Ausgewählte Rechtsfragen zum Zeugnisverweigerungsrecht für islamische Geistliche - Ausarbeitung - © 2008 Deutscher Bundestag WD 10 - 3000 - 056/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Zeugnisverweigerungsrecht für islamische Geistliche? Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 056/08 Abschluss der Arbeit: 18. Juli 2008 Fachbereich WD 10: Kultur, Medien und Sport Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. Inhalt 1. Einleitung 4 1.1. Aktueller Anlass 4 1.2. Zeugnisverweigerungsrecht für Geistliche 4 1.3. Ausgewählte Fragestellungen 5 2. Die Rechtsbegriffe „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ und „Religionsgemeinschaft“ 5 3. Status einer Körperschaft des öffentlichen Recht für das Zeugnisverweigerungsrecht eines Geistlichen 6 3.1. Bedeutung für das Zeugnisverweigerungsrecht von Geistlichen 6 3.2. Voraussetzungen der Verleihung des Status eine Körperschaft des öffentlichen Rechts an muslimische Glaubensgemeinschaften 7 3.3. Forderungen nach Ausdehnung des Begriffs des Geistlichen in § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO 8 3.4. In jedem Fall: Zusätzliche Voraussetzungen 9 4. Voraussetzungen einer Anerkennung als Religionsgemeinschaft 9 4.1. Merkmale einer Religionsgemeinschaft 9 4.2. Dachverbände als eigene Religionsgemeinschaft? 10 5. Voraussetzung für die Gewährung eines Zeugnisverweigerungsrechts 11 6. Literatur 12 - 4 - 1. Einleitung 1.1. Aktueller Anlass Durch das am 01. Januar 2008 in Kraft getretene „Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG“1, bekannt unter der Bezeichnung „Vorratsdatenspeicherungsgesetz“, wurde ein neuer § 160a in die Strafprozessordnung (StPO) eingefügt, der erstmal eine einheitliche Schutzvorschrift für alle Berufsgeheimnisträger vor staatlichen Ermittlungsmaßnahmen darstellt2. Danach sind Ermittlungsmaßnahmen, die sich gegen eine der in § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2 oder Nr. 4 StPO genannte Person richten und voraussichtlich Erkenntnisse erbringen würde, über die diese Person das Zeugnis verweigern dürfte, unzulässig und dürfen nicht verwendet werden, Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen. Damit werden Verteidiger, Geistliche und Abgeordnete vor entsprechenden Ermittlungsmaßnahmen geschützt, während für alle anderen Berufsgeheimnisträger wie zum Beispiel Rechtsanwälte, Ärzte, Journalisten und Steuerberater eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen wird, wobei das Strafverfolgungsinteresse nur in Verfahren über Straftaten von erheblicher Bedeutung überwiegt. Von Bedeutung sind Fragen des Zeugnisverweigerungsrechts Geistlicher und deren Schutz vor Ermittlungsmaßnahmen aktuell in der Debatte um den vom Bundeskabinett beschlossenen Entwurf des BKA-Gesetzes. Durch das Gesetz sollen die Ermittler des Bundeskriminalamtes zahlreiche neue Befugnisse erhalten, zu denen die Videoüberwachungen von Wohnungen ebenso zählen wie die Online-Durchsuchung privater Computer gehört. Die Novelle sieht vor, dass katholische und evangelische Seelsorger weder abgehört noch zur Aussage gezwungen werden dürfen, wenn es um eine Beichte geht. Das neue BKA-Gesetz ist dabei dem vergleichbaren § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO nachgebildet . Daher ist diese Norm auch vorrangiger Gegenstand dieser Untersuchung. 1.2. Zeugnisverweigerungsrecht für Geistliche Die Frage, welche Personen vom Begriff des Geistlichen im Sinne des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO erfasst werden, stellt sich deshalb nicht nur im Strafprozess, sondern auch im Zusammenhang mit präventiven polizeilichen Maßnahmen, wenn es darum geht, wer zu den Berufsgeheimnisträgern zählt, die beispielsweise nach § 160a Abs. 1 StPO vor staatlichen Ermittlungsmaßnahmen besonders geschützt sind. Diese Fragestellung betraf in letzter Zeit die christlichen Amtskirchen: In Zeiten zunehmenden Priesterman- 1 Das Gesetz wurde am 31.12.2007 verkündet (BGBl I 2007, Nr. 70, 3198), Art. 16 Abs. 1. 