© 2021 Deutscher Bundestag WD 10 - 3000 - 063/20 Modernisierungs- und Sanierungsarbeiten an UNESCO- Weltkulturerbestätten im Bereich der Wasserinfrastruktur Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Streichung des Dresdner Elbtals aus der Welterbeliste 9 5.2. Errichtung der Mittelrheinbrücke als Beispiel für einen zulässigen Eingriff in ein UNESCO-Weltkulturerbe 10 5.3. Bedeutung für andere zukünftige Sanierungs- und Umbaumaßnahmen 10 6. Fazit 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 063/20 Seite 4 1. Vorbemerkung Erhalt und Schutz des kulturellen Erbes obliegen nicht nur den einzelnen Staaten, sondern sind vielmehr Aufgabe der internationalen Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit. Vor diesem Hintergrund hat sich die United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO) in ihrem Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt vom 17.11.19721 (Welterbekonvention - WEK) zum Ziel gesetzt, sich am Schutz des Kultur- und Naturerbes durch Gewährung einer gemeinschaftlichen Unterstützung zu beteiligen und so die Stätten für die gesamte Weltgemeinschaft für gegenwärtige und zukünftige Generationen zu bewahren, vgl. Art. 7 WEK. Momentan hat die UNESCO 193 Mitgliedstaaten, zu denen seit 1976 auch die Bundesrepublik Deutschland gehört.2 Jeder Vertragsstaat erkennt mit der Unterzeichnung des Übereinkommens gem. Art. 4 WEK an, dass es seine Aufgabe ist, die Erfassung, den Schutz und die Erhaltung in Bestand und Wertigkeit des Kultur- und Naturerbes sicherzustellen. Als Kulturerbe gelten gem. Art. 1 WEK solche Denkmäler, Ensembles und Stätten, die einen außergewöhnlichen universellen Wert aufweisen. Unter dem Begriff des Naturerbes werden nach Art. 2 WEK Naturgebilde, geologische und physiographische Erscheinungsformen sowie Naturstätten anerkannt, welche ebenfalls das zuvor genannte Kriterium aufweisen müssen. Ist ein Schutzgut erst einmal in die UNESCO-Welterbeliste eingetragen, besteht für die Vertragsstaaten die Verpflichtung, den Zustand der Stätte zu erhalten. Vor diesem Hintergrund sind Änderungen jeglicher Art an und um den Welterbestätten herum stets dahingehend zu überprüfen, ob diese auch welterbeverträglich sind. Ist eine Änderung nicht welterbeverträglich, droht im äußersten Fall die Streichung der Stätte von der Welterbeliste. Diese Liste umfasst derzeit insgesamt 1.121 Stätten in 167 Ländern, von denen 46 Stätten auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland liegen.3 In Deutschland überwiegt die Anzahl der Kulturerbestätten (43) deutlich die der Naturerbestätten (3).4 Bei den Kulturerbstätten handelt es sich vornehmlich um Kirchen, Klöster, Schlösser, Burgen sowie Altstadtensembles oder auch Landschaften. Derzeit gibt es keine Welterbestätten, die direkt im Bereich der Wasserinfrastruktur verortet sind. Die folgenden Ausführungen beziehen sich aus diesem Grund auf die allgemeinen Grundsätze der UNESCO, die auch für potentielle Welterbestätten aus dem Bereich der Wasserinfrastruktur gelten. Mit Blick auf die Welterbeverträglichkeit soll im Folgenden aufgezeigt werden, unter welchen Umständen Modernisierungs- und Sanierungsmaßnahmen an einem Weltkulturerbe vorgenommen werden können. Dafür werden zunächst die Voraussetzungen und das Verfahren 1 Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt vom 23.11.1972 (BGBl. 1977 II S. 215 ff.). 2 Deutsche UNESCO-Kommission, Mitgliedstaaten der UNESCO, https://www.unesco.de/ueber-uns/ueber-dieunesco /organe/mitgliedstaaten-der-unesco, [Stand: 08.01.2021]. 