© 2021 Deutscher Bundestag WD 10 - 3000 - 026/21 Löschungen von Nutzerbeiträgen durch Social Media-Plattformen – Grundrechtsbindung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 2 Löschungen von Nutzerbeiträgen durch Social Media-Plattformen – Grundrechtsbindung Aktenzeichen: WD 10 - 3000 - 026/21 Abschluss der Arbeit: 13. Juli 2021 Fachbereich: WD 10: Kultur, Medien und Sport Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 5 2. Regeln der Plattform-Betreiber 6 2.1. Nutzungsbedingungen von Facebook – Grundsatz 6 2.2. Sog. „Gemeinschaftsstandards“ von Facebook – Grundsatz 7 2.3. Sog. „Gemeinschaftsstandards“ von Facebook – Sparten 8 2.4. Facebook und sog. „Fakten-Checker“ 8 2.4.1. Grundsatz 8 2.4.2. Besonderes Verfahren bei Politikern 9 2.5. Sog. „Oversight Board“ als letztinstanzliches Entscheidungsgremium 11 3. Exkurs I: Grundrechte und Privatrecht 13 3.1. Die mittelbare Wirkung der Grundrechte auf das Privatrecht 13 3.2. Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung- Art. 5 Abs. 1 GG 17 3.2.1. Schmähkritik 17 3.2.2. Unwahre Tatsachenbehauptungen 18 3.3. Wissenschaftsfreiheit – Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG 19 3.4. Das Grundrecht des Betreibers einer Plattform auf Privatautonomie – Art. 2 Abs. 1 GG 20 3.5. Berufsfreiheit – Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG 22 3.6. Die praktische Konkordanz der Grundrechte 22 4. Exkurs II: die Rechtsnatur der sog. „Gemeinschaftsstandards“ 23 4.1. Mögliche Rechtsansprüche des Nutzers auf Wiederherstellung von aufgrund von Verstößen gegen die sog. „Gemeinschaftsstandards“ entfernten nicht-rechtswidrigen Beiträge gegen den Betreiber einer Plattform 23 4.1.1. OLG München, Beschluss vom 24. August 2018 – 18 W 1294/18 24 4.1.2. OLG München, Beschluss vom 30. November 2018 – 24 W 1771/18 25 4.1.3. KG Berlin, Beschluss vom 22. März 2019 – 10 W 172/18 26 4.1.4. OLG Nürnberg, Urteil vom 4. August 2020 – 3 U 3641/19 – Goldstücke – Richtlinien des Plattformbetreibers im Rahmen der Berufsfreiheit 27 4.1.5. OLG Dresden, Urteil vom 20. August 2020 – 4 U 784/20 – Wirksamkeit der Richtlinien des Plattformbetreibers 28 5. Beiträge mit Hinweisen von sog. „Fakten-Checkern“ 30 6. Sanktionen für verfassungswidrig agierende Anbieter von Plattformen 31 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 4 7. Besonderheiten im Hinblick auf Mandatsträger, Parteien etc. 31 8. Fazit 31 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 5 1. Fragestellung Gegenstand der Untersuchung ist zunächst die Frage, ob Anbieter von Social Media-Plattformen einer mittelbaren Grundrechtsbindung unterliegen, sodass die zwischen dem Nutzer und dem Anbieter des Dienstes vereinbarten Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht mehr oder nur eingeschränkt gelten. Ferner war zu prüfen, ob und welche rechtlichen Möglichkeiten dem Nutzer offenstehen, um gegen eine aus Sicht des Nutzers unberechtigte Löschung vorzugehen. Die Frage der rechtlichen Zulässigkeit inhaltsbezogener Löschungen von Beiträgen durch die Betreiber von Plattformen ist sehr vielschichtig. Höchstrichterliche Entscheidungen zu den zentralen Aspekten dieser Problematik stehen noch aus. Eine erste Entscheidung des Bundesgerichtshofs – die Revision des in 4.1.4 referierten Urteils – über die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Nutzer eines sozialen Netzwerks Ansprüche – und gegebenenfalls welche – gegen den Plattformbetreiber haben, wenn dieser Beiträge wegen des Vorwurfs der „Hassrede“ gelöscht hat, soll am 22. Juli 2021 ergehen.1 Daher seien hier zusammenfassend die wichtigsten Facetten der Problematik angesprochen und eine Auswahl der aktuellsten Rechtsprechung in Grundzügen dargestellt. 1 Presseerklärung des Bundesgerichtshofs Nr. 083/2021 vom 19. April 2021: Ansprüche gegen den Betreiber eines sozialen Netzwerks, der unter dem Vorwurf der „Hassrede“ Beiträge gelöscht und Konten gesperrt hat. Abrufbar unter: https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/2021083.html;jsessionid =A4A69FF0A8B8A4575ABB92809DC65595.1_cid368?nn=10690868. In einem der beiden anhängigen Verfahren postete die Klägerin folgenden Beitrag: "Schon der Wahnsinn, kann mich nicht an ein Attentat erinnern, das sog. Reichsbürger verübt haben. Im Gegensatz dazu dann die Morde von islamischen Einwanderern, die man zwar beobachtet hat, aber nichts dazu machen konnte. Deutsche Menschen werden kriminalisiert, weil sie eben eine andere Ansicht von ihrem Heimatland haben als das Regime. Migranten können hier morden und vergewaltigen und keinen interessiert's! Da würde ich mir mal ein Durchgreifen des Verfassungsschutzes wünschen." In dem anderen anhängigen Verfahren kommentierte der Kläger am 10. August 2018 den Beitrag eines Dritten, der ein Video beinhaltet, in dem eine Person mit Migrationshintergrund es ablehnt, von einer Polizistin kontrolliert zu werden, wie folgt: "Was suchen diese Leute hier in unserem Rechtsstaat … kein Respekt … keine Achtung unser Gesetze … keine Achtung gegenüber Frauen … DIE WERDEN SICH HIER NIE INTEGRIEREN UND WERDEN AUF EWIG DEM STEUERZAHLER AUF DER TASCHE LIEGEN … DIESE GOLDSTÜCKE KÖNNEN NUR EINES MORDEN … KLAUEN … RANDALIEREN … UND GANZ WICHTIG … NIE ARBEITEN." Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 6 2. Regeln der Plattform-Betreiber Plattform-Betreiber haben einseitig Regeln aufgestellt, die für die von ihnen oft „Mitglieder“ genannten Nutzer verbindlich sein sollen. Diese Regeln sind sehr detailliert und komplex. Die Grundzüge eines solchen Regelungswerks seien im Folgenden am Beispiel von Facebook in Bezug auf gegen die Nutzungsbedingungen verstoßende Inhalte kursorisch dargestellt. 2.1. Nutzungsbedingungen von Facebook – Grundsatz Facebook hat Nutzungsbedingungen statuiert, bei deren Nichteinhaltung sich der Betreiber der Plattform „geeignete Maßnahmen“2 vorbehält, um „unsere Gemeinschaft zu unterstützen und zu schützen“3. Diese Maßnahmen haben einen unterschiedlichen Eingriffscharakter und reichen von einem bloßen Hilfsangebot bis hin zur Deaktivierung eines Kontos oder einer Kontaktaufnahme mit einer Strafverfolgungsbehörde. In der Zusammenfassung des Nutzungsvertrages in englischer Sprache heißt es noch allgemeiner: „We may modify, suspend or terminate your access to or use of our services for the reasons described in the Facebook terms of service.“4 Im Einzelnen heißt es dazu in den Nutzungsbedingungen: „Wir bekämpfen schädliches Verhalten und schützen und unterstützen unsere Gemeinschaft : Personen können nur dann Gemeinschaften auf Facebook bilden, wenn sie sich sicher fühlen. Wir beschäftigen weltweit spezielle Teams und entwickeln fortschrittliche technische Systeme, um Missbrauch unserer Produkte, schädliches Verhalten gegenüber anderen und Situationen aufzudecken, in denen wir möglicherweise dazu beitragen können, unsere Gemeinschaft zu unterstützen und zu schützen. Wenn wir von derartigen Inhalten oder Verhaltensweisen erfahren, werden wir geeignete Maßnahmen ergreifen, z. B. indem wir Hilfe anbieten, Inhalte entfernen, den Zugriff auf bestimmte Features sperren, ein Konto deaktivieren oder Kontakt mit den Strafverfolgungsbehörden aufnehmen. Wir teilen Daten mit anderen Facebook-Unternehmen, wenn wir Missbrauch oder schädliches Verhalten durch eine Person feststellen, die eines unserer Produkte nutzt.“5 Facebook behält sich in den Nutzungsbedingungen vor, Inhalte zu entfernen oder zu löschen, wenn Folgendes gegeben ist: 2 Facebook-Nutzungsbedingungen. 1. Von uns angebotene Dienste. Abrufbar unter: https://de-de.facebook .com/terms. Zuletzt abgerufen – wie alle URL in diesem Sachstand – am 7. Juni 2021. 3 Ebd. 4 Facebook: Contract summary. Abrufbar unter: https://de-de.facebook.com/legal/terms/eecc/contract_summary. 5 Facebook-Nutzungsbedingungen. 1. Von uns angebotene Dienste. Abrufbar unter: https://de-de.facebook .com/terms. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 7 „Es verstößt gegen diese Nutzungsbedingungen, unsere Gemeinschaftsstandards oder sonstige Nutzungsbedingungen und Richtlinien, die für deine Nutzung von Facebook gelten. Es ist rechtswidrig, irreführend, diskriminierend oder betrügerisch. Es verletzt die Rechte einer anderen Person oder verstößt dagegen, z. B. deren geistige Eigentumsrechte.“6 2.2. Sog. „Gemeinschaftsstandards“ von Facebook – Grundsatz Diese Nutzungsbedingungen werden durch diverse Richtlinien und sog. „Gemeinschaftsstandards “7 ergänzt. In der Einleitung zu diesem Regelwerk setzt Facebook Prioritäten: „Unsere Verpflichtung zur Meinungsfreiheit hat zwar höchste Priorität, aber uns ist bewusst , dass das Internet neue und vermehrte Möglichkeiten für Missbrauch bietet. Deshalb schränken wir die freie Meinungsäußerung ein, wenn wir dadurch einen oder mehrere der folgenden Werte wahren:“8 Authentizität, Sicherheit, Privatsphäre und Würde. Auch das abgestufte Sanktionssystem Verwarnung, Einschränkung der Posting-Rechte, Deaktivierung des Profils und gegebenenfalls Einschaltung von Strafverfolgungsbehörden wird in den sog. „Gemeinschaftsstandards“ näher beschrieben: „Verstöße gegen unsere Gemeinschaftsstandards haben Folgen. Wie diese Folgen konkret aussehen, hängt von der Schwere des Verstoßes und dem bisherigen Verhalten der jeweiligen Person auf unserer Plattform ab. So können wir bei einem ersten Verstoß eine Verwarnung aussprechen. Bei einem Folgeverstoß können wir die Posting-Rechte der Person einschränken oder das entsprechende Profil deaktivieren. Sind wir der Ansicht, dass nachvollziehbar eine Gefahr für Leib und Leben einer Person oder eine unmittelbare Gefahr für die 6 Facebook-Nutzungsbedingungen. 