© 2019 Deutscher Bundestag WD 10 - 3000 - 060/19 Dokumentarfilmquote im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Verfassungsmäßigkeit einer Änderung des Rundfunkstaatsvertrags Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Freiwillige Selbstverpflichtung 12 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 060/19 Seite 4 1. Vorbemerkung Der vorliegende Sachstand befasst sich mit der Frage, ob die Bundesländer verfassungsgemäß eine Quote für Dokumentarfilme im Rundfunkstaatsvertrag vorsehen könnten. Dabei wird unter einer Dokumentarfilmquote eine gesetzlich festgelegte Regelung der Mindestsendeminuten von Dokumentarfilmen und anderen dokumentarischen Formaten und/oder deren Sendeplatz (z.B. Hauptsendezeit) verstanden. Insbesondere geht es um die Vereinbarkeit einer derartigen Regelung mit der Rundfunkfreiheit aus Artikel 5 Abs. 1 S. 2 GG. 2. Verfassungsrechtlicher Rahmen Die Rundfunkfreiheit wird im Grundgesetz in Artikel 5 Abs. 1 S. 2 garantiert. Dieser lautet: „Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet .“1 Die Rundfunkfreiheit in der Bundesrepublik ist in besonderer Weise durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes geprägt. Dieses hat in einer Vielzahl von Grundsatzentscheidungen verschiedene Elemente herausgearbeitet, welche die Rundfunkfreiheit charakterisieren.2 Den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat das Bundesverfassungsgericht zuletzt in seinem Urteil zum Rundfunkbeitrag vom 18. Juli 2018 beschrieben. Danach sei es sein „klassischer Funktionsauftrag“ als Gegengewicht zu den privaten Rundfunkanbietern ein Leistungsangebot hervorzubringen, das einer anderen Entscheidungsrationalität als der der ökonomischen Anreize folge und damit eigene Möglichkeiten der Programmgestaltung eröffne. Der öffentlichrechtliche Rundfunk könne so zu einer inhaltlichen Vielfalt beitragen, die der freie Markt alleine nicht gewährleisten könne.3 Da er weder Einschaltquoten noch Werbekunden verpflichtet sei, könne er durch eigene Impulse und Perspektiven zur Angebotsvielfalt beitragen und ein Programm anbieten, das den verfassungsrechtlichen Anforderungen gegenständlicher und meinungsmäßiger Vielfalt entspreche. Dabei habe er insbesondere auch solche Aspekte aufzugreifen, die über die Standardformate von Sendungen für das Massenpublikum hinausgingen oder solchen ein eigenes Gepräge gäben.4 In früheren Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht den Auftrag der Rundfunkanstalten auch als Gewährleistung der „Grundversorgung“ der Bevölkerung beschrieben.5 Der Begriff 1 Artikel 5, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 28. März 2019 (BGBl. I S. 404) geändert worden ist, https://www.gesetze-im-internet.de/gg/GG.pdf. 2 Maunz/Dürig/Grabenwarter GG Art. 5 Abs. 1, 5 Abs. 2, Rn. 522. 3 BVerfG NJW 2018, 3223, 3228, Rz. 77-79. 4 Ebenda. 5 So zuerst im 4. Rundfunkurteil vom 4. November 1986, BVerfGE 73, 118, 157 f., dazu Maunz/Dürig/Grabenwarter GG Art. 5 Abs. 1, 5 Abs. 2, Rn. 772. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 060/19 Seite 5 der Grundversorgung sei dabei weder als Mindestversorgung zu verstehen, auf welche der öffentlich -rechtliche Rundfunk beschränkt sei, noch als Grenzziehung etwa in dem Sinne, dass der öffentlich -rechtliche Rundfunk nur für informierende Angebote, die privaten Anbieter hingegen für den unterhaltenden Teil des Programmangebots zuständig seien.6 Vielmehr umfasse die Grundversorgung sämtliche Inhalte, die für die Allgemeinheit von Interesse seien. Sie reiche von Information , Bildung und Beratung über Unterhaltung bis zu kulturellen Angeboten.7 Die Grundversorgung ist ausschließlich den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zugewiesen, welche hierdurch die Defizite der privaten Anbieter ausgleichen sollen.8 Der Grundversorgungsauftrag verpflichtet seinerseits auch den Gesetzgeber: Er hat eine positive Ordnung herzustellen, innerhalb derer der Rundfunk seinem Auftrag nachkommen kann.9 Auf der anderen Seite aber ist die Rundfunkfreiheit in ihrem Kern Programmfreiheit.10 Der Rundfunk soll frei von externer Einflussnahme entscheiden können, wie er seine publizistische Aufgabe erfüllt.11 Auswahl, Inhalt und Gestaltung des Programms sind Sache des Rundfunks und richten sich nach publizistischen Kriterien. Es ist der Rundfunk selbst, der aufgrund seiner professionellen Maßstäbe bestimmen darf, was der gesetzliche Rundfunkauftrag in publizistischer Hinsicht verlangt.12 Dennoch gilt auch die Programmfreiheit nicht absolut, sondern findet ihre Grenzen in den gesetzlichen Aufgaben und Bindungen der Anstalten.13 6 BVerfGE 83, 238, 298 f. 7 BVerfGE 73, 118, 158, ebenso BVerfGE 74, 297, 324. 8 Hain, Der Funktionsauftrag von ARD und ZDF und seine Begrenzung, in Rossen-Stadtfeld, H. (2013). Jürgen Becker/Peter Weber (Hrsg.)(2012): Funktionsauftrag, Finanzierung, Strukturen. Zur Situation des öffentlichrechtlichen Rundfunks in Deutschland. Liber Amicorum für Carl-Eugen Eberle. Baden-Baden: Nomos. M&K Medien & Kommunikationswissenschaft, 61(1), 92-94; S. 32; Thum, K. (2006). Funktionsauftrag des öffentlichrechtlichen Rundfunks und legislative Grenzziehung im dualen System. Archiv für Presserecht, (6), S. 523. 9 Maunz/Dürig/Grabenwarter GG Art. 5 Abs. 1, 5 Abs. 2 Rn. 775, Thum, AfP 2007, S. 523 verweist darauf, dass diese Verpflichtung lediglich mittelbar sei, direkt verpflichtet jedoch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten blieben. 10 BVerfGE 97, 298, 310; Dreier/Schulze-Fielitz GG Art. 5 Abs. 1-2 Rn. 103; Münch/Kunig/Wendt GG Art. 5 Rn. 46; BeckOK Grundgesetz (Schemmer) Art. 5 Rn. 70. 11 BVerfGE 97, 298, 310, 12 BVerfG NJW 1994, 1942, 1943 (Rundfunkgebühr), in gleicher Weise etwa auch BVerfGE 59, 231, 258; BVerfGE 87, 181, 201, BVerfGE 90, 60, 87. 13 BVerfGE 87, 187, 200 f. („Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Zielsetzung und der gesetzlichen Aufgabenzuweisung “); Bullinger, M. (1999). Die Aufgaben des öffentlichen Rundfunks: Wege zu einem Funktionsauftrag; Studie. Verlag Bertelsmann-Stiftung, S. 24. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 060/19 Seite 6 3. Einfaches Recht Die verfassungsrechtlichen Eckpfeiler sind hiermit bestimmt. Innerhalb dieser kann der Rundfunkgesetzgeber den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einfachgesetzlich weiter konkretisieren . Allerdings kann auch dies kaum abschließend und präzise erfolgen, da aufgrund der Programmfreiheit den Anstalten ein Autonomiebereich verbleiben muss, innerhalb dessen diese ihre Funktion eigenverantwortlich und entwicklungsoffen gestalten können müssen.14 § 11 des Rundfunkstaatsvertrags normiert den Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten folgendermaßen: „Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist, durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. (…) Ihre Angebote haben der Bildung , Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Sie haben Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten. Auch Unterhaltung soll einem öffentlich-rechtlichen Angebotsprofil entsprechen.