2 Fahr, DStR 2008, 375, (376). Es wird darauf hingewiesen, dass Fragen der Verfassungsmäßigkeit verschiedener Regelungen des Vorratsdatenspeichergesetz zur Zeit Gegenstand eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht sind - 5 - gels, in denen seelsorgerische Funktionen wie beispielsweise die Telefonseelsorge außer durch hauptamtlich tätige Personen in fest umrissenen Ämtern in kirchlichen Einrichtungen auch von Anderen, teilweise ehrenamtlich Tätigen wahrgenommen werden3, wurde die Reichweite des Seelsorgergeheimnisschutzes des § 53 StPO diskutiert. Ein Beschluss des Bundesgerichtshofes (BGH), dessen Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bestätigt wurde, klärte, wer dem Begriff des Geistlichen im Sinne des § 53 Abs. 1 S.1 Nr. 1 StPO unterfällt. Die Rechtsauffassungen werden im weiteren Verlauf des Gutachtens aufgegriffen. Des Weiteren wird diskutiert, ob auch muslimische Imame oder Mullahs eine Zeugnisverweigerung nach § 53 Abs. 1 S. Nr. 1 StPO und damit auch den besonderen Schutz des § 160a Abs. 1 StPO in Anspruch nehmen können. 1.3. Ausgewählte Fragestellungen Folgende Fragen zum letztgenannten Problemkreis sind Gegenstand dieser Ausarbeitung : Kann ein loser Zusammenschluss islamischer Religionsgemeinschaften selbst als Religionsgemeinschaft angesehen werden und folgt daraus, dass alle Imame oder andere Geistliche wie Mullahn oder Rechtsgelehrte der einzelnen Mitgliedsverbände und Mitgliedsgemeinden den Schutz als Berufsgeheimnisträger im Sinne des § 53 Abs. 1 S.1 Nr. 1 StPO für sich beanspruchen können? In diesem Zusammenhang werden die Rechtsbegriffe „Religionsgemeinschaft“ und „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ dargelegt und ihr Verhältnis zueinander geklärt. Es wird untersucht, ob ein loser Zusammenschluss einzelner islamischer Gemeinschaften die Anforderungen an eine Anerkennung als „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ erfüllt und welche Anforderungen Gemeinschaften erfüllen müssen, um jedenfalls als Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden. 2. Die Rechtsbegriffe „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ und „Religionsgemeinschaft “ Zentrale Begrifflichkeiten im Rahmen dieser Diskussion und Gegenstand der weiteren Untersuchung sind die Rechtsbegriffe „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ und „Religionsgemeinschaft “. Unabhängig von den einzelnen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um den Status einer „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ bzw. einer Religionsgemeinschaft zu erlangen (dazu anschließend unter 2. und 3.) soll zunächst geklärt werden, in welchem Verhältnis die beiden Begriffe zueinander stehen. Danach gibt es Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts und ohne diesen Körperschaftsstatus4. Die Körperschaften des öffentlichen Rechts stellen damit nur eine 3 Seelemann, ZevKR 49 (2004), 639, (639 f.); Bussenius/Dahs, NStZ 2007, 277, (277) 4 Pieroth/Görisch, JuS 2002, 937, (937). - 6 - Teilmenge aus der Gesamtmenge der Religionsgemeinschaften dar5. Nicht jede Gemeinschaft , die eine Religionsgemeinschaft im Sinne einzelner Gesetzesvorschriften darstellt, ist damit zwangsläufig auch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts6. Umgekehrt handelt es sich bei einer religiösen Gemeinschaft, die sogar den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts innehat, dagegen immer auch um eine Religionsgemeinschaft . Hätte beispielsweise eine Schura als loser Zusammenschluss islamischer Gemeinschaften den Status einer Körperschaft des Öffentlichen Rechtes – was anschließend zu prüfen sein wird (dazu unter 3.) – so würde es sich bei ihr auch um eine Religionsgemeinschaft im Sinne der einzelnen verfassungsrechtlichen Vorschriften handeln. Auch dies würde allerdings noch nicht zwangsläufig den Schluss zulassen, dass es sich bei den Geistlichen dieser Gemeinschaften um Geistliche im Sinne des § 53 Abs. 1 S. 1 StPO handelt, die sich auf den Schutz als Berufsgeheimnisträger berufen können (dazu unter 5.). 