Deutscher Bundestag Die Folgen des Zweiten Weltkriegs für Kunst- und Kulturgüter: Kunstraub, Beutekunst und „entartete Kunst“ Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 10 - 3000 - 055/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 055/12 Seite 2 Die Folgen des Zweiten Weltkriegs für Kunst- und Kulturgüter: Kunstraub, Beutekunst und „entartete Kunst“ Verfasser: Aktenzeichen: WD 10 - 3000 - 055/12 Abschluss der Arbeit: 8. Juni 2012 Fachbereich: WD 10: Kultur, Medien und Sport Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 055/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter („NS-Raubkunst“) 4 3. Die Aktion „Entartete Kunst“ und die nationalsozialistische Kunst- und Kulturpolitik 10 4. Die Rückführung kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter 17 5. Literatur 20 6. Anlage 24 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 055/12 Seite 4 1. Einleitung Die Kunst- und Kulturpolitik im nationalsozialistischen Deutschland in der Zeit von 1933 bis 1945 ist eng verknüpft mit „NS-Raubkunst“, „Entartete Kunst“ und „Beutekunst“. Der Begriff „NS-Raubkunst“ steht für den massiven rechtswidrigen Entzug von Privateigentum im Kontext von Diskriminierung, Entrechtung, Verfolgung und letztlich Vernichtung durch das NS-Regime.1 Unter dieser Art von Raubkunst versteht man ausschließlich Kulturverluste, die dadurch entstanden sind, dass das NS-Regime Sammler – also Privatpersonen – verfolgt, erpresst, ihres Besitzes beraubt und in vielen Fällen ermordet hat. Anders sind die Eingriffe und Auswirkungen bei der Aktion „Entartete Kunst“ und bei der „Beutekunst“ (Kurzbezeichnung für „kriegsbedingt verlagerte Kulturgüter“) zu betrachten, da in beiden Fällen vor allem staatliche Einrichtungen betroffen waren.2 Bei der Aktion „Entartete Kunst“ stand die Kunst selbst im Visier der staatlichen Verfolgung. Maler, Schriftsteller und Komponisten erhielten – soweit sie nicht emigriert waren – Arbeits- und Ausstellungsverbot. Besonders seit der Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 in München wurden alle dem Nationalsozialismus missliebigen und von ihm bekämpften modernen Kunststile unter entartete Kunst zusammengefasst. In erster Linie wurden Kunstwerke aus öffentlichen Sammlungen beschlagnahmt und dann vernichtet oder später durch die 1983 vom Reichspropagandaminister Goebbels gegründeten Kommission zur Verwertung der beschlagnahmten Werke entarteter Kunst als Devisenbringer ins Ausland verkauft. Privateigentum war dann betroffen, wenn es sich als Depositum im Museum befand oder in öffentlichen Auktionen angeboten wurde. Anders gelagert ist der Sachverhalt bei kriegsbedingt verlagerten Kulturgütern (Beutekunst). Hier geht es um Gegenstände, die sich jemand in einem Krieg oder kriegsähnlichen Zustand widerrechtlich (entgegen Art. 56 der Haager Landkriegsordnung ) aneignet. In dieser Hinsicht fand im Zeitraum zwischen 1933 und 1945 eine Verlagerung von Kulturgütern statt, die in ihrem gesamten Ausmaß bis heute noch nicht restlos aufgearbeitet ist. Insbesondere während des Zweiten Weltkrieges wurden Millionen von Kulturgütern entwendet und an andere Standorte verbracht. Gerade die nationalsozialistischen Besatzer raubten systematisch Kunstgegenstände vor allem in den mittel- und osteuropäischen Ländern und rissen viele Sammlungen auseinander. Zahlreiche Kunstschätze wurden zerstört. 2. NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter („NS-Raubkunst“) Während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wurden zahlreiche Eigentümer von Kunstund Kulturgütern wegen rassischer, politischer oder weltanschaulicher Verfolgung enteignet. Viele mussten ihren Besitz veräußern oder konnten ihn bei Flucht und Emigration nicht mitführen . Hierbei geht es um den Raub vor allem an den jüdischen Mitbürgern und den als Juden Verfolgten, sowohl innerhalb des deutschen Reichs von 1933 bis 1945, wie in allen von den 1 Juristisch wird der Begriff mit „NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter" eingegrenzt. In Anlehnung an den englischen Ausdruck „nazi looted art“ wird der Begriff NS-Raubkunst jedoch auch für die Gesamtheit der von Nationalsozialisten geraubten Kunst verwendet (SCHNABEL und TATZKOW 2007). Er ist damit sowohl Teil der kriegerischen Beutekunst wie Oberbegriff für den Raub durch den deutschen Staat an seiner eigenen Bevölkerung und an seinen öffentlichen Sammlungen im Fall der sogenannten „entarteten Kunst". 2 Vgl. zu den begrifflichen Abgrenzungen ausführlich ODENDAHL und WEBER (2010), ANTON (2010a, 2010b, 2011), VOGEL (2010) sowie GORNIG (2007). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 055/12 Seite 5 Deutschen während des Zweiten Weltkriegs besetzten Gebieten. Der Raub fand auf der Grundlage einer Vielzahl von gesetzlichen Regelungen und unter Beteiligung diverser Behörden und eigens dafür eingerichteten Institutionen statt.3 Mit der Verfolgung und der Verdrängung der Juden aus der deutschen Gesellschaft wurde von Anbeginn auch deren Beraubung propagiert und durchgeführt . Berufsverbote, erpresste Geschäftsaufgaben, Kontrolle und spätere Beschlagnahme der Vermögen zerrütteten, neben der sozialen, die wirtschaftliche Existenz der Verfolgten. In enger Zusammenarbeit zwischen Finanzverwaltung, Devisenstellen und Gestapo wurden die Vermögen wohlhabender Juden erfasst, kontrolliert und die Verfügungsgewalt darüber beschränkt. Mit dem Generalverdacht der „Kapitalflucht" begründet, konnte der Zugriff auf das eigene Konto per Sicherungsanordnung gesperrt werden. Die Vermögensfreigrenzen wurden wiederholt gesenkt, so dass Emigranten durch die Reichsfluchtsteuer weitgehend enteignet wurden. Parallel dazu wurden Juden im konventionellem Steuerrecht benachteiligt: Man gruppierte sie in höhere Steuerklassen ein, strich ihnen Freibeträge und Kinderermäßigungen und versagte jüdischen Gemeinden die Anerkennung als „gemeinnützig“.4 Diese Eingriffe in das Vermögen betrafen von Anbeginn auch die Kunstwerke und Kunstsammlungen der Verfolgten. Zur Sicherung des Lebensunterhalts oder zur Finanzierung der Auswanderung haben Betroffene eine Vielzahl Gemälde, Zeichnungen, Grafiken und Skulpturen, aber auch Bücher und Antiquitäten verkauft oder in Auktionen gegeben. Vormals bedeutende Sammlungen wurden aufgelöst, Menschen, die wenige Jahre zuvor noch Wohltäter und Mäzene des kulturellen Lebens waren, unter Druck gesetzt, begehrte Kunstwerke der Verfügungsgewalt der Eigentümer entzogen. Jedoch bewirkten sowohl das Überangebot wie auch der Druck, unter dem die Verkäufer standen, einen Preisverfall, so dass viele Werke weit unter ihrem Wert verkauft wurden (FLECKNER 2007, 2009; HAUG und STEINKAMP 2010). Nach dem sogenannten Anschluss Österreichs am 12. März 1938 wurden binnen weniger Tage gezielt die bekannten Kunstsammlungen beschlagnahmt und in einem zu diesem Zweck eingerichteten Zentraldepot in der Wiener Hofburg sichergestellt. Adolf Hitler sicherte sich den ersten Zugriff auf die hochwertigen Kunstschätze und Altmeister-Gemälde unter anderem der Sammlung Louis Rothschilds. Legitimiert wurde dies im Nachhinein am 26. April 1938 mit der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden.5 Hinter dem bürokratischen Titel verbergen sich Verfügungsbeschränkungen und die Möglichkeiten der Sicherstellung von Vermögenswerten . Dieses Gesetz, das zunächst für die sogenannte „Arisierungspolitik“ Österreichs gedacht war, wurde dann auch auf das gesamte Reichsgebiet ausgeweitet. Der Angriff auf das jüdische Eigentum wurde daraufhin mit der Annektierung und der Besetzung von Ländern im Zweiten Weltkrieg auf alle unter die Herrschaft des Nationalsozialismus geratenen Territorien übertragen und ausgeweitet. Während die Nationalsozialisten dem Kunstraub in Westeuropa 3 Er unterscheidet sich von dem Begriff der Beutekunst, der kriegsbedingt verbrachte Kulturgüter benennt, sich also auf die Beute eines Besatzers im Krieg bezieht. Der Begriff Raubkunst geht insofern über den der Beutekunst hinaus, da er den Kunstraub an Bürgern des eigenen Landes und vor dem Zweiten Weltkrieg einbezieht. In den Fällen des Raubs während des Kriegs, in den von den Deutschen besetzten Gebieten an der dortigen jüdischen und verfolgten Bevölkerung, liegt eine Überschneidung der Begriffe vor. Gemeinhin wird in diesem Fall von Raubkunst gesprochen und damit der Aspekt der Verfolgung in den Vordergrund gestellt (ANTON 2010a). 