“ 15 Diese Aufgabenbeschreibung gilt für alle öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und ist damit bundesweit einheitlich.16 4. Möglichkeiten der Änderung Der objektiv-rechtliche Gehalt der Rundfunkfreiheit verpflichtet den Staat zur Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit im Sinne einer positiven Ordnung.17 Hierfür ist primär der Landesgesetzgeber zuständig, welcher einen großen Gestaltungsspielraum für programmleitende Bestimmungen habe.18 Landesrechtliche Konkretisierungen des Funktionsauftrags sind grundsätzlich gem. § 1 Abs. 2 RStV zulässig.19 14 Thum, a.a.O., S. 528 f. 15 § 11 Rundfunkstaatsvertrag (RStV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Juli 2001 (GVBl. S. 502, 503, BayRS 02-16-S), der zuletzt durch Art. 1 des Abkommens vom 8. Dezember 2016 (GVBl. 2017 S. 86) geändert worden ist. 16 Beck RundfunkR/Eifert RStV § 11 Rn. 12. 17 Dreier/Schulze-Fielitz GG Art. 5 Abs. 1-2, 232; Maunz/Dürig/Grabenwarter GG Art. 5 Abs. 1, 5 Abs. 2 Rn. 775. 18 Dreier/Schulze-Fielitz GG Art. 5 Abs. 1-2, 233, Bullinger, 24. 19 Beck RundfunkR/Eifert RStV § 11 Rn. 13. § 1 Abs. 2 RStV besagt: „Soweit dieser Staatsvertrag keine anderweitigen Regelungen für die Veranstaltung und Verbreitung von Rundfunk enthält oder solche Regelungen zuläßt, sind die für die jeweilige Rundfunkanstalt oder den jeweiligen privaten Veranstalter geltenen landesrechtlichen Vorschriften anzuwenden.“ Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 060/19 Seite 7 Der Gesetzgeber operiert dabei in einem Spannungsfeld. Einerseits hat er zu gewährleisten, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ihren Aufgaben nachkommen. Er hat in diesem Zusammenhang einen weiten Gestaltungsspielraum.20 Er entscheidet, nach welchen Kriterien er die Vielfalt sichert und wie er diese gewichtet.21 Andererseits hat der Gesetzgeber die Programmfreiheit der Rundfunkanstalten zu respektieren.22 Eine Konkretisierung der Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wäre nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht als Eingriff in die Rundfunkfreiheit zu verstehen, sondern vielmehr als deren „Ausgestaltung“ nach Ermessen.23 Dies liegt in seinem Verständnis der Rundfunkfreiheit als eine der freien Meinungsbildung „dienende Freiheit“ begründet. Die Rundfunkfreiheit schützt demnach nicht den einzelnen Veranstalter, sondern das freiheitliche Rundfunkwesen an sich. Der Gesetzgeber hat demnach gesetzliche Regelungen zu finden, welche sicherstellen , dass der Rundfunk seine dienende Aufgabe im Hinblick auf den Prozess der Meinungsbildung erfüllt.24 Bei einer solchen abwägenden Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit ist allerdings die Programmfreiheit der Anstalten in besonderem Maße zu berücksichtigen.25 Inwieweit eine fortschreitende Konkretisierung des Rundfunkauftrages innerhalb des so benannten Spannungsfeldes möglich ist, wird von verschiedenen Autoren unterschiedlich bewertet. Einigkeit besteht jedoch in Folgendem: Eine gesetzliche Regelung darf nur auf einer hinreichenden großen Abstraktionshöhe geschehen.26 Es darf keine übermäßig detaillierten Vorschriften geben, die zu einer eigentlichen Programmgestaltung führen und die Rundfunkanstalt als bloßes Vollzugsorgan erscheinen lassen.27 5. Diskussion Innerhalb dieses Spannungsfeldes zwischen Programmfreiheit und Pflicht zur Grundversorgung besteht im Schrifttum nun Uneinigkeit über die Frage, welche Vorgaben der Gesetzgeber den Rundfunkanstalten nach der Verfassung machen darf. Die explizite Frage nach einer Quote für 20 Maunz/Dürig/Grabenwarter GG Art. 5 Abs. 1, 5 Abs. 2, Rn. 775. 