3. Status einer Körperschaft des öffentlichen Recht für das Zeugnisverweigerungsrecht eines Geistlichen Bevor auf die Anforderungen eingegangen wird, die erfüllt werden müssen, um als Religionsgemeinschaft im Sinne einzelner verfassungsrechtlicher Vorschriften anerkannt zu werden, soll mit Blick auf das Verhältnis der beiden Rechtsbegriffe „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ und „Religionsgemeinschaft“ zunächst untersucht werden, ob lose Zusammenschlüsse islamischer Gemeinschaften den Status einer „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ erlangen können. 3.1. Bedeutung für das Zeugnisverweigerungsrecht von Geistlichen Im Rahmen der Diskussion, wer Geistlicher im Sinne des § 53 Abs. 1 S. 1 StPO und damit Berufsgeheimnisträger mit Zeugnisverweigerungsrecht ist und vor Ermittlungsmaßnahmen gemäß § 160a StPO besonders geschützt ist, wird darüber gestritten, inwieweit es von Bedeutung ist, ob die religiöse Gemeinschaft, denen ein Geistlicher angehört , Körperschaft es öffentlichen Rechts ist. Grundsätzlich schränkt jedes Zeugnisverweigerungsrecht die Effektivität der Rechtsfindung in dem Maße ein, da durch seinen Gebrauch die Pflicht zur Erforschung der Wahrheit erschwert wird7. Deshalb ist auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes eine restriktive Auslegung der Zeugnisverweigerungsrechte geboten, die sich auf 5 Kloepfer, DÖV 2006, 45, (47). 6 Vgl. die Übersicht über die Religionsgemeinschaft in Deutschland mit dem Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts des Bundesministerium des Innern (BMI) unter www.bmi.bund.de, Stichwort: Themen/Kirchen und Religionsgemeinschaften 7 Ling, GA 2001, 325, (327). - 7 - das unbedingt erforderliche Maß beschränkt8. Was für den Prozess gilt, muss aber auch im materiellen Recht Gültigkeit besitzen, beispielsweise, wenn es um die Erfüllung der Pflicht geht, schwere Straftaten zur Anzeige zu bringen9. Daher wird gefordert, dass die privilegierte Personengruppe, hier die Geistlichen, anhand hinreichender Kriterien bestimmbar ist10. Nach ganz überwiegender Auffassung gilt das Zeugnisverweigerungsrecht des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO nur für Geistliche der christlichen Religionsgemeinschaften und andere staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts11. Andernfalls fehle es an einem entscheidenden Merkmal für die Bestimmung des Merkmals „Geistlicher“ und die nur auf öffentlichrechtlichen Gründen beruhende Vorzugstellung würde ohne Grund auf weitere Personen ausgeweitet12. Nach dieser Auffassung wären islamische Geistliche wie Imame, Mullahs und Rechtsgelehrte keine Geistlichen im Sinne des § 53 Abs. 1 S. 1 StPO, die sich auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen können, da islamische Gemeinschaften in Deutschland bisher keine Körperschaften des öffentlichen Rechts sind13. 3.2. Voraussetzungen der Verleihung des Status eine Körperschaft des öffentlichen Rechts an muslimische Glaubensgemeinschaften In neuerer Zeit wird diskutiert, ob auch Religionsgemeinschaften, die nicht der jüdischchristlichen Tradition entsprechen, den Körperschaftsstatus erlangen können. Die historisch gewachsene Konzeption geht dabei von einer Religionsgemeinschaft aus, die als öffentlich-rechtlicher Verein strukturelle Ähnlichkeit mit einer hoheitlichen Gebietskörperschaft besitzt, der alle Gläubigen eines bestimmten Gebiets angehören und die befugt ist, deren religiöse Angelegenheiten umfassend zu vertreten14. Eine Religionsgemeinschaft muss deshalb gemäß Art. 137 Abs. 5 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) die „Gewähr der Dauer“ aufgrund ihrer Mitgliederzahl und durch ihre „Verfassung“ bieten 15, wenn sie den Status einer Körperschaft erlangen will. 8 BVerfGE 33, 367, (383); BVerfGE 38, 312, (323). 