© 2019 Deutscher Bundestag WD 10- 3000 - 034/19 Rechtliche Erwägungen zur Einführung eines „Digitalen Vermummungsverbots“ in Österreich Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10- 3000 - 034/19 Seite 2 Rechtliche Erwägungen zur Einführung eines „Digitalen Vermummungsverbots“ in Österreich Aktenzeichen: WD 10- 3000 - 034/19 Abschluss der Arbeit: 02.05.2019 Fachbereich: WD 10: Kultur, Medien und Sport Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10- 3000 - 034/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorbemerkung 4 2. Regelungsgegenstand und Entstehungshintergrund 4 3. Kritikpunkte 5 4. Rechtliche Erwägungen aus der Perspektive des deutschen Rechts 6 5. Fazit 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10- 3000 - 034/19 Seite 4 1. Vorbemerkung Das österreichische Bundeskanzleramt hat am 19. April 2019 den Entwurf eines neuen österreichischen Bundesgesetzes mit dem Titel „Sorgfalt und Verantwortung im Netz“1 (SVN-G) zur Begutachtung u.a. an den Nationalrat übersandt und um Stellungnahmen bis spätestens 23.Mai 2019 gebeten.2 Dieser Sachstand informiert über den Inhalt und die Zielsetzung des damit vorgesehenen „Digitalen Vermummungsverbots“. Darüber hinaus werden Kritikpunkte dieses Gesetzesvorhabens aufgezeigt und aus der Perspektive des deutschen Rechts bewertet. 2. Regelungsgegenstand und Entstehungshintergrund Laut § 12 des Gesetzentwurfs (GE) soll das neue SVN-G am 01. September 2020 in Kraft treten.3 Ab dann müssten Nutzer bei jeder Neuregistrierung auf einer Online-Plattform persönliche Daten wie Name und Anschrift bei selbiger hinterlegen.4 Diese Meldepflicht betrifft Plattformen, die in Österreich mehr 100.000 registrierte Nutzer haben und mindestens 500.000 Euro Jahresumsatz erzielen. Auch umfasst sind Mediendienstleister, die mit einer jährlichen Presseförderung von mindestens 50.000 Euro bedacht werden.5 Das Gesetz überlässt die technische Ausgestaltung der Datenregistrierung den Plattformen. Eine Pflicht, diese Informationen bei der Nutzung der Plattform stets auch anderen Nutzern offenzulegen ist nicht vorgesehen, sodass Pseudonyme weiterhin verwendet werden dürfen. Für sämtliche Plattformen, die nicht in Österreich ihren Geschäftssitz haben, sieht § 5 SVN-G GE die Einrichtung eines Zustellungsbevollmächtigten vor, der die Erreichbarkeit der Plattform für den Betroffenen sicherstellen soll. Das neue Gesetz verfolgt das Ziel, sogenannte „Hasskriminalität“6 im Internet zu bekämpfen und einen respektvollen Umgang der Nutzer untereinander zu fördern.7 Die österreichische Bundesregierung betonte, dass es nicht mehr die Möglichkeit geben dürfe, sich in der „Anonymität des Internets zu verstecken“, um Unrecht zu begehen. Auch müssten „in 1 Gesetzentwurf abrufbar unter: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/ME/ME_00134/index.shtml. 2 Bundeskanzleramt, Begleitschreiben Abrufbar unter: https://www.parlament .gv.at/PAKT/VHG/XXVI/ME/ME_00134/imfname_747399.pdf. 3 Vgl. § 12 SVN-G GE. 4 Vgl. § 3 IV S. 1 SVN-G GE. 5 Vgl. § 3 II Nr. 1-3 SVN-G GE. 6 Der Begriff „Hasskriminailität“ ist im Gesetzentwurf nicht definiert. Begrifflich dürfte er die Straftatbestände der §§ 185 ff des deutschen Strafgesetzbuchs mitumfassen. 7 Vgl. § 1 S. 2 SVN-G GE und die Erläuterungen zum Gesetzentwurf, abrufbar unter: https://www.parlament .gv.at/PAKT/VHG/XXVI/ME/ME_00134/fname_747397.