© 2019 Deutscher Bundestag WD 10 - 3000 - 061/19 UNESCO-Welterbe Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří Auswirkungen der Zuerkennung des Welterbestatus Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 061/19 Seite 2 UNESCO Welterbe Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří Auswirkungen der Zuerkennung des Welterbestatus Aktenzeichen: WD 10 - 3000 - 061/19 Abschluss der Arbeit: 30. September 2019 Fachbereich: WD 10: Kultur, Medien und Sport Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 061/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorbemerkung 4 2. Das Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt von 1972 4 3. Verpflichtungen durch den Welterbetitel 4 4. Mögliche Vorteile 6 4.1. Finanzielle Zuwendungen 6 4.2. Tourismus 7 5. Mögliche Nachteile 10 5.1. „Overtourism“ 10 5.2. Praktische Einschränkungen 11 5.3. Kosten 11 6. Anlage 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 061/19 Seite 4 1. Vorbemerkung Im Juli 2019 hat das UNESCO-Welterbekomitee die Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří zum Welterbe ernannt.1 Der vorliegende Sachstand befasst sich mit den damit verbundenen Auswirkungen . Hierzu werden die rechtlichen Pflichten erörtert, die sich insbesondere aus dem „Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt“ von 1972 ergeben. Anschließend werden mögliche Vorteile und potentielle Einschränkungen erörtert, die mit dem Welterbestatus verbunden sein dürften. 2. Das Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt von 1972 Das Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt wurde am 23. November 1972 von der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UN- ESCO) beschlossen.2 Es dient dem Ziel, Kultur- und Naturerbe von außergewöhnlicher Bedeutung der ganzen Menschheit zu erhalten.3 Nach Artikel 11 Abs. 2 dieser Konvention hat das UNE- SCO-Welterbekomitee eine „Liste des Erbes der Welt“ zu erstellen, welche Kultur- und Naturererbe von „außergewöhnlichem universellem Wert“ umfasst.4 Derzeit (Stand September 2019) umfasst die Liste 1121 Stätten in 167 Staaten.5 Deutschland ist mit 46 Stätten vertreten.6 3. Verpflichtungen durch den Welterbetitel Die UNESCO-Konvention von 1972 verpflichtet allgemein alle Vertragsstaaten zum Schutz der Welterbestätten. Sie haben entsprechende Dienststellen einzurichten und die geeigneten rechtlichen , wissenschaftlichen, technischen, Verwaltungs- und Finanzmaßnahmen zu treffen.7 Genaueres zur Reichweite dieser Pflicht lässt sich den Richtlinien für die Durchführung der Welterbe- 1 Deutsche UNESCO-Kommission, Glück auf! Die Montanregion Erzgebirge ist Welterbe, https://www.unesco .de/kultur-und-natur/welterbe/welterbe-deutschland/montanregion-erzgebirgekrusnohori. 2 Deutsche Übersetzung des Konventionstextes unter https://www.unesco.de/sites/default/files/2018-02/UNE- SCO_WHC_%C3%9Cbereinkommen%20Welterbe_dt.pdf. 3 Vgl. Präambel UNESCO-Konvention 1972. 4 Artikel 11 Abs. 2 UNESCO-Konvention 1972. 5 Liste abrufbar unter https://whc.unesco.org/en/list/. 6 Liste abrufbar unter https://whc.unesco.org/en/statesparties/de. 7 Artikel 5 Abs. 2, 4 UNESCO-Konvention 1972. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 061/19 Seite 5 konvention entnehmen. Hiernach sind die Staaten zur Erstellung eines Managementplans verpflichtet , der darüber Auskunft gibt, wie die Welterbestätten erhalten werden sollen.8 Einen Leitfaden zur Erstellung eines solchen Plans, den Ringbeck ausgearbeitet hat, stellt die Deutsche UN- ESCO-Kommission auf ihrer Website bereit.9 Bei dem Plan handelt es sich um ein integriertes Planungs- und Handlungskonzept zur Festlegung der Ziele und Maßnahmen, mit denen der Schutz, die Pflege, die Nutzung und Entwicklung von Welterbestätten verwirklicht werden sollen.10 Seine wesentlichen Bausteine sind: - Schutzmaßnahmen durch Gesetze, sonstige Vorschriften und Verträge, - Festlegung von Grenzen für wirksamen Schutz, - Pufferzonen,11 - Verwaltungssysteme, - Nachhaltige Nutzung.12 Darüber hinaus haben die Vertragsstaaten der Generalkonferenz der UNESCO über den Zustand der jeweiligen Welterbestätten alle sechs Jahre Bericht zu erstatten.13 Hierbei soll geklärt werden, inwieweit der Wert der Welterbestätten bewahrt wird. Der Bericht soll Auskunft geben über die erlassenen Rechts- und Verwaltungsvorschriften sowie andere Maßnahmen, welche dem Schutz des Ortes dienen.14 Darüber hinaus muss das UNESCO-Welterbekomitee im Rahmen der „Reaktiven Überwachung“ über außergewöhnliche Umstände und Arbeiten unterrichtet werden, welche die Welterbestätten 8 §§ 96-119 der Richtlinien für die Durchführung der Welterbekonvention, 2005, http://www.dnk.de/_uploads /media/185_2005_UNESCO_Richtlinien.pdf; Wissenschaftliche Dienste des Bundestages, Das UNESCCO- Weltkulturerbe – Die Bedeutung von Pufferzonen, dargestellt am Beispiel des Denkmalbereiches Berlin-Potsdamer Kulturlandschaft, Ausarbeitung, WD 10 – 3000 – 047/09, 2009. 9 Ringbeck, B. (2008). Managementpläne für Welterbestätten: ein Leitfaden für die Praxis, 2008, S. 6, https://www.unesco.de/sites/default/files/2018-06/Managementplaene_Welterbestaetten.pdf. 10 Ebenda, S. 6. 11 Zur Problematik der Pufferzonen existiert bereits eine Arbeit der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages am Beispiel des Denkmalbereiches Berlin-Potsdamer Kulturlandschaft aus dem Jahr 2009, welche diesem Sachstand als Anlage beigefügt ist. Siehe Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Das UNESCCO-Weltkulturerbe – Die Bedeutung von Pufferzonen, dargestellt am Beispiel des Denkmalbereiches Berlin -Potsdamer Kulturlandschaft, Ausarbeitung, WD 10 – 3000 – 047/09. 12 §§ 96-119 UNESCO-Richtlinien, a.a.O. 13 Artikel 29 UNESCO-Konvention iVm §§ 199-210. UNESCO-Richtlinien, a.a.O. Der sechsjährige Turnus lässt sich § 203 lit. b UNESCO-Richtlinien entnehmen. 14 § 199 UNESCO Richtlinien, a.a.O. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 061/19 Seite 6 bedrohen könnten.15 Dies gilt für Wiederherstellungs- oder Neubaumaßnahmen im Bereich des Welterbes.16 Die UNESCO-Richtlinien sehen dabei frühzeitige Mitteilungen der zuständigen Behörden über entsprechende Planungen vor, so dass das Komitee bei der Suche nach angemessenen Lösungen mithelfen kann. Dies solle noch vor Ausarbeitung der grundlegenden Unterlagen für bestimmte Projekte und vor Entscheidungen geschehen, die schwer zurückzunehmen wären .17 Sollte sie gefährdet sein, kann das UNESCO-Welterbekomitee die Stätte auf die „Rote Liste“ setzen . 18 Auf dieser Liste des „gefährdeten Erbes der Welt“ befinden sich derzeit 53 Welterbestätten, davon keines in Deutschland.19 Anders sah es noch bis vor wenigen Jahren aus: 2006 wurde die Kulturlandschaft Dresdner Elbtal wegen des geplanten Baus der Waldschlösschenbrücke auf die Rote Liste gesetzt,20 und verlor schließlich 2009 als bis heute erst zweite Stätte den Status als Welterbe.21 Weitere rechtliche Verpflichtungen bestehen nicht. Bauliche und planerische Maßnahmen richten sich nach dem nationalen Denkmal-, Bau- und Planungsrecht.22 4. Mögliche Vorteile 4.1. Finanzielle Zuwendungen Zunächst ist festzuhalten, dass mit der Anerkennung einer Stätte als Welterbe keine direkten finanziellen Zuwendungen durch die UNESCO einhergehen.23 Vielmehr haben die Staaten die notwendigen Schutz- und Erhaltungsmaßnahmen eigenständig zu finanzieren.24 Zwar existiert ein 15 Welterbe-Manual (2009). Handbuch zur Umsetzung der Welterbekonvention in Deutschland, Luxemburg, Österreich und der Schweiz, https://www.unesco.de/sites/default/files/2018-06/Welterbe-Manual_2__Aufl_volltext .pdf. 16 § 172 UNESCO-Richtlinien, a.a.O. 17 Ebenda. 