© 2018 Deutscher Bundestag WD 10 – 3000 – 062/17 Rechtlicher Schutz gegen die Umgehung wirksamer technischer Maßnahmen International- und unionsrechtliche Vorgaben Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 062/17 Seite 2 Rechtlicher Schutz gegen die Umgehung wirksamer technischer Maßnahmen International- und unionsrechtliche Vorgaben Aktenzeichen: WD 10 – 3000 – 062/17 Abschluss der Arbeit: 14. März 2018 Fachbereich: WD 10: Kultur, Medien und Sport Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 062/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Artikel 11 WIPO-Urheberrechtsvertrag und Artikel 18 WIPO-Vertrag über Darbietungen und Tonträger 4 3. Artikel 6 Informationsgesellschafts-Richtlinie 8 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 062/17 Seite 4 1. Fragestellung Im Jahr 2017 sind in Portugal Änderungen des dortigen Urheberrechtsgesetzes (portUrhG)1 in Kraft getreten2, mit denen bislang bestehende Regelungen ergänzt und erweitert werden, welche den rechtlichen Schutz gegen die Umgehung wirksamer technischer Maßnahmen, die der Verhinderung der Verletzung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten dienen, (Umgehungsschutz) begrenzen.3 Zu diesen Neuregelungen liegen im Internet veröffentlichte Erläuterungen und Kommentierungen vor4, deren Inhalt Anlass zu der Frage geben, welchen Vorgaben des internationalen und europäischen Rechts (insbesondere der InfoSoc-Richtlinie und dem WIPO- Urheberrechtsvertrag) der deutsche Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Umgehungsschutzes unterliegt. Hierzu werden im Folgenden die einschlägigen international- und unionsrechtlichen Vorschriften vorgestellt. 2. Artikel 11 WIPO-Urheberrechtsvertrag und Artikel 18 WIPO-Vertrag über Darbietungen und Tonträger Internationalrechtliche Vorgaben für den rechtlichen Schutz gegen die Umgehung technischer Schutzmaßnahmen ergeben sich aus Regelungen des WIPO-Urheberrechtsvertrags (WCT)5 und des WIPO-Vertrags über Darbietungen und Tonträger (WPPT)6, Verträgen, die für die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten, also auch für Deutschland, seit dem 14. März 2010 bindend sind.7 1 Código do Direito de Autor e dos Direitos Conexo, DL n.° 63/85, de 14 de Março, zuletzt geändert durch DL n.° 100/2017, de 23 de Agosto. 2 Lei n.° 36/2017, de 2 de Junho. 3 Die Änderungen betreffen Art. 217 Abs.2 und Art. 221 Abs. 1 bis 3 des Código do Direito de Autor e dos Direitos Conexo. 4 Vgl. https://www.eff.org/de/deeplinks/2017/10/portugal-bans-use-drm-limit-access-public-domain-works-0 und https://netzpolitik.org/2017/portugal-erlaubt-umgehung-von-kopierschutz-fuer-wissenschaft-bildung-undprivatkopie /. 5 WIPO Copyright Treaty (WCT) vom 20. 12. 1996 (Diplomatic Conference On Certain Copyright And Neighboring Rights Questions, WIPO COPYRIGHT TREATY), abrufbar unter http://www.wipo.int/treaties/ip/copyright/copyright.html. 6 WIPO Performances and Phonograms Treaty (WPPT) vom 20. 12. 1996 (Diplomatic Conference On Certain Copyright And Neighboring Rights Questions, WIPO Performances And Phonograms Treaty) abrufbar unter http://www.wipo.int/treaties/i/performances/performances. html. 7 Vgl. die entsprechenden Bekanntmachungen in BGBl. 2011 II, S. 856 u. 860. Eine amtliche Übersetzung der Verträge enthält das Gesetz zu den WIPO-Verträgen vom 20. 12. 