Internet und Demokratie - Ausarbeitung - © 2007 Deutscher Bundestag WD 10 - 063/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser: Internet und Demokratie Ausarbeitung WD 10 - 063/07 Abschluss der Arbeit: 10. Oktober 2007 Fachbereich WD 10: Kultur und Medien Telefon Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. Inhalt 1. Vorbemerkung 3 2. Webbasierte Kommunikationsangebote von Mitgliedern des Bundestages 3 3. Veränderung der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie durch das Internet 5 4. Nutzung der digitalen Medien als Teilhabeinstrument durch die Wähler 8 5. Forschungs- und Entwicklungsstand beim Thema "Digitale Demokratie" 10 6. Neue Medien als interaktive Kommunikationsangebote der MdB 11 7. Schlussfolgerungen und Handlungsoptionen auf der Grundlage der TAB-Studie "Netzöffentlichkeit und digitale Demokratie" 12 8. Literatur 15 9. Anlage - 3 - 1. Vorbemerkung Das Thema "Internet und Demokratie" ist Gegenstand eines Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen-Abschätzung des Deutschen Bundestages vom 17. Oktober 2005.1 Es handelt sich um den Abschlußbericht zum TA-Projekt "Analyse netzbasierter Kommunikation unter kulturellen Aspekten." Die von dem Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) durchgeführte Untersuchung beschäftigt sich mit den Fragen, - welche Auswirkungen das Internet angesichts der weiter gestiegenen Zahl der Internetnutzer und der wachsenden Zahl der Online-Angebote von Politikern, politischen Organisationen und Institutionen sowie zivilgesellschaftlicher Initiativen auf die politische Information, Kommunikation und Partizipation hat, - ob das Internet als neue Form und erweitertes Forum politischer Öffentlichkeit angesehen werden und Potenziale zur Stärkung der Demokratie entwickeln kann, - welche politischen Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten geeignet erscheinen , die Potenziale des Internets für Meinungsbildung, Beteiligung und Entscheidungsvorbereitung im politischen Prozess auszuschöpfen. Bei dieser Studie handelt es sich um die in Bezug auf den Deutschen Bundestag umfassendste Untersuchung, so dass im Folgenden vor allem deren Ergebnisse zu Grunde gelegt werden. Demgemäß wird zu den angeführten Fragen wie folgt Stellung genommen : 2. Webbasierte Kommunikationsangebote von Mitgliedern des Bundestages Die empirische Grundlage der Studie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung ist die auf den Deutschen Bundestag bezogene Auswertung der Ergebnisse einer international vergleichenden Untersuchung zu den Ländern Deutschland, USA und Schweden, die zwischen 1998 und 2004 durchgeführt wurde. In diesem Rahmen wurden alle privaten Websites von MdB in zwei Untersuchungszeiträumen (April 2000 und April 2004) analysiert , in den Jahren 1998 bis 2001 explorative Interviews mit Mitgliedern nationaler 1 BT-Drs. 15/6015, in der Publikationsreihe "Studien des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag" erschienen: Grunwald, Netzöffentlichkeit und digitale Demokratie (im Folgenden zitiert als Grunwald, S. ...) - 4 - Parlamente der genannten Staaten geführt sowie im Sommer 2004 55 nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Parlamentarier (davon 28 MdB) befragt.2 Nach dem Ergebnis dieser Untersuchung haben die MdB im Vergleich zu den Abgeordneten der anderen Parlamente zu einem frühen Zeitpunkt ein beachtliches Niveau in der Nutzung des Internets erreicht. Die Zahl der MdB mit privaten Websites ist seit den 1990er Jahren stark angestiegen: Lag der Anteil von MdB mit persönlicher Website im Juli 1998 bei 8,3 %, hatten im April 2000 ein Drittel und im Juli 2002 fast die Hälfte (47,9 %) aller MdB eine eigene Website. Im April 2004 schließlich warben 532 von 603 Abgeordneten (88,2 %) - per Hypertext-Verweis auf ihrer generischen Web-Präsenz, die von der Verwaltung des Deutschen Bundestages für jedes MdB eingerichtet wird - für eine persönliche Website.3 