© 2020 Deutscher Bundestag WD 10 - 3000 - 044/20 Vorabinformationen des Bundesverfassungsgerichts an Mitglieder der Justizpressekonferenz Karlsruhe Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 044/20 Seite 2 Vorabinformationen des Bundesverfassungsgerichts an Mitglieder der Justizpressekonferenz Karlsruhe Aktenzeichen: WD 10 - 3000 - 044/20 Abschluss der Arbeit: 4. November 2020 Fachbereich: WD 10: Kultur, Medien und Sport Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 044/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorbemerkung 4 1.1. Justizpressekonferenz Karlsruhe e.V. 4 1.1.1. Rechtsnatur und Mitgliedschaft 4 1.1.2. Vorabinformationen des Bundesverfassungsgerichts an Vereinsmitglieder 6 1.1.3. Position des Bundesverfassungsgerichts 6 1.1.4. Position der Justizpressekonferenz Karlsruhe e.V. 7 1.1.5. Kritik an der derzeitigen Praxis 7 1.1.5.1. Keine Gleichbehandlung aller Journalisten 7 1.1.5.2. Singuläre Praxis 8 1.1.5.3. Vergleich mit der Bundespressekonferenz 9 1.1.5.4. Kenntnis der Journalisten vor den Prozessbeteiligten 10 1.2. VG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Juni 2020 – 3 K 2476/20 –: kein Anordnungsanspruch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes 10 2. Problemstellung und Darstellung 11 3. Bekanntgabe von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts – Rechtslage 12 4. Grundrechtsbindung der Justizpressekonferenz Karlsruhe – insbesondere bei der Aufnahme neuer Mitglieder 13 5. Pressefreiheit und Recht auf Gleichbehandlung 14 5.1. Schutzpflicht des Staates gegenüber der Presse 14 5.2. Neutralitätspflicht des Staates als Kernstück des Schutzbereichs 15 5.3. Staatliche Einflussnahme auf Presseerzeugnisse – Schutzpflichten 16 5.4. Gleichbegünstigungsanspruch 16 5.4.1. Differenzierung zwischen Medienvertretern bei Vorliegen eines zwingenden Sachgrunds 17 5.4.2. Differenzierung zwischen Medienvertretern nach Fachkenntnissen 18 5.4.3. Zeitgleiche Verbreitung 20 5.4.4. Privatrechtliche Rechtsformen 21 6. Zusammenfassung der bisherigen Rechtsprechung 21 7. Fazit 22 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 044/20 Seite 4 1. Vorbemerkung Diese Ausarbeitung befasst sich mit den grundsätzlichen Vorgaben für die Verkündung von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und der langjährigen Praxis, dass mit Sperrfrist versehene Pressemitteilungen des Bundesverfassungsgerichts vorab an die in der Justizpressekonferenz Karlsruhe organisierten Journalisten herausgegeben werden. Andere Journalisten, die nicht Mitglieder dieses privaten Vereins sind, erhalten die Informationen ebenso wie die Prozessbeteiligten erst bei Bekanntgabe der jeweiligen Entscheidung. 1.1. Justizpressekonferenz Karlsruhe e.V. 1.1.1. Rechtsnatur und Mitgliedschaft Die Justizpressekonferenz Karlsruhe e.V. ist ein 1975 gegründeter1 privater Verein, bei dem es sich gemäß § 7 der Vereinssatzung um eine Arbeitsgemeinschaft rechtspolitischer Journalisten handelt, die hauptberuflich für Zeitungen und Zeitschriften mit eigener politischer Redaktion, für Hörfunk, Fernsehen, Nachrichtenagenturen und Nachrichtenbüros tätig sind.2 Die Tätigkeit der Vereinsmitglieder muss laut Satzung in der ständigen Berichterstattung über die Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe sowie über Fragen der Rechts- und Justizpolitik bestehen. Amtsblätter , Anzeigenblätter, Verbandsorgane, PR- und Firmenpublikationen sowie Gerichte und Behörden können demnach keine Mitglieder entsenden. 1 Zur Geschichte der Justizpressekonferenz Karlsruhe: http://www.justizpressekonferenz.de/?Geschichte [abgerufen am 29.102020 wie alle weiteren in der vorliegenden Arbeit angegebenen URL]. „Der Anstoß für die offizielle Gründung der Karlsruher Justizpressekonferenz kam dann aber letztlich von außen . Der langjährige SPIEGEL-Korrespondent Rolf Lamprecht berichtet, dass 1975 der damalige Generalbundesanwalt Siegfried Buback in einem Vier-Augen-Gespräch die Gründung einer offiziellen ‚Pressekonferenz‘ anregte – aus nicht ganz uneigennützigen Gründen. ‚Es war eine Phase‘, schreibt Lamprecht ‚in der es wieder mal kriselte zwischen Generalbundesanwalt und Bundesjustizministerium. Dem damaligen Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel, vor allem aber seiner Hausspitze, missfiel Bubacks freimütiger Umgang mit der Öffentlichkeit . Das Ministerium reagierte mit einem internen Maulkorb-Erlass: Buback sollte, bevor er Pressekonferenzen einberief, stets sein Konzept vorlegen und in Bonn genehmigen lassen.‘ Buback, so erinnert sich Rolf Lamprecht, schlug daher folgendes vor: ‚Wenn Sie etwas Ähnliches wie die Bundespressekonferenz gründen, haben Sie die Federführung. Sie laden mich ein, da kann ich natürlich nicht Nein sagen.‘ Da machten die Journalisten gerne mit. Und von da an trat Buback sein Hausrecht für die Zeit der Veranstaltung an den Vorsitzenden der neu gegründeten Justizpressekonferenz ab: Rolf Lamprecht eröffnete die Pressekonferenz und erteilte ihm das Wort.“ 2 Justizpressekonferenz Karlsruhe e.V., Satzung. Abrufbar unter: http://www.justizpressekonferenz.de/?Verein _Satzung. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 044/20 Seite 5 § 8 der Vereinssatzung legt fest, dass nur die bei den Karlsruher Gerichten tätigen Korrespondenten und Redakteure Mitglieder sein können.3 Vollmitglieder des Vereins sind somit in der Regel in Karlsruhe ansässig. Nach Angaben der Justizpressekonferenz gehören darüber hinaus neun Journalisten zu den Vollmitgliedern, die ihren Sitz nicht in Karlsruhe haben.4 Neben den insgesamt 33 Vollmitgliedern hat der Verein noch 38 sogenannte Gastmitglieder, bei denen es sich ebenfalls um hauptberufliche Journalisten mit rechtlichem Schwerpunkt handelt, die aber nicht ständig von den Karlsruher Gerichten berichten.5 Diese Gastmitglieder haben in der Mitgliederversammlung kein Stimmrecht. Jedes Vereinsmitglied muss nach §§ 22, 23 der Vereinssatzung von mindestens einem Publikumsorgan schriftlich bestätigt sein oder seine Präsenz bei den obersten Gerichten in Karlsruhe auf andere Weise nachweisen. Zusammen mit diesem Bestätigungsschreiben sind der Aufnahmeantrag und eine Benennung von zwei Vereinsmitgliedern einzureichen, die diese Aufnahme befürworten . Für eine Aufnahme als Vollmitglied ist dann die Wahl in der Mitgliederversammlung mit der Mehrheit der anwesenden Vereinsmitglieder erforderlich. Über die Anträge wird laut Satzung in geheimer Abstimmung entschieden, wobei die Aufnahme oder Ablehnung als Ermessensentscheidung keiner Begründung bedarf. Über die Aufnahme von Gastmitgliedern, die ebenfalls ein Bestätigungsschreiben vorlegen und zwei Vereinsmitglieder als Befürworter benennen müssen, befindet nicht die Mitgliederversammlung, sondern der Vorstand. 