3 Deutsche UNESCO-Kommission, Welterbeliste, https://www.unesco.de/kultur-und-natur/welterbe/welterbeweltweit /welterbeliste, [Stand: 08.01.2021]. 4 Deutsche UNESCO-Kommission, UNESCO-Welterbestätten in Deutschland, https://www.unesco.de/sites/default/files/2019-07/Welterbest%C3%A4tten%20in%20Deutschland_2019.pdf, [Stand: 07.01.2021]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 063/20 Seite 5 zur Aufnahme in die UNESCO-Welterbeliste dargestellt. Sodann werden die Anforderungen erörtert, die an die Vertragsstaaten für den Verbleib des jeweiligen Schutzgutes in der UNESCO- Welterbeliste gestellt werden. Zum Abschluss werden anhand von Beispielen mögliche Auswirkungen auf den Status als Welterbestätte aufgezeigt, die bei Nichteinhaltung der Vorgaben der UNESCO drohen können. 2. Aufnahme auf die UNESCO-Welterbeliste 2.1. Verfahren über die Eintragung in die Welterbeliste Über die Anerkennung als Welterbstätte entscheidet das Zwischenstaatliche Komitee für den Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt (Welterbekomitee). Zur Umsetzung seiner Beschlüsse wurden die Richtlinien für die Durchführung des Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt5 (Richtlinien) erlassen. Darin finden sich u. a. die Vorschriften über das Aufnahmeverfahren potenzieller neuer Welterbestätten. Bevor ein Denkmal, ein Ensemble, eine Stätte oder ein Naturgebilde für die Welterbeliste der UNESCO vorgeschlagen werden kann, werden zunächst auf Länderebene die Chancen für eine Nominierung geprüft.6 Im weiteren Verfahren erfolgt eine Evaluierung auf nationaler Ebene.7 Sobald diese erfolgreich war und damit eine Stätte für geeignet gehalten wird, erfolgt die Aufnahme der Stätte auf einer nationalen Vorschlagsliste (sog. Tentativliste).8 Erst dann ist es den jeweiligen Vertragsstaaten möglich, einen Antrag auf Eintragung in die UNESCO-Welterbeliste zu stellen.9 Nach Eingang der Unterlagen prüft der Internationalen Rat für Denkmalpflege (International Council on Monuments and Sites, ICOMOS) für das Kulturerbe und die Internationale Union zur Erhaltung der Natur (International Union for Conservation of Nature and Natural Resources, IUCN) für das Naturerbe, ob die Kriterien für die Beurteilung des außergewöhnlichen universellen Wertes erfüllt sind.10 Ist dies der Fall, so trifft letztlich das Welterbekomitee die Entscheidung darüber, ob ein Kulturbzw . Naturgut in die Welterbeliste aufgenommen wird. Das Komitee setzt sich aus Vertreterinnen 5 Richtlinien für die Durchführung des Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur in der Endfassung vom 02.06.2017, https://www.auswaertiges-amt.de/blob/272096/def40ea406029c55edbb9a05df5dd377/richtlinien-deutschdata .pdf, [Stand: 01.02.2021]. 6 Kultusministerkonferenz, Handreichung der Kultusministerkonferenz der Länder zum UNESCO-Welterbe, Beschluss vom 12.10.2017, S. 22. 7 Kultusministerkonferenz, Fn. 6. 8 Kultusministerkonferenz, Fn. 6. 9 Kultusministerkonferenz, Fn. 6, S. 23. 10 Kultusministerkonferenz, Fn. 6, S. 23. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 063/20 Seite 6 und Vertretern aus 21 Staaten zusammen (Art. 8 Abs. 1 S. 1 und 3 WEK), die von der Generalversammlung für jeweils sechs Jahre gewählt werden (Nr. 21 der Richtlinien). 