Außerdem wurde festgestellt, dass diese quantitative Zunahme auch mit einem Qualitätszuwachs hinsichtlich der Kommunikation zwischen MdB und Bürgern einherging. Der Qualitätszuwachs wurde vor allem im Bereich des Informationsangebots deutlich: Die Nutzer könnten vermehrt auf solche Informationen zugreifen, durch die eine Positionierung der MdB oder ihrer Partei in Sachthemen deutlich werde - unter anderem durch eine größere Zahl von Möglichkeiten zum Abonnement eines Newsletter zum Abrufen von Positions- oder Themenpapieren der Parteien und, seltener, eigenen Textangeboten der MdB sowie von aktuellen Presseerklärungen.4 Im Hinblick auf Motive und Erwartungen der MdB werde die generell positive Haltung zur Nutzung des Internets als Mittel "direkter personalisierter Wählerkommunikation" durch vier Positionen gekennzeichnet:5 - Insbesondere unter jüngeren MdB ist die Überzeugung vorherrschend, dass man das Internet zwingend in allen Kommunikationszusammenhängen nutzen müsse, um nicht als rückständig zu gelten. - Abgeordnete fühlen sich weniger abhängig von den Massenmedien hinsichtlich der Frage, welche ihrer Aktivitäten die Öffentlichkeit erlangt. 2 Grunwald, S. 133 f. 3 Grunwald, S. 134. 4 Grunwald, S. 134. 5 Grunwald, S. 135. - 5 - - Verbreitet ist auch die Vorstellung, dass man Wähler nicht mehr über die etablierten Kommunikationskanäle wie etwa öffentliche Veranstaltungen, Parteiversammlungen oder Bürgersprechstunden erreichen könne. Das Internet gilt hier als eine neue Chance zur Wählerkommunikation angesichts einer Erosion der gewohnten Kanäle. - Vom Internet erhofft man, dass gerade junge Wählerschichten erreicht werden können. 3. Veränderung der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie durch das Internet Im Hinblick auf die Möglichkeiten politischer Information und Partizipation ist das Internet für die Demokratie relevant. Die wissenschaftliche Analyse hat zunächst klar die positiven Potenziale der Internetnutzung für die politische Kultur in den Vordergrund gestellt. Angesichts unbefriedigender Entwicklungen in den westlichen Demokratien (wie Politikverdrossenheit, Wahlmüdigkeit und Legitimationsprobleme des repräsentativen Demokratiemodells) erschien vielen die Nutzung des Internets als Königsweg der Problemlösung. Neue interaktive Kommunikations- und Partizipationsmöglichkeiten wurden als Chance zur Wiederbelebung der Demokratie gesehen. Im Zuge weiterer Analysen und der Krise der Internet-Ökonomie folgte jedoch eine Phase der Ernüchterung. Der Technikdeterminismus, nach dem bereits das Angebot neuer Technik ausreichen würde, um neue Formen politischer Kultur zu begründen, erwies sich als eindimensional und naiv. Denn zum einen kam in den Blick, dass das Internet neue Probleme schafft, besonders hinsichtlich der Zugangsmöglichkeiten und der Anforderungen an die Nutzer hinsichtlich ihrer Medienkompetenz. Zum anderen stellt sich die Realisierung der Potenziale des Internets nicht von selbst ein. Nicht Technik löst die Probleme der Demokratie, sondern Technik kann von gesellschaftlichen Akteuren eingesetzt werden, um die Probleme zu lösen.6 Auch wenn die Analyse gegenwärtiger Nutzungsweisen des Internets zeigt, dass die anfänglichen Erwartungen hinsichtlich sich rasch und umfassend wandelnder kommunikativer Praxen überzogen waren, ist es natürlich genau so wenig zutreffend, keinen Wandel anzunehmen. Das Neue besteht vor allem darin, dass Information, Kommunikation und Partizipation vielfach einfacher, schneller und kostengünstiger möglich sind.7 6 Grunwald, S. 13. 