9 Ling, GA 2001, 325, (327). 10 De Wall, NJW 2007, 1856, (1857). 11 Dahs, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 53, Rn. 23; Ling, GA 2001, 325, (327); Meyer-Großner, StPO, § 53, Rn. 12; Pfeiffer, StPO, § 53, Rn. 3; 12 Dahs, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 63, Rn. 20. 13 Bussenius/Dahs, NStZ 2007, 277, (277). Vgl. auch hierzu die Übersicht über die Religionsgemeinschaft in Deutschland mit dem Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts des Bundesministerium des Innern (BMI) unter www.bmi.bund.de, Stichwort: Themen/Kirchen und Religionsgemeinschaften . 14 Kloepfer, S. 48. 15 Hollerbach, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, Heidelberg 2001, § 138, Rn. 135. - 8 - Um nach Art. 140 i. V. m. Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV die Gewähr der Dauer zu bieten, muss die Religionsgemeinschaft so strukturiert sein, dass sie in der Lage ist, mit dem Staat in den vielen Bereichen, die mit Verleihung eines Körperschaftsstatus verbunden sind, langfristig zusammenzuarbeiten. Eine derartige Kooperationsfähigkeit setzt daher voraus, dass es eine eindeutige Regelung der Vertretung nach außen gibt. Vor allem bedarf es einer Instanz, die authentisch und verbindlich über Lehre und Ordnung zu entscheiden hat und hierüber Auskunft geben kann16. Eine derartige auf Dauer eingerichtete Autorität ist dem Islam jedoch fremd17. Hieran wird eine Regelung ähnlich wie für den Zentralrat der Juden und die christlichen Kirchen nach der derzeit gültigen Rechtsordnung scheitern18. Danach würden auch lose Zusammenschlüsse einzelner muslimischer Gemeinschaften wie eine Schura den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht erlangen. 3.3. Forderungen nach Ausdehnung des Begriffs des Geistlichen in § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO Vereinzelt wird gefordert, das Zeugnisverweigerungsrecht des § 53 Abs. 1 Nr.1 StPO auf solche Geistliche auszudehnen, deren Religionsgemeinschaft nicht den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts hat19. Geistlicher im Sinne des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO sollen demzufolge alle Religionsdiener sein, denen unter Heraushebung aus der Gemeinde das Amt des religiösen Vollzugs und der seelischen Betreuung nach der in der Gemeinschaft herrschenden Art anvertraut ist20. Eine Beschränkung des Zeugnisverweigerungsrechtes auf Geistliche von öffentlich-rechtlichen Körperschaften wird abgelehnt, da diese Auffassung gewissen religiösen Gruppen entgegen den Grundsätzen der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) und der Gleichheit (Art. 3 Abs. 2 GG) den gesetzlichen Schutz entziehe21. Die Beschränkung auf Angehörige solcher Gemeinschaften , die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, stoße wegen des Grundsatzes der Parität und religiösen Neutralität des Staates auf Bedenken, zumal fraglich sei, ob der Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts, der an Formalia anknüpfe, für die 16 Hollerbach, in: Isensee/Kirchhof, § 138, Rn. 135. 17 Sierck, Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, WF III G-151/06, S. 6 f.; siehe hierzu auch Rohe, Zur Stellung des Islam in der deutschen Rechtsordnung, in: Christen und Muslime: Verantwortung zum Dialog, hrsg. von den Evangelischen Akademischen in Deutschland, Darmstadt 2006, 217, (229). 18 Sierck, Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, WF III G-151/06. Diese Frage hat Kloepfer, 44, (52) bewusst offen gelassen. 