3 Als Vollmitglieder werden auf der Internetseite des Vereins aufgeführt: Anabah, Kerstin (ARD/Südwestrundfunk ); Bräutigam, Frank (ARD/Südwestrundfunk); Deppe, Gigi (ARD/Südwestrundfunk); Ferber, Martin (BNN); Franke, Birgit (ZDF, Redaktion Recht u. Justiz); Gerhardt, Rudolf (DIE ZEIT, ZRP); Gottschalk, Christian (Stuttgarter Zeitung); Hauptmeier, Carsten (AFP GmbH); Hempel, Klaus (ARD/Südwestrundfunk); Hipp, Dietmar (DER SPIEGEL); Jacquemain, Michael (KNA); Janisch, Wolfgang (Süddeutsche Zeitung); Kehlbach, Christoph (ARD/Südwestrundfunk); Knapp, Ursula (Frankfurter Rundschau/ Rheinpfalz/ Tagesspiegel); Kornmeier, Claudia (ARD/Südwestfunk); Lamprecht, Rolf; Möller, Karl-Dieter; Müller, Reinhard (Frankfurter Allgemeine Zeitung ); Nordhardt, Michael-Matthias (ARD/Südwestrundfunk); Pohl, Joachim (ZDF, Red. Recht u. Justiz); Rath, Christian (taz, Badische Zeitung, u.a.); Reissenberger, Michael; Roeber, Martin; Roth, Tobias (Badische Neueste Nachrichten); Schneider, Christoph (ZDF, Red. Recht und Justiz); Schwartz, Kolja (ARD/Südwestrundfunk); Semmelroch, Anja (dpa); Stieber, Benno (Financial Times Deutschland); Tacke, Sarah (ZDF, Red. Recht und Justiz); Töpel, Fabian (ARD/Südwestrundfunk); Töpper, Bernhard; Wolf, Bernd (ARD/Südwestrundfunk); Zimmermann , Felix (ZDF, Red. Recht und Justiz). Justizpressekonferenz e.V., Mitglieder, http://www.justizpressekonferenz.de/?Verein_Mitglieder. 4 Lorenz, Pia, Vorabinformationen des BVerfG an Journalisten: Karlsruhe exklusiv. In: Legal Tribune Online, 20. August 2020. Abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/justiz/j/bverfg-kritik-presserat-vorab-informationenkarlsruher -journalisten-vollmitglieder-justizpressekonferenz/. 5 Justizpressekonferenz e.V., Satzung. Abrufbar unter: http://www.justizpressekonferenz.de/?Verein_Satzung. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 044/20 Seite 6 Nach eigenen Angaben denkt der Verein seit vielen Jahren darüber nach, den Kreis der Mitglieder über Karlsruhe hinaus noch auszuweiten. Unter Berücksichtigung neuer medialer Arbeitsweisen und Strukturen solle weiteren Journalisten an anderen Standorten die Möglichkeit einer Mitgliedschaft eingeräumt werden.6 Eine entsprechende Satzungsänderung sei in Vorbereitung. 1.1.2. Vorabinformationen des Bundesverfassungsgerichts an Vereinsmitglieder Kommt es nach einer öffentlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts zu einer Urteilsverkündung , die in der Regel um 10:00 Uhr morgens stattfindet, erhalten die Mitglieder der Justizpressekonferenz die Gelegenheit, sich die Pressemitteilung bereits am Vorabend in Papierform beim Bundesverfassungsgericht abzuholen, elektronisch wird sie nicht verschickt.7 Andere Journalisten werden ebenso wie die Verfahrensbeteiligten erst am nächsten Morgen bei der Urteilsverkündung informiert. Handelt es sich bei der Entscheidung nicht um ein Urteil mit öffentlicher Verhandlung, sondern um einen Beschluss, der schriftlich verkündet werden soll, kündigt das Bundesverfassungsgericht dies den Mitgliedern der Justizpressekonferenz Karlsruhe am Vortag an und gibt diesem Personenkreis die Pressemitteilung am Tag der Veröffentlichung ab 8:30 Uhr an der Pforte des Gerichts aus. Die übrigen Journalisten und die Prozessbeteiligten werden etwa eine Stunde später informiert, sobald die Pressemitteilung und der Beschluss auch auf der Webseite des Bundesverfassungsgerichts veröffentlicht sind.8 1.1.3. Position des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht begründet seine Praxis nach einem Bericht des „Tagesspiegels“ damit, dass eine qualitativ hochwertige und zutreffende Berichterstattung über seine teils äußerst langen Entscheidungen nur möglich sei, wenn ein Teil der Journalisten bereits vor der Urteilsverkündung Gelegenheit zur Kenntnisnahme der jeweiligen Pressemitteilung erhalte.9 6 Es geht um Pressemitteilungen mit Sperrfrist – mehr ist es nicht. Justizpressekonferenz Karlsruhe e.V., 17. August 2020. Abrufbar unter: http://www.justizpressekonferenz.de/userfiles/downloads/2020_08_17_Stellungnahme_Vorab_NEU.pdf. 7 Justizpressekonferenz e.V., Satzung. Abrufbar unter: http://www.justizpressekonferenz.de/?Verein_Satzung. 8 Lorenz, Pia, Vorabinformationen des BVerfG an Journalisten: Karlsruhe exklusiv. In: Legal Tribune Online, 20. August 2020. Abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/justiz/j/bverfg-kritik-presserat-vorab-informationenkarlsruher -journalisten-vollmitglieder-justizpressekonferenz/. 9 Bevorzugung ausgewählter Medien – Parlamentarier kritisieren Verfassungsgericht für seine Öffentlichkeitsarbeit . In: Der Tagesspiegel online vom 10. August 2020. Abrufbar unter: https://www.tagesspiegel.de/politik/bevorzugung -ausgewaehlter-medien-parlamentarier-kritisieren-verfassungsgericht-fuer-seine-oeffentlichkeitsarbeit /26079248.html = Wenn einige früher Bescheid wissen – Bundesverfassungsgericht will Praxis beibehalten – Kritik aus der Opposition. In: Der Tagesspiegel vom 10. August 2020, S. 4. Es geht um Pressemitteilungen mit Sperrfrist – mehr ist es nicht. Justizpressekonferenz Karlsruhe e.V., 17. August 2020. Abrufbar unter: http://www.justizpressekonferenz.de/userfiles/downloads/2020_08_17_Stellungnahme _Vorab_NEU.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 044/20 Seite 7 1.1.4. Position der Justizpressekonferenz Karlsruhe e.V. In ihrer Pressemitteilung verteidigt die Justizpressekonferenz Karlsruhe diese Praxis als ebenso üblich wie erforderlich, gerade auch um eine „ungesunde“ Nähe zwischen Presse und Gericht zu vermeiden.10 Es handele sich um eine Form der journalistischen Selbstorganisation, vergleichbar mit der Bundespressekonferenz in Berlin und den Landespressekonferenzen. Die formalisierte Praxis verringere die Versuchung, sich durch individuelle Kanäle im Kontakt mit bestimmten Richtern einen Informationsvorsprung zu verschaffen und vermeide eine „problematische“ Nähe von Journalisten zu einzelnen Richtern.11 Wie jeder andere journalistische Zusammenschluss nehme auch die Justizpressekonferenz Karlsruhe die Mitglieder nach bestimmten Kriterien auf. Dazu gehöre insbesondere die ständige Berichterstattung über die Arbeit der obersten Gerichtshöfe. Wer diesen Arbeitsschwerpunkt habe, könne Mitglied werden.12 Die Praxis des Vorabzugangs zu Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts wird als sinnvoll erachtet und als Mittel, die Qualität der Berichterstattung zu sichern, da häufig unmittelbar nach der Verkündung eine politische Debatte beginne, bei der es darauf ankomme, dass schon die ersten Kurzmeldungen präzise seien und der „richtige Ton“ gesetzt werde.13 1.1.5. Kritik an der derzeitigen Praxis Die derzeitige Informationspraxis wird unter verschiedenen Aspekten kritisiert. 1.1.5.1. Keine Gleichbehandlung aller Journalisten Gegen die derzeitige Praxis wird angeführt, dass eine Gleichbehandlung aller Journalisten nicht gegeben sei: Der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion der FDP Stephan Thomae stellte – nach einem Bericht des „Tagesspiegels“ – sogar die Neutralität des Gerichts in Frage und befürchtet, dass es dadurch seine Vorbildfunktion verfehle.14 Die Fraktion DIE LINKE. äußerte sich der Zeitung gegenüber ähnlich. Es fehle an einer hinreichend nachvollziehbaren Erklärung 10 Es geht um Pressemitteilungen mit Sperrfrist – mehr ist es nicht. Justizpressekonferenz Karlsruhe e.V., 17. August 2020. Abrufbar unter: http://www.justizpressekonferenz.de/userfiles/downloads/2020_08_17_Stellungnahme_Vorab_NEU.pdf. 11 Ebd. 12 Ebd. 13 Ebd. 14 Bevorzugung ausgewählter Medien – Parlamentarier kritisieren Verfassungsgericht für seine Öffentlichkeitsarbeit . In: Der Tagesspiegel online vom 10. August 2020. Abrufbar unter: https://www.tagesspiegel.de/politik/bevorzugung -ausgewaehlter-medien-parlamentarier-kritisieren-verfassungsgericht-fuer-seine-oeffentlichkeitsarbeit /26079248.html = Wenn einige früher Bescheid wissen – Bundesverfassungsgericht will Praxis beibehalten – Kritik aus der Opposition. In: Der Tagesspiegel vom 10. August 2020, S. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 044/20 Seite 8 des Gerichts für seine Praxis. Außerdem sei die gegenwärtige Praxis eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Medienvertreter.15 Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Professor Dr. Hirte kritisierte die Vorabinformation ausgewählter Medienvertreter als „nicht fair“ gegenüber den Prozessparteien und nicht informierten Medien.16 In einer Pressemitteilung vom 17. August 2020 kritisierte auch der Deutsche Presserat die bisherige Praxis des Bundesverfassungsgerichts, Mitglieder der Justizpressekonferenz Karlsruhe früher als andere Journalisten über Entscheidungen zu informieren.17 Ein bestimmter Kreis von Journalisten werde durch den zeitlichen Vorsprung privilegiert, andere außerhalb dieses Kreises würden hingegen benachteiligt. Der Presserat habe daher den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts in einem Brief aufgefordert, die Praxis der Vorabinformation von Mitgliedern der Justizpressekonferenz zu beenden oder aber so auszudehnen, dass es nicht mehr zu einer Benachteiligung von anderen Journalisten komme. 1.1.5.2. Singuläre Praxis Als Argument für die Verfahrenspraxis des Bundesverfassungsgerichts führt die Justizpressekonferenz Karlsruhe an, dass mit einer Sperrfrist versehene Vorabinformationen seit Jahrzehnten im Journalismus übliche Praxis seien.18 Hiergegen wird eingewendet, dass von anderen Bundesgerichten mit bedeutsamen Urteilen ein solches Verfahren der Vorabinformationen nicht für erforderlich gehalten und demzufolge auch nicht durchgeführt werde.19 15 Bevorzugung ausgewählter Medien – Parlamentarier kritisieren Verfassungsgericht für seine Öffentlichkeitsarbeit . In: Der Tagesspiegel online vom 10. August 2020. Abrufbar unter: https://www.tagesspiegel.de/politik/bevorzugung -ausgewaehlter-medien-parlamentarier-kritisieren-verfassungsgericht-fuer-seine-oeffentlichkeitsarbeit /26079248.html = Wenn einige früher Bescheid wissen – Bundesverfassungsgericht will Praxis beibehalten – Kritik aus der Opposition. In: Der Tagesspiegel vom 10. August 2020, S. 4. 16 Hirte, Heribert, Facebook-Post vom 12.08.2020. Abrufbar unter: https://www.facebook .com/HHirte/posts/1633877136771743. 17 Deutscher Presserat, Gleicher Zugang für alle Journalisten zu BVerfG-Informationen, 17.082020, https://www.presserat.de/presse-nachrichten-details/gleicher-zugang-f%C3%BCr-alle-journalisten-zu-bverfginformationen .html. 18 Lorenz, Pia, Vorabinformationen des BVerfG an Journalisten: Karlsruhe exklusiv. In: Legal Tribune Online, 20. August 2020. Abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/justiz/j/bverfg-kritik-presserat-vorab-informationenkarlsruher -journalisten-vollmitglieder-justizpressekonferenz/. 19 Bevorzugung ausgewählter Medien – Parlamentarier kritisieren Verfassungsgericht für seine Öffentlichkeitsarbeit . In: Der Tagesspiegel online vom 10. August 2020. Abrufbar unter: https://www.tagesspiegel.de/politik/bevorzugung -ausgewaehlter-medien-parlamentarier-kritisieren-verfassungsgericht-fuer-seine-oeffentlichkeitsarbeit /26079248.html = Wenn einige früher Bescheid wissen – Bundesverfassungsgericht will Praxis beibehalten – Kritik aus der Opposition. In: Der Tagesspiegel vom 10. August 2020, S. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 044/20 Seite 9 1.1.5.3. Vergleich mit der Bundespressekonferenz Die Justizpressekonferenz Karlsruhe beruft sich darauf, dass das Vorgehen des Bundesverfassungsgerichts mit den Verfahren anderer Stellen – wie etwa der Bundespressekonferenz – übereinstimme . 20 So würden auch Reden der Bundeskanzlerin vorab in Schriftform zur Verfügung gestellt, und Ministerien oder Verbände verschickten entsprechende Pressemitteilungen über ihre Verteiler. Dem wird jedoch entgegengehalten, dass der Gegenstand der Berichterstattung etwa der Bundespressekonferenz ein anderer als der bei der Justizpressekonferenz ist. Die Bekanntgabe von Gerichtsentscheidungen wird nicht für vergleichbar gehalten mit der selbstbestimmten Veröffentlichung von Reden der Bundeskanzlerin oder der Unterrichtung über Gesetzesvorhaben.21 Stattdessen stelle die Herausgabe von Informationen über Urteile staatlicher Gerichte eine öffentliche Aufgabe dar und dürfe sich nicht auf bestimmte Presseakteure beschränken.22 Andere Bundesgerichte geben keine Informationen vor der Urteilsverkündung heraus. Im Übrigen wird die Justizpressekonferenz schon aufgrund des Größenunterschieds nicht als vergleichbar mit der Bundespressekonferenz angesehen, da die Bundespressekonferenz über 900 Mitglieder habe, während die Justizpressekonferenz Karlsruhe lediglich 30 Voll- und 40 Gastmitglieder aufweise.23 Unter den 900 Mitgliedern der BPK seien Vertreter aller relevanten Publikumsmedien zu finden. Die Mitglieder der Justizpressekonferenz Karlsruhe hingegen bestünden zu 50% aus Vertretern der öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF und zur anderen Hälfte aus Vertretern der reichweitenstarken Medien.24 20 Es geht um Pressemitteilungen mit Sperrfrist – mehr ist es nicht. Justizpressekonferenz Karlsruhe e.V., 17. August 2020. Abrufbar unter: http://www.justizpressekonferenz.de/userfiles/downloads/2020_08_17_Stellungnahme _Vorab_NEU.pdf. 21 Lorenz, Pia, Vorabinformationen des BVerfG an Journalisten: Karlsruhe exklusiv. In: Legal Tribune Online, 20. August 2020. Abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/justiz/j/bverfg-kritik-presserat-vorab-informationenkarlsruher -journalisten-vollmitglieder-justizpressekonferenz/. 22 BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1997 – 6 C 3/96 – Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen, juris Rn. 22. 23 Lorenz, Pia, Vorabinformationen des BVerfG an Journalisten: Karlsruhe exklusiv. In: Legal Tribune Online, 20. August 2020. Abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/justiz/j/bverfg-kritik-presserat-vorab-informationenkarlsruher -journalisten-vollmitglieder-justizpressekonferenz/. 24 Bevorzugung ausgewählter Medien – Parlamentarier kritisieren Verfassungsgericht für seine Öffentlichkeitsarbeit . In: Der Tagesspiegel online vom 10. August 2020. Abrufbar unter: https://www.tagesspiegel.de/politik/bevorzugung -ausgewaehlter-medien-parlamentarier-kritisieren-verfassungsgericht-fuer-seine-oeffentlichkeitsarbeit /26079248.html = Wenn einige früher Bescheid wissen – Bundesverfassungsgericht will Praxis beibehalten – Kritik aus der Opposition. In: Der Tagesspiegel vom 10. August 2020, S. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 044/20 Seite 10 1.1.5.4. Kenntnis der Journalisten vor den Prozessbeteiligten Problematisch sei, dass die Prozessbeteiligten, die bei der Urteilsverkündung informiert werden und womöglich erst seit einigen Minuten die Entscheidung des Gerichts kennen, von gut informierten Journalisten mit detailreichen Fragen konfrontiert werden.25 Dadurch werde den Prozessbeteiligten die Möglichkeit einer angemessenen Reaktion genommen und es bestehe die Gefahr, womöglich unzureichend durchdachte und übereilte Antworten zu geben. Als Politiker – so der CDU-Bundestagsabgeordnete Professor Dr. Heribert Hirte – habe man das Gefühl, „vorgeführt zu werden“26. Hätten dagegen alle Beteiligten (des Prozesses und der nachbereitenden Berichterstattung ) ab demselben Zeitpunkt die Gelegenheit, sich mit dem Urteil auseinanderzusetzen, könne ein Dialog auf Augenhöhe erfolgen. 