7 Grunwald, S. 52 f. - 6 - Die Erwartung, dass das Internet zu neuen Formen eines basisdemokratischen politischen Aktivismus motiviere und den Austausch von Ideen erleichtere, wird als Mobilisierungsthese bezeichnet. Der leichter mögliche Informationszugang, vor allem aber die einfache und preisgünstige Interaktionsmöglichkeit von Bürgern mit der Regierung (Citizen to Government [C2G] und Government to Citizen [G2C]) und Bürgern untereinander (Citizen to Citizen [C2C]) sollte danach einen Mobilisierungsschub der Bürger in Fragen der politischen Meinungsbildung und Partizipation auslösen. Darüber hinaus wurde, vor allem in der amerikanischen Diskussion, durch das Internet ein wesentlicher Beitrag zur Stärkung gemeinschaftlicher Belange erwartet, um den anhaltenden Tendenzen zur gesellschaftlichen Zersplitterung entgegen zu wirken. Diese ursprünglichen Erwartungen sehr weitreichender Folgen der Internetnutzung für politische Kommunikation und Institutionen werden gegenwärtig kaum noch geteilt. Der Mobilisierungsthese wurde die These entgegengesetzt, dass das Internet nicht die politischen und staatsbürgerlichen Defizite behebe, sondern eher die in Staat und Gesellschaft bereits angelegten Tendenzen, Strukturen und Motivationen verstärke (Verstärkungsthese). Wer bereits ohne Internet überdurchschnittlich gut sozial vernetzt, politisch engagiert und aktiv ist, schöpft demnach auch die neuen Möglichkeiten des Internets aus; wer aber nicht politisch interessiert ist, wird es auch durch das Internet nicht.8 In Deutschland war eine Reaktion auf diese Entwicklung, bei der Diskussion über politische Potenziale der Internetnutzung die Funktion der Informationsvermittlung in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen. Als paradigmatisch für diesen Ansatz wird die um das E-Government zentrierte Diskussion über netzbasierte Kommunikation als idealer Weg zum modernen Staat angesehen. Im Vordergrund steht die Effizienzsteigerung des repräsentativen Demokratiemodells und seiner konkreten Institutionen und Prozesse durch Internetnutzung. Zudem werden mögliche Risiken einer Internetnutzung für politische Kommunikation diskutiert, wie sie vor allem in Stichworten der digitalen Spaltung (digital divide) und der Exkursion Eingang in die wissenschaftliche und gesellschaftliche Diskussion gefunden haben. Sie markieren sehr deutlich den Umschlag der Debatte von einer auf utopische Ideale ausgerichteten Aufbruchstimmung hin zu einer abwägenden und auf konkrete Aspekte des Internets und seiner Nutzung abstellenden Einschätzung.9 Das seit einiger Zeit wichtigste Stichwort des Internets zur Effizienzssteigerung des politischen Systems ist E-Government im Sinne der E-Administration. Dieser Ansatz zielt in erster Linie auf das Internet-gestützte Abwickeln interner wie externer administrativer Vorgänge mit größerer Geschwindigkeit und Interaktivität. Im Gegensatz zur 8 Grunwald, S. 58 f. 9 Grunwald, S. 60. - 7 - Cyberdemokratie oder zum Konzept "E-Governance" stehen hier nicht politische Meinungsbildungsprozesse , sondern Verwaltungsabläufe und ihre Innen- wie Außenseite im Mittelpunkt. Dem E-Government liegt das Staatsverständnis einer "Verbraucherdemokratie " zugrunde, deren Bürger das Ausmaß an administrativer Einschränkung möglichst gering halten wollen und die daher vor allem an bürgerfreundlichen Leistungen der Verwaltung interessiert sind (z.B. für die Möglichkeit der online-Abwicklung von behördlichen Vorgängen wie der Kfz-Zulassung oder der An- und Abmeldung eines Wohnsitzes). E-Government ist bereits in vielfältiger Hinsicht vor allem im lokalen und kommunalen Bereich realisiert. Dabei hat sich gezeigt, dass die Implementierung entsprechender Anwendungen häufig nicht nur eine gesteigerte Effektivität, sondern auch größere Bürgerfreundlichkeit und Transparenz mit sich bringen und damit indirekt durchaus auch zur Qualität der Demokratie beitragen kann. Bei dem Konzept der Cyberdemokratie geht es um die Idee, die technisch möglich gewordene Many-to-many-Kommunikation (C2C) und den entsprechenden Abbau von Kommunikationshierachien zum Aufbau einer neuen gemeinsamen Verständigungspraxis zu nutzen. Das Internet soll als demokratischer Marktplatz dienen, auf dem unmittelbarer Kontakt zwischen Bürgern und politischen Systemen sowie zwischen den Bürgern untereinander