. Konfligierende Rechte bei öffentlichen Petitionen 17 9. Rechtsfolgen bei Verletzung 18 10. Verbreiterhaftung des Deutschen Bundestages für öffentliche Petitionen 18 10.1. Voraussetzungen einer Verbreiterhaftung 18 10.2. Die Anwendung der Haftungsregeln des Telemediengesetzes (TMG) auf die Veröffentlichung von Petitionen 20 10.3. Verbreiterhaftung des Deutschen Bundestages für öffentliche Petitionen 22 11. Voraussetzungen der Störerhaftung 23 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 068/13 Seite 4 1. Öffentliche Petitionen Art. 17 GG gibt Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden . 2005 wurde zusätzlich die Möglichkeit eröffnet, eine Petition zur Veröffentlichung auf der Internetseite des Petitionsausschusses einzureichen. Mit dieser Möglichkeit soll ein öffentliches Forum für die sachliche Diskussion wichtiger allgemeiner Anliegen geschaffen werden.1 Unterstützer des Anliegens können der Petition durch Mitzeichnung innerhalb von vier Wochen größeres Gewicht und verstärkte Aufmerksamkeit verleihen. Bei einem Quorum von 50.000 Unterstützern sehen die Verfahrensgrundsätze grundsätzlich eine Anhörung eines oder mehrerer Petenten in einer öffentlichen Sitzung des Petitionsausschusses vor.2 Nach den Verfahrensgrundsätzen sind öffentliche Petitionen „Bitten oder Beschwerden von allgemeinem Interesse an den Deutschen Bundestag“.3 Näheres regelt die Richtlinie für die Behandlung öffentlicher Petitionen.4 Danach prüft der Ausschussdienst vor Annahme einer Petition als öffentliche Petition und deren Einstellung ins Internet, ob die Voraussetzungen für eine öffentliche Petition erfüllt sind. Im Hinblick auf die Veröffentlichung wird ein strenger Maßstab angelegt .5 Voraussetzung für eine öffentliche Petition ist, dass die Bitte oder Beschwerde inhaltlich ein Anliegen von allgemeinem Interesse zum Gegenstand hat und das Anliegen und dessen Darstellung für eine sachliche öffentliche Diskussion geeignet sind. Dabei dürfen sich das Anliegen oder Teile des Anliegens nicht erkennbar auf Personen beziehen.6 Erfüllt die Petition oder ihre Begründung diese Voraussetzungen nicht, wird sie nicht als öffentliche Petition zugelassen.7 Das gleiche gilt, wenn sie in Persönlichkeitsrechte von Personen (z.B. durch Namensnennung) eingreift .8 Ein Rechtsanspruch auf die Annahme einer Petition als öffentliche Petition wird durch die Richtlinie ausdrücklich ausgeschlossen.9 Auch die nicht veröffentlichte Petition wird nach den allgemeinen Verfahrensgrundsätzen geprüft und beschieden. Über die Veröffentlichung oder 1 Bericht des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) vom 19.9.2006, Drucksache 16/2500, S. 10. 2 Grundsätze des Petitionsausschusses über die Behandlung von Bitten und Beschwerden (Verfahrensgrundsätze ), letzte Änderung vom 9. November 2011 mit Wirkung zum 1. Januar 2012, 8.4 (4), Deutscher Bundestag, Rechtsgrundlagen für die Arbeit des Petitionsausschusses 2012, S. 19, http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse 17/a02/rechtsgrundlagen.pdf . 3 Verfahrensgrundsätze (Fn. 2), 2. 1 (4). 4 Richtlinie für die Behandlung öffentlicher Petitionen (öP) gem. Ziff.1 (4) Verfahrensgrundsätze, abgedruckt unter Fn. 2, S. 24 ff. 5 Richtlinie (Fn. 4) 5., S. 27. 6 So Richtlinie (Fn. 4) 2.1, S. 25. 7 Richtlinie (Fn. 4) 3. a), S. 26. 8 Richtlinie (Fn. 4) 3. h), S. 26. 9 Richtlinie (Fn. 4) 1., S. 25. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 068/13 Seite 5 Nichtveröffentlichung der Petition sowie die Gründe für eine Nichtveröffentlichung soll der Petent informiert werden.10 Das Grundrecht aus Art. 17 GG richtet sich auf die Entgegennahme, sachliche Prüfung und Verbescheidung der Petition.11 Die Art und Weise der Verfahrenserledigung steht im Ermessen des Petitionsempfängers. Da die Ablehnung der Veröffentlichung einer Petition ebenso wie ein Petitionsbescheid keine unmittelbare rechtliche Außenwirkung hat, kann gegen die Entscheidung nicht geklagt werden.12 2. Das Schutzgut allgemeines Persönlichkeitsrecht Aus den ersten beiden Grundrechten im Grundrechtskatalog, der Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG und der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG hat die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts das allgemeine Persönlichkeitsrecht entwickelt . Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist wie ein eigenes Grundrecht zu behandeln. Seine Aufgabe ist es, die engere persönliche Lebenssphäre des Menschen zu gewährleisten, die durch andere, konkretere Freiheitsgarantien nicht ausreichend erfasst ist.13 Schutzgegenstand des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist der unmittelbare Freiheitsbereich des Individuums, den es vor staatlichen und privaten Eingriffen zu schützen gilt. Dem Bundesverfassungsgericht zufolge soll der Einzelne grundsätzlich selbst entscheiden können, wie er sich Dritten oder der Öffentlichkeit gegenüber darstellen und ob und wie er mit einer eigenen Äußerung hervortreten will.14 Der Schutz des Privaten steht anderen Grundrechten wie dem Recht auf Freiheit und Information gleichberechtigt gegenüber15 und kann als allgemeines Gesetz im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG die Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG beschränken.16 10 Richtlinie (Fn. 4) 5., S. 27. 11 BVerfGE 2, 225, 230. 12 Ausführlich hierzu Sierck, Gabriela; Thomaschky, Ist die Ablehnung einer Petition als öffentliche Petition ein Verwaltungsakt? Deutscher Bundestag, Fachbereich WF III – 018/06; eine gesetzliche Regelung für öffentliche Petitionen verlangt daher Guckelberger, Annette, Neue Erscheinungen des Petitionsrechts: E-Petitionen und öffentliche Petitionen, DÖV 2008, 85, 93. 13 Fechner, Frank, Medienrecht, 12. Auflage 2011, 4. Kapitel, Rn. 7 14 BVerfG, Beschluss v. 3. 6. 1980 (BVerfGE 54, 148-158), zitiert nach Juris Rn. 16. 15 So Schertz, Christian, Der Schutz des Individuums in der modernen Mediengesellschaft, NJW 2013, 721, 722. 16 Boksanyi, Sabine, in: Wandtke, Artur (Hrsg.), Medienrecht: Praxishandbuch, 2011, Bd. 4, Teil 3, Kapitel 1, Rn. 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 068/13 Seite 6 In der so genannten Leserbrief-Entscheidung17, in der der Bundesgerichtshof erstmals das allgemeine Persönlichkeitsrecht als ein durch Art. 1 und Art. 2 GG verfassungsmäßig garantiertes Grundrecht anerkannte, billigte er ihm zugleich auch die Funktion eines zivilrechtlich nach § 823 BGB geschützten sonstigen Rechts zu. Das hat zur Folge, dass bei einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts die zivilrechtlichen Ansprüche, insbesondere auf Schadensersatz und Unterlassung geltend gemacht werden können.18 3. Die Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Der Inhalt dieses Rechts ist nicht allgemein und abschließend zu umschreiben. Die Rechtsprechung hat hierzu verschiedene Untergruppen herausgebildet. Soweit einzelne Persönlichkeitsrechte gesetzlich normiert sind, ist dieses Gesetz als lex specialis zunächst heranzuziehen. Solche „besonderen Persönlichkeitsrechte“ sind das Namensrecht des § 12 BGB, das Recht am eigenen Bild des § 22 KUG und das Urheberpersönlichkeitsrecht der §§ 12 ff UrhG.19 Trotz der Ausprägungen in unterschiedlichen Standardfallgruppen ist allen gemein die „Vorstellung eines für sich selbst verantwortlichen Individuums, das autonom entscheidet, wie es sich in der Öffentlichkeit präsentieren möchte“20. „Daher durchzieht das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Grundsatz, demzufolge keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliegt, wenn der Rechtsinhaber in die Berichterstattung eingewilligt hat. Entsprechend kann sich niemand auf ein Recht zur Privatheit hinsichtlich solcher Tatsachen berufen, die er selbst der Öffentlichkeit preisgegeben hat.