18 Artikel 11 Abs. 4 UNESCO-Welterbekonvention, a.a.O. 19 Liste des gefährdeten Erbes der Welt unter https://whc.unesco.org/en/danger/. 20 UNESCO Pressemitteilung, 11.7.2006, http://whc.unesco.org/en/news/265/. 21 UNESCO Pressemitteilung, 25.6.2009, http://whc.unesco.org/en/news/522/. 22 Website Montanregion Erzgebirge, Die Verpflichtungen einer Welterbestätte, https://www.montanregion-erzgebirge .de/welterbe-entdecken/unesco/verpflichtungen-einer-welterbestaette.html. 23 Website Deutsche UNESCO-Kommission, https://www.unesco.de/kultur-und-natur/welterbe/welterbe-werden. 24 Ebenda; vgl. PAN Planungsbüro für angewandten Naturschutz GmbH, Studie für ein mögliches UNESCO-Welterbe Steigerwald, 2015, S. 6, https://www.stmuv.bayern.de/themen/naturschutz/schutzgebiete/steigerwald /doc/studie_unesco.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 061/19 Seite 7 UNESCO-Welterbefonds mit einem jährlichen Budget von etwa vier Millionen Dollar, dieses kommt indes in der Regel nur ärmeren Mitgliedsstaaten zugute. 25 4.2. Tourismus Allerdings könnte der Welterbetitel für die Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří auf indirektem Weg einen Beitrag zur Stärkung der regionalen Wirtschaft leisten. Die politische Zielsetzung in dieser Hinsicht ist eindeutig: Der Titel „Welterbe“ soll der Region zu mehr Tourismus verhelfen. So ließ Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) nach der Wahl zum Welterbe verlauten, es gelte mit dem Titel die Attraktivität der Region für Bewohner und Gäste weiter auszubauen. 26 Auch Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) sieht den Ruf Sachsens als „Kulturreiseziel Nummer eins in Deutschland“ durch den Titel untermauert.27 Die Geschäftsführerin des Tourismusverbandes Erzgebirge, Ines Hanisch-Lupaschko, erkennt in der Anerkennung als Welterbe „eine einmalige Chance, den Bekanntheitsgrad des Erzgebirges weltweit auszubauen und der Region neue Entwicklungsimpulse für den Tourismus mit auf den Weg zu geben.“28 Derartige Erwartungen werden regelmäßig mit dem Welterbetitel verbunden.29 Teilweise wird sogar davon gesprochen, die Verleihung des Welterbetitels sei „nahezu eine Garantie“ für höhere Besucherzahlen.30 Auch die UNESCO selbst wirbt damit, dass der Status als Welterbestätte den Bekanntheitsgrad und in der Folge den Tourismus erhöhe.31 Dies ist insofern bemerkenswert, als der Welterbestatus ursprünglich nie explizit als Marketinginstrument für den Tourismus beabsichtigt war.32 Fraglich ist, inwieweit die Verleihung eines Welterbe-Titels tatsächlich zu mehr Tourismus führt. In der wissenschaftlichen Literatur gibt es zu dieser Frage eine Vielzahl an Studien.33 In der Gesamtschau der Studien zum Zusammenhang zwischen Welterbestatus und Tourismus kann indes 25 Vgl. UNESCO-Website, https://whc.unesco.org/en/funding/; PAN-Studie, a.a.O., S. 6. 26 Leipziger Volkszeitung, „Wir sind Welterbe“ – Erzgebirge fährt in Baku den Titel endlich ein, S. 4. 27 Ebenda. 28 Ebenda. 29 Quack, H. D., & Wachowiak, H. (2013). Welterbe und Tourismus: ausgewählte Forschungsergebnisse. Kulturtourismus zu Beginn des 21. Jahrhunderts, S. 283. 30 Shackley, M. (2009). Visitor management. Routledge, S. xiii (Im englischen Original: “the enrolment of a new property on the World Heritage List, with the concomitant publicity, is virtually a guarantee that visitor numbers will increase”). 