19 Peters, Strafprozess, 4. Auflage, 1995, S. 350; Haas, NJW 1990, 3253, (3254). 20 Peters, Strafprozess, 4. Auflage, 1995, S. 350. 21 Peters, Strafprozess, 4. Auflage, 1995, S. 350. - 9 - Frage von Bedeutung sein könne, ob das Vertrauensverhältnis ihrer „Geistlichen“ zu den Gläubigen schützenswert ist22. 3.4. In jedem Fall: Zusätzliche Voraussetzungen Unabhängig vom Status der Gemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts bedarf es für die Einräumung eines Zeugnisverweigerungsrechts in jedem Fall weitere Voraussetzungen (dazu unter 5.). Wenn die Gemeinschaft den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzt, bedeutet dies also nicht, dass sich jeder Geistliche dieser Gemeinschaft zwangsläufig auf das Zeugnisverweigerungsrecht berufen kann. Dies zeigt bereits die Diskussion darüber, unter welchen Voraussetzungen Ehrenamtliche, die in den christlichen Amtskirchen seelsorgerisch tätig sind (z.B. in der Telefonseelsorge), Geistliche im Sinne des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO sind. Und selbst wenn man auf die Voraussetzung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts – wie teilweise gefordert - verzichten würde, hätte dies nicht unbedingt zur Folge, dass islamischen Geistlichen ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht23. 4. Voraussetzungen einer Anerkennung als Religionsgemeinschaft Handelt es sich bei losen Zusammenschlüssen islamischer Gemeinschaften wie einer Schura jedenfalls um Religionsgemeinschaften und lassen sich daraus Rückschlüsse auf einen Anspruch der Geistlichen der einzelnen Mitgliedsverbände und –gemeinden auf Einräumung eines Zeugnisverweigerungsrechts ziehen? 4.1. Merkmale einer Religionsgemeinschaft Zunächst ist festzuhalten, dass die Begriffe der Religionsgesellschaft und der Religionsgemeinschaft gleichbedeutend sind. Dass das Grundgesetz in den durch Art. 140 GG inkorporierten Vorschriften der Art. 137 ff. WRV von „Religionsgesellschaften“ spricht, während in Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG von Religionsgemeinschaften die Rede ist, ist rein entstehungsgeschichtlich bedingt24. Der Begriff der Religionsgemeinschaft ist ein einheitlicher, d.h. er hat überall im Recht die die gleiche Bedeutung25. Davon zu unterscheiden ist die Herleitung von Aussagen aus anderen Normen oder Normbestandteilen: So geht es beispielsweise bei der Erteilung von Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen nicht nur um Religionsgemeinschaften und ihre Grundsätze, sondern auch darum , dass dieser Unterricht gemäß Art. 7 Abs. 3 GG als „ordentliches Lehrfach qualifiziert wird und unter „staatlicher Aufsicht steht. Hieraus und nicht aus einem uminterpre- 22 Bussenius/Dahs, NStZ 2007, 277, (277). 23 Anschaulich: Bussenius/Dahs, NStZ 2007, 277, (277). 24 Pieroth/Göritsch, JuS 2002, 937, (937). 25 Pieroth/Göritsch, JuS 2002, 937, (940). - 10 - tierten Begriff der Religionsgemeinschaft ergeben sich bestimmte Anforderungen, die in anderen Tätigkeitsfeldern der Religionsgemeinschaften (z.B. bei Rechtsfragen, die mit dem Schächten verbunden sind) nicht stellen26. Eine Religionsgemeinschaft ist durch drei Kriterien gekennzeichnet: Erstens muss ein religiöser Konsens bestehen. Auf der Basis dieses Konsenses ist zweitens ein personeller Zusammenschluss erforderlich. Dieser Zusammenschluss muss drittens einer umfassenden Verwirklichung des religiösen Konsenses auf der gemeinschaftsbezogenen Handlungsebene dienen27. 