“21 Die einzelnen Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts können unterschiedlich systematisiert werden. Bei Fechner findet sich im Wesentlichen die folgende Darstellung: 1. Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung (Intimes, Privates, Geheimes) 2. Schutz der persönlichen Ehre 3. Verfügungsrecht über Darstellung der eigenen Person 4. Recht am eigenen Bild 5. Recht am eigenen (gesprochenen und geschriebenen) Wort 6. Schutz gegen Entstellung und Unterschieben von Äußerungen 17 BGHZ 13, 334 ff. 18 Hierzu im Einzelnen Fechner (Fn. 13), 4. Kapitel, Rn. 94 ff. 19 Fechner (Fn. 13), 4. Kapitel, Rn. 17. 20 So Fechner (Fn. 13), 4. Kapitel, Rn. 17; ausführlich Kübler, Friedrich, Perspektiven des Persönlichkeitsschutzes, AfP Sonderheft 2007, 7, 9. 21 Fechner (Fn. 13), 4. Kapitel, Rn. 17; Schertz (Fn. 15), NJW 2013, 721, 723. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 068/13 Seite 7 7. Schutz vor Imitationen der Persönlichkeit 8. Recht auf informationelle Selbstbestimmung 9. Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme 10. Recht am eigenen Namen 11. Einschränkung identifizierender Berichterstattung bei Straftaten 12. Schutz vor stigmatisierenden Darstellungen 13. Postmortales Persönlichkeitsrecht22 4. Die hier maßgeblichen Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Bei der Nennung von Namen in öffentlichen Petitionen ist zunächst das Recht am eigenen Namen als eigenständiger Aspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen. Sofern der Petent auf tatsächliche oder vermeintliche Äußerungen einer Person Bezug nimmt, ist auch der Schutz gegen Entstellung und Unterschieben von Äußerungen als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts berührt. 4.1. Das Recht am eigenen Namen Das Recht am eigenen Namen ist in § 12 BGB gesetzlich geregelt. § 12 BGB ist eine besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und insoweit lex specialis. Die Vorschrift schützt allerdings vom Wortlaut her den Namensträger nur dagegen, dass sein Recht zur Namensführung von einem anderen bestritten wird oder ein anderer unbefugt den gleichen Namen gebraucht . Es geht also beim Namensrecht nach § 12 BGB um den Identitätsschutz des Namensträgers und darum, dass er nicht durch unbefugten Gebrauch eines Namens mit einem anderen verwechselt wird.23 Verboten ist durch § 12 BGB mithin nur die Benutzung eines Namens. Vor einer ungerechtfertigten Namensnennung, die insbesondere in den Medien eine große Rolle spielt, kann aber das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG Betroffene schützen. Für die Nennung des Namens einer Person gelten dieselben Voraussetzungen wie für die Veröffentlichung eines Bildnisses. Hierfür bestimmen die §§ 22, 23 KUG, dass es grundsätzlich niemand ohne Einwilligung dulden muss, dass ein Bildnis von ihm verbreitet wird. Da es für diese Grundregel aus dem Bildrecht im Namensrecht keine Entsprechung gibt, wird sie für die namentliche Berichterstattung entsprechend herangezogen. Danach muss es 22 Fechner (Fn. 13), 4. Kapitel, Rn. 18 – 97 mit Darstellung der Inhalte; vgl. auch Böhm, Andreas, Allgemeines Persönlichkeitsrecht , http://www.boehmanwaltskanzlei.de/allgemeines-persoenlichkeitsrecht (Der Stand der Abrufe in dieser Arbeit entspricht dem Abgabedatum.) 23 So Damm, Renate; Rehbock, Klaus, Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz in den Medien, Aufl. 2008, 1. Teil, Rn. 313 mit weiteren Nachweisen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 068/13 Seite 8 grundsätzlich niemand dulden, namentlich in der Öffentlichkeit erwähnt und Gegenstand von Berichterstattung zu werden.24 Eingeschränkt wird diese Grundregel durch das öffentliche Informationsinteresse, das durch Art. 5 GG geschützt wird.25 (Für Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte gilt die gesetzliche Einschränkung in § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG). Daher indiziert ein Eingriff in das Namensrecht nicht automatisch die Rechtswidrigkeit, sondern es muss in jedem Einzelfall durch eine Güterabwägung ermittelt werden, ob der Eingriff durch schutzwürdige andere Interessen gerechtfertigt ist oder nicht. Dabei geht es in der Regel um eine Abwägung zwischen den Mediengrundrechten, der Meinungs- und Äußerungsfreiheit bzw. dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit einerseits und dem Schutz der Privatsphäre des Einzelnen andererseits.26 Einen absoluten Anspruch auf Nichtnennung des eigenen Namens gibt es also nicht.27 Der Schutzumfang des betroffenen Persönlichkeitsrechts ergibt sich aus der Abwägung gegen das Informationsinteresse der Öffentlichkeit . Dabei ist davon auszugehen, dass eine Privatperson sich in der Regel in sehr weitem Umfang darauf berufen kann, in den Augen der Öffentlichkeit geschützt zu sein, während dieses Recht Prominenten und insbesondere Politikern nur in sehr viel beschränkterem Umfang zusteht .28 4.2. Der Schutz gegen Entstellung und Unterschieben von Äußerungen Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die Person insbesondere auch vor verfälschenden oder entstellenden Darstellungen. Ein unrichtiges, verfälschtes oder entstelltes Zitat greift besonders tief in das Persönlichkeitsrecht ein, da es in den Augen der Rezipienten dem Zitierten zugerechnet wird und so desavouieren kann. Das unrichtige Zitat ist daher weder durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit noch sonst durch Medienfreiheiten geschützt.29 Als Steigerung des verfälschten Zitats kann das Unterschieben einer Äußerung angesehen werden, die der Betroffene nie getan hat.30 Da ein erfundenes Interview zu einer wirklichen Meinungsbildung nichts beitragen kann, erfüllt das Presseorgan hiermit keinen Informationsauftrag gegenüber der Allgemeinheit und kann sich daher nicht auf die Pressefreiheit berufen.31 Eine Abwägung hat daher hier 24 So Schertz (Fn. 15), NJW 2013, 721, 724; vgl. auch Damm/Rehbock (Fn. 23), 1. Teil, Rn. 326. 25 Schertz (Fn. 15), NJW 2013, 721, 724. 26 Boksanyi (Fn. 16), Band 4, Teil 3, Kapitel 1, Rn. 3,5. 27 Damm/Rehbock (Fn. 23), Teil 1 Rn. 326. 28 So Boksanyi (Fn. 16), Band 4, Teil 3, Kapitel 1, Rn. 36. 29 BVerfG, Beschl. v. 3.6.1980 (BVerfGE 54, 208-223), zitiert nach Juris, Rn. 28. 30 Hierzu Diederichsen, Angela, Aktuelle Rechtsprechung des BGH zum Persönlichkeitsschutz, AfP 2012, 217, 218 mit Nachweisen aus der Rspr. des BGH in Fn. 12. 