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10- 3000 - 034/19 Seite 5 der digitalen Welt […] dieselben Grundprinzipien, Regeln und Gesetze gelten wie in der analogen Welt“.8 3. Kritikpunkte Kritiker werfen der Gesetzesinitiative vor, den Anforderungen der Datenschutzgrundverordnung9 (DSGVO) nicht gerecht zu werden.10 Bedenklich sei bereits der Umstand, dass durch die Neuregelung private Plattformbetreiber wie Facebook und YouTube Verwalter zahlreicher persönlicher Daten würden. Hinzu komme die Pflicht aus § 4 I SVN-G GE, diese Daten auf schriftliche Anfrage an das vermeintliche Opfer einer Straftat herauszugeben, damit dieses Anzeige erstatten kann. Ähnlich wie beim deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz11 wurde damit auch in Österreich die Verantwortung auf private Plattformbetreiber verlagert, rechtswidriges Verhalten als solches zu identifizieren und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Nach den Vorkehrungen des Gesetzentwurfs müsste auf Grundlage eigener Erwägungen über die Herausgabe von persönlichen Daten (auch an Privatpersonen) entschieden werden. Darüber hinaus wird befürchtet, dass die Teilnahme an öffentlichen Diskursen, insbesondere bezüglich regierungskritischer Themen, für gesellschaftliche Minderheiten erschwert wird, da die Angst vor Stigmatisierung oder gar Verfolgung durch den Staat oder die Gesellschaft zu groß werden könnte.12 Streitgespräche über gesellschaftskritische Themen auf großen Plattformen wie Facebook , könnten also behindert werden. Ausgenommen von der Registrierungspflicht sind Medienportale , die keine staatliche Presseförderung erhalten. Dabei dürfte es sich regelmäßig um kleinere Presseplattformen mit geringen Auflagezahlen handeln.13 Kritiker befürchten, dass gerade dort die Gefahr von Internetkriminalität besonders hoch ist.14 8 Vgl. den Vortrag an den Ministerrat, abrufbar unter: https://www.bundeskanzleramt .gv.at/documents/131008/1305231/53_11_mrv.pdf/b78f8af5-d2e4-44f2-92ea-d23a8f9b6f22. 9 Datenschutzgrundverordnung vom 04.05.2016, 2016/679 (ABl. L 119). 10 Vgl. etwa: Jörg Breithut: Nutzer von Plattformen wie Facebook sollen private Adressen angeben, abrufbar unter: https://www.spiegel.de/netzwelt/web/digitales-vermummungsverbot-oesterreichs-umstrittene-netzplaene-a- 1262429.html. 11 Netzwerkdurchsetzungsgesetz vom 01. September 2017 (BGBl. I S. 3352). 12 So Iwona Laub von der Datenschutzorganisation Epicenter.works., abrufbar unter: https://www.golem .de/news/oesterreich-digitales-vermummungsverbot-soll-kommen-1904-140529.html. 13 Vgl. für nähere Informationen zur österreichischen Presseförderung § 2 Österreichisches Presseförderungsgesetz , abrufbar unter: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer =20003079. 14 Muzayen Al-Youssef: Regierung will Anonymität im Netz abschaffen – mit hohen Strafen, abrufbar unter: https://www.derstandard.de/story/2000101143621/regierung-will-anonymitaet-im-netz-abschaffen-mit-hohenstrafen . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10- 3000 - 034/19 Seite 6 4. Rechtliche Erwägungen aus der Perspektive des deutschen Rechts Ein „digitales Vermummungsverbot“ nach österreichischem Modell könnte in Deutschland gegen geltendes Recht verstoßen. In Betracht kommt insbesondere ein Verstoß gegen das Telemediengesetz 15 (TMG), dem Onlinedienstleister unterfallen. § 15 I TMG regelt, dass Diensteanbieter nur dann personenbezogene Daten erheben und verwenden dürfen, soweit dies erforderlich ist, „um die Inanspruchnahme von Telemedien zu ermöglichen und abzurechnen“. Eine Subsumtion des „digitalen Vermummungsverbots“ unter