Der Kultur- und Bildungsauftrag der öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkanstalten - Ausarbeitung - © 2006 Deutscher Bundestag WD 10 - 051/06 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasserin: Der Kultur- und Bildungsauftrag der öffentlich-rechtlichen privaten Rundfunkanstalten Ausarbeitung WD 10 – 051/06 Abschluss der Arbeit: 24. August 2006 Fachbereich WD 10: Kultur und Medien Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. Inhalt 1. Einleitung 3 2. Gesetzliche Regelungen zum Kultur- und Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks 5 3. Der Rundfunkstaatsvertrag und die Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks 7 4. Kulturbezogene gesetzliche Regelungen für den Privatrundfunk 8 5. Selbstverpflichtungen und Beschlüsse der Rundfunkanstalten und ihre Durchsetzungskraft 10 6. Reformvorschläge und Möglichkeiten der Evaluation und Sanktionierung 14 7. Literatur 17 - 3 - 1. Einleitung Das Thema „Kulturauftrag des Rundfunks“ ist in Deutschland so alt wie das Medium selbst. Bereits mit den ersten Sendungen wurde das Radio in Deutschland als eine kulturelle Einrichtung angesehen. Die Gründerväter, vor allem der Staatssekretär im Reichspostministerium und spätere Reichsrundfunkkommissar, Hans Bredow, fühlten sich an einen Bildungsauftrag gebunden, nach dem der Rundfunk – ebenso wie Theater oder Universitäten – dem „Wahren, Guten und Schönen“ zu dienen hatte. Am deutlichsten kommt dies in der Satzung der „Deutschen Stunde, Gesellschaft für drahtlose Belehrung und Unterhaltung mbH“ aus dem Jahre 1922 zum Ausdruck. Der Unternehmenszweck der ersten „Programmgesellschaft“ sei „die gemeinnützige Veranstaltung von öffentlichen Konzerten und Vorträgen, belehrenden und unterhaltenden sowie alle weiteren Kreise der Bevölkerung interessierenden Darbietungen auf drahtlosem Wege.“1 Wesentliche Elemente der ersten Radioprogramme waren dementsprechend Dichtung und Musik, Gespräche mit Vertretern der zeitgenössischen Literatur sowie Vorträge aus allen Wissensgebieten. Rundfunkeigene Formen wurden zunächst nur durch die Abfolge der Beiträge, später auch durch das Hörspiel entwickelt. Operette, Kaffeehausund Tanzmusik ergänzten das Repertoire – soweit sie den Vergnügungsansprüchen des Bildungsbürgertums entsprachen. Für die Programmverantwortlichen galt dieses stark auf Kulturelles ausgerichtete Programm nicht nur als Angebot der „Belehrung“, sondern es erfüllte für sie zugleich auch die Funktion der Unterhaltung (ECKHARDT 2005, 3f.). Die Erkenntnis, dass von einem der ganzen Gesellschaft verpflichteten Rundfunk alle Teile des Publikums angemessen bedient werden müssen, war damals noch nicht vorhanden. Nur wenig später wurde der Rundfunk zu einem Propaganda-Instrument der Nationalsozialisten. Der Kultur- und Bildungsauftrag wurde dann erst in der Nachkriegszeit wieder zu einem Gegenstand öffentlicher Diskussion. Diese Diskussion hält bis heute an. Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland – im Sinne eines Anbieters von Radiound Fernsehprogrammen – seinen Kultur- und Bildungsauftrag im Wesentlichen erfüllt, wurde nur selten prinzipiell in Zweifel gezogen. Gleichwohl fehlt bis heute ein umfassender Konsens darüber, worin die Erfüllung dieses Auftrags bestehen soll.2 Kultur und Bildung decken innerhalb des gesamten öffentlich-rechtlichen Programmauftrags nur einen Teilbereich ab. Die Abgrenzung dieses Verhältnisses ist 1 Vgl. dazu KEHM (1995, 14). 2 Ein Überblick zum gegenwärtigen öffentlich-rechtlichen Kultur- und Bildungsangebot findet sich in ECKHARDT (2005, 5ff.). - 4 - eine hoch umstrittene Frage und wird in der letzten Zeit immer häufiger öffentlich diskutiert. Die Existenzberechtigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird dabei häufig mit dem Argument begründet, die individuelle Programmauswahl bedürfe einer Korrektur, weil viele Zuhörer und Zuschauer den Wert von Rundfunkprogrammen falsch einschätzten. So gebe es einerseits Programme, etwa mit gewaltverherrlichenden oder demokratiefeindlichen Inhalten, die trotz ihres geringen oder gar negativen Nutzens stark nachgefragt würden, andererseits aber auch Programme, etwa mit kulturell wertvollen Inhalten, die trotz ihres hohen Nutzens kein Publikum fänden. Weil die Konsumenten bzw. Nachfrager nicht ausreichend über die Qualität und Wirkungen dieser Programme informiert seien, würden sie deren Nutzen falsch einschätzen; ihre Präferenzen seien insofern „verzerrt“. Dies begründe regulatorische (meritorisch begründete) Eingriffe oder Korrekturen, darüber hinaus auch eine nicht-staatliche, öffentlich-rechtliche Bereitstellung solcher Programme (KOPS 2005). Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird deshalb eine besondere Nähe zur Kultur zugeschrieben. Deutlich wurde dies etwa in der Anhörung der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ vom 18. April 2005. Dabei zeigten sich jedoch auch die besonderen Schwierigkeiten einer klaren und eindeutigen Definition des Kultur- und Bildungsauftrages sowohl des öffentlich-rechtlichen als auch des privaten Rundfunks in Deutschland.3 Eine zentrale Frage ist deshalb, inwieweit und in welchem Umfang gesetzliche Regelungen einen Kultur- und Bildungsauftrag vorgeben (Kapitel 2) und wie diese Rechtsgrundlagen Eingang in die Rundfunkstaatsverträge und die weitere Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gefunden haben (Kapitel 3). Darüber hinaus geht es um Selbstverpflichtungen und andere auf den Kultur- und Bildungsauftrag bezogene Beschlüsse der Rundfunkanstalten (Kapitel 4). Daneben werden – insbesondere von kulturpolitischen Interessengruppen – Reformschläge vorgelegt, die darauf abzielen, diese Festlegungen zu bekräftigen und zu zementieren. Eine wesentliche Frage ist in diesem Zusammenhang, welche Schlussfolgerungen sich dabei für die Möglichkeiten der wirksamen Evaluation ergeben (Kapitel 5). 3 Auch die Frage, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinem Kulturauftrag nachzukommen habe, scheint weitgehend ungeklärt; vgl. dazu das Wortprotokoll der Anhörung „Rolle der öffentlichrechtlichen Medien für die Kultur“ vom 18. April 2005 (Protokoll Nr. 15/41) und die darauf basierende Zusammenfassung (K.-Drs. 15/519); vgl. auch die Zusammenfassung des Expertengespräches „Rolle der privaten Medien für die Kultur“ vom 9. Mai 2005 (K.-Drs. 15/520). - 5 - 2. Gesetzliche Regelungen zum Kultur- und Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Das deutsche Rundfunkrecht ist maßgeblich durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägt, das sich immer wieder mit der Ausgestaltung und Konkretisierung der Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG beschäftigt hat. Die Rundfunkfreiheit dient, so die Richter, primär der Aufgabe, die freie und umfassende Meinungsbildung in der Gesellschaft durch den Rundfunk zu gewährleisten.4 Um diesem Grundversorgungsauftrag des Rundfunks gerecht zu werden, legte das Bundesverfassungsgericht schon in seinem ersten Rundfunkurteil im Jahre 1961 das Gebot der Staatsferne fest, welches besagt, dass Rundfunkanstalten nicht unmittelbar durch Gesetze seitens des Bundes beeinflusst oder reguliert werden dürfen.5 Im selben Urteil findet auch der kulturelle Aspekt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bereits Erwähnung. Der Rundfunk sei „jedenfalls auch ein kulturelles Phänomen“, stellte das Bundesverfassungsgericht fest.6 Die Zuschreibung eines besonderen Kulturbezugs des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird in der nachfolgenden Rechtsprechung weder zurückgenommen noch relativiert, sondern immer wieder erneuert. Deutlich wird dabei auch die Unschärfe und Unsicherheit, die schon die ersten Formulierungen kennzeichnet, mit denen sich das Bundesverfassungsgericht an einen öffentlichrechtlichen Kulturauftrag herantastet („jedenfalls auch“, „Phänomen“). Immerhin gelangt in diesen Regelungen von Anfang an die normative Leitannahme unmissverständlich zum Ausdruck, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk kulturbezogene Verpflichtungen zu erfüllen habe (SCHMIDT 1989). Mit der Einführung des privaten Rundfunks in Deutschland und der somit seit den achtziger Jahren bestehenden dualen Rundfunkordnung bedurfte der Grundversorgungsauftrag einer neuen Konkretisierung. Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk obliegt seither die „unerlässliche Grundversorgung“. Diese umfasst, so das Bundesverfassungsgericht, die „essentiellen Funktionen des Rundfunks für die demokratische Ordnung ebenso wie für das kulturelle Leben in der Bundesrepublik“.7 Diese dienenden Funktionen werden zumeist mit der Aufgabentrias „Information, Bildung und Unterhaltung“ umschrieben, in jüngerer Zeit kommt zunehmend noch das Merkmal „Beratung“ hinzu (ROSSEN-STADTFELD 2005, 5). Solange die Wahrnehmung dieser Aufgaben durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wirksam gesichert sei, könnten seitens des Gesetzgebers an das Programmangebot und die Vielfaltssicherung im Privatrundfunk weniger hohe Anforderungen gestellt werden, da dieser zu seiner 4 BVerfGE 74, 297, 323. 5 Vgl. dazu BVerfGE 12, 205-264 (erstes Rundfunkurteil vom 28. 02. 1961). 6 BVerfGE 12, 205, 229. 