31 Vgl. Fechner (Fn. 13), 4. Kapitel, Rn. 59 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 068/13 Seite 9 nicht stattzufinden; entsprechende Darstellungen verletzten stets das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen. In seinem Beschluss zu dem Roman „Esra“ von Maxim Biller, in dem es um die Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch ein literarisches Werk ging, in dem tatsächliche und fiktive Schilderungen vermengt werden, hat das Bundesverfassungsgericht unter Bezugnahme auf seine frühere Rechtsprechung ausgeführt: „Der Inhalt dieses Rechts ist nicht allgemein und abschließend umschrieben. Zu den anerkannten Inhalten gehören das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person, die soziale Anerkennung sowie die persönliche Ehre. Eine wesentliche Gewährleistung ist der Schutz vor Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen der Person, insbesondere ihr Bild in der Öffentlichkeit, auszuwirken. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die Person insbesondere vor verfälschenden oder entstellenden Darstellungen, die von nicht ganz unerheblicher Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung sind.“32 Das Bundesverfassungsgericht hatte in dieser Entscheidung das Persönlichkeitsrecht der erkennbaren Vorbilder für den Roman mit der Kunstfreiheit des Autors abzuwägen. Hinzuweisen ist jedoch darauf, dass das Persönlichkeitsrecht dem Individuum keinen Anspruch darauf gibt, von den Medien so dargestellt zu werden, wie es dies möchte.33 5. Die Abwägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit im Allgemeinen Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Namensnennung oder identifizierende Darstellungen setzt voraus, dass in der im Einzelfall vorzunehmenden Abwägung mit den Medienrechten des Art. 5 GG, insbesondere dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit, der Schutz der Persönlichkeit überwiegt. Dabei muss zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit an einem Vorgang als solchem und an der Identifizierbarkeit der Beteiligten unterschieden werden.34 Der Name darf nur dann genannt werden, wenn gerade an der Namens-nennung und damit individualisierenden Berichterstattung ein Informationsinteresse besteht, wie dies insbesondere bei Personen, die öffentliche Ämter bekleiden der Fall ist.35 Der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht haben in ihrer Rechtsprechung Grundsätze für den Schutz des Individuums in der Medienöffentlichkeit entwickelt, in denen sie 32 BVerfG Beschl. v. 13. 6. 2007 (BVerfGE 119, 1-59), zitiert nach Juris, Rn. 71. 33 So Kübler (Fn. 20), AfP-Sonderheft 2007, 7, 9. 34 Boksanyi (Fn. 16), Band 4, Teil 1, Kapitel 2 Rn. 162. 35 Schertz (Fn. 15), NJW 2013, 721, 724. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 068/13 Seite 10 von Sphären unterschiedlicher Schutzintensität ausgehen. Diese sogenannte Sphärentheorie unterscheidet zwischen der Geheimsphäre, der Intimsphäre, der Privatsphäre, der Sozialsphäre und der Öffentlichkeitssphäre.36 Allerdings kommt es für die Schutzbedürftigkeit der Person nicht nur darauf an, in welcher Sphäre sie durch die Berichterstattung betroffen ist, sondern auch auf ihr eigenes Verhalten. Gibt sie Umstände aus der Geheim- oder Intimsphäre selbst freimütig preis, hebt sie den Schutz dieser Sphären auf.37 Zu Recht weist Fechner in seinem Lehrbuch darauf hin, dass die Abstufung nach Schutzsphären hilfreich ist, um den grundsätzlichen Bedeutungsgehalt jedes dieser Bereiche zu verdeutlichen. Verfassungsrechtlich geboten sei aber stets eine Abwägung im Einzelfall.38 Der Bereich der Sozialsphäre erfasst den Bereich, in dem eine Person aus dem privaten in den gesellschaftlichen Bereich tritt, ohne sogleich öffentlich aufzutreten. Gemeint ist der Bereich der beruflichen, gewerblichen oder politischen Betätigung des Betroffenen als Glied der sozialen Gesellschaft . Bei der Abwägung in diesem Bereich kommt dem Öffentlichkeitsinteresse ein wesentlich gewichtigerer Rang zu als in der Privat- oder Intimsphäre. Die Äußerung wahrer Tatsachen muss hier regelmäßig hingenommen werden. In der Sozialsphäre dürfen Äußerungen nur im Falle schwerwiegender Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht mit negativen Sanktionen verknüpft werden, so etwa dann, wenn eine Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder Prangerwirkung zu besorgen sind.39 Wer sich bewusst und aktiv in das Licht der Öffentlichkeit stellt begibt sich in den Bereich der Öffentlichkeitssphäre. Über solche öffentlichen Auftritte etwa von Politikern, Wissenschaftlern und Künstlern und die Einzelheiten, die dabei zu Tage treten, ist immer eine Berichterstattung zulässig.40 6. Zur Abwägung bei Namensnennung und identifizierender Berichterstattung Zu der Frage, ob im Einzelfall die Nennung des Namens oder die sonstige Aufdeckung der Identität des Betroffenen zulässig ist, liegen zahlreiche Entscheidungen vor. Daher werden nur einige von ihnen kurz angesprochen, während im Übrigen sowie auch für die Fundstellen auf die ausführlicheren Darstellungen in der presserechtlichen Fachliteratur verwiesen wird. Bei der Berichterstattung über Persönlichkeiten im Blickpunkt der Öffentlichkeit ist insbesondere zu erwägen, ob zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit 36 Ausführliche Darstellung bei Boksanyi (Fn. 16), ), Band 4, Teil 3, Kapitel 1, Rn. 38 ff; vgl. auch Schertz (Fn. 15), NJW 2013, 721, 723. 37 Boksanyi (Fn. 16), Band 4, Teil 3 Kapitel 1, Rn. 36. 38 Fechner (Fn. 13), 4. Kapitel, Rn. 18. 39 So mit Nachweisen Boksanyi (Fn.16), Band 4, Teil 3 Kapitel 1, Rn. 53. 40 So Schertz (Fn. 15), NJW 2013, 721, 723. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 068/13 Seite 11 an der Identität der Person besteht. Bei länger zurück liegenden Ereignissen und insbesondere auch bei der Berichterstattung über frühere strafrechtliche Verurteilungen wird dies in der Regel nicht mehr der Fall sein. Zulässig aber ist die Identifizierung der Betroffenen, wenn es sich um aktuelle Vorgänge handelt und an ihnen und den betroffenen Personen ein berechtigtes aktuelles Informationsinteresse besteht.41 So musste ein bekannter Schauspieler die namentliche Berichterstattung über seine Festnahme auf dem Münchner Oktoberfest und seine strafrechtliche Verurteilung hinnehmen.42 Das Bundesverfassungsgericht hat die Nennung des Namens eines ehemaligen Fußballprofis im Zusammenhang mit seiner Verurteilung wegen eines Sexualdelikts zugelassen. Das Gericht führt hierzu aus, eine Namensnennung oder sonstige Identifizierung des Täters sei keineswegs immer zulässig; insbesondere in Fällen der kleinen Kriminalität oder bei jugendlichen Straftätern werde dies nicht der Fall sein. Eine individualisierende Berichterstattung über den Angeklagten eines Strafverfahrens könne allerdings dann gerechtfertigt sein, wenn sich der Betreffende nicht beziehungsweise nicht mehr mit Gewicht auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen könne; das sei auch dann der Fall, wenn er kraft seines Amtes oder wegen seiner gesellschaftlich hervorgehobenen Verantwortung beziehungsweise Prominenz auch sonst in besonderer Weise im Blickfeld der Öffentlichkeit stehe und die Medienöffentlichkeit mit Rücksicht hierauf hinzunehmen habe.43 In diesem Fall habe der Täter in der Vergangenheit in erheblichem Maße in der Öffentlichkeit gestanden.44 Ein Pornodarsteller, der bewusst seine Sexualität durch Mitwirkung in Pornofilmen kommerzialisiert hat, muss es hinnehmen, später auch in einem Bericht mit seinem bürgerlichen Namen genannt zu werden, weil er diesen Bereich seiner Sexualität einer interessierten Öffentlichkeit preisgegeben hatte.45 Die namentliche Nennung verurteilter Straftäter wird von der Rechtsprechung regelmäßig für zulässig erachtet, da das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit jedenfalls in zeitlicher Nähe zur Tat beziehungsweise der Verurteilung überwiegt. Anders ist dies bei jugendlichen Straftätern und wenn nach fortschreitender Zeit das Interesse des Betroffenen an Resozialisierung vermehrt 41 Soehring, Jörg; Hoene, Verena, Presserecht, Recherche, Darstellung, Haftung im Recht der Presse, des Rundfunks und der neuen Medien, 5. Auflage 2013, § 17 Rn. 11 mit Nachweisen. 