1996 über Urheberrecht sowie über Darbietungen und Tonträger, BGBl. II 2003 S. 754 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 062/17 Seite 5 Die hier einschlägigen Regelungen sind Art. 11 WCT und Art. 18 WPPT (Pflichten in Bezug auf technische Vorkehrungen), welche inhaltlich gleichlautende Verpflichtungen der Vertragsparteien zum Schutz vor Umgehungen wirksamer technischer Vorkehrungen der Urheber bzw. ausübender Künstler und Tonträgerhersteller zur Wahrung ihrer Rechte vorsehen: Art. 11 WCT „Die Vertragsparteien sehen einen hinreichenden Rechtsschutz und wirksame Rechtsbehelfe gegen die Umgehung wirksamer technischer Vorkehrungen vor, von denen Urheber im Zusammenhang mit der Ausübung ihrer Rechte nach diesem Vertrag oder der Berner Übereinkunft Gebrauch machen und die Handlungen in Bezug auf ihre Werke einschränken, die die betreffenden Urheber nicht erlaubt haben oder die gesetzlich nicht zulässig sind.“ Art. 18 WPPT: Die Vertragsparteien sehen einen hinreichenden Rechtsschutz und wirksame Rechtsbehelfe gegen die Umgehung wirksamer technischer Vorkehrungen vor, von denen ausübende Künstler oder Tonträgerhersteller im Zusammenhang mit der Ausübung ihrer Rechte nach diesem Vertrag Gebrauch machen und die Handlungen in Bezug auf ihre Darbietungen oder Tonträger einschränken, die der betreffende ausübende Künstler oder Tonträgerhersteller nicht erlaubt hat oder die gesetzlich nicht zulässig sind. Ausweislich der Denkschriften zu den beiden Verträgen stellen Art. 11 WCT und Art. 18 WCT keine Vorschriften des materiellen Urheberrechts dar, sondern flankierende Maßnahmen, die die Effektivität bestimmter, von Seiten der Urheber bzw. ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller selbst getroffener Schutzmaßnahmen sichern.8 Bei der Umsetzung der Verpflichtungen in innerstaatliches Recht haben die Vertragsparteien einen gewissen Spielraum, insbesondere hinsichtlich der Frage, welcher Rechtsschutzstandard als „hinreichend“ und „wirksam“ zu gelten hat, und lassen offen, ob es sich bei den aufzustellenden Rechtsvorschriften um privatrechtliche Sanktionsmechanismen, prozessuale Rechtsbehelfe oder eine Strafbewehrung handelt. 9 Sie verlangen auch nicht, dass der Schutz systematisch ins Urheberrecht integriert werden muss.10 Von besonderer Bedeutung ist allerdings die Frage, ob und in welchem Umfang WCT und WPPT dem nationalen Gesetzgeber erlauben, den rechtlichen Schutz technischer Vorkehrungen zu Lasten von Nutzungshandlungen auszugestalten, die innerhalb der Schranken des Urheberrechts gesetzlich erlaubt sind. 8 Vgl. Bundestagdrucksache 15/15, S. 46 und 59. 9 Ebenda. 10 Rigamonti, Schutz gegen Umgehung technischer Maßnahmen im Urheberrecht aus internationaler und rechtsvergleichender Perspektive, in: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Internationaler Teil (GRUR Int) 2005, S. 5. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 062/17 Seite 6 Hierzu hat Rigamonti im Rahmen einer Untersuchung darüber, welche völkerrechtlichen Normen zu beachten sind, wenn ein rechtlicher Schutz technischer Maßnahmen eingeführt wird, zum einen darauf hingewiesen, dass sich in der Literatur nicht selten die Meinung finden lasse, dass WCT und WPPT das Verhältnis von Umgehungsschutz und materiellem Urheberrecht nicht regelten11, zum anderen aber, dass selbst diejenigen Autoren, die anerkennten, dass die WIPO Abkommen in dieser Frage nicht neutral seien, davon ausgingen, dass die Vertragsstaaten jedenfalls gestützt auf das Mindestschutzprinzip12 den Vorrang des Umgehungsschutzes gegenüber dem Urheberrecht vorsehen könnten.13 Demgegenüber vertritt Rigamonti selbst die – vereinzelt gebliebene – Auffassung, dass Art. 11 WCT und Art. 18 WPPT eine Koppelung des rechtlichen Schutzes technischer Maßnahmen an die materiellen Schranken des Urheberrechts zwingend erfordern, weil die WIPO Abkommen den Vorrang urheberrechtlicher Schranken vorsehen und weil das Mindestschutzprinzip auf die Frage des Verhältnisses von Umgehungsschutz und Schrankenregelung nicht anwendbar sei. Es bestehe nicht nur keine Pflicht, sondern auch kein Recht der Vertragsstaaten, bei der Umsetzung der WIPO Abkommen den Umgehungsschutz in den Bereich urheberrechtlicher Schranken auszudehnen. Zur Begründung des Koppelungsprinzips führt Rigamonti an, nach dem Wortlaut von Art. 11 WCT und Art. 18 WPPT sollten die Vertragsstaaten einen rechtlichen Schutz gegen die Umgehung wirksamer technologischer Maßnahmen vorsehen, die Handlungen beschränken, denen die Urheber der betreffenden Werke nicht zugestimmt haben („not authorized”) oder die nicht gesetzlich erlaubt sind („not permitted by law”). Da Nutzungshandlungen innerhalb der Schranken des Urheberrechts gesetzlich erlaubt seien, erstrecke sich der rechtliche Schutz nach Art. 11 WCT und Art. 18 WPPT gerade nicht auf Maßnahmen im Anwendungsbereich urheberrechtlicher Schranken. Darüber hinaus werde das Umgehungsverbot auch sonst ausdrücklich an das Urheberrecht gekoppelt („technological measures that are used by authors in connection with the exercise of their rights […] and that restrict acts, in respect of their works”), was mit der Vorstellung des Vorrangs des Umgehungsverbots gegenüber urheberrechtlichen Schranken nicht vereinbar sei. Aus der Systematik der Abkommen oder dem Zweck der einschlägigen Normen lasse sich nichts Gegenteiliges ableiten, sei es doch einzig darum gegangen, die Möglichkeiten der Rechtsinhaber zur Durchsetzung ihrer Rechte auf dem Internet zu verbessern. Dies werde durch die Einführung eines Umgehungsverbotes erreicht, ohne dass der Schutz technischer Maßnahmen in den Bereich der Schranken des Urheberrechts erweitert werden müsste. Im Bereich der Schranken hätten die Rechtsinhaber ja gerade keine Rechte, die sie durchsetzen könnten und deren Durchsetzung erleichtert werden müsste. Die Auslegung von Art. 11 WCT und Art. 18 WPPT ergebe mithin, dass diese Bestimmungen vom Konzept 11 Vgl. Rigamonti (Fn. 10), S. 3 mit Nachweisen in Fn. 23. 12 Das in Art. 19 Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst (RBÜ) niedergelegte Mindestschutzprinzip, wonach die Bestimmungen der RBÜ nicht daran hindern, „die Anwendung von weitergehenden Bestimmungen zu beanspruchen, die durch die Gesetzgebung eines Verbandslands etwa erlassen werden”, kommt aufgrund Verweisung in Art. 1 Abs. 4 WCT im Rahmen des WCT anwendbar. Zur Geltung wohl auch für den WPPT vgl. Rigamonti aaO., S. 6. 13 Rigamonti (Fn. 10), S. 3 mit Hinweisen in Fn. 24auf Wand, Technische Schutzmaßnahmen und Urheberrecht, 2001, S. 44; Reinbothe/von Lewinski, The WIPO Treaties 1996, 2002, Rn. 28 zu Art. 11 WCT; Peukert, Technische Schutzmaßnahmen, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, 2003, § 36 Rn. 2 Fn. 2. Letztere bestätigend bei Reinbothe/von Lewinski, The WIPO Treaties on Copyright, 2. Aufl. 2015, Rn. 7.11.35 zu Art. 11 WCT; Peukert, Technische Schutzmaßnahmen, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, 2. Auflage 2010, § 36 Rn. 2 Fn. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 062/17 Seite 7 ausgingen, dass die gesetzlichen Schranken des Urheberrechts dem Umgehungsverbot vorgehen.14 Dem Verständnis, dass Art. 11 WCT und Art. 18 WPPT eine Koppelungsverpflichtung zu entnehmen sei, ist insbesondere Dreyer mit folgenden Argumenten entgegengetreten: Zunächst hält sie fest, dass sich aus dem Wortlaut von Art. 11 WCT und Art. 18 WTTP ergebe, dass eine Verpflichtung der Vertragsstaaten zur Schaffung wirksamen Rechtsschutzes nur bezüglich solcher Schutzgegenstände bestehe, deren Nutzung die Rechteinhaber weder erlaubt haben noch die kraft Gesetzes, insbesondere auf Grund einer Schrankenbestimmung, zulässig sind. Die Präambel und die Denkschrift zum WCT betonten weiterhin die Notwendigkeit eines Gleichgewichts zwischen den Rechten der Urheber und dem Interesse der Öffentlichkeit, den Zugang zu Informationen zu wahren. 15 Offenbar habe im Rahmen der Vertragsverhandlungen die Erwartung bestanden, dass der in das nationale Recht einzufügende Schutz technischer Maßnahmen sich auf das zur Durchsetzung bestehender Ausschließlichkeitsrechte Notwendige beschränken würde. Daraus folge aber noch keine Verpflichtung der Vertragsstaaten, die Wirkungen des den Urheberrechtsschutz flankierenden Rechtsschutzes technischer Maßnahmen entsprechend dieser Erwartung auf die Rechtskreise zu beschränken, innerhalb deren den Rechtsinhabern ausschließlich Rechtspositionen zugewiesen sind. Ebenso wie die übrigen Bestimmungen der WIPO-Verträge enthielten auch Art. 11 WCT und Art. 18 WTTP, wie sich aus dem Verweis des Art. 1 Abs. 4 WCT auf Art. 1-21 RBÜ ergibt, lediglich einen Mindestschutz. Den Vertragsparteien bleibe es unbenommen, die Urheber bzw. Inhaber verwandter Schutzrechte stärker zu schützen, als die WIPO-Verträge dies vorsehen. Auch in der Wahl der zur Anwendung des Vertrags notwendigen Maßnahmen seien die nationalen Gesetzgeber frei, Art. 14 WCT, Art. 23 WPPT. Grenzen ergäben sich zwar aus den mit den jeweiligen Vertragsbestimmungen verfolgten Zielen, die das nationale Recht nicht unterlaufen darf. Es gehe jedoch zu weit, aus dem Wortlaut der Art. 11 WCT und Art. 18 WTTP oder den zitierten Materialien auf eine verbindliche Einigung zu schließen, den Schutz technischer Maßnahmen an den „materiellen Urheberrechtsschutz“ zu koppeln. Ein verpflichtendes Koppelungsgebot wäre in der Situation der Vertragsparteien, in der man sich auch im Hinblick auf Bestand und Reichweite des Ausschließlichkeitsrechts nur auf einen Mindestschutz verständigen und insbesondere keine Einigung über einen abschließenden Schrankenkatalog erzielen konnte, sinnlos gewesen.16 14 Rigamonti (Fn. 10), S. 5. 15 Vgl. Bundestagdrucksache 15/15, S. 8 (Präambel) und S. 42 (Denkschrift WCT). Die Formulierung im letzten Spiegelstrich der Präambel des WCT lautet: „in Erkenntnis der Notwendigkeit, ein Gleichgewicht zwischen den Rechten der Urheber und dem umfassenderen öffentlichen Interesse, insbesondere Bildung, Forschung und Zugang zu Informationen, zu wahren, wie dies in der Berner Übereinkunft zum Ausdruck kommt“. 16 Dreyer, Urheberrechtliche Problembereiche des Digital Rights Managements, in: Pahlow/Eisfeld (Hrsg.) Grundlagen und Grundfragen des Geistigen Eigentums, 2008, S. 230f. Vgl. auch die Diskussion bei Bongers, Strategien der Rechtsvereinheitlichung am Beispiel des Urheberrechts, 2008, S. 384 ff. und Stieper, Rechtfertigung, Rechtsnatur und Disponibilität der Schranken des Urheberrechts, 2009, S. 506 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 062/17 Seite 8 3. Artikel 6 Informationsgesellschafts-Richtlinie In Anknüpfung an die