2.2. Kriterien für die Beurteilung des außergewöhnlichen universellen Wertes Kultur- und Naturerbe müssen einen außergewöhnlichen universellen Wert aufweisen. Das Welterbekomitee hat insgesamt zehn Kriterien für die Beurteilung entwickelt, die unter Nr. 77 der Richtlinien aufgeführt sind. Es reicht bereits aus, dass das Gut mindestens eines der genannten Kriterien erfüllt, um als von außergewöhnlichem und universellem Wert im Sinne der Art. 1 und 2 WEK zu gelten. Die in Frage stehenden Güter sollen beispielsweise ein Meisterwerk der menschlichen Schöpferkraft darstellen, für einen Zeitraum oder in einem Kulturgebiet der Erde einen bedeutenden Schnittpunkt menschlicher Werte in Bezug auf die Entwicklung der Architektur oder Technik, der Monumentalkunst, des Städtebaus oder der Landschaftsgestaltung aufzeigen, überragende Naturerscheinungen oder Gebiete von außergewöhnlicher Naturschönheit und ästhetischer Bedeutung aufweisen oder außergewöhnliche Beispiele bedeutender im Gang befindlicher ökologischer und biologischer Prozesse in der Evolution und Entwicklung von Land-, Süßwasser-, Küstenund Meeres-Ökosystemen sowie Pflanzen- und Tiergemeinschaften darstellen. Darüber hinaus muss das Gut nach Nr. 78 der Richtlinien auch die Bedingungen der Unversehrtheit und/oder Echtheit erfüllen und über einen Schutz- und Verwaltungsplan verfügen, der ausreicht, um seine Erhaltung sicherzustellen. 3. Anforderungen an bestehende Welterbestätten Sobald ein Schutzgut Teil der UNESCO-Welterbeliste geworden ist, obliegt es nach Nr. 96 der Richtlinien dem jeweiligen Mitgliedsstaat, durch Schutz und Verwaltung des Welterbeguts sicherzustellen, dass der außergewöhnliche universelle Wert erhalten oder verbessert wird. In Deutschland obliegen der Schutz und die Pflege von Denkmälern den Ländern. Diese sind daher auch zuständig für Erhaltungs- und Berichtspflichten gegenüber der UNESCO, die sich mit der Aufnahme eines Schutzguts auf die Welterbeliste ergeben. Zur Erhaltung der jeweiligen Welterbestätte muss nach Nr. 96 ff. der Richtlinien für jede Welterbestätte ein Managementplan erstellt werden, aus dem hervorgeht, wie der universelle Wert erhalten werden soll. Dabei handelt es sich um ein Planungs- und Handlungskonzept zur Festlegung der Ziele und Maßmaßnahmen, mit denen der Schutz, die Pflege, die Nutzung und Entwicklung von Welterbestätten verwirklicht werden sollen.11 11 Ringbeck, Birgitta, Managementpläne für Welterbestätten – Ein Leitfaden für die Praxis, 2008, S. 6. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 063/20 Seite 7 Die Vertragsstaaten sind gem. Art. 29 WEK dazu verpflichtet, über den Erhaltungszustand regelmäßig Bericht zu erstatten. Darüber hinaus besteht eine Berichtspflicht über die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erlassen wurden sowie über andere Maßnahmen, die zur Anwendung der Welterbekonvention getroffen wurden, Nr. 199 der Richtlinien. 4. Allgemeine Schutzinstrumente der UNESCO Durch die regelmäßige Berichterstattung soll die Überwachung des Erhaltungszustands sichergestellt werden. Unabhängig davon sind die Vertragsstaaten gem. Nr. 172 der Richtlinien dazu verpflichtet, das Welterbekomitee über solche Wiederherstellungs- und Neubaumaßnahmen zu unterrichten, die Auswirkungen auf den außergewöhnlichen Wert des Gutes haben können. Das Komitee soll bei der Planung miteinbezogen werden, damit gewährleistet ist, dass der außergewöhnliche universelle Wert vollständig erhalten bleibt. Geht aus den Berichten hervor, dass der Erhaltungszustand nicht gewahrt werden kann, so besteht seitens der UNESCO Handlungsbedarf. Das Komitee führt eine sogenannte „Liste des gefährdeten Erbes der Welt“ (auch „Rote Liste“), in der diejenigen Welterbestätten aufgenommen werden, die auf der UNESCO-Welterbeliste stehen und durch ernste und spezifische Gefahren bedroht sind, Art. 11 Abs. 4 S. 1 WEK. Der Status als Weltkultur- bzw. Weltnaturerbe bleibt weiterhin erhalten. In Nr. 179 bzw. Nr. 180 der Richtlinien