4 Vgl. dazu ausführlich STENGEL (2007), KULLER (2008), HOCKERTS u. a. (2004). 5 Der Wortlaut findet sich unter http://www.verfassungen.de/de/de33-45/juden38-2.htm [Stand 06.06.12]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 055/12 Seite 6 noch äußerlich einen legalen Anstrich gaben, wurde im besetzten Osteuropa auf solche „Verrechtlichungen “ weitgehend verzichtet. Es wurden keine rechtsförmigen Verordnungen, sondern lediglich allgemeine Regelungen zur Enteignung der Juden erlassen. Von Beginn an erfolgten die willkürlichen wie systematischen Plünderungen und vorsätzlichen Zerstörungen, die in starkem Maße Juden, aber auch Nicht-Juden galten, nahezu zeitgleich mit den Deportationen und der Ghettoisierung der Bevölkerung, den Massenerschießungen und Massenmorden. Ein zentrales Ziel war es, alle Wurzeln der Kultur zu zerstören. Museumsbestände wurden geplündert, Kunstwerke aus privaten Sammlungen beschlagnahmt und von Personen geraubt, die aus politischen oder rassischen Gründen verfolgt wurden (STENGEL 2007; SCHNABEL und TATZKOW 2007; BERTZ und DORRMANN 2008).6 Die Zahl der bis heute nicht an die rechtmäßigen Eigentümer zurückgegebenen Kunstwerke, die weltweit verstreut in Privatbesitz, öffentlichen Sammlungen, Museen und Kunstausstellungen vermutet werden, lässt sich nicht genau beziffern. Über die Dimension der geraubten Güter, die nicht in die Depots gelangten, die entweder unwiederbringlich zerstört, anderweitig untergebracht oder privat verwendet wurden, können deshalb nur Spekulationen angestellt werden. Mit Ende des Zweiten Weltkrieges konnten die alliierten Besatzungsmächte einen großen Teil zumindest jener geraubten Kunstwerke, die in Depots der Nationalsozialisten aufgefunden wurden, sicherstellen und an die jeweiligen Ursprungsländer restituieren. Gleichzeitig kamen aber auch viele Raubkunstwerke in den internationalen Kunsthandel oder in öffentliche Sammlungen (HARTUNG 2005; ANTON 2010a).7 Der größte Teil der aufgefundenen Kunstwerke befand sich in Bayern und damit in der amerikanisch besetzten Zone. Aus diesem Grund wurden die Grundsätze der Rückgabe stark durch US-amerikanisches Recht geprägt. Die vorgefundenen Kunstwerke wurden zunächst in sogenannten „Collecting Points" gesammelt und vorsortiert. Aus den örtlichen Gegebenheiten ergab es sich, dass im ehemaligen Verwaltungsbau der NSDAP und im Führerbau am Königsplatz in München der bedeutendste Sammelpunkt für Raubkunst, der „Central Art Collecting Point" entstand.8 Die Alliierten legten 1952 mit dem Überleitungsvertrag die Restitutionen in deutsche Verantwortung unter den Vorgaben, dass sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtete, diejenigen Personen, die aus rassischen, politischen oder religiösen Gründen verfolgt worden waren, wirksam zu entschädigen. Im Rahmen der daraus folgenden Wiedergutmachungspolitik wurde eine 6 Bei Zahlenangaben ist es zudem wichtig, zwischen Kunstwerken und Kulturgütern zu unterscheiden. Der Begriff des Kunstwerks wird allgemein für Produkte künstlerischen Schaffens verwendet und bezeichnet insbesondere Gemälde, Grafiken und bildhauerische Werke. Die Bezeichnung Kulturgüter als Ergebnisse künstlerischer Produktion ist weiter gefasst: Unter diesem Ausdruck werden auch Kunsthandwerk, Gold- und Silberschmiede, Porzellan und Fayence, Schmuck, Münzen, Bücher, Möbel, antike Kunst und vieles mehr verstanden. Da die Abgrenzung teilweise schwierig ist und zudem die Zählweisen verschieden sind (so wurden Grafikmappen zum Beispiel mancherorts mit den anteiligen Blättern gezählt und andernorts als einziges Konvolut), variieren die Zahlen selbst bei den wiederaufgefundenen Werken erheblich. 7 Die Probleme der Restitution wurden von Anbeginn durch den Kalten Krieg und die Grenzziehung zwischen Ost und West verschärft. In vielen Fällen haben die Regierungen der Staaten die Kunstwerke ungeachtet ihrer Herkunft in die eigenen Sammlungen aufgenommen, teilweise auch in späteren Jahren verkauft. Daraus sind bis zum heutigen Tage sehr verschiedene länderspezifische Probleme und Rechtssituationen entstanden. 8 Eine Datenbank des Deutschen Historischen Museums zum „Central Collecting Point München" findet sich unter www.dhm.de/datenbank/ccp/dhm_ccp.php?seite=9 [Stand 06.06.12]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 055/12 Seite 7 Reihe von Gesetzen erlassen, die die Rückgaben von Eigentum und die Entschädigung der Verfolgten behandelten. Dazu gehört insbesondere das Luxemburger Abkommen von 1952 (Reparations Agreement between Israel and West Germany)9, mit dem sich die Bundesrepublik verpflichtete, Entschädigungsgesetze zu schaffen und insgesamt 3,5 Milliarden DM als globale Erstattung für Verfolgung, Sklavenarbeit und geraubtes jüdisches Eigentum an Israel und die Jewish Claims Conference (JCC) zu leisten. Diese Mittel sollten unter anderem zur Eingliederung der nach Israel ausgewanderten mittellosen, vor allem osteuropäischen Juden eingesetzt werden. Hinzu kam das Bundesergänzungsgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (BergG) von 1953; das Gesetz sah die Entschädigung der an Leben, Körper und Gesundheit, Freiheit, Eigentum und Vermögen erlittenen Einbußen vor. Es bezog auch die während der NS-Zeit erlittenen Abgabeschäden z. B. durch die Reichsfluchtsteuer oder die Judenvermögensabgabe mit ein. Antragsberechtigt waren deutsche Staatsangehörige, die ihren Wohnsitz in Westdeutschland haben mussten. Das Bundesentschädigungsgesetz (BEG)10 von 1956 erweiterte den Kreis der Personen, die als Verfolgte angesehen wurden, und umfasste weitere Tatbestände, schloss allerdings Ansprüche von Personen mit Wohnsitz im Ausland weiterhin aus. Russische Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, Kommunisten, Roma, Jenische, Euthanasieopfer, Zwangssterilisierte, „Asoziale" und Homosexuelle blieben unberücksichtigt. Mit dem Bundesrückerstattungsgesetz (BRüG) von 1957 verpflichtete sich die Bundesrepublik, Schadenersatz für entzogene und nicht mehr auffindbare Vermögenswerte zu leisten, soweit diese Gegenstände auf das Gebiet der Bundesrepublik gelangt waren. Es bezog somit ausdrücklich die Rückerstattung des Vermögens ein, das in West- und Osteuropa geraubt worden war, wenn der Nachweis erbracht werden konnte, dass das Raubgut nach Westdeutschland verschleppt wurde. Die Frist zur Anmeldung der Ansprüche nach diesem Gesetz endete am 31. März 1959. Das BEG-Schlussgesetz von 1965 schließlich sollte ausdrücklich die „nationale Ehre" wiederherstellen und einen „würdigen Schlussstrich" setzen, es enthielt zahlreiche Verbesserungen , Verlängerungen von Fristen und Ausnahmen für Härtefälle. Abschließend wurde damit festgelegt , dass nach dem 31. Dezember 1969 keine Anträge mehr eingereicht werden konnten.11 Sowohl die alliierten Maßnahmen wie auch die Restitutionen der Bundesrepublik Deutschland in den 1950er und 1960er Jahren wurden vielfach als unzureichend angesehen. Nur wenige Kunstwerke wurden in der frühen Nachkriegszeit restituiert. Die Rückerstattungsgesetze mit ihren knappen Fristen griffen zu kurz, außerdem lebten von den ehemaligen Eigentümern nur wenige noch in Deutschland. In der sowjetischen Besatzungszone bzw. der DDR hingegen fanden nur wenige Rückerstattungen statt, da nach der damaligen Geschichtsschreibung „die faschistische Machtübernahme durch die Monopolkapitalisten verursacht und die Arbeiterklasse missbraucht" 9 Das Luxemburger Abkommen ist ein am 10. September 1952 geschlossenes Übereinkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland auf der einen Seite sowie Israel und der Jewish Claims Conference (JCC) auf der anderen. Vgl. dazu www.auswaertiges-amt.de/DE/AAmt/PolitischesArchiv/AusstellungTagDerOffenenTuer/ LuxemburgerAbkommen_node.html [Stand 06.06.12]. 10 Das Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, wurde am 29. Juni 1956 rückwirkend zum 1. Oktober 1953 in der Bundesrepublik Deutschland verabschiedet, nachdem die ursprüngliche Vorlage vom 18. September 1953 keine Berücksichtigung gefunden hatte. 11 Ausführlich hierzu in der Broschüre des BMF „Entschädigung von NS-Unrecht - Regelungen zur Wiedergutmachung“ (BMF 2011). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 055/12 Seite 8 worden war und nun nicht zur Verantwortung zu ziehen sei. Dem entsprechend gab es auch keine gesetzliche Regelung (SPANNUTH 2000; HARTUNG 2005).12 Mit der deutschen Wiedervereinigung 1990 änderte sich die Situation. In der öffentlichen Diskussion , erwachsen aus der Forderung nach Rückerstattungen von sozialisiertem Eigentum, entstand eine neue Debatte um den Raub des Eigentums der Verfolgten und Ermordeten im Nationalsozialismus . Zum 29. September 1990 wurde durch das noch bestehende DDR-Parlament das Vermögensgesetz erlassen mit dem Ziel, die Eigentumsverluste seit 1945 rückgängig zu machen. Auf Druck jüdischer Organisationen wurde das Gesetz dergestalt ergänzt, dass nun auch Eigentumsverluste aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen in der Zeit zwischen 1933 und 1945 in die Restitution berücksichtigt wurden. Damit sollten die im Rahmen der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen im September 1990 von Deutschland übernommenen Wiedergutmachungsverpflichtungen des alliierten Rückerstattungsrechts erfüllt werden (BERTZ und DORRMANN 2008). Im Dezember 1998 wurde auf der „Washington Conference on Holocaust-Era Assets" (Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust), an der 44 Staaten, zwölf nicht-staatliche Organisationen, insbesondere jüdische Opferverbände, sowie der Vatikan teilnahmen , die so genannte „Washingtoner Erklärung" mit elf Leitsätzen unterzeichnet. Damit verpflichteten sich die Unterzeichnenden, Kunstwerke, die während der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmt wurden, ausfindig zu machen, die rechtmäßigen Eigentümer oder deren Erben zu finden und rasch die notwendigen Schritte zu unternehmen, um zu fairen und gerechten Lösungen zu gelangen. Die Erklärung enthält weder eine rechtlich bindende Verpflichtung noch begründet sie Individualrückgabeansprüche von Betroffenen, dennoch stellt sie eine Generalregelung dar, die in vielen der unterzeichnenden Staaten durch rechtliche Regelungen ausgestaltet wurde und zu erheblichen Konsequenzen sowie Aufsehen erregenden Restitutionen führte (BMF 2011; ANTON 2010a; SCHNABEL und TATZKOW 2007).13 Auch Deutschland hat mit Unterzeichnung der Washingtoner Erklärung die Verpflichtung übernommen , die Museumsbestände nach NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern zu überprüfen und aufgefundene Kunstwerke an die rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben. Am 14. Dezember 1999 wurde in diesem Sinne eine „Gemeinsame Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz" (Gemeinsame Erklärung) abgegeben .14 Es ging hier nicht um einen individuellen, einklagbaren Rückgabeanspruch, wie er in den alliierten Rückerstattungsgesetzen und den anderen Rückgabegesetzten vorgesehen ist, vielmehr sollte nun insbesondere den Museen eine Richtlinie zur Handhabe und zum Umgang mit in den Beständen vermuteter NS-Raubkunst gegeben werden. Bei Rückgabeforderungen können nun 12 Beispielhaft wird dies in einem Beitrag der Wochenzeitung „DIE ZEIT“ dargelegt (KOLDEHOFF 2010). 13 Vgl. http://www.state.gov/www/regions/eur/holocaust/heacappen.pdf [Stand 06.06.12]. 14 Die Erklärung findet sich unter www.lostart.de/Webs/DE/Koordinierungsstelle/GemeinsameErklaerung.html. Eine Handreichung zur Umsetzung der Gemeinsamen Erklärung in der Fassung vom November 2007 ist als Anlage beigefügt. Aktuelle Informationen sind abrufbar auf der Internetseite des Staatsminister für Kultur und Medien unter www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Bundesregierung/BeauftragterfuerKulturundMedien/ kultur/rueckfuehrung_ns_raubkunst/_node.html [Stand 06.06.12]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 055/12 Seite 9 die bereits verjährten Fristen außer Acht gelassen werden. Jedoch handelt es sich dabei um eine freiwillige, moralische Selbstverpflichtung und nicht um eine verbindliche rechtliche Regelung. Sie gilt für die öffentlichen Einrichtungen; auf private Sammlungen, Kunsthandlungen und Auktionshäuser ist diese Rechtsbildung nicht anzuwenden, auch wenn sich einige private Institutionen ausdrücklich zu den Washingtoner Prinzipien bekannt haben.15 Insbesondere die Provenienzforschung, die Erforschung der Geschichte und Herkunft von Kunstwerken, wurde in Folge zum arbeitsintensiven zentralen Forschungsfeld der Museumsarbeit , da alle Kunstwerke, die vor 1945 entstanden sind und nach 1933 angekauft oder übernommen wurden, aus Raubkunstbeständen stammen könnten. Zur Unterstützung dieser schwierigen Aufgabe haben Bund und Länder in Magdeburg die Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste eingerichtet.16 Diese Stelle hat die Aufgabe, Such- und Fundmeldungen von Kulturgütern zu sammeln . Ziel der Arbeit der Koordinierungsstelle ist die Identifizierung der tatsächlichen Eigentümer , um so den Forschungsauftrag an die öffentlichen Sammlungen zu unterstützen. Hierzu wurde im Jahr 2000 die weltweit frei zugängliche Internet-Datenbank „Lost Art Register" eingerichtet .17 Eine der wichtigsten Erkenntnisquellen zur Provenienzforschung von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kunstwerken sind die im Rahmen des Vollzugs des Bundesrückerstattungsgesetzes angelegten Akten, die vor allem im Zuständigkeitsbereich des Bundesamtes für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) verwahrt werden.18 Über dieses sind auch objektbezogene Recherchen möglich, da das Bundesamt die aus seinem Rückerstattungsarchiv ersichtlichen Kunstwerke auch in einer Kunstobjekt-Datei erfasst hat. Eine weitere Online-Recherchemöglichkeit bietet eine Datenbank des Deutschen Historischen Museums hinsichtlich der Kunstwerke, die für ein in Linz geplantes Führermuseum vorgesehen waren („Sonderauftrag Linz“).19 Seit Anfang Januar 2008 gibt es außerdem eine Arbeitsstelle für Provenienzrecherche und -forschung beim Institut für Museumsforschung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Sie soll Museen, Bibliotheken und Archive dabei unterstützen, Kulturgüter zu identifizieren, die in der NS-Zeit ihren rechtmäßigen Eigentümern entzogen wurden.20 15 Vgl. hierzu auch das “International Research Portal for Records Related to Nazi-Era Cultural Property”, abrufbar unter http://www.archives.gov/research/holocaust/international-resources/index.html [Stand 06.06.12]. 16 Die Koordinierungsstelle Magdeburg ist eine von Bund und allen Ländern finanzierte Einrichtung für Kulturgutdokumentation und Kulturgutverluste beim Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt; vgl. dazu www.lostart.de/Webs/DE/Koordinierungsstelle/Index.html [Stand 06.06.12]. 17 Die Datenbank findet sich unter http://www.lostart.de/Webs/DE/Datenbank/Index.html [Stand 06.06.12]. 18 Die Provenienzdokumentation des Bundesamtes für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen ist abrufbar unter www.badv.bund.de/003_menue_links/e0_ov/d0_provenienz/b0_dokumentationen [Stand 06.06.12]. Kunstgegenstände, die in der Zeit des Nationalsozialismus in den Besitz des Deutschen Reiches gelangten und (nach dem Zweiten Weltkrieg) an das Ressortvermögen des Bundesministeriums der Finanzen übertragen wurden, sind unter der Bezeichnung „Restbestand CCP“ im Internet unter www.LostArt.de abrufbar. 19 Die Datenbank „Sammlung des Sonderauftrages Linz“ findet sich unter www.dhm.de/datenbank/linzdb [Stand 06.06.12]. 20 Vgl. http://www.arbeitsstelle-provenienzforschung.de. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 055/12 Seite 10 3. Die Aktion „Entartete Kunst“ und die nationalsozialistische Kunst- und Kulturpolitik Nach der gewaltsamen Entfernung jüdischer, kommunistischer und unerwünschter Künstler aus öffentlichen Ämtern und der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz wurde bereits in den ersten Monaten nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten deutlich, dass die Vielfalt der Kunst und Kultur der Weimarer Republik unwiderruflich zu Ende war.21 Mit der Errichtung der Reichskulturkammer am 22. September 1933 unter dem Vorsitz von Propagandaminister Goebbels vollzieht sich die totale Erfassung und folglich auch Kontrolle und Überwachung aller, die in Bereichen der Kultur tätig sind. Vertrat Goebbels in den Anfangsjahren des NS-Regimes noch eine Kunstauffassung, die der kulturellen Avantgarde nicht vollkommen abgeneigt war (verdeutlicht etwa an den Beispielen Nolde oder Munch), änderte sich seine Haltung durch die anhaltenden Auseinandersetzungen mit den verschiedenen kulturpolitischen Organisationen - und auch mit Adolf Hitler selbst - zu jener ideologischen Radikalität, die insbesondere Alfred Rosenberg und der „Kampfbund für deutsche Kultur“ immer gefordert hatte.22 Die Reichskulturkammer hatte für die Neuordnung des künstlerischen Schaffens zu sorgen. Abgelehnt und verfolgt wurde die avantgardistische, großstädtische Kunst- und Kulturszene, die als „undeutsch“ und „artfremd“ galt. Kunst und Kultur waren nicht mehr autonom, sondern sollten in den Dienst des NS-Regimes und seiner Rassenideologie gestellt werden. Die Nationalsozialisten entwickelten ein gesondertes Kunstideal und verfolgten dem entgegenstehende Kunst, die auch als „Verfallskunst“ bezeichnet wurde.23 Künstler, deren Werke nicht den nationalsozialistischen Idealen entsprachen, die Kommunisten oder Juden waren, wurden verfolgt. Die Nationalsozialisten belegten sie mit Berufs- und Malverboten , ließen ihre Kunstwerke aus Museen und öffentlichen Sammlungen entfernen und zwangen die Künstler zur Emigration oder ermordeten sie. Zur nationalsozialistischen Ideologie ge- 21 Allerdings bestand zunächst innerhalb der NS-Führungsriege noch keineswegs Einigkeit über den künftigen kunstpolitischen Kurs. Künstler und Kulturschaffende sahen sich am Anfang der NS-Zeit rivalisierenden Institutionen und Ansichten gegenüber; so konkurrierte Goebbels vor allem mit dem NS-Chefideologen Alfred Rosenberg. Im Unterschied zu Rosenberg schätzte Goebbels die Kunst der Moderne zum Teil. Hitler persönlich entschied schließlich den „Expressionismusstreit“. Auf den Reichsparteitagen 1933 und 1934 äußerte er sich im Konflikt Rosenberg-Goebbels noch nicht eindeutig, am 11. September 1935 aber rechnete er endgültig mit der Kunst der Moderne ab. Goebbels schwenkte um, verfolgte nun eifrig moderne Kunst, die fortan als „entartet“ verfemt wurde. Vgl. dazu Schwarz (2009), MARTYNKEWICZ (2009: 483ff.), PETROPOULOS (1999, 2000), BAVAJ (2003), CLINEFELTER (2005), NICHOLAS (1995), BEYME (2005: 707ff.), BACKES (1992), BRENNER (1963), MATHIEU (1997) sowie – mit einer Dokumentation der Reden Hitlers zu Kunst und Kultur – EIKMEYER (2004). Zum Schicksal einzelner Künstler bzw. Kunstwerke vgl. insbesondere die Beiträge in FLECKNER (2007, 2009) sowie FLECKNER und HOLLEIN (2010). Zur Rolle der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus vgl. DOLL u. a. (2005), HEFTRIG u. a. (2008) sowie DILLY (1988); weitere Informationen finden sich auf der Informationsseite des DFG- Projekts „Geschichte der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus“ unter www.welib.de/gkns [Stand 06.06.12]. 22 Vgl. Reichskulturkammergesetz vom 22. 9. 1933 (RGBl. I, S. 659). 23 Einen wesentlichen (rechtspolitisch bedeutsamen) Ausgangspunkt der angestrebten Säuberung von „undeutschen Einflüssen“ im Kulturleben markiert der vom nationalsozialistischen Volksbildungsminister Thüringens Wilhelm Frick bewirkte „Erlass wider die Negerkultur für deutsches Volkstum“ vom 5. April 1930 (ANTON 2010a: 978f.; NELIBA 1996). Vgl. dazu auch die Informationen unter http://histoforum.digischool.nl/lesmateriaal/entartetekunst.htm [Stand 06.06.12]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 055/12 Seite 11 hörte als zentraler Bestandteil ein Idealbild deutscher, „völkischer“ Kunst. Als Gegenbild zu diesem Ideal wurden Werke bestimmter Kunstrichtungen, die mit dem (überaus diffusen) Kunstkanon der Nationalsozialisten nicht in Einklang zu bringen waren, als „entartet“ gebrandmarkt. In der NS-Zeit war der Kampf gegen die künstlerische Avantgarde fester Bestandteil der staatlichen Propaganda.24 Für die Nationalsozialisten waren dies alles Kunstwerke und kulturellen Stilrichtungen, die mit ihrem Kunstverständnis nicht in Einklang standen. Dazu gehörten nicht zuletzt Expressionismus, Dadaismus, Neue Sachlichkeit, Surrealismus, Kubismus und Fauvismus . Als „entartet“ galten unter anderem die Werke von Ernst Barlach, Willi Baumeister, Max Beckmann, Otto Dix, Max Ernst, Otto Freundlich, Wilhelm Geyer, George Grosz, Ernst Ludwig Kirchner, Paul Klee, Max Ernst, Wassily Kandinsky, Oskar Kokoschka, Paula Modersohn-Becker, Otto Pankok, Max Pechstein, Karl Schmidt-Rottluff.25 Im Jahr 1936 erging ein totales Verbot jeglicher Kunst der Moderne. Hunderte Kunstwerke, vor allem aus dem Bereich der Malerei, wurden aus den Museen entfernt. Bernhard Rust, der als Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung für die Museen zuständig war, kündigte in der Eröffnungsrede einer Akademieausstellung Ende 1936 eine „Säuberung“ der Museen an, wurde aber nicht aktiv. Anfang 1937 erschien Wolfgang Willrichs Buch „Säuberung des Kunsttempels . Eine kunstpolitische Kampfschrift zur Gesundung deutscher Kunst im Geiste nordischer Art“. Die Lektüre dieses Buches brachte den Minister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels auf den Gedanken, eine zentrale Ausstellung „Entartete Kunst“ zu organisieren. Damit beauftragte er den Präsidenten der Reichskammer der Bildenden Künste Adolf Ziegler. Dieser stellte eine Kommission zusammen, die in der ersten Julihälfte 1937 rund 1100 Kunstwerke aus 30 Museen auswählte und nach München beorderte, wo vom 19. Juli an etwa 600 davon in der Ausstellung „Entartete Kunst“26 angeprangert wurden. Die Ausstellung „Entartete Kunst“ war zugleich als Gegenveranstaltung zur „Großen Deutschen Kunstausstellung“ konzipiert , die tags zuvor im neu errichteten „Haus der deutschen Kunst“ eröffnet worden war.27 Auf 24 Zu Begriff und Abgrenzung der Terminologie „entartete Kunst“ ausführlich ANTON (2010a: 973ff.) und die dort angegebene Literatur. Überschneidungen mit dem Problemkreis der Beutekunst ergaben sich etwa dadurch, dass zahlreiche Kunstwerke, die zunächst als „entartet“ eingezogen und verkauft wurden, im Zuge des nationalsozialistischen Kunstraubes erneut beschlagnahmt worden sind (KUNZE 2000: 4f.). 25 Vgl. dazu anschaulich die Übersicht unter www.dhm.de/lemo/html/nazi/kunst/index.html [Stand 06.06.12]. 26 Die Ausstellung wurde von Joseph Goebbels initiiert und von Adolf Ziegler, dem Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste, geleitet. In der Ausstellung „Entartete Kunst“ wurden die Exponate mit Zeichnungen von geistig Behinderten gleichgesetzt und mit Fotos verkrüppelter Menschen kombiniert, die bei den Besuchern Abscheu und Beklemmungen erregen sollten. So sollte der Kunstbegriff der avantgardistischen Moderne ad absurdum geführt und moderne Kunst als Verfallserscheinung verstanden werden. Diese Präsentation „kranker“, „jüdisch-bolschewistischer“ Kunst diente zugleich auch zur Legitimierung der Verfolgung „rassisch Minderwertiger“ und „politischer Gegner“. Vgl. dazu KUNZE (2000: 16ff.), ANTON (2010a: 979ff.), BARRON und GUENTHER (1992), ANDERL (2007), STEINKAMP (2008) sowie die Beiträge in FLECKNER (2007). 27 Sie war die erste von insgesamt acht, jährlich im Münchner „Haus der Deutschen Kunst“ veranstalteten sogenannten „Großen Deutschen Kunstausstellungen" in der Zeit von 1937 bis 1944, in denen die Nationalsozialisten eine Art Leistungsschau des deutschen Kunstschaffens zu präsentieren versuchten. Die Ausstellung erwies sich freilich als kunstpolitisches Fiasko. So rücksichtslos der Nationalsozialismus mit der Kunst der „Verfallszeit“ abrechnete, so groß war sein Unvermögen, dem eigenen Kunstanspruch gerecht zu werden. Von der vielbeschworenen „neuen Kunst“ war nicht viel zu sehen. Die Auswahl der zwölfköpfigen Jury fand vor den Augen von Goebbels und Hitler keine Gnade (vornehmlich bestehend aus Akt- und Genrebilder, Stillleben, Landschaften, mythologische Szenen, Arbeiter- und Industriebilder). Schließlich wurde der Fotograph Heinrich Hoffmann damit beauftragt, die Bilder zusammenzustellen (MARTYNKEWICZ 2009: 493). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 055/12 Seite 12 diese Weise sollte die deutsche Öffentlichkeit von der Minderwertigkeit der gezeigten Werke überzeugt werden. In einer zweiten Beschlagnahmewelle, die nach der Eröffnung der Ausstellung stattfand, ging man noch einen Schritt weiter: Sämtliche Werke der Kunst, die vom Regime als „entartet“ betrachtet wurden, sollten aus den Sammlungen entfernt werden.28 Erst nachträglich erhielt die Aktion „Entartete Kunst“ eine gesetzliche Grundlage. Da bei der Sicherstellung der „entarteten Kunst“ die betroffenen Kunstwerke ohne Rücksicht auf die Rechtsform und die Eigentumsverhältnisse aus den Beständen der Museen entnommen wurden, wurde nach einer rechtlichen Absicherung der beispiellosen Säuberungsaktion gesucht. Dies geschah durch das „Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst“ vom 31. Mai 1938.29 Das Gesetz war die rechtliche Basis für die „Verwertung“ der „entarteten Kunst“, d. h. den Verkauf gegen Devisen oder den Tausch gegen ältere Kunstwerke. In § 1 des Gesetzes heißt es: „Die Erzeugnisse entarteter Kunst, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes in Museen oder der Öffentlichkeit zugänglichen Sammlungen sichergestellt […] sind, können ohne Entschädigung zugunsten des Reichs eingezogen werden, soweit sie bei der Sicherstellung im Eigentum von Reichsangehörigen oder inländischen juristischen Personen standen.“30 Das Gesetz sah damit die entschädigungslose Enteignung31 der beschlagnahmten Werke zu Gunsten des Reiches vor.32 Damit war die Grundlage für die Verwertung der Werke insbesondere zur Devisenbeschaffung gelegt . Eine weitere Vorgehensweise bestand darin, mit dem Erlös der beschlagnahmten Kunstwerke den Nationalsozialisten genehme Bilder zu erwerben. Im Juni 1938 zog etwa Göring 13 herausragende Werke ab, um sie zu Gunsten seiner Sammlung alter Kunst zu veräußern. Im August wurden die Werke, die man ins Ausland verkaufen zu können hoffte, in das Schloss Schönhausen verlagert. Nachdem Kunsthändler noch einmal Kommissionsware aus dem Depot in der Köpenicker Straße übernommen hatten, wurde der dort verbliebene „unverwertbare Rest“ am 20. März 1939 auf dem Hof der Berliner Hauptfeuerwache verbrannt (Anton 2010a: 999ff.; Grell 1999; Heuer 1999).33 Die Ausstellungen der Jahre 1937 bis 1944 im Münchner Haus der Kunst sind inzwischen nahezu vollständig in die Internet-Datenbank www.gdk-research.de aufgenommen (KOTTEDER 2011). 28 Vgl. dazu die Chronik der Entziehungen „entarteter Kunst“ unter http://www.geschkult.fuberlin .de/e/khi/forschung/entartete_kunst/dossier/index.html [Stand 06.06.12]. 29 Vgl. dazu die Ausführungen in GRELL (1999: 22ff.). 30 Grundlage für das Einziehungsgesetz war das am 23. März 1933 erlassene sogenannte „Ermächtigungsgesetz“, das der nationalsozialistischen Regierung die Kompetenz übertrug, ohne Mitwirkung des Parlaments Gesetze mit verfassungsänderndem Inhalt zu erlassen, selbst wenn die darin enthaltenen Normen mit den Grundwerten der Verfassung nicht in Einklang standen. 31 Eine ausführliche Darstellung der „Sicherstellung“ der „entarteten Kunst“ durch das NS-Regime im Kontext der verschiedenen Arten unrechtmäßiger Entziehung kultureller Güter findet sich in ANTON (2010a: 955ff.). 32 Der Begriff „Einziehung“ ist damit einer Enteignung gleichzusetzen. Die Einziehung der Kunstwerke bezeichnete der einschlägige Kommentar als „internen Verwaltungsakt“, da die Beschlagnahmung der betroffenen Kunstwerke bei Erlass des Gesetzes bereits abgeschlossen war. Das Gesetz legitimierte folglich auch keine nach Erlass des Gesetzes beschlagnahmten Werke moderner Kunst (KUNZE 2000: 43ff.; GRELL 1999: 22ff.). 33 Insgesamt wurden mehr als 20 000 Kunstwerke aus deutschen Museen und deren Depots beschlagnahmt. Die Verluste an moderner Kunst wären weitaus gravierender ausgefallen, wenn der staatliche Zugriff auf private Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 055/12 Seite 13 Auf der Grundlage dieses Gesetzes wurde eine „Kommission zur Verwertung der beschlagnahmten Werke“ mit der Aufgabe betraut, den Verkauf der beschlagnahmten Werke zu organisieren. Mit der Veräußerung der als „verwertbar“ eingestuften Werke wurden mehrere Kunsthändler beauftragt, die jeweils über besondere Erfahrungen mit dem Handel moderner Kunst verfügten. Zu Beginn der „Verwertungsaktion“ wurden einzelne Werke an die Kunsthändler Wolfgang Gurlitt und Karl Haberstock in Berlin, Fritz Carl Valentien in Stuttgart und Aage Vilstrup in Hellerup sowie an die Galerie Zak in Paris verkauft. Am 30. Juni 1939 veranstaltete die Galerie Theodor Fischer in Luzern die Auktion „Gemälde und Plastiken moderner Meister aus deutschen Museen“, auf der 125 Spitzenwerke angeboten wurden. In drei Tauschverträgen aus dem Jahr 1939 erhielt der damals in Rom lebende Maler Emanuel Fohn für 25 Werke deutschrömischer Maler etwa 450 Werke der „Entarteten Kunst“. Die übrigen Kauf- und Tauschgeschäfte – auch die Verkäufe an das Kunstmuseum in Basel und die Abgabe der Munch-Bestände an den Auktionator Harald H. Halvorsen in Oslo – wurden ab Ende 1938 bis zum Abschluss der „Verwertungsaktion“ im Sommer 1941 ausschließlich über vier dazu ermächtigte Kunsthändler abgewickelt: Karl Buchholz und Ferdinand Möller in Berlin, Hildebrand Gurlitt in Hamburg und Bernhard A. Böhmer in Güstrow. Sie waren verpflichtet, die Werke ins Ausland zu verkaufen, gaben sie aber zum Teil auch innerhalb Deutschlands an Händler und Sammler ab oder behielten sie selbst. In jedem Fall mussten sie dafür Devisen aufbringen. Das war nur durch Tauschverträge ähnlich denen mit Fohn zu umgehen.34 Über diese Händler sind bedeutende Werke in amerikanische Museen und ausländische Privatsammlungen gelangt. Neben den Veräußerungen aus dem Depot der Nationalsozialisten wurden am 30. Juni 1939 125 Gemälde und Plastiken „moderner Meister aus deutschen Museen“ auf einer Auktion der Galerie Fischer in Luzern versteigert. Über diese Auktion gelangten Inkunabeln des deutschen Expressionismus in öffentliche Kunstsammlungen, insbesondere die von Liège und Basel, und in US-amerikanische Privatsammlungen (JEUTHE 2007).35 244 Werke, die von Ausländern stammten, Ausländern gehörten, Leihgaben aus Privatbesitz waren oder als Grenzfälle eingestuft wurden, sind von den Nationalsozialisten den Besitzern oder den Künstlern zurückgegeben worden. Einige der von der Beschlagnahme betroffenen Museen erhielten die eingetauschten Werke älterer Kunst überwiesen und zum Teil auch eine geringfügige finanzielle Entschädigung . Die weder vernichteten noch zurückgegebenen oder verkauften Restbestände wurden 1941 im Keller des Propagandaministeriums aufbewahrt. Große Teile davon sind bei fortschreitendem Krieg zu Böhmer nach Güstrow ausgelagert worden. Ihr Verbleib ist nur in einigen Galerien und Sammlungen in gleicher Weise erfolgt wäre. Die entsprechenden Pläne wurden jedoch aufgrund des einsetzenden Krieges nicht mehr oder nur in geringem Maß verwirklicht (ANTON 2010a: 1000). 34 Vgl. zur „Verwertung“ der Kunstwerke ausführlich KUNZE (2000: 44ff.), ANTON (2010a: 10002ff.) sowie die Beiträge in FLECKNER (2007, 2009) sowie FLECKNER und HOLLEIN (2010). Vgl. außerdem die Übersicht der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ an der FU Berlin, abrufbar unter www.geschkult.fuberlin .de/e/db_entart_kunst/geschichte/beschlagnahme/index.html [Stand 06.06.12]. 