© 2019 Deutscher Bundestag WD 10 - 3000 - 035/19 Die rechtliche Qualität medialer Auftritte der Bundesregierung mit Blick auf den Rundfunkstaatsvertrag. Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 035/19 Seite 2 Die rechtliche Qualität medialer Auftritte der Bundesregierung mit Blick auf den Rundfunkstaatsvertrag. Aktenzeichen: WD 10 - 3000 - 035/19 Abschluss der Arbeit: 14.06.2019 Fachbereich: WD 10: Sport, Kultur und Medien Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 035/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorbemerkung 4 2. Verfassungsrechtlicher Rundfunkbegriff 4 2.1. Staatsferne 5 2.2. Die tatsächliche Umsetzung des Gebots der Staatsferne 6 3. Der Rundfunkbegriff des § 2 Rundfunkstaatsvertrag 8 3.1. Rundfunkqualität medialer Auftritte der Bundesregierung 8 3.2. Zwischenergebnis 9 4. Öffentlichkeitsarbeit durch die Bundesregierung 10 5. Finanzierung der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung 11 6. Fazit 12 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 035/19 Seite 4 1. Vorbemerkung Dieser Sachstand informiert über die rechtliche Einordnung publizistischer Tätigkeiten der Bundesregierung im Internet. Im Zentrum dieser Arbeit steht die Frage, inwiefern die Bundesregierung bei ihren publizistischen Tätigkeiten den Regelungen des Rundfunkstaatsvertrages1 (RStV), insbesondere denen des § 2 RStV, unterworfen ist und wie Öffentlichkeitsarbeit von Wahlwerbung abzugrenzen ist. Von Interesse ist darüber hinaus, ob es der Bundesregierung gestattet ist, Wahlwerbung unter Zuhilfenahme bundeseigener Unternehmen zu schalten. Um eine Antwort auf die aufgeworfenen Fragen zu finden, werden zunächst die verschiedenen Rundfunkbegriffe dargestellt und die Grundprinzipien der Staatsferne nebst relevanter Verfassungsrechtsprechung erläutert. 2. Verfassungsrechtlicher Rundfunkbegriff Art. 5 S. 2 GG gewährleistet die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk. Aufgrund seiner Aktualität, Breitenwirkung und Suggestivkraft schreibt das Bundesverfassungsgericht dem Rundfunk eine Sonderrolle im Prozess der öffentlichen Meinungsbildung zu.2 Nach klassischem Verständnis versteht man unter Rundfunk „die für die Allgemeinheit bestimmte und geeignete Übertragung von Informationsinhalten über physikalische, vor allem elektromagnetische Wellen“3, üblicherweise also das Fernsehen und das Radio. Trotz dieser Definition stellte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1986 fest, dass es einen allgemeingültigen Rundfunkbegriff nicht gebe.4 Bei den Medienfreiheiten insgesamt handele es sich stattdessen um entwicklungsoffene Begriffe, welche im Einklang mit der Verfassung den technischen Entwicklungen anzupassen seien.5 In diesem Zusammenhang ist fraglich, ob das Internet heute grundsätzlich als Plattform geeignet ist, Rundfunk zu vermitteln. Während das Internet zu Anfangszeiten noch überwiegend zur einseitigen Abfrage von Gedankeninhalten genutzt wurde und Nutzern die abgerufenen Inhalte nur in der Form des „medialen Monologs“ zugänglich waren, entstand etwa ab dem Jahr 2005 eine neue Nutzungsform.6 Das neue sogenannte Web 2.0 zeichnete sich durch eine interaktive Beziehung zwischen Produzent und Konsument aus; der Begriff der sozialen Medien entstand. Während die Masse an Inhaltsvermittlungen über soziale Medien anwuchs, verschwommen die Gren- 1 Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien vom 31.08.1991, zuletzt geändert am 01.05.2019, abrufbar unter: https://www.die-medienanstalten.de/fileadmin/user_upload/Rechtsgrundlagen/Gesetze_Staatsvertraege/Rundfunkstaatsvertrag _RStV.pdf. 2 BVerfGE 119, 181, 214 ff. 3 Maunz/Dürig/Grabenwarter GG Art. 5 Abs. 1, 5 Abs. 2 Rn. 603. 4 BVerfGE 73, 118, 121 – 4. Rundfunkentscheidung. 