stattfindet. Mit einer massiven Partizipation auf der Ebene von Kommunen und der Verknüpfung ähnlicher kommunaler Projekte über große räumliche Entfernungen hinweg, würde aus der repräsentativen Demokratie mehr und mehr eine direkte Demokratie.10 Demgegenüber werden in Konzepten der staatlichen E-Democracy Bürger oft als "Kunden" des politischen Systems betrachtet, ähnlich wie in den E-Government- Ansätzen. Politik müsse demnach ein Interesse daran haben, seine "Kunden" möglichst zufrieden zu stellen. Um diese besser als bislang zu erreichen, bietet das Internet den Volksvertretern neue Möglichkeiten, ihr Wissen über die Interessen ihrer Wählerschaft zu verbessern und in ihren Entscheidungen stärker zu berücksichtigen, was die Responsivität von Politik steigere. Responsivität bedeutet die kontinuierliche Rückkopplung des Handelns der Volksvertreter an die Interessen und Bedürfnisse der Bevölkerung. Hier wird eine strukturelle Verwandtschaft zu Marktverhältnissen hergestellt, in denen die Anbieter wissen müssen, was die Konsumenten wollen.11 Neben den bereits angeführten positiven Demokratiepotenzialen des Internets werden auch mögliche negative Folgen diskutiert, auch wenn die positiven Erwartungen klar überwiegen. Insoweit wird die Frage nach den Folgen des Internets für das Funktionieren demokratischer Institutionen angeführt. Eine Sorge ist, dass Politik und die öffentli- 10 Grunwald, S. 64. 11 Grunwald, S. 64 f. - 8 - che Diskussion über Politik immer weniger in den Einrichtungen stattfinden, die unsere Verfassungsordnung dafür vorsieht. Auf längere Sicht könnte dies ein Legitimitätsverlust derjenigen Institutionen bedeuten, die das Funktionieren der Demokratie sichern, vor allem der Parlamente. Onlinewahlen könnten die für die moderne Demokratie fundamentale Bedeutung der symbolischen Dimension des Wählens abschwächen. Auch könnten traditionelle Formen der Öffentlichkeit durch eine durch das Internet beschleunigte gesellschaftliche Zersplitterung gefährdet werden. Befürchtungen bestehen auch hinsichtlich der Auswirkungen des Internets auf das Zeitungswesen. So drohe etwa eine "Selbstkanibalisierung" der Qualitätszeitungen durch ihre Webpräsenzen, die dann weitreichende Auswirkungen auf die politische Öffentlichkeit hätte, für die Zeitungen eine wichtige Rolle spielen.12 Allgemein als ein zentrales Problem wird die sog. digitale Spaltung (digital divide) angesehen. Trotz der weiter voranschreitenden Verbreitung des Internets darf nicht übersehen werden, dass es auch in Deutschland eine große Zahl von sog. Offlinern gibt, die das Internet nicht nutzen. Nach der ARD/ZDF-Offline-Studie 2006, die parallel zu der bekannten ARD/ZDF-Online-Studie durchgeführt wird, liegt der Anteil derjenigen, die das Internet nicht nutzen, bei 40,5% der Bundesdeutschen ab 14 Jahren;13 dies sind rund 26,3 Mio. Erwachsene ohne Internetzugang. Fortdauernde digitale Spaltungen hätten bei einer weitgehenden Realisierung digitaler Demokratie den Ausschluss ganzer Bevölkerungsschichten von wichtigen Formen der politischen Information, Kommunikation und Partizipation zur Folge.14 4. Nutzung der digitalen Medien als Teilhabeinstrument durch die Wähler Während die Internetverbreitung 1997 bei 6,5% der deutschen Bevölkerung lag, gaben ausweislich der ARD/ ZDF-Online-Studie 2006 im April/Mai 2006 59,5% der Erwachsenen in Deutschland (ab 14 Jahren) an, zumindest gelegentlich das Internet zu nutzen. Auf die bundesdeutsche Bevölkerung hochgerechnet sind dies 38,6 Mio. Erwachsene , von denen 1,1 Mio. Anwender im letzten Jahr erstmals das Internet für sich entdeckt haben. Gegenüber dem Vorjahr entspricht dies einer Zuwachsrate von knapp 3%. Im Vergleich zu den Zuwachsraten der Vorjahre erscheint eine Zuwachsrate von 3% als relativ gering. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass viele Zielgruppen, die von Beginn an als besonders internetaffin angesehen wurden – wie z.B. jüngere und formal 12 Grunwald, S. 66 f. 13 ARD/ZDF-Offline-Studie 2006, Mediaperspektiven 2006, S. 416 ff. 14 Grunwald, S. 67. - 9 - hochgebildete Personen - , bereits weitgehend ausgeschöpft sind. So weist der Anteil der Internetnutzer bei den unter 50jährigen einen Wert von über 80% aus. Personen, die ohne Internetzugang eine Ausbildung absolvieren, sind kaum noch aufzufinden (in Ausbildung 98,6%). Unter den Berufstätigen liegt der Anteil der Internetnutzer inzwischen bei 74%.15 Die 14- bis 19jährigen stellen weiterhin die Gruppe mit dem höchsten Anteil an Internetnutzern . 2006 nutzten 97,3% der Jugendlichen (2005: 95,7%) das Internet.16 Für Jugendliche ist eine multimediale Vernetzung von Hörfunk, Fernsehen und Internet bereits selbstverständlich – mit der Folge, dass das Internet im täglichen Medienrepertoire von Jugendlichen einen immer größeren Stellenwert einnimmt. Mit einer täglichen Nutzungsdauer von 101 Minuten hat sich das Internet fast gleichberechtigt neben dem Hörfunk und Fernsehen etabliert, denen im täglichen Medienbudget 150 bzw. 108 Minuten gewidmet werden. Es bleibt abzuwarten, ob dieses Nutzungsverhalten nur eine biographische Phase ist, in der Chatten, Computerspiele sowie das Abrufen von Audiound Videofiles besonders spannend sind, oder ob sich hier bereits ein neues, aktiveres und individualisierteres Medienverhalten ankündigt.17 Generell weist die Typologie der Internetnutzer zwei übergeordnete Nutzungsmuster auf: zum einen die sog. aktiv-dynamischen Nutzer, die im vergangenen Jahr mehr als die Hälfte der Internetnutzer (51,3%) ausmachten und sich durch einen aktiven, interessierten , intensiven und auch habitualisierten Umgang mit dem Internet auszeichnen. Diese Gruppe ist 2006 mit 45% etwas kleiner geworden. Zum anderen gibt es die sog. selektiv-zurückhaltenden Nutzer, die das Internet gezielt für bestimmte Informationen oder Auskünfte brauchen. Der Anteil dieser Rand- und Selektivnutzer ist im Vergleich zum letzten Jahr um rund 6% auf 55% gestiegen.18 Das Internet steht nach wie vor für Aktualität und Information. So werden am meisten aktuelle Nachrichten im In- und Ausland, Seiten zur Wissensvermittlung, Informationen rund um Freizeit und Veranstaltung, Regionales sowie Serviceinformationen abgerufen. 2006 ruft mehr als ein Drittel aller Onliner (36%) zumindest gelegentlich Kulturinformationen ab.19 15 ARD/ ZDF-Online-Studie 2006, Mediaperspektiven 2006, S. 403. 16 ARD/ ZDF-Online-Studie 2006, Mediaperspektiven 2006, S. 405. 17 ARD/ ZDF-Online-Studie 2006, Mediaperspektiven 2006, S. 414. 18 ARD/ ZDF-Online-Studie 2006, Mediaperspektiven 2006, S. 406. 19 ARD/ ZDF-Online-Studie 2006, Mediaperspektiven 2006, S. 407. - 10 - 5. Forschungs- und Entwicklungsstand beim Thema "Digitale Demokratie " Der Begriff "Digitale Demokratie" dient - ebenso wie der Begriff "E-Demokratie" - als Chiffre für aktuelle Ansätze der Modernisierung der repräsentativen Demokratie durch Internet-Kommunikation. Nach den Ergebnissen der vom Büro für Technikfolgen- Abschätzung beim Deutschen Bundestag durchgeführten Studie (TAB-Studie)20 zeichnet sich der aktuelle Forschungs- und Entwicklungsstand durch differenzierte Sichtweisen aus, die sich nicht mehr auf die bereits dargelegte21 Konfrontation "Mobilisierungs - gegen Verstärkungsthese" beschränken. Hiernach stellt sich das Internet weder als eigener politischer Raum dar, noch hat es dazu geführt, die Politik an grundlegenden neuen Kriterien zivilgesellschaftlicher oder basisdemokratischer Politikgestaltung zu messen. Wie sich die Demokratie weiter entwickelt und welche politische Kraft ihr zukommt , hängt nicht von der Qualität und der Form der Technologie ab, sondern von der Güte der jeweiligen politischen Institutionen und dem Naturell der jeweiligen Bürgerschaft . Statt der anfänglichen Gratwanderung zwischen euphorischer Überschätzung des Neuen einerseits und einer Unterbewertung der konstitutiven Wirkung des Internets andererseits