Vorgabe der WIPO-Verträge wurde in Art. 6 der Informationsgesellschafts- Richtlinie (im Folgenden kurz: InfoSoc-RL)17 ein gemeinschaftsrechtlicher Rahmen für den rechtlichen Schutz gegen die Umgehung wirksamer technischer Schutzmaßnahmen gegen den unbefugten Gebrauch von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten geschaffen18. Die Richtlinie geht über die Vorgaben der WIPO-Verträge hinaus und sieht ganz bestimmte Maßnahmen für den Schutz der Urheber und Inhaber sonstiger Schutzgegenstände vor: Art. 6 Abs. 1 InfoSoc-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten, einen angemessenen rechtlichen Schutz gegen die Umgehung wirksamer technischer Maßnahmen gegen diese Schutzmaßnahmen beseitigende Personen vorzusehen; Art. 6 Abs. 2 InfoSoc-RL verpflichtet – anders als die WIPO-Verträge – die Mitgliedstaaten, einen angemessenen rechtlichen Schutz gegen bestimmte auf die Umgehung technischer Maßnahmen ausgerichtete Vorbereitungshandlungen; Art. 6 Abs. 3 InfoSoc-RL definiert, was unter „wirksamen technischen Maßnahmen“ zu verstehen ist; Art. 6 Abs. 4 InfoSoc-RL nimmt zum Spannungsverhältnis zwischen Schutzmaßnahmen einerseits und Ausnahmebestimmungen andererseits Stellung und zeigt die Folgerungen auf, falls freiwillige Maßnahmen einschließlich Vereinbarungen zwischen den Rechtsinhabern und anderen betroffenen Parteien hierzu nicht erfolgen. 19 Art. 6 Abs. 4 InfoSoc-RL ist als Gegengewicht gegen den umfassenden Rechtsschutz konzipiert, den Art. 6 Abs. 1 InfoSoc-RL gegen Umgehungshandlungen gewährt.20 Die Vorschrift soll einen Ausgleich schaffen zwischen den Rechten der Rechtsinhaber und den legitimen Interessen anderer, insbesondere denjenigen der von den Schranken oder Ausnahmen von den Rechten Begünstigten im Verhältnis zum Rechtsschutz gemäß Art. 6 Abs. 1 InfoSoc-RL.21 17 RICHTLINIE 2001/29/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABl. L 167 vom 22. Juni 2001, S. 10 ff. 18 Götting, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht – Kommentar, 4. Aufl. 2010, Vor §§ 95a ff. UrhG, Rn. 6. 19 Flechsig, Grundlagen des europäischen Urheberrechts, in: Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht (ZUM) 2002, S. 14. 20 Reinbothe, Die EG-Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft, in: GRURInt 2001, S. 741. 21 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament gemäß Artikel 251 Absatz 2 Unterabsatz 2 EG- Vertrag, Dok. SEK(2000) 1734 endg. vom 20. 10. 2000, S. 10. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 062/17 Seite 9 Diesem Ausgleich hat der Richtliniengeber in Art. 6 Abs. 4 InfoSoc-RL folgendermaßen Gestalt gegeben: Gemäß Unterabsatz 1 trifft die Mitgliedstaaten die Verpflichtung, geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Ausübung bestimmter in Art. 5 InfoSoc-RL vorgesehener und im jeweiligen nationalen Recht geltender Urheberrechtschranken sicherzustellen. Das sind die Ausnahmen vom Vervielfältigungsrecht (mit Ausnahme der Kopie zum eigenen Gebrauch) und die Ausnahmen vom Recht der öffentlichen Wiedergabe und des Vervielfältigungsrechts (Veranschaulichung im Unterricht und Zwecke der wissenschaftlichen Forschung), die Nutzung zugunsten behinderter Personen sowie schließlich zu Zwecken der öffentlichen Sicherheit. Im Hinblick auf die Vervielfältigung zum privaten Gebrauch können die Mitgliedstaaten eine entsprechende Umsetzung von Art. 6 Abs. 4 Informationsgesellschafts-RL nach den Maßgaben des Unterabsatzes 2 vornehmen. Im Umkehrschluss bedeutet