3. Deine Verpflichtungen gegenüber Facebook und unserer Gemeinschaft. Unterpunkt 2.Abrufbar unter: https://de-de.facebook.com/terms. 7 Facebook: Gemeinschaftsstandards. Abrufbar unter: https://www.facebook.com/communitystandards/. 8 Ebd. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 8 öffentliche Sicherheit besteht, behalten wir uns vor, die Strafverfolgungsbehörden zu informieren .“9 2.3. Sog. „Gemeinschaftsstandards“ von Facebook – Sparten Diese sog. „Gemeinschaftsstandards“ sind – einem umfangreichen Gesetzeswerk ähnlich – in sechs verschiedene Kapitel mit insgesamt 27 Punkten gegliedert.10 Diese Punkte werden ihrerseits durch Verweise erläutert. 2.4. Facebook und sog. „Fakten-Checker“ Facebook arbeitet mit sog. „Fakten-Checkern“ zusammen. In Deutschland handelt es sich dabei um die Nachrichtenagenturen Agence France-Presse (AFP) (seit September 2020) und Deutsche Presse Agentur GmbH (dpa) (seit März 2019) und das Recherchebüro Correktiv (seit Januar 2017).11 2.4.1. Grundsatz Die sog. „Fakten-Checker“ überprüfen „nachweislich falsche Behauptungen und dabei speziell solche, die aktuelle Themen und das Tagesgeschehen betreffen und für die meisten Personen wichtig sind.“12 Für die Allgemeinheit weniger bedeutsame oder nur in einem nach Ansicht von Facebook geringfügigen Maße ungenaue Behauptungen werden dagegen keinem sog. „Fakten- Check“ unterzogen. „Darüber hinaus ist das Programm nicht dazu gedacht, individuelle Äußerungen, Meinungen und Diskussionen, offensichtlich satirische bzw. humorvolle Inhalte oder Unternehmensstreitigkeiten einzuschränken.“13 Dabei wird folgendermaßen vorgegangen: „Identifizierung von Falschmeldungen: Wir identifizieren potenzielle Fehlinformationen anhand von Signalen, wie z. B. dem Feedback von Personen auf Facebook, und übermitteln den Inhalt an Faktenprüfer. Darüber hinaus identifizieren die Faktenprüfer selbstständig problematische Inhalte, die sie dann überprüfen. Überprüfung von Inhalten: Faktenprüfer untersuchen Inhalte, werten die Informationen aus und bewerten deren Richtigkeit. Dieser Schritt wird unabhängig von Facebook durchgeführt . Es kann vorkommen, dass in diesem Schritt Quellen kontaktiert oder öffentliche 9 Facebook: Gemeinschaftsstandards. Abrufbar unter: https://www.facebook.com/communitystandards/. 10 Ebd. 11 Facebook: Facebook weitet Faktenprüferprogramm aus: AFP wird Partner in Deutschland, Österreich und der Schweiz. 7. September 2020. Abrufbar unter: https://about.fb.com/de/news/2020/09/facebook-weitet-faktenprueferprogramm -aus-afp-wird-partner-in-deutschland-oesterreich-und-der-schweiz/. 12 Facebook: Hilfebereich für Unternehmen – Faktenprüfung auf Facebook. Abrufbar unter: https://www.facebook .com/business/help/2593586717571940?recommended_by=315131736305613. 13 Ebd. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 9 Daten herangezogen werden, Videos und Bilder auf Authentizität geprüft und weitere Maßnahmen ergriffen werden. Klare Kennzeichnung von Fehlinformationen und entsprechende Information an die Nutzer: Wir kennzeichnen von den Faktenprüfern bewerteten Content, damit sich Personen weiter über das Thema informieren können. Zudem benachrichtigen wir Personen, die diese Inhalte teilen möchten oder sie in der Vergangenheit schon geteilt haben. Verhindern der Verbreitung von Fehlinformationen: Sobald ein Faktenprüfer Content als „Falsch“, „Bearbeitet“ oder „Teilweise falsch“ bewertet hat, wird er im News Feed weiter unten und auf Instagram unter „Entdecken“ nicht mehr angezeigt. Außerdem wird er im Feed und in Stories unauffälliger platziert. Das schränkt die Reichweite dieser Inhalte deutlich ein. Wir lehnen auch Werbeanzeigen mit Inhalten ab, die von Faktenprüfern bewertet wurden. Maßnahmen gegen wiederholte Verstöße: Seiten und Websites, die wiederholt als falsch oder bearbeitet eingestufte Fehlinformationen verbreiten, müssen mit Einschränkungen rechnen. Unter anderem wird die Verbreitung ihres Contents reduziert. Möglicherweise wird ihnen auch die Monetarisierungs- und Werbegenehmigung entzogen, und sie können sich für einen bestimmten Zeitraum nicht mehr als Nachrichtenseite registrieren.“14 Auch gegen die Anmerkungen der sog. „Fakten Checker“ gibt es einen Facebook-internen Beschwerdeweg .15 2.4.2. Besonderes Verfahren bei Politikern Äußerungen von Politikern werden keinem sog. „Fakten-Check“ unterzogen. In den „Programmrichtlinien “ heißt es dazu: „Unabhängige Faktenprüfer bewerten keinen Content, der keine belegbare Behauptung enthält oder zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wahr gewesen ist. Zudem werden die Meinungen und Äußerungen von Politikern keiner Faktenprüfung unterzogen. Meinung: Dazu gehört auch Content, in dem bestimmte Ideen befürwortet, anhand von Daten und Fakten Schlussfolgerungen gezogen werden und die Ansichten des Autors oder Mitwirkenden zu einem Ereignis oder Thema widergespiegelt werden. Meinungsartikel können Fakten oder Zitate enthalten, stellen jedoch eigene Gedanken , Vorlieben und Schlussfolgerungen des Autors bzw. der Autorin in den Vordergrund . Dazu gehören etwa Leitartikel oder Artikel, in denen eine Person oder eine 14 Facebook: Hilfebereich für Unternehmen – Faktenprüfung auf Facebook. Abrufbar unter: https://www.facebook .com/business/help/2593586717571940?recommended_by=315131736305613. 15 Facebook: Hilfebereich für Unternehmen – Eine Korrektur vornehmen oder Einspruch gegen eine Bewertung einlegen. Abrufbar unter: https://www.facebook.com/business/help/997484867366026. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 10 Sache öffentlich unterstützt wird. Auch Inhalte, bei denen im Titel das Wort „Meinung “ oder „Kommentar“ steht und die von einem namentlich genannten Kolumnisten verfasst wurden, zählen hierzu. Ebenso Inhalte, die durch eine Website oder Seite mit dem Hauptzweck veröffentlicht wurden, Meinungen oder Programme von Personen des öffentlichen Lebens, Thinktanks, NGOs oder Unternehmen wiederzugeben . Content, der als Meinung präsentiert wird, aber auf Fehlinformationen basiert , kann jedoch in manchen Fällen dennoch einer Faktenprüfung unterzogen werden. Beiträge und Werbeanzeigen von Politikern: Hierzu zählen die Äußerungen eines Politikers sowie Fotos, Videos und anderer Content, aus dessen Kennzeichnung deutlich wird, dass er von diesem Politiker stammt oder Teil seiner Kampagne ist. Unsere Faktenprüfer sind angehalten, bei Politikern auf allen Ebenen zu überprüfen , ob diese Regelung anwendbar ist. „Politiker“ sind nach unserer Definition Kandidaten für politische Ämter, Amtsinhaber und darüber hinaus viele Kandidaten für Ministerämter sowie politische Parteien und deren Parteiführung. In bestimmten Fällen bitten wir die Faktenprüfer, anhand ihrer Erfahrung und Kompetenz einzuschätzen, ob eine bestimmte Person ein Politiker bzw. eine Politikerin ist, wie etwa im Falle eines ehrenamtlichen Mandatsträgers. Ehemalige Kandidaten oder Amtsinhaber unterliegen weiterhin unserer Faktenprüfung durch unabhängige Organisationen. Das gilt auch für Organisationen wie etwa politische Lobbygruppen (Super-PACs) oder Beratungsorganisationen, die keinen bestimmten Kandidaten unterstützen. Content auf Seiten, die mit der Hauptseite des Kandidaten, einer Kampagne oder einer Partei verbunden sind, beispielsweise die Seite eines Pressesprechers, Mitarbeiters oder einer politischen Untergruppe , können möglicherweise einer Überprüfung durch die Faktenprüfer unterzogen werden, sofern es sich bei deren Content nicht klar um die direkte, unbearbeitete Äußerung eines Politikers, wie oben definiert, handelt. Hinweis: Alle aktiven und inaktiven Werbeanzeigen von Politikern auf Facebook sind bis zu sieben Jahre lang in der öffentlich zugänglichen Werbebibliothek verfügbar . Warum werden Politiker keiner Faktenprüfung unterzogen? Unser Ansatz fußt auf Facebooks grundlegenden Überzeugungen: Wir machen uns stark für freie Meinungsäußerung und respektieren demokratische Grundwerte. Außerdem sind wir der Meinung, dass gerade in reifen Demokratien, in denen Pressefreiheit herrscht, keine Äußerungen so sehr unter die Lupe genommen werden wie politische Äußerungen. Eine Einschränkung der politischen Meinungsäußerung würde zudem dazu führen, dass Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 11 Bürgerinnen und Bürger weniger über die Meinungen ihrer gewählten Regierungsbeamten informiert wären und sich Politiker weniger für ihre Äußerungen verantworten müssten. Was passiert, wenn ein Politiker Content teilt, der bereits von einem Faktenprüfer bewertet wurde? In manchen Fällen hat die Bewertung eines unabhängigen Faktenprüfers auch Auswirkungen auf Politiker. Wenn Politiker bestimmte Inhalte teilen, die Dritte veröffentlicht haben , z. B. einen Link zu einem Artikel, Video oder Foto mit einer auf Facebook bereits widerlegten Aussage, werden diese Inhalte entsprechend niedrig eingestuft. Außerdem werden sie mit einer Warnung versehen und können nicht in Werbeanzeigen integriert werden . Dieser Fall unterscheidet sich von eigenen Behauptungen oder Aussagen der Politiker .“16 Diese sog. „Programmrichtlinien“ scheinen darauf hinauszulaufen, dass aufgrund einer funktionierenden und hinreichend kritischen Presselandschaft die Äußerungen von Politikern keines sog. „Fakten-Checks“ bedürfen. Dabei bleibt vieles, insbesondere der Begriff des „Politikers“, offen . Für eine Darstellung der praktischen Konsequenzen dieser sog. „Programmrichtlinien“ wären Kenntnisse der praktischen Anwendung durch den Verwender erforderlich. Diese liegen nicht vor, sodass nur auf die zivilrechtliche Rechtsprechung im Einzelfall verwiesen werden muss. Urteile , die diese sog. „Programmrichtlinien“ zum Gegenstand haben, sind nicht bekannt. 