5 BVerfGE 74, 297, 324 f. – 5. Rundfunkentscheidung. 6 Paulus/Nölscher: Rundfunkbegriff und Staatsferne im Konvergenzzeitalter, ZUM 2017, 177. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 035/19 Seite 5 zen der klassischen linearen und nicht linearen Medienformen zu multimedialen Kombinationen 7 aus Texten und audiovisuellen Darbietungen, sodass die Zuordnung dieser Medienform zu einer der vom Grundgesetz benannten Medienfreiheiten heute problematisch erscheint.8 Nach Auffassung von Paulus9 kann vor dem Hintergrund des technischen Fortschritts und der konvergierenden Medienwelt heute nicht mehr allein auf den Übertragungsweg abgestellt werden. Die Bedeutung des Rundfunks als Informationsquelle der Gesellschaft kann aufgrund des enormen Verbreitungsgrades dieser Medienformen in der Bevölkerung kaum überschätzt werden.10 Medien sind prägend für die Gestaltung öffentlicher Kommunikation. Sie stellen den Bürgern Beobachtungen zur Verfügung, auf deren Grundlage diese eine eigene Meinung bilden können. Je unvoreingenommener und vielfältiger die Beobachtungen der Medien sind, desto demokratischer ist der Prozess der Meinungsbildung.11 Überdies soll die Bevölkerung auch über staatliches Fehlverhalten informiert werden.12 Aus der Funktion der Sicherung der Meinungsvielfalt leitet das Bundesverfassungsgericht das Gebot der Staatsferne ab.13 2.1. Staatsferne Der Schutzbereich der Rundfunkfreiheit umfasst alle Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit der Beschaffung von Informationen sowie der Produktion und Verbreitung von Programminhalten stehen.14 Demnach obliegt dem Staat die Aufgabe, den Rundfunk vor staatlicher und sonstiger interessensgebundener Einflussnahme zu schützen, wie vor den Einwirkungen politischer Parteien, Wirtschaftsunternehmen oder Religionsgemeinschaften.15 Zu schützen sind alle Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit der Beschaffung von Informationen sowie der Produktion und Verbreitung der Programminhalte stehen.16 7 Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Medienkonvergenz. 8 Paulus/Nölscher, a.a.O. 9 Ebd. 10 Ebd. 11 M.w.N.: Thomaß/Radoslavov: Unabhängigkeit und Staatsferne – nur ein Mythos? Abrufbar unter: http://www.bpb.de/gesellschaft/medien-und-sport/medienpolitik/172237/unabhaengigkeit-und-staatsferne-einmythos #footnode5-5. 12 Paulus/Nölscher, a.a.O. 13 BVerfGE 12, 205, 262 f. – 1. Rundfunkentscheidung. 14 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Staatsferne im Rahmen der Rundfunk- und Pressefreiheit , WD 10 - 3000 - 056/16, 14.11.2016, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource /blob/491782/8c8d23b7383fcfc5ba6c7471081e9538/wd-10-056-16-pdf-data.pdf. 15 BVerfGE 12, 205, E-III. 16 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Staatsferne im Rahmen der Rundfunk- und Pressefreiheit WD 10 - 3000 - 056/16, a.a.O. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 035/19 Seite 6 Staatsferne bedeutet also zunächst, dass der Staat selbst nicht die Funktion des Rundfunkbetreibers übernehmen darf.17 Sie umfasst nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts aber auch das Verbot „jeder politischen Instrumentalisierung des Rundfunks“.18 2.2. Die tatsächliche Umsetzung des Gebots der Staatsferne In der Vergangenheit blieben Verstöße gegen das Gebot der Staatsferne medial nicht unbeachtet. Einer der bekanntesten Fälle rechtswidriger Einflussnahme ereignete sich im Jahr 2014 im Zweiten Deutschen Fernsehen. Das Bundesverfassungsgericht stellte in diesem Zusammenhang fest, dass der Einfluss politischer Akteure in Aufsichtsgremien besonders groß und der zu Grunde liegende ZDF-Rundfunkstaatsvertrag daher rechtswidrig sei.19 Der daraufhin überarbeitete ZDF- Staatsvertrag erlaubt nun eine Besetzung des Rundfunkrates, die zu höchstens einem Drittel staatsnah sein darf.20 17 Ebd. 18 BVerfGE 121, 30 (61). 