21 Maunz/Dürig/Grabenwarter GG Art. 5 Abs. 1, 5 Abs. 2, Rn. 777. 22 Eifert, M. (2002). Konkretisierung des Programmauftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: verfassungsrechtliche Verankerung, rechtliche Ausgestaltung und neue Herausforderungen der Selbstregulierung des öffentlich -rechtlichen Rundfunks. Nomos-Verlag-Ges, S. 84; Bullinger, a.a.O., S.24. 23 So Bullinger, a.a.O., S. 24 mit Verweis auf BverfGE 90, 60, 91 f. 24 Reese, S. (2006). Der Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vor dem Hintergrund der Digitalisierung , Lang, 2006, S. 199. 25 Ebenda. 26 Eifert, S. 90. 27 Ebenda, S. 100 f.; Gersdorf, Ist eine gesetzliche Präzisierung des Angebotsauftrags verfassungsrechtlich möglich – und wie weit darf sie gehen?, S. 15, https://media02.culturebase.org/data/docs-ag-dok/Gutachten_zum_Rundfunkauftrag _Prof._Dr._Gersdorf.pdf, Reese, a.a.O., S. 203. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 060/19 Seite 8 Dokumentarfilme sowie entsprechende Mindestsendeminuten und deren Sendeplatz wird dabei zwar selten gestellt. Die Überlegungen der hier genannten Autorinnen und Autoren können indes als Grundlage zur Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit dienen. 5.1. Für präzise Konkretisierungen In der Literatur werden vermehrt Vorkehrungen gefordert, die sicherstellen sollen, dass die Informations -, Bildungs- und Nachrichtensendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht zu sehr von unterhaltenden Sendungen verdrängt werden.28 Bullinger ist für entsprechende Konkretisierungen zumindest offen. So führt er aus, dass es durchaus Aufgabe des Gesetzgebers sein könnte, für Teilsparten wie Information und Kultur zeitliche Mindesterfordernisse und einen angemessenen Mindestanteil zu den publikumsstarken Tageszeiten vorzuschreiben.29 Dies sei dann möglich, wenn andere Mechanismen zur autonomen oder kooperativen Konkretisierung des Rundfunkauftrags sich als nicht genügend wirksam erweisen würden.30 Auch Thum hält Quotenregelungen als „letzten Ausweg“ ausnahmsweise für zulässig.31 Diese müssten zwar sparsam eingesetzt werden, da sie den kreativen Freiraum der Programmgewichtung der Anstalten erheblich beschränken und so den Kernbereich der Rundfunkfreiheit betreffen würden. Auch dürften sie nicht dazu führen, dass der gesamte Bereich der Programmfreiheit durch den Gesetzgeber vorgegeben werde.32 Sei dies jedoch gewährleistet, könnten derartige Quoten durchaus im Interesse der Funktion des Rundfunks zulässig sein. Als ein mögliches Beispiel nennt Thum eine Quote, nach der „mindestens 10 Prozent eines Programms kulturelle Belange betreffen“ müsse 33 Am weitesten dürften die Vorschläge von Gersdorf gehen, der im Oktober 2018 ein Rechtsgutachten im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG DOK) vorgelegt hat, einem filmund medienpolitischen Berufsverband.34 Er kommt zu dem Schluss, dass der Gesetzgeber den Anstalten durchaus einen Schwerpunkt in den Bereichen Information, Bildung und Beratung 28 Dreier/Schulze-Fielitz, GG Art. 5 Abs. 1-2 Rn. 238 mwN. 29 Bullinger, S. 110 f. 30 Ebenda. 31 Thum, K. (2007). Einfachgesetzliche Präzisierung des verfassungsrechtlichen Funktionsauftrags des öffentlichrechtlichen Rundfunks: zugleich ein Beitrag zur Dogmatik der Rundfunkfreiheit. Lang, S. 182 32 Ebenda. 