© 2021 Deutscher Bundestag WD 10 - 3000 - 033/21 Filmförderung und Kunstfreiheit Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 033/21 Seite 2 Filmförderung und Kunstfreiheit Aktenzeichen: WD 10 - 3000 - 033/21 Abschluss der Arbeit: 22. Juni 2021 Fachbereich: WD 10: Kultur, Medien und Sport Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 033/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Filmförderung in Deutschland 4 3. Grundrechte der Film- und Kunstfreiheit 6 3.1. Filmfreiheit 6 3.2. Kunstfreiheit 7 3.3. Eingriff durch die Änderung des Filmförderungsgesetzes 8 3.4. Eingriff durch sog. Diversity-Checklisten 9 4. Ergebnis 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 033/21 Seite 4 1. Einleitung Bei der Filmförderung werden ökologische Nachhaltigkeit und Diversität immer mehr in den Fokus gerückt.1 So sieht der vom Deutschen Bundestag am 20. Mai 2021 angenommene Gesetzentwurf der Bundesregierung2 zur Änderung des Filmförderungsgesetzes (FFG)3 eine Ergänzung vor, die für mehr Nachhaltigkeit in der Filmproduktion, Gleichberechtigung der Geschlechter in den Gremien der Filmförderungsanstalten sowie eine behindertengerechte Umgebung sorgen soll. Die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein händigt den Antragstellerinnen und Antragstellern zum Förderantrag eine sog. Diversity-Checklist aus.4 Mit diesem Fragebogen werden von Filmschaffenden Angaben zur Diversität der Handlung, der Besetzung und des Teams erhoben. Damit sollen Antragstellerinnen und Antragsteller für das Thema Diversität sensibilisiert und zur Reflexion angeregt werden.5 Fraglich ist, ob dieses Vorgehen dazu führt, dass die Film- beziehungsweise Kunstfreiheit eingeschränkt werden. 2. Filmförderung in Deutschland Es gibt zahlreiche Filmförderungsmöglichkeiten in Deutschland, am weitesten verbreitet ist aber die staatliche Filmförderung durch die Länder und den Bund.6 Zahlreiche Einrichtungen der Europäischen Union, des Bundes und der Länder gewähren länderübergreifende, bundesweite oder regionale Filmförderungen.7 Diese öffentliche Filmförderung ist vor dem Hintergrund, dass die Filmproduktion ein enormes finanzielles Risiko mit sich bringen kann, für die Entstehung der 1 Vgl. etwa DW, Mehr Diversität in deutschen Filmen und Serien, 27.11.2020. Abrufbar unter: https://www.dw.com/de/ufa-selbstverpflichtung-diversit%C3%A4t-vielfalt-deutsche-produktionen/a-55733414 (diese sowie sämtliche andere in diesem Sachstand aufgeführten URL wurden zuletzt aufgerufen am 22.06.2021); 3sat, Diversität im Film? kinokino vom 20.11.2020. Abrufbar unter: https://www.3sat.de/film/kinokino /kinokino-vom-17-november-2020-100.html. 2 Bundestags Drucksache 19/27515: Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Filmförderungsgesetzes ; Bundestags-Drucksache 19/29694: Beschlussempfehlung und Bericht des federführenden Ausschusses für Kultur und Medien; Plenarprotokoll 19/230 S. 29409 ff.: Zweite und dritte Beratung. 3 Filmförderungsgesetz vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3413). 4 Z. B. Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, Mehr Diversität im Film. Abrufbar unter: https://www.ffhsh.de/de/ueber_die_filmfoerderung/diversity-checklist-filmfoerderung.php. 5 Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, Diversity Checklist Produktion Spielfilm Anlage zum Förderantrag . Abrufbar unter: https://www.ffhsh.de/download/90_Upload_Formulare_fuer_die_Einreichung/Diversity- Checklist-FFHSH-PRODUKTION-SPIELFILM.pdf. 6 Goethe Institut, Filmförderung in Deutschland-Welche Filmfinanzierungen gibt es? Januar 2012. Abrufbar unter: https://www.goethe.de/de/kul/flm/20363545.html. 7 Deutscher Filmförderfonds, Nützliche Links. Abrufbar unter: https://dfff-ffa.de/index.php?nuetzliche-links. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 033/21 Seite 5 meisten deutschen Filme essentiell.8 Das FFG bildet die gesetzliche Grundlage für die Filmförderung durch die bundesweit zuständige Filmförderungsanstalt.9 Die aktuell geltende Fassung des FFG ist noch bis zum 31. Dezember 2021 gültig. § 2 Satz 2 FFG lautet in dieser Fassung: „Die Filmförderungsanstalt wirkt bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben auf die Belange der Geschlechtergerechtigkeit hin.“ In der am 20. Mai 2021 vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Neufassung, die zum 1. Januar 2022 in Kraft treten wird, lautet der geänderte § 2 Satz 2 FFG: „Die Filmförderungsanstalt wirkt bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben auf die Belange der Geschlechtergerechtigkeit, der Menschen mit Behinderung und auf Belange der Diversität hin.“10 Zur Begründung dieser Änderung wird im Gesetzentwurf ausgeführt, dass neben den nach § 2 Satz 2 im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung durch die Filmförderungsanstalt zu berücksichtigenden Belange der Geschlechtergerechtigkeit die Filmförderungsanstalt nun auch ausdrücklich auf die Berücksichtigung der Belange von Menschen mit Behinderung und auf Belange der Diversität hinzuwirken habe.11 Dies trage dem verfassungsrechtlichen Auftrag zur Teilhabe von Menschen mit Behinderung Rechnung und entspreche dem Ziel des § 1 Absatz 1 Satz 1 des Behindertengleichstellungsgesetzes sowie dem Zweck von Artikel 1 der UN-Behindertenrechtskonvention. Diese Vorgabe konkretisiere die bereits existierenden Regelungen zur Herstellung von Barrierefreiheit im FFG. Die Änderungen dienten dem im Grundgesetz verankerten allgemeinen Gleichheitssatz . Die Regelung eröffne insbesondere dem Verwaltungsrat die Möglichkeit, im Rahmen seiner Richtlinienkompetenz aufgrund der gesetzlichen Aufgabenzuweisung auf Maßnahmen zur Förderung von Diversität und Inklusion noch stärker hinzuwirken.12 Unabhängig davon hat die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein Fragebögen, sog. Diversity -Checklists, erstellt, die verpflichtend auszufüllen und bei einem Förderungsantrag für die Entwicklung, die Produktion und den Verleih von Spielfilmen und fiktionalen Serien einzu- 8 WDR, Filmförderung – Woher kommt das Geld? Abrufbar unter: https://www1.wdr.de/kultur/film/dokmal/praxistipps /praxistipps-filmfoerderung-100.html. 9 Vgl. Filmförderungsanstalt, Filmförderungsgesetz und Regelungen. Abrufbar unter: https://www.ffa.de/ffg-undrichtlinien .html. 10 Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Filmförderungsgesetzes, 11.03.2021, Bundestags Drucksache 19/27515, S. 5, Art. 1 Nr. 2 lit b). 11 Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Filmförderungsgesetzes, 11.03.2021, Bundestags Drucksache 19/27515, S. 21. 12 Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Filmförderungsgesetzes, 11.03.2021, Bundestags Drucksache 19/27515, S. 21. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 033/21 Seite 6 reichen sind. Nach Angaben der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein dienen die Fragebögen zur Sensibilisierung der antragstellenden Personen in Bezug auf Diversität beziehungsweise Gleichbehandlung und beeinflussen nicht die Entscheidung über den Förderantrag.13 In ihren Erläuterungen führt die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein weiter aus: „Neben einer diversen Besetzung unserer Fördergremien, wollen wir auch unsere Fördernehmer *innen stärker für das Thema Diversität sensibilisieren. Vor einigen Jahren haben wir mit dem Grünen