7 BVerfGE 73, 118, 157. - 6 - Finanzierung nahezu ausschließlich auf Webeeinnahmen angewiesen und somit gezwungen sei, massenattraktives Programm zu verbreiten.8 „Anspruchsvolle kulturelle Sendungen“ müssten folglich, um die Meinungsvielfalt zu sichern, vom öffentlichrechtlichen Rundfunk ausgestrahlt werden. Das Gericht kommt somit zu einer „kulturellen Verantwortung“ der öffentlich-rechtlichen Anstalten, die neben ihrem „klassischen“ Auftrag (Meinungs- und politische Willensbildung, Unterhaltung, weitergehende Information) erfüllt werden muss.9 Kodifiziert, präzisiert und ergänzt werden die vom Bundesverfassungsgericht aus dem Grundgesetz abgeleiteten Grundsätze in den Landesgesetzen zur Errichtung der Rundfunkanstalten, auf inhaltlicher Ebene im Rundfunkstaatsvertrag10 inkl. Rundfunkgebühren- und Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag sowie für den Privatrundfunk in den Landesmediengesetzen.11 Hinzu kommt auf europäischer Ebene die Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“12, die u.a. die Tätigkeit von „Personen und Industrien, die kulturelle Fernsehprogramme herstellen“ durch Koordinierung erleichtern soll.13 Bezüglich der kulturellen Verantwortung sehen die Gesetze über die öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten entsprechend vor, dass die Programme dieser Anstalten dem kulturellen Auftrag des Rundfunks nachkommen sollen,14 Beiträge zur Kultur und Kunst zu enthalten haben, der kulturellen Vielfalt innerhalb der jeweiligen Sendegebiete Rechnung tragen15 oder von kulturellem Verantwortungsbewusstsein16 getragen sein sollen.17 8 BVerfGE 73, 118, 158; BVerfGE 83, 238, 297. 9 BVerfGE 73, 118, 158; BVerfGE 74, 297, 234. 10 Der Rundfunkstaatsvertrag liegt seit dem 1. April 2005 in der Form des 8. Rundfunkänderungsstaatsvertrags vor. Der 9. Rundfunkänderungsstaatsvertrag wurde am 22. Juni 2006 von den Ministerpräsidenten beschlossen und soll zum 1. März 2007 in Kraft treten. Er soll insbesondere Änderungen bei den Regelungen zu Telemedien enthalten. 11 Vgl. hierzu MÜLLER/SINGER 2003, 54. Landesmediengesetze abrufbar unter http://www.alm.de/index.php?id=259 12 Richtlinie des Rates vom 3. Oktober 1989, Nr. 89/552/EEC, siehe unter http://europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l24101.htm. Die Richtlinie wird zurzeit überarbeitet. Ein Änderungsvorschlag der EU-Kommissarin Viviane Reding wurde im Dezember 2005 vorgestellt und wird nun in den Mitgliedsstaaten verhandelt. Die Entscheidung über die Neufassung der Richtlinie wird voraussichtlich Anfang des Jahres 2007 fallen, vgl. hierzu 2006, 21 ff. 13 Vgl. die Präambel sowie Art. 4 Abs. 1, Art. 5 der Richtlinie. 14 Vgl. z.B. § 3 Abs. 5 des Staatsvertrags über den Südwestrundfunk, siehe http://www.mediacultureonline .de/fileadmin/bibliothek/swrstaatsvertrag/swrstaatsvertrag.pdf. 15 Vgl. § 4 Abs. 2, 3 WDR-Gesetz, zu finden unter http://www.wdr.de/unternehmen/_media/pdf/basis_struktur/wdr_Gesetz_neu.pdf. 16 Vgl. Art. 4 Abs. 1 Bayrisches Rundfunkgesetz, vgl. http://www.br-online.de/brintern /organisation/gesetze_bayrundfunk.shtml ; § 2 Abs. 1 Radio Bremen Gesetz, siehe unter http://www.radiobremen.de/ueber_uns/unternehmen/organisation/radio_bremen_gesetz.pdf . 17 Auch im ZDF-Staatsvertrag findet die Pflicht zur angemessenen Darstellung der kulturellen Vielfalt Deutschlands ausdrückliche Erwähnung, siehe § 5 Abs. 2 ZDF-Staatsvertrag, zu finden in Media Perspektiven I/2005. - 7 - 3. Der Rundfunkstaatsvertrag und die Ausgestaltung des öffentlichrechtlichen Rundfunks Die besondere Kulturpflichtigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks soll als ein konstitutives, übergreifendes und prägendes Merkmal seiner Identität hervorgehoben werden (ROSSEN-STADTFELD 2005, 6). Mit Inkrafttreten des 7. Rundfunkänderungsstaatsvertrages am 1. April 2004 wurde dies für alle öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten auch ausdrücklich normativ festgelegt. § 11 Abs. 2, S. 4 Rundfunkstaatsvertrag (RStV) verpflichtet die öffentlich-rechtlichen Anstalten ausdrücklich, „Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten“.18 Hier findet sich die aussagekräftigste Regelung des Gesetzgebers (der Länder) zum Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Bislang fand sich lediglich in einigen Landesrundfunkgesetzen (s.o.) ein solcher Programmauftrag mit unterschiedlichen Regelungen. Die von den Gesetzgebern für § 11 RStV gewählten Formulierungen sind Ergebnis der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss demnach zur Erfüllung seines Auftrags die gesamte Bandbreite gesellschaftlichen Lebens und die kulturelle Vielfalt widerspiegeln können, sich an alle richten und für alle erreichbar sein (HARTSTEIN/RING/KREILE/DÖRR/STETTNER 2004, § 11 RStV, Rn 3). Auch wenn der Begriff „Kulturauftrag“ nirgendwo ausdrücklich in den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts oder in Gesetzestexten zu finden ist, war das Ziel des Gesetzgebers bei der Schaffung des § 11 Abs. 2 S. 4 RStV, dass neben der bevorzugten Ausstrahlung von Eigenproduktionen oder sonstigen inländischen bzw. europäischen Werken „ein Schwerpunkt der öffentlich-rechtlichen Angebote die Pflege der deutschen wie christlich-abendländischen Kultur sein“ sollte.19 Dabei wurde ein „weiter Kulturbegriff“ zugrunde gelegt. Als Beispiele werden populäre, anspruchsvolle, allgemein bildende oder speziellere Themen (Special Interest - Programme) mit theoretischen und praktischen Inhalten genannt, die informieren, bilden und unterhalten sollen.20 Auch die Religion wird als fester Bestandteil des Programms hervorgehoben. Diese beispielhafte Aufzählung des Gesetzgebers führt als Programme, die unter den Begriff „Kultur“ fallen, demnach auch populäre und unterhaltende Programme auf, es soll also ausdrücklich nicht nur die so genannte Hochkultur umfasst werden. 