4.2. Dachverbände als eigene Religionsgemeinschaft? Umstritten ist, ob Dachverbände, die sich aus Zusammenschlüssen einzelner religiöser Gemeinschaften ergeben, eine (neue) Religionsgemeinschaft darstellen. Das Oberverwaltungsgericht Münster vertrat in einem Fall, in dem der Islamrat und der Zentralrat der Muslime vergeblich unter Berufung auf Art. 7 Abs. 3 GG die Einführung eines eigenen regulären Religionsunterricht beantragt hatten, dass ein Dachverband als Zusammenschluss von Vereinen und Verbänden keine Religionsgemeinschaft28. Es wird angemerkt , dass das OVG Münster wohl zu der Annahme neigt, die Begriffsmerkmale von Religionsgemeinschaften seien „im deutschen Islam“ am ehesten im lokalen Bereich anzutreffen29. Dieser Auffassung hat das Bundesverwaltungsgericht widersprochen. Es vertritt die Auffassung, dass auch eine Dachverbandsorganisation grundsätzlich eine Religionsgemeinschaft (im Sinne des Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG) darstellen kann, allerdings nur dann, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind: Ausreichend ist, dass die Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit durch ein organisatorisches Band zusammengehalten wird, das vom Dachverband an der Spitze mit seinen Gremien bis hinunter zum einfachen Gemeindemitglied reicht. Im Dachverbandsmodell ist der Gesamtorganismus die Religionsgemeinschaft , seine selbstständigen Untergliederungen sind deren Teil und können nach außen hin Rechte geltend machen, die ihnen kraft innerer Verfassung der Religionsgemeinschaft zusteht. Es bedarf keiner gelebten Gemeinschaft natürlicher Personen auf der Ebene des Dachverbandes. Aufgaben, die für die Identität einer Religionsgemeinschaft wesentlich sind, müssen auch auf der Dachverbandsebene wahrgenommen werden . Dem Dachverband müssen identitätsstiftende Aufgaben zur selbstständigen Erledigung zugewiesen werden, die über eine bloße Koordinierungsfunktion hinausgehen. 26 Pieroth/Göritsch, JuS 2002, 937, (940). 27 Pieroth/Göritsch, JuS 2002, 937, (940). 28 OVG Münster, NWVBl. 2004, 224, (225 ff.). 29 Stock, NVwZ 2004, 1399, (1403). - 11 - Schließlich muss die Tätigkeit des Dachverbandes in der Weise auf die Gläubigen in den örtlichen Vereinen bezogen sein, dass sie sich als Teil eines gemeinsamen Glaubensvollzugs darstellt, der alle diese Gläubigen umfasst. Ob die klagenden Dachverbände nach diesen Grundsätzen als Religionsgemeinschaften anzusehen sind, vermochte das Bundesverwaltungsgericht nicht zu beurteilen und verwies die Fragestellung zurück an die Vorinstanz. Mit Blick auf die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Kriterien scheint es jedoch fraglich, ob lose Zusammenschlüsse wie eine Schura Dachverbände darstellen, die selbst Religionsgemeinschaften sind. Es bleibt jedoch festzuhalten: Selbst wenn es sich bei einer Schura um eine Religionsgemeinschaft im Rechtsinne handeln würde, so würde dies (wie auch der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts) nicht automatisch ein Zeugnisverweigerungsrecht im Sinne des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO der Geistlichen der einzelnen Mitgliedsverbände bzw. Mitgliedsgemeinden zur Folge haben. 5. Voraussetzung für die Gewährung eines Zeugnisverweigerungsrechts Selbst wenn ein „Geistlicher“ Teil einer Religionsgemeinschaft ist, die den Status einer Körperschaft hat, so hat dies - wie bereits dargelegt - zur Folge, dass es sich um einen Geistlichen im Sinne des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO mit Zeugnisverweigerungsrecht handelt. Dies gilt selbst dann, wenn man entgegen der ganz herrschenden Auffassung auf das Erfordernis des Körperschaftsstatus verzichtet. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat für ein Berufsbild feste Kriterien aufgestellt , die erfüllt sein müssen, damit das Berufsbild es rechtfertigt, eine Ausnahme von dem durch das Rechtsstaatsprinzip gebotenen Zeugniszwangs zuzulassen30. Danach ist zunächst vorauszusetzen, dass ein einheitliches, klar umrissenes Berufsbild geschaffen werden muss. Das Gericht machte weiter zur Voraussetzung, dass die Angehörigen der Berufe, die vom Zeugniszwang freizustellen sind, unabhängig und eigenverantwortlich ihre Tätigkeit ausüben, hinsichtlich der privilegierten Tätigkeit also Weisungen im Einzelfall nicht unterworfen sind31. Schließlich wird noch eine Standesaufsicht gefordert, die mit Disziplinargewalt ausgestattet ist, um berufliche Verschwiegenheits- und Standesgebote zu überwachen und ihre Verletzung zu ahnden. Während das Bundesverfassungsgericht ein konkretes Berufsbild fordert, scheint der Bundesgerichtshof (BGH)32 dies dagegen nicht als zwingende Voraussetzung anzusehen , sondern lässt bereits die förmliche Übertragung seelsorgerischer Aufgaben zur 30 BVerfGE 33, 367 ff.; zuletzt: BVerfG, Beschl. v. 25.01.2007– 2 BvR 26/07, NJW 2007, 1865. 31 BVerfGE 33, 383, (386). 32 BGH, Beschl. v. 15.11.2006 – StB 15/06, NJW 2007, 307. - 12 - selbstständigen Wahrnehmung, die Hauptamtlichkeit der Aufgabe (so auch das BVerfG) sowie das eigenständige Vertrauensverhältnis (als Elemente der Vergleichbarkeit mit einem Kleriker oder ordinierten Pfarrer) ausreichen33. Fordert man also mit der ganz herrschenden Lehre, dass die Gemeinschaft, welcher der Betroffene angehört, den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts innehat, so sind zusätzlich die hier genannten Anforderungen an jene zustellen, die ein Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch nehmen wollen. Definiert man den Begriff des Geistlichen im Sinne des § 53 Abs. 1 S. 1 StPO unabhängig vom Körperschaftsstatus, so würde es bei der Frage ob muslimische Imame oder Mullahs eine Zeugnisverweigerung in Anspruch nehmen können, nach dem BGH wohl nicht darauf ankommen, ob der Islam eine Institution praktiziert, die der christlichen „Weihe“ vergleichbar ist; nach den Voraussetzungen des Bundesverfassungsgerichtes müsste man die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO wohl verneinen34. 6. Literatur Bussenius, Anne; Dahes, Hans (2007). Zum Zeugnisverweigerungsrecht eines Geistlichen i.S.d. § 53 I Nr. 1 StPO. Neue Zeitschrift für Strafrecht 2007, S. 277. Fahr, Robert (2008), Die Neuregelung der Kommunikationsüberwachung. Deutsches Steuerrecht, S. 375. Isensee, Josef (Hrsg.), (2001), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, Freiheitsrechte, 2. Auflage, Verlag C.F. Müller, Heidelberg [u.a.]. Kloepfer, Michael (2006). Der Islam in Deutschland als Verfassungsfrage. Die öffentliche Verwaltung 2006, S. 45. Ling, Michael A. (2001). Zum Geistlichenprivileg im Strafrecht. Goldammer´s Archiv für Strafrecht 2001, S. 325. Löwe, Ewald (Begr.), Rieß, Peter (Hrsg.); Rosenberg, Leo (Begr.), (1999), Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz: Großkommentar, Erster Band, 25., neubearbeitete Auflage, De Gruyter, Berlin [u.a.]. Meyer-Großner, Lutz (2007), Strafprozessordnung: Gerichtsverfassungsgesetz, Nebengesetze und ergänzende Bestimmungen; [mit GVG und Nebengesetzen], 50., neu bearbeitete Auflage, Beck. 33 Bussenius/Dahs, NStZ 2007, 277, (277). 34 Bussenius/Dahs, NStZ 2007, 277, (277). - 13 - Peters, Karl (1985), Strafprozess, 4. Auflage, Müller, Juristischer Verlag, Heidelberg. Pieroth, Bodo; Görisch, Christoph (2002). Was ist eine Religionsgemeinschaft? Juristische Schulung 2002, S. 937. Seelemann, Ulrich (2004). Der Begriff des Geistlichen im Strafprozessrecht. Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 49 (2004), S. 639. Sierck, Gabriela M (2006), Religionsrechtliche Regelungen für Juden und Muslime. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (WF III G-151/06). Berlin. Deutscher Bundestag. Stock, Martin (2004). Einige Schwierigkeiten mit islamischem Religionsunterricht. Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2004, S. 1399. Wall, Heinrich de (2007). Der Schutz des Seelsorgergeheimnisses (nicht nur) im Strafverfahren ). Neue Juristische Wochenschrift 2007, S. 1856.