31 UNESCO World Heritage Information Kit, 2008, S. 10. 32 Quack/Wachowiak, a.a.O., S. 287. 33 Ein Überblick über neun dieser Studien findet sich bei Voit, A. K. (2018). Die ökonomische Dimension des UN- ESCO-Welterbes, S. 86-102. Die vollständige Dissertation ist zu finden unter https://hss-opus.ub.ruhr-uni-bochum .de/opus4/frontdoor/deliver/index/docId/5686/file/diss.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 061/19 Seite 8 kein eindeutiges Gesamtergebnis nachgewiesen werden.34 Manche Studien legen einen kausalen Zusammenhang nahe, andere nicht.35 Einerseits vermelden viele Stätten einen teils sehr starken Anstieg der Besucherzahlen im Nachgang zur Ernennung zum Welterbe. So ließ sich für den Industriekomplex Zeche Zollverein36 und die Stadt Quedlinburg37 ein rasanter Anstieg der Besucherzahlen beobachten. Gerade in letzterem war dieser enorm: Innerhalb eines Jahres nach der Ernennung zum UNESCO-Welterbe stieg die Gästezahl in Quedlinburg um mehr als das Sechsfache.38 Eine Befragung aus dem Jahr 2000 des jeweiligen Managements der damals noch 20 deutschen Welterbestätten ergab, dass bei der Mehrheit ein Anstieg des Tourismus seit Ernennung beobachtet wurde.39 In anderen Orten wie der Saalburg und im Kloster Maulbronn war zwar ein Besucheranstieg zu verzeichnen, dieser pendelte sich jedoch nach einigen Monaten bzw. nach zwei Jahren wieder auf dem Vorniveau ein.40 Andererseits ist unklar ob ein Anstieg gerade auf den Status als Welterbe zurückging oder auf andere Faktoren. Er könnte sich auch eher auf allgemeine Tourismustrends oder die einzigartigen Merkmale und das Erlebnis einer bestimmten Stätte als auf deren Status als Welterbe zurückführen lassen.41 Denn die meisten dieser Studien beziehen sich konkret auf eine oder eine begrenzte Anzahl von Stätten, weshalb ihre Ergebnisse nicht unbedingt übertragen werden können. Überdies könnte ein fehlender Anstieg des Tourismus bei manchen Welterbestätten auch durch fehlendes oder limitiertes Marketing begründet sein.42 Eine Reiseentscheidung geht gewöhnlich auf eine Vielzahl von Faktoren zurück. Es ist außerordentlich schwierig, den Faktor Welterbe von anderen möglichen Faktoren zu trennen.43 So kamen in einer Studie über das Welterbe Macau die Autoren zu dem Schluss, dass der Welterbestatus 34 Voit, a.a.O., S. 102; Quack/Wachowiak, a.a.O., S. 288 f.; Zwicker-Schwarm, D., & Scherer, R. (2018). Die touristische und regionalwirtschaftliche Bedeutung des UNESCO-Weltkulturerbes Stiftsbezirk St. Gallen, S. 29, https://www.stiftsbezirk.ch/userdata/Verein%20Weltkulturerbe/Studie%20UniSG_%C3%96konomische %20Bilanz.pdf. 35 Quack/Wachowiak, a.a.O., S. 288-289. 36 Ebenda. 37 Manz, K. (1999). Quedlinburg: Auswirkungen des Status als UNESCO-Weltkulturerbe auf die Stadtentwicklung . Europa Regional, 7(4), 14-22. 38 Ebenda, S. 21. Waren es im Jahr 1994 noch 20.500 Besucher, waren es nach der Ernennung im Dezember 1994 bereits 134.000 Besucher im Jahr 1995. 39 Quack/Wachowiak, a.a.O., S. 288. 40 Ebenda, S. 289. 41 Ebenda, S. 288, 291, 42 Ebenda, S.285, 289. 43 Voit, a.a.O., S. 84-85. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 061/19 Seite 9 keinen signifikanten Einfluss auf den Tourismus hatte.44 Auf Grundlage des heutigen Standes der Wissenschaft lässt sich also keine belastbare Aussage für alle UNESCO-Welterbestätten dahingehend treffen, dass die Verleihung des Titels generell zu mehr Tourismus führen würde. Allerdings führen verschiedene Autoren Indikatoren an, welche einen signifikanten Anstieg wahrscheinlich lassen würden. Hierzu gehören das Wissen der Besucher um den jeweiligen Welterbetitel und die Bekanntheit des Ortes vor Verleihung des Welterbestatus. 