1.2. VG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Juni 2020 – 3 K 2476/20 –: kein Anordnungsanspruch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Am 9. Juni 2020 sollte das Bundesverfassungsgericht ein Urteil in einem Organstreitverfahren über die Verletzung des Rechts einer Partei auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb durch Veröffentlichung eines Interviews auf der Internetseite des Bundesministeriums des Innern , für Bau und Heimat verkünden.27 Als Beteiligte dieses Organstreitverfahrens hatte sich die Bundespartei Alternative für Deutschland (AfD) im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes an das Verwaltungsgericht Karlsruhe gewandt um zu verhindern, dass die Mitglieder der Justizpressekonferenz Karlsruhe von Seiten des Bundesverfassungsgerichts bereits vor Verkündung über den Inhalt der Entscheidung in Kenntnis gesetzt werden. Am 8. Juni 2020 entschied das Verwaltungsgericht Karlsruhe in dem von der Bundespartei Alternative für Deutschland (AfD) angestrengten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, dass ein Anordnungsanspruch der Antragstellerin „nicht mit dem mit Blick auf die Vorwegnahme der Hauptsache […] gebotenen hohen Wahrscheinlichkeitsgrad zu erkennen“ 28 sei. § 30 Abs. 1 Satz 3 oder Abs. 3 BVerfGG29 setze für die Wirksamkeit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Verkündung bzw. Bekanntgabe voraus: 25 Hirte, Heribert, Facebook-Post vom 12.08.2020. Abrufbar unter: https://www.facebook.com/HHirte/posts/1633877136771743. 26 Hirte, Heribert, Facebook-Post vom 12.08.2020. Abrufbar unter: https://www.facebook.com/HHirte/posts/1633877136771743. 27 BVerfG, Urteil vom 9. Juni 2020 – 2 BvE 1/19 – Neutralitätsgebot bei ministeriellen Äußerungen, juris Rn. 1-97. 28 VG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Juni 2020 – 3 K 2476/20, juris Rn 4. 29 Bundesverfassungsgerichtsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl. I S. 1473), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 20. November 2019 (BGBl. I S. 1724) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 044/20 Seite 11 „Erst die Wahrung dieser Formvorschriften lässt die Entscheidungen in der erforderlichen Weise wirksam werden. Hingegen stehen diese Normen einer Praxis nicht erkennbar entgegen , nach der ein ausgewählter Kreis an Journalistinnen und Journalisten bereits vor dem Zeitpunkt der öffentlichen Verkündung oder sonstigen Bekanntmachung über den Inhalt der Entscheidung in Kenntnis gesetzt wird.“30 Weitere Ausführungen zu diesem Problemkreis erfolgten nicht. Auch aus § 32 Abs. 1 GO-BVerfGG31 lasse sich kein Anspruch darauf ableiten, diese Vorabinformationen einzustellen, da es sich lediglich um Binnenrecht handele, aus dem Dritte keine Rechte herleiten könnten. Dennoch ließ das Gericht Bedenken bezüglich der Vorgehensweise des Bundesverfassungsgerichts erkennen: „Zwar könnten Zweifel an der Vereinbarkeit der von der Antragstellerin angegriffenen Praxis mit den aus dieser Norm folgenden Vorgaben bestehen, weil danach möglicherweise amtliche Informationen zu einem Zeitpunkt veröffentlicht werden, zu dem die Entscheidung den Prozessbeteiligten noch nicht zugegangen sein kann.“32 In ihren Rechten als politische Partei sei die AfD nicht betroffen, wenn eine Bekanntgabe lediglich gegenüber Journalisten erfolge, nicht aber gegenüber Angehörigen anderer mit der AfD im politischen Wettbewerb stehender Parteien.33 Die AfD könne sich auch nicht auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht der „für sie auftretenden natürlichen Personen“ berufen oder eine mögliche Beeinträchtigung der Pressefreiheit anderer Journalisten geltend machen.34 2. Problemstellung und Darstellung Zunächst werden die internen und externen rechtlichen Grundlagen im Zusammenhang mit der Bekanntgabe von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts dargestellt. Im Anschluss wird auftragsgemäß geprüft, inwieweit die Justizpressekonferenz Karlsruhe – insbesondere bei der Aufnahme neuer Mitglieder – einer Grundrechtsbindung unterliegt. Schließlich wird die in dem Auftrag zu dieser Ausarbeitung aufgeworfene Frage behandelt, ob das aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) in Verbindung mit der Pressefreiheit 30 VG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Juni 2020 – 3 K 2476/20, juris Rn. 5. 31 Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. November 2014 (BGBl. 2015 I S. 286). 32 VG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Juni 2020 – 3 K 2476/20, juris Rn. 6. 33 VG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Juni 2020 – 3 K 2476/20, juris Rn. 7. 34 VG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Juni 2020 – 3 K 2476/20, juris Rn. 8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 044/20 Seite 12 (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) abzuleitende Recht auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb auch ein Recht auf gleichberechtigte Teilnahme an den Berichterstattungsmöglichkeiten zu gerichtlichen Verfahren umfasst und ob dieses verletzt sein könnte. 3. Bekanntgabe von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts – Rechtslage Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts werden, wenn eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, nach § 30 Abs. 1 S. 3 BVerfGG unter Mitteilung der wesentlichen Entscheidungsgründe öffentlich verkündet. Diese Verkündung kann im Unterschied zur mündlichen Verhandlung auch im Fernsehen oder Rundfunk übertragen werden. Entscheidungen der Senate ohne vorherige mündliche Verhandlung werden den Beteiligten als Beschlüsse schriftlich übermittelt . Nach § 30 Abs. 3 BVerfGG sind alle Entscheidungen – die verkündeten Urteile und die im schriftlichen Verfahren ergangenen Beschlüsse – den Beteiligten zumindest formlos bekanntzugeben . Hierbei wird es als nobile officium des Gerichts angesehen, die Medien nicht vor den Beteiligten zu informieren.35 Dementsprechend enthält die Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts in § 32 die Vorgabe, dass amtliche Informationen über ergangene Entscheidungen erst veröffentlicht werden dürfen, wenn anzunehmen ist, dass die Entscheidung den Prozessbeteiligten zugegangen ist. Die Geschäftsordnungsautonomie des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich auf das Recht zur Selbstorganisation und auf das autonome Satzungsrecht des Verfassungsorgans Bundesverfassungsgericht . Der ausdrücklichen Regelung in § 1 Abs. 3 BVerfGG wird insofern vor allem eine klarstellende Funktion beigemessen.36 Als organisatorisches Binnenrecht rangiert die Geschäftsordnung unter dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz als einfachem Bundesgesetz und hat sich innerhalb des von diesem Gesetz gezogenen Rahmens zu bewegen. Geschäftsordnungen der obersten Verfassungsorgane begründen keine Rechtswirkungen gegenüber Dritten. Verstöße gegen eine Geschäftsordnung lassen die Gültigkeit von externen Entscheidungen des betreffenden Verfassungsorgans unberührt.37 35 Lechner/Zuck, Bundesverfassungsgerichtsgesetz Kommentar, § 30 Rn. 13. 