2.5. Sog. „Oversight Board“ als letztinstanzliches Entscheidungsgremium Die Nutzer von Facebook haben die Möglichkeit, innerhalb eines internen Überprüfungsverfahrens ihrer Meinung nach ungerechtfertigte Eingriffe überprüfen zu lassen. Das letztinstanzliche Entscheidungsgremium innerhalb dieses internen Überprüfungssystems von Facebook ist das sog. – im vollständig ausgebauten Stadium 40 Personen umfassende17 – „Oversight-Board“: 16 Facebook: Hilfebereich für Unternehmen – Programmrichtlinien. Abrufbar unter: https://www.facebook .com/business/help/315131736305613?recommended_by=2593586717571940. 17 Zurzeit hat das sog. „Oversight Board“ 19 Mitglieder, darunter eine ehemalige dänische Ministerpräsidentin. Abrufbar unter: https://oversightboard.com/meet-the-board/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 12 „Die Entscheidungen des Gremiums, unsere eigenen Inhaltsentscheidungen zu bestätigen oder aufzuheben, sind für uns bindend. Das bedeutet, dass wir diese umsetzen, sofern dies nicht gegen geltendes Recht verstößt.“1819 Dabei scheint es sich um eine Art „Facebook-Verfassungsgericht“ mit eigener Satzung20 zu handeln , das nicht einem obersten Organ der Fachgerichtsbarkeit entspricht, sondern nur über von ihm ausgewählte Fälle grundsätzlicher Natur zu entscheiden scheint: „Das Gremium ist nicht als weitere Instanz des Überprüfungsprozesses von Facebook zu sehen. Es wird eine ausgewählte Anzahl symbolträchtiger Fälle überprüfen und ermitteln, ob die Entscheidungen mit den definierten Werten und Richtlinien von Facebook im Einklang stehen.“21 Das Gremium ist dabei formal nicht Teil des Unternehmens Facebook. Sowohl das Gremium als auch dessen Verwaltung werden nach Angaben von Facebook durch eine unabhängige Treuhandgesellschaft finanziert.22 Das sog. „Oversight Board“ wurde einer breiteren Öffentlichkeit im Mai 2021 bekannt, als es die „bis auf Weiteres“ laufende Sperre des Accounts des ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika durch Facebook kritisierte und dem Unternehmen aufgab, binnen der folgenden sechs Monate die Entscheidung zu überprüfen und ggf. besser zu begründen.23 18 Facebook: Gemeinschaftsstandards. Abrufbar unter: https://www.facebook.com/communitystandards/oversight _board. 19 A.A.: Oversight-Board Mitglied Jamal Green: „Facebook hat sich verpflichtet, unsere Entscheidung, ob die Löschung der Inhalte und die Suspendierung des Kontos richtig war, entgegenzunehmen. Was auch immer wir für politische Ratschläge an Facebook weitergeben, es muss auf diese reagieren. Aber es ist nicht verpflichtet, das umzusetzen, was wir vorschlagen.“ Zitiert nach: Schuler, Marcus: Oversight Board – So will Facebook sich selbst regulieren. In: @mediasres – Deutschlandfunk vom 25. Januar 2021. Abrufbar unter: https://www.deutschlandfunk.de/oversight-board-so-will-facebook-sich-selbst-regulieren.2907.de.html?dram:article _id=491410. 20 Facebook: Informationen zu dem sog. „Oversight Board“. Satzung. Abrufbar unter: https://oversightboard .com/governance/. 21 Facebook: Informationen zu dem sog. „Oversight Board“. Zweck des Gremiums. Abrufbar unter: https://oversightboard .com/. 22 Facebook: Informationen zu dem sog. „Oversight Board“. Unabhängigkeit. Abrufbar unter: https://oversightboard .com/. 23 Weiterführend und instruktiv: Moraht, Friederike; Schäuble, Juliane: Der Bann bleibt. Ein Aufsichtsgremium bestätigt die Facebook-Sperre für Donald Trump. Doch ist die Expertengruppe dazu überhaupt berechtigt? In: Der Tagesspiegel, 6. Mai 2021. Siehe auch dieselben, Wendepunkt in der Geschichte des Internets? - Trumps Facebook-Sperre bleibt bestehen, Der Tagesspiegel, 5. Mai 2021. Abrufbar unter: https://www.tagesspiegel .de/politik/wendepunkt-in-der-geschichte-des-internets-trumps-facebook-sperre-bleibt-bestehen /27161004.html. Kritisch auch: Schuler, Marcus: Oversight Board – So will Facebook sich selbst regulieren. In: @mediasres – Deutschlandfunk vom 25. Januar 2021. Abrufbar unter: https://www.deutschlandfunk.de/oversight -board-so-will-facebook-sich-selbst-regulieren.2907.de.html?dram:article_id=491410. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 13 3. Exkurs I: Grundrechte und Privatrecht Objektiv rechtswidrige Beiträge auf gewinnorientierten Plattformen mit mehr als zwei Millionen Nutzern in der Bundesrepublik Deutschland müssen aufgrund der staatlichen Vorgaben im Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG)24 von dem Betreiber der Plattform gelöscht werden. In diesen Fällen kommt der Betreiber also einer ihm vom Staat auferlegten Pflicht nach. Dagegen werden die sog. „Gemeinschaftsstandards“ und die damit verbundenen Richtlinien von dem Betreiber der Plattform, also einem privatrechtlichen Akteur, erstellt. Sie sind Bestandteil des dem Privatrecht unterliegenden Verhältnisses zwischen dem Nutzer und dem Betreiber der Plattform. Fraglich ist daher, ob und inwieweit die als Schutzrechte gegenüber dem Staat im Grundgesetz kodifizierten Grundrechte in die zwischen zwei Subjekten des Privatrechts frei vereinbarten Rechtsbeziehungen hineinwirken. 3.1. Die mittelbare Wirkung der Grundrechte auf das Privatrecht Die mittelbare Wirkung der Grundrechte auf privatrechtliche Rechtsverhältnisse ist in den letzten Jahrzehnten durch das Bundesverfassungsgericht nicht nur als ausdrücklich geboten gesehen, sondern auch immer weiter gestärkt worden. Insbesondere soll dies gelten, wenn Privaten eine dem Staat vergleichbare Pflichten- und Garantenstellung zukommt.25 „Ob und ggf. welche rechtlichen Forderungen sich insoweit auch für Betreiber sozialer Netzwerke im Internet ergeben, ist jedoch weder in der Rspr. der Zivilgerichte noch in der Rspr. des BVerfG abschließend geklärt.“26 Die Beurteilung ist dabei einzelfallabhängig.27 In dem wegweisenden „Lüth“-Urteil entschied das Bundesverfassungsgericht bereits 1958, dass die Grundrechte zwar in der Tat in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat seien, aber auch eine „objektive Wertordnung28“ darstellten, „die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt.“29 24 Netzwerkdurchsetzungsgesetz vom 1. September 2017 (BGBl. I S. 3352), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 3. Juni 2021 (BGBl. I S. 1436) geändert worden ist. Abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet .de/netzdg/BJNR335210017.html. 25 BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 18. Juli 2015 – 1 BvQ 25/15 – Bierdosen-Flashmob für die Freiheit –, juris Rn. 6. 26 BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 22. Mai 2019 – 1 BvQ 42/19 – Der III. Weg –, juris Rn. 15. 27 BVerfG, Beschluss vom 11. April 2018 – 1 BvR 3080/09 – Stadionverbot – juris Rn. 33. 28 BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51 – Lüth –, juris Ls. 1. 29 Ebd. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 14 „Im bürgerlichen Recht entfaltet sich der Rechtsgehalt der Grundrechte mittelbar durch die privatrechtlichen Vorschriften. Er ergreift vor allem Bestimmungen zwingenden Charakters und ist für den Richter besonders realisierbar durch die Generalklauseln.“30 Dabei könnten auch zivilrechtliche Vorschriften „allgemeine Gesetze“ im Sinne des Art. 5 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG)31 sein,32 müssten aber „im Lichte der besonderen Bedeutung des Grundrechts der freien Meinungsäußerung für den freiheitlichen demokratischen Staat ausgelegt werden .“33 Zusammengefasst gilt also: „Das Grundgesetz enthält in seinem Grundrechtsabschnitt verfassungsrechtliche Grundentscheidungen für alle Bereiche des Rechts. Diese Grundentscheidungen entfalten sich durch das Medium derjenigen Vorschriften, die das jeweilige Rechtsgebiet unmittelbar beherrschen , und haben vor allem auch Bedeutung bei der Interpretation zivilrechtlicher Generalklauseln (vgl. BVerfGE 7, 198 <205 f.>; 42, 143 <148>). Indem § 138 und 242 BGB ganz allgemein auf die guten Sitten, die Verkehrssitte sowie Treu und Glauben verweisen, verlangen sie von den Gerichten eine Konkretisierung am Maßstab von Wertvorstellungen, die in erster Linie von den Grundsatzentscheidungen der Verfassung bestimmt werden. Deshalb sind die Zivilgerichte von Verfassungs wegen verpflichtet, bei der Auslegung und Anwendung der Generalklauseln die Grundrechte als ‚Richtlinien‘ zu beachten. Verkennen sie das und entscheiden sie deshalb zum Nachteil einer Prozeßpartei, so verletzen sie diese in ihren Grundrechten (vgl. BVerfGE 7, 198 <206 f.>; st. Rspr.).“34 Diese Rechtsprechung wurde vom Bundesverfassungsgericht kontinuierlich weiterentwickelt. So heißt es in dem „Bierdosen-Flashmob für die Freiheit“-Beschluss aus dem Jahr 2015: 30 BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51 – Lüth –, juris Ls. 2. 31 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 u. 2 Satz 2 des Gesetzes vom 29. September 2020 (BGBl. I S. 2048) geändert worden ist. Abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet .de/gg/BJNR000010949.html. 32 BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51 – Lüth –, juris Ls. 3. 33 BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51 – Lüth –, juris Ls. 5. 34 BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1993 – 1 BvR 567/89 – Bürgschaft –, juris Rn. 48. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 15 „Dennoch entfalten die Grundrechte als objektive Prinzipien Wirkung, und die Versammlungsfreiheit ist im Wege der mittelbaren Drittwirkung nach Maßgabe einer Abwägung zu beachten. Die Reichweite dieser Bindung bestimmt sich dabei nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz in Ausgleich der sich gegenüberstehenden Grundrechte. Wie das Bundesverfassungsgericht insoweit festgestellt hat, können Private im Wege der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten freilich unbeschadet ihrer eigenen Grundrechte auch ähnlich oder auch genauso weit wie der Staat durch die Grundrechte in Pflicht genommen werden, insbesondere, wenn sie in tatsächlicher Hinsicht in eine vergleichbare Pflichtenoder Garantenstellung hineinwachsen wie traditionell der Staat (vgl. BVerfGE 128, 226 <248>). Je nach Gewährleistungsinhalt und Fallgestaltung kann die mittelbare Grundrechtsbindung Privater einer Grundrechtsbindung des Staates nahe oder auch gleichkommen .“35 Bisher wurden von der Rechtsprechung noch keine konkreten Kriterien aufgestellt, die erfüllt werden müssen, damit ein privatrechtliches Unternehmen eine Pflichten- oder Garantenstellung hat, die mit der des Staates vergleichbar ist. Damit hängt eng auch die Frage zusammen, ob eine Marktmacht des Unternehmens vorhanden sein muss und wie diese bemessen wird. Daher sei hier in Grundzügen die Argumentation des Bundeskartellamts in einem wettbewerbsrechtlichen Verfahren gegen Facebook36, die vom Bundesgerichtshof im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bestätigt wurde37, dargestellt. Dabei ging es um die Frage, inwieweit die Datenschutz -Richtlinien von Facebook die Grundrechte der Benutzer aufgrund der marktbeherrschenden Stellung von Facebook – und damit auch den lauteren Wettbewerb – verletzten: Das Bundeskartellamt skizzierte die Situation folgendermaßen: „Die verschiedenen Formen der sozialen Medien werden in der öffentlichen Diskussion auf unterschiedlichste Weise klassifiziert. So werden aus Marketingsicht beispielsweise „Social Networks“ (wie z.B. Facebook, LinkedIn, Xing, WhatsApp und Single-Portale) von „Content Sharing & Entertainment Plattformen“ (wie z.B. YouTube, FlickR, Instagram, Pinterest), „Knowledge Communities“ oder „Blogging-Plattformen“ (wie z.B. der häufig als „Microblog“ eingeordnete Dienst „Twitter“) und „Consumer Communities“ (z.B. Bewertungsportale ) unterschieden. … Andere Marketing-Vertreter unterscheiden dagegen u.a. „Social- Networking“ und „Social-Sharing“. Social Networking beschreibt Dienste, die Gleichgesinnte vernetzen, Meinungen von vielen Menschen generieren und es den Benutzern ermöglichen , sich schnell über die verschiedensten Themen zu informieren und somit von dem Wissen und den Erfahrungen anderer Teilnehmer zu profitieren, beispielsweise Face- 35 BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 18. Juli 2015 – 1 BvQ 25/15 – Bierdosen-Flashmob für die Freiheit –, juris Rn. 6. 36 Bundeskartellamt (BKartA), Beschluss vom 6. Februar 2016 – B6-22/16 – Facebook –.-Abrufbar unter: https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Entscheidung/DE/Entscheidungen/Missbrauchsaufsicht /2019/B6-22-16.pdf?__blob=publicationFile&v=8. 37 BGH, Beschluss vom 23. Juni 2020 – KVR 69/19. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 16 book.com, Twitter, Tumblr, Xing, Google+, LinkedIn. Dagegen seien „Social Sharing-Plattformen “ (Austauschplattformen) Plattformen, auf denen Nutzer multimediale Inhalte im Web bereitstellen, verwalten, mit einer Beschreibung versehen, kategorisieren, verschlagworten , vernetzen und mit anderen Nutzern austauschen können. Hierfür werden FlickR, Instagram und YouTube genannt. ... Vertreter der Wissenschaft unterscheiden teilweise wiederum unter Berücksichtigung der Intensität der sozialen Präsenz (social presence) durch die Medienart („rich media content“) und der Selbstpräsentation der Nutzer (self presentation/self disclosure)…“38 Das Bundeskartellamt kam zu dem Schluss, dass Facebook „gegenüber den privaten Nutzern auf dem nationalen Markt für soziale Netzwerke tätig“39 ist. Zu diesen zählten – im Gegensatz zu der von Facebook vertretenen Auffassung – nicht die Dienste YouTube und Twitter. „Zwar gibt es bei den Diensten in den Funktionen Überschneidungen mit Facebook.com. Es sind jedoch wesentliche Unterschiede im Hinblick auf den Nutzungszweck der Dienste, die Positionierung durch die Anbieter und die dafür angebotenen Funktionen festzustellen, die gegen eine Austauschbarkeit mit Facebook.com aus Sicht des Nutzers sprechen.“40 Räumlich sei dabei auf den Markt in der Bundesrepublik Deutschland abzustellen.41 Grundlage der Marktmachtprüfung ist dabei u.a. die Zahl der täglich aktiven Nutzer.42 Für die „Ausnutzung “ im wettbewerbsrechtlichen Sinn einer marktbeherrschenden Stellung genügt nach allgemeinen Regeln vielmehr eine „normative Kausalität“ zwischen der Marktbeherrschung und dem Verhalten. Dabei sei es ausreichend, wenn sich das Verhalten auf Grund der Marktbeherrschung im Ergebnis als wettbewerbsschädlich erweist, so dass zwar keine strenge Kausalität, wohl aber eine Ergebniskausalität zu fordern sei.43 Genaue Zahlen, die einen „Schwellenwert“ für die Marktbeherrschung oder die Marktmacht darstellen könnten, werden im Beschluss des Bundeskartellamts nicht genannt. Dies dürfte sich schon deswegen erübrigen, weil das Bundeskartellamt eine monopolartige Stellung im relevanten 38 BKartA, Beschluss vom 6. Februar 2016 – B6-22/16 – Facebook –, Rn. 171. Abrufbar unter: https://www.bundeskartellamt .de/SharedDocs/Entscheidung/DE/Entscheidungen/Missbrauchsaufsicht/2019/B6-22- 16.pdf?__blob=publicationFile&v=8. 39 Ebd., Rn. 212. 40 Ebd., Rn. 308. 41 Ebd., Rn. 344. 42 Ebd., Rn. 400ff. 43 Ebd., Rn. 873. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 17 Markt erkannt hat.44 Nach wettbewerbsrechtlichen Normen wird ein Unternehmen als marktbeherrschend vermutet, wenn es einen Marktanteil von mindestens 40 Prozent hat (§ 18 Abs. 4 GWB45). Im vorliegenden Fall ist Facebook auf dem vom Bundeskartellamt geprüften Markt marktbeherrschend im wettbewerbsrechtlichen Sinne. Bisher ist noch nicht entschieden worden, ob und inwieweit diese Kriterien auch auf die sog. „Einstrahlung der Grundrechte“ außerhalb des Wettbewerbsrechts auf die vertraglichen Beziehungen zwischen Nutzer und Anbieter von Social Media- Plattformen anzuwenden sind. In Anbetracht der überragenden Bedeutung der Meinungsfreiheit für den demokratischen Willensbildungsprozess scheint eine weniger strenge Prüfung der Marktmacht nicht völlig abwegig zu sein. 3.2. Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung- Art. 5 Abs. 1 GG Art. 5 Abs. GG gewährleistet jedermann das sehr umfassende Recht, seine Meinung frei zu äußern : „Jeder soll frei sagen können, was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt oder angeben kann. Zugleich ist es der Sinn von Meinungsäußerungen, geistige Wirkung auf die Umwelt ausgehen zu lassen, meinungsbildend und überzeugend zu wirken. Werturteile sind danach geschützt, ohne daß es darauf ankäme, ob die Äußerung wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch, emotional oder rational ist (vgl. BVerfGE 61, 1 <7>; 85, 1 <15>).“46 3.2.1. Schmähkritik Schmähkritik unterliegt nicht mehr dem grundgesetzlichen Schutz der Meinungsfreiheit. Hier tritt die Meinungsfreiheit hinter den Ehrenschutz zurück. Im Interesse eines lebendigen Meinungsbildungsprozesses hat das Bundesverfassungsgericht aber den von der Fachgerichtsbarkeit entwickelten Begriff eng definiert: „Danach macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muß vielmehr, daß bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muß jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen (vgl. BVerfGE 82, 272 <283 f.>). Aus diesem Grund wird Schmähkritik bei Äußerungen in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage 44 BKartA, Beschluss vom 6. Februar 2016 – B6-22/16 – Facebook –, Rn. 374 und 785. Abrufbar unter: https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Entscheidung/DE/Entscheidungen/Missbrauchsaufsicht /2019/B6-22-16.pdf?__blob=publicationFile&v=8. 45 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1750, 3245), das zuletzt durch Artikel 30 des Gesetzes vom 23. Juni 2021 (BGBl. I S. 1858) geändert worden ist. Abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/gwb/GWB.pdf. 46 BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 1994 – 1 BvR 434/87 – Kriegsschuld –, juris Rn. 56. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 18 nur ausnahmsweise vorliegen und im übrigen eher auf die sogenannte Privatfehde beschränkt bleiben (vgl. BGH, NJW 1974, S. 1762).“47 Deutlich wird die Unterscheidung im „Soldaten sind Mörder“-Urteil: „Die Beschwerdeführer haben mit ihren Äußerungen, Soldaten seien Mörder oder potentielle Mörder, nicht von bestimmten Soldaten behauptet, diese hätten in der Vergangenheit einen Mord begangen. Sie haben vielmehr ein Urteil über Soldaten und über den Soldatenberuf zum Ausdruck gebracht, der unter Umständen zum Töten anderer Menschen zwingt. Vom Vorliegen eines Werturteils, nicht einer Tatsachenbehauptung, sind auch die Strafgerichte ausgegangen.“48 3.2.2. Unwahre Tatsachenbehauptungen Unwahre Tatsachenbehauptungen sind von der Meinungsfreiheit nicht mehr erfasst, da Lügen keinen Beitrag leisten können zu dem von der Verfassung intendierten Meinungsbildungsprozess in der Bevölkerung: Fraglich ist, ob die Unwahrheit einer Tatsachenbehauptung allein schon dazu führt, dass diese nicht mehr in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fällt oder ob es dazu noch eines Vorsatzes, eines entsprechenden Bewusstseins also, des Äußernden bedarf. Das Bundesverfassungsgericht äußerte sich 1994 dazu in der Kriegsschuld-Entscheidung folgendermaßen: „Nur die bewußt unwahre Tatsachenbehauptung fällt von vornherein aus dem Schutzbereich des Grundrechts heraus, weil sie zur verfassungsmäßig vorausgesetzten Meinungsbildung nicht beitragen kann (vgl. BVerfGE 61, 1 <7 ff.