© 2017 Deutscher Bundestag WD 10 - 3000 - 041/17 Entwurf eines Netzwerkdurchsetzungsgesetzes Einzelfragen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 2 Entwurf eines Netzwerkdurchsetzungsgesetzes Einzelfragen Aktenzeichen: WD 10 - 3000 - 041/17 Abschluss der Arbeit: 15. August 2017 Fachbereich: WD 10: Kultur, Medien und Sport Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Kurzer Überblick: Inhalt des NetzDG-E 4 3. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes 5 3.1. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG (Meinungsfreiheit) 5 3.1.1. Schutzbereich 6 3.1.2. Grundrechtseingriff 7 3.1.3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs 9 3.1.4. Ergebnis 17 3.2. Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG (Informationsfreiheit) 17 3.2.1. Schutzbereich 17 3.2.2. Grundrechtseingriff 18 3.2.3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs 19 3.2.4. Ergebnis 19 3.3. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (Allgemeines Persönlichkeitsrecht) 19 3.3.1. Schutzbereich 20 3.3.2. Grundrechtseingriff 20 3.3.3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs 21 3.3.4. Ergebnis 24 3.4. Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit) 24 3.4.1. Schutzbereich 24 3.4.2. Grundrechtseingriff 25 3.4.3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs 25 3.4.4. Ergebnis 28 4. Fazit 29 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 4 1. Einleitung Gegenstand der vorliegenden Ausarbeitung ist die Frage, ob der vom Bundeskabinett am 5. April 2017 verabschiedete Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetzes – NetzDG) mit der verfassungsrechtlich verankerten Meinungs- und Informationsfreiheit, der Berufsfreiheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht vereinbar ist. Der Gesetzentwurf (BT-Drucksache 18/12356) wurde von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD zur ersten Beratung am 19. Mai 2017 in den Bundestag eingebracht.1 Der Bundesrat hat den Gesetzentwurf (BR-Drucksache 315/17) in seiner Sitzung am 2. Juni 2017 behandelt 2 und seine Stellungnahme (BR-Drucksache 315/17 Beschluss) mit Empfehlungen der Ausschüsse (BR-Drucksache 315/1/17) beschlossen. 2. Kurzer Überblick: Inhalt des NetzDG-E Der Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG-E) beinhaltet gesetzliche Compliance- Regeln für soziale Netzwerke. Diese sollen ermöglichen, Beschwerden im Zusammenhang mit Hasskriminalität und anderen rechtswidrigen Inhalten schneller und umfassender zu bearbeiten. Gemäß § 1 Abs. 1 NetzDG-E gilt das Gesetz für Telemediendienstanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die es Nutzern ermöglichen, beliebige Inhalte mit anderen Nutzern auszutauschen, zu teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen (Legaldefinition des sozialen Netzwerks). Plattformen mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten , die vom Dienstanbieter selbst verantwortet werden, gelten hingegen nicht als soziale Netzwerke. Es wird in der Entwurfsbegründung darauf hingewiesen, dass die Zuständigkeit der Länder in diesen Fällen weiterhin greifen soll.3 Des Weiteren sind gemäß § 1 Abs. 2 NetzDG-E nur soziale Netzwerke betroffen, welche im Inland über mehr als zwei Millionen Nutzer verfügen . Schließlich werden in § 1 Abs. 3 NetzDG-E rechtswidrige Inhalte als solche definiert, welche den objektiven Tatbestand der genannten Strafgesetze erfüllen. § 2 NetzDG-E sieht eine vierteljährliche Berichtspflicht für Anbieter sozialer Netzwerke über den Umgang mit Nutzerbeschwerden vor. Des Weiteren verpflichtet § 3 Abs. 1 NetzDG-E Anbieter sozialer Netzwerke dazu, ihren Nutzern ein wirksames und transparentes Verfahren für den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige 1 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG), BT-Drucksache 18/12356, abrufbar unter: http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/18/123/1812356.pdf. Im Folgenden kurz: BT-Drucksache 18/12356. Der Deutsche Bundestag hat in seiner 244. Sitzung am 30. Juni 2017 aufgrund der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (Drucksache 18/13013, abrufbar unter: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/130/1813013.pdf) das Netzwerkdurchsetzungsgesetz in geänderter Fassung beschlossen. Der Bundesrat hat in seiner 959. Sitzung am 7. Juli 2017 ferner beschlossen, zu dem Gesetz keinen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 (Antrag auf Einberufung des Vermittlungsausschusses) zu stellen. 2 TOP 25, abrufbar unter: http://www.bundesrat.de/SharedDocs/TO/958/tagesordnung-958.html. 3 BT-Drucksache 18/12356, S. 17. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 5 Inhalte zur Verfügung zu stellen. Gemäß § 3 Abs. 2 NetzDG-E muss dieses Verfahren gewährleisten , dass der Anbieter des sozialen Netzwerks unverzüglich von der Beschwerde Kenntnis nimmt und prüft, ob der Inhalt rechtswidrig und zu entfernen oder der Zugang zu ihm zu sperren ist. Offensichtlich rechtswidrige Inhalte sind innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde zu entfernen oder der Zugang zu ihnen zu sperren. Im Übrigen gilt eine Frist von sieben Tagen. Wird ein Inhalt entfernt, so muss dieser zu Beweiszwecken gesichert und für die Dauer von zehn Wochen im Inland gespeichert werden. Des Weiteren müssen der Beschwerdeführer und der Nutzer über jede begründete Entscheidung unverzüglich informiert werden. Sämtliche auf den Plattformen befindliche Kopien des rechtswidrigen Inhalts sind ebenfalls unverzüglich zu entfernen oder zu sperren. Eine vorsätzliche oder fahrlässige Missachtung der genannten Regelungen wird gemäß § 4 NetzDG-E als Ordnungswidrigkeit geahndet, die eine Bußgeldstrafe4 zur Folge hat. 3. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes Zur Beantwortung der Frage, ob die Regelungen des NetzDG-E mit dem grundrechtlich geschützten Recht der Meinungs-, Informations- und Berufsfreiheit sowie dem Persönlichkeitsrecht vereinbar sind, ist zunächst zu prüfen, ob die jeweiligen Schutzbereiche betroffen sind. Anschließend wird ein Grundrechtseingriff und bei dessen Vorliegen eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung überprüft. 3.1. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG (Meinungsfreiheit) „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten […]“ Die in Art. 5 Abs. 1 Satz 1. Hs. 1 GG verankerte Meinungsfreiheit gewährleistet jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei und ungehindert von staatlichem Einfluss zu äußern und zu verbreiten. Als Abwehrrecht garantiert sie die Selbstbestimmung des Individuums im Bereich der Kommunikation.5 Die Freiheit der Meinungsäußerung wird ferner als Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit verstanden.6 Neben der abwehrrechtlichen Funktion ist die Meinungsfreiheit darüber hinaus grundlegend für einen freiheitlich demokratischen Staat.7 4 Bis zu 5 Mio. Euro bzw. 50 Mio. Euro, vgl. BT-Drucksache 18/12356, S. 10. 5 Schwarz, Kyrill-A., Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz, JA 2017, 241; Merten/Papier/Jestaedt, Handbuch der Grundrechte IV, 2011, § 102, Rn. 7. 6 BVerfGE 7, 198 (208). 7 Ebenda. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 6 3.1.1. Schutzbereich Die vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG erfasste Meinung ist grundsätzlich weit zu verstehen. Geprägt ist sie durch Elemente der subjektiven Stellungnahme, des Dafürhaltens und des Meinens.8 Unter einer Meinung versteht man folglich Ansichten, Auffassungen, Überzeugungen , Wertungen, Urteile, Einschätzungen und Stellungnahmen. 9 Bestimmt wird der sachliche Schutzbereich durch die persönliche Auffassung des sich Äußernden.10 Da Meinungen keinem empirischen Beweis zugänglich sind, lässt sich deren Wahrheitsgehalt nicht feststellen.11 Des Weiteren kommt es für die Eröffnung des Schutzbereichs nicht darauf an, ob die Meinung wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch, gefährlich oder harmlos, emotional oder rational ist.12 Zum Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG zählen auch Tatsachenbehauptungen.13 Tatsachenbehauptungen beschreiben dem Beweis zugängliche Umstände. Im Gegensatz zu Werturteilen sind bei Tatsachenbehauptungen Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens nicht erkennbar, trotzdem sind sie schützenswert, „weil und soweit sie Voraussetzung der Meinungsbildung sind.“14 Tatsachenbehauptungen, die erwiesen oder bewusst unwahr sind, können in aller Regel nicht zur Meinungsbildung beitragen und sind somit nicht vom Schutzbereich erfasst.15 Unrichtige Information ist kein schützenswertes Gut16, da die Meinungsfreiheit „die Lüge verpönt“17 – ebenso wie das unrichtige Zitat. 18 Auch beleidigende Äußerungen sind durch die Meinungsfreiheit geschützt, da andernfalls die Grundrechtsschranke des Art 5 Abs. GG (Recht der persönlichen Ehre) überflüssig wäre.19 For- 8 BVerfGE 7, 198 (210), BVerfGE 61, 1 (8); ähnlich BVerfGE 85, 1, 14 (14). 9 Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 22; BVerfGE 7, 198 (210). 10 Schwarz, a.a.O, 242. 11 BVerfGE 90, 241 (247). 12 BVerfGE 90, 241 (247); 124, 300 (320); Fechner, in: Stern/Becker (Hrsg.), Grundrechte-Kommentar, Art. 5 GG, Rn. 88. 13 Grabenwarter, in: Maunz/Dürig/, Grundgesetz-Kommentar, 78. EL September 2016, Art. 5 Rn. 48. 14 BVerfGE 61, 1 (8). 15 BVerfGE, 208 (219); 61, 1 (8); anders: Grabenwarter, in: Maunz/Dürig/, Grundgesetz-Kommentar, 78. EL September 2016, Art. 5 Rn. 51. 