45 Ein möglicher Zusammenhang zwischen Welterbe und Tourismus setzt zunächst einmal voraus, dass den jeweiligen Besuchern der Welterbestatus des Ortes bekannt ist.46 Hier ist festzustellen, dass zumindest in Deutschland das Markenbewusstsein sehr ausgeprägt ist. Quack und Wachowiak zeigen anhand ausgewählter deutscher Welterbestätten, dass die Besucher in der Mehrzahl deren Welterbestatus kannten. Die Werte lagen dabei im Durchschnitt bei etwa zwei Drittel der Besucher, im Einzelnen schwanken sie zwischen 44% und 77%.47 Ähnlich hohe Ergebnisse liefert eine Befragung der Besucher des Stiftsbezirks St. Gallen in der Schweiz: 72% der Befragten waren der Welterbestatus vor ihrem Besuch bekannt.48 Derartig hohe Bekanntheitswerte legen nahe, dass der Welterbetitel Auswirkungen auf die Reiseentscheidung der Besucher hatte.49 Besucherbefragungen bestätigen diesen Eindruck. So nannten beispielsweise die Besucher des Altenmünsters Lorsch und des Industriekomplexes Zeche Zollverein zu 39% bzw. 42% den Welterbestatus als einen Einflussfaktor auf ihre Reiseentscheidung oder sogar als deren Hauptgrund.50 Zu noch höheren Ergebnissen kommt eine Besucherbefragung im Welterbe Stiftsbezirk St. Gallen in der Schweiz: Dort spielte für insgesamt 63% der Besucher der Status als Welterbe eine Rolle, 24% gaben ihn sogar als Hauptgrund für ihren Besuch an.51 Ein Anstieg des Tourismus ist dabei nach Ansicht einer Vielzahl von Autoren wahrscheinlicher für solche Stätten, deren Bekanntheitsgrad vor Verleihung des Welterbetitels eher gering war. Eine bis dahin eher unbekannte Stätte kann in größerem Umfang davon profitieren, auf einer Stufe mit anderen weltbekannten Welterbestätten zu stehen. Verfügt jedoch ein Ort bereits über eine starke Marke – wie etwa der Kölner Dom – so ist der mit der Verleihung des Welterbetitels 44 Huang, C. H., Tsaur, J. R., & Yang, C. H. (2012). Does world heritage list really induce more tourists? Evidence from Macau. Tourism Management, 33(6), 1456. 45 Voit, a.a.O., S. 79; Quack/Wachowiak, S. 287. 46 Quack/Wachowiak, a.a.O., S. 289. 47 Quack/Wachowiak, a.a.O., S. 290. 48 Zwicker-Schwarm/Scherer, a.a.O., S. 31. 49 Voit, a.a.O., S. 80. 50 Quack/Wachowiak, S. 291. Für 9% bzw. 11 % der Besucher des Altenmünster Lorsch bzw. des Industriekomplexes Zeche Zollverein war der Welterbestatus Hauptgrund des Besuches, für 30% bzw. 31 % hatte er zumindest Einfluss auf die Reiseentscheidung. 51 Zwicker-Schwarm/Scherer, a.a.O., S. 31. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 061/19 Seite 10 verbundene Effekt eher klein.52 Bezogen auf die Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří sind zwar keine aktuellen Zahlen zum Bekanntheitsgrad vorhanden, und die Erzgebirgeregion ist bereits heute touristisch erschlossen. Dennoch war offenbar die Marke „UNESCO-Welterbe“ ein wesentlicher Beweggrund für den Antrag auf Aufnahme in die Liste der Welterbestätten. So äußerte sich der Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Erzgebirge GmbH, Mathias Lißke, bereits während der Bewerbungsphase folgendermaßen: „Regionen müssen sich bekannt machen nach außen. Und das UNESCO-Welterbe ist eine der besten Marken, mit dem höchsten Markenwert in der Welt. Und das bringt Vorteile, die für uns wichtig sind.“53 5. Mögliche Nachteile 5.1. „Overtourism“ Sollte die Verleihung des Welterbetitels tatsächlich zu einem signifikanten Anstieg des Tourismus in der Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří führen, könnte dieser neben seinen zu erwartenden positiven Beitrag zur Förderung der regionalen Wirtschaft auch Nachteile haben. So wird in einigen Fällen auf Probleme hingewiesen, welche eine Übernutzung („Overtourism“) von Welterbestätten mit sich bringt. 