>; 85, 1 <15>).“49 Dies lässt vermuten, dass ein subjektives Element zur Äußerung einer unwahren Tatsachenbehauptung hinzukommen muss, um sie aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit herausfallen zu lassen. In dem „Die CSU ist die NPD von Europa“-Beschluss von 1982, auf den in dem Beschluss von 1994 hingewiesen wird, setzt das Bundesverfassungsgericht dagegen erwiesene und bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen gleich: „Konstitutiv für die Bestimmung dessen, was als Äußerung einer ‚Meinung‘ vom Schutz des Grundrechts umfaßt wird, ist mithin das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens , des Meinens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung; auf den Wert, die Richtigkeit , die Vernünftigkeit der Äußerung kommt es nicht an. Die Mitteilung einer Tatsache ist im strengen Sinne keine Äußerung einer ‚Meinung‘, weil ihr jenes Element fehlt. Durch 47 BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995 – 1 BvR 1476/91 – Soldaten sind Mörder –, juris Rn. 122. 48 Ebd., Rn. 109. 49 BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 1994 – 1 BvR 434/87 – Kriegsschuld –, juris Rn. 57. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 19 das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit geschützt ist sie, weil und soweit sie Voraussetzung der Bildung von Meinungen ist, welche Art. 5 Abs. 1 GG in seiner Gesamtheit gewährleistet. Was dagegen nicht zur verfassungsmäßig vorausgesetzten Meinungsbildung beitragen kann, ist nicht geschützt, insbesondere die erwiesen oder bewußt unwahre Tatsachenbehauptung . Im Gegensatz zur eigentlichen Äußerung einer Meinung kann es also für den verfassungsrechtlichen Schutz einer Tatsachenmitteilung auf die Richtigkeit der Mitteilung ankommen.“50 Vor dem Hintergrund, dass das Bundesverfassungsgericht in beiden Beschlüssen davon ausgeht, dass unwahre Tatsachenbehauptungen nicht dazu geeignet seien, zu dem verfassungsmäßig geschützten Meinungsbildungsprozess beizutragen, erscheint es nur konsequent, erwiesen unwahre und bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen gleichzusetzen. Dies scheint auch unter dem Gesichtspunkt der praktischen Abgrenzung im Einzelfall gebotener. Zu beachten ist jedoch, dass eine in der Form einer Tatsachenbehauptung auftretende Äußerung sehr wohl eine Meinungsäußerung sein kann, wenn sie beispielsweise so überspitzt ist, dass von dem Äußernden objektiv kein Anspruch auf inhaltliche Richtigkeit erhoben wird. Hier sei die Behauptung , dass die CSU die NPD von Europa sei, angeführt.51 Entscheidend ist auch hier die Prüfung im konkreten Einzelfall. 3.3. Wissenschaftsfreiheit – Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Von besonderer Bedeutung – gerade bei der Diskussion um COVID-19 – ist die Wissenschaftsfreiheit . „Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG erklärt Wissenschaft, Forschung und Lehre für frei. Damit wird nicht nur eine objektive Grundsatznorm für den Bereich der Wissenschaft aufgestellt.“52 Sie gilt vielmehr für jeden, der sich wissenschaftlich betätigt – auch wenn er nicht mit einer wissenschaftlichen Institution verbunden ist: „Jeder, der wissenschaftlich tätig ist, genießt daher Schutz vor staatlichen Einwirkungen auf den Prozeß der Gewinnung und Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse.“53 Das Bundesverfassungsgericht vertritt einen weiten, aber nicht grenzenlosen Wissenschaftsbegriff : „darunter fällt alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter Versuch zur Ermittlung von Wahrheit anzusehen ist (vgl. BVerfGE 35, 79 <113>; 47, 327 <367>).“54 „Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG schützt aber nicht eine bestimmte Auffassung von Wissenschaft oder eine bestimmte Wissenschaftstheorie. Das wäre mit der prinzipiellen Unvollständig- 50 BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 1982 – 1 BvR 1376/79 – Die CSU ist die NPD von Europa – juris Rn. 15. 51 Ebd. 52 BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 1994 – 1 BvR 434/87 – Kriegsschuld –, juris Rn. 46. 53 Ebd. 54 BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 1994 – 1 BvR 434/87 – Kriegsschuld –, juris Rn. 47. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 20 keit und Unabgeschlossenheit unvereinbar, die der Wissenschaft trotz des für sie konstitutiven Wahrheitsbezugs eignet (vgl. BVerfGE 35, 79 <113>; 47, 327 <367 f.>). Der Schutz dieses Grundrechts hängt weder von der Richtigkeit der Methoden und Ergebnisse ab noch von der Stichhaltigkeit der Argumentation und Beweisführung oder der Vollständigkeit der Gesichtspunkte und Belege, die einem wissenschaftlichen Werk zugrunde liegen. Über gute und schlechte Wissenschaft, Wahrheit oder Unwahrheit von Ergebnissen kann nur wissenschaftlich geurteilt werden (vgl. BVerfGE 5, 85 <145>); Auffassungen, die sich in der wissenschaftlichen Diskussion durchgesetzt haben, bleiben der Revision und dem Wandel unterworfen. Die Wissenschaftsfreiheit schützt daher auch Mindermeinungen sowie Forschungsansätze und -Ergebnisse, die sich als irrig oder fehlerhaft erweisen. Ebenso genießt unorthodoxes oder intuitives Vorgehen den Schutz des Grundrechts. Voraussetzung ist nur, daß es sich dabei um Wissenschaft handelt.“55 Diese Grenze ist da erreicht, wo vorgefassten Meinungen – z.B. durch systematische Ausblendung von Fakten – lediglich der Anschein einer wissenschaftlichen Arbeit verliehen wird. Es muss vielmehr „ein ernsthafter Versuch zur Findung der Wahrheit“56 vorliegen: „Einem Werk kann allerdings nicht schon deshalb die Wissenschaftlichkeit abgesprochen werden, weil es Einseitigkeiten und Lücken aufweist oder gegenteilige Auffassungen unzureichend berücksichtigt. All das mag ein Werk als fehlerhaft im Sinn der Selbstdefinition wissenschaftlicher Standards durch die Wissenschaft ausweisen. Dem Bereich der Wissenschaft ist es erst dann entzogen, wenn es den Anspruch von Wissenschaftlichkeit nicht nur im einzelnen oder nach der Definition bestimmter Schulen, sondern systematisch verfehlt . Das ist insbesondere dann der Fall, wenn es nicht auf Wahrheitserkenntnis gerichtet ist, sondern vorgefaßten Meinungen oder Ergebnissen lediglich den Anschein wissenschaftlicher Gewinnung oder Nachweisbarkeit verleiht. Dafür kann die systematische Ausblendung von Fakten, Quellen, Ansichten und Ergebnissen, die die Auffassung des Autors in Frage stellen, ein Indiz sein. Dagegen genügt es nicht, daß einem Werk in innerwissenschaftlichen Kontroversen zwischen verschiedenen inhaltlichen oder methodischen Richtungen die Wissenschaftlichkeit bestritten wird.“57 Es ist also in jedem Einzelfall zu prüfen, ob und inwieweit eine Äußerung der Wissenschaftsfreiheit unterliegt. Eine pauschale Beurteilung verbietet sich. 3.4. Das Grundrecht des Betreibers einer Plattform auf Privatautonomie – Art. 2 Abs. 1 GG Bei der Abwägung ist auch die in Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Privatautonomie zu berücksichtigen . Sie gewährleistet eine weitgehende Freiheit bei der Ausgestaltung privatrechtlicher Vertragsbeziehungen . Darunter könnte auch ein sog. „virtuelles Hausrecht“ fallen. Das „virtuelle Hausrecht “ ist die Befugnis eines Forenbetreibers, einem Nutzer den Zutritt zu einem virtuellen Raum 55 BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 1994 – 1 BvR 434/87 – Kriegsschuld –, juris Rn. 47. 56 Ebd., Rn. 51. 57 Ebd., Rn. 49. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 21 (= seiner Homepage) ganz oder zeitweise zu verweigern bzw. Beiträge zu löschen, die gegen von dem Betreiber aufgestellte sog. „Gemeinschaftsstandards“ verstoßen. Die Privatautonomie kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts58 eingeschränkt sein, wenn eine der vertragsschließenden Parteien ein so starkes – beispielsweise wirtschaftliches – Übergewicht hat, dass sie der anderen die Vertragsbedingungen faktisch diktiert und zu einer übermäßigen Belastung der unterlegenen Partei führt. Eine solche könnte in einer Beschränkung der Meinungsfreiheit des Nutzers liegen. Dabei darf nicht nur das „Recht des Stärkeren“59 gelten – alle Beteiligten genießen im Zivilrechtsverkehr den Schutz von Art. 2 Abs. 1 GG und können sich gleichermaßen auf ihre Privatautonomie berufen: „Die kollidierenden Grundrechtspositionen sind in ihrer Wechselwirkung zu sehen und so zu begrenzen, daß sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden. Hat einer der Vertragsteile ein so starkes Übergewicht, daß er den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen kann, bewirkt dies für den anderen Vertragsteil Fremdbestimmung (vgl BVerfG, 1990- 02-07, 1 BvR 26/84, BVerfGE 81, 242 <255>).“60 Dies bedeutet nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts konkret: „Für die Zivilgerichte folgt daraus die Pflicht, bei der Auslegung und Anwendung der Generalklauseln darauf zu achten, daß Verträge nicht als Mittel der Fremdbestimmung dienen . Haben die Vertragspartner eine an sich zulässige Regelung vereinbart, so wird sich regelmäßig eine weitergehende Inhaltskontrolle erübrigen. Ist aber der Inhalt des Vertrages für eine Seite ungewöhnlich belastend und als Interessenausgleich offensichtlich unangemessen , so dürfen sich die Gerichte nicht mit der Feststellung begnügen: ‚Vertrag ist Vertrag‘. Sie müssen vielmehr klären, ob die Regelung eine Folge strukturell ungleicher Verhandlungsstärke ist, und gegebenenfalls im Rahmen der Generalklauseln des geltenden Zivilrechts korrigierend eingreifen. Wie sie dabei zu verfahren haben und zu welchem Ergebnis sie gelangen müssen, ist in erster Linie eine Frage des einfachen Rechts, dem die Verfassung einen weiten Spielraum läßt. Ein Verstoß gegen die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie kommt aber dann in Betracht, wenn das Problem gestörter Vertragsparität gar nicht gesehen oder seine Lösung mit untauglichen Mitteln versucht wird.