16 BVerfGE 85, 1 (15); 90, 1 (15). 17 Isensee, Josef, Grundrecht auf Ehre, in: Burkhardt Ziemske (Hrsg.), Staatsphilosophie und Rechtspolitik : Festschrift für Martin Kriele zum 65. Geburtstag, 1997, S. 5. 18 BVerfGE 54, 148 (219). 19 BVerfGE 33, 1 (15). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 7 malbeleidigungen und Schmähkritiken sind dagegen nicht durch die Meinungsfreiheit geschützt . Während das Bundesverfassungsgericht die Formalbeleidigung bereits aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit fallen lässt, wird die Schmähkritik noch von ihr umfasst. Allerdings kommt ihr im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung grundsätzlich im Verhältnis zum Ehrenschutz ein gegen Null tendierendes Gewicht zu.20 Das im NetzDG-E vorgesehene Verfahren zur Bearbeitung von Beschwerden betrifft Äußerungen in sozialen Netzwerken. Soweit keine der obengenannten Ausnahmen vorliegen, ist von der Schutzwürdigkeit dieser Äußerungen zunächst auszugehen. 3.1.2. Grundrechtseingriff Fraglich ist, ob die Vorgaben des NetzDG-E in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit zu Lasten der Nutzer betroffener sozialer Netzwerke eingreifen. Bei der Prüfung, ob ein Grundrechtseingriff vorliegt, ist vom modernen Eingriffsbegriff auszugehen . Darunter versteht man jedes staatliche Handeln, das ein grundrechtlich geschütztes Verhalten , ganz oder teilweise unmöglich macht.21 Gemeint ist folglich jede dem Staat zurechenbare Grundrechtsbeeinträchtigung.22 In Betracht könnte ein Eingriff durch die Löschung grundrechtlich geschützter Inhalte der sich in sozialen Netzwerken äußernden Personen kommen. Kritiker sehen aufgrund der festen - insbesondere kurzen - Löschfristen und der hohen Bußgeldandrohung (bis zu 5 Mio. Euro bzw. 50 Mio. Euro23) bei Nichteinhaltung der Regelungen des § 3 NetzDG-E eine Gefahr für die Meinungsfreiheit. Derartige - in vielen Fällen auch existenzbedrohende - Bußgeldandrohungen erhöhten das Risiko, dass Unternehmen ohne sorgfältige vorherige Prüfung und vor allem in Zweifelsfällen auch legale Inhalte entfernten (sog. Overblocking). In der 20 BVerfGE 66, 116 (151); 82, 43 (51), 82, 234, 242; 93, 246 (292 ff.). 21 BVerfGE 105, 279 (300). 22 Papier, Hans-Jürgen / Krönke, Christoph, Grundkurs Öffentliches Recht 2, 2. Aufl. 2015, S. 61, Rn. 137. 23 Siehe Fußnote 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 8 Bußgeldandrohung wird somit auch ein Einschüchterungseffekt (Chilling-Effekt) gesehen, dass aus Angst vor Sanktionen auch rechtmäßige Äußerungen gelöscht werden. 24 Nach Kubiciel ist ein Eingriff von vornherein zu verneinen. Seiner Ansicht nach verpflichtet das Gesetz nicht primär zur Löschung der einzelnen Posts, sondern zur Bereitstellung eines Beschwerde -Management-Systems.25 Ferner sei nicht die Anlasstat Anknüpfungspunkt für das Bußgeld , sondern „die unzureichende interne Organisation des sozialen Netzwerks, das die Begehung der Tat gefördert hat.“26 Eine unterbliebene Löschung würde demnach nicht unmittelbar eine Sanktion auslösen und „erst recht wird bei der Fehlbeurteilung eines schwierigen Falles keine Fahrlässigkeit i.S.d. § 4 NetzDG vorliegen.“27 Er führt an:28 „Ein vom Gesetz nicht beabsichtigter und dort auch nicht angelegter „exzesshafter“ Vollzug kann dem Staat nicht als eigener (mittelbarer) Eingriff zugerechnet werden. Wäre es anders, hätten die Unternehmen die Möglichkeit, durch die Art ihres Umgangs mit einem Gesetz (absichtlich) dessen Verfassungswidrigkeit herbeizuführen.“ Demgegenüber weisen Wimmers und Heymann auf die einschränkenden Effekte für die Meinungsfreiheit hin, welche durch die hohe Wahrscheinlichkeit der Entfernung zulässiger Inhalte zu erkennen und zu erwarten seien. 29 Die Meinungsfreiheit sei demnach bereits aufgrund der zu kurzen Prüfungsfristen nicht gewährleistet. Ferner würden „die Belange des sich Äußernden nicht berücksichtigt.“30 Sie kritisieren darüber hinaus, dass „der Entwurf des NetzDG keinerlei 24 Vgl. Feldmann, Thorsten, Zum Referentenentwurf eines NetzDG: Eine kritische Betrachtung, Kommunikation und Recht (K&R) 2017, S. 292 (296); Liesching, Marc, „Das Bundesverfassungsgericht wird das Netzwerkdurchsetzungsgesetz kippen“, (unter II 1 b) bb)), beck-blog, 27. April 2017, abrufbar unter https://community .beck.de/2017/04/27/das-bundesverfassungsgericht-wird-das-netzwerkdurchsetzungsgesetz-kippen; Ladeur, Karl-Heinz/Gostomzyk, Thomas, Zur Verfassungsmäßigkeit des "Netzwerkdurchsetzungsgesetzes“, abrufbar unter https://www.bitkom.org/noindex/Publikationen/2017/Sonstiges/NetzDG-Gutachten-Gostomzyk-Ladeur.pdf. Neben anderen Kritikpunkten befürchtet auch der Sonderbeauftragte der UN für die Meinungsfreiheit, David Kaye, dass die hohen Bußgelder zur Löschung rechtmäßiger Inhalte führten. Vgl. David Kaye, Mandate of the Special Rapporteur on the promotion and protection of the right to freedom of opinion and expression, REFER- ENCE: OL DEU 1/2017, 1. Juni 2017, S. 4 f., abrufbar unter http://www.ohchr.org/Documents/Issues/Opinion /Legislation/OL-DEU-1-2017.pdf. Siehe auch Bundesrat, Stellungnahme des Bundesrates: Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz - NetzDG), Bundesratsdrucksache 315/17 (Beschluss), S. 11 f. (unter 18.). 25 Kubiciel, Michael, Neuartige Sanktionen für soziale Netzwerke? Der Regierungsentwurf zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, jurisPR-StrafR 7/2017 Anm. 1, unter III. 3. 26 Ebenda. 27 Ebenda. 28 Ebenda. 29 Wimmers, Jörg / Heymann, Britta: „Zum Referentenentwurf eines Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) – eine kritische Stellungnahme“, in: Archiv für Presserecht (AfP) 2017, S. 93 (99). 30 Ebenda. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 9 Vorgaben zum Inhalt eines Hinweises und zur notwendigen Substantiierung der Rechtswidrigkeit “ vorsieht. Eine sichere Feststellung der Rechtswidrigkeit sei somit zweifelhaft.31 Die vorgebrachten Einwände lassen zumindest einen mittelbaren Eingriff des Staates erkennen. Die Vorgaben geben zahlreiche und nachhaltige Anreize für Diensteanbieter, als private, zwischengeschaltete Instanz vorsorglich Inhalte zu löschen oder zu sperren, welche sich in einer gerichtlichen Überprüfung als rechtmäßig erweisen könnten. Eine dem Staat zurechenbare Grundrechtsbeeinträchtigung ist zu erwarten. Im Ergebnis kann eine Grundrechtsbeeinträchtigung durch die Entfernung grundrechtlich geschützter Inhalte von Nutzern nicht ausgeschlossen werden. § 3 NetzDG-E stellt demzufolge einen Eingriff in die Meinungsfreiheit dar. 3.1.3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs Bei Vorlage eines Eingriffs in die Meinungsfreiheit ist zu prüfen, ob dieser gerechtfertigt ist. Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass der NetzDG-E sich innerhalb der in Art. 5 Abs. 2 GG genannten Schranken bewegt. Gemäß Art. 5 Abs. 2 GG findet das Grundrecht der Meinungsfreiheit seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Bei der Einordnung des NetzDG-E als Schranke i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG ist zu differenzieren: So greift in den Fällen der §§ 185 bis 187 StGB (Beleidigung, Üble Nachrede, Verleumdung) das Recht der persönlichen Ehre als zulässige Schranke, während für § 184b StGB (Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften) die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend als zulässige Schranke einschlägig sind.32 Bezüglich anderer, aufgelisteter Straftatbestände (so z.B. § 90a StGB Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole oder § 111 StGB Öffentliche Aufforderung zu Straftaten) könnte es sich bei dem NetzDG-E um ein allgemeines Gesetz i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG handeln.33 31 Ebenda. 32 Vgl. Deutscher Anwaltverein (Hrsg.), Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch die Ausschüsse Informationsrecht und Strafrecht, Regierungsentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz - Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz - NetzDG), Stellungnahme Nr.: 41/2017 von Mai 2017, S. 14, abrufbar unter https://anwaltverein .de/de/newsroom/sn-41-17-netzwerkdurchsetzungsgesetz-netzdg . 33 Vgl. ebenda. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 10 Allgemeine Gesetze sind nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts Gesetze, die sich nicht gegen die Äußerung einer Meinung als solche richten, sondern vielmehr den Schutz eines zu schützenden Rechtsgutes dienen, d.h. dem Schutze eines Gemeinschaftswerts, der gegenüber der Betätigung der Meinungsfreiheit Vorrang hat.34 Bei der Anwendung der Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG ist ferner darauf zu achten, dass die allgemeinen Gesetze ihrerseits verfassungskonform ausgelegt werden müssen (sog. Wechselwirkungslehre).35 Ferner ist darauf hinzuweisen, dass selbst wenn eine Einschränkung der Meinungsfreiheit zum Schutz eines Rechtsguts erkennbar ist, dies nicht zwangsläufig zur Ablehnung des Charakters des Gesetzes als allgemeines Gesetz führen muss. Vielmehr ist im Rahmen einer Güterabwägung zu klären, ob die Schutzwürdigkeit des Rechtsguts überwiegt.36 Der NetzDG-E soll offenbar der Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie dem Schutz von Persönlichkeitsrechten und somit schützenswerten Rechten und Rechtsgütern dienen .37 Allerdings ist problematisch, dass wichtige Strafrechtsnormen und andere Vorschriften38 nicht vom NetzDG-E erfasst werden, sodass ein Ungleichgewicht bei der Durchsetzung der Entfernung rechtswidriger Inhalte entstehen könnte. Auch die Beschränkung des NetzDG-E auf ausschließlich soziale Netzwerke lässt dies erwarten. Im Ergebnis würden bestimmte rechtswidrige Inhalte bzw. bestimmte Meinungen stärker geahndet als andere.39 Der NetzDG-E richtet sich somit nicht direkt gegen eine bestimmte Meinung, würde jedoch ein beachtliches Ungleichgewicht bei der Bekämpfung rechtswidriger Inhalte verursachen. Ob dies bereits für die Verneinung des allgemeinen Charakters des NetzDG-E als Ermächtigungsnorm für den Eingriff ausreicht, kann dahinstehen, wenn das NetzDG-E ohnehin an der Verhältnismäßigkeitsprüfung scheitert. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit setzt voraus, „dass ein Grundrechtseingriff einem legitimen Zweck dient und als Mittel zu diesem Zweck geeignet, erforderlich und angemessen ist.“40 Die Vorschriften des NetzDG-E müssten zunächst einen legitimen Zweck verfolgen. Darunter versteht man grundsätzlich alle öffentlichen Interessen.41 Der Gesetzentwurf hat zum Ziel, Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten auf den Plattformen sozialer Netzwerke entgegenzutre- 34 BVerfGE 7, 198 (209). 35 BVerfGE 7, 198 (208). 36 BVerfGE 117, 244 (270). 37 BT-Drucksache 18/12356, S. 13. 38 Vgl. hierzu die detaillierten Angaben des Deutschen Anwaltvereins, a.a.O., S. 14 ff. 39 Vgl. Deutscher Anwaltverein, a.a.O., S. 14. 40 BVerfGE 120, 274 (318 f.). 41 BVerfGE 80, 137 (159). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 11 ten, um so das friedliche Zusammenleben in einer freien, offenen und demokratischen Gesellschaft zu fördern.42 Zweck des Entwurfs ist demzufolge in erster Linie die Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie der Schutz von Persönlichkeitsrechten. Dies ist als legitim anzusehen. Ferner müssten die Regelungen des NetzDG-E ein geeignetes Mittel darstellen. Hierbei genügt bereits , wenn das Mittel die Erreichung des Zwecks zumindest fördert.43 § 3 NetzDG-E sieht ein Beschwerdeverfahren vor, welches eine effizientere Bearbeitung bzw. Löschung oder Sperrung von gemeldeten rechtswidrigen Inhalten regeln soll. Für die Bekämpfung von Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten ist dieses Regelungsvorhaben grundsätzlich geeignet. Des Weiteren muss das NetzDG-E erforderlich sein. Erforderlichkeit liegt vor, wenn kein milderes Mittel zur Zweckerreichung gegeben ist oder mildere Mittel zur Zweckerreichung nicht gleich geeignet sind. Hinsichtlich der gleichen Eignung wird dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative bzw. ein Beurteilungsspielraum eingeräumt.44 Beim Vergleich von unterschiedlichen Mitteln müssen die „Eigenart und Intensität des Eingriffs, die Zahl der Betroffenen, belastende und begünstigende Einwirkungen auf Dritte und Nebenwirkungen der belastenden Maßnahme“ berücksichtigt werden.45 Als milderes Mittel könnte zunächst angeführt werden, dass zur Löschung- oder Sperrung von Inhalten nur auf Grundlage eines richterlichen Urteils verpflichtet werden darf. Hiergegen spricht jedoch, dass Gerichtsverfahren meist langwierig sind. Es ist nicht zu erwarten, dass Gerichte der Herausforderung der effizienten Entfernung rechtswidriger Internetinhalte, welche sich meist sehr schnell und leicht verbreiten, wirkungsvoll entgegentreten können. Das impliziert, dass derzeit keine Möglichkeiten zur effizienten und wirksamen Beschleunigung von Gerichtsverfahren bestehen. Einem Richtervorbehalt fehlte es mithin an einer vergleichbaren Eignung. Ein anderes Mittel könnte die regulierte Selbstregulierung darstellen. Der Deutsche Anwaltverein schlägt diesbezüglich in seiner Stellungnahme vor, auf Selbstkontrolleinrichtungen wie der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) und unabhängige Meldestellen zu setzen , wobei die gesetzlichen Rahmenbedingungen vom Gesetzgeber bestimmt werden könnten.46 Mit Blick auf die Gefahr des Overblockings für die Meinungsfreiheit und eine voraussichtlich nicht unerhebliche Zahl von Betroffenen, könnte dieses Mittel grundsätzlich ein milderes Mittel 42 BT-Drucksache 18/12356, S. 13. 43 BVerfGE 96, 10 (23). 44 Klatt, Matthias / Meister, Moritz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – Ein Strukturelement des globalen Konstitutionalismus, in: Juristische Schulung (JuS) 2014, S. 193 (195). 45 Reuter, Thomas, Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne – das unbekannte Wesen, in: Juristische Ausbildung (JURA) 2009, S. 511 (513). 46 Deutscher Anwaltverein, a.a.O., S. 32. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 12 darstellen. Es sprechen gute Gründe für die Wahl eines milderen Mittels in Form von unabhängigen Selbstkontrolleinrichtungen, da diese bereits eine zufriedenstellende Zweckerreichung gewährleisten können.47 Schließlich muss der mit dem NetzDG-E verbundene Eingriff angemessen sein. Bei der Prüfung der Angemessenheit darf die Schwere des Grundrechtseingriffs nicht außer Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen. Dies wird im Rahmen einer Güterabwägung mit Blick auf die widerstreitenden Belange ermittelt.48 Die folgende Abwägung umfasst die Meinungsfreiheit und den verfolgten Zweck des NetzDG-E, hier die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie Persönlichkeitsrechte , indem Hasskriminalität und strafbare Inhalte in sozialen Netzwerken bekämpft werden sollen. Bei der Meinungsfreiheit handelt es sich um ein hochrangiges Grundrecht mit konstitutiver Bedeutung für den freiheitlich demokratischen Staat, welches – abstrakt betrachtet – gegenüber dem Schutzzweck des NetzDG-E mindestens gleichrangig ist. Entscheidend ist daher, wie gravierend der Eingriff aufgrund des NetzDG-E in die Meinungsfreiheit zu bewerten ist und ob die Schwere des Eingriffs unter Berücksichtigung des erwartenden Erfolgs angemessen erscheint. Problematisch ist zunächst die gewünschte Zielsetzung des Gesetzes. Kritiker weisen mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshof darauf hin, dass es oftmals überaus schwierig zu bestimmen sei, wann eine Meinungsäußerung rechtswidrig und wann sie noch durch die Meinungsfreiheit geschützt ist.49 In diesem Zusammenhang ist auf die Problematik hinzuweisen, objektiv den Tatbestand von Hasskriminalität und falsche Nachrichten (Fake News) im Sinne der in § 1 Absatz 3 NetzDG-E genannten Strafrechtsnormen zu bestimmen. Schon bei der Definition von Hate Speech treten Schwierigkeiten auf. So ist nach 47 Als Beispiele können im Bereich anderer Medien weitere Selbstkontrolleinrichtungen angeführt werden: u.a. der Deutsche Presserat (seit 1956), Interessengemeinschaft DT-Control (seit 1995), der Deutsche Werberat (seit 1972), der Deutsche Rat für Public Relations (DRPR) (seit 1987), die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) (gegründet 1994, seit 2003 als Selbstkontrolleinrichtung anerkannt), rundfunkspezifische Gesellschaftskontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (Rundfunk- und Fernsehräte), Landesmedienanstalten im privaten Rundfunk , Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) (seit 1949). 48 BVerfGE 50, 217 (227); 80, 103 (107); 99, 202 (212 f.). 49 Wimmers / Heymann, a.a.O., S. 9 ff.; Deutscher Anwaltverein, a.a.O., S. 16; Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia -Diensteanbieter e.V. – FSM (Hrsg.), Stellungnahme der FSM zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz: Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG) vom 30.3.2017, S. 10-12, abrufbar unter https://www.fsm.de/sites/default/files /20170330_fsm_stellungnahme_zum_netzdg.pdf; Deutscher Journalisten-Verband e.V. – DJV (Hrsg.), Stellungnahme zum Referenten-Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG) vom 28. März 2017, S.10, abrufbar unter https://www.djv.de/fileadmin/user_upload/Infos_PDFs/Medienpolitik/DJV-StN_NetzDG-E_28.03.2017.pdf; Reporter ohne Grenzen (Hrsg.), Stellungnahme zum Regierungsentwurf des Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG) vom 19. April 2017, S. 6, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2017/Downloads/04192017_Stellungnahme _RoG_RefE_NetzDG.pdf;jsessionid =8B2C65D85BF900C88BA64C17A999D437.1_cid324?__blob=publicationFile&v=2. So auch: Höch, Dominik, Nachbessern: ja, verteufeln: nein. Das NetzDG ist besser als sein Ruf, in: Kommunikation und Recht (K & R) 2017, S. 290. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 13 Stefanowitsch der Begriff Hate Speech ein umstrittener politischer Begriff mit mehr oder weniger starken Bezügen zu juristischen Tatbeständen (§ 130 (1) StGB).50 Ebenso schwierig ist es, den Begriff Fake News abzugrenzen. Fake News ist kein Rechtsbegriff. Was darunter zu verstehen ist, wird im NetzDG-E bis auf den Verweis auf die Tatbestände der in § 1 Absatz 3 NetzDG-E aufgeführten Strafrechtsnormen nicht erläutert.51 Zum anderen können bei Fake News Tatsachenbehauptungen mit Meinungsäußerungen untrennbar verknüpft sein. Diese sogenannten „Mischäußerungen“, bei denen Tatsachengehalt und Meinungsäußerung untrennbar vermischt sind, hat das BVerfG in ihrer Gesamtheit als grundsätzlich geschützte Meinungsäußerung angesehen.52 Wenn es keine allgemeingültige Definition von Fake News gibt, lassen sich deren Wirkung – insbesondere destruktive - kaum nachweisen. Das gilt vor allem auch dann, wenn andere als Internet -Medien betroffen sind. So gibt es laut Hammer auch noch keine belastbaren Studien zu deren Gefahrenpotential.53 Auch für den Bereich der automatisierten Verbreitung und Generierung von u.a. meinungsbeeinflussenden und beleidigenden Inhalten durch Computerprogramme - sogenannte Social Bots – gibt es noch keine wissenschaftlichen Wirkungsanalysen. 