geraten stärker Fragen der Praxis in den Blick, z. B. nach hemmenden oder fördernden Faktoren für die Nutzung der demokratischen Potenziale des Internets.22 Es wird prognostiziert, dass Politikforen im Internet zunehmend zu Informationsdienstleistern in Bezug auf komplexe Themen werden. Durch themenzentrierte Angebote können Foren Parteipositionen polarisieren und divergierende Positionen der Parteien bei komplexen Themen herausarbeiten. Diese Foren werden allerdings politisch Uninteressierte nicht zur Partizipation motivieren. Eine Schwächung der gesellschaftlichen Stellung von Parteien durch themenzentrierte Politikforen steht nicht zu erwarten. Das Modell der digitalen Demokratie und anderer aktueller Konzepte nehmen keine direkte Einwirkung der Internettechnologie auf die Politik an. Die Wirkung internetgestützter Demokratie ist nicht durch die "Technik Internet" determiniert, sondern hängt von regionalen Kulturen, Geschichten und Werten ab. Deshalb erscheint es nicht sinnvoll , auf der Grundlage der technisch gegebenen digitalen Möglichkeiten eine vermeintliche Universalversion von internetgeschützter Demokratie zu verfolgen.23 20 Grunwald, S. 68. 21 Vgl. oben unter 3. 22 Grunwald, S. 68 23 Grunwald, S. 68 f. - 11 - In diesem Sinne zielt digitale Demokratie nicht in Richtung direkte Demokratie, sondern auf mehr Kommunikation zwischen Repräsentanten und Repräsentierten und auf eine Verringerung der Distanz zwischen Politik und Bürgerschaft. Dabei könnten sich neue Wege und Formen der Bürgerbeteiligung ergeben, bei denen Online- wie Offline -Kommunikation dazu genutzt wird, sachorientierte Diskussionen zu politischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen auf unterschiedlichsten Ebenen zu ermöglichen oder zu fördern.24 6. Neue Medien als interaktive Kommunikationsangebote der MdB Neben den bereits angeführten privaten Websites von MdB25 ist das unter Beteiligung verschiedener Abgeordneter zustande gekommene Jugendportal des Deutschen Bundestages "mitmischen"26 hervorzuheben. Ein hierzu im Rahmen der TAB-Studie erstelltes Gutachten kommt zu der Einschätzung, dass es sich hier um ein gut gelungenes Angebot handelt, mit dem einer in der Diskussion über digitale Demokratie zentralen Forderung entsprochen wurde - der Nutzung des Internets für eine verstärkte Einbeziehung von Jugendlichen in das politische Leben. Die Online-Diskussionen und die dazugehörigen Informationsangebote des Portals werden zusammen mit Ergebnisberichten vollständig archiviert. Die Foren sind nutzerfreundlich und interaktionsförderlich gestaltet .27 Auf der Website wird darüber berichtet, dass die Abgeordneten der "Fraktion Mitmischen" zur Community gehören: Sie chatten und bloggen, schreiben Kommentare zu den jeweiligen Schwerpunktthemen und beteiligen sich an dem Diskussionsforum. Ein vergleichsweise neues Phänomen, das in den USA bereits seit einigen Jahren diskutiert wird, stellen die sogenannten weblogs (kurz: "blogs") dar. In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre wurde mit dem (aus "web" und "Logbuch" zusammengesetzten) Kunstwort "weblog" in den USA eine Reihe von Websites bezeichnet, in denen die Betreiber Links zu anderen Seiten im Netz aufführten und kurz kommentierten. Die Ende der 1990er Jahre als "weblogs" bekannt gewordenen Websites zeichneten sich aber überdies dadurch aus, dass die häufig aktualisierten Beiträge des Betreibers in chronologischer Abfolge erschienen. Während einige - insbesondere politische - blogs auf große Resonanz stoßen, existiert eine Vielzahl von anderen blogs, die - wenn überhaupt - nur "Mikroöffentlichkeiten" erreichen. Inhalte und Zwecke von Weblogs sind dabei sehr 24 Grunwald, S. 68 f. 25 Vgl. oben 1. 