36 Walter/Grünewald, Beck'scher Online-Kommentar Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 9. Ed. 01.072020, § 1 Rn. 14 f. 37 Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 59. EL April 2020, § 1 Rn. 69. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 044/20 Seite 13 4. Grundrechtsbindung der Justizpressekonferenz Karlsruhe – insbesondere bei der Aufnahme neuer Mitglieder Von der Mitgliedschaft in der Justizpressekonferenz, die nur unter bestimmten Bedingungen (s. 1.1, S. 4) erlangt werden kann, hängt ab, ob sich Journalisten die Pressemitteilung im zeitlichen Vorlauf bereits vor der öffentlichen Bekanntgabe beim Bundesverfassungsgericht – in Papierform – abholen können. Nichtmitglieder, denen diese Möglichkeit der Vorabinformation nicht eingeräumt wird, könnten dadurch in ihrem Anspruch auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb verletzt sein. Hinsichtlich der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen – also nicht nur Pressemitteilungen – hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt: „Da es insoweit einer gesetzlichen Regelung überhaupt ermangelt, fehlt es auch an Vorschriften darüber, in welcher Art und Weise die Publikationsaufgabe wahrzunehmen ist. Gewiß muß sie von der Gerichtsverwaltung nicht in allen Einzelheiten in den Formen öffentlich -rechtlichen Verwaltungshandelns durchgeführt werden. ... Andererseits darf die Gerichtsverwaltung jedoch die Dinge nicht soweit sich selbst überlassen, daß sie keinen Einfluß mehr auf die umfassende Erfüllung der Aufgabe und keine Kontrolle mehr über die Beachtung bestehender öffentlich-rechtlicher Bindungen hat. Insbesondere die Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten, des Datenschutzes und des Steuergeheimnisses (§ 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO) sowie die Gewährleistung der strikten Gleichbehandlung bei der Herausgabe darf sie nicht - jedenfalls aber nicht unkontrolliert - einer Privatperson überlassen. In Betracht kommt daher allenfalls eine zweistufige Verfahrensweise , bei der sich dem auf der ersten Stufe öffentlich- rechtlichen Handeln auf der zweiten Stufe - im Rahmen des eigentlichen Publikationsvorganges - ein privates Handeln anschließen kann.“38 Die Grundrechte entfalten zwischen Privaten nach ganz herrschender Meinung nur mittelbare Wirkung über die unbestimmten Rechtsbegriffe im Zivilrecht. Demgegenüber binden sie alle staatliche Gewalt umfassend und insgesamt,39 ohne dabei nur für bestimmte Bereiche, Funktionen oder Handlungsformen zu gelten. Die Wahl der Organisationsform hat keine Auswirkungen auf die Grundrechtsbindung des Staates oder anderer Träger öffentlicher Gewalt. Das gilt nicht nur für die unmittelbare Erledigung von Aufgaben durch den Staat oder die mittelbare Erledigung durch juristische Personen des öffentlichen Rechts, sondern auch für den Rückgriff auf privatrechtliche Organisationsformen. In letzterem Fall trifft die Grundrechtsbindung neben der dahinterstehenden Körperschaft des öffentlichen Rechts unmittelbar auch die juristische Person des Privatrechts selbst.40 38 BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1997 – 6 C 3/96 – Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen, juris Rn. 28. 39 BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011 – 1 BvR 699/06 – Fraport-Urteil, juris Rn. 47; Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland: Kommentar, 16. Auflage 2020, Art. 1 Rn. 35. 40 Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland: Kommentar, 16. Auflage 2020, Art. 1 Rn. 38. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 044/20 Seite 14 Von der gewählten Handlungsform oder dem Zweck, zu dem die öffentliche Gewalt tätig wird, hängt eine Grundrechtsbindung nicht ab. Zieht ein Träger öffentlicher Gewalt eine Aufgabe an sich, dann ist er unabhängig davon, ob er zu ihrer Erledigung auf das Zivilrecht (mittels einer juristischen Person des privaten Rechts) zurückgreift, bei deren Wahrnehmung an die Grundrechte gebunden. Eine Flucht aus der Grundrechtsbindung in das Privatrecht soll dadurch vermieden werden.41 Wenn das Bundesverfassungsgericht die Auswahl der Journalisten, die seine Pressemitteilungen vorab zur Verfügung gestellt bekommen, der Justizpressekonferenz überlässt, dann ist der Verein bei seiner Entscheidung über die Aufnahme neuer Mitglieder grundrechtsgebunden. Dies bedeutet , dass vor allem eine Gleichbehandlung der Journalisten auch bei den Aufnahmeentscheidungen des Vereins gewahrt werden muss. 5. Pressefreiheit und Recht auf Gleichbehandlung 5.1. Schutzpflicht des Staates gegenüber der Presse Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG schützt die Pressefreiheit. Der Schutz umfasst dabei die Pressetätigkeit in sämtlichen Aspekten. Im Mittelpunkt der Pressefreiheit steht die Freiheit der Gründung und der Gestaltung von Presseerzeugnissen.42 Das Grundrecht der Pressefreiheit umfasst nicht nur ein Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe, sondern auch die „institutionelle Eigenständigkeit“ der Presse,43 die von der Beschaffung der Informationen bis zur Verbreitung der Nachrichten und Meinungen reicht.44 Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG enthält demzufolge nicht nur ein subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe in die Pressefreiheit, sondern auch eine Garantie der Freiheitlichkeit des Pressewesens insgesamt.45 Durch das Grundrecht wird dem Staat eine Schutzpflicht für die Presse auferlegt und eine entsprechende Bindung bei allen staatlichen Maßnahmen, die zur Förderung der Presse ergriffen werden. Wenn sich der Staat, ohne verfassungsrechtlich dazu verpflichtet zu sein, zu Förderungsmaßnahmen für die Presse entschließt, verlangt Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, dass jede Einflussnahme auf Inhalt 41 BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011 – 1 BvR 699/06 – Fraport-Urteil, juris Rn. 48; Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 1 Rn. 108 f. 42 BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 1998 – 1 BvR 1861/93 –, Caroline von Monaco I, juris, Rn. 107. 43 BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 1984 – 1 BvR 272/81 – Springer/Wallraff. juris Rn. 46; BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1974 – I C 30.71 – Pressefahrten der Deutschen Bundesbahn, juris Rn. 34. 44 BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 1984 – 1 BvR 272/81 – Springer/Wallraff. juris Rn. 46. BVerfG, Urteil vom 5. August 1966 – 1 BvR 586/62 – Spiegel-Urteil, juris Rn. 39. 45 BVerfG, Urteil vom 5. August 1966 – 1 BvR 586/62 – Spiegel-Urteil, juris Rn. 38. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 044/20 Seite 15 und Gestaltung einzelner Presseerzeugnisse sowie Verzerrungen des publizistischen Wettbewerbs insgesamt vermieden werden.46 5.2. Neutralitätspflicht des Staates als Kernstück des Schutzbereichs Aus der Pressefreiheit folgt weiter, dass den Pressemedien gegenüber dem Staat zahlreiche Informationsrechte zustehen. In Bezug auf Informationen zur öffentlichen Meinungsbildung besteht daher ein Grundsatz der freien Zugänglichkeit, der sich gegen den Staat richtet und aus dem das Demokratieprinzip hervorgeht.47 Die Medien können ihre wichtige Kontrollfunktion, die sie gegenüber dem Staat haben, nur dann ausüben, wenn für sie die Möglichkeit besteht, sich über staatliches Handeln ausreichend zu informieren. Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch und gerade für die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen, die wegen der Konkretisierung der Gesetze eine der Verkündung von Rechtsnormen vergleichbare Bedeutung hätten: „Der Bürger muß zumal in einer zunehmend komplexen Rechtsordnung zuverlässig in Erfahrung bringen können, welche Rechte er hat und welche Pflichten ihm obliegen; die Möglichkeiten und Aussichten eines Individualrechtsschutzes müssen für ihn annähernd vorhersehbar sein. Ohne ausreichende Publizität der Rechtsprechung ist dies nicht möglich . Rechtsprechung im demokratischen Rechtsstaat und zumal in einer Informationsgesellschaft muß sich - wie die anderen Staatsgewalten - darüber hinaus auch der öffentlichen Kritik stellen.“48 Eine vergleichbare Rechtsprechung für Pressemitteilungen liegt nicht vor, doch sind keine Gründe dafür ersichtlich, diesen Grundsatz mutatis mutandis nicht auch hier anzuwenden. Insoweit handelt es sich bei der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen – und wohl auch um die von Presseerklärungen – um eine öffentliche Aufgabe.49 Bei der Erfüllung dieses Verfassungsauftrages sind die öffentlich-rechtlichen Bindungen zu beachten .50 Dazu gehört insbesondere die Neutralitätspflicht des Staates gegenüber den Herausgebern von Presseerzeugnissen, die untereinander im Publizistischen Wettbewerb stehen einschließlich der Verpflichtung, diese gleich zu behandeln.51 Insofern ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 46 BVerfG, Beschluss vom 6. Juni 1989 – 1 BvR 727/84 – staatliche Presseförderung, juris Rn. 28. 47 BVerfG, Urteil vom 24. Januar 2001 – 1 BvR 2623/95 – Gerichtsfernsehen, juris, Rn. 56, 72. 48 BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1997 – 6 C 3/96 – Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen, juris Rn. 24. 49 BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1997 – 6 C 3/96 – Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen, juris Ls. 1. 50 BVerwG, Urteil vom 26.02.1997 – 6 C 3.96. 51 BVerfG, Beschluss vom 6. Juni 1989 – 1 BvR 727/84 – staatliche Presseförderung, juris, Rn. 28. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 044/20 Seite 16 GG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 GG auch ein subjektives Recht auf gleichberechtigte Teilhabe an den Berichterstattungsmöglichkeiten zu gerichtlichen Verfahren.52 Dieser Anspruch auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb ist „das Gegenstück zur Neutralitätspflicht des Staates gegenüber den Herausgebern von Presseerzeugnissen, die untereinander im publizistischen Wettbewerb stehen.“53 5.3. Staatliche Einflussnahme auf Presseerzeugnisse – Schutzpflichten Presseunternehmen, die nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen und in privatrechtlichen Organisationsformen arbeiten, stehen in geistiger und wirtschaftlicher Konkurrenz zueinander. In diesen publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerb ist ein Eingriff staatlicher Einrichtungen nur unter strengen Auflagen zulässig.54 Dies wird insbesondere aus dem Grundsatz der Staatsfreiheit der Presse und der Neutralitätspflicht des Staates abgeleitet. Staatlicher Einfluss auf Inhalt und Gestaltung einzelner Presseerzeugnisse wird nicht nur durch Eingriffe in die Pressefreiheit, sondern auch durch Fördermaßnahmen oder Erteilung von Informationen für denkbar gehalten.55 Um Verzerrungen des publizistischen Wettbewerbs insgesamt zu vermeiden, soll sich der Staat bei der Förderung der Presse grundsätzlich neutral verhalten. Allerdings liegt ein Verstoß gegen die aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG folgende Neutralitätspflicht des Staates nicht schon dann vor, wenn der Staat seine Unterstützung nicht unterschiedslos für sämtliche Journalisten gewährt. Im Bereich der Schutzpflichten genießt der Staat einen weiteren Handlungsspielraum als im Bereich der Grundrechtseingriffe. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG verbietet ihm nur, den Inhalt der Meinungen oder die Tendenz des Presseerzeugnisses zum Förderungskriterium zu machen und auf diese Weise Einfluss auf den gesellschaftlichen Meinungs- und Willensbildungsprozess auszuüben.56 Es ist ihm aber nicht grundsätzlich verwehrt, eine Förderung an meinungsneutralen Kriterien auszurichten. 5.4. Gleichbegünstigungsanspruch Erteilt eine staatliche Stelle Auskünfte gegenüber der Presse, dann hat sie hierbei den Gleichheitsgrundsatz zu beachten, der insoweit auch als Gleichbegünstigungsanspruch interpretiert wird.57 52 BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 12. April 2013 – 1 BvR 990/13 – NSU-Prozess, juris, Rn. 19. 53 VG München, Urteil v. 22.06.2017, Az. M 10 K 17.118. 54 BVerfG, Urteil vom 5. August 1966 – 1 BvR 586/62 – Spiegel-Urteil, juris Rn. 37.. 55 Fechner, Frank, Medienrecht, 20. Auflage 2019, S. 253, Rn 62. 56 Maunz/Dürig/Grabenwarter, Grundgesetz, 90. EL Februar 2020, Grundgesetz Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 Rn. 384. 57 Fechner, Frank, Medienrecht, 20. Auflage 2019, S. 261, Rn. 95. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 044/20 Seite 17 Das Bundesverwaltungsgericht umriss diesen Grundsatz plastisch: „Aus der Gewährleistung der Pressefreiheit ist zu folgern, daß die Behörde, wenn sie Eigeninformationen erteilt, diese grundsätzlich allen interessierten Journalisten in gleicher Weise zugänglich machen muß, ohne Rücksicht auf sachliche oder persönliche Qualifikationen ... Die Behörde darf nicht zwischen ‚guter‘ und ‚schlechter‘ Presse unterscheiden oder etwa nur solche Journalisten informieren, die in ihrer bisherigen journalistischen Tätigkeit einseitig und unkritisch ein nur positives Bild ihrer Einrichtungen und Dienstleistungen der Öffentlichkeit vermittelt haben. Die öffentliche Hand muß eine neutrale Informationsstelle sein.“58 Unter Zugrundlegung der aufgeführten Maßstäbe hat sich die Rechtsprechung mit dem aus dem Gebot einer ermessensfehlerfreien, d.h. mit dem Gleichheitssatz in Einklang stehenden Behandlung der im Pressewesen tätigen Akteure etwa bei Pressekonferenzen oder Pressegesprächen wiederholt befasst. In den nachfolgend beispielhaft aufgeführten Entscheidungen wurden Ungleichbehandlungen verschiedener Presseorgane im publizistischen Wettbewerb festgestellt und Eingriffe in den Schutzbereich aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 GG bejaht. In einigen Fällen wurden die vorgebrachten Gründe für eine Ungleichbehandlung von Seiten des Gerichts als sachlich gerechtfertigt angesehen, in anderen Fällen nicht. 