19 BVerfGE 136, 9 – 68; Thomaß/Radoslavov: a.a.O. 20 Vgl. §§ 25 I, 22 II ZDF-Staatsvertrag, abrufbar unter: https://www.zdf.de/zdfunternehmen/zdf-rechtsgrundlagenund -vorschriften-100.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 035/19 Seite 7 Die gebotene Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird in neuerer Zeit von einigen politischen Strömungen immer wieder in Frage gestellt.21 Ausdrücke wie „Lügenpresse“ tauchen auf.22 Wenngleich das Verfassungsgebot der Staatsferne durch das Bundesverfassungsgericht erkannt wurde23 und inzwischen durch § 20a III RStV auch einfachgesetzlich garantiert wird, können gewisse Interdependenzen zwischen Rundfunk Betreibenden und Politikern nicht abgestritten werden.24 Die wechselseitige Abhängigkeit zeigt sich in dem Umstand, dass Politiker auf die Breitenwirkung des Rundfunks angewiesen sind und der Rundfunk Hintergrundinformationen für das eigene Sendeprogramm benötigt. Insofern kann aus dem Gebot der Staatsferne kein Zwang zu einer 21 Zur unausgewogenen Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen-Rundfunks vgl.: Haller, Michael, Zwischen Flüchtlingskrise und Migrationspakt - Mediale Lernprozesse auf dem Prüfstand, abrufbar unter: https://www.otto-brenner-stiftung.de/fileadmin/user_data/stiftung/02_Wissenschaftsportal/03_Publikationen /AP37_Fluechtlingskrise_II_Haller.pdf; Zur Problematik der Unabhängigkeit im Hinblick auf Werbeeinnahmen vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen 03/2014, Abhängigkeit des öffentlich -rechtlichen-Rundfunks von der Werbefinanzierung, S. 23 f., abrufbar unter: http://www.bundesfinanzministerium .de/Content/DE/Downloads/Broschueren_Bestellservice/2014-12-15-gutachten-medien .pdf?__blob=publicationFile&v=; In seinem Gutachten zur Überführung der früheren Rundfunkgebühr in einen Rundfunkbeitrag erörtert Kirchhof insbesondere die Problematik der Abhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks von Werbeeinnahmen und empfiehlt, darauf zu verzichten. Vgl. Kirchhof, Paul, Gutachten über die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen-Rundfunks, erstattet im Auftrag der ARD, des ZDF und D Radio , Heidelberg, April 2010, S. 4, 18, 51 ff. und These Nr. 19, S. 84, abrufbar unter: https://www.ard.de/download /398406/Rechtsgutachten.pdf; Ständige Publikumskonferenz der öffentlich-rechtlichen Medien e.V., Maren Müller, u.a. Programmbeschwerden vom 06.12.2018, abrufbar unter: https://publikumskonferenz.de/blog/author /maren/. 22 Zur grundsätzlichen Kritik an der Authentizität der Berichterstattung vgl. etwa: Sciencefiles, Qualitäts-Lügen: ARD-Dossier der systematischen Manipulationsversuche, 09.06.2019, abrufbar unter: https://sciencefiles .org/2019/06/09/qualitats-lugen-ard-dossier-der-systematischen-manipulationsversuche/?highlight=ard; ders., Lügen sind im ZDF wie weit verbreitet? ZDF-Politbarometer: Schade um die Forschungsgruppe Wahlen, 16.09.2017, abrufbar unter: https://sciencefiles.org/2017/09/16/lugen-sind-im-zdf-wie-weit-verbreitet-zdf-politbarometer -schade-um-die-forschungsgruppe-wahlen/?highlight=zdf; ders.,Überall FakeNews: Beschwerden gegen Mainstream-Medien nehmen zu, 19.01.2017, abrufbar unter: https://sciencefiles.org/2017/01/19/ueberallfakenews -beschwerden-gegen-mainstream-medien-nehmen-zu/?highlight=zdf; ders., Klimakatastrophe durch Rechenfehler: ZDF verbreitet Falschmeldung, 17.3.2019, abrufbar unter: https://sciencefiles.org/2019/03/17/klimakatastrophe -durch-rechenfehler-zdf-verbreitet-falschmeldung/?highlight=zdf: ders., ARD Meinungsdiktatoren FÄLSCHEN Nachrichten, 24.02.2017, abrufbar unter: https://sciencefiles.org/2017/02/24/ard-meinungsdiktatoren -faelschen-nachrichten/?highlight=ard; ders., Journalisten beim ZDF - Alle miteinander unzuverlässig, 08.06. 