42 EGMR, Urteil v. 7.2.2012, NJW 2012, 1058. 43 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.6.2009, NJW 2009, 3357; zitiert nach beck-online, Rn. 20. 44 BVerfG (Fn. 43), Rn. 28. 45 BGH NJW 2012, 767 Rn. 13.. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 068/13 Seite 12 an Bedeutung gewinnt.46 Besondere Sorgfalt ist bei der Berichterstattung über Beschuldigte geboten , da die Schuld oder Tat des Betroffenen noch nicht feststeht.47 Häufig war die Frage nach Zulässigkeit der Identifizierung vormaliger Mitarbeiter oder Informanten des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR zu entscheiden. Hatte der Bundesgerichtshof noch die Veröffentlichung einer Liste der Namen mehrerer tausend ehemaliger inoffizieller Stasi-Mitarbeiter untersagt, weil mit ihr eine persönlichkeitsverletzende Prangerwirkung verbunden sei, vertrat das Bundesverfassungsgericht hierzu die Auffassung, dass dies prinzipiell durch die Grundrechte der Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt sei.48 Auch die individualisierende Berichterstattung über das frühere Wirken Einzelner für die oder mit der Stasi ist nach Auffassung der Gerichte in der Regel zulässig. Hier ging es etwa um die Nennung des Namens eines früheren Stasi-Mitarbeiters, der als Lebensgefährte einer prominenten Schauspielerin der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, oder eines Universitätsprofessors und Landtagsabgeordneten , der als Stasi-Mitarbeiter seine eigene Lebensgefährtin bespitzelt hatte. Der Grund hierfür ist, dass das Wirken der Stasi und die Art und Weise ihrer Zusammenarbeit mit Teilen der Bevölkerung auch heute noch ein die Öffentlichkeit berührendes Thema darstellen.49 Der Geschäftsführer einer Klinik durfte nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in einer Presseerklärung namentlich genannt werden, als er im Streit abberufen wurde. Wer sich im Wirtschaftsleben (in so herausragender Position wie der Kläger) betätige, setze sich in erheblichem Umfang der Kritik an seinen Leistungen aus. Zu einer solchen Kritik gehöre auch die Namensnennung . Die Öffentlichkeit habe in solchen Fällen ein legitimes Interesse daran zu erfahren, um wen es gehe und die Presse könne durch eine anonymisierte Berichterstattung ihre meinungsbildenden Aufgaben nicht erfüllen.50 Da der Kläger nicht in seiner Privat-, sondern in der Sozialsphäre betroffen sei, könne er eine entsprechende Berichterstattung nur im Falle schwerwiegender Auswirkungen auf sein Persönlichkeitsrecht verbieten, so etwa dann, wenn eine Stigmatisierung , soziale Ausgrenzung oder Prangerwirkung zu besorgen sei.51 Mit dieser Begründung hat der Bundesgerichtshof auch in seiner sogenannten Spickmich-Entscheidung erkannt, dass die namentliche Bewertung von Lehrern im Internet mittels eines Schulnotensystems keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt, sofern 46 Boksanyi (Fn. 16), Band 4, Teil 1, Kapitel 2 Rn. 174 ff. 47 Boksanyi (Fn. 16), Band 4, Teil 1, Kapitel 2 Rn. 188 ff; ausführlich hierzu Soehring/Hoene (Fn. 41), § 16 Rn. 23 ff. 48 Soehring/Hoene (Fn. 34), § 17 Rn. 9c mit Nachweisen. 49 Soehring/Hoene (Fn. 41), § 17 Rn. 9d mit Nachweisen. 50 BGH, Urteil v. 21.11.2006, zitiert nach Juris, Rn. 14 und 15. 51 BGH (Fn. 50), Rn. 15. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 068/13 Seite 13 diese lediglich die berufliche Tätigkeit des Lehrers betrifft. Die Meinungsfreiheit und das berechtigte Informationsinteresse an der Tätigkeit von Lehrern überwögen in den Grenzen der Zumutbarkeit dessen Persönlichkeitsinteresse.52 Die Namensnennung im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit des Betroffenen ist zulässig , wenn mit ihr keine sonstige Beeinträchtigung der Rechte des Betroffenen verbunden ist. So wird die Nennung der Namen von Rechtsanwälten im Zusammenhang mit der Berichterstattung über Prozesse von allgemeinem Interessen, an denen sie beteiligt sind, für zulässig gehalten.53 Allerdings wurde die Nennung des Namens von Rechtsanwälten im Zusammenhang mit der Scientology -Bewegung untersagt. Die Rechtsanwälte vertraten einen Scientologen, hatten aber selbst zu der Organisation keine persönlichen Beziehungen.54 Überwiegend erkennt die Rechtsprechung jedoch das überwiegende Interesse der Öffentlichkeit an Informationen über die Aktivitäten der Scientologen an und misst ihm mehr Gewicht bei als dem Anonymitätsinteresse und der negativen Bekenntnisfreiheit des einzelnen Mitglieds.55 Zulässig war auch die namentliche Erwähnung einer in der Lokalpolitik aktiven vormaligen Sachbearbeiterin eines Straßenbauamts im Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren wegen vermuteter Korruption oder die Namensnennung des vormaligen Leiters der Schleswig-Holsteinischen Datenzentrale im Zuge einer die Öffentlichkeit berührenden Auseinandersetzung über Wirksamkeit und Hintergründe seiner plötzlichen Entlassung. Zulässig ist auch die namentliche Erwähnung eines Beamten in zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit einem Komplex , zu dem er vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss als Zeuge ausgesagt hat.56 Im Übrigen ist bei der Namensnennung im Zusammenhang mit berufsbezogenem Fehlverhalten zu beachten, dass sich hieraus schwerwiegende Auswirkungen auch auf die Privatsphäre des Betroffenen ergeben können. Es ist zu berücksichtigen, inwieweit ein berufliches Verhalten von der Öffentlichkeit als allgemein sehr verwerflich angesehen wird und darauf zu achten, dass eine Namensnennung nicht über Gebühr erfolgt. Da berufliches Verhalten nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist, besteht in der Regel auch kein Interesse der Öffentlichkeit an einer Namensnennung. Es genügt, wenn die Position und die anstellende Institution deutlich werden; der konkrete Name führt nicht zu einer besseren Information der Öffentlichkeit.57 52 BGH 181, 328. 53 Vgl. Soehring/Hoene (Fn. 41), § 17 Rn. 9 mit Nachweisen. 54 Soehring/Hoene (Fn. 41), § 17 Rn. 8a mit Nachweisen. 55 Soehring/Hoene (Fn. 41), § 17 Rn. 8a mit Nachweisen. 56 So Soehring/Hoene (Fn. 41), § 17 Rn. 11 mit Nachweisen. 57 Vgl. Frenz, Walter, Berufsbezogene Vorwürfe und Medienveröffentlichungen, ZUM 2012, 282, 286. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 068/13 Seite 14 Einen besonderen Stellenwert gewinnt in der erforderlichen Güterabwägung der Schutz der Privatsphäre Minderjähriger, so dass die Nennung des Vornamens des Sohns der Schauspielerin Anke Engelke aus Anlass der Hochzeit seiner Mutter als unzulässig angesehen wurde.58 7. Aktuelle Tendenzen in der Rechtsprechung Die Abwägung zwischen Persönlichkeitsrechten und dem Informationsinteresse unterliegt stetem Wandel und geht mal mehr zu Lasten der Meinungsfreiheit und dann wieder zu Lasten der Persönlichkeitsrechte aus. In jüngster Zeit wird eine Tendenz zu Lasten des Persönlichkeitsrechts ausgemacht.59 Dazu hat auch die jüngere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) beigetragen. Zur Verbindlichkeit dieser Rechtsprechung führt Frenz aus: „Zwar geht die EMRK60 nicht nationalem Recht einfach vor, sondern muss in dieses noch eingepasst und von den staatlichen Organen einschließlich der Gerichte lediglich berücksichtigt , nicht hingegen unmittelbar und in vollem Umfang angewendet werden. Damit beeinflusst sie aber immer noch die Auslegung der Grundrechte und ist dabei im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten. Immerhin insoweit sind die Träger deutscher öffentlicher Gewalt an die Entscheidungen des EGMR gebunden. In diesem Umfang gehören die Gewährleistungen der EMRK zur Bindung an Recht und Gesetz nach Art. 20 Abs. 3 GG.“61 7.1. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Bei den beiden viel beachteten Entscheidungen des EGMR ging es um Bildberichterstattungen. Im einen Fall war ein Bericht über Caroline von Hannover betroffen, der sie im Skiurlaub zeigte, während ihr Vater schwer erkrankt war. Der EGMR bestätigte hier insbesondere das BGH-Urteil, das auf der Basis eines abgestuften Schutzkonzepts die Privatsphäre umso mehr zurücktreten 58 Soehring/Hoene (Fn. 41), § 17 Rn. 11 jeweils mit Nachweisen. 59 So Schertz (Fn. 15), NJW 2013, 721, 725, 727 f; Frenz, Walter, Konkretisierte Abwägung zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsschutz, NJW 2012, 1039, 1040; Sajuntz, Sascha, Die Entwicklung des Presse- und Äußerungsrechts in den Jahren 2010 bis 2012, NJW 2012, 3761-3768. 60 Europäische Menschenrechtskonvention (Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten) vom 04.11.1950, zuletzt geändert durch Protokoll Nr. 14 vom 13.5.2004 m. W. v. 1.6.2010. 61 Frenz (Fn. 57), ZUM 2012, 282, 283. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 068/13 Seite 15 lässt, je größer der Informationswert für die Öffentlichkeit ist, und daher eine Presseveröffentlichung teilweise ermöglichte.62 Entscheidend war hier die Verknüpfung der Bilder mit einem Beitrag zu einer Diskussion von allgemeinem Interesse.63 Im zweiten Fall beanstandete der EGMR die deutschen Entscheidungen, die eine Veröffentlichung untersagten. Es ging um einen bekannten Schauspieler, über dessen Festnahme und Verurteilung wegen Kokainbesitzes auf dem Münchener Oktoberfest berichtet wurde. Da kein ernstes Vergehen vorliege und kein besonderes öffentliches Interesse an dem Fall bestanden habe, hatten die deutschen Gerichte die namentliche Berichterstattung verboten. Der EGMR hob dagegen auf die Bekanntheit des Schauspielers ab, die ihn zu einer Person des öffentlichen Lebens machte, und auf den spektakulären Ort der Festnahme. Zudem habe der Schauspieler schon vor der Veröffentlichung selbst in Interviews über sein Privatleben gesprochen und damit seinen Schutzanspruch verringert.64 7.2. Rechtsprechung deutscher Gerichte In der bereits erwähnten Spickmich-Entscheidung stellt der BGH fest, dass die namentliche Nennung allein deswegen zulässig ist, da es sich um Bewertungen im Bereich der beruflichen Tätigkeit handelt, die keine Prangerwirkung entfalten. Eine eigenständige Prüfung, welche besonderen Informationsinteressen es denn nun sind, die das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person in der Öffentlichkeit zurücktreten lassen, fand hier nicht statt.65 Bislang wurde minderjährigen Kindern von Prominenten ein besonderer Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte zugebilligt; sie sollten unbeobachtet und ungestört aufwachsen dürfen. Diesen Grundsatz hat das BVerfG nun in einer Entscheidung gelockert, in der es um die Berichterstattung über zwei minderjährige Söhne eine bekannten Schauspielers ging, die nach einer Randale in der Münchener Innenstadt wegen des Vorwurfs der Sachbeschädigung in Gewahrsam genommen wurden. Das BVerfG führte hierzu aus, dass es eine Regelvermutung des grundsätzlichen Vorrangs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegenüber der Meinungsfreiheit bei Heranwachsenden nicht gäbe. Zu berücksichtigen sei hierbei, dass der Vorwurf nicht besonders schwer wiege, so dass auch die Stigmatisierung durch eine öffentliche Berichterstattung gering sei.66 Problematisch erscheint an dieser Entscheidung, warum das Informationsinteresse und damit die Rechtmäßigkeit einer identifizierenden Berichterstattung über Minderjährige insbesondere dann zulässig sein soll, wenn es sich um Bagatellvorwürfe handelt. Erklärbar sei dies möglicherweise 62 BGHZ 171, 275. 63 EGMR, Urteil v. 7.2.2012, NJW 2012, 1053 ff; kritisch hierzu Frenz (Fn. 59), NJW 2012, 1039, 1040. 64 EGMR, Urteil v. 7.2.2012, NJW 2012, 1058 ff; kritisch hierzu Frenz (Fn. 59), NJW 2012, 1039, 1041. 65 So kritisch Schertz (Fn. 15), NJW 2013, 721, 725. 66 BVerfG, NJW 2012, 1500. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 068/13 Seite 16 aus dem Umstand, dass die Söhne des Schauspielers selbst eine gewisse „Vorprominenz“ bereits hatten.67 Zu dieser Tendenz passt auch ein neues Urteil des BGH, in dem das Gericht die namentliche Berichterstattung über die minderjährige Tochter des Showmasters Günther Jauch erlaubt.68 Der BGH unterstreicht dabei zunächst, dass das Gebot der Rücksichtnahme auf die Persönlichkeit eines betroffenen Kindes die Presse zu besonderer Sorgfalt bei der Abwägung verpflichte, ob dem Informationsinteresse nicht ohne Namensnennung genügt werden könne. Allerdings seien durch in den Jahren 2006 bis 2008 erschienenen Presseberichte über die im Jahr 2000 erfolgte Adoption Vorname, Alter und Abstammung des Kindes bereits einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden . Die Daten seien weiterhin in der Öffentlichkeit präsent und im Internet zugänglich. Das Gewicht des Eingriffs in die Rechtsposition des klagenden Kindes durch die Weiterverbreitung sei dadurch gegenüber einem Ersteingriff maßgeblich verringert. Der BGH kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass das Persönlichkeitsrecht der Klägerin unter den gegebenen Umständen hinter dem Recht auf Meinungs- und Medienfreiheit der Beklagten zurückstehen müsse.69 In einer weiteren Entscheidung ging es um die Klage einer weiblichen Comedian gegen eine Wortberichterstattung über ihre Erkrankung, zu der sie sich bis zu der Berichterstattung in den Medien nicht geäußert hatte und die zudem ein Jahr nach der Erkrankung erfolgt war. Der BGH kam zu dem Ergebnis, dass die Betroffene die Berichterstattung hinzunehmen habe. Zwar sei hier