26 Siehe www.bundestag.de oder www.mitmischen.de. 27 Grunwald, S. 162 f. - 12 - unterschiedlich und reichen von im Wesentlichen rein privaten Tagebüchern über Hobbyseiten und politische blogs bis hin zu weblogs, die von Unternehmen oder wissenschaftlichen Einrichtungen für die professionelle Kommunikation betrieben werden.28 Spätestens seit der wöchentlichen Verbreitung des Video-Podcasts von Bundeskanzlerin Merkel stößt das "Podcasting", dessen Begriff sich aus den Wörtern iPod und Broadcasting zusammensetzt, auch in Deutschland auf größere Resonanz. Unter - auch für Abgeordnete in Betracht kommende - Podcast versteht man Mediendateien (Audio, Video), die über das Internet verbreitet werden und sich abonnieren lassen. Die Video- Variante des Podcasts wird auch als Vodcast bezeichnet.29 7. Schlussfolgerungen und Handlungsoptionen auf der Grundlage der TAB-Studie "Netzöffentlichkeit und digitale Demokratie" Auf der Grundlage der von dem Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) durchgeführten Studie "Netzöffentlichkeit und digitale Demokratie" lassen sich folgende Handlungsoptionen und Schlussfolgerungen ableiten, auf die sich Parlament, Regierung und Administration einstellen sollten:30 - Auf Seiten politischer Akteure wird das Netz als Medium politischer Kommunikation (Selbstdarstellung, Mobilisierung) und auf Seiten der Nutzer als Quelle politischer Information an Bedeutung gewinnen. - Ohne dass die massenmediale Öffentlichkeit an Bedeutung verlieren würde, werden eine Reihe von politischen Prozessen im Internet stattfinden (politische Information , Meinungsbildung und Deliberation, Agenda Setting, Organisation und Mobilisierung ) und in Form von Themen, Debatten, politischen Aktionen auf massenmediale Öffentlichkeit ausstrahlen. - Die Ausbildung virtueller politischer (Kommunikations-) Gemeinschaften (entlang von politischen Interessen, Befindlichkeiten, Themen, Weltanschauungen) wird durch das Internet erleichtert. Damit nimmt nicht nur die Vielfalt politischer Kommunikation , sondern auch die Segmentierung von Öffentlichkeit zu. - Die Ansprüche politisch interessierter und gut informierter Bürger hinsichtlich des Zugangs zu politischen Informationen, der Transparenz politischer Prozesse und auch der Teilhabe an der Entscheidungsfindung über das Netz werden wachsen. 28 Grunwald, S. 42 f.; zu politischen Weblogs vgl. Singer, Weblogs in der Politik, abrufbar unter www.bundestag.de/bic/analysen/2007/weblogs_in_der_politik.pdf. 29 Singer, Podcasting, abrufbar unter www.bundestag.de/bic/analysen/2007/podcasting.pdf. 30 Grunwald, S. 234 ff. - 13 - - Für Nutzergruppen mit geringer Kompetenz im Umgang mit den Möglichkeiten der (politischen) Kommunikation und Information im Netz (aufgrund von sozioökonomischem Status, Bildungsabschluss, Alter) kann das Internet als Quelle politischer Information und Teilhabe verschlossen bleiben. - Die Offenheit des Netzes impliziert als negative Begleiterscheinung auch einen Mangel an Instanzen der Qualitätssicherung. Die Bewertung der Zuverlässigkeit und Seriosität der Vielfalt der im Netz verfügbaren Informationen und Quellen und entsprechende Selektionsprozesse könnten nicht nur für die letzt genannten Nutzergruppen zum Problem werden. - Unter dem Gesichtspunkt einer lebendigen "digitalen Demokratie" mit möglichst aktiven und gut informierten Bürgerinnen und Bürgern ist eine weitgehende Unterstützung und Förderung derjenigen Strukturen und Prozesse wünschenswert, die erweitertes bürgerschaftliches und politisches Engagement ermöglichen. Ebenso wäre es möglich - soweit dies in der Macht von Regierung und Parlament liegt - negativen Tendenzen ("Digital Divide", Segmentierung, Nivellierung von Informationen , antidemokratische Aktivitäten im Netz) entgegenzuwirken. - Im Hinblick auf den Aspekt des "Digital Divide" wird die Gewährleistung eines Netzzugangs durch staatlich geförderte Initiativen auch für solche Gruppen, die aus ökonomischen und sozialen Gründen von der Netzkommunikation ausgeschlossen sind, weiter von Bedeutung sein. Weitergehende Forderungen verlangen eine verstärkte Bereitstellung von Netzzugängen in öffentlichen Einrichtungen sowie