33 Ebenda. 34 AG DOK, Kein „Grundrecht auf Quotenorientierung“ – AG DOK legt verfassungsrechtliches Gutachten zum Rundfunkauftrag vor, 22.10.2018, https://www.agdok.de/de_DE/verfassungsrechtliches-gutachten-rundfunkauftrag . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 060/19 Seite 9 auferlegen dürfe.35 Gersdorf argumentiert, dass derartige Schwerpunktsetzungen in besonderer Weise dem Vielfaltsgebot des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG entsprächen. Denn gerade in den Bereichen Information, Bildung und Beratung zeige der werbefinanzierte private Rundfunk seine spezifischen Schwächen.36 Die Angebotsautonomie der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten stünde einer solchen Einschränkung nicht entgegen, da sie ohnehin nur nach Maßgabe einer (verfassungsmäßigen ) Ausgestaltung des Angebotsauftrags gelte.37 Die von Hain befürchtete „Marginalisierung der Unterhaltung“ werde vermieden, da die Anstalten derartige Programme auch weiterhin senden dürften.38 Ebenso seien Sendezeitvorgaben zulässig, nach denen etwa Informationssendungen in der Hauptsendezeit ausgestrahlt werden müssten. Diese garantierten, dass die Anstalten Informationssendungen nicht „zur Unzeit“ für wenige Rezipienten ausstrahlten. Mögliche Schwerpunktvorgaben würden nur dann spezifische Wirkkraft entfalten, wenn sie auf die Hauptsendezeit bezogen seien.39 Der öffentlich-rechtliche Rundfunk habe insoweit kein „Grundrecht auf Quotenorientierung .“40 Zuletzt dürfe der Gesetzgeber auch Mindestbudgets für bestimmte (Teil-)Sparten wie etwa Dokumentationen festlegen. Dies sei eine zulässige Absicherung einer materiell-rechtlich vorgegebenen Schwerpunktsetzung in den Bereichen Information, Bildung und Beratung.41 Dem stünde auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht entgegen. Denn dies habe zwar entschieden, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten grundsätzlich selbst über die Verteilung ihrer Mittel auf einzelne Programme oder Programmsparten entscheiden könnten. Dies gelte indes nur innerhalb des (verfassungsgemäßen) Angebotsauftrags des Gesetzgebers. 42 5.2. Gegen präzise Konkretisierungen Demgegenüber steht eine Vielzahl von Autoren, welche die Ausfüllung von Inhalt und Form des Programms ausschließlich den Rundfunkanstalten zuweisen.43 Nach dieser Auffassung wäre eine Dokumentarfilmquote wohl unzulässig. 35 Gersdorf, a.a.O., S. 22. 36 Ebenda, S. 18. 37 Ebenda, S. 19. 38 Ebenda, S. 18, mit Verweis auf Hain, Flexibilisierung des Auftrags – Indexierung des Beitrags?, promedia-Ausgabe 08/18, https://www.medienpolitik.net/2018/07/medienpolitik-flexibilisierung-des-auftrags-indexierungdes -beitrags/ 39 Ebenda, S. 19 40 Ebenda, S. 18. 41 Ebenda, S. 20. 42 Ebenda, mit Verweis auf BVerfGE 87, 181, 203. 43 Eifert, S. 90., Fn. 324 mwN. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 060/19 Seite 10 Schulze-Fielitz warnt, dass staatliche Vorgaben, welche etwa das Überwiegen von Informationsgegenüber Unterhaltungssendungen festschreiben würden, nur schwer in präzisen Anforderungen zu operationalisieren seien, ohne die Verfassung zu „überfordern“.44 Nach dem verfassungsrechtlichen Auftrag seien Bildung, Information Beratung und Unterhaltung als gleichwertig anzusehen .45 Auch Bethge argumentiert, dass die Ausgestaltungsbedürftigkeit der Rundfunkfreiheit keine strikte „Durchnormierung“ zur Folge haben dürfe. Die Programmgestaltung entziehe sich angesichts der