die in Unterabsätzen 1 und 2 vorgenommene Beschränkung auf nur einige der Schrankenbestimmungen, dass es Mitgliedstaaten nicht gestattet ist, auch bei anderen Schrankenbestimmungen in ähnlicher Weise Abhilfe zu schaffen, auch wenn diese ebenso von überragenden Gemeinwohlinteressen getragen sind.22 Hiervon betroffen sind zB die öffentliche Wiedergabe von veröffentlichten Artikeln zu Tagesfragen wirtschaftlicher oder politischer Natur, Zitate zu Zwecken der Kritik oder die Nutzung von politischen Reden.23 Vollständig ausgenommen von dem »Gegengewicht« der Korrektur eines allzu weit reichenden und die Schrankenbestimmungen überspielenden technischen Schutzes nebst rechtlicher Absicherung24 ist aufgrund Unterabsatz 4 RL die interaktive Zugänglichmachung geschützter Werke oder Schutzgegenstände im digitalen Online- Umfeld auf der Grundlage vertraglicher Vereinbarungen.25 Welches Mittel eine „geeignete Maßnahme“ darstellt, die Ausübung der in Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 1 und 2 InfoSOc-RL genannten Schranken sicherzustellen, hält der Richtliniengeber offen.26 Ausgeschlossen wird allerdings im Allgemeinen eine „Selbsthilfelösung”, nach der eine Umgehung von technischen Maßnahmen als gerechtfertigt anzusehen wäre, soweit sie in Wahrnehmung einer Urheberrechtsschranke erfolgt. Einer solchen Lösung stehe der Wortlaut der 22 Dreier, Die Umsetzung der Urheberrechtsrichtlinie 2001/29/EG in deutsches Recht, ZUM 2002, S. 37 23 Lindhorst, in: Ahlberg/Götting (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar (BeckOK) Urheberrecht, 48. Edition (Stand 1.11.2017), UrhG § 95b Rn. 3-3.2. 24 Formulierung von Dreier ebenda. 25 Reinbothe (Fn. 20) , S. 741. 26 Vgl. dazu Metzger/Kreutzer, Richtlinie zum Urheberrecht in der „Informationsgesellschaft” – Privatkopie trotz technischer Schutzmaßnahmen?, in: MultiMediaRecht (MMR) 2002, S. 140; von Lewinski/ Walter, European Copyright Law – A Commentary, 2010, Rn. 11.6.13. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 062/17 Seite 10 Richtlinie entgegen, da in der Selbsthilfe gerade kein „zur Verfügung stellen der Mittel durch die Rechtsinhaber” i.S.d. Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 1 und 2 InfoSoc-RL läge.27 Im Übrigen bleibt ein breiter Gestaltungsspielraum, von dem die Mitgliedstaaten bislang in vielfältiger Weise Gebrauch gemacht haben.28 In Deutschland wurden die Verpflichtungen aus Art. 6 InfoSoc-RL durch die Einführung der §§ 95a und 95b in das Urheberrechtsgesetz (UrhG)29 umgesetzt.30 **** 27 Metzger/Kreutzer, (Fn. 26), S. 140. Siehe auch Spindler, Europäisches Urheberrecht in der Informationsgesellschaft, in: GRUR 2002, S. 117; Dreier (Fn. 22), S. 39; Reinbothe (Fn. 20), S. 741; Rigamonti (Fn. 10), S. 9 sowie die Begründung zu § 95b UrhG, Bundestagdrucksache 15/38, S. 27. 28 Vgl. COMMISSION STAFF WORKING DOCUMENT: Report to the Council, the European Parliament and the Economic and Social Committee on the application of Directive 2001/29/EC on the harmonisation of certain aspects of copyright and related rights in the information society, SEC(2007) 1556 vom 30.11.2007, S. 7. Siehe dazu auch von Lewinski/ Walter, European Copyright Law – A Commentary, 2010 29 Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz – UrhG) vom 9. September 1965 (BGBl. I S. 1273), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 1. September 2017 (BGBl. I S. 3346). 30 Für die amtliche Begründung der Vorschriften siehe Bundestagdrucksache 15/38, S. 26 ff.