35 Das Gesamtverzeichnis der 1937/38 in deutschen Museen beschlagnahmten Werke wird seit April 2010 mit der Datenbank „Entartete Kunst“ kontinuierlich ins Netz gestellt (www.geschkult.fuberlin .de/e/db_entart_kunst/datenbank/index.html). Zur Forschungsgeschichte die Übersicht der Forschungsstelle "Entartete Kunst" an der FU Berlin, abrufbar unter www.geschkult.fuberlin .de/e/db_entart_kunst/geschichte/forschungsgeschichte/index.html [Stand 06.06.12]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 055/12 Seite 14 Fällen nachweisbar. Über die Zerstörungen durch Kriegsereignisse oder den Nachkriegsvandalismus gibt es keine Aufzeichnungen.36 Im privaten Bereich wurden zum Beispiel durch die Reichskammer der Bildenden Künste von einzelnen Künstlern Werke zur Begutachtung eingefordert und nicht wieder zurückerstattet. Auch Beschlagnahmen – zumeist durch die Gestapo – in Galerien, Auktionshäusern und Künstlerateliers sind überliefert. Dafür sind bisher jedoch nur vereinzelt konkrete Belege bekannt.37 Mit dem „Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst“ vom 31. Mai 1938 wurde wohl zum ersten Mal in der Geschichte der Kunst eine Vorschrift erlassen, aufgrund derer Kunstwerke allein wegen ihrer künstlerischen Qualität entschädigungslos eingezogen werden konnten. Dementsprechend war auch der sachliche Anwendungsbereich der Vorschrift: Betroffen waren alle Erzeugnisse der als „entartet“ erkannten Kunst, die vor Inkrafttreten des Gesetzes in Museen oder der Öffentlichkeit zugänglichen Sammlungen sichergestellt worden waren. Aus dem Wortlaut des Gesetzes lässt sich weiterhin schließen, dass mit der Beschlagnahmung privater Sammlungen deutscher Reichsangehöriger, die nicht in Museen oder öffentlich zugänglichen Sammlungen standen, oder Leihgaben ausländischer Staatsangehöriger an öffentliche Institutionen keine Eigentumsübertragung an den deutschen Staat erfolgte. Jedoch gab es keine buchstabengetreue Anwendung des Gesetzes, infolgedessen sind auch Kunstwerke ausländischer Eigentümer mit Verweis auf dieses Gesetz beschlagnahmt und verwertet worden. Nicht nur wegen der riesigen Lücken, die die Aktion „Entartete Kunst“ in die Sammlungen der Museen riss, sondern auch wegen der Rolle, die Mitarbeiter der Museen bei der Aussonderung und Vernichtung von Kunstwerken spielten, sind die Umstände und Wirkungen bis heute Anlass für zahlreiche kunsthistorische Forschungsvorhaben.38 Auch unter rechtswissenschaftlichem Blickwinkel ist die Aktion „Entartete Kunst“ von einigem Interesse. Eine zentrale Frage richtet sich dabei auf die heutigen Eigentumsrechte an den Werken, die im Zuge der Aktion „Entartete Kunst“ enteignet wurden. Festzustellen ist zunächst, dass das „Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst“, mit dem die Unrechtsakte legalisiert worden waren, nach Ende des Zweiten Weltkriegs durch die Alliierten nicht aufgehoben worden ist (KUNZE 2000: 64ff.). So ist 36 Jedoch wurden in der Nähe des Berliner Roten Rathauses im Jahr 2010 bei archäologischen Grabungen elf Skulpturen der Klassischen Moderne geborgen. Dieser spektakuläre Fund wirft ein neues Licht auf den Verbleib der Kunstwerke, die im Rahmen der nationalsozialistischen Beschlagnahmeaktion „Entartete Kunst“ den Museen entzogen und die bis heute verschollen sind. Die bisher verloren geglaubten Werke werden seit dem 9. November 2010 im Neuen Museum auf der Museumsinsel Berlin präsentiert. Zur Ausstellung erscheint eine begleitende Publikation mit der Beschreibung der Fundumstände sowie mit Angaben zu den Künstlern und den Werken (STIFTUNG PREUßISCHER KULTURBESITZ 2011). 37 Vgl. www.geschkult.fu-berlin.de/e/db_entart_kunst/geschichte/beschlagnahme/index.html [Stand 05.06.12]. 38 Nicht zuletzt an der Forschungsstelle „Forschungsstelle Entartete Kunst" der FU Berlin sind zahlreiche Arbeiten entstanden, zu nennen sind insbesondere die Beiträge in FLECKNER (2007; 2009). Seit April 2004 ist sie parallel dazu am Kunsthistorischen Seminar der Universität Hamburg angesiedelt. Im Mittelpunkt der Forschungen stehen die Methoden nationalsozialistischer Kunstpolitik, insbesondere die Vorgeschichte, Geschichte und die Auswirkungen der Beschlagnahme moderner Kunstwerke in deutschen Museen durch die Nationalsozialisten im Jahr 1937. Eingebunden darin sind Recherchen zu den antimodernen Propagandaausstellungen seit 1933 und zur Wanderausstellung „Entartete Kunst“ von 1937 bis 1941. Die Forschungsstelle fragt nach dem Schicksal der betroffenen Künstler, den Strategien der Museumsleiter und der Rolle der Kunsthändler innerhalb des Verwertungssystems ebenso wie nach den Auswirkungen der Verfemung nach 1945 (www.unihamburg .de/Kunstgeschichte/EntarteteKunst.htm). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 055/12 Seite 15 das Gesetz nicht in die Liste der von den Alliierten aufgehobenen nationalsozialistischen Gesetze aufgenommen worden und auch später nicht explizit für ungültig erklärt worden. Sinn und Zweck war die Wahrung der Rechtssicherheit gegenüber den Erwerbern der zu NS-Zeiten als „entartete Kunst“ beschlagnahmten Kunstwerke. Dies war nur zu erreichen, wenn auch nach 1945 das Einziehungsgesetz vom 31. Mai 1938 als Rechtsgrundlage mit Legalisierungswirkung für die tatsächliche Sicherstellung der Kunstgegenstände dienen würde. Deshalb hat sich der Alliierte Kontrollrat im Ergebnis für ein Fortbestehen des Gesetzes entschlossen (HEUER 1999: 2558ff.).39 Auch in der deutschen Meinungsbildung wurde diese Entscheidung letztlich unterstützt. So hat sich etwa der Denkmal- und Museumsrat Nordwestdeutschland in diesem Zusammenhang im September 1948 dafür ausgesprochen, den beschlagnahmten Museumsbesitz sinnvoll zu ersetzen , nicht aber die veräußerten Werke durch gesetzliche Maßnahmen zurückzufordern.40 Dementsprechend hat auch der bundesdeutsche Gesetzgeber eine Aufhebung des Einziehungsgesetzes nie angeordnet. Begründet wurde dies nicht zuletzt damit, dass durch das Gesetz keine Personen verfolgt wurden, vielmehr habe sich die Stoßrichtung des Gesetzes gegen bestimmte Werke gerichtet . Diese Argumentation dürfte allerdings nur ein Grund dafür sein, warum das Gesetz nicht angetastet wurde.41 Im Zuge der „Verwertung“ der Bilder waren sie auf der ganzen Welt veräußert worden. Durch eine Annullierung des Gesetzes wäre diesen Transaktionen die rechtliche Grundlage entzogen worden. Eine Rückforderung der Werke durch die früheren Eigentümer würde mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zum Erfolg führen. Dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit gegenüber den Erwerbern der zu NS-Zeiten als „entartete Kunst“ beschlagnahmten Kunstwerke sollte damit Rechnung getragen werden, so dass auch nach 1945 das Einziehungsgesetz und die staatlichen Beschlagnahme- und Enteignungsmaßnahmen als rechtswirksam fortbestanden (ebd.). Möglicherweise hat man von einer Aufhebung des Gesetzes auch abgesehen, um inländische Erwerber, die diese Werke dann zurückgeben müssten, nicht ungebührlich gegenüber ausländischen , von denen eine Rückgabe nur schwer zu erreichen gewesen wäre, zu benachteiligen.42 Insgesamt hatte dies zur Folge, dass Kunstwerke in öffentlichem Eigentum, die als „entartet“ eingezogen worden waren, auch heute nicht mehr von den ursprünglichen öffentlichen Museumsträgern aus Rechtsgründen zurückgefordert, sondern nur zurückerworben werden können. So 39 Die Materialien des Alliierten Kontrollrates verweisen darauf, dass mit der Aufrechterhaltung des Einziehungsgesetzes die Grundlage der früheren Verwertung der Kunstwerke nicht zerstört werden sollte. Eine Rückübertragung von Vermögenswerten sollte allein in „deutschem Namen“ und „auf deutsche Rechnung“ erfolgen (HEUER 1999: 2560). 40 Der Beschluss des Denkmals- und Museumsrates Nordwestdeutschland ist dokumentiert in KUNZE (2000: 272). 41 In der sowjetischen Besatzungszone wurde zunächst in anderer Weise vorgegangen. Die Sowjetische Militäradministration ermächtigte am 8. Oktober 1946 die Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung, zur Rückführung der beschlagnahmten Kunstwerke alle notwendigen Maßnahmen zu treffen. In darauf folgenden zwei Jahren wurden Werke aus ehemaligem Museumsbestand konfisziert, ehe mit Beschluss vom September 1948 von dieser Vorgehensweise wieder Abstand genommen wurde (KUNZE 2000: 65f.). 42 Vgl. dazu PARZINGER (2009: 44), der auf eine Stellungnahme des Präsidenten der SPK, Klaus-Dieter Lehmann, vom 23. August 1999 verweist. Bereits 1949 ging - wie andere auch - der ehemalige Direktor der Nationalgalerie in Berlin, Paul Ortwin Rave, von der Gültigkeit des Einziehungsgesetzes und deren Endgültigkeit der mit ihm geschaffenen Fakten aus, als er annahm, dass der damals beschlagnahmten Werke inzwischen den Erwerbern gehörten (KUNZE 2000: 65). Vgl. dazu auch ANTON (2010a: 1065). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 055/12 Seite 16 wurde beispielsweise das Gemälde „Roter Turm I“ von Lyonel Feininger mehr als 70 Jahre nach Beschlagnahme und Weiterveräußerung im Kunstmarkt unter Mithilfe der Kulturstiftung der Länder und weiterer Geldgeber für das Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt nach Halle in die Moritzburg zurückerworben.43 In formeller Hinsicht ist das Einziehungsgesetz schließlich am 31. Dezember 1968 im Rahmen der Rechtsbereinigung in der Bundesrepublik Deutschland außer Kraft getreten. Damit sollten Unklarheiten im Hinblick auf das noch in Kraft befindliche Vorkriegsrecht durch eine Sammlung des Bundesrechts beseitigt werden. Das Ziel war, die nicht mehr mit dem Grundgesetz zu vereinbarenden Vorschriften zu beseitigen.44 Alle Gesetze, die nicht in die als Bundesgesetzblatt Teil III veröffentlichte Sammlung aufgenommen wurden, traten am Tag der Ausschlusswirkung automatisch außer Kraft.45 Das Einziehungsgesetz von 1938 hat in diese Sammlung keinen Eingang gefunden und damit in formeller Hinsicht seine Gültigkeit durch diesen Gesetzesakt verloren. Als Hauptproblem stellt sich freilich nicht die Frage nach der aktuellen Gültigkeit des Gesetzes, sondern die Frage nach den weiteren Folgewirkungen des Gesetzes.46 Das Problem zeigt sich insbesondere hinsichtlich einer Rückgabe beschlagnahmter Werke der als „entartet“ verfemten Kunst. Dabei ist für die rechtliche Beurteilung des Einziehungsgesetzes heute auch die Unterscheidung zwischen der Entziehung der Kunstwerke einerseits in Privateigentum und andererseits in Staatseigentum zu treffen. Es ist also danach zu fragen, ob es sich bei den sichergestellten (und verstaatlichten) Werken um solche handelt, die aus Privateigentum (etwa aus dem Bestand von Kunstvereinen oder Privatsammlern) stammten und als Leihgaben den öffentlichen Museen anvertraut waren, oder ob die Kunstwerke aus dem Bestand staatlicher Museen sichergestellt wurden. Soweit die staatlichen Sammlungen Opfer der Aktion „Entartete Kunst“ wurden, waren sie zugleich mit eben jenem Staat verwoben, der die Eingriffe vornahm. Daraus folgt, dass für jene Kunstwerke, die im Zuge der Aktion „Entartete Kunst“ aus öffentlichen Sammlungen Deutschlands47 entfernt wurden, eine Restitution nur schwer möglich ist. KUNZE (2000) und ähnlich HEUER (1999) betonen dementsprechend, dass heute nur noch in Ausnahmefällen 43 Nach Ende des Zweiten Weltkrieges gelang der Rückerwerb von lediglich zwei der elf Gemälde, nämlich „Marienkirche mit dem Pfeil“ (1930) und „Der Dom zu Halle“ (1931). Inzwischen gehört auch das Bild "Der Rote Turm I" wieder zum Besitz des Museums und wird künftig zusammen mit dem "Dom von Halle" (1931) und der "Marktkirche mit dem Pfeil" (1930) auf der Feininger-Empore der Moritzburg zu sehen sein und den einmaligen Ausblick auf das Panorama der Stadt Halle um ein drittes Bildmotiv des Bauhausmeisters bereichern. Vgl. dazu http://www.kulturstiftung.de/aktuelles/meldungen/detail/feininger-zurueck-in-halle/ [Stand 06.06.12]. Zu einzelnen Kunstwerken und Sammlungen vgl. außerdem die Beiträge in FLECKNER (2009). 44 Vgl. dazu das Gesetz über die Sammlung des Bundesrechts vom 10. Juli 1958 (BGBl. I, S. 437). 45 Vgl. dazu § 3 Abs. 1 S. 2 des Gesetzes über die Sammlung des Bundesrechts in Verbindung mit § 3 des Gesetzes über den Abschluss der Sammlung des Bundesrechts vom 28. Dezember 1968 (BGBl. I, S. 1451). 46 Die Rechtsakte, die anhand dieses Gesetzes ergingen, werden aus heutiger Perspektive überwiegend als wirksam erachtet (HEUER 1999; KUNZE 2000; ANTON 2010a). Juristisch betrachtet sind die Beschlagnahmen rechtswirksam zustande gekommen, so dass auch die Folgeerwerber wirksames Eigentum an den Werken erlangen können; Vgl. dazu auch die Informationsbroschüre der Forschungsstelle „Entartete Kunst“, abrufbar unter www.geschkult.fu-berlin.de/e/khi/forschung/entartete_kunst/dossier/Broschuere_Heuer.pdf [Stand 05.06.12]. 47 Zahlreiche von der Beschlagnahme betroffene Museen waren bis 1934 Landesmuseen. Mit dem Gleichschaltungsgesetz, spätestens mit dem Gesetz über den Neuaufbau des Reiches vom 30. Januar 1934, verloren die Länder ihre rechtliche Existenz. Wenn die Länder damit ihre eigene Staatlichkeit verloren haben sie – so betont HEUER (1999: 2559) – auch die eigenständigen Eigentumsrechte an Vermögenswerten verloren. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 055/12 Seite 17 Ansprüche auf Restitution der beschlagnahmten und daraufhin „verwerteten“ Kunstwerke erhoben werden können. 48 Jedoch scheint für die offenen Fragen der Auswirkungen der Aktion „Entartete Kunst“ heute weniger die Rechtslage als vielmehr die Faktenlage ausschlaggebend zu sein. Eine zentrale Frage richtet sich dabei auf den Verbleib der betroffenen Bestände und dem heutigen Aufenthaltsort dieser Kunst- und Kulturgüter. Erst wenn hierzu gesichertes Wissen vorliegt und der Zugang zu den Werken möglich ist, kann – so etwa PARZINGER (2009: 46) – über weitergehende Lösungen nachgedacht werden. Die Folgen nationalsozialistischen Unrechts zu überwinden, bleibt auch im Bereich der modernen Kunst ein unabgeschlossenes Projekt.49 4. Die Rückführung kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter Kriegsbedingt verlagerte Kulturgüter – auch als Beutekunst bezeichnet – sind Kulturgüter, die sich jemand in einem Krieg oder kriegsähnlichen Zustand widerrechtlich (entgegen Art. 56 der Haager Landkriegsordnung50) aneignet (Kunstraub).51 Beutekunst im Zweiten Weltkrieg umfasst zum einen das Thema des Raubs an Kulturgütern durch deutsche Stellen in den besetzten Gebieten während des Zweiten Weltkriegs, und zum anderen den Kulturgutraub nach Kriegsende durch die alliierten Besatzungsmächte. Beutekunst ist ein kulturelles Phänomen, das es als Folge von Kriegen seit jeher gegeben hat. Dies geschieht gewöhnlich, um den Gegner zu demütigen, sich selbst, die eigene Partei oder den eigenen Staat zu bereichern. Oftmals ist der Kunstraub auch Ausdruck staatlicher Ideologie. Es geht dabei einerseits um die Restitution der Kulturgüter (dazu gehören auch Kirchenglocken), die während des Zweiten Weltkrieges aus den betroffenen Staaten geraubt und widerrechtlich nach Deutschland verbracht wurden. Der überwiegende Teil dieser Güter wurde bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit über so genannte Collecting Points in die Ursprungsstaaten zurückgebracht, ferner leistete die Bundesrepublik Deutschland Entschädigungen nach dem Bundesrückerstattungsgesetz.52 Faktisch werden somit heute in Deutschland nur noch wenige Einzelstücke aufgefunden. 48 Vgl. dazu ausführlich ANTON (2010a: 1067ff.). 49 Sinnfällig ist etwa der von LÜTTICHAU (2007) beschriebene Weg von Otto Muellers „Landschaft mit Figuren“, das von Henri Nannen 1979 erworben worden ist und sich seither in der Emdener Kunsthalle befindet (Sammlung Henri Nannen). Nachdem 1998 die tatsächliche Herkunft des Bildes festgestellt wurde (Privatsammlung Ismar Littman), wurde das Kunstwerk mit öffentlichen und privaten Geldern zurückkauft (SCHNABEL und TATZKOW 2007: 444ff.; HEUß 1998; 2008). Zur Rolle Henri Nannens in den Jahren nach 1933 vgl. auch MARTYNKEWICZ (2009: 484ff.). 50 Vgl. dazu http://www.admin.ch/ch/d/sr/i5/0.515.111.de.pdf [Stand 06.06.12]. 51 Abzugrenzen ist hiervon der Begriff der Raubkunst: Unter Raubkunst versteht man ausschließlich Kulturverluste, die dadurch entstanden sind, dass das NS-Regime Sammler – also Privatpersonen – verfolgt, erpresst, ihres Besitzes beraubt und in vielen Fällen ermordet hat (ODENDAHL und WEBER 2010; GORNIG 2007). 