Drehpass das Thema "ökologische Nachhaltigkeit" auf die Agenda unserer Branche gesetzt. Auf gleiche Weise fragen wir nun, ob die Filmbranche Vorbild sein kann, um Vorurteile gegenüber marginalisierten Gruppen in unserer Gesellschaft abzubauen und ein selbstverständliches Miteinander zu befördern – ohne dabei die künstlerische Freiheit oder arbeitsrechtliche Fragen zu berühren. […] Ab sofort sind Antragsteller*innen dazu verpflichtet, einen Fragenkatalog zur Diversität ihres geplanten Projektes zu beantworten. So sollen sie zur bewussten Beschäftigung mit dem Thema Diversität und zur kritischen Überprüfung des eigenen Handelns angeregt werden. Sehen wir im geplanten Filmprojekt Menschen mit Behinderung? Wie viele Frauen sind in leitenden Funktionen am Projekt beteiligt? Gibt es im Team People of Colour? Und wenn nein: Warum nicht?“ 14 Die auszufüllenden Checklisten bestehen aus mehreren Abschnitten mit Fragen nach der Handlung des Films, der Rollenbesetzung, der Zusammensetzung der Mitarbeitenden und einer barrierefrei zugänglichen Fassung (Audiodeskription und untertitelte Fassung für Hörgeschädigte).15 3. Grundrechte der Film- und Kunstfreiheit 3.1. Filmfreiheit Aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2, Fall 3 Grundgesetz (GG)16 ergibt sich, dass die Herstellung und Verbreitung von Filmen frei ist. Demnach ist nicht nur der gesamte Bereich der Filmproduktion von staatlichem Einfluss freizuhalten, sondern auch die Verbreitung von Filmen.17 Ähnlich wie bei 13 Diese Angaben wurden durch eine telefonische Auskunft der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein vom 08.06.2021 bestätigt. 14 Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, Mehr Diversität im Film. Abrufbar unter: https://www.ffhsh.de/de/ueber_die_filmfoerderung/diversity-checklist-filmfoerderung.php. 15 Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, Mehr Diversität im Film. Abrufbar unter: - 16 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Art. 1 u. 2 Satz 2 des Gesetzes vom 29.09.2020 (BGBl. I S. 2048). 17 Zur Verbreitung von Filmen zählen die Herstellung von Filmkopien, die Vorführung, der Export und Import von Filmen, Filmverleih, Werbung u.a., vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 16. Auflage 2020, GG Art. 5 Rn. 62. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 033/21 Seite 7 Presseunternehmen wird für Filmproduktionsunternehmen ein Tendenzschutz angenommen, der sie von dominierenden Einflüssen gesellschaftlicher Gruppen freihalten soll.18 Um einen Film im Sinne des Schutzbereichs der Filmfreiheit handelt es sich, wenn eine Bildfolge mithilfe technischer Mittel für eine an einem bestimmten Ort befindliche Öffentlichkeit vorgeführt wird. 19 Sind Bewegtbilder hingegen an eine Vielzahl von Personen gerichtet, dann handelt es sich um Rundfunk. Deshalb unterfällt beispielsweise ein Kinofilm, der im Fernsehen und damit einer räumlich nicht begrenzten Allgemeinheit gezeigt wird, der Rundfunkfreiheit und nicht der Filmfreiheit.20 Die nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2, Fall 3 GG geschützte Filmfreiheit kann zusätzlich noch durch andere Grundrechte verstärkt werden. Beispielsweise können sich Produzenten von künstlerischen Filmen auf die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG berufen oder wissenschaftliche Lehrfilme zusätzlich durch die Wissenschaftsfreiheit geschützt sein.21 Ein in solchen Fällen vorzunehmende Abwägung kann zu dem Ergebnis kommen, dass den „geschlossenen Grundrechten“ der Kunstund Wissenschaftsfreiheit größeres Gewicht als der Filmfreiheit einzuräumen ist. 3.2. Kunstfreiheit Eine Definition der „Kunst“ im Sinne des Art. 5 Abs. 