54 In der Begründung des Gesetzentwurfs wird hervorgehoben, dass bei der derzeitigen Rechtslage und Praxis die sozialen Netzwerke dem Gebot nicht hinreichend und nicht schnell genug nachkommen, rechtswidrige Inhalte zu löschen, die die in § 1 Absatz 3 normierten Straftatbestände erfüllen.55 Über Löschgeschwindigkeit und -umfang wird hierzu auf ein Monitoring des jugendschutz.net verwiesen.56 Studien über die Zahl und Entwicklung der Häufigkeit der Fälle von Hasskriminalität und anderen Fällen strafbarer Inhalte einschließlich der vom Gesetzentwurf erfassten Fake 50 Vgl. Stefanowitsch, Anatol, „Was ist überhaupt Hate Speech?“, Amadeu-Antonio-Stiftung, abrufbar unter http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/hatespeech/was-ist-ueberhaupt-hate-speech/. 51 Vgl. Liesching, Marc, a.a.O., unter 3. 52 BVerfG NJW 1992, 1439, 1442; hierzu z. B. auch Ladeur, Karl-Heinz, Zum Umgang mit Fake News im Internet, in: epd medien Nr. 4/2017, S. 5. 53 Vgl. Hammer, Alexander / Hammer, Bettina, „Für die beschworene Gefahr durch Fake News fehlt es selbst an Fakten“, Telepolis, 7.2.2017, abrufbar unter https://www.heise.de/tp/features/Fuer-die-beschworene-Gefahrdurch -Fake-News-fehlt-es-selbst-an-Fakten-3618585.html. 54 Vgl. hierzu z.B. Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB), Brief Nr. 48, Juni 2017, S. 31-32, insbesondere S. 32: „Bisher gibt es noch keine wissenschaftlichen Studien, in denen der Nachweis erbracht wurde, dass die Beeinflussung von gesellschaftlichen Gruppen durch Social Bots tatsächlich gelingt. Das Ausmaß der tatsächlichen Einflussnahme ist daher noch unbekannt.“ 55 BT-Drucksache 18/12356, S. 20. 56 BT-Drucksache 18/12356, S. 1 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 14 News 57 werden nicht angegeben.58 Beispiele werden auch nicht genannt.59 Es gibt somit keine nachvollziehbaren Orientierungshilfen zur korrekten Identifizierung rechtswidriger Inhalte und zur Vermeidung von Falschlöschungen. Sie werden vielmehr in Kauf genommen. Der Gesetzentwurf sieht außerdem keine Vorkehrungen zur unverzüglichen Abhilfe bei Falschlöschungen vor. Die ohnehin bestehende Gefahr, dass auch rechtmäßige Inhalte entfernt oder gelöscht werden, erhöht sich in besonderem Maße durch die hohe Bußgeldandrohung von bis zu 50 Millionen Euro und die kurzen Fristen, gerade bei den vermeintlich offensichtlichen Fällen.60 Zwar knüpft das Bußgeld nicht an die einzelnen nicht vorgenommenen Löschungen von Inhalten an, sondern gemäß § 4 NetzDG-E an Fälle, in denen beispielsweise ein Verfahren nicht oder nicht richtig zur Verfügung gestellt wurde oder bei fehlender oder nicht richtiger Überwachung des Umgangs mit Beschwerden. Dennoch ist ein verstärkter Anreiz für Unternehmen zu befürchten, 57 BT-Drucksache 18/12356, S. 10. 58 In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass der Bundesregierung angeblich kein einziger Fall einer strafbaren Falschnachricht (Fake News) bekannt sei. Dies berichtet das Internet-Nachrichtenportal Golem auf seine diesbezügliche Anfrage. Vgl. Greis, Friedhelm, „HATE-SPEECH-GESETZ: Regierung kennt keine einzige strafbare Falschnachricht“, golem.de, 19.4.2017, abrufbar unter https://www.golem.de/news/hate-speech-gesetzregierung -kennt-keine-einzige-strafbare-falschnachricht-1704-127370.html. 59 Zum analogen Problemfeld der „Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole - § 90a StGB, der im § 3 NetzDG-E aufgeführt ist, vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole - § 90a StGB, Aktueller Begriff Nr. 17/17 vom 29. Mai 2017. Dort werden einige Beispiele von umstrittenen Meinungen und die dazu getroffenen die Meinungsfreiheit schützenden Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts angegeben. Auch das analoge Beispiel für einen strittigen Fall im öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit der Beleidigung eines Staatsrepräsentanten zeigt die Schwierigkeit der straf- und rechtswidrigen Einschätzung extrem beleidigender Äußerungen. So erkannten die Staatsanwaltschaften Mainz und Koblenz im Schmähgedicht, das der Fernsehmoderator Jan Böhmermann in der ZDF-Sendung „Neo Magazin Royale“ am 31.03.2016 vortrug, keine strafbare Handlung. Vgl. zur detaillierten Begründung Staatsanwaltschaft Mainz, Pressemeldung , Ermittlungsverfahren gegen Jan Böhmermann wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts eingestellt, 4.10.2016, http://www2.mjv.rlp.de/icc/justiz/nav/634/broker.jsp?uMen=634b8385-d698- 11d4-a73d-0050045687ab&uCon=86c6d096-9dd8-751e-6a1a-b5402e4e2711&uTem=aaaaaaaa-aaaa-aaaa-aaaa- 000000000042 und Brauer, Generalstaatsanwalt, Koblenz, Ermittlungsverfahren gegen Jan Böhmermann wegen Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten usw., Vermerk zur rechtlichen Bewertung, 13.10.2016, http://www2.mjv.rlp.de/icc/justiz/nav/634/binarywriterservlet?imgUid=b3420dc9-0951-c751-b5e8- 0d0102e4e271&uBasVariant=11111111-1111-1111-1111-111111111111. Dagegen war das Hanseatische Oberlandesgericht der Auffassung, dass das Schmähgedicht den Kern des Persönlichkeitsrecht berühre, was zur Untersagung von Teilen davon führte. Vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht, Entscheidung im Verfahren Erdoğan gegen Böhmermann, 10. Februar 2017, http://justiz.hamburg.de/pressemitteilungen/8138326/pressemitteilung- 2017-02-10-olg-01/. Weitere Beispiele für die schwierige Beurteilung von strittigen Inhalten und von Hasskommentaren können anhand der vielfach intransparenten Lösch- und Nicht-Löschpraxis von Facebook auf dem Portal von Joachim Nikolaus Steinhöfel „Wall of Shame“ eingesehen werden, abrufbar unter https://facebooksperre .steinhoefel.de/. 60 Siehe Fußnote 24. Vgl. auch Google / YouTube (Hrsg.), Stellungnahme an das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG-E), S. 19 f., abrufbar unter http://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren /Stellungnahmen/2017/Downloads/03302017_Stellungnahme_google_you Tube_RefE_NetzDG.pdf?__blob=publicationFile&v=2; Facebook Germany (Hrsg.), Stellungnahme zum Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes BR-Drucksache 315/17 - BT-Drucksache 18/12356, unter II., abrufbar unter https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2017/05/Facebook_Stellungnahme_zum_Entwurf_des_NetzDG.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 15 Inhalte ohne genaue vorherige Prüfung zu entfernen, um den Anforderungen eines Beschwerdeverfahrens i.S.d. § 3 NetzDG-E gerecht zu werden. Denn unterbliebene Löschungen können zu der Annahme einer „unzureichenden Organisation“ des sozialen Netzwerks hinsichtlich des Beschwerdefahrens führen, die wiederum den „Anknüpfungspunkt für das Bußgeld“61 darstellt. Auch Guggenberger weist auf die drohende Gefahr des Overblockings hin und erkennt in dem vorgegeben Verfahren des NetzDG-E einen unvermeidlichen Anreiz zur Löschung.62 Im Gesetzesentwurf wird darauf hingewiesen, dass bei nicht eindeutigen Fällen bis zur Klärung der Rechtswidrigkeit ein Bußgeldverfahren nicht angezeigt ist, sondern vielmehr das Bundesamt für Justiz ein Vorabentscheidungsverfahren nach § 4 Abs. 5 NetzDG-E durchführen muss. In solchen Fällen muss demzufolge vorab eine gerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden. In der Begründung heißt es: 63 „Zum Schutz der Meinungsfreiheit ist generell ein behutsames Vorgehen der Bußgeldbehörde angezeigt . Auch soll ein Bußgeldverfahren nicht eingeleitet werden, wenn die Rechtswidrigkeit eines Inhalts von dessen Wahrheitsgehalt abhängt und das soziale Netzwerk keine Möglichkeit hat, den Wahrheitsgehalt zeitnah zu klären und den Inhalt deswegen nicht innerhalb der in § 3 Abs. 2 Nr. 2 genannten Frist entfernt oder sperrt.“ Der Deutsche Richterbund lehnt jedoch ein Verfahren nach § 4 Abs. 5 NetzDG-E ab. Es wird darauf hingewiesen, dass eine solche gerichtliche Vorabentscheidung ein „völliges Novum“ darstelle und dass die zuständige Behörde über eine Bußgeldverhängung in eigener Verantwortung zu entscheiden hätte.64 Ferner seien Gerichte im Ordnungswidrigkeitsverfahren erst dann zuständig , wenn die Entscheidung der Behörde angegriffen wurde. Auch könne keine gerichtliche Vorabentscheidung verlangt werden, wenn zu prüfen ist, ob Strafnormen verletzt worden sind. Der Deutsche Richterbund macht deutlich, dass es beim Erlass eines Bußgeldbescheides nicht um die Verhängung strafrechtlicher Sanktionen ginge. Auch seien die Verfahrensrechte der sozialen Netzwerke nicht betroffen. Eine gerichtliche Vorabentscheidung sei damit nicht notwendig. Auch sei von einer erheblichen Belastung des Amtsgerichts Bonn auszugehen.65 Auch die beschränkten Rechtsschutzmöglichkeiten der Betroffenen deuten auf einen tiefgreifenden Eingriff in die Meinungsfreiheit hin: 61 Kubiciel betont insbesondere die „unzureichende interne Organisation des sozialen Netzwerkes“ als Anknüpfungspunkt für das Bußgeld. Vgl. Fußnote 26. 62 Guggenberger, Nikolaus, Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz – schön gedacht, schlecht gemacht, in: Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP 2017), S. 98 (99). 