sind die Kriterien festgelegt, nach denen sich beurteilt, ob ein Schutzgut als gefährdet eingestuft wird. Sowohl bei Kultur- als auch bei Naturgütern wird differenziert, ob eine Gefahr bereits festgestellt wurde oder eine mögliche Gefahr besteht. Eine festgestellte Gefahr liegt demnach vor, wenn das Gut einer spezifischen und erwiesenen unmittelbaren Gefahr ausgesetzt wird. Sodann folgt eine nicht abschließende Auflistung von Beispielen wie etwa die Gefahr durch schwerwiegenden Verfalls des Materials oder schwere Beeinträchtigung eines städtischen oder ländlichen Bereichs oder der natürlichen Umwelt. Eine mögliche Gefahr liegt dagegen vor, wenn das Gut von Gefahren bedroht ist, die schädlichen Auswirkungen auf seine charakteristische Eigenschaft haben könnten. Ziel der Roten Liste ist es, die Aufmerksamkeit der Vertragsstaaten und das allgemeine öffentliche Interesse am Schutz der Welterbestätten zu wecken.12 Die Rote Liste wird vom Welterbekomitee daher ausdrücklich nicht als Sanktionierungsinstrument verstanden, sondern als Anerkennung eines Zustandes, der Rettungsmaßnahmen erfordert und als ein Instrument dafür, um ausreichende Ressourcen sicherzustellen.13 Nach Aufnahme in die Rote Liste überprüft das Komitee jährlich den Erhaltungszustand des Gutes (Nr. 190 der Richtlinien) und beschließt ggf., ob zusätzliche Maßnahmen erforderlich sind, um den Zustand zu erhalten. 12 Deutsche UNESCO-Kommission e. V., Welterbe-Manual, 2. Auflage 2009, S. 90. 13 UNESCO, Report of decisions of the 16th session of the World Heritage Committee, 1992, S. 8, https://whc.unesco.org/archive/1992/whc-92-conf002-12e.pdf, [Stand: 14.01.2021]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 063/20 Seite 8 Ist eine Welterbestätte dermaßen verfallen oder wurden Abhilfemaßnahmen nicht oder nicht rechtzeitig umgesetzt, so kann das Komitee die Streichung des Gutes von der Welterbeliste beschließen. Im engeren Sinne stellt ein solches Vorgehen kein Schutzinstrument dar, da mit der Streichung von der Welterbeliste der Schutz des Gutes aufgehoben wird. In diesem Zusammenhang kann daher auch von einer Sanktionierung gesprochen werden. Das Streichen von der UNESCO- Welterbeliste gilt als ultima ratio, von der bislang erst zweimal Gebrauch gemacht wurde: Bis zum Jahr 2009 war das Dresdener Elbtal Weltkulturerbe. Als Reaktion auf den Bau der Dresdener Waldschlösschenbrücke beschloss das UNESCO-Welterbekomitee jedoch am 23.06.2009, die Aberkennung des Welterbe-Status14, nachdem die Stätte im Jahr 2006 zunächst auf die Rote Liste gesetzt wurde.15 Deutschland ist damit bis dato der zweite Staat, dem ein solcher Status wieder aberkannt wurde und der erste, dem der Status als Weltkulturerbe entzogen wurde. Zuvor war im Jahr 2007 das Wildschutzgebiet der Arabischen Oryx im Oman als Weltnaturerbestätte von der UNESCO-Welterbeliste gestrichen worden, nachdem der Staat das Gebiet um 90 % zur Erdölgewinnung verkleinert hatte.16 Allerdings führt nicht jede bauliche Maßnahme an einer Welterbestätte zur Streichung von der Welterbeliste. Dies zeigt sich am Beispiel der Mittelrheinbrücke, die im Welterbe Oberes Mittelrheintal errichtet werden soll, das sich zwischen Bingen und Koblenz erstrecht. Das Welterbekomitee hatte im Jahr 2010 bestätigt, dass der Bau der Brücke welterbeverträglich sei.17 5. Bedeutung für Sanierungs- und Umbaumaßnahmen im Bereich der Wasserinfrastruktur Fraglich ist, unter welchen Voraussetzungen bauliche Veränderungen an einer Welterbestätte vorgenommen werden dürfen, ohne dass dies zur Aufnahme auf die Liste des gefährdeten Erbes der Welt führt oder gar zum Verlust des Welterbetitels. 