Programmfreiheit weitgehend einer gesetzlichen Determinierung, die über Generalklauseln hinausgehe.46 Eifert hat bereits 2002 im Auftrag des Norddeutschen Rundfunks ein Gutachten vorgelegt, in dem er konkrete materielle Qualitäts- und Programmstrukturvorgaben – zu denen auch eine Dokumentarfilmquote zählen würde – grundsätzlich ablehnt.47 So dürfe beispielsweise die Unterhaltung keineswegs zwangsweise zurückgefahren werden, da alle Sparten gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützt seien.48 Es drohe eine „Präzisierungsspirale“, welche die Programmautonomie bedrohe. Die Programmfreiheit bestehe gerade darin, eine andere, ebenso taugliche Möglichkeit zur Erfüllung des Programmauftrags zu wählen.49 Qualitative oder quantitative Vorgaben seien demgegenüber „systemfremd und bereits auf den ersten Blick zu stark vereinfachend.“50 5.3. Zwischenfazit zur Verfassungsmäßigkeit Es ist angesichts der Uneinigkeit im Schrifttum außerordentlich schwierig zu klären, ob eine Quotenregelung für Dokumentarfilme mit der Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs.1 S. 2 Grundgesetz vereinbar wäre. Bisher fehlen verpflichtende Quotenregelungen für einzelne Sparten sowie Vorgaben zu Sendezeiten. Bullinger führt dies auf eine restriktive Interpretation der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Programmfreiheit zurück. Man habe wegen des „vermuteten Scheiterns am Bundesverfassungsgericht“ aufgrund der dort stets betonten Programmfreiheit Abstand genommen von entsprechenden Vorstößen.51 Die jüngeren Stimmen in der Literatur legen nahe, dass dieses Verständnis der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zumindest nicht das einzig mögliche sein muss. Fraglich bleibt, ob das Bundesverfassungsgericht bei der gewählten Reihenfolge der Aufzählung der vier Inhaltskategorien der Grundversorgung – Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung – auch eine 44 Dreier/Schulze-Fielitz GG Art. 5 Abs. 1-2, 238. 45 Beck RundfunkR/Eifert RStV § 11 Rn. 52; ebenso Dreier/Schulze-Fielitz GG Art. 5 Abs. 1-2, Rn. 104. 46 Sachs/Bethge GG Art. 5 Rn. 98. 47 Eifert, a.a.O., S. 5, 90-92. 48 Ebenda, S. 90. 49 Ebenda, S. 91. 50 Ebenda, S. 147. 51 Bullinger in Liber Amicorum für Carl-Eugen Eberle, S. 138; ebenso Bullinger in Bullinger, M. (1999). Die Aufgaben des öffentlichen Rundfunks: Wege zu einem Funktionsauftrag; Studie. Verlag Bertelsmann Stiftung, S. 85. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 060/19 Seite 11 Wertung verbunden hat. Dies kann an dieser Stelle nicht abschließend bewertet werden. Es lässt sich jedoch festhalten, dass entscheidend für die Frage der Verfassungsmäßigkeit das Ausmaß der Regulierung sein wird. Das Bundesverfassungsgericht hat ebenso wie das Schrifttum stets klargestellt , dass es keine detailgenaue Regulierung geben darf.52 Auch Befürworter einer präzisen Konkretisierung sind sich darin einig, dass den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ein substanzieller Freiraum für die Gestaltung von Angeboten nach publizistischen Maßstäben verbleiben muss.53 Dies legt nahe, dass der Rundfunkgesetzgeber – sofern er eine fortschreitende Präzisierung und beispielsweise eine Dokumentarfilmquote für politisch gewollt hält – mit dem Instrument der Auftragspräzisierung sparsam umgehen sollte. Andernfalls läge die Verfassungswidrigkeit einer entsprechenden gesetzlichen Regelung nahe. 6. Alternative Regulierungsmechanismen 6.1. Soll-Vorschrift Die Verfassungsmäßigkeit einer