18 Vgl. dazu § 11 Abs. 2 RfStV: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat neben seinen sonstigen Aufgaben „Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten“. (Anlage 1) 19 Siehe die Begründung zum 7. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, abgedruckt in HARTSTEIN/RING/KREILE/DÖRR/STETTNER 2004, A 2.5, 5. 20 Dies entspricht der klassischen, auf die BBC bezogenen Formulierung „to inform, to educate and to entertain“. - 8 - In der juristischen Diskussion wird § 11 Abs. 2 S. 4 RStV größtenteils so interpretiert, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk neben der Vermittlung von Berichten über verschiedenste Kulturbereiche auch verpflichtet sei, als Kulturmedium kulturelle Ereignisse, Werke bzw. Erlebnisse selbst zu schaffen. Darunter falle beispielsweise die Pflege der rundfunkeigenen Klangkörper und die Produktion von Hörspielen. Diese „Kulturträgerschaft“ sei eine wichtige Aufgabe der Rundfunkanstalten (HARTSTEIN/RING/KREILE/DÖRR/STETTNER 2004, § 11 RStV, Rn. 15). Ebenso unter den Kulturauftrag falle moderne, zeitgenössische Musik wie z.B. Popkonzerte. Überdies werde auch die volkstümliche Kulturpflege, die Pflege des Brauchtums, beispielsweise durch die Übertragung von Karnevalsveranstaltungen umfasst. Dies widerspreche dem Kulturauftrag keineswegs, da dieser laut Gesetzgeber weit ausgelegt werden soll und so verdeutlicht würde, dass Radio und Fernsehen „Kultur für die Gesellschaft“ seien und keine „Kultur für Eliten“ (HARTSTEIN/RING/KREILE/DÖRR/STETTNER 2004, § 11 RStV, Rn. 16). Es wird allerdings auch die Auffassung vertreten, dass die in § 11 Abs. 2 S. 4 RStV festgelegte Kulturpflichtigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks keine eigenständige Bedeutung habe, da die originären Public Service-Funktionen Information, Bildung und Unterhaltung die gesellschaftliche Kommunikation von Kultur bereits umfassen würden (ROSSEN-STADTFELD 2005, 8). Um der Vermittlung von Kultur in Abgrenzung zum Privatrundfunk gerecht zu werden, bedürfe es eines „Zusammenspiels fremdgesetzter rechtsnormativer und selbstgesetzter professioneller Maßstäbe“, wofür die Konzeption der „regulierten Selbstregulation“ geeignet erscheine (ROSSEN-STADTFELD 2005, 15). Die von den Anstalten erlassen Satzungen und Richtlinien seien hier eine sinnvolle Umsetzung. Die Unschärfe des von den Gesetzgebern in § 11 RStV gewählten Kulturbegriffs ist offensichtlich, jedoch wurde von Anfang an beabsichtigt, dass diese gesetzliche Ausgestaltung in den Leitlinien und Selbstverpflichtungen der Rundfunkanstalten konkretisiert werden sollte. 4. Kulturbezogene gesetzliche Regelungen für den Privatrundfunk Für den Privatrundfunk bestehen völlig unterschiedliche Voraussetzungen als für die öffentlich-rechtlichen Sender. Aufgrund der Finanzierung durch Gebühren und der Funktion als Faktor der öffentlichen Meinungsbildung ist es dem Gesetzgeber, wie oben gesehen, möglich, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Rahmen der verfassungsrechtlichen Maßgaben einen Auftrag mit Vorgaben für die Programmgestaltung zu erteilen. Beim privaten Rundfunk gestaltet sich dies - 9 - problematischer, da die privaten Sender sich selbst finanzieren und somit notwendigerweise das Ziel möglichst hoher Gewinnerzielung verfolgen müssen. Eine zuschauerquotenorientierte Geschäftspolitik ist demnach ausschlaggebend und unerlässlich für die Programmgestaltung der privaten Sender (VON MAHRENHOLZ 1997, 265). Als Teil des dualen Systems ist der private Rundfunk indes auch Medium der öffentlichen Meinungsbildung und unterliegt – wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk – allgemeinen Programmgrundsätzen.21 Dennoch handelt es sich bei privaten Rundfunkanstalten um wirtschaftliche Unternehmen. Dies musste der Gesetzgeber bei der Erteilung möglicher Programmvorgaben berücksichtigen. Der auch für die privaten Vollprogramme geltende § 2 Abs. 2 Nr. 1 RStV gibt vor, dass sie „ein Rundfunkprogramm mit vielfältigen Inhalten, in welchem Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung einen wesentlichen Teil des Gesamtprogramms bilden“ zu veranstalten haben. Damit verweist das Gesetz auf die Funktionen des klassischen Rundfunkauftrags, eine Erwähnung des Begriffs „Kultur“ fehlt jedoch. In § 25 Abs. 4 RStV wird den beiden bundesweit verbreiteten reichweitenstärksten privaten Vollprogrammen (RTL und Sat. 1) auferlegt, nach Maßgabe des jeweiligen Landesrechts Fensterprogramme zur aktuellen Darstellung der „Ereignisse des politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens“ des jeweiligen Landes aufzunehmen. Gemäß § 41 Abs. 2 RStV sollen die privaten Vollprogramme zur „Darstellung