52 Der Begriff "Kriegsbedingt verlagerte Kulturgüter" bezieht sich heute vor allem auf die deutschen Kunst- und Kulturgüter, die nach Ende des Krieges insbesondere von der sowjetischen Armee abtransportiert wurden und bis heute nicht zurückgegeben worden sind. Diese Zugriffe nach dem 8. Mai 1945 waren auch eine Reaktion auf die massiven Zerstörungen und Mitnahmen von Kunst- und Kulturgütern durch die Wehrmacht während ihres Angriffskrieges gegen die Sowjetunion. Entsprechende Beutezüge hat es in der Geschichte wiederholt gegeben, Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 055/12 Seite 18 Bei Kulturgüterrückführung geht es um die Rückgabe oder Wiedererlangung solcher Kulturgüter, die im Zweiten Weltkrieg widerrechtlich aus einem in ein anderes Land gelangt sind. Der Begriff der Kulturgüterrückführung erfasst aber auch die Rückgabe sonst widerrechtlich ins Ausland gebrachter Kulturgüter (Antikenraub, Kunstschmuggel). Auch Rückgaben rechtmäßig erlangter Kulturgüter aus kulturpolitischen Erwägungen im Rahmen von Schenkungen an das ursprüngliche Herkunftsland können unter den Begriff der Kulturgüterrückführung gefasst werden.53 Umgekehrt geht es auch um die Rückführung kriegsbedingt aus Deutschland verlagerter oder entwendeter Kulturgüter. Dies betrifft zum einen Kulturgüter, die zum Schutz vor Bombardierungen während des 2. Weltkriegs in Gebiete ausgelagert wurden, die nach Kriegsende anderen Staaten zufielen (Sowjetunion/Russland, Polen). Zum anderen handelt es sich um die Beschlagnahmeaktionen sowjetischer Stellen in ihrer Besatzungszone während und nach dem Krieg, die nicht vom Völkerrecht gedeckt sind („Beutekunst“). Nach Auflösung der Sowjetunion haben erfolgreiche Verhandlungen mit einigen Nachfolgestaaten (Armenien, Aserbaidschan, Georgien , Ukraine) stattgefunden. Schwieriger sind die Verhandlungen mit Russland.54 Hier sind etwa in Bezug auf die deutsch-russischen Verhandlungen auf der politischen Ebene Arbeitsgruppen eingerichtet worden. Daneben sind mit dem deutsch-russischen Museumsdialog und Kooperationsprojekten wie der Merowinger-Ausstellung 2007 wichtige Akzente auf der nationalen und internationalen Fachebene gesetzt worden. Hinzu kommen die Deutsch-Russischen Kulturbegegnungen , die dabei helfen sollen, in der Frage der Rückführung kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter (Beutekunst) zu einvernehmlichen Lösungen zu gelangen.55 Der überwiegende Teil der durch deutsche Stellen entwendeten oder widerrechtlich nach Deutschland verbrachten Kulturgüter wurde in der unmittelbaren Nachkriegszeit über alliierte Stellen (collecting points) zurückgeführt.56 Zu den kriegsbedingt verlagerten Kulturgütern gehören beispielsweise Kirchenglocken, die von deutschen Stellen in den besetzten Gebieten geraubt beispielhaft sind die Napoleonischen Kunstraubzüge zu nennen, und dennoch erreichte dieses Phänomen in der NS-Zeit eine bisher nicht gekannte Dimension (PARZINGER 2009). 53 Grundprinzip ist dabei, dass Beutekunst, an ihre ursprünglich Berechtigten restituiert werden muss. Dabei genügt nicht die finanzielle Kompensation des ursprünglichen Kulturgutträgers als Ausgleich für seinen Verlust. Vielmehr kann nur die Inbesitzstellung des berechtigten Kulturgutträgers das Rechtswidrigkeitsverdikt des Entziehungsaktes – auch nach Ablauf einer längeren Zeitspanne – kompensieren. Vgl. dazu ausführlich ANTON (2010: 273ff.) sowie die verschiedenen Beiträge in einem Überblicksband der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste (2007b). 54 So stellt etwa im Hinblick auf Russland die deutsche Seite auf die Haager Landkriegsordnung von 1907 bzw. die deutsch-russischen Vereinbarungen von 1990 und 1992 ab und fordert die Herausgabe der Kulturgüter, während Russland auf sein "Beutekunst-Gesetz" von 1998 hinweist, wonach die Objekte zu russischem Staatseigentum erklärt wurden (FRANZ 2007). 55 Die Bundesregierung unterstützt die von der Beutekunst betroffenen Museen, Archive und Bibliotheken beim Aufbau und Ausbau ihrer Beziehungen zu Russland. Informationen finden sich unter http://www.auswaertigesamt .de/DE/Aussenpolitik/KulturDialog/ZieleUndPartner/Kulturgueterrueckfuehrung_node.html; vgl. dazu auch die Bibliographie des Internationalen Schrifttums über das Schicksal des im Zweiten Weltkrieg von der Roten Armee in Deutschland erbeuteten Kulturgutes (Museums-, Archiv- und Bibliotheksbestände), abrufbar unter Informationen unter http://www.ib.hu-berlin.de/~pbruhn/b-kunst.htm [Stand 07.06.12]. 56 Mehr als 500000 Objekte kehrten auf diese Weise zwischen 1945 und 1949 sowie 1952/53 nach Russland zurück. Umfangreiche Nachforschungen nach russischen Beständen gab es nach der Wiedervereinigung ab 1990. Die wenigen entdeckten Einzelstücke sind umgehend an die Russische Föderation zurückgegeben Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 055/12 Seite 19 oder beschlagnahmt worden sind. Nach aufwändigen, teilweise Jahre dauernden Identifizierungsmaßnahmen des Ausschusses für die Rückführung der Glocken wurden die meisten dieser Glocken Anfang der fünfziger Jahre wieder an ihre Heimatgemeinden zurückgegeben.57 Gleichzeitig wurden Glocken aus Kirchen in den für Deutschland verlorenen Ostgebieten Anfang der 1950er-Jahre an Kirchen in Westdeutschland verteilt.58 Insgesamt befinden sich heute in Deutschland nur noch selten von deutscher Seite „erbeutete“ Kulturgüter. In gemeinsamen Konsultationen mit Russland, der Ukraine, Polen und anderen Ländern bemüht sich die Bundesregierung darum, die Folgen des Krieges auch in diesem Bereich zu überwinden. Die Bundesregierung und die Länder führen auf der Grundlage des allgemeinen Völkerrechts und vertraglicher Vereinbarungen zwischenstaatliche bilaterale Verhandlungen zur Rückführung kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter. Innerhalb der Bundesregierung sind für die Verhandlungsführung das Auswärtige Amt, für die inhaltliche Vorbereitung und die Abstimmung mit den Ländern der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) zuständig . Auch die Federführung für die Verhandlungen über die Rückführung kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter mit der Russischen Föderation liegt beim Beauftragten für Kultur und Medien . Parallel zu den Verhandlungen auf Regierungsebene wurde unter den Ländern als von Kulturgutverlusten Hauptbetroffenen die Notwendigkeit gezielter Recherche, Transparenz und Dokumentation erkannt. Um das Wissen über diese Kulturgutverluste zu dokumentieren, die Verluste der deutschen Institutionen zu erfassen und somit eine Grundlage für die Suche und Rückführung dieser Kulturgüter zu schaffen, gründeten die Länder Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg- Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen 1994 in Bremen die Koordinierungsstelle der Länder für die Rückführung von Kulturgütern. Seit 1998 beteiligen sich alle 16 Länder an der Koordinierungsstelle. Sie hat seitdem ihren Sitz beim Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt in Magdeburg.59 worden. Der größte Teil der heute von Russland vermissten Kunst- und Kulturgüter ist jedoch durch Zerstörung unwiederbringlich verloren gegangen (PARZINGER 2009). 57 Ein besonderer Fall stellt sich mit dem Hamburger „Glockenfriedhof“, auch Glockenlager genannt, der während der Zeit des Nationalsozialismus in Hamburg eingerichtet wurde. Es handelte sich um ein großes Gelände in der Nähe des Hamburger Hafens, das zur Zwischenlagerung von Kirchenglocken aus dem gesamten Deutschen Reich und den damals besetzten Gebieten diente. Zwischen 1939 und 1945 wurden zahlreiche, zum Teil auch berühmte Glocken und Bronzedenkmäler eingeschmolzen und gingen damit für immer verloren. Nach Kriegsende lagerten auf dem Glockenfriedhof Hamburg sowie weiteren in Harburg, Oranienburg, Hettstett (Mansfelder Kupferschieferbergbau AG), Ilsenburg und Lünen (Hüttenwerke Kayser AG) noch rund 13 500 seit 1940 zur Verhüttung beschlagnahmte aber nicht eingeschmolzene Bronzeglocken. Vgl. dazu http://de.wikipedia.org/wiki/Glockenfriedhof [Stand 07.06.12]. 58 Der Ausschuss für die Rückführung der Glocken (kurz ARG) war eine Einrichtung zur Erfassung und Rückgabe der unter dem Nationalsozialismus zu Kriegszwecken beschlagnahmten deutschen Kirchenglocken. Der Ausschuss übernahm die Verhandlungen mit den alliierten Militärbehörden und den zuständigen Stellen der Landeskirchen und Diözesen. Bis 1953 wurden sämtliche Glockenlager geräumt und die Glocken soweit noch feststellbar an die früheren Gemeinden zurückgegeben (MAHRENHOLZ 1952). 59 Die Dokumentation und damit verbundenen Recherchen der heutigen Koordinierungsstelle Magdeburg dienen u.a. dem Ziel, national und international Transparenz herzustellen, Betroffene zu ermitteln, Ansprüche zu wahren oder geltend zu machen und zugleich die politische Ebene bei der Rückgabe vermisster Kulturgüter fachlich zu unterstützen. Ein ausführlicher Überblick zu entsprechenden Rückführungen und Rückgaben seit Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 055/12 Seite 20 5. Literatur ANDERL, Gabriele (2007): Kunstraub unterm Hakenkreuz. Düsseldorf: Patmos. ANTON, Michael (2010a): Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht. Band I: Illegaler Kulturgüterverkehr. 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Anlage Handreichung zur Umsetzung der „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ vom Dezember 1999 vom Februar 2001 (überarbeitet im November 2007)