54 So haben inzwischen etwa Venedig und Macchu Picchu mit Besuchermengen zu kämpfen, auf die sie nicht ausgerichtet sind und die zur Gefährdung der Stätten führen können.55 Die Herausforderungen, welche eine solche Übernutzung sowohl für Stadtentwicklung als auch die Stätte selbst mit sich bringen, machen in derartigen Fällen ein Konzept zum Besuchermanagement notwendig.56 52 Quack/Wachowiak, a.a.O. S. 287. 53 Richter, Christoph, Segen und Fluch des Welterbetitels, Deutschlandfunk, 19.4.2013, https://www.deutschlandfunk .de/segen-und-fluch-des-welterbetitels.697.de.html?dram:article_id=244037. 54 Losse, Bert, „Man sollte Venedig als Replik nachbauen“, Wirtschaftswoche, 14.6.2019, https://www.wiwo.de/my/politik/europa/unesco-welterbe-man-sollte-venedig-als-replik-nachbauen /24451028.html?ticket=ST-8696529-T0VHyxpciBT3JvRByOdV-ap1; Richter, Christoph, Segen und Fluch des Welterbetitels, Deutschlandfunk, 19.4.2013, https://www.deutschlandfunk.de/segen-und-fluch-des-welterbetitels .697.de.html?dram:article_id=244037. 55 Frey, B. S., & Steiner, L. (2010). Alternativen zur Unesco-Liste des Welterbes, Neue Zürcher Zeitung, https://www.zora.uzh.ch/id/eprint/46074/1/Frey_Steiner_Alternativen_zur_Unesco-Liste.pdf. 56 Einen Überblick zu entsprechenden Konzepten anhand von zehn Fallstudien zeigt Shackley, M. (2009). Visitor management. Routledge. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 061/19 Seite 11 5.2. Praktische Einschränkungen Der Deutsche Städtetag hat bereits 2013 in einem Positionspapier auf die Herausforderungen hingewiesen , welche der Welterbestatus mit sich bringt.57 Die Ausführungen beziehen sich zwar allgemein auf Städte als Gegenstand des Welterbetitels, jedoch wäre zu prüfen, ob sich einige Erkenntnisse auf die Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří übertragen ließen. So werde der Welterbetitel vor Ort oft als Hemmnis wahrgenommen, welches eine anpassungsfähige , wachstumsorientierte Stadtentwicklung behindere. Veränderungen, die andernorts gewöhnlich seien, ließen sich innerhalb des geschützten Raumes nur eingeschränkt verwirklichen.58 Im Rahmen der Schutzverpflichtungen des Welterbes müssten neue Bauten den Bestand des Welterbes ergänzen und seine Besonderheit erhalten. Nutzungsinteressen könnten kollidieren und zu Konflikten führen. Als Beispiel könne etwa die Straßenführung genannt werden, welche das Welterbe hinsichtlich der festgelegten Pufferzonen und Sichtachsen in seiner Wirkung nicht beeinträchtigen dürfe.59 5.3. Kosten Wie bereits erwähnt liegen die Kosten für den Erhalt der Welterbestätten nahezu ausschließlich bei den Staaten selbst. Somit wären Bund, Länder und Gemeinden in dieser Hinsicht direkt finanziell belastet.60 Der Deutsche Städtetag weist auf die Probleme hin, welche dieses Modell mit sich bringt: So könne der Schutz je nach kommunaler Kassenlage unterschiedlich ausfallen und dabei unter dem Niveau zurückbleiben, welches der Welterbestatus erfordere. Städte und Gemeinden müssten daher finanziell in die Lage versetzt werden, die erforderlichen Schutzmaßnahmen leisten zu können. 61 6. Anlage Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Das UNESCCO-Weltkulturerbe – Die Bedeutung von Pufferzonen, dargestellt am Beispiel des Denkmalbereiches Berlin-Potsdamer Kulturlandschaft , Ausarbeitung, WD 10 – 3000 – 047/09. **** 57 Deutscher Städtetag, Welterbe-Städte sichern und weiterentwickeln, Positionspapier, 2013, http://www.staedtetag .de/imperia/md/content/dst/internet/fachinformationen/2013/positionspapier_dst_ak_welterbealtstaedte _2013.pdf. 58 Ebenda, S. 10. 59 Ebenda, S. 12, 19. 60 Ebenda. S. 18. 61 Ebenda, S. 19.