2016, abrufbar unter: https://sciencefiles.org/2016/06/08/journalisten-beim-zdf-alle-miteinander-unzuverlaessig /?highlight=zdf; Gellermann/Klinkhammer/Bräutigam: Die Macht um Acht: Der Faktor Tagesschau (2017);.Vgl. ferner die eigenen Bewertungen der ARD: "Lügenpresse": Gesprächsversuch mit Kritikern, abrufbar unter: https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/panorama/videosextern/luegenpresse-gespraechsversuch -mit-kritikern-100.html. 23 Vgl. etwa: BVerfGE 121, 30 (61); BVerfGE 12, 205; Grundsätzlich zur Etablierung einer gesamtpluralistischen Rundfunklandschaft, BVerfGE 57, 295; BVerfGE 90, 60. 24 Thomaß/Radoslavov: a.a.O.; vgl. auch Schächter, Markus, ZDF-Chefredakteur Brender muss gehen - Die Unionsmehrheit im ZDF-Verwaltungsrat hat sich durchgesetzt, Spiegel-Online, 27.11.2009, abrufbar unter: https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/entscheidung-des-verwaltungsrats-zdf-chefredakteur-brender-mussgehen -a-663847.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 035/19 Seite 8 völligen Staatsfreiheit abgeleitet werden.25 Zwar ist der Nachweis inoffizieller Absprachen kaum möglich, doch liegt es nahe, dass der Rundfunk einen unbestreitbaren Verdienst um die Herstellung politischer Öffentlichkeit hat und für die Parteienpolitik notwendig ist.26 3. Der Rundfunkbegriff des § 2 Rundfunkstaatsvertrag Der zuvor erläuterte verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff ist nicht mit dem Rundfunkbegriff des § 2 S.1 RStV kongruent. Gemäß § 2 S. 1 RStV ist Rundfunk ein „linearer Informations- und Kommunikationsdienst [welcher] die für die Allgemeinheit und zum zeitgleichen Empfang bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Angeboten in Bewegbild oder Ton entlang eines Sendeplans unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen [bietet].“ Danach handelt es sich also um Rundfunk, wenn ein Angebot zum zeitgleichen Empfang entlang eines Sendeplans verbreitet und journalistisch-redaktionell gestaltet wird. Die Voraussetzung der linearen Sendung schließt sämtliche Video-on-Demand Angebote vom Rundfunkbegriff aus. Eine journalistisch-redaktionelle Gestaltung ist nach Angaben der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) anzunehmen, wenn der dargestellte Inhalt „journalistisch-redaktionell zu bewerten ist und/oder Bestandteile von klassischen Rundfunkangeboten enthält (z. B. den Einsatz von mehreren Kameras, Auswahl von Bildausschnitten mittels Zooms und Schwenks oder eine Kommentierung des Geschehens)“. Sie liegt also vor, wenn planvoll ein Angebot hergestellt wird, das zeitnah wiedergegeben werden soll. Dabei kommt insbesondere der Recherche, Gewichtung, Auswahl , Systematisierung, Strukturierung sowie der sprachlichen oder sonstigen Aufbereitung gesammelter Quellen besondere Bedeutung zu.27 Ferner ist zu beachten, dass gemäß § 2 III RStV sämtliche Angebote vom Rundfunkbegriff ausgeschlossen werden, die „weniger als 500 potenziellen Nutzern zum zeitgleichen Empfang angeboten werden“. Es spielt dabei keine Rolle, wie viele Personen das Angebot tatsächlich nutzen.28 3.1. Rundfunkqualität medialer Auftritte der Bundesregierung Von Interesse ist, ob die Platzierung von Inhalten durch die Bundesregierung auf Social-Media- Plattformen wie Facebook und Twitter unter den Tatbestand des § 2 S. 1 RStV fällt. Wäre dies 25 Schreijäg, Jonas: Was ist "Staatsfunk"? Abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/faktenfinder/inland/rundfunk -107.html. 26 Thomaß/Radoslavov: a.a.O. 27 BeckOK InfoMedienR/Gersdorf RStV § 11d Rn. 6. 