die Privatsphäre betroffen. Der Umstand, dass die Klägerin jedoch eine in der Öffentlichkeit bekannte Person sei, führe dazu, dass ihr Interesse am Schutz ihrer Persönlichkeit hinter dem von den Beklagten verfolgten Informationsinteresse der Öffentlichkeit zurückzutreten habe.70 Das Berichterstattungsinteresse liege gerade darin, darüber zu informieren, dass es ein Jahr nach ihrer Erkrankung und Tourneeabsage immer noch keinerlei Information über ihren Gesundheitszustand und eine mögliche Rückkehr in den Beruf gebe.71 Eine aktuelle Entscheidung des BGH betrifft Artikel über eine spektakuläre Straftat aus den Jahren 1982 und 1983, die der Spiegel im Jahre 2002 in sein kostenloses Online-Archiv zum Abruf bereitgestellt hatte. Darin war der Nachname des wegen Mordes in zwei Fällen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Straftäters genannt worden. Hiergegen wandte sich der Verurteilte. Der BGH versagte hier einen Unterlassungsanspruch obwohl die Tat bereits 30 Jahre zurückliegt, da eine solche Tat zum Zeitgeschehen gehöre und recherchierbar bleiben müsse.72 Das BVerfG 67 So kritisch Schertz (Fn. 15), NJW 2013, 721, 725f. 68 BGH, Urteil vom 05.11.2013 - VI ZR 304/12 . 69 Zitiert nach beck-aktuell, vom 5.11.2013, https://beck-aktuell.beck.de/news/bgh-jauchs-adoptivtochter-durftein -pressebericht-namentlich-genannt-werden. 70 BGH, NJW 2012, 3645. 71 Vgl. hierzu die Kritik von Schertz (Fn. 15), NJW 2013, 721, 726. 72 BGH, Urt. v. 8. 5. 2012, NJW 2012, 2197-2201; ausführlich hierzu Diederichsen (Fn. 30), AfP – Sonderheft 2012, 217, 219. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 068/13 Seite 17 hatte in seiner Lebach-Entscheidung bei lang zurückliegenden Straftaten noch dem Resozialisierungsinteresse des Betroffenen den Vorrang gegeben.73 In seinen Gründen führte der BGH aus, dass anders als in der Lebach-Entscheidung, in der es um eine Fernsehausstrahlung zur besten Sendezeit gegangen sei, hier der Meldung auf einer Online-Plattform nur eine geringe Breitenwirkung zukomme. Da die Meldung nur auf einer als passive Darstellungsplattform geschalteten Website angeboten wurde, setze sie eine gezielte Suche voraus und werde daher typischerweise nur von solchen Nutzern zur Kenntnis genommen, die sich selbst aktiv informieren74 7.3. Mögliche Gründe für diese Tendenz In seiner kritischen Auseinandersetzung mit der aktuellen Rechtsprechung äußert Schertz die Vermutung, die gesamte Transparenzdebatte in den letzten Jahren könne zu einem gesellschaftlichen Konsens geführt haben, dass zunehmend mehr Einblicke bei allen möglich sein sollen. Sicherlich habe auch das Internet durch die normative Kraft des Faktischen dazu beigetragen, dass man insgesamt zu der Auffassung gelange, dass eine identifizierende Berichterstattung, also eine namentliche Nennung, oder auch Einblicke in die Privatsphäre eigentlich „nicht mehr so schlimm“ seien, da große Teile der Gesellschaft inzwischen in sozialen Netzwerken dieses ohnehin freiwillig preisgäben.75 8. Konfligierende Rechte bei öffentlichen Petitionen Das Petitionsrecht des Petenten aus Art. 17 GG gewährt einen Anspruch auf Entgegennahme, sachliche Prüfung und Verbescheidung der Petition. Dieser Anspruch wird durch die Veröffentlichung oder Ablehnung der Veröffentlichung nicht berührt. Der Inhalt der Petition wird durch die Meinungsfreiheit des Petenten aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. GG geschützt.76 Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt nicht nur das Äußern einer Meinung, sondern auch das Verbreiten fremder Meinungen und Tatsachenbehauptungen.77 Jedoch kann der Deutsche Bundestag als Teil des Staates bei der Veröffentlichung von Petitionen keine Grundrechte für sich in Anspruch nehmen. Er nimmt hiermit jedoch das durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. GG geschützte Informationsinteresse der Öffentlichkeit wahr. 73 BVerfGE 35, 202. 74 BGH (Fn. 72), zitiert nach Juris Rn. 43. 75 So Schertz (Fn. 15), NJW 2013, 721, 728. 76 Zum Nebeneinander der Grundrechte Klein, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Stand 2013, Art. 17 Rn. 52, 135. 77 Schemmer, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beck´scher Online-Kommentar zum GG, Stand 2013, Art. 5 Rn. 9. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 068/13 Seite 18 Dem gegenüber steht das allgemeine Persönlichkeitsrecht vom Inhalt dieser Petitionen betroffener Personen aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG. Nicht nur bei aktiver Informationsübermittlung durch die Medien, wie es im Rahmen der herkömmlichen Berichterstattung in Tagespresse, Rundfunk und Fernsehen geschieht, sondern auch dann, wenn identifizierende Inhalte lediglich auf einer Plattform im Internet zum Abruf bereitgehalten werden, können Persönlichkeitsrechte verletzt sein.78 Damit sind bei öffentlichen Petitionen die Meinungsäußerungsfreiheit des Petenten und das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegen Persönlichkeitsrechte von Betroffenen abzuwägen. 9. Rechtsfolgen bei Verletzung Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist als sonstiges Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB anerkannt . Daher können bei rechtswidrig-schuldhafter Verletzung dieses Rechts Ansprüche auf Schadensersatz, bzw. Geldentschädigung für immaterielle Schäden, früher „Schmerzensgeld“ bestehen .79 Auf § 1004 Abs. 1 BGB analog kann ein verschuldensunabhängiger Anspruch auf Unterlassung gestützt werden.80 In Betracht kommt ferner ein Widerrufsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB in Verbindung mit den §§ 823 ff BGB, der Verschulden auf Seiten des Schädigers erfordert sowie ein verschuldensunabhängiger Folgenbeseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB analog .81 10. Verbreiterhaftung des Deutschen Bundestages für öffentliche Petitionen Eine Haftung des Deutschen Bundestages für persönlichkeitsrechtsverletzende Äußerungen in öffentlichen Petitionen kann unter dem Gesichtspunkt der Verbreiterhaftung in Betracht kommen . 10.1. Voraussetzungen einer Verbreiterhaftung Grundgedanke der Verbreiterhaftung ist, dass niemand sich der äußerungsrechtlichen Haftung entziehen können soll, indem er für eine Äußerung nicht eigene, sondern fremde Worte nutzt.82 Allerdings kann dieses Prinzip nicht ohne Einschränkungen gelten, denn zu dem von Art. 5 Abs. 78 Diederichsen (Fn. 30), AfP 2012, 217, 219. 79 Ausführlich hierzu Fechner (Fn. 13), 4. Kapitel, Rn. 99 ff, 140 ff. 80 Hoeren, in: Hoeren/Sieber, Multimedia-Recht, Stand 2013, Teil 18.2 Rn. 3. 81 Fechner (Fn. 13), 4. Kapitel, Rn. 121. 82 Mensching, Christian; Waschatz, Stefan, Grenzen der Verbreiterhaftung, AfP 2009, 441. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 068/13 Seite 19 1 Satz 1 GG geschützten Kommunikationsprozess kann auch die Mitteilung einer fremden Meinung oder Tatsachenbehauptung zählen, und zwar auch dann, wenn der Mitteilende sich diese weder zu eigen macht, noch sie in eine eigene Stellungnahme einbindet, sondern die fremde Äußerung lediglich verbreitet.83 Voraussetzung für eine Haftung als Verbreiter ist, dass derjenige, der die fremde Äußerung verbreitet , es an einer „eigenen und ernsthaften Distanzierung“ hat fehlen lassen. Ein haftungsrechtlich relevantes Zu-Eigen-Machen liegt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts insbesondere vor, wenn die Äußerung eines Dritten in den eigenen Gedankengang so eingefügt wird, dass dadurch die eigene Aussage unterstrichen werden soll. Der Sachzusammenhang lässt beispielsweise keine Billigung der wiedergegebenen Fremdäußerung erkennen, wenn durch Anführungszeichen deutlich auf die Äußerung eines Dritten hingewiesen wird.84 Während bislang eine Verbreiterhaftung für fremde Inhalte regelmäßig unterstellt und nur bei deutlicher Distanzierung durchbrochen wurde, zeichnet sich in der jüngeren Rechtsprechung eine Tendenz ab, nach der ein Einstehenmüssen des Verbreiters für die verbreiteten Inhalte positiv begründet werden muss.85 So hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden , dass es von Journalisten im Hinblick auf Art. 10 EMRK (Freiheit der Meinungsäußerung) nicht generell verlangt werden kann, sich vom Inhalt eines Zitats zu distanzieren, weil es einen Dritten beleidigen könnte.86 Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts kann im Fall der Veröffentlichung eines Fremdberichts die Recherchepflicht des Verbreiters eingeschränkt sein und eine eindeutige Kennzeichnung etwa als gekürzter Fremdbericht die Haftung des zitierenden Mediums ausschließen.87 In dieser Entscheidung, in der es um die Sorgfaltspflichten der Verleger von Pressespiegeln ging, führte das Gericht aus, dass sich aus der Sicht des unvoreingenommenen Lesers ergebe, dass an dieser Stelle ein Fremdbericht in stark verkürzter Form wiedergegeben werde, dem keine eigenen Recherchen des Verbreiters zu Grunde lägen. Es sei zumindest zweifelhaft, ob angesichts dessen von der Presse in jedem Fall eine weitergehende Distanzierung zu verlangen sei, um eine Haftung als Verbreiter für die wiedergegebenen Fremdberichte zu vermeiden . „Aus verfassungsrechtlicher Sicht spricht vielmehr einiges dafür, auch im Fall der Veröffentlichung eines Fremdberichts – ähnlich wie bei der Veröffentlichung von Leserbriefen 83 So BVerfG, Beschluss v. 25.6.2009, NJW-RR 2010, 470, 1. Leitsatz. 84 So BVerfG, Beschluss v. 30.9.2003, NJW 2004, 590, 591. 85 Vgl. Sajuntz, Sascha, Die Entwicklung des Presse- und Äußerungsrechts in den Jahren 2008 bis 2010, NJW 2010, 2992, 2996. 86 EGMR, Urteil v. 14.2.2008, NJW 2009, 3145, zitiert nach beck-online Rn. 71. 87 Soehring/Hoene (Fn. 41), § 16 Rn. 11a unter Bezugnahme auf BVerfG (Fn. 82), NJW-RR 2010, 470, zitiert nach beck-online Rn. 67. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 068/13 Seite 20 – die Recherchepflicht des Verbreiters einzuschränken bzw. die eindeutige Kennzeichnung als gekürzter Fremdbericht im Regelfall als hinreichende Distanzierung ausreichen zu lassen.“88 In dieselbe Richtung weist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Danach macht ein Presseorgan sich die ehrenrührige Äußerung eines Dritten in einem Interview nicht schon dadurch haftungsbegründend zu Eigen, dass es sich von der Äußerung nicht ausdrücklich distanziert. Schon aus der äußeren Form der Veröffentlichung könne sich ergeben, dass lediglich eine fremde Äußerung ohne eigene Wertung oder Stellungnahme mitgeteilt werde.89 Nach dieser Rechtsprechung kommt eine Haftung für die wahrheitsgemäße Verbreitung rechtsverletzender Äußerungen Dritter nicht in Betracht, wenn sich aus der Form der Veröffentlichung deutlich ergibt, dass es sich um fremde Äußerungen handelt. Daraus folgt, dass die Verbreiterhaftung für Leserbriefe nicht nur durch den Hinweis darauf beseitigt wird, dass Leserbriefe nicht die Meinung der Redaktion oder des Verlages wiedergeben. Auch ohne einen solchen Hinweis distanziert sich die Redaktion bereits dann hinreichend vom Inhalt der Leserzuschriften, wenn etwa durch die Überschrift der Leserbriefseite und die Nennung der Namen der Verfasser der Briefe deutlich wird, dass es sich um die Veröffentlichung fremder Meinungen und Behauptungen handelt.90 Etwas anderes soll nur dann gelten, wenn ein Leserbrief erkennbar zu besonders schweren Beeinträchtigungen der Rechte Dritter führt. In diesen Fällen trifft die Presse ausnahmsweise eine proaktive Prüfpflicht.91 Für gewöhnlich ist eine haftungsausschließende Distanzierung nicht erforderlich, weil der Rezipient Leserbriefen unmittelbar ansieht, dass es sich um fremde Äußerungen handelt, für die keine journalistische Richtigkeitsgewähr übernommen wird.92 10.2. Die Anwendung der Haftungsregeln des Telemediengesetzes (TMG) auf die Veröffentlichung von Petitionen Bevor eine Verbreiterhaftung des Deutschen Bundestages für die von ihm veröffentlichten Petitionen geprüft werden kann, ist zu untersuchen, ob sich aus den Haftungsregeln des TMG eine Haftungseinschränkung ergibt. Der Deutsche Bundestag macht die zur Veröffentlichung zugelassenen Petitionen auf seiner Internetseite unter dem Begriff Petitionen publik. Er ist damit Diensteanbieter im Sinne des § 2 Nr. 1 TMG. Für Diensteanbieter enthält das TMG besondere Regelungen , die für die Haftung aus anderen Gesetzen im Multimediarecht Anwendung finden; für bestimmte Sachverhaltskonstellationen schließt das TMG eine Haftung der Diensteanbieter aus. 88 BVerfG (Fn. 83), NJW-RR 2010, 470, zitiert nach beck-online Rn. 67. 89 BGH, Urteil v. 17.11.2009, NJW 2010, 760, zitiert nach beck-online Rn. 11. 90 So bereits BGH, Urteil v. 27.5.1986, GRUR 1986, 683, 684. 91 BGH (Fn. 90), GRUR 1986, 683, 684 f. 92 Mensching, Christian; Waschatz, Stefan, Grenzen der Verbreiterhaftung, AfP 2009, 441, 442. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 068/13 Seite 21 Das TMG enthält somit für das Straf- und Zivilrecht Regeln, die wie ein Filter vor der Anwendung der allgemeinen Haftungsregeln zu prüfen sind und in bestimmten Fällen deren Anwendung ausschließen.93 Das TMG unterscheidet dabei zwischen dem Content-Provider (§ 7 Abs. 1 TMG), der eigene Informationen zur Nutzung bereit hält, dem Access-Provider (§§ 8,9 TMG), der fremde Informationen übermittelt oder automatisch, zeitlich begrenzt zwischenspeichert und dem Host-Provider (§ 10 TMG), der fremde Informationen für den Nutzer speichert. Es sieht hierfür ein dreistufiges Haftungssystem vor, das sich nach der Nähe des Anbieters zu den Informationen richtet.94 Die Access-Provider sind als bloße Zugangsvermittler für fremde Inhalte nicht verantwortlich. Sie haben nicht die Pflicht die lediglich übermittelten Inhalte (§ 8 TMG) aktiv zu überwachen und nach rechtswidrigen Inhalten zu suchen (§ 7 Abs. 2 TMG). Klassische Beispiele hierfür sind die Netzbetreiber. Host-Provider, die wie z. B. StudiVZ Speicherplatz für fremde Inhalte bereitstellen , sind hierfür grundsätzlich nicht verantwortlich (§ 10 TMG). Die Nicht-Verantwortlichkeit greift jedoch nur, soweit keine Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Inhalte bestand und diese unverzüglich nach Kenntnisnahme gelöscht wurden.95 Content-Provider, die eigene Inhalte zur Nutzung bereithalten, haften gemäß § 7 Abs. 1 TMG nach den allgemeinen Gesetzen. Dabei ist es (in diesem Kontext) unerheblich, ob der Content-Provider die angebotenen Inhalte selbst verfasst hat, oder fremdverfasste Inhalte auf seiner Webseite zur Verfügung stellt. Entscheidend ist die Beherrschbarkeit der angebotenen Informationen durch den Content-Provider.96 Würde der Bundestag eine Internetseite bereitstellen, auf der jeder Petent seine Petition selbst veröffentlichen kann, würde er als Host-Provider auftreten. Da er aber die zur Veröffentlichung zuzulassenden Petitionen prüft und nur solche Petitionen auf die Internetseite zur Mitzeichnung stellt, die den Anforderungen der Richtlinien für öffentliche Petitionen97 genügen, ist er Herr über diese Inhalte. Er ist damit Content-Provider und gemäß § 7 Abs. 1 TMG nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich. Es ist daher nunmehr zu prüfen, ob er unter dem Gesichtspunkt der Verbreiterhaftung für rechtsverletzende Inhalte in den veröffentlichten Petitionen zur Verantwortung gezogen werden könnte. 