diesen Tatbestand kommt - wenn überhaupt - nur bei einer extensiven Auslegung des Tatbestandes in Betracht, da die Datenspeicherung nicht unmittelbar der Inanspruchnahme von Telemedien dient, sondern einen anderen Zweck verfolgt. Auch könnte der Grundsatz der Datenminimierung aus Art. 5 I c) DSGVO gegen die Rechtmäßigkeit der in Frage stehenden Regelung sprechen. Demnach müssen personenbezogene Daten „dem Zweck angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein“. Daraus ergibt sich, dass keine alternativen Methoden zur Verfügung stehen dürfen, um den mit der Verarbeitung angestrebten Zweck zu erreichen.16 Dies setzt voraus, dass die ausgewählte Methode geeignet ist, das Ziel, nämlich die Bekämpfung sogenannter „Hasskriminalität“ im Internet zu erreichen. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass der deutsche Gesetzgeber mit der Einführung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes einen anderen Weg zur Bekämpfung von „Hasskriminalität“ eingeschlagen hat. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz sieht keine personenbezogene Datenerhebung- und Speicherung im Umfang des „digitalen Vermummungsverbots“ vor und dürfte damit dem Gebot der Datenminimierung aus Art. 5 I c) DSGVO eher entsprechen. Selbst wenn die Angemessenheit bejaht werden könnte, müsste sich die Datenerhebung außerdem auf das „notwendige Maß“ beschränken. Der österreichische Gesetzentwurf verlangt von allen Nutzern die Nennung von Vorname, Nachname und Adresse, § 4 I SVN-G GE. Darunter fällt auch die überwiegende Zahl der Nutzer, die bisher nicht durch Beschimpfungen und üble Nachrede aufgefallen sind. Insoweit könnte bezweifelt werden, dass eine solch umfassende Datenerhebung als „notwendig“ im Sinne des Art. 5 I c) DSGVO erachtet werden kann. 5. Fazit Die Einführung eines „digitalen Vermummungsverbots“ nach österreichischem Vorbild wäre eine weitere Maßnahme zur Regulierung von Verhaltensweisen im Internet. Unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtslage wäre ein derartiges „digitales Vermummungsverbot“ in Deutschland nur mit Einschränkungen denkbar. Sollten die Vorgaben des Telemediengesetzes und der Datenschutzgrundverordnung durch Auslegung umgangen werden können, dürfte ein entsprechendes Gesetz kaum mit dem durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz eingeschlagenen Weg in Deutschland vereinbar sein. Während das Netzwerkdurchsetzungsgesetz die Plattformbetreiber in die 15 Telemediengesetz vom 01.03.2007 (BGBl. I S. 179, S. 251). 16 Erwägungsgrund Nr. 39 zur DSGVO, abrufbar unter: https://beck-online.beck.de/Dokument?vpath=bibdata %2Fges%2Fewg_dsgvo%2Fcont%2Fewg_dsgvo.htm&anchor=Y-100-G-EWG_DSGVO-N-50. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10- 3000 - 034/19 Seite 7 Pflicht nimmt, rechtswidrige Inhalte zu identifizieren und zu löschen und damit eine Anbieterhaftung statuiert, zielt ein „digitales Vermummungsverbot“ auf die Inanspruchnahme der Plattformnutzer ab. Die Kritikansätze sind folglich verschieden. Beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz wird im Wesentlichen kritisiert, dass es zu übermäßigen Löschungen und damit zu einer Reduzierung der Meinungspluralität im Netz führe. Plattformbetreiber würden aus Furcht vor Bußgeldern in Höhe von bis zu 50 Millionen Euro auch legale Beiträge im Zweifel eher löschen. Die Einführung eines „digitales Vermummungsverbots“ könnte hingegen die nationalen und europäischen datenschutzrechtlichen Standards in Frage stellen. ****