63 BT-Drucksache 18/12356, S. 23. 64 Deutscher Richterbund, Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, März 2017, unter B. Bewertung im Einzelnen , abrufbar unter http://www.drb.de/fileadmin/docs/Stellungnahmen/2017/DRB_170327_Stn_14_Rechtsdurchsetzung _in_sozialen_Netzwerken.pdf . 65 Ebenda. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 16 Gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 5 NetzDG-E müssen der Beschwerdeführer und der Nutzer unverzüglich über jede Entscheidung mit Begründung informiert werden. Das Einholen einer Stellungnahme von den Betroffenen sieht der Gesetzentwurf nicht vor. In der Entwurfsbegründung wird darauf hingewiesen, dass das soziale Netzwerk innerhalb der Lösch- und Sperrfrist den Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Beschwerden geben kann.66 Eine Pflicht sieht der Entwurf jedoch nicht vor. Nach Wimmers und Heymann verstößt der Entwurf gegen die von der Rechtsprechung entwickelten Abläufe:67 „Das in diesen Entscheidungen vorgesehene Verfahren – Stellungnahme des sich Äußernden einholen , bei substantiierter Stellungnahme den Betroffenen anschreiben, der seinerseits dann Stellung zu nehmen und Nachweise beizubringen hat – ist binnen der starren Fristen nicht einzuhalten .“ Zwar soll mit einer im Gesetzentwurf geforderten Begründung der Löschung oder Sperrung sichergestellt werden, dass Nutzer, die gegen diese Maßnahmen vorgehen möchten, „die geeigneten rechtlichen Schritte zur Wahrung ihres Rechts auf Meinungsfreiheit“ wahrnehmen können.68 Der Deutsche Anwaltverein weist jedoch zurecht auf die Verkürzung von Rechtsschutzmöglichkeiten hin. Denn für die Betroffenen besteht nicht die Option, sich im Rahmen des effektiven Rechtschutzes i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG gegen eine hoheitliche Maßnahme zu wehren, da die Entfernung oder Sperrung nicht durch den Staat, sondern durch einen Privaten erfolgt. Demzufolge bestehen nur zivilrechtliche Möglichkeiten gegen die Diensteanbieter und somit auf privatrechtlicher Ebene. Abwehrmöglichkeiten gegen den Staat sind hingegen nicht möglich und führen demnach zu einer wesentlichen Einschränkung von Rechtsschutzmöglichkeiten.69 Unter Berücksichtigung des eben Dargestellten ist der Eingriff in die Meinungsfreiheit als sehr tiefgreifend zu bewerten. Angesichts der herausragenden Bedeutung dieses Grundrechts für ein freiheitlich-demokratisches Staatswesen ist höchst zweifelhaft, ob die Regelungen des NetzDG-E einen angemessen Ausgleich zwischen den Rechtsgütern gewährleisten. Insbesondere die Schwierigkeit, Begriffe wie Hate Speech und Fake News trennscharf zu definieren sowie der aufgrund der hohen Bußgeldandrohungen zu erwartende Effekt des Overblockings bei Löschentscheidungen unter vorgegebenen erheblichen Termindruck deuten darauf hin, dass der gesetzgeberische Zweck des NetzDG-E - die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie Persönlichkeitsrechte in sozialen Netzwerken zu schützen - nicht in der gewünschten Form erreicht werden kann. Allein deshalb ist der Eingriff durch das NetzDG-E in die Meinungsfreiheit unangemessen und insgesamt verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. 66 BT-Drucksacke 18/12356, S. 21. 67 Wimmers / Heymann, a.a.O., S. 11 ff.; in Anlehnung an: BGH, Urteil v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10 und BGH, Urteil v. 1.3.2016 – VI ZR 34/15. 68 BT-Drucksache 18/12356, S. 21. 69 Vgl. hierzu die detaillierten Angaben des Deutschen Anwaltvereins, a.a.O., S. 17. Siehe auch Stellungnahme des Bundesrates, Bundesratsdrucksache 315/17 (Beschluss), S. 5f. (unter 10.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 17 3.1.4. Ergebnis Im Ergebnis stellen die Regelungen des § 3 NetzDG-E einen Eingriff in das Grundrecht der Meinungsfreiheit dar, der nach Abwägung des Grundrechts mit dem von der gesetzlichen Regelung verfolgten Zweck verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist. 3.2. Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG (Informationsfreiheit) „Jeder hat das Recht, […] sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten .“ Das verfassungsrechtlich verankerte Recht der Informationsfreiheit gewährleistet das Recht, sich ungehindert aus allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten.70 Dieses Grundrecht ist neben dem Grundrecht der Meinungsfreiheit überaus bedeutsam für einen freiheitlich-demokratischen Staat, da für die politische Willensbildung gewährleistet sein muss, dass sich der Bürger umfassend informieren kann. Die Informationsfreiheit genießt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wegen ihrer Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung und der Wahrung der Demokratie ebenso wie die Meinungsfreiheit einen hohen Schutz.71 3.2.1. Schutzbereich Die Informationsfreiheit schützt nicht nur die Informationsbeschaffung und somit aktives Handeln , sondern auch die bloße Kenntnisnahme von Informationen. Geschützt ist allerdings nur die Möglichkeit, sich aus „allgemein zugänglichen Quellen“ zu informieren.72 Der Begriff der Informationsquelle i.S.d. Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG ist weit zu verstehen. Eine Informationsquelle kann jeder denkbare Träger von Gedankeninhalten sein.73 Allgemein zugänglich ist eine Quelle ferner, wenn sie technisch geeignet und bestimmt ist, der Allgemeinheit bzw. einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis Informationen zu vermitteln.74 Informationsquellen sind demnach alle Massenmedien wie Presse, Rundfunk, Film und das Internet. Des Weiteren sind auch beispielsweise Flugblätter, Handzettel, Wirtschaftswerbung sowie individuelle Formen des Kom- 70 Fechner, Frank, Medienrecht, 17. Auflage 2016, S. 43, Rn. 82 ff. 71 BVerfGE 27, 71 (81 f.). 72 Fechner, Frank, Medienrecht, 17. Auflage 2016, S. 43, Rn. 82. 73 Fechner, in: Stern/Becker (Hrsg.), Grundrechte-Kommentar, Art. 5 GG, Rn. 103. 74 Starck, in: Mangoldt/Klein/Stark, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 45. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 18 munikationsaustauschs wie Gespräche, Telefonanrufe und Briefe als Informationsquellen anzusehen .75 Unerheblich ist dabei der Informationsgehalt einer Information. Sowohl Meinungen als auch Tatsachenbehauptungen sind geschützt.76 Zu erkennen ist, dass das im NetzDG-E vorgesehene Verfahren zur Bearbeitung von Beschwerden Äußerungen in sozialen Netzwerken bzw. Internetinhalte betrifft. Da das Internet als Informationsquelle durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG geschützt ist, ist der Schutzbereich eröffnet. 3.2.2. Grundrechtseingriff Zu prüfen ist, ob die Regelungen des NetzDG-E in den Schutzbereich der Informationsfreiheit zu Lasten dritter Nutzer von sozialen Netzwerken eingreifen. Auch hier ist vom modernen Eingriffsbegriff auszugehen.77 Grundsätzlich darf der Staat den Zugang zu Informationsquellen nicht erschweren oder ganz unmöglich machen.78 Liesching sieht eine klare Beeinträchtigung der Informationsfreiheit, denn Nutzer werden nicht über gelöschte Inhalte informiert, sodass ein Teil der veröffentlichten Inhalte in sozialen Netzwerken für den Meinungsbildungsprozess nicht mehr zur Verfügung steht. Inhalte, die trotz ihrer Rechtmäßigkeit und somit grundsätzlicher Geeignetheit für die öffentliche Meinungsbildung, gelöscht werden, entfallen somit als zugängliche Informationen.79 Diese Maßnahmen erfolgen zwar nicht durch den Staat, sondern durch private Dritte. Es ist jedoch ein mittelbarer Eingriff zu erkennen. Insoweit kann auf die Argumentation zum Problem der Falschlöschungen verwiesen werden.80 Ein Eingriff in Informationsfreiheit ist somit gegeben. 75 Fechner, Frank, Medienrecht, 17. Auflage 2016, S. 43, Rn. 83. 76 Ebenda. 77 Siehe Ausführungen zum Gliederungspunkt 3.1.2., S. 7. 78 Fechner, Frank, Medienrecht, 17. Auflage 2016, S. 43, Rn. 85. 79 Liesching, a.a.O., unter II, 1 a) bb). 80 Siehe Ausführungen zum Gliederungspunkt 3.1.2, S. 7 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 19 3.2.3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs Schließlich ist zu prüfen, ob eine Rechtfertigung für den Eingriff in die Informationsfreiheit besteht . Das NetzDG-E müsste sich innerhalb der in Art. 5 Abs. 2 GG genannten Schranken bewegen . An dieser Stelle ist auf die Argumentation innerhalb der Prüfung der Meinungsfreiheit zu verweisen.81 Auch für die Verhältnismäßigkeitsprüfung kann die Abwägung herangezogen werden, welche bereits innerhalb der Prüfung der Meinungsfreiheit herausgearbeitet worden ist, sodass auf die dortigen Erkenntnisse verwiesen wird.82 Unter Berücksichtigung der Wertigkeit des Grundrechts und der Schwere des Eingriffs ist dieser auch hinsichtlich der Informationsfreiheit unangemessen. Eine Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Informationsfreiheit ist demnach auch hier nicht zu erkennen. 3.2.4. Ergebnis Bei Falschlöschungen, die mit großer Sicherheit zu erwarten sind, werden veröffentlichte Inhalte entfernt, welche dem demokratischen Meinungsbildungsprozess nicht mehr zur Verfügung stehen . Im Gesetzentwurf werden keine speziellen Vorkehrungen getroffen, um diese Gefahr zu vermeiden . Der Eingriff erscheint insgesamt nicht gerechtfertigt. 3.3. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (Allgemeines Persönlichkeitsrecht) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist ein von der Rechtsprechung entwickeltes Rechtsinstitut.83 Es lässt sich aus Art. 2 Abs. 1 GG (der freien Entfaltung der Persönlichkeit) und Art. 1 Abs. 1 GG (der Menschenwürde) ableiten und wird als eigenständiges Grundrecht behandelt. 84 81 Siehe Ausführungen zum Gliederungspunkt 3.1.3, S. 9 ff. 82 Ebenda. 83 siehe u.a. BGHZ 26, 349. 84 Fechner, Frank, Medienrecht, 17. Auflage 2016, S. 67, Rn. 6-7; Horn, in: Stern/Becker (Hrsg.), Grundrechte- Kommentar, Art. 2, S. 193, Rn. 34. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 20 3.3.1. Schutzbereich Das allgemeine Persönlichkeitsrecht entfaltet drei unterschiedliche Schutzdimensionen: das Recht auf Selbstbewahrung, Selbstdarstellung und Selbstbestimmung.85 Es schützt ferner den autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem jeder Mensch die Möglichkeit zur persönlichen Lebensführung sowie zur Entwicklung und Wahrung seiner persönlichen Individualität erhalten soll. Das Bundesverfassungsgericht hat verschiedene Fallgruppen als Teilschutzbereiche herausgebildet. Von besonderer Bedeutung ist hier das Recht auf informationelle Selbstbestimmung . Es gewährleistet den Schutz vor Gefährdungen und Verletzungen der Persönlichkeit, die aufgrund von moderner Verarbeitung von Daten aus informationsbezogenen Maßnahmen entstehen können.86 Darüber hinaus sichert das Recht auf informationelle Selbstbestimmung die Befugnis , selbst über das Herausgeben oder Verwenden persönlicher Daten zu bestimmen.87 Ferner schützt es den Einzelnen vor Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe persönlicher Daten durch staatliche Stellen oder durch private Dritte.88 § 3 Abs. 2 Nr. 4 NetzDG-E sieht vor, dass im Fall einer Entfernung eines Inhalts, dieser zu Beweiszwecken gesichert und zu diesem Zweck für die Dauer von zehn Wochen im Inland gespeichert werden soll. Aus der Entwurfsbegründung geht hervor, dass es sich auch um die Daten des „Absenders einer Nachricht mit strafbaren Inhalt“ handelt. 89 Es geht somit um Speicherung persönlicher Daten, sodass der Schutzbereich eröffnet ist. 3.3.2. Grundrechtseingriff Grundsätzlich begründet die staatliche Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe von personenbezogenen Daten regelmäßig jeweils einen eigenständigen Grundrechtseingriff.90 In der Entwurfsbegründung wird deutlich, dass personenbezogene Daten für den Zweck der effektiven 85 Gersdorf, in: Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht, Kommentar, Art. 2, S. 61. 86 BVerfGE 65, 1 (43), Beschuss vom 21.6.2016 – 2 BvR 637/09. 87 BVerfGE 65, 1 (43); 113, 29 (46); 117, 202 (228); Gersdorf, in: Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht, Kommentar, Art. 2, S. 67 Rn. 17. 88 Gersdorf, in: Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht, Kommentar, Art. 2, S. 67 Rn. 18; Di Fabio, in: Maunz/Dürig Grundgesetz-Kommentar, Art. 2 Rn. 176. 89 BT-Drucksache 18/12356, S. 21. 90 Gersdorf, in: Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht, Kommentar, Art. 2, S. 67 Rn. 39. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 21 Strafverfolgung gespeichert werden.91 Wimmers und Heymann sehen in der pauschalen und unbeschränkten Speicherungspflicht auf Vorrat eine Unvereinbarkeit mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung.92 Ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht mit seiner Ausprägung der informationellen Selbstbestimmung bedingt durch die vom NetzDG-E vorgesehen Speicherung personenbezogener Daten kann als gegeben angesehen werden. 3.3.3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird nicht schrankenlos gewährleistet. Vielmehr findet es seine Schranke in Art. 2 Abs. 1 GG und somit erfolgt eine Beschränkung durch die verfassungsmäßige Ordnung und durch Rechte anderer.93 Aus dem Rechtstaatsprinzip ergibt sich, dass für einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eine verfassungsmäßige, gesetzliche Grundlage notwendig ist. Diese muss weiterhin dem Gebot der Normenbestimmtheit und Normenklarheit entsprechen. Bestimmtheit und Klarheit der Norm ermöglicht dem betroffenen Bürger sich auf belastende Maßnahmen einstellen zu können.94 Auch darf der Eingriff nur unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen. § 3 Abs. 2 Nr. 4 NetzDG-E stellt eine gesetzliche Grundlage für die Speicherung der Daten dar. Wimmers und Heymann heben hervor, dass im Gesetzentwurf keine konkreten Angaben bezüglich der Art der Daten gemacht und auch keine notwendigen Sicherheitsvorkehrungen benannt würden. Auch werde nicht geregelt, wer in die Daten Einsicht nehmen kann oder wann und unter welchen Voraussetzungen welche Stelle Auskunft verlangen kann. Ferner gebe es keine Angaben dazu, wie und wann gelöscht wird.95 Liesching weist darüber hinaus hinsichtlich der Ungenauigkeit des Gesetzesentwurfs darauf hin, dass § 3 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 1 Abs. 3 NetzDG-E die Betreiber sozialer Netzwerke sogar zur Speicherung kinderpornographischer Schriften durch ihre Mitarbeiter verpflichtet seien. Sie würden sich damit strafbar machen. Denn nach § 184b Abs. 3 StGB wird der Besitz kinderpornographischer Schriften u.a. mit einer Freiheitstrafe bis zu drei Jahren bestraft. Ferner erfülle auch die vorsätzliche Speicherung von kinderpornographischen Dateien den Straftatbestand. Die Strafbar- 91 BT-Drucksache 18/12356, S. 21. 92 Wimmers / Heymann, a.a.O., S. 12. 93 Gersdorf, in: Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht, Kommentar, Art. 2, S. 67 Rn. 70. 94 Grzeszick, in: Maunz/Dürig Grundgesetz-Kommentar, Art. 20 Rn. 58. 95 Wimmers / Heymann, a.a.O., S. 12. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 22 keit werde nach § 184b Abs. 5 StGB nur ausgenommen für die rechtmäßige Erfüllung (1.) staatlicher Aufgaben, (2.) Aufgaben, die sich aus Vereinbarungen mit einer zuständigen staatlichen Stelle ergeben, oder (3.) dienstliche oder berufliche Pflichten. Diese Ausnahmen würden jedoch nicht im vorliegenden Fall für die Betreiber sozialer Netzwerke gelten.96 Darüber hinaus wird kritisiert, dass selbst der Gesetzeszweck zu ungenau sei. Während bei § 3 Abs. 2 Nr. 4 NetzDG-E von Beweiszwecken die Rede ist, heißt es in der Gesetzesbegründung, die Speicherung diene „in erster Linie der Sicherung der Strafverfolgung gegen den Absender einer Nachricht mit strafbaren Inhalt.“ 97 Dies wird von den Kritikern jedoch nicht als ausreichend erachtet . Es sollten „vielmehr Pflichten der sozialen Netzwerke im Vorfeld begründet werden, an die ggf. z.B. Beschlagnahmeentscheidungen nach § 94 Abs. StPO anschließen könnten“.98 Aufgrund des fehlenden Gesetzeszweckes mangele es nach dieser Ansicht bereits an einer Grundlage für eine Verhältnismäßigkeitsprüfung. Folgt man hingegen der Ansicht, dass der Gesetzeszweck bestimmt genug ist, muss noch die Verhältnismäßigkeit (legitimer Zweck, Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit) des Eingriffs überprüft werden. Die Speicherung i.S.d. § 3 Abs. 2 Nr. 4 NetzDG-E dient laut Gesetzbegründung der effektiven Strafverfolgung gegen Absender rechtswidriger Inhalte sowie der allgemeinen Gefahrenabwehr. Dies ist als legitime Zielsetzung des Gesetzgebers zu werten. Die Speicherung muss die Erreichung des Ziels des Gesetzgebers zumindest fördern, um geeignet zu sein.99 Die Daten sollen als Beweismittel dienen und den Strafverfolgungsbehörden bei der Aufklärung der Tat helfen, sodass das Vorhaben grundsätzlich geeignet ist. Es sind ferner keine milderen Maßnahmen ersichtlich, welche weniger intensiv in das Recht der informationellen Selbstbestimmung eingreifen könnten. Insbesondere einer kürzeren Speicherdauer der Daten fehlt es an einer vergleichbaren Eignung. Damit wäre die vorgesehene Regelung erforderlich. Schließlich müsste der mit der Regelung des § 3 Abs. 2 Nr. 4 NetzDG-E verbundene Eingriff im Verhältnis zum verfolgten Ziel angemessen sein. Bei der Bestimmung des Gewichts der Beeinträchtigung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind mehrere Kriterien zu beachten. Relevant ist beispielsweise welcher Sphäre die Maßnahme zuzuordnen ist (Sozial-, Privat- oder Intimsphäre), wie viele Grundrechtsträger betroffen sind, ob eine erhebliche Streubreite vorliegt, wie intensiv die Beeinträchtigungen sind, welche Inhalte 96 Liesching, a.a.O., unter IV, 4. 97 Wimmers / Heymann, a.a.O., S. 12. 98 Ebenda. 99 BVerfGE 96, 10 (23). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 23 von dem Eingriff erfasst werden, welcher Verdachtsgrad gegeben ist und über welchen Zeitraum die Daten erhoben, verarbeitet und genutzt werden können.100 Hinsichtlich der Bestimmung des Gewichts der Ziele und Belange der Allgemeinheit, denen die Grundrechtsbeschränkung dient, sind die Intensität der Gefahren für die Allgemeinheit und die Wahrscheinlichkeit des Eintritts dieser Gefahren maßgeblich.101 Zwar könne man der Auffassung sein, dass die Speicherung angemessen sei, da sie im Zusammenhang mit dem Verdacht einer begangenen Straftat stehe, sodass lediglich ein bestimmter Personenkreis von der Speicherung betroffen sei. Wie oben jedoch bereits erläutert102, ist die abschließende Klärung über das Vorliegen eines rechtswidrigen Inhalts überaus schwierig und komplex. Es besteht somit die Gefahr, dass zahlreiche Nutzer betroffen sein könnten, deren Inhalte sich im Nachhinein als rechtmäßig erweisen, jedoch trotzdem gesperrt bzw. gelöscht worden sind. Wegen der Gefahr des Overblockings ist bereits bei einem geringen Verdacht eines vermeintlich rechtswidrigen Inhalts eine Löschung und Speicherung der relevanten Daten zu erwarten . Es ist darauf hinzuweisen, dass sich der Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auch auf öffentlich bzw. allgemein zugängliche Daten erstreckt.103 Welche Art von Daten jedoch genau zu speichern ist, wird im Gesetz und der Gesetzesbegründung nicht deutlich. So zum Beispiel , ob es sich dabei um öffentlich zugängliche oder privat gestellte Daten handelt, die allenfalls der Betreiber eines sozialen Netzwerks einsehen kann. Aus den Darstellungen ergibt sich zwar, dass bei der Speicherung lediglich die Sozialsphäre der Grundrechtsträger betroffen ist. Allerdings ist zu erwarten, dass aufgrund des Overblockings eine Vielzahl von Nutzern betroffen sein kann und ebenfalls eine erhebliche Streubreite vorliegen wird. Gerade die hohe Wahrscheinlichkeit, dass zahlreiche Nutzer von Sperrungen und Löschungen betroffen sein könnten, deren Inhalte sich im Nachhinein als rechtmäßig erweisen, deutet auf einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff hin. Obgleich die Wertigkeit des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung geringer anzusetzen ist als die der Meinungsfreiheit, spricht die zu erwartende Menge an ungerechtfertigten Sperrungen und Löschungen dafür, dass Grundrechtseingriff und Zweck der Norm nicht in einen schonenden Ausgleich gebracht wurden. Insbesondere lässt auch die fehlende Möglichkeit der Betroffenen, sich gegen die Löschung ihrer Äußerung und anschließende Speicherung der eigenen Daten zu wehren, an der Angemessenheit des Eingriffs erheblich zweifeln. 100 Gersdorf, in: Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht, Kommentar, Art. 2, S. 67 Rn. 77. 101 Ebenda. 102 Siehe Ausführungen zum Gliederungspunkt 3.1.3, S. 12-14ff und Fußnoten 58, 59. 103 BVerfGE 120, 351 (361); 120, 378 (399); Gersdorf, in: Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht, Kommentar , Art. 2, S. 68 Rn. 19. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 24 3.3.4. Ergebnis Der mit den Vorgaben des NetzDG-E verbundene Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung erscheint nicht gerechtfertigt. 3.4. Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit) „Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.“ Das Grundrecht Berufsfreiheit i.S.d. Art. 12 Abs. 1 GG beinhaltet das Recht der Berufswahlfreiheit , der Arbeitsplatzwahlfreiheit, Ausbildungsstättenwahlfreiheit sowie die Garantie der Berufsausübungsfreiheit , wobei eine trennscharfe Unterscheidung der Garantien nicht möglich ist.104 Weiterhin sichert Art. 12 Abs. 1 GG die eigenverantwortliche Existenzgestaltung, Persönlichkeitsentwicklung und die soziale Statusbestimmung des Einzelnen. Als Abwehrrecht schützt die Berufsfreiheit vor staatlicher Einflussnahme und gewährleistet eine möglichst unreglementierte berufliche Betätigung.105 3.4.1. Schutzbereich Art. 12 GG stellt unabhängig von dem Wortlaut ein einheitliches Grundrecht dar und schützt sowohl die Berufswahl- als auch die Berufsausübungsfreiheit. Die Berufsausübungsfreiheit schützt ferner die gesamte berufliche Tätigkeit, insbesondere Form, Mittel und Umfang sowie die gegenständliche Ausgestaltung der Betätigung.106 Grundrechtsberechtigt sind alle natürlichen Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Im Falle des NetzDG-E sind Diensteanbieter bzw. Unternehmen betroffen. Diese sind als juristische Personen gemäß Art. 19 Abs. 3 GG ebenfalls grundrechtsberechtigt , soweit das Grundrecht ihrem Wesen nach auf sie anwendbar ist. Zu beachten ist hierbei, dass die geschützte Tätigkeit nicht an Merkmale anknüpfen darf, welche lediglich Menschen vorbehalten (bspw. die Menschenwürde) sind.107 Die Berufsfreiheit dient jedoch gerade auch der zu Erwerbszwecken dienenden Tätigkeit, welche auch von juristischen Personen ausgeübt werden kann.108 Streitig ist, ob auch ausländische juristische Personen aus einem EU-Mitgliedsstaat (bspw. Facebook Ltd. mit Sitz in Dublin) sich auf Art. 19 Abs. 3 GG berufen können. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Blick auf die Grundfreiheiten im Binnenmarkt nach Art. 26 Abs. 2 AEUV und dem allgemeinen Diskriminierungsverbot 104 Manssen, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 12, Rn. 2. 105 Ebenda, Rn. 5. 106 Scholz, in: Maunz/Dürig Grundgesetz-Kommentar, Art. 12 Rn. 1. 107 Remmert, in: Maunz/Dürig Grundgesetz-Kommentar, Art. 19 Rn. 101. 108 BVerfGE 97, 228 (253); 115, 205 (229). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 25 nach Art. 18 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AUEV) eine Grundrechtsberechtigung anerkannt. Weiterhin ist umstritten, ob sich eine ausländische juristische Person auf die sogenannten Deutschen-Grundrechte, zu denen auch Art. 12 GG zählt, stützen kann. Zum Teil wird eine Gleichstellung über die Handlungsfreiheit i.S.d. Art. 2 Abs. 1 GG als Auffangtatbestand angenommen, andere hingegen legen den Art. 12 Abs. 1 GG europarechtskonform aus. Im Ergebnis kann sich nach beiden Lösungswegen auch eine in der EU ansässige juristische Person auf die Berufsfreiheit berufen. Die Berufsfreiheit ist ferner dann einschlägig, wenn eine berufliche Tätigkeit im Raume steht. Unter einem Beruf versteht man jede auf Dauer angelegte Tätigkeit zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage.109 Von einer grundrechtlich geschützten beruflichen Tätigkeit durch die Diensteanbieter ist auszugehen. Der Schutzbereich ist somit eröffnet. 3.4.2. Grundrechtseingriff Ein Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit ist jede hoheitliche Maßnahme, welche die Wahl oder Ausübung eines Berufes einschränkt oder unmöglich macht. Der Eingriff bzw. die Maßnahme muss ferner eine subjektiv oder objektiv berufsregelnde Tendenz aufweisen. Eine subjektiv berufsregelnde Tendenz liegt bei Maßnahmen vor, die gerade auf die Regelung eines bestimmten Berufes abzielen. Eine objektivregelnde Tendenz liegt hingegen vor, wenn eine Maßnahme sich unmittelbar auf die berufliche Tätigkeit auswirkt, ohne eine konkrete Berufsregelung zu sein, oder eine nicht unwesentlich starke mittelbare Auswirkung vorliegt.110 Die vorgesehenen Regeln des § 3 NetzDG-E richten sich direkt an die Diensteanbieter und weisen eine direkte Berufsregelung auf. Insbesondere mit der Androhung hoher Bußgelder, welche nur durch die Einhaltung nicht hinreichend bestimmter Pflichten111 vermieden werden könne, kann ein Eingriff in die Berufsfreiheit nicht ausgeschlossen werden. 3.4.3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs Für den Eingriff könnte eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung vorliegen. Zu beachten ist dabei die vom Bundesverfassungsgericht für die Berufsfreiheit entwickelte Stufenlehre, welche zwischen drei verschiedenen Eingriffsarten unterscheidet: den Berufsausübungsregelungen (1. Stu- 109 Manssen, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 12, Rn. 37. 110 Manssen, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 12, Rn. 74. 111 Siehe Fußnote 97. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 26 fe), den subjektiven Zulassungsvoraussetzungen (2. Stufe) sowie den objektiven Zulassungsschranken (3. Stufe). 112 Diese Stufen weisen eine in dieser Reihenfolge zunehmende Eingriffsintensität auf. Je höher die Eingriffsintensität, umso höher sind auch die Rechtfertigungsanforderungen . Die Berufsausübungsregeln auf der ersten Stufe haben die Art und Weise („Wie“) der beruflichen Tätigkeit zum Gegenstand.113 Dieser Stufe können bestimmte Vorgaben des NetzDG-E zugerechnet werden. Das NetzDG-E verpflichtet zur Einrichtung einer Berichtspflicht nach § 2 NetzDG-E und zur Einrichtung eines Beschwerdemanagementsystems gemäß § 3 NetzDG-E und somit zu einhergehenden Prüfungs-, Kontroll- und Speicherpflichten. Die zu erfüllenden Pflichten erfordern Maßnahmen durch die Diensteanbieter, welche ihre berufliche Ausgestaltung betreffen und stellen dementsprechend eine Berufsausübungsregel dar. Gemäß Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG kann die Berufsausübung durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. Dies stellt einen einfachen Gesetzesvorbehalt in Form eines Regelungsvorbehaltes dar. Zwar gilt der Regelungsvorbehalt nach dem Wortlaut nur für die Berufsausübung, diese lässt sich jedoch nicht streng von der Berufswahl trennen. Vielmehr stellt die Berufsausübung die stetige Manifestation der Berufswahl dar. Das NetzDG-E stellt ein Gesetz i.S.d. Art. 12 Abs. 1 S. 2 dar. Es muss jedoch mit Blick auf die Drei-Stufen-Lehre einer Verhältnismäßigkeitsprüfung (legitimer Zweck, Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit) standhalten. Für die Berufsausübungsregelungen auf der ersten Stufe gilt hier, dass Eingriffe nur zulässig sind, soweit vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls als Zweck des Eingriffs vorliegen und diese zweckmäßig erscheinen. Der Gesetzgeber hat einen weitreichenden Spielraum was die Zweckmäßigkeitserwägungen angeht. Zu beachten ist jedoch auch die Kumulation von Wirkungen, „welche sich aus dem Zusammenspiel mehrerer, für sich genommen möglicherweise zumutbarer, in ihrer Zusammenschau aber nicht akzeptablen Regelungen ergibt.