93 Fechner (Fn. 13), 12. Kapitel, Rn. 32, 35 f; auch Hoeren, Thomas, Internetrecht, Skript, Stand: Oktober 2012, S. 443, http://www.uni-muenster.de/Jura.itm/hoeren/materialien/Skript/Skript_Internetrecht_Oktober_2012.pdf . 94 Hoeren, Thomas, in: Hoeren /Sieber (Hrsg.), Handbuch Multimedia-Recht, Stand 2013, Teil 18.2 Rn. 16. 95 Hoeren (Fn. 93), S. 450 f. 96 So Uecker, Philip, Host-Provider, Content-Provider, Access-Provider oder was?, in: DFN-Infobrief Recht, Juni 2009, S. 6, https://www.dfn.de/fileadmin/3Beratung/Recht/1infobriefearchiv/07-09/DFN_Infobrief_06_09.pdf . 97 Siehe Fn. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 068/13 Seite 22 10.3. Verbreiterhaftung des Deutschen Bundestages für öffentliche Petitionen Der Deutsche Bundestag gibt auf seiner Internetseite unter Petitionen/Petitions-Forum eindeutig zu erkennen, dass hier Petitionen von Bürgern veröffentlicht werden, die diese Petition zur Veröffentlichung und Mitzeichnung eingereicht haben.98 Damit wird deutlich, dass es sich um fremde Äußerungen handelt. Eine ausdrückliche Distanzierung von dem Inhalt der veröffentlichten Petition erfolgt nicht. Vielmehr erfährt derjenige, der eine Petition zur Veröffentlichung einreicht , dass der Deutsche Bundestag nur Petitionen veröffentlicht, die den Bestimmungen des Petitionsausschusses entsprechen.99 Daraus ergibt sich, dass in jedem Fall vor der Veröffentlichung eine Prüfung anhand der Richtlinien zu öffentlichen Petitionen100 vorgenommen wird. Die sorgfältige Prüfung des Inhaltes einer Petition anhand dieser Bestimmungen wird die Verletzung fremder Rechte weitestgehend ausschließen. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Bitte oder Beschwerde inhaltlich ein Anliegen von allgemeinem Interesse zum Gegenstand haben und das Anliegen und dessen Darstellung für eine sachliche öffentliche Diskussion geeignet sein muss.101 Bereits dadurch ist gewährleistet, dass immer ein öffentliches Informationsinteresse von einigem Gewicht zur Rechtfertigung einer Veröffentlichung gegenüber kollidierenden Persönlichkeitsinteressen im Spiel wäre. Darüber hinaus darf sich das Anliegen nicht auf Personen beziehen102 und keine Persönlichkeitsrechte beispielsweise durch Namensnennung berührt werden103. Diese Einschränkungen schließen die Möglichkeit einer Persönlichkeitsrechtsverletzung praktisch aus. Davon unabhängig aber kann man in der Entscheidung, eine Petition zu veröffentlichen, kein haftungsbegründendes Zu-Eigen-Machen oder eine Billigung erkennen, wie es die Rechtsprechung als Voraussetzung für eine Verbreiterhaftung verlangt. Zieht man den Maßstabs für die Verbreiterhaftung bei Leserbriefen (s. o. unter 10.1.) heran, wird dies deutlich. Hier soll es für einen Haftungsausschluss ausreichen, dass der Rezipient Leserbriefen, die auf einer Leserbriefseite und unter Nennung des Namens des Autors veröffentlicht werden unmittelbar ansieht, dass es sich um fremde Äußerungen handelt, für die das veröffentlichende Medium keine Richtigkeitsgewähr übernommen hat (s.o. unter 10.1. a. E.). Ebenso lässt sich für den Inhalt einer veröffentlichten Petition argumentieren. Er bleibt auch nach der Zulässigkeitsprüfung eine erkennbar fremde Äußerung , nämlich die Bitte oder Beschwerde des Petenten. Dies ist auch für jeden Besucher der Internetseite Petitionen des Deutschen Bundestages erkennbar. 98 Deutscher Bundestag, Petitionen, Petitions-Forum, https://epetitionen.bundestag.de/epet/petuebersicht /mz.nc.html 99 Deutscher Bundestag, Petitionen, Petition zur Veröffentlichung einreichen, https://epetitionen.bundestag.de/epet /peteinreichen/oeffentlich.html . 100 Richtlinien (Fn. 4). 101 Richtlinien (Fn. 4), 2.1 Satz 1, S. 25. 102 Richtlinien (Fn. 4), 2.1 Satz 4, S. 25. 103 Richtlinien (Fn. 4), 3. h), S. 26. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 068/13 Seite 23 Unter dem Gesichtspunkt der Verbreiterhaftung würde der Bundestag daher nur bei besonders schweren Beeinträchtigungen der Rechte Dritter haften (s. o. unter 10.1). Dann träfe ihn eine proaktive Prüfungspflicht, die er jedoch mit der Zulassungsprüfung ohnehin wahrnimmt. Wenn eine Verbreiterhaftung nicht greift, bleibt die Möglichkeit, im Rahmen der weiter gefassten Störerhaftung zur Rechenschaft gezogen zu werden.104 11. Voraussetzungen der Störerhaftung Die sogenannte Störerhaftung analog § 1004 BGB gewinnt im Online-Bereich zunehmend an Bedeutung . Störer ist nach der Grundformel der Rechtsprechung jede Person, die nicht selbst den Verletzungstatbestand erfüllt, aber in irgendeiner Weise adäquat kausal an der Herbeiführung (sog. Handlungsstörer) oder Aufrechterhaltung (sog. Zustandsstörer) eines Zustandes mitgewirkt hat, der die rechtswidrige Beeinträchtigung eines Dritten zur Folge hat. Ein Verschulden des Störers hinsichtlich der von ihm objektiv geförderten Beeinträchtigung ist nicht erforderlich. Der Störer haftet nur auf Unterlassung und Beseitigung. 105 Die Störerhaftung wird durch das Erfordernis der Verletzung von Prüfungspflichten eingeschränkt . Der Umfang dieser Prüfungspflichten bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch genommenen eine Prüfung tatsächlich möglich und zumutbar war.106 Unabhängig vom Umfang der individuellen Prüfungspflicht besteht für den Diensteanbieter die Pflicht, einen ehrverletzenden Beitrag unverzüglich zu entfernen, sobald er davon Kenntnis erlangt .107 Er muss dann Vorsorge dafür treffen, dass es möglichst nicht zu weiteren derartigen Rechtsverletzungen des Verletzers kommt. Der Deutsche Bundestag nimmt mit der Prüfung, ob eine Veröffentlichung der eingereichten Petition nach den Richtlinien erfolgen darf, eine vorsorgliche Prüfungspflicht wahr, die praktisch jede erkennbare Persönlichkeitsrechtsverletzung zuverlässig ausschließt. Sollte eine von ihm veröffentlichte Petition gleichwohl eine Persönlichkeitsrechtsverletzung beinhalten, könnte er als Störer auf Beseitigung und Unterlassung in Anspruch genommen und damit zur Löschung der Petition verpflichtet werden. 104 Fechner (Fn. 13), 12. Kapitel, Rn. 56 ff. 105 So Hoeren (Fn. 80), Teil 18.2 Rn. 18. 106 BGH, Urteil v. 11.3.2004, MMR 2004, 668, 671 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 107 Hoeren (Fn. 80), Teil 18.2 Rn. 38.