Dokumentarfilmquote kann hier demnach nicht abschließend festgestellt werden. Sollte der Gesetzgeber aber durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken haben, ließe sich an eine Ausgestaltung der Quotenregelung als Soll-Vorschrift denken. Als Vorbild käme insoweit die Regelung des § 6 Abs. 2 RStV in Betracht, welcher eine Quote für europäische Produktionen vorsieht, aber als Soll-Vorschrift gestaltet ist.54 Auch Autoren, welche eine strikte Quote für europäische Produktionen ablehnen, sehen den verfassungsrechtlichen Konflikt durch die Regelung als Soll-Vorschrift vermieden.55 Das gleiche wäre möglicherweise der Fall bei einer Dokumentarfilmquote: Eine strikte Quote könnte als verfassungswidrig angesehen werden, eine Ausgestaltung als Soll-Vorschrift wäre demgegenüber aber zulässig. Die Ausgestaltung als Soll-Vorschrift entbindet die Anstalten zwar nicht grundsätzlich von der Pflicht zur Erfüllung der Quote, räumt ihnen jedoch einen gewissen Spielraum ein. Sie stellt klar, dass eine Nichterfüllung der Quote zumindest in atypischen Fällen oder aus wichtigem Grund hinzunehmen ist.56 Indes gibt es auch Widerspruch gegen die Regelungstechnik der Soll-Vorschrift : Eifert hält auch sie für unzulässig. Denn auch eine Soll-Vorschrift lege den Regelfall einer 52 BVerfGE 119, 132 f. 53 Gersdorf, a.a.O., S. 15, Bullinger, a.a.O., S. 100 f. 54 § 6 Abs. 2 RStV lautet: „Zur Darstellung der Vielfalt im deutschsprachigen und europäischen Raum und zur Förderung von europäischen Film- und Fernsehproduktionen sollen die Fernsehveranstalter den Hauptteil ihrer insgesamt für Spielfilme, Fernsehspiele, Serien, Dokumentarsendungen und vergleichbare Produktionen vorgesehenen Sendezeit europäischen Werken entsprechend dem europäischen Recht vorbehalten.“ 55 So Beck RundfunkR/Kröber RStV § 6 Rn. 20. 56 Spindler/Schuster, Recht der Elektronischen Medien/Döpkens RStV § 6 Rn. 24. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 060/19 Seite 12 bestimmten Programmgestaltung vor und entfalte damit eine zu weitreichende staatliche Bindungswirkung .57 Somit sei sie mit der Programmfreiheit nicht vereinbar. 6.2. Freiwillige Selbstverpflichtung Bullinger schlug bereits 1999 in einer Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung vor, eine Konkretisierung des Rundfunkauftrages durch eine Doppelstrategie umzusetzen.58 Dabei würde ein gesetzlicher Rahmen ergänzt durch eine Selbstregulierung der Anstalten. So könne man die deutschen Rundfunkanstalten gesetzlich dazu ermächtigen und verpflichten, öffentliche Selbstverpflichtungen auszuarbeiten und innerhalb dieser ihre Funktionen zu konkretisieren.59 Als Modell könnten die Selbstverpflichtungen der BBC gelten.60 Eifert hingegen hält auch ein solches Modell für unzulässig.61 Die Programmgestaltung sei eine hochdynamische Frage, welche sich für eine Selbstbindung nicht eigne. Denn könnten die Selbstdefinition der Anstalten fortlaufend angepasst werden, liefe die Selbstbindung leer. Andernfalls aber – wenn es keine Möglichkeit der Anpassung im dynamischen Bereich der Programmgestaltung gebe – werde die Beurteilungskompetenz der Anstalten durch den Staat verkürzt . So entstünde der unzulässige Anschein staatlicher Entscheidungsbefugnisse.62 **** 57 Eifert, S. 93. 58 Bullinger, M. (1999). Die Aufgaben des öffentlichen Rundfunks: Wege zu einem Funktionsauftrag; Studie. Verlag Bertelsmann Stiftung, S. 104 ff. 59 Ebenda, S. 108, 112 f., 117. 60 Ebenda. 61 Eifert, a.a.O., S. 94. 62 Eifert, a.a.O., S. 94.