“ 114 In dem Ziel, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu wahren sowie Persönlichkeitsrechte zu schützen, ist allerdings unproblematisch ein legitimer Zweck zu erkennen. Da der NetzDG-E als Mittel grundsätzlich in der Lage ist, diese Ziele zumindest zu fördern, ist von der Geeignetheit auszugehen. Des Weiteren muss der Eingriff auch erforderlich sein. Zu beachten ist für die Erforderlichkeit, dass keine andere Eingriffsvariante ersichtlich sein darf, welche den Bürger weniger intensiv belastet , jedoch ebenso gut geeignet ist, die Erreichung der verfolgten Ziele zu verwirklichen. Zu den milderen Varianten ist auf die Argumentation oben zu verweisen.115 Dort wurde festgestellt, dass grundsätzlich mildere Mittel in Betracht gezogen werden können. 112 Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 79. EL Dezember 2016, Art. 12, Rn. 335. 113 BVerfGE 7, 377, 405 f.; 39, 210, 225; Manssen, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 12, Rn. 140. 114 Manssen, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 12, Rn. 146. 115 Siehe Ausführungen zu Gliederungspunkt 3.1.3, S. 11 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 27 Schließlich muss der Eingriff angemessen sein. Bei der Prüfung der Angemessenheit kommt es darauf an, ob die Schwere des Grundrechtseingriffs nicht außer Verhältnis zum verfolgten Zweck steht. Das Unternehmen Facebook veranschaulicht in seiner Stellungnahmen116 die Problematik hinsichtlich des Umsetzungsaufwands zur Erfüllung der Prüfungs- und Berichtspflichten, der finanziellen Belastung sowie der hohen Bußgelder. Unter anderem weist das Unternehmen auf die Ungewissheit hin, wie überhaupt die gesetzlichen Pflichten zu verstehen und wie hoch der zu erwartende Aufwand sei. Es sei nicht absehbar „unter welchen Voraussetzungen sie mit einem Bußgeld rechnen müssen.“117 Außerdem müsste das Unternehmen kurzfristig hochqualifizierte Prüfer einstellen und diese intensiv juristisch, psychologisch, sprachlich und sozialwissenschaftlich schulen. Ferner sei die Rückstellung von mehrstelligen Millionenbeträgen notwendig. Facebook führt hierzu an: 118 „Das NetzDG-E birgt nicht zuletzt wegen seiner Unbestimmtheit immense finanzielle Risiken . Die unrealistischen Übergangfristen und unklaren Pflichten des NetzDG machen die Erhebung von Bußgeldern mehr als wahrscheinlich – eine gewissenhafte Umsetzung des NetzDG-E schützt vor Bußgeldern nicht.“ Ladeur und Gostomzyk sehen ebenfalls durch die „Auferlegung weitreichender, von der Schwere der Beeinträchtigung unabhängiger Prüfungs- und Berichtspflichten sowie der unbestimmt bleibenden Androhung von Bußgeldern in beträchtlicher Höhe“ einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit . Insbesondere sei die Verhältnismäßigkeit problematisch, dass das NetzDG-E „mit der Androhung von Geldbußen gegen vage normierte Pflichten operiere.“119 Zu erwähnen ist auch die vom NetzDG-E beinhaltende Differenzierung der sozialen Netzwerke. Gemäß § 1 Abs. 2 NetzDG-E sind die in § 2 und § 3 NetzDG-E genannten Pflichten nur auf soziale Netzwerke beschränkt, welche mehr als zwei Millionen Nutzer aufweisen. Nach der Verfassungsrechtsprechung muss gem. Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG eine Berufsausübungsregel diskriminierungsfrei sein.120 Unter diesem Gesichtspunkt kritisieren Ladeur und Gostomzyk das Heranziehen der Marktstellung der sozialen Netzwerke, da diese hinsichtlich der Zumutbarkeit der zu erfüllenden Pflichten und der Tragweite der zu bekämpfenden Gefahren einen Maßstab bietet, welcher nicht zuverlässig sei.121 Ein Netzwerk mit weniger als zwei Millionen registrierten Nutzern könnte für eine Äußerung nicht belangt werden, obwohl diese von weitaus mehr Nutzern [einschließlich von nicht registrierten Nutzern; Anmerkung der Verfasser] gelesen werden 116 Facebook Germany (Hrsg.), a.a.O., unter I, 2. 117 Ebenda. 118 Ebenda. 119 Ladeur / Gostomzyk, a.a.O., S. 6. 120 Vgl. BVerfGE 121, 317 (369 ff.). 121 Ladeur / Gostomzyk, a.a.O., S. 6; so auch: Wimmers / Heymann, a.a.O., S. 13. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 28 könnte als bei einem Netzwerk, welches die zwei Millionen Grenze erreicht hat. Es wird deutlich , dass notwendige Aspekte außer Acht gelassen wurden, so zum Beispiel das Gewicht der Verletzung, Zahl der Aufrufe und ob ein öffentlicher Diskussionsprozess entsteht.122 Beim Anwendungsbereich ist weiterhin kritisch zu betrachten, dass kleinere und mittlere Unternehmen sowie Startups ebenfalls darunter fallen könnten. Eine Nutzerbasis mit derartig hohen Zahlen kann schnell erreicht werden. Es ist zweifelhaft, dass diese die finanzielle Last tragen können, welche mit den Aufgaben verbunden ist. Nolte weist ferner darauf hin, dass den Diensteanbietern nicht die alleinige Verantwortung für die Entfernung rechtswidriger Inhalte auferlegt werden darf. Eine Verantwortung ergebe sich zwar nach geltendem Recht aus der Störerhaftung, jedoch sei hierbei der Zumutbarkeitsvorbehalt zu beachten. Erst wenn der Diensteanbieter auf eine Rechtsverletzung konkret hingewiesen wird, bestehe eine Pflicht zu Prüfung. Auch sieht er durch die knappen Fristen und die Prüfung jeglicher Beschwerden über rechtswidrige Inhalte eine Überspannung der Zumutbarkeit. Dies werde durch die Erschwernis verstärkt, rechtswidrige Inhalte in ordnungsgemäßer Weise zu prüfen.123 Die hohen und gegebenenfalls existenzbedrohenden Bußgelder sowie die nicht hinreichende Differenzierung bezüglich der Schwere der tatsächlichen Beeinträchtigungen führen zu der Annahme eines nicht hinnehmbaren Eingriffs. Die aufgeführten Argumente machen deutlich, dass die Regelungen des NetzDG-E einen erheblichen Eingriff in die Berufsfreiheit darstellen. Gleichzeitig deutet vieles darauf hin, dass gleichermaßen ein Eingriff in den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz vorliegt. Erwägungen bezüglich des durch das Gesetz verfolgten Zweckes, die diesen Einwänden derart entgegenstehen, dass sie die Angemessenheit NetzDG-E begründen könnten, sind nicht ersichtlich oder zumindest zweifelhaft . 3.4.4. Ergebnis Der Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit kann im Ergebnis ebenfalls verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden. 122 Ladeur / Gostomzyk, a.a.O., S. 6. 123 Nolte, Georg, Hate-Speech, Fake-News, das »Netzwerkdurchsetzungsgesetz« und Vielfaltsicherung durch Suchmaschinen , ZUM 2017, 552 (560). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 041/17 Seite 29 4. Fazit In alle hier geprüften Grundrechtsbereiche - Meinungs-, Informations- und Berufsfreiheit sowie in das Persönlichkeitsrecht - greifen die Vorkehrungen des NetzDG-E ein. In allen Bereichen erscheint der Eingriff nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden zu können. In allen Fällen der Güterrechtsabwägung überwiegen die Gewichte der Argumente für ungerechtfertigte Eingriffe . Das gilt in besonderem Maße für die Grundrechte der Meinungs-und Informationsfreiheit. Meinungsfreiheit ist in einem freiheitlichen demokratischen Staatswesen ein essentielles Gut. Sie ist für eine freiheitlich-demokratische Ordnung konstituierend. Nur in besonderen Fällen darf das verfassungsrechtlich verankerte Grundrecht der Meinungsfreiheit beschränkt werden. In Zweifelsfällen hat das Bundesverfassungsgericht regelmäßig zugunsten der Meinungsfreiheit entschieden . Ähnliches gilt für das Grundrecht der Informationsfreiheit. Es genießt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wegen seiner Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung und der Wahrung der Demokratie ebenso wie die Meinungsfreiheit einen hohen Schutz. In das Grundrecht der Berufsfreiheit wird in vielfältiger Weise eingegriffen. Dazu zählen u.a. zusätzliche Kosten mit der Auferlegung von Organisations- und Verfahrensregelungen unabhängig von der Finanzkraft der Unternehmen, mögliche Wettbewerbsverzerrungen, von der Schwere der Beeinträchtigung unabhängige Prüfungs- und Berichtspflichten. Im Bereich des Persönlichkeitsrechts kommt es neben der pauschalen und unbeschränkten Speicherpflicht personenbezogener Daten insbesondere im Falle von Falschlöschungen zu ungerechtfertigten Eingriffen. Bei der Güterabwägung im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung ist hervorzuheben, dass es schon bei der begrifflichen Abgrenzung der zu löschenden rechtswidrigen Inhalte und strafbaren falschen Nachrichten (Fake News) erhebliche Schwierigkeiten gibt. Orientierungshilfen, Beispiele oder Hinweise auf ausgewählte Beispiele für offensichtlich rechtswidrige, rechtswidrige oder strafbare Inhalte werden im Gesetzentwurf nicht angegeben. Es wird lediglich auf ein Monitoring -Bericht des jugendschutz.net zu Löschgeschwindigkeit und -umfang hingewiesen mit dem Ergebnis: Es werde zu langsam und zu wenig gelöscht. Schnelle und möglichst vielzahlige Löschungen sind somit ein wichtiges Ziel des Gesetzentwurfs. Sie werden insbesondere mit hohen Strafandrohungen und kurzen Terminfristen angeregt. Falschlöschungen werden dabei offenbar in Kauf genommen. Zur Prävention und Abwehr derartiger Fälle sieht der Gesetzentwurf keine speziellen Vorkehrungen vor. Grundsätzlich wären zur ordnungsgemäßen Beurteilung der Gefahr durch die Verbreitung von Hasskriminalität und strafbaren falschen Nachrichten - Fake News - aber Angaben über Zahl, Entwicklung der Fälle und Studien über die vermuteten destruktiven Wirkungen äußerst hilfreich. Diese werden nicht angegeben. Offenbar lassen auch hier Definitions- und Abgrenzungsschwierigkeiten kaum aussagekräftige Angaben und Wirkungsanalysen zu. ****