14 UNESCO, Report of decisions of the 33rd session of the World Heritage Committee, 2009, S. 43 f., http://whc.unesco.org/archive/2009/whc09-33com-20e.pdf, [Stand: 07.01.2021]. 15 UNESCO, Report of decisions of the 30th session of the World Heritage Committee, 2007, S. 112, http://whc.unesco.org/archive/2006/whc06-30com-19e.pdf, [Stand: 14.01.2021]; 16 UNESCO, Report of decisions of the 31st session of the World Heritage Committee, 2007, S. 50 f., http://whc.unesco.org/archive/2007/whc07-31com-24e.pdf, [Stand: 07.01.2021]; Deutsche UNESCO- Kommission e. V., Pressemitteilung vom 25.06.2009, https://archive.vn/20120918213752/http://www.unesco.de/ua36-2009.html#selection-239.303-239.304, [Stand: 07.01.2021]. 17 FAZ.NET, Grünes Licht für Brückenbau nahe der Loreley, 29.07.2010, https://www.faz.net/aktuell/rheinmain /unesco-gruenes-licht-fuer-brueckenbau-nahe-der-loreley-11009386.html, [Stand: 11.01.2021]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 063/20 Seite 9 Wenngleich das UNESCO-Welterbekomitee seine Entscheidung darüber unabhängig von der Art der Welterbestätte fällt, soll im Folgenden die Problematik beispielhaft an zwei Weltkulturerbestätten aufgezeigt werden, deren Ausgangslage auf den ersten Blick ähnlich erscheint: In beiden Fällen erfolgen bauliche Veränderungen in Gestalt eines Brückenbaus an einer Weltkulturerbestätte. Es geht um den bereits erwähnten Bau der Waldschlösschenbrücke im Dresdner Elbtal sowie die geplante Errichtung der Mittelrheinbrücke. Da in einem Fall die Welterbeverträglichkeit bejaht und im anderen Fall verneint wurde, sei im Folgenden skizziert, unter welchen Gesichtspunkten die jeweilige Entscheidung getroffen wurde und welche Unterschiede dabei bestanden. 5.1. Streichung des Dresdner Elbtals aus der Welterbeliste Das Dresdner Elbtal wurde im Jahr 2004 als Kulturerbe in die Welterbeliste aufgenommen.18 Es handelt sich dabei um einen etwa 18 Kilometer langen Abschnitt zwischen dem Schloss Übigau im Nordwestern Dresdens und Schloss Pillnitz im Südosten.19 Schon in den 1990er Jahren begann die Stadt Dresden mit der Planung der Waldschlösschenbrücke.20 Auch in dem Nominierungsantrag wurde die Planung der Brücke an mehreren Stellen erwähnt, sodass das Komitee von Anfang an von dem Vorhaben unterrichtet war. Dennoch wurde das Dresdner Elbtal zunächst als Weltkulturerbe anerkannt. Im Jahr 2005 sprachen sich bei einem Bürgerentscheid knapp 68 Prozent der Dresdner für den Bau der Brücke aus.21 Schon bald kam jedoch seitens der UNESCO Kritik an dem Vorhaben auf. So äußerte das Welterbekomitee bei seiner 30. Sitzung Besorgnis darüber, dass das Vorhaben den Wert der Kulturlandschaft unwiderruflich schädigen werde.22 Dabei wurde eine mögliche Gefahr im Sinne der Nr. 179 b) der Richtlinien festgestellt. Gleichzeitig wurde deutlich gemacht, dass bei einem Beginn des Baus der Brücke das Dresdner Elbtal seinen Status als Welterbe verlieren würde.23 Zugleich zeigte sich das Welterbekomitee aber offen für alternative Lösungsvorschlägen zum Bau der Waldschlösschenbrücke, um den universellen Wert zu erhalten.24 Da in der Folgezeit trotz zahlreicher Bemühen keine Lösung 18 UNESCO, Report of decisions of the 28th session of the World Heritage Committee, 2004, S. 39, https://whc.unesco.org/archive/2004/whc04-28com-26e.pdf, [Stand: 18.01.2021] 19 UNESCO, World Heritage Scanned Nomination, Dresden Elbe Valley, 2004, S. 1, https://whc.unesco.org/uploads/nominations/1156.pdf, [01.02.2021]. 