5.4.1. Differenzierung zwischen Medienvertretern bei Vorliegen eines zwingenden Sachgrunds Das Bundesverfassungsgericht hat zur Vergabe von Sitzplätzen an Medienvertreter im NSU-Strafverfahren im Rahmen einer einstweiligen Anordnung betont, dass über die Zugänglichkeit zu Gerichtsverhandlungen sowie die Reservierung und Verteilung der nicht ausreichenden Sitzplätze für Medienvertreter das Gericht und insbesondere der die Prozessleitung ausübende Vorsitzende entscheide. Auch wenn den diesbezüglichen gerichtlichen Anordnungen ein weiter Entscheidungsspielraum zugrunde liege, müsse bei diesen Anordnungen dem subjektiven Recht der Medienvertreter auf gleiche Teilhabe an den Berichterstattungsmöglichkeiten Rechnung getragen und die Chancengleichheit sowie die tatsächliche Situation der vorhersehbar Interessierten hinreichend berücksichtigt werden.59 58 BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1974 – I C 30.71 – Pressefahrten der Deutschen Bundesbahn, juris Rn. 40. 59 BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 12. April 2013 – 1 BvR 990/13 – NSU-Prozess. Von einer Videoübertragung für weitere Medienvertreter und Zuschauer wurde mit Blick auf § 169 Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz und unterschiedliche Rechtsauffassungen darüber, ob eine Übertragung in einen anderen Raum ohne jede Aufzeichnung ein möglicher Revisionsgrund sein könnte, abgesehen. Vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, „Öffentlichkeit und Berichterstattung im Strafprozess“, Aktueller Begriff , Nr. 17/13 vom 22. Mai 2013. Abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource /blob/194406/d7a9e2079c4a6cbf24888e1b4df68198/oeffentlichkeit_und_berichterstattung_im_strafprozess -data.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 044/20 Seite 18 Mit Blick auf die begrenzten Raumkapazitäten hielt das Bundesverfassungsgericht eine Differenzierung zwischen Journalisten durch Reservierung einer bestimmten Anzahl von Presseplätzen für ausländische Medienvertreter im Sinne einer Quote für zulässig. Damit sollte dem besonderen Interesse ausländischer Medien wegen der Herkunft der Opfer Rechnung getragen werden.60 5.4.2. Differenzierung zwischen Medienvertretern nach Fachkenntnissen In einer anderen Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht eine Differenzierung zwischen Journalisten nach deren Fachkenntnissen für sachgerecht gehalten, um eine Auswahl der Teilnehmenden an den Pressefahrten der damaligen Deutschen Bundesbahn (Staatsverwaltung in Form der Leistungsverwaltung) mit naturgemäß begrenztem Platzangebot treffen zu können: „Die Bestimmung der Zahl der Teilnehmer liegt bei diesen Veranstaltungen im Ermessen der Beklagten. Sie darf sich auch von Kostengründen leiten lassen. Gegen die Beschränkung der Zahl der teilnehmenden Journalisten auf 20 sind keine Einwendungen rechtlicher Art zu erheben.“61 Bei der Vergabe der durch die Natur der Sache begrenzten Plätze gelte: „Die verfassungsmäßige Garantie der Pressefreiheit wird bei Presseveranstaltungen für einen kleineren Kreis nur dann verletzt, wenn die Auswahl der Teilnehmer auf eine Reglementierung oder Steuerung der Presse oder eines Teils von ihr hinausliefe. Das ist, worauf im gegenwärtigen Fall abzustellen ist, nicht der Fall, wenn die Informationsveranstaltung einem bestimmten Fachthema gewidmet ist - hier: aus dem Bereich des öffentlichen Güter - oder Personenverkehrs - und die zu dieser Veranstaltung eingeladenen Journalisten danach ausgewählt werden, ob sie sich bisher schon auf diesem Gebiet fachjournalistisch betätigt haben. Eine nach solchen Kriterien getroffene Auswahl ist sachgerecht; sie verstößt weder gegen Art. 5 Abs. 1 GG noch gegen Art. 3 Abs. 1 GG.“62 Zusammenfassend ist festzustellen, dass sowohl die Beschränkung der Plätze – und damit der Empfänger von Informationen – als auch die Auswahl nach Fachkenntnis der Medienvertreter für diese beschränkten Plätze sachgerecht sein kann. 1992 stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass auch bei unbegrenzt verfügbaren Informationen wie Gerichtsurteilen es „weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen die aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG folgende Neutralitätspflicht des Staates“ verstoße, 60 Ebd. 61 BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1974 – I C 30.71 – Pressefahrten der Deutschen Bundesbahn, juris Rn. 38. 62 BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1974 – I C 30.71 – Pressefahrten der Deutschen Bundesbahn, juris Rn. 41. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 044/20 Seite 19 „bei der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen in der Fachpresse danach zu differenzieren , ob es sich um ein Publikationsorgan handelt, das fachwissenschaftlichen Ansprüchen genügt oder nicht.“63 Diese Rechtsprechung gab das Bundesverwaltungsgericht 1997 zumindest für Fälle auf, in denen es nicht um „die Bewirtschaftung beschränkt verfügbarer Ressourcen“ geht. Die Bevorzugung eines bestimmten Publikationsorgans im Hinblick auf den Zeitpunkt der Belieferung mit Informationen – in diesem Fall Gerichtsentscheidungen – wegen eines „– in anderem Zusammenhang möglicherweise eher beachtlichen – Wissenschaftlichkeitsanspruch[s]“ lasse sich nicht rechtfertigen .64 Hierzu hat auch das Oberverwaltungsgericht Lüneburg ausgeführt, dass die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden sei und der Anspruch eines Presseunternehmens auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb beachtet werden müsse.65 Bei der Auswahl von Publikationsorganen dürfe gegenüber der Fachpresse wegen des Grundsatzes der Pressefreiheit nicht nach inhaltlichen Kriterien wie dem der Wissenschaftlichkeit unterschieden werden. Das Kriterium der Wissenschaftlichkeit sei im Bereich der Fachpresse nicht meinungsneutral, weil nicht formal. Es bewerte vielmehr den Inhalt der Darstellung von Gerichtsentscheidungen, sei es in methodischer Hinsicht oder überhaupt hinsichtlich der Qualität der Darstellung. Das Verwaltungsgericht München hat sich mit einer ähnlichen Problematik auseinandergesetzt und festgestellt, dass ein Verstoß gegen die Neutralitätspflicht nicht schon dann vorliege, wenn eine Behörde bei der Zuweisung von Vorteilen differenzierende Maßstäbe anlegt.66 In Bezug darauf heißt es: „Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verbietet lediglich, Inhalt der Meinungen oder die Tendenz von Presseerzeugnissen zum Förderungskriterium zu machen und sich auf diese Weise Einfluss auf den gesellschaftlichen Meinungs- und Willensbildungsprozess zu verschaffen (BVerfG, B.v. 6.6.1989 - 1 BvR 727/84 - BVerfGE 80, 124, 134), der nach dem Willen des Grundgesetzes im Interesse der personalen Autonomie und des demokratischen Systems staatsfrei zu bleiben hat (vgl. BVerfG, U.v. 5.8.1966 - 1 BvR 586/62 - BVerfGE 20, 162, 174 ff.).“ Bei der vergleichenden Betrachtung einzelner Presseerzeugnisse seien Differenzierungen nach der inhaltlichen Richtung und dem Gewicht auf dem Pressemarkt unzulässig. Ein den Anspruch auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb begründendes Wettbewerbsverhältnis sei 63 BVerwG, Beschluss vom 1. Dezember 1992 – 7 B 170/92 – Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen – Differenzierung nach Fachkunde, juris Ls. 1. 64 BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1997 – 6 C 3/96 – Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen, juris Rn. 36. 65 OVG Lüneburg, Urteil vom 19. Dezember 1995 – 10 L 5059/93 –, Rn. 71 66 VG München, Urteil vom 22. Juni 2017, Az. M 10 K 17.118. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 044/20 Seite 20 lediglich dann zu verneinen, „wenn […] etwa wegen einer bestimmten Spezialisierung, der zeitlichen Erscheinungsweise oder aufgrund des geringen redaktionellen Umfangs eines Blattes von vornherein keine Aussicht besteht, dass das in Betracht kommende Informationsmaterial auch tatsächlich laufend pressemäßig ausgewertet wird.“ 5.4.3. Zeitgleiche Verbreitung Laut Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Februar 1997 sind Presseorgane bei der Versendung von Gerichtsentscheidungen durch die Gerichte „strikt“ 67 gleich zu behandeln. Allen Gerichten obliege die Aufgabe, die Entscheidungen ihrer Spruchkörper der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Insoweit handele es sich bei der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen um eine öffentliche Aufgabe, bei deren Erfüllung insbesondere die Neutralitätspflicht des Staates gegenüber den Herausgebern von Presseerzeugnissen, die untereinander im publizistischen Wettbewerb stünden, „strikt“ einzuhalten sei. Mit dem Anspruch auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb gehe „ein Anspruch der Presseorgane auf gleichzeitige Belieferung mit veröffentlichungswürdigen Entscheidungen“ einher. Insofern dürfe bei der Versendung von Entscheidungen kein Wettbewerbsvorteil zugunsten eines bestimmten Journalistenkreises generiert werden. In der Entscheidung heißt es: „Es geht hier nicht um die Bewirtschaftung beschränkt verfügbarer Ressourcen. Identische Ansprüche verschiedener Interessenten können vielmehr auf einfache Weise mehrfach und gleichzeitig erfüllt werden. Daher verbietet sich eine Auswahl, durch die Dritte von der Belieferung mit veröffentlichungswürdigen Entscheidungen ganz oder doch zu einem erheblichen Teil ausgeschlossen werden.“ 68 Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat als Vorinstanz ebenfalls betont, dass der Anspruch auf Gleichbehandlung in zeitlicher Hinsicht durch Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gedeckt werde. Die Frage des zeitlichen Vorsprungs spiele im publizistischen Wettbewerb, der nicht verzerrt werden dürfe, eine erhebliche Rolle. In dem Urteil heißt es weiter: „Der Gleichbegünstigungsgrundsatz, der die zeitliche Gleichbehandlung der Presse bei der Zuleitung amtlicher Bekanntmachungen von Behörden gebietet (vgl. Löffler/Rickert, Handbuch des Presserechts, 3. Aufl. 1994, S. 130 Rn. 3), ist in § 4 Abs. 4 Nieders. PrG geregelt und hat für die Veröffentlichung gerichtlicher Entscheidungen, die amtliche Werke im Sinne des § 5 Abs. 1 UrhG darstellen, entsprechend zu gelten. Im übrigen müssen veröffentlichungsfähige Gerichtsentscheidungen allen Interessierten unter gleichen Bedingungen zur Veröffentlichung bereitstehen (Hoffmann-Riem, aaO, S. 637).“ 69 67 BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1997 – 6 C 3/96 – Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen, juris Rn. 22. 68 BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1997 – 6 C 3/96 – Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen, juris Rn. 36. 69 OVG Lüneburg, Urteil vom 19. Dezember 1995 – 10 L 5059/93 –, Rn. 72. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 044/20 Seite 21 5.4.4. Privatrechtliche Rechtsformen Auch das Verwaltungsgericht Minden hat sich der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts angeschlossen. In einer Entscheidung aus dem Jahr 2000, bei der es um die Übermittlung von Polizeimeldungen durch ein von der Polizeibehörde damit beauftragtes Unternehmen an Pressevertreter ging, wurde vor dem Hintergrund der Neutralitätspflicht seitens des Gerichts klargestellt , „dass eine Behörde, die im Rahmen ihres weiten, pflichtgemäßen Ermessens über den allgemeinen presserechtlichen Auskunftsanspruch hinaus eine Informationsquelle eröffnet hat, Informationen allen interessierten Pressevertretern ohne Rücksicht auf sachliche oder persönliche Qualifikationen in gleicher Weise zugänglich zu machen hat.“70 Dieser Gleichbehandlungsanspruch könne auch dann gegenüber der Behörde durchgesetzt werden , wenn sie sich bei der unmittelbaren Erfüllung ihrer Aufgaben privatrechtlicher Rechtsformen bediene. In diesen Fällen obliege es der Behörde weiterhin, darüber zu wachen und gegebenenfalls organisatorisch sicherzustellen, dass bei der Weitergabe von Informationen der Gleichbehandlungsgrundsatz und die Pressefreiheit gewahrt blieben.71 6. Zusammenfassung der bisherigen Rechtsprechung Nach der bisherigen Rechtsprechung ist eine Ungleichbehandlung verschiedener Presseorgane oder einzelner Journalisten lediglich bei Vorliegen zwingender Gründe gerechtfertigt, die den Anforderungen der grundrechtlichen Garantie genügen müssen. Eine Differenzierung nach Meinungsinhalten , wissenschaftichem Niveau oder nach Tendenzen der Publikationsorgane wird nicht als hinreichender Rechtfertigungsgrund angesehen. Diese Position stützt sich auf Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, wonach für den Staat im Förderungsbereich eine inhaltliche Neutralitätspflicht gelte. Daraus resultiere für die jeweiligen Presseorgane ein Anspruch auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb. Die Einräumung von Ausschließlichkeitsrechten zu Gunsten eines kleinen Kreises von Journalisten wird mit dem Anspruch auf Gleichbehandlung bei der Belieferung mit Entscheidungstexten nicht für vereinbar gehalten. Gleichwohl wird in den Entscheidungen klargestellt, dass ein Verstoß gegen die Neutralitätspflicht nicht schon dann vorliege, wenn sich die Behörde bei der Zuweisung von Vorteilen an differenzierenden Maßstäben bediene. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG verbiete lediglich den Inhalt der Meinungen oder die Tendenz von Presseerzeugnissen zum Förderungskriterium zu machen. Um zu verhindern, dass der Staat in den demokratischen Willensbildungsprozess eingreift, seien daher nur meinungsneutrale Kriterien zulässig. 70 VG Minden, Urteil vom 22. September 2000, Az. 2 K 736/99 – Informationsanspruch der Presse, NJW 2001, 315f {315]. 71 Ebd. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 044/20 Seite 22 Eine Differenzierung zwischen einzelnen Medien kann bei Knappheitsentscheidungen erforderlich sein, etwa aufgrund der Kapazitätsengpässe auf der Zuschauertribüne im sog. „NSU-Prozess “72 oder bei der Teilnahme an den Pressefahrten der Deutschen Bundesbahn,73 Allerdings bedarf es auch in solchen Fällen einer Ausgestaltung, die die Chancengleichheit realitätsnah gewährleistet .74 7. Fazit Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG garantiert in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG das Recht auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb. Eine Ungleichbehandlung verschiedener Presseorgane oder einzelner Journalisten bedarf einer Rechtfertigung durch zwingende Gründe. Sachliche Differenzierungskriterien sind von der Rechtsprechung bislang nur in besonderen Situationen anerkannt worden. **** 72 BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 12. April 2013 – 1 BvR 990/13 – NSU-Prozess. 73 BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1974 – I C 30.71 – Pressefahrten der Deutschen Bundesbahn, juris Rn. 38.. 74 BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 12. April 2013 – 1 BvR 990/13 – NSU-Prozess, juris, Rn. 19.