“61 58 BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1993 – 1 BvR 567/89 – Bürgschaftsvertrag –. Juris. 59 BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1993 – 1 BvR 567/89 – Bürgschaftsvertrag –, juris Orientierungssatz 1. 60 Ebd. 61 BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1993 – 1 BvR 567/89 – Bürgschaftsvertrag –, juris Rn. 56. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 22 3.5. Berufsfreiheit – Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG Plattformbetreiber können sich zudem auf die grundrechtlich geschützte Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG berufen. Die Berufsfreiheit beinhaltet außer der Berufswahlfreiheit auch die Berufsausübungsfreiheit.62 Neben natürlichen Personen sind auch juristische Personen als „Form kollektiver bzw. organisierter Grundrechtsausübung des Individuums“63 vom Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG umfasst, vgl. Art. 19 Abs. 3 GG. Insofern können sich Social Media -Plattformen wie Facebook oder YouTube im Rahmen ihrer Berufsausübung auf die Berufsfreiheit berufen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs umfasst das Recht auf unternehmerische Freiheit im Sinne des Art. 16 der Grundrechtecharta der EU „u. a. das Recht jedes Unternehmens, in den Grenzen seiner Verantwortlichkeit für seine eigenen Handlungen frei über seine wirtschaftlichen, technischen und finanziellen Ressourcen verfügen zu können.“64 Mögliche Einschränkungen der grundrechtlich geschützten Berufsfreiheit sind in Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG geregelt. „Art. 12 I 2 GG erlaubt Eingriffe in die Berufsfreiheit nur auf Grundlage einer gesetzlichen Regelung, die Umfang und Grenzen des Eingriffs erkennen lässt. Dabei muss der Gesetzgeber selbst alle wesentlichen Entscheidungen treffen, soweit sie gesetzlicher Regelung zugänglich sind.“65 Auch andere Grundrechte können das Grundrecht auf Berufsfreiheit begrenzen. 3.6. Die praktische Konkordanz der Grundrechte In Fällen der vorliegenden Art muss die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) des Nutzers der Plattform mit der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und der grundgesetzlich garantierten Privatautonomie (Art. 1 i.V.m. der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG) des Betreibers der Plattform abgewogen werden. Dabei kommt der Meinungsfreiheit eine besondere Bedeutung auch dort zu, wo sie mit den privaten Interessen anderer kollidiert:66 62 Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, 93. EL Oktober 2020, Art. 12 Rn. 1. 63 Ebd., Art. 12 Rn. 106. 64 EuGH, Urteil vom 27.03.2014 – C-314/12 – Website-Zugangssperre –, juris Rn. 59. 65 BVerfG, Beschluss vom 20.12.2018 – 2 BvR 2377/16 – Telekommunikationsüberwachung –, juris Rn. 38. 66 BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51 – Lüth –, juris Rn. 77. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 23 „Dabei kollidierende Grundrechtspositionen sind hierfür in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (vgl. BVerfGE 129, 78 <101 f.>; 134, 204 <223 Rn. 68>; 142, 74 <101 Rn. 82>; stRspr.).“67 4. Exkurs II: die Rechtsnatur der sog. „Gemeinschaftsstandards“ Die Nutzer von Social Media-Plattformen schließen bei der Registrierung einen Nutzungsvertrag .68 Bestandteil des Nutzungsvertrages werden regelmäßig Verhaltensnormen, die bei Facebook „Gemeinschaftsstandards“ genannt werden und als vorformulierte Vertragsbedingungen Allgemeine Geschäftsbedingungen (§ 305 Abs. 1 S. 1 des Bürgerliches Gesetzbuchs69 BGB) darstellen.70 Diese müssen einer inhaltlichen Kontrolle im Sinne der §§ 305 ff. BGB (sog. AGB-Kontrolle) standhalten und dürfen insbesondere nicht überraschend sein. Es ist evident, dass bei der Prüfung der Frage, ob eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB vorliegt, auch die wertbildende Regelung des Art. 5 GG zu berücksichtigen ist. Das Landgericht Köln umreißt das Spannungsfeld plastisch: „Es ist jedoch zweifelhaft, ob hieraus entnommen werden kann, dass ein Plattformanbieter oder jedenfalls die Verfügungsbeklagte im Rahmen ihres Geschäftsmodells verpflichtet ist, jedwede Meinung, soweit sie grundsätzlich als zulässige Meinungsäußerung im Sinne von Art. 5 GG anzusehen ist, auch als Post zuzulassen. Inwieweit ein Plattformbetreiber - und insbesondere ein Plattformbetreiber mit der besonderen Marktstellung, wie sie die Verfügungsbeklagte innehat - berechtigt ist, aus bestimmten Gründen bestimmte Meinungsäußerungen (sei es wegen ihrer Form oder ihres Inhalts) nicht (mehr) zuzulassen, ist eine heikle Frage.“71 4.1. Mögliche Rechtsansprüche des Nutzers auf Wiederherstellung von aufgrund von Verstößen gegen die sog. „Gemeinschaftsstandards“ entfernten nicht-rechtswidrigen Beiträge gegen den Betreiber einer Plattform Sowohl hinsichtlich der Rechtsnatur des zwischen dem Nutzer und dem Betreiber der Plattform geschlossenen Vertrags als auch hinsichtlich der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte auf 67 BVerfG, Beschluss vom 11. April 2018 – 1 BvR 3080/09 – Stadionverbot – , juris Rn.32. 68 Friehe, Matthias, Löschen und Sperren in sozialen Netzwerken, NJW 2020, 1697. 69 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 10 des Gesetzes vom 30. März 2021 (BGBl. I S. 607) geändert worden ist. Abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/BJNR001950896.html. 70 So z.B.: LG Köln, Urteil vom 27. Juli 2018 – 24 O 187/18 – Otterngezücht – facebook –, juris Rn. 98. 71 LG Köln, Urteil vom 27. Juli 2018 – 24 O 187/18 – Otterngezücht – facebook –, juris Rn. 101. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 24 diesen Vertrag gibt es noch keine höchstrichterliche Entscheidung. Die Entscheidungen der Oberlandesgerichte divergieren. Um den Stand der Rechtsprechung zu illustrieren, seien hier einige aktuelle Entscheidungen hinsichtlich der Beurteilung der sog. „Gemeinschaftsstandards“ vorgestellt : 4.1.1. OLG München, Beschluss vom 24. August 2018 – 18 W 1294/18 Der 18. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München untersagte Facebook die Löschung eines Beitrages unterlegt mit einem Wilhelm Busch Zitat72 aufgrund einer Klausel73 in dem Richtlinienwerk des Plattformbetreibers. Diese Klausel benachteilige den Vertragspartner des Plattformbetreibers entgegen der Gebote von Treu und Glauben unangemessen gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, da es für die Löschung nach der Klausel allein auf die Ansicht des Plattformbetreibers ankomme 74 und diese im Hinblick auf die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte nicht vertretbar sei75. Im Einzelnen: „Nach dem Wortlaut der Klausel – dem zugleich die bei der gebotenen Auslegung zu Lasten des Verwenders (§ 305c Abs. 2 BGB) zugrunde zu legende kundenunfreundlichste Auslegung entspricht – kommt es für die Beurteilung der Frage, ob ein geposteter Beitrag gegen die Richtlinien der Antragsgegnerin verstößt und deshalb gelöscht werden darf, allein auf das Urteil der Antragsgegnerin an. Dieses einseitige Bestimmungsrecht der Antragsgegnerin steht im Widerspruch dazu, dass der Vertrag zwischen Nutzer und Plattformbetreiber gemäß § 241 Abs. 2 BGB seinem Inhalt nach beide Vertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichtet (ebenso LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 14.05.2018 – 2-03 O 182/18, S. 4).“76 Diese Auffassung begründet der 18. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München mit der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte auf die Auslegung zivilrechtlicher Generalklauseln: 72 "... Gar sehr verzwickt ist diese Welt, mich wundert's daß sie wem gefällt. Wilhelm Busch (1832 - 1908)“. Vgl. Tenor 1. des OLG München, Beschluss v. 24.08.2018 – 18 W 1294/18. Abrufbar unter: https://www.gesetze-bayern .de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2018-N-20659?hl=true. 73 "5. Schutz der Rechte anderer Personen Wir respektieren die Rechte anderer und erwarten von dir, dass du dies ebenfalls tust. 1. Du wirst keine Inhalte auf F posten oder Handlungen auf F durchführen, welche die Rechte einer anderen Person verletzen oder auf sonstige Art gegen das Gesetz verstoßen. 2. Wir können sämtliche Inhalte und Informationen, die du auf F postest, entfernen, wenn wir der Ansicht sind, dass diese gegen die Erklärung oder unsere Richtlinien verstoßen.“ Zitiert nach: OLG München, Beschluss vom 24. August 2018 – 18 W 1294/18 –, juris Rn. 23 ff. 74 OLG München, Beschluss vom 24. August 2018 – 18 W 1294/18 –, juris Rn. 26 f. 75 Ebd., Rn. 28 ff. 76 Ebd., Rn. 27 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 25 „Mit dem gebotenen Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz wäre es unvereinbar, wenn der Betreiber einer Social-Media -Plattform gestützt auf ein ‚virtuelles Hausrecht‘ auf der von ihm bereitgestellten Plattform den Beitrag eines Nutzers, in dem er einen Verstoß gegen seine Richtlinien erblickt, auch dann löschen dürfte, wenn der Beitrag die Grenzen zulässiger Meinungsäußerung nicht überschreitet.