28 Die Medienanstalten: Checkliste zur Einordnung von Streaming-Angeboten im Internet (2018), abrufbar unter: https://www.die-medienanstalten.de/fileadmin/user_upload/Rechtsgrundlagen/Richtlinien_Leitfaeden/Checkliste _-_Streaming-Angebote_im_Internet.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 035/19 Seite 9 der Fall, könnte es sich bei den medialen Auftritten der Bundesregierung um „Staatsrundfunk“ handeln, den das Bundesverfassungsgericht erstmals im Jahr 1961 ausdrücklich untersagte.29 Die Vielzahl der medialen Auftritte der Bundesregierung kann in ihrer Gesamtheit nicht unter den Tatbestand des § 2 S. 1 RStV subsumiert werden. Mediatheken und Video-On-Demand-Angebote der Bundesregierung dürften aufgrund des Kriteriums der linearen Übertragung von vorn herein aus dem Anwendungsbereich des § 2 S. 1 RStV fallen. Das mediale Angebot der Bundesregierung umfasst aber auch Liveübertragungen, vor allem von Pressestatements der Kanzlerin und ihren Staatsgästen. Diese werden zwar linear ausgestrahlt, doch ist unklar, ob die Auswahl und die zeitliche Abfolge der bereitgestellten Inhalte redaktionell vorgegeben ist oder es sich eher um ein Zufallsprodukt handelt. Beispielhaft30 ist insoweit die „Google-Hangout“ Veranstaltung der Bundeskanzlerin aus dem Jahr 2013, welche über soziale Medien öffentlich ausgestrahlt und moderiert wurde. Die Nutzer hatten zur Zeit der Ausstrahlung die Gelegenheit, in einen direkten Live-Chat mit der Bundeskanzlerin zu treten. Wenngleich es sich hierbei um eine lineare und redaktionell bearbeitete Darbietung handeln dürfte, wurde die Veranstaltung von der Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) für zulässig erachtet.31 Für die Kommission war entscheidend, dass es sich um eine einmalige Übertragung handelte, die keinen festen Sendeplan mit mehreren zuvor geplanten Sendereihen umfasste. Insgesamt kann daher festgestellt werden, dass die meisten Medienauftritte der Bundesregierung nicht nach der Definition des § 2 S. 1 RStV journalistisch-redaktionell gestaltet sein dürften. Mangels linearer Übertragung können die Inhalte auf Facebook, Twitter, Instagram und YouTube meist nur individuell durch die Nutzer abgerufen werden. Ist eine Darbietung ausnahmesweise sowohl journalistisch-redaktionell gestaltet als auch zum linearen Abruf bereit, bleibt zu prüfen, ob eine Regelmäßigkeit in der Programmgestaltung ersichtlich ist. Ist dies nicht der Fall, ist die Ausstrahlung laut ZAK zulässig. 3.2. Zwischenergebnis Das Gebot der Staatsferne verbietet staatlichen Rundfunk. Es greift in seiner klassischen Ausprägung jedoch nur, wenn es sich bei den medialen Auftritten der Bundesregierung um Rundfunk handelt. Ob dies der Fall ist, ist eine Frage des Einzelfalls. Die aufgezeigten Kriterien müssen kumulativ vorliegen, um die medialen Aktivitäten der Bundesregierung den Wertungen des Rundfunkstaatsvertrages zu unterwerfen. 29 Konrad Adenauer beabsichtigte neben der ARD einen zweiten Fernsehsender zu schaffen und gründete dafür die „Deutschland-Fernsehen GmbH“. Das Bundesverfassungsgericht untersagte dieses Vorhaben, weil die Länder zuständig seien und der Staat auch nicht berechtigt sei, Rundfunk zu betreiben (BVerfGE 12, 205, – 1. Rundfunkentscheidung ). 30 Beispiel von: Müller, Lukas Frederik: Neue Aktualität der Staatsferne des Rundfunks? Das „Deutschland-Fernsehen “ und die Onlinekanäle der Regierung, abrufbar unter: https://www.juwiss.de/34-2018/. 31 ZAK-Pressemitteilung 03/13 abrufbar unter: https://www.die-medienanstalten.de/service/pressemitteilungen /meldung/news/zak-pressemitteilung-032013-medienanstalten-zu-hangouts-bei-google-geplanter-live-chatmit -bun/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 035/19 Seite 10 4. Öffentlichkeitsarbeit durch die Bundesregierung Die Abgrenzung von zulässiger Öffentlichkeitsarbeit und unzulässiger Wahlwerbung durch die Bundesregierung ist diffizil. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass Öffentlichkeitsarbeit von der Regierung und den gesetzgebenden Körperschaften in engen Grenzen notwendig ist, um den Bürgern die für die Wahrnehmung ihrer politischen Handlungsmöglichkeiten erforderlichen Informationen zu vermitteln.32 Eine verantwortliche Teilhabe der Bürger an der politischen Willensbildung des Volkes setze nach Auffassung des Gerichts voraus, „daß der Einzelne von den zu entscheidenden Sachfragen, von den durch die verfaßten Staatsorgane getroffenen Entscheidungen , Maßnahmen und Lösungsvorschlägen genügend weiß, um sie beurteilen, billigen oder verwerfen zu können“.33 Je mehr der einzelne Bürger auf diese Weise zur eigenen Beurteilung aufgerufen wird, umso leichter falle es ihm, den vom Grundgesetz verfassten Staat als seinen Staat anzunehmen . In Konflikt zu diesem Verfassungsauftrag steht Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG welcher besagt, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Daraus folgt die Pflicht der Bundesregierung zur parteipolitischen Neutralität. Ihr ist es also verwehrt, durch besondere Maßnahmen auf die Willensbildung des Volkes einzuwirken.34 Die Öffentlichkeitsarbeit darf somit nicht durch Einsatz öffentlicher Mittel den Mehrheitsparteien zu Hilfe kommen oder die Oppositionsparteien gezielt bekämpfen .35 Wenn der Staat zugunsten oder zu Lasten bestimmter politischer Parteien oder von Wahlbewerbern Partei ergreift, ist das verfassungsmäßige Recht der davon nachteilig Betroffenen auf Chancengleichheit bei Wahlen verletzt.36 Davon nicht umfasst ist jedoch der Wahlkampf der einzelnen Regierungsmitglieder in ihrer Funktion als Privatperson.37 Die zulässige Öffentlichkeitsarbeit findet also dort ihre Grenze, wo Wahlwerbung beginnt.38 Indikatoren für die Existenz verfassungswidriger Wahlwerbung können sich unter anderem aus dem Inhalt sowie der Form und Aufmachung von Anzeigen und Social-Media-Auftritten ergeben.39 Bleibt beispielsweise der informative Gehalt einer Überschrift eindeutig hinter der reklamehaften 32 BVerfGE 44, S. 125ff. 33 Ebd. 34 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit von Regierungen in zeitlicher Nähe zu Wahlterminen, WD 3 – 453/07, 07.12.2007, S. 4, abrufbar unter: https://www.bundestag .de/resource/blob/407370/e01799153bff14141a9891c450b04575/wd-3-453-07-pdf-data.pdf. 35 Ebd., S. 4. 36 Ebd., S. 4. 37 Becker, Kristin: Wahlwerbung - Nicht alles ist erlaubt, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/inland /btw17/wahlwerbung-was-ist-erlaubt-101.html. 38 BVerfGE 44, S. 125ff. 4. Leitsatz. 39 Ebd. 6. Leitsatz. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 035/19 Seite 11 Aufmachung zurück ohne einem gerechtfertigten Informationsbedürfnis des Bürgers zu dienen, ist die Grenze zur Wahlwerbung überschritten.40 Die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung müsse nach Auffassung des Gerichts einen „sachlich informativen, auf die Organtätigkeit der Regierung bezogenen Inhalt“ haben Das Bundesverfassungsgericht entschied im Jahr 197741, dass Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung auch dann keine Propaganda sei, wenn sie nicht völlig wertneutral ist. Das Gericht führt aus, dass eine Darbietung der Bundesregierung „nicht deshalb in die Nähe des verfassungsrechtlich Bedenklichen gerückt werden [kann], weil mit ihr Meinungsäußerungen und Werturteile der Bundesregierung verbunden sein könnten.“ Es sei unmöglich, öffentliche Statements auf reine Sachaussagen zu beschränken. Die Darstellung der Regierungsarbeit und ihrer Politik sei ohne Wertung und Meinungsäußerung undenkbar. 