3 S. 1 Fall 1 GG ist kaum möglich, ohne damit eine Ausgrenzung von „Nichtkunst“ aus dem Kunstbereich vorzunehmen. Kunst hat sich vor diesem Hintergrund von einem umstrittenen, zwischen unterschiedlichen Definitionen befindlichen Begriff zu einem umfassenden und sehr weit zu verstehenden Konstrukt entwickelt: Nach dem formellen Kunstbegriff handelt es sich bei Kunst um Tätigkeiten und Ergebnisse, die der traditionellen Vorstellung von Kunst entsprechen. Ein Werk wird demnach als Kunst bezeichnet, wenn es bestimmte Strukturmerkmale aufweist und einem Werktyp wie etwa Musik, Malerei oder auch Film zugeordnet werden kann.22 Nach dem materiellen Kunstbegriff ist Kunst „die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zur unmittelbaren Anschauung gebracht werden “23. Der offene Kunstbegriff hebt als kennzeichnendes Merkmal einer künstlerischen Äußerung hervor, dass sie interpretationsfähig, interpretationsbedürftig und der Interpretation zugänglich ist.24 18 Fechner, Medienrecht, Tübingen, 21. Aufl. 2021, S. 351 f. 19 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 16. Auflage 2020, GG Art. 5 Rn. 60 f. 20 Fechner, Medienrecht, Tübingen, 21. Aufl. 2021, S. 352. 21 Fechner, Medienrecht, Tübingen, 21. Aufl. 2021, S. 351. 22 Manssen, Staatsrecht II, 15. Aufl. 2018, Rn. 431. 23 BVerfGE, 30, 173,188 f. 24 Manssen, Staatsrecht II, 15. Aufl. 2018, Rn. 433. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 033/21 Seite 8 Neben dem Erschaffen der Kunst (sog. Werkbereich) schützt das Grundrecht der Kunstfreiheit auch die Vermittlung der Kunst, den sog. Wirkbereich.25 Daraus ergeben sich nicht nur staatliche Schutzpflichten, sondern auch Förderpflichten: „Als objektive Wertentscheidung für die Freiheit der Kunst stellt sie dem modernen Staat, der sich auch als Kulturstaat versteht, zugleich die Aufgabe, ein freiheitliches Kunstleben zu erhalten und zu fördern.“26 3.3. Eingriff durch die Änderung des Filmförderungsgesetzes In die Kunstfreiheit wird eingegriffen, wenn ein Grundrechtsverpflichteter den Grundrechtsträger im Werk- oder Wirkbereich behindert.27 Dies ist ebenso wie bei einem Eingriff in die Filmfreiheit nicht nur durch staatliche Einschränkungen, durch Ge- oder Verbote eines Grundrechtsverpflichteten möglich, sondern auch durch staatliche Fördermaßnahmen. Die finanzielle Unterstützung eines Films durch die Gewährung staatliche Filmförderung kann unter Umständen einen Eingriff in die Rechte von anderen Filmschaffenden darstellen, deren Filme nicht gefördert werden.28 Das Grundrecht der Filmfreiheit verlangt nämlich, dass staatliche Förderungsmaßnahmen nicht zu Verzerrungen des publizistischen Wettbewerbs oder zur Einflussnahme auf Inhalt und Gestaltung einzelner Filmerzeugnisse führen dürfen.29 Bei einer Subventionierung von Filmen hat der Staat insofern eine inhaltliche Neutralitätspflicht zu beachten, die es insbesondere verbietet, Filme nach Meinungsinhalten zu differenzieren oder abhängig von ihren politischen Aussagen zu fördern. Für die Filmschaffenden als Grundrechtsträger führt diese Neutralitätspflicht des Staates zu einem subjektiven Abwehrrecht gegen staatliche Förderungsmaßnahmen, die mit inhaltslenkenden Wirkungen verbunden sind.30 Die aus Umsätzen der Kinowirtschaft finanzierte Filmförderungsanstalt ist gemäß § 1 Satz 2 FFG eine bundesunmittelbare Anstalt des öffentlichen Rechts, deren Aufgabe nach § 2 FFG unter anderem darin besteht, Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films und zur Verbesserung der Struktur der deutschen Filmwirtschaft durchzuführen. Über eine Filmförderung entscheidet nach § 20 FFG eine der Förderkommissionen der Filmförderungsanstalt unter Beachtung der in § 41 FFG festgelegten allgemeinen Fördervoraussetzungen. 