der Vielfalt im deutschsprachigen und europäischen Raum mit einem angemessenen Anteil an Information, Kultur und Bildung beitragen“. Dies ist als Auftrag zu verstehen, Beiträge zur Kultur – von der Hoch- bis zur Subkultur – zu senden. Freilich muss hier ein sehr weiter Kulturbegriff zugrunde liegen, da an die Vielfalt des privaten Rundfunks nicht die gleichen Anforderungen gestellt werden können wie an die Vielfalt, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk darstellen soll. Die privaten Rundfunksender kommen diesem Auftrag vor allem durch die Vermittlung von Alltagskultur nach, die in Reportage- und Dokumentations- oder Wissenssendungen dargeboten und wissenschaftlich aufgearbeitet werden könne. Das primäre Ziel sei nach wie vor, das Zuschauerinteresse zu treffen, so die Vertreter des privaten Rundfunks. 22 Der Rundfunkstaatsvertrag verzichtet auf eine Konkretisierung des Programmauftrages für die privaten Sender, die über die genannten Maßnahmen hinausgeht. In einigen Landesmediengesetzen existieren gleichwohl Normen, die dem Privatrundfunk einen 21 Dazu gehören § 3 RStV (Achtung und Schutz der Menschenwürde), die Quotenvorgaben des § 6 RStV sowie die Jugendschutzvorschriften. 22 Vgl. hierzu das Expertengespräch über die „Rolle der privaten Medien für die Kultur“ vor der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ am 9. Mai 2005 (K.-Drs. 15/520), abrufbar unter http://www.bundestag.de/parlament/gremien/kommissionen/archiv15/kultur_deutsch/bericht/taetigk eitsbericht_15wp.pdf - 10 - Programmauftrag zuschreiben und insbesondere einen kulturellen Auftrag festlegen. So heißt es z.B. in § 31 Abs. 1 Landesmediengesetz Nordrhein-Westfalen und § 15 Abs. 1 Saarländisches Mediengesetz, dass die privaten Rundfunkprogramme neben ihrem Beitrag zur Meinungsbildung auch der „Bildung, Beratung und Unterhaltung zu dienen und dem kulturellen Auftrag des Rundfunks zu entsprechen“ haben. Ob ein solch detaillierter Programm- bzw. Kulturauftrag für den privaten Rundfunk überhaupt zulässig ist, wird unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird die Auffassung vertreten, eine solch konkrete gesetzliche Aufgabenzuweisung griffe in die Programmfreiheit und insbesondere auch die Privatautonomie der Sender als Unternehmen ein. Auch wenn der private Rundfunk ebenfalls eine öffentliche Aufgabe erfülle, dürfe diese nicht zu einer öffentlichen Funktion mit konkreten Obliegenheiten umgepolt werden (BETHGE 2002, 677). Auch die Landesmedienanstalten bescheinigen dem Privatrundfunk eine öffentliche Aufgabe - Rundfunk ausschließlich als Dienstleistung zu verstehen widerspräche der deutschen Rechtsordnung und Tradition - eine Erfüllung dieser öffentlichen Aufgabe sei aber nicht jeder einzelnen Sendung des privaten Rundfunks abzuverlangen, es zähle vielmehr das Gesamtangebot des Anbieters.23 5. Selbstverpflichtungen und Beschlüsse der Rundfunkanstalten und ihre Durchsetzungskraft Wie vom Gesetzgeber im 7. Rundfunkänderungsstaatsvertrag in § 11 Abs. 4 RStV gefordert, haben die öffentlich-rechtlichen Anstalten erstmals zum 30. September 2004 programmliche Selbstverpflichtungserklärungen verfasst, um den ihnen erteilten Funktionsauftrag zu konkretisieren und auszugestalten24. Diese lassen, so schwer ihr konkreter Verpflichtungsgehalt gelegentlich auch fassbar sein mag, doch durchgängig die Absicht erkennen, an einem kulturellen Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks festhalten zu wollen.25 Das Vorbild für die 23 Vgl. die Erklärung der Gesamtkonferenz der Landesmedienanstalten vom 16. November 2004, abzurufen unter http://www.alm.de/fileadmin/Download/Positionen/Erkl%E4rung_GK_1711.pdf 24 Diese Vorgabe seitens des Gesetzgebers war insbesondere notwendig geworden aufgrund der europarechtlichen Diskussion über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die EU-Kommission hatte Deutschland aufgefordert, mehr Transparenz in die Abläufe und Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hineinzubringen und den Grundversorgungsauftrag zu konkretisieren. 25 Leitlinien für die Programmgestaltung der ARD 2005/2006, Abschn. 2; Programm-Perspektiven des ZDF 2004 – 2006, insbes. Präambel u. Abschn. 3; Bericht über programmliche Leistungen und Perspektiven des Deutschlandradios 2004 – 2006, insbes. Abschn. 