eine Subventionierung von Netzzugängen in Privathaushalten finanziell schwacher Bevölkerungsgruppen (ähnlich dem System öffentlicher Bibliotheken und von Sozialtarifen bei Telefonanschlüssen). - Das Internet sollte in den Curricula der schulischen politischen Bildung noch stärker berücksichtigt werden. Es wäre darüber hinaus auch über Maßnahmen nachzudenken , wie über geeignete Web-Angebote soziale Gruppen "abgeholt" werden können, um sie an die sinnvolle Nutzung des Wissensspeichers und Kommunikationsraums Internet heranzuführen. Das Jugendportal des Deutschen Bundestages wird insoweit als Musterbeispiel hierfür angeführt.31 - Hingewiesen wird in diesem Kontext auch auf die Diskussion über eine Ausweitung des Engagements des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Bereich der Internetkommunikation . Ziel eines öffentlich-rechtlichen Engagements müsse nach Maßgabe des Art. 5 GG die Gewährleistung der freien öffentlichen und individuellen Meinungsbildung, die Sicherung der Meinungsvielfalt und der kommunikativen Chancengleichheit sein. Gegen eine solche Ausweitung des Auftrags öffentlichrechtlicher Rundfunkanstalten wird eingewandt, dass ein Mangel an Informationsvielfalt , der die Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Angebotes rechtfertigen könnte, im Internet gerade nicht bestünde. Dieser Einwand ignoriert aber die Probleme des "information overload" und des Informationsmülls ebenso wie die Beobachtung , dass private Medienangebote häufig nicht mehr inhaltliche Vielfalt, sondern mehr "Einfalt" (im Sinne eines "more of the same") bringen. Der Zugang zum Internet bietet noch keine Gewähr dafür, dass der Nutzer auch die von ihm gesuchten Informationen erlangt. Geht man davon aus, dass bestimmte Informationen für die Nutzer nur dann einen Wert haben, wenn sie von einer bestimmten Qualität sind, so kann diese Gewährleistung auch umfassen, dafür zu sorgen, dass diese Qualität transparent wird. Durch ein verstärktes Engagement der Öffentlich- 31 Grunwald, S. 236. - 14 - Rechtlichen im Internet würden in der Netzöffentlichkeit sehr gut positionierte und qualitativ hochwertige Angebote weiter an Bedeutung gewinnen. 32 - Der in der TAB-Studie unterbreitete Vorschlag, auf der Website des Deutschen Bundestages ein E-Petitionssystem einzurichten, wurde inzwischen realisiert. Im Hinblick auf das Anhörungswesen kommt überdies die Kombination von Foren, Chats, Online-Konferenzen und Online-Befragungen in Betracht.33 32 Grunwald, S. 237 f. 33 Grunwald, S. 242 ff. - 15 - 8. Literatur Hinsichtlich der Frage nach Literatur zu dem Thema ist das umfangreiche Literaturverzeichnis der TAB-Studie als Anlage34 beigefügt. Darüber hinaus ist - einschließlich der in den Fußnoten aufgeführten Fundstellen - auf folgende Literatur hinzuweisen: ARD/ZDF-Offline-Studie (2006), Media Perspektiven 2006, S. 416 ff. ARD/ZDF-Online-Studie (2006), Media Perspektiven 2006, S. 402 ff. BAUMHAUER, Guido, Digitale Demokratie?, Partizipation und Willensbildung im Internet, in: AHRWEILER, Petra, THOMASS, Barbara (Hrsg.) (2005), Internationale partizipatorische Kommunikationspolitik, Festschrift zum 60. Geburtstag von Hans J. Kleinsteuber, Münster: LIT Verlag. GANTERT, Tobias (2006), E-Demokratie, Chancen und Risiken, Saarbrücken: VDM Verlag Dr. Müller. GRUNWALD, Armin/BANSE, Gerhard/COENEN, Christopher/HENNEN, Leonhard (2006), Netzöffentlichkeit und digitale Demokratie, Studien des Büros für Technikfolgen -Abschätzung beim Deutschen Bundestag, Band 18, Berlin: edition sigma. METJE, Christian (2005), Internet und Politik - Die Auswirkungen des Online- Mediums auf die Demokratie, Berlin: Logos Verlag. SINGER, Otto (2007), Podcasting, abrufbar unter: www.bundestag.de/bic/analysen/2007/podcasting.pdf. SINGER, Otto (2007), Weblogs in der Politik, abrufbar unter: www.bundestag.de/bic/analysen/2007/weblogs_in_der_politik.pdf. 34 abrufbar unter: http://dip.bundestag.de/btd/15/060/1506015.pdf.