25 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 16. Auflage 2020, GG Art. 5 Rn. 120. 26 BVerfG, Urteil vom 50.03.1974 – 1 BvR 712/68 – „Schallplattenumsatzsteuer“ Rn 40, juris. 27 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 16. Auflage 2020, GG Art. 5 Rn. 123. 28 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 16. Auflage 2020, GG Art. 5 Rn. 64. 29 Bethge, in: Sachs, Grundgesetz, 9. Auflage 2021, GG Art. 5 Rn. 124 f. 30 Bethge, in: Sachs, Grundgesetz, 9. Auflage 2021, GG Art. 5 Rn. 15. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 033/21 Seite 9 Zu diesen Voraussetzungen nach § 41 FFG zählen beispielsweise, dass - der Hersteller seinen Wohnsitz, Sitz oder eine Niederlassung im Inland hat, - bei programmfüllenden Filmen eine Endfassung in deutscher Sprache gedreht oder synchronisiert hergestellt ist, - Studios und Dienstleistungsfirmen mit Sitz im Inland oder in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union benutzt worden sind, - die Regisseurin oder der Regisseur Deutsche oder Deutscher ist oder die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzt, - der Film kulturelle, historische oder gesellschaftliche Fragen zum Thema hat, - der Film in deutscher Sprache im Inland oder als deutscher Beitrag im Hauptwettbewerb oder in einer Nebenreihe auf einem Festival welturaufgeführt wird. Auf die Berücksichtigung der Belange der Geschlechtergerechtigkeit, der Diversität und von Menschen mit Behinderung hinzuwirken, zählt hingegen nicht zu den Fördervoraussetzungen nach § 41 FFG. Stattdessen handelt es sich hierbei um Vorgaben für die Filmförderungsanstalt selbst, die getrennt von den allgemeinen Förderungsgrundsätzen in § 2 Satz 2 FFG aufgeführt werden. Die Zielrichtung der Gesetzesänderung ist an dieser Stelle somit nicht die Vergabe von Filmfördermitteln , sondern die Tätigkeit der Filmförderungsanstalt und ihrer Gremien.31 Im Ergebnis wirken sich die in § 2 S. 2 FFG aufgeführten Belange, auf die von der Filmförderungsanstalt bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben hinzuwirken ist, nicht auf die Auswahl von Begünstigten aus und führen daher weder zu einem Eingriff in die Filmfreiheit noch in die Kunstfreiheit. 3.4. Eingriff durch sog. Diversity-Checklisten Auch die verpflichtende Beantwortung von Fragebögen, die den Förderanträgen beizufügen sind, sollen sich nach Angaben der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein nicht auf die Entscheidung über die Bewilligung von Fördermitteln auswirken und dienten lediglich zur Sensibilisierung der antragstellenden Personen in Bezug auf Diversität beziehungsweise Gleichbehandlung. Solange die Angaben in den Fragebögen die Entscheidung über den Förderantrag nicht beeinflussen , ist auch hier kein Eingriff in die durch die Filmfreiheit und die Kunstfreiheit geschützte Betätigung gegeben. Aber selbst wenn sich die Auskünfte zu Belangen sowohl der Geschlechtergerechtigkeit, der Menschen mit Behinderung und der Diversität auf die Förderentscheidungen auswirkten und dadurch die Filmfreiheit oder die Kunstfreiheit betroffen wäre, könnte ein solcher Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Aufgrund des Prinzips der Einheitlichkeit der Verfassung können beide Grundrechte durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden.32 Eingriffe 31 Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Filmförderungsgesetzes, 11.03.2021, Bundestags Drucksache 19/27515, S. 21. 