11; alle zum 01.10.2004 in Kraft getreten und abgedruckt in epd medien Nr. 79 v. 09.10.2004; vgl. auch Ziff. I. (1) b), d), f) der „Grundsätze für die Zusammenarbeit im ARD-Gemeinschaftsprogramm ‚Erstes Deutsches Fernsehen’ und anderen Gemeinschaftsprogrammen und –angeboten (Richtlinien gemäß § 11 RfStV) v. 30.03.2004 (www.br-online.de/br-intern/organisation/pdf/ard-grundsaetzezusammenarbeit .pdf). - 11 - Verpflichtung zum Verfassen von Selbstverpflichtungserklärungen liefert die BBC, bei der dieses System schon seit Jahren besteht. Die Selbstverpflichtungsleitlinien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten dienen als Grundlage für zukünftig im Zwei-Jahres-Turnus zu publizierende Berichte über die Erfüllung des jeweiligen Auftrages, über Qualität und Quantität der angebotenen Programme sowie deren Schwerpunktsetzung. So legen die öffentlich-rechtlichen Anstalten selbst journalistische Standards und Programmangebote fest und in den Berichten Rechenschaft darüber ab, ob und wie die selbst gesetzten Vorgaben eingehalten und Ziele erreicht wurden. Es liegt demnach ein System der Selbstkontrolle und nicht der staatlichen Kontrolle vor (WOLDT 2002, 202). In den Leitlinien nehmen die Anstalten auch zu ihrem kulturellen Auftrag Stellung. Die ARD bezeichnet sich „in allen Bereichen der Kultur und des kulturellen Lebens in Deutschland“ als „Faktor und Medium zugleich“ und hebt die Stärkung der kulturellen Gemeinsamkeiten in Europa als wichtiges Ziel hervor. Die Kultur sei neben der Information, die die „stärkste Säule im Programm“ darstellt, eine „Kernaufgabe des öffentlich-rechtlichen Fernsehens“.26 Dabei soll ein, wie vom Gesetzgeber vorgegebener, weiter Kulturbegriff gelten, so dass nicht nur Eliten, sondern alle Bevölkerungsschichten angesprochen werden könnten.27 Kulturspezifische Programme der ARD sollen eine breite Palette aus anspruchsvollen aber auch populären, allgemein bildenden sowie „Special-Interest“-Themen sein. Überdies wird die Bedeutung der Klangkörper und die Beteiligung an den länderübergreifenden Kulturkanälen ARTE und 3sat betont. Die Produktion von Fernsehfilmen wird ebenfalls herausgestellt. Insoweit verpflichten sich die ARD und die Degeto (die Gesellschaft für Filmbeschaffung und Produktion der ARD), ca. 70 % der ARD-Produktionen bei Fremdfirmen in Auftrag zu geben und damit „die deutsche Filmwirtschaft maßgeblich zu unterstützen“. Ferner wird die Beschäftigung mit religiösen Themen als wichtiger Bestandteil des Kulturauftrages genannt, sowohl in Form von Reportagen oder Dokumentationen als auch in Form von sog. Verkündigungssendungen (Gottesdienstübertragungen, „Ostern in Rom“ etc.). Einen weiteren programmlichen Schwerpunkt hinsichtlich des Kulturauftrages setzt die ARD bei der Regionalberichterstattung, da diese insbesondere im Zeitalter der Globalisierung zur Identifikation und Orientierung diene. Teil dieser „regionalen Kompetenz“ sei die 26 Weitere Programmsäulen sind Bildung und Beratung, Unterhaltung, Kinder und Jugend, Angebote für Hör- und Sehbehinderte. 27 Siehe S. 27 der Leitlinien, abrufbar unter http://www.daserste.de/service/leitlinien/ard_leitlinien.pdf. - 12 - Berichterstattung über regionale Besonderheiten sowie auch beispielsweise die Ausstrahlung volkstümlicher Musiksendungen. Dies soll zur „kulturellen Vernetzung der Regionen“ beitragen. Schließlich weist die ARD noch auf das Kulturprogramm seines digitalen Kanals „EinsFestival“ hin, wo kulturelle Inhalte zusätzlich zur Verfügung gestellt werden. Das ZDF nennt die Kultur in seinen Leitlinien ein „Leitprinzip seiner Programmphilosophie und seiner gesamten programmlichen Leistungen“. Den kulturellen Auftrag erfüllt das ZDF in „dem Bewusstsein, dass Kultur einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung eines demokratischen, zivilisierten und pluralistischen Gemeinwesens leistet“. Es bestehe ein einzigartiger „Kulturverbund“ aus ZDF-Vollprogramm, 3sat, ARTE und dem ZDF.Theaterkanal.28 Dieser Kulturverbund soll in der Zukunft weiter ausgebaut werden29. Aktuelle Kulturbeiträge, Kulturmagazine sowie die Übertragung von Kulturereignissen sollen ebenso weiterentwickelt werden wie Literaturprogramme und Dokumentationen, inklusive der begleitenden Online- Angebote. Überdies werden auch beim ZDF religiöse und philosophische Berichterstattung sowie Beiträge aus einzelnen – ausdrücklich verstärkt auch ostdeutschen – Regionen vom Kulturauftrag umfasst. Ferner trete das ZDF mit seinen Filmen, Dokumentationen und Serien zudem als Kulturproduzent auf und trage mit seiner Beteiligung an der nationalen und regionalen Filmförderung zur Stärkung der nationalen audiovisuellen Programmproduktion bei. Außerdem verpflichtet sich das ZDF, diese Tätigkeit weiter auszubauen. Der Radiosender DeutschlandRadio, der mit dem Informationskanal „Deutschlandfunk“ und dem „Deutschlandradio Kultur“ zwei bundesweite Hörfunkprogramme veranstaltet, sieht seinen Kulturkanal als wichtigen Kulturfaktor Deutschlands an. Er wirke mit „anspruchsvollen Wort- und Musikbeiträgen“ als „Integrationsmedium der regionalen Vielfalt“ und eröffne so „Beschäftigungsmöglichkeiten in einer großen Bandbreite von kulturellen und publizistischen Berufsfeldern“. Außerdem erfülle das Radio durch zahlreiche Hörspiele und Features auch seinen Auftrag als Kulturproduzent. Ein weiterer wichtiger Teil sei es, Wege zu finden, um Hörer anzusprechen, die sich nicht an traditionellen Kulturbegriffen orientierten. Deshalb verpflichtet sich das DeutschlandRadio, „neue innovative Radioformen“ zu entwickeln, um nicht nur eine an der klassischen Hochkultur interessierte Hörerschaft anzusprechen. Das DeutschlandRadio folgt hierbei jedoch einem klassischen, künstlerisch-anspruchsvoll verstandenen Kulturbegriff, der 28 Dieser sendet täglich von 9-24 Uhr und ist Teil des digitalen ZDF-Programms ZDFvision. 