5. Finanzierung der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung Das Bundesverfassungsgericht erachtete die Verwendung staatlicher Mittel für öffentliche Informationsmaßahmen der Bundesregierung als rechtmäßig, soweit es sich dabei um „sachgerechte, objektiv gehaltene Information“ handele.42 Rechtswidrig sei es hingegen, „sich in amtlicher Funktion im Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und sie unter Einsatz staatlicher Mittel zu unterstützen oder zu bekämpfen, insbesondere durch Werbung die Entscheidung des Wählers zu beeinflussen."43 Das Gebot der Chancengleichheit der politischen Parteien aus Artikel 21 I, 38 I GG verbiete nach Auffassung des Gerichts, dass Staatsorgane als solche parteiergreifend zugunsten oder zu Lasten einer politischen Partei tätig werden. Dieses Gebot umfasst auch das Verbot des exklusiven Zugriffs der Bundesregierung auf bundeseigene Unternehmen zum Zwecke politischer Werbung. Betrefflich der Wahlkampffinanzierung gelten für die die Bundesregierung tragenden Parteien keine Besonderheiten, so dass der Rückgriff auf andere Finanzressourcen unzulässig wäre. In diesem Zusammenhang weist das Bundesverfassungsgericht jedoch darauf hin, dass die zulässige Informationsvermittlung bezüglich fachspezifischer Zwecke unumgänglich Momente politischer Stellungnahmen beinhaltet.44 Insoweit kann festgestellt werden, dass zur Erfüllung des verfassungsrechtlichen Auftrags zur Öffentlichkeitsarbeit auf Haushaltsmittel zurückgegriffen werden darf. Für den Wahlkampf der die Bundesregierung tragenden Parteien gelten indes die gleichen rechtlichen Rahmenbedingungen 40 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit von Regierungen in zeitlicher Nähe zu Wahlterminen, WD 3 – 453/07, a.a.O., S. 5. 41 BVerfGE 44, 125. 42 BVerfGE 44, 125 (148). 43 Ebd. 1. Leitsatz. 44 Ebd. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 035/19 Seite 12 zur Wahlkampffinanzierung wie für sämtliche andere Mitbewerber. Der Bundesregierung als Staatsorgan ist jede Form der Wahlwerbung untersagt. 6. Fazit De lege lata sind mediale Auftritte regelmäßig als Telemedien45 und selten als Rundfunk zu qualifizieren . Die gesetzlichen Vorgaben im Rundfunkstaatsvertrag treffen keine Aussagen über die rechtliche Qualifizierung von Medienkonvergenzen, sodass die Subsumtion eines Facebook-Posts unter § 2 S. 1 RStV kaum gelingen wird. Vor diesem Hintergrund ist ein Verstoß der Bundesregierung gegen das Gebot der Staatsferne zurzeit nicht ersichtlich. Überdies ist es der Bundesregierung verfassungsrechtlich untersagt, Wahlkampf zu betreiben. Zu diesem Verbot zählt auch, sich als Staatsorgane im Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und sie unter Einsatz staatlicher Mittel zu unterstützen oder zu bekämpfen, insbesondere durch Werbung die Entscheidung des Wählers zu beeinflussen .46 Damit würde die Bundesregierung gegen das Gebot der Neutralität des Staates im Wahlkampf verstoßen und die Integrität der Willensbildung des Volkes durch Wahlen und Abstimmungen verletzen. Bei der Abgrenzung von zulässiger Öffentlichkeitsarbeit und unzulässiger Wahlwerbung sind insbesondere Kriterien wie die Nähe des Wahltermins, das Ausmaß und den Einsatz öffentlicher Mittel für derartige Maßnahmen und die sachliche Qualität der vermittelten Inhalte von Interesse. **** 45 Gemäß § 1 I Telemediengesetz handelt es sich bei Telemedien um „alle elektronischen Informations- und Kommunikationsdienste , soweit sie nicht Telekommunikationsdienste nach § 3 Nr. 24 des Telekommunikationsgesetzes , die ganz in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen, telekommunikationsgestützte Dienste nach § 3 Nr. 25 des Telekommunikationsgesetzes oder Rundfunk nach § 2 des Rundfunkstaatsvertrages sind. 46 BVerfGE 44, 125 (148).