32 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 16. Auflage 2020, GG Vorbem. Vor Art. 1 Rn. 48 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 033/21 Seite 10 in die Filmfreiheit können zusätzlich noch durch die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG gerechtfertigt sein. Im Übrigen gibt es keinen generellen Anspruch auf Filmförderung, der die Filmförderungsanstalten verpflichtet, Projekte unterschiedslos zu fördern. Bei der Festlegung von Förderkriterien ist insbesondere die staatliche Neutralitätspflicht zu beachten. Die Förderkriterien dürfen nicht willkürlich sein und müssen für alle Antragsteller gleichermaßen gelten.33 Hinzu kommt, dass bei der Festlegung von Kriterien auch begründete Ausnahmen vorgesehen werden können. 4. Ergebnis Weder die vom Deutschen Bundestag am 20. Mai 2021 verabschiedete Novelle des Filmförderungsgesetzes noch die Aufforderung zum Ausfüllen der Diversity-Checklisten durch die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein als solche greifen in die Grundrechte der Filmfreiheit und Kunstfreiheit ein. Ein Verstoß gegen die sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ergebende Neutralitätspflicht des Staates liegt nicht bereits vor, wenn sich staatliche Förderungen nicht unterschiedslos auf sämtliche unter die Filmfreiheit und Kunstfreiheit fallenden Erzeugnisse erstreckt.34 Dem Staat wird vielmehr bei Fördermaßnahmen, die an meinungsneutralen Kriterien ausgerichtet sind, ein weiterer Handlungsspielraum als im Bereich der Grundrechtseinschränkungen eingeräumt.35 Meinungsinhalte oder die Tendenz von Filmerzeugnissen dürfen jedoch nicht zum Förderungskriterium gemacht werden, um dadurch Einfluss auf den gesellschaftlichen Meinungs- und Willensbildungsprozess zu nehmen.36 Die Filmfreiheit findet nach Art. 5 Abs. 2 Fall 1 GG ihre Grenze in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Darunter sind Gesetze zu verstehen, die dem Schutz eines Rechtsguts unabhängig davon dienen, ob es durch Maßnahmen der Filmförderung oder auf andere Weise verletzt werden kann. Hinzu kommen verfassungsimmanente Schranken, zu denen die Grundrechte Dritter zählen , hier also der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 3 GG, der diskriminierungsgefährdete Gruppen vor Benachteiligung schützen soll. 33 Vgl. „Der Gleichheitssatz verbietet nur die Verteilung von Leistungen nach unsachlichen Gesichtspunkten. (…) ‚Einzelne Gruppen zu fördern, heißt bereits, andere ungleich zu behandeln. Bei der Bestimmung des Begünstigtenkreises hat der Gesetzgeber einen erheblichen Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum. Allerdings verbietet Art. 3 Abs. 1 GG einen gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis ohne rechtfertigenden Grund vorenthalten wird. Diese Gleichheit in der Gunst gilt für alle Staatsleistungen, nicht nur die Geldleistungen.“ Kirchhof in Maunz/Dürig, Grundgesetz -Kommentar, 93. EL Oktober 2020, Art. 3 Abs. 1 Rn. 322. 34 Wendt, in: von Münch/Kunig/Wendt, Grundgesetz-Kommentar, 7. Auflage 2021, GG Art. 5 Rn. 105. 35 BVerfGE 80, 124, 134. 36 Bethge, in: Sachs, Grundgesetz, 9. Auflage 2021, GG Art. 5 Rn. 126. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 033/21 Seite 11 Zu einem Eingriff in die Grundrechte der Filmfreiheit und Kunstfreiheit käme es unter Umständen dann, wenn die Förderentscheidung von der Berücksichtigung der Belange der Geschlechtergerechtigkeit , der Menschen mit Behinderung und der Diversität abhängig gemacht würde. Bei Vorliegen einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Regelung zur entsprechenden Ergänzung der Fördervoraussetzungen ließe sich konkreter überprüfen, ob möglicherweise ein Eingriff vorliegt und die damit verbundenen Einschränkungen der Filmfreiheit und gegebenenfalls auch der Kunstfreiheit gerechtfertigt sind. ****