29 Siehe S. 5 der ZDF-Programmperspektiven, abrufbar unter http://www.zdfjahrbuch .de/2004/dokumentation/selbstverpflichtung.htm. - 13 - Kulturberichterstattung, kulturelle Wortproduktionen und Musik umfasst.30 Hierbei unterscheiden sich die Leitlinien des öffentlich-rechtlichen Radios von denen der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, da letztere aufgrund ihrer Massenwirksamkeit den vom Gesetzgeber definierten weiten Kulturbegriff verfolgen. Eine Unterscheidung zwischen den beiden öffentlich-rechtlichen Fernsehveranstaltern ARD und ZDF kann dennoch vorgenommen werden. Während die ARD die Kulturberichterstattung als eigene Kategorie ihres Fernsehprogramms mit den Unterkategorien Kunst, Wissenschaft, Geschichte/Zeitgeschichte einordnet, unterscheidet das ZDF lediglich zwischen den Rubriken Information, Fiktion, Unterhaltung, Sport, Kinderprogramm und sonstigen Sendungen.31 Kultur wird beim ZDF übergreifend als „Leit- und Querschnittsprinzip“ definiert und reicht von der Hoch- bis zur Alltagskultur. Trotz dieses allumfassenden Kulturverständnisses beschreibt das ZDF jedoch eine inhaltlich-thematische Abgrenzung der „eigentlichen Kultursendungen“.32 Dies zeigt, dass, so wenig sich die Öffentlichkeit darüber einig ist, wie Kultur definiert werden soll, so wenig existiert auch ein senderübergreifender Konsens darüber, welche Sendungen unter die Sparte Kultur fallen. Aufgrund dieser Tatsache wird immer mehr gefordert, den Kulturauftrag des öffentlichrechtlichen Rundfunks - wie beim ZDF beschrieben - als modale Querschnittsverpflichtung zu sehen, die sich durch alle Programmangebote und -formen zieht und in so gut wie allen Produktionen Entfaltungsräume findet. Es sei nämlich viel zu kompliziert und schwierig, den Kulturbegriff eindeutig zu definieren und einzugrenzen (ROSSEN-STADTFELD 2005, 20). Differenzsteigerung, Kontrastverdeutlichung und Unterschiedspflege zu den privaten Sendern müssten das Ziel sein. Hierzu können die Selbstverpflichtungserklärungen bzw. die Aufforderung dazu durch den Gesetzgeber als erster Schritt der regulierten Selbstregulierung angesehen werden, jedoch fehlt es zu ihrer praktischen oder juristisch handhabbaren Umsetzung an Klarheit. Es genüge nicht, in den Selbstverpflichtungserklärungen eine „wohlkalkulierte Mischung von Selbstlob und guten Absichten“ darzulegen (ROSSEN-STADTFELD 2005, 30). Vielmehr bedürfe es genaueren und insbesondere auch stärker quantifizierenden Festlegungen seitens der 30 So Ernst Elitz, Intendant des DeutschlandRadios, in der schriftlichen Beantwortung des Fragenkatalogs der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“, in epd medien Nr. 31/ 2005,S. 32. 31 Dies geht ebenfalls aus den Fragekatalogen der Enquete-Kommission hervor, epd medien Nr. 32 /2005, S. 5ff und S. 20ff. 32 Darunter fallen Kulturmagazine, Dokumentationen mit kulturellem Inhalt, Übertragungen von Kulturereignissen, aber auch Talkshows, die sich mit Themen Religion, Kultur, Literatur etc. auseinandersetzen. - 14 - Anstalten, z.B. bezüglich Sendezeitanteilen, Erstausstrahlungen, Eigenproduktionsquoten, Genrevielfalt oder Werbefreiheit (WEISS 2004, 21). Andere Auffassungen vertreten jedoch den Standpunkt, dass eine reine Selbstregulierung der öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht ausreiche, um daran die Erfüllung und Ausgestaltung des kulturellen Auftrags zu messen. Folge man der Theorie der „modalen Querschnittsverpflichtung“, käme man lediglich zu der Konklusion, dass jede Sendung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einen Qualitätsanspruch erfüllen muss, in dem sich ihre kulturelle Wertigkeit widerspiegelt. Dies sei jedoch zu wenig fassbar und ungenau. Gesetzliche Einschränkungen oder Vorgaben auf programmlicher Ebene zur Verfolgung von kulturellen Zielen könnten hier von großem Gewicht sein (WEBER/ROSSNAGEL/OSTERWALDER/SCHEUER/WÜST 2006, 271). 