20 Wolf, Rainer, Die Waldschlösschenbrücke: Szenen über Politik und Recht vor der Kulisse von Globalität und Provinzialität, ZUR 2007 Heft 11, 525. 21 Bürgerentscheid Waldschlösschenbrücke, Amtliches Endergebnis, http://wahlen.dresden.de/2005/BE/, [Stand: 18.01.2021]. 22 UNESCO, Fn. 15, S. 112. 23 UNESCO, Fn. 15, S. 112. 24 UNESCO, Fn. 15, S. 112. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 063/20 Seite 10 gefunden werden konnte, entzog das Welterbekomitee der UNESCO letztlich im Jahr 2009 den Welterbestatus, nachdem mit dem Brückenbau im November 2007 begonnen wurde.25 In dem Beschluss führte das Welterbekomitee auf, dass Deutschland als Vertragsstaat den sich aus der Welterbekonvention ergebenden Verpflichtungen, insbesondere dem Schutz und der Erhaltung des außergewöhnlichen universellen Wertes des Dresdener Elbtals, nicht nachgekommen sei.26 Es schloss eine erneute Nominierung als Weltkulturerbe jedoch nicht aus.27 Bislang wurde keine erneute Bewerbung um einen Listenplatz angestrebt. 5.2. Errichtung der Mittelrheinbrücke als Beispiel für einen zulässigen Eingriff in ein UNESCO- Weltkulturerbe Seit dem Jahr 2002 steht das Obere Mittelrheintal auf der Liste des Erbes der Welt.28 Der Flussabschnitt mit einer Länge von 65 Flusskilometern erstreckt sich zwischen Bingen, Rüdesheim und Koblenz. Bislang sind auf diesem Abschnitt keine Rheinüberquerungen vorhanden und deshalb plant die rheinland-pfälzische Landesregierung den Bau der Mittelrheinbrücke. Das Welterbekomitee wurde über dieses Vorhaben rechtzeitig informiert und konnte von dem Bauvorhaben überzeugt werden. Im Jahr 2010 befand das Komitee, dass der Bau der Brücke an der geplanten Stelle die visuelle Integrität der Welterbestätte – anders als im Fall der Waldschlösschenbrücke – nicht beeinträchtige.29 Ferner wurde die intensive Kooperation bei der Planung mit der Landesregierung hervorgehoben.30 5.3. Bedeutung für andere zukünftige Sanierungs- und Umbaumaßnahmen Wenngleich sich die Vertragsstaaten durch den Beitritt zur Welterbekonvention zur Erhaltung ihrer Natur- und Kulturerbestätten verpflichten, geht damit jedenfalls nicht per se eine starre Veränderungssperre einher. Dies wird sowohl am Beispiel des Dresdener Elbtals als auch an dem der Mittelrheinbrücke deutlich. Im ersten Fall wurde der Welterbetitel zwar wieder entzogen, nachdem die Stadt Dresden mit der Errichtung der Waldschlösschenbrücke begonnen hatte. Der Bau als solcher war auch maßgeblich für die Entscheidung des Welterbekomitees der UNESCO. Jedoch ging es dabei nicht – wie auf den ersten Blick vermutet werden kann – um das „Ob“ des Brückenbaus, sondern vielmehr um das „Wie“. 25 Der Tagesspiegel, Chronologie: Streit um die Waldschlößchenbrücke in Dresden, 14.11.2007, https://www.tagesspiegel.de/kultur/chronologie-streit-um-die-waldschloesschenbruecke-indresden /1096584.html, [Stand: 18.01.2021]. 26 UNESCO, Fn. 15, S. 113. 27 UNESCO, Fn. 15, S. 113. 28 UNESCO, Report of decisions of the 26th session of the World Heritage Committee, 2002, S. 57., https://whc.unesco.org/archive/2002/whc-02-conf202-25e.pdf, [Stand: 19.01.2021]. 29 UNESCO, Report of decisions of the 34th session of the World Heritage Committee, 2010, S. 129 f., https://whc.unesco.org/archive/2010/whc10-34com-20e.pdf, [Stand: 19.01.2021]. 30 UNESCO, Fn. 29. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 063/20 Seite 11 Die Möglichkeit, Wiederherstellungs- und sogar Neubaumaßnahmen im Bereich einer Erbestätte vorzunehmen, wurde von dem Welterbekomitee sogar ausdrücklich in Nr. 172 der Richtlinien bedacht. Diese sind nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht etwa untersagt, müssen aber dem Komitee bekannt gemacht werden. Daraus folgt, dass sich das Komitee bei derartige Maßnahmen stets eine Entscheidung darüber vorbehält, ob überhaupt Auswirkungen auf den außergewöhnlichen universellen Wert der Erbestätte zu befürchten sind. Sollte dies nicht der Fall sein, dann ist mit keinen weiteren Schritten seitens des Welterbekomitees der UNESCO zu rechnen. Aber auch nachdem das Dresdener Elbtal auf die Liste des gefährdeten Erbes der Welt aufgenommen wurde, gab es Handlungsspielraum. Das Welterbekomitee war zwar mit dem geplanten Bau der Waldschlösschenbrücke nicht einverstanden, forderte aber ausdrücklich alternative Lösungen. Auch daran zeigt sich, dass bauliche Maßnahmen trotz des Welterbetitels grundsätzlich möglich sind. Das gleiche gilt auch im Hinblick auf den geplanten Bau der Mittelrheinbrücke: Hier hat das Komitee sogar eine grundsätzliche Welterbeverträglichkeit angenommen – wenn auch unter der Einschränkung, dass eine intensive Kooperation bei der weiteren Planung gewährleistet werden muss.31 Mitunter sind Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen sogar zumindest mittelbar verpflichtend, um den Erhaltungszustand einer Welterbestätte zu bewahren. Denn die Erhaltung des Ist-Zustandes zählt zur zentralen Verpflichtung, die mit der Unterzeichnung der Welterbekonvention einhergeht. Unabhängig davon „dürfen“ derartige Maßnahmen von den Vertragsstaaten ohnehin jederzeit vorgenommen werden. Die Welterbekonvention hat nämlich ausschließlich selbstverpflichtenden Charakter. Im Falle eines Verstoßes gegen die Konvention kann der Vertragsstaat nicht etwa zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen durch die UNESCO – notfalls unter Anwendung von Zwang – veranlasst werden. Dies wird schon daran deutlich, dass die Achtung der Staatssouveränität mit Unterzeichnung der Konvention nach Art. 6 Abs. 1 WEK unberührt bleibt. In seiner Entscheidung, Veränderungen an einem Natur- oder Kulturerbe vorzunehmen, ist der jeweilige Staat also grundsätzlich frei. Als einziges „Sanktionsinstrument“ bleibt somit die Aufnahme eines Kultur- bzw. Naturguts auf die Rote Liste verbunden mit der Androhung, die Stätte bei anhaltender Gefährdung von der UNESCO-Welterbeliste zu streichen. 6. Fazit Nicht jede Umbau- oder Sanierungsmaßnahme an einer Welterbestätte führt automatisch zum Verlust des Welterbetitels. Vielmehr macht das Welterbekomitee von dieser Möglichkeit nur äußerst selten Gebrauch. Weitaus häufiger wird dagegen ein Kultur- oder Naturerbe auf die Rote Liste gesetzt, soweit das Komitee den außergewöhnlichen universellen Wert in Gefahr sieht. Um eine solche Konsequenz zu vermeiden, ist es stets erforderlich, das Welterbekomitee umfassend von derartigen Vorhaben zu unterrichten und es überdies in die konkrete Planung einzubeziehen. 31 UNESCO, Fn. 29. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 063/20 Seite 12 Ein solches Vorgehen ist nach Nr. 172 ff. der Richtlinien ausdrücklich erwünscht. Vor diesem Hintergrund bleibt es auch grundsätzlich möglich, im Bereich von Kultur- und Naturerbestätten Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen vorzunehmen. Dabei ist es unerheblich, ob die Stätte zur Wasserinfrastruktur oder einem anderen Bereich gehört. Letzten Endes erfolgt bei der Beurteilung der Welterbeverträglichkeit keine Differenzierung nach der jeweiligen Art des Kultur- bzw. Naturguts. Die Entscheidung über die Welterbeverträglichkeit bleibt stets eine Einzelfallentscheidung und deshalb lässt sich eine generelle Aussage über die Voten des Welterbekomitees kaum treffen. ****