6. Reformvorschläge und Möglichkeiten der Evaluation und Sanktionierung Zur Lösung der oben genannten Problematik werden verschiedene Vorschläge gemacht. Der Gesetzgeber müsste den Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks genauer definieren. Hierbei gälte es, einen Kompromiss zu finden zwischen dem Ansatz der Querschnittsverpflichtung und der Festlegung einiger konkreter Merkmale für kulturelle Schwerpunkte. Die Erfüllung des Kulturauftrages könnte weiter mit nachprüfbaren Regelungen gefestigt werden. Eine Quotenregelung wie in § 6 RStV zur Förderung von einheimischen, anspruchsvollen, europäischen oder unabhängigen Produktionen könnte auch hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Vorgaben „Kulturvermittlung“ und „Vielfaltssicherung“ ein Gegengewicht zur funktional ausgerichteten Programmautonomie darstellen (WEBER/ROSSNAGEL/OSTERWALDER/ SCHEUER/WÜST 2006). Das Ziel einer solchen „Kulturquote“ wäre die Steigerung des Anteils von Kulturberichterstattung. Die Schwierigkeit bei der Einführung einer „Kulturquote“ liegt freilich in der näheren Bestimmung, welche Programme von ihr umfasst werden sollten – hier wäre eine genauere Definition des Kulturbegriffs unerlässlich. Überdies ist aus rundfunkrechtlicher Sicht der hohe Stellenwert der Programmfreiheit der Rundfunkveranstalter stets zu beachten, da jede Art externer Kontrolle die Gefahr eines verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten Eingriffs birgt. Ein anderer Vorschlag zielt auf die Einführung eines externen Qualitätsmanagements für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ab (BECK 2005). Anhand von überprüfbaren Qualitätsstandards wie z.B. Originalität, Kreativität, künstlerisches Handwerk oder Einsatz für Bildungszwecke könnten Programme besser bewertet werden. Dies wird bei - 15 - der BBC bereits praktiziert.33 Weitere Kriterien, anhand derer eine Evaluation möglich wäre, sind die Zahl der Erstausstrahlungen im Verhältnis zu Wiederholungen, Eigenproduktionen und Genrevielfalt. Überdies sei die Vergabe von Preisen wie dem Adolf-Grimme-Preis ein geeignetes Mittel zur Programmbewertung. Als staatsferne Referenzmöglichkeit zur Beurteilung des Kulturangebots der öffentlich-rechtlichen Sender könnten auch regelmäßige Kritiken in den Feuilletons der Printmedien fungieren. Als Beispiel für eine externe Evaluationspraxis wird auch das Vorgehen in anderen Ländern herangezogen. Neben der BBC wird das tschechische Fernsehen genannt34. Um den Qualitätsanspruch des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu garantieren und kontrollieren, hat das tschechische Parlament ein unabhängiges Forschungsinstitut beauftragt, die öffentlich-rechtlichen Medien in Hinblick auf Inhalte, Qualität und Erfüllung des Grundversorgungsauftrags zu evaluieren und darüber halbjährlich Bericht zu erstatten, der dann im Parlament beraten wird. Für eine solche wissenschaftliche Evaluation der Programme in Deutschland anhand von Qualitätsstandards wird von Experten das Grimme-Institut vorgeschlagen, oder ansonsten auf die Forschungseinrichtungen der Universitäten verwiesen. Vereinzelt wird gefordert, ein derartiges System nicht nur für die öffentlich-rechtlichen Anstalten, sondern auch für die Evaluation der privaten Sender anzuwenden. Nach Ansicht der öffentlich-rechtlichen Sender ist ihre interne Evaluationspraxis jedoch ausreichend. Das ZDF verfüge über interne Bewertungskriterien für kulturelle Relevanz, die allerdings nicht hundertprozentig konkretisiert seien. Die ARD betont, dass durch den ARD-Programmbeirat und die Aufsichtsgremien der Landesrundfunkanstalten regelmäßige Evaluierungen vorgenommen würden. Außerdem seien die Evaluationsmechanismen durch Zuschauer (Einschaltquoten) der wichtigste Faktor zur Messung einer gesellschaftlichen Relevanz.35 Hier könnte eine Forderung des Gesetzgebers nach mehr Transparenz und Nachprüfbarkeit der Selbstregulierung hilfreich sein. Darüber hinaus hat auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk wegen seiner Finanzierung durch Gebühren seine Rechtfertigung nicht schon darin findet, dass ihn möglichst viele Menschen einschalten, sondern darin, dass er neben massenattraktiven Sendungen auch anspruchsvolle kulturelle Programme mit hohem 33 Vgl. dazu Tätigkeitsbericht der Enquete-Kommission, S. 589ff, abrufbar unter http://www.bundestag.de/parlament/gremien/kommissionen/archiv15/kultur_deutsch/bericht/taetigkeitsbe richt_15wp.pdf 34 Siehe Tätigkeitsbericht, S. 597. 35 Siehe auch hier Tätigkeitsbericht, S. 598. - 16 - Kostenaufwand veranstaltet, die unter kommerziellen Bedingungen notwendig defizitär bleiben müssen (Baum 2006). Das zurzeit in Karlsruhe anhängige Verfahren gegen ARD und ZDF könnte die notwendige verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die Neudefinierung, Evaluation und auch Sanktionierung eines (nicht-) erfüllten Kulturauftrags der öffentlich-rechtlichen Rundfunksender liefern. - 17 - 7. Literatur BAUM, Gerhart (2006). Die Legitimation liegt in der Qualität. Zum Kulturauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Neue Musikzeitung 2006/07, S. 1-2. BECK, Kurt (2005). Er ist sein Geld wert – Qualitätskontrolle, Politikerpflichten, Aufsichtsreformen und Werbeverzicht – zur Lage des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland. Süddeutsche Zeitung vom 31. 05.2005, S. 19 BETHGE, Herbert (2002). Die Freiheit des privaten Rundfunks – eine Bestandsaufnahme. Die öffentliche Verwaltung (DÖV) Nr. 16/2002, S. 673-681. ECKHARDT, JOSEPH (2005). Wie erfüllt der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Kulturauftrag. 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