“77 4.1.2. OLG München, Beschluss vom 30. November 2018 – 24 W 1771/18 Im Widerspruch zu der Rechtsprechung des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München78 entschied der Einzelrichter des 24. Zivilsenats, „dass Nutzerbeiträge, die terroristische oder kriminelle Organisationen unterstützen, unabhängig davon, ob ein derartiger Beitrag durch die Meinungsfreiheit gedeckt ist, vom Plattformbetreiber entfernt werden.“79 Diese Entscheidung wurde damit begründet, dass die Richtlinien des Plattformbetreibers weder überraschend noch mehrdeutig seien, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit auf die Rechtsbeziehungen Privater untereinander nicht unmittelbar anwendbar sei, sodass der Nutzer der Plattform in seinen Rechten nicht eingeschränkt sei und der Nutzer keinen Anspruch auf Zugang zu – in Anbetracht der Vielfalt der Plattformen für soziale Medien – nicht-marktbeherrschenden Medien habe. In der Begründung führte der Richter aus: „Bei den Gemeinschaftsstandards handelt es sich aus Sicht des Beschwerdegerichts um allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinn des § 305 BGB, die wirksam in den zwischen dem Antragsteller und der Antragsgegnerin geschlossenen Vertrag einbezogen wurden. Dabei kann offen bleiben, ob auch nachträgliche Änderungen der Gemeinschaftsstandards Vertragsinhalt geworden sind, da die oben genannte Regelung betreffend die Unterstützung von terroristischen oder kriminellen Organisationen bereits in der ursprünglichen Fassung der Gemeinschaftsstandards enthalten war (vgl. Anlage K21). Die Gemeinschaftsstandards sind weder überraschend noch mehrdeutig im Sinn des § 305c BGB. Sie konkretisieren in zulässiger Weise, die bereits in den Nutzungsbedingungen enthaltene Verpflichtung des Antragstellers , keine gegen die Gemeinschaftsstandards verstoßende Inhalte in die Kommunikationsplattform einzustellen (vgl. Oberlandesgericht Dresden, Beschluss vom 08.08.2018 - 4 W 577/18). Die in den Gemeinschaftsstandards getroffenen Regelung, dass Beiträge, die terroristische oder kriminelle Organisationen unterstützen, von der Antragstellerin entfernt werden, hält auch einer inhaltlichen Überprüfung stand. Das Beschwerdegericht teilt insbesondere nicht die Auffassung, die Gemeinschaftsstandards müssten gewährleisten, dass 77 OLG München, Beschluss vom 24. August 2018 – 18 W 1294/18 –, juris Ls. 3. 78 Eine vorhergehende Entscheidung des 18. Zivilsenats wird unter 4.1.1 in dieser Ausarbeitung vorgestellt. 79 OLG München, Beschluss vom 30. November 2018 – 24 W 1771/18 – Löschungsbefugnis des Plattformbetreibers , Ls. 1. Entscheidung abrufbar unter: https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS- B-2018-N-50857?hl=true. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 26 Beiträge, die vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) gedeckt sind, nicht von der Kommunikationsplattform der Anstragsgegnerin entfernt werden (vgl. Oberlandesgericht München, Beschluss vom 24.08.2018 - 18 W 1294/18). Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gilt für die Rechtsbeziehungen Privater untereinander nicht unmittelbar. Vielmehr entfaltet sich der Rechtsgehalt der Grundrechte im Privatrecht mittelbar in der Weise, dass ihre verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen über die Auslegung von Generalklauseln und sonstigen auslegungsbedürftigen Begriffen im Privatrecht zur Geltung zu bringen sind. Die mittelbare Drittwirkung von Grundrechten ist demnach auch bei der Frage zu berücksichtigen, ob Allgemeine Geschäftsbedingungen den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen (§ 307 Abs. 1 BGB). Die Regelung, dass die Antragsgegnerin Beiträge löscht, die terroristische oder kriminelle Organisationen unterstützen, stellt auch unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG keine unangemessene Benachteiligung des Antragstellers im Sinn des § 307 BGB dar. Dabei ist zu sehen, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG grundsätzlich keinen Anspruch darauf gibt, dass demjenigen, der eine Meinung kundtun will, Mittel zur Meinungskundgabe zur Verfügung gestellt werden. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gibt insbesondere keinen Anspruch auf Zugang zu bestimmten Medien (vgl. Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 15 Aufl. 2015, Art. 5 Rdnr. 18 mit weiteren Nachweisen). Eben dies verlangt der Antragsteller jedoch, wenn er die Antragsgegnerin verpflichten will, seinen Beitrag mit den ihr zur Verfügung stehenden technischen Mitteln weiterhin auf ihrer Kommunikationsplattform zu verbreiten. Ein verfassungsrechtlicher Leistungsanspruch auf aktive Unterstützung bei der Meinungskundgabe besteht schon nicht gegenüber staatlichen Stellen und umso weniger gegenüber Privaten. Social Media Plattformen, wie die der Antragsgegnerin , sind auch nicht mit öffentlich zugänglichen Einrichtungen gleichzustellen, die als Forum öffentlicher Meinungsäußerung jedem zugänglich sein müssen. Vielmehr erfolgt eine zulässige Beschränkung der Nutzung von Social Media Plattformen bereits durch den in den Nutzungsbedingungen vorgegebenen Nutzungszweck. Dementsprechend ist die Antragsgegnerin im Rahmen der vertraglichen Zweckvereinbarung berechtigt, die Nutzung ihrer Plattform für die Verbreitung jeglicher Beiträge auszuschließen, die terroristische oder kriminelle Organisationen unterstützen, unabhängig davon, ob ein derartiger Beitrag im Einzelfall durch die Meinungsfreiheit gedeckt ist oder nicht. Der Antragsteller kann sich ferner nicht darauf berufen, die Antragsgegnerin nehme eine Monopolstellung als Medium zur Meinungsverbreitung ein. Dies ist - angesichts der Vielfalt der Möglichkeiten der Meinungsverbreitung innerhalb und außerhalb des Internets - offensichtlich nicht der Fall (vgl. hierzu Beurskens, ‚Hate-Speech‘ zwischen Löschungsrecht und Veröffentlichungspflicht, in NJW 2018, 3418/3419).“80 4.1.3. KG Berlin, Beschluss vom 22. März 2019 – 10 W 172/18 Das Kammergericht stützt den Wiederherstellungsanspruch des Klägers auf §§ 241 Abs. 2 i.V.m. 1004 BGB. Die Löschung des Videos und die darauf gestützte Einschränkung der Nutzung des Li- 80 OLG München, Beschluss vom 30. November 2018 – 24 W 1771/18 – Löschungsbefugnis des Plattformbetreibers , Rn. 20. Entscheidung abrufbar unter: https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z- BECKRS-B-2018-N-50857?hl=true. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 27 vestreamings seien „eine Pflichtverletzung hinsichtlich der vertraglich eingeräumten Nutzungsmöglichkeiten “, für die es an der erforderlichen Grundlage fehle.81 Dabei lässt es die Fragen, welche Rechtsnatur der zwischen den Beteiligten geschlossene Vertrag hat und ob und inwieweit die sog. „Community-Richtlinien“ zu berücksichtigen sind, offen. Der von YouTube entfernte Beitrag hätte nach Ansicht des Kammergerichts schon deshalb nicht gelöscht werden dürfen, weil er noch nicht einmal gegen die sog. „Community-Richtlinien“ verstoßen habe.82 Für den Untersuchungsgegenstand ebenfalls relevant ist das obiter dictum der Entscheidung: „Die Antragsgegnerin, die nach eigener Darstellung eine Video-Hosting- und Kommunikationsplattform betreibt, auf der Nutzern die Möglichkeit geboten wird, eigene Videoinhalte zum Abruf für Dritte einzustellen, und auf der mehrere 100 Millionen Videos eingestellt sind, hat bei der Anwendung ihrer Richtlinien in jedem Fall die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte, insbesondere des Grundrechts der Nutzer auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), zu berücksichtigen. Es muss deshalb gewährleistet sein, dass eine zulässige Meinungsäußerung nicht von der Plattform entfernt werden darf (vgl. OLG München, Beschl . v. 24.08.2018 – 18 W 1294/18, NJW 2018, 3115 unter Verweis auf LG Frankfurt a.M., MMR 2018, 545 m.w.N. zu Facebook).“83 Das Kammergericht kann also dahingehend interpretiert werden, dass keine von dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckte Äußerung von dem Plattformbetreiber entfernt werden darf. 4.1.4. OLG Nürnberg, Urteil vom 4. August 2020 – 3 U 3641/19 – Goldstücke – Richtlinien des Plattformbetreibers im Rahmen der Berufsfreiheit Das Oberlandesgericht Nürnberg entschied in einem derjenigen Urteile, die derzeit beim Bundesgerichtshof als Revisionsinstanz anhängig sind, dass „die Grundentscheidung, Maßnahmen zu ergreifen, damit sich andere Nutzer nicht wegen einer Verrohung von der Plattform des Betreibers eines sozialen Netzwerks abwenden,“ als unternehmerische Entscheidung in den Schutzbereich der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) fiele. „Wegen der kollidierenden Interessen kann in den Nutzungsbedingungen eines sozialen Netzwerks dem Äußernden wegen Art. 5 Abs. 2 GG z.B. ein ‚Mäßigungs- oder Sachlichkeitsgebot‘ auferlegt werden. Auf diese Art und Weise können die Freiheitsrechte der Beteiligten in ein Verhältnis praktischer Konkordanz gebracht und miteinander vereinbart werden.“ Die Benutzerrichtlinien des Plattformbetreibers seien dem Nutzer einseitig vorgegeben und daher Allgemeine Geschäftsbedingungen iSd §§ 305ff BGB und als solche einer Inhaltskontrolle zugänglich . Dieser hielten sie aber stand.84 81 KG Berlin, Beschluss vom 22. März 2019 – 10 W 172/18 – YouTube –, juris Rn. 15. 82 Ebd., Rn. 21, 24. 83 Ebd., Rn. 17. 84 OLG Nürnberg, Urteil vom 4. August 2020 – 3 U 3641/19 – Goldstücke –, juris Rn.68. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 28 Folgerichtig verneint das Gericht im Anschluss an die Rechtsprechung des OLG Dresden trotz eingeräumter Marktmacht der Plattform einen Kontrahierungszwang: „Auch wenn die Plattform der Beklagten im Bereich der sozialen Netzwerke in Deutschland eine überragend wichtige Stellung einnimmt, unterliegt die Beklagte im Rahmen allgemeiner Diskriminierungsverbote keinem Kontrahierungszwang, sondern ist bei der Auswahl ihrer Vertragspartner im Rahmen allgemeiner Diskriminierungsverbote frei (OLG Dresden, Beschluss vom 11. Dezember 2019 – 4 U 1680/19, juris-Rn. 7).85“ Eine Besonderheit dieses Urteils ist der Hinweis auf das aus dieser Prämisse konsequenterweise resultierende ordentliche Kündigungsrecht des Betreibers gegenüber dem Nutzer: „Zu berücksichtigen ist zudem, dass der Beklagten ein ordentliches Kündigungsrecht zusteht , auch wenn ein solches nicht vertraglich eingeräumt ist. Dies folgt daraus, dass bei Dauerschuldverhältnissen, die keine feste Laufzeit aufweisen, die Kündigungsmöglichkeit die Funktion hat, die Privatautonomie wiederherzustellen, indem die bestehenden Bindungen aufgehoben werden. Ohne jegliches Kündigungsrecht würde das Dauerschuldverhältnis die Parteien endlos aneinanderbinden und wechselseitig verpflichten, womit die vom Privatrecht als unerschöpflich vorausgesetzte Freiheitsbetätigung durch individuelle Selbstbestimmung ausgehöhlt würde. Bei Verträgen mit unbestimmter Vertragslaufzeit folgt das ordentliche Kündigungsrecht somit aus dem Bedürfnis zur Wiederherstellung umfänglicher Freiheitsentfaltungsmöglichkeit. Das Lösungsinteresse erlangt hier den Stellenwert eines rechtsethischen „Entpflichtungsinteresses“ (vgl. jeweils Sorge, JA 2017, 887 (889 f.); Esser/Schmidt Schuldrecht Allgemeiner Teil I/1, 8. Aufl. 1995, § 20 I pr (S. 320)). Die Frage kann daher lediglich lauten, mit welcher Frist die Beklagte ordentlich kündigen kann, und ob sie hierzu zwar nicht eines wichtigen Grundes wie in § 314 BGB, aber jedenfalls eines sachlich berechtigten Interesses bedarf. Ein sachlicher Grund könnte aber, auch in kartellrechtlicher Hinsicht, gerade daraus hergeleitet werden, dass die Beklagte sich und ihren Nutzern neue Regeln gibt und sie nicht parallel zwei oder mehr Regelwerke benutzen möchte.“86 4.1.5. OLG Dresden, Urteil vom 20. August 2020 – 4 U 784/20 – Wirksamkeit der Richtlinien des Plattformbetreibers Das Oberlandesgericht Dresden gelangt zu der Überzeugung, dass die Richtlinien eines Plattformbetreibers zwischen ihm und dem Nutzer wirksam vereinbart seien. Für die Wirksamkeit der Richtlinie im konkreten Fall sprechen nach Ansicht des Gerichts objektivierbare Kriterien, die Vorhersehbarkeit der Sanktion für den Nutzer, 85 OLG Nürnberg, Urteil vom 4. August 2020 – 3 U 3641/19 – Goldstücke –, juris Rn. 74. 86 Ebd., 77. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 29 keine Benachteiligung des Nutzers, da keine Verletzung wesentlicher Rechte des Nutzers , der Geschäftszweck des Plattformbetreibers: respektvoller Umgang, ein abgestuftes Sanktionssystem und ein Interesse des Plattformbetreibers, nicht als Störer in Anspruch genommen zu werden . Im Einzelnen begründet das Gericht dies wie folgt: „Die neuen Nutzungsbedingungen, insbesondere die darin enthaltenen Gemeinschaftsstandards sind, auch nach §§ 138, 307ff. BGB wirksam. Die in Ziffer 3. der Nutzungsbedingungen der Beklagten enthaltenen Sanktionsmöglichkeiten knüpfen an objektivierbare Kriterien an und sind auch nicht intransparent. Diese rechtliche Würdigung gilt sowohl für die Voraussetzungen, unter denen sich XXX Sanktionen vorbehält, als auch hinsichtlich der Rechtsfolgen. Richtig ist zwar, dass sich Ziffer 3.2 der Nutzungsbedingungen (Anlage K1) nicht im Einzelnen mit der Frage befasst, bei welchen Verstößen genau welche Sanktionen vorgesehen sind. Wie der Senat bereits mehrfach ausgeführt hat, genügt es aber, wenn der Nutzer weiß, dass ihn ein abgestuftes Sanktionssystem erwartet und die Beklagte je nach Schwere des Verstoßes eine Sanktion bis hin zur Deaktivierung des gesamten Kontos verhängen kann. Damit ist dem Nutzer hinreichend klar, dass ihn eine Sanktion treffen kann, an deren Ende bei wiederholten Zuwiderhandlungen gegen die Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards die komplette Deaktivierung des Kontos steht. Dies ist hinreichend transparent und benachteiligt den Kläger auch nicht unangemessen . Eine unangemessene Benachteiligung eines Vertragspartners des Verwenders im Sinne des § 397 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB, bei der der Verwender durch seine einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (BGH, Urteil vom 17.09.2009 - III ZR 207/08; Urteil vom 01.02.2005 - 10 ZR 10/04, jeweils nach juris und jeweils m.w.N.), liegt hierin schon deshalb nicht, weil hierdurch keine wesentlichen Rechte der Nutzer verletzt oder unangemessen beschränkt werden, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben. Nach der Natur des Nutzungsvertrages möchte die Beklagte eine Plattform zur Verfügung stellen, auf der die Nutzer einen respektvollen Umgang miteinander wahren und auf der sich jeder Nutzer „sicher“ fühlt (vgl. Gemeinschaftsstandards, dort unter „Einleitung“). Dies ist der Geschäftszweck, der dem Kunden bei Inanspruchnahme der Leistungen vor Augen geführt wird und zu dessen Definition die Beklagte als privater Anbieter berechtigt ist. Innerhalb eines solchermaßen definierten Vertragszwecks liegt keine unzulässige Einschränkung darin, bei Verstößen gegen die an diesem Vertragszweck orientierten Standards ein abgestuftes Sanktionssystem bis hin zur Deaktivierung des Kontos auszusprechen (vgl. OLG Dresden, 4 U 2890/19 - juris Rz. 27 m.w.N.; Senatsbeschluss vom 11.12.2019 - 4 U 1618/18 m.w.N.; OLG Hamm, Beschluss vom 16.03.2020 - I-22 U 40/19; Schleswig-Holstein. OLG, Urteil vom 26.02.2020 - 9 U 125/19; OLG Bamberg, Beschluss vom 06.02.2020 - 8 U 246/19; OLG München, Beschluss vom 30.11.2018 - 24 W 1771/18). Dabei darf auch nicht außer Betracht bleiben, dass der Vertrag zwischen Nutzer Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 30 und Plattformbetreiber gem. § 241 Abs. 2 BGB auch den Nutzer verpflichtet, bei der Inanspruchnahme von Leistungen auf die Belange des Betreibers Rücksicht zu nehmen (OLG München, Urteil vom 18.2.2020, 18 U 3465/19, Rn 79 - juris). Hierzu zählt auch das Interesse , von einer Inanspruchnahme als Störer nach dem NetzDG in weitestgehenden Ausmaß verschont zu bleiben.“87 5. Beiträge mit Hinweisen von sog. „Fakten-Checkern“ Da wie in 3.2.2. dargelegt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erwiesen unwahre oder bewusst unwahre und „meinungsfreie“ Tatsachenbehauptungen nicht der von der Verfassung geschützten Meinungsfreiheit unterliegen, spielt es im Verhältnis zwischen dem Vertragspartner des Plattform-Anbieters zu diesem in diesen Fällen keine Rolle, ob der Plattform-Anbieter einer – wie auch immer gearteten – Grundrechtsbindung unterliegt oder nicht. Der Plattform-Anbieter kann also aufgrund einer zivilrechtlichen Vereinbarung zwischen ihm und dem Verfasser einer erwiesen unwahren oder bewusst unwahren „meinungsfreien“ Tatsachenbehauptung diese sanktionieren. Dies kann z.B. dadurch geschehen, dass er den Beitrag mit einem Hinweis von sog. „Fakten-Checkern“ versieht – s.o. 2.4.88 Im Falle der verfassungsrechtlich garantierten Wissenschaftsfreiheit dürfte der Prüfspielraum von sog. „Fakten-Checkern“ erheblich geringer sein. Wie in 3.2.3. dargelegt wird sie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weit ausgelegt. Sie gilt für jeden, der sich wissenschaftlich betätigt – auch wenn er nicht mit einer wissenschaftlichen Institution verbunden ist. Selbst Mindermeinungen sowie Forschungsansätze und -ergebnisse, die sich als irrig oder fehlerhaft erweisen, werden von der Wissenschaftsfreiheit geschützt. Denn das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass Auffassungen, die sich in der wissenschaftlichen Diskussion durchgesetzt haben, der Revision89 und dem Wandel unterworfen bleiben. Wissenschaft muss auf Wahrheitserkenntnis gerichtet sein. Zumindest muss ein ernsthafter Versuch zur Findung der Wahrheit erkennbar sein. Wenn jedoch Fakten, Quellen, Ansichten und Ergebnisse, die die Auffassung des Autors in Frage stellen, systematisch ausgeblendet werden, kann dies ein Indiz dafür sein, vorgefassten Meinungen oder Ergebnissen lediglich den Anschein wissenschaftlicher Gewinnung oder Nachweisbarkeit zu verleihen. Dies dürfte dann nicht dem Schutz der Wissenschaftsfreiheit unterliegen. Allerdings reicht es laut Bundesverfassungsgericht nicht aus, 87 OLG Dresden, Urteil vom 20. August 2020 – 4 U 784/20 – Wirksamkeit der Richtlinien des Plattformbetreibers – juris Rn. 22; auch abrufbar unter: https://www.justiz.sachsen.de/esamosplus/pages/index.aspx. 88 Zum Verhältnis von sog. „Fakten-Checkern“ als mit einer online-Publikation im Wettbewerb stehenden Marktteilnehmern und den daraus resultierenden Sorgfaltspflichten unter dem Gesichtspunkt des lauteren Wettbewerbs : OLG Karlsruhe, Urteil vom 27. Mai 2020 – 6 U 36/20 – Fact-Check –, juris. 89 Zur Bedeutung der Revision und der Falsifizierbarkeit von wissenschaftlichen Auffassungen und Theorien in der wissenschaftlichen Erkenntnistheorie vgl. z. B. Popper, Karl, Logik der Forschung. Zur Erkenntnistheorie der modernen Naturwissenschaft, Wien 1935. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 31 wenn einem Werk in innerwissenschaftlichen Kontroversen zwischen verschiedenen inhaltlichen oder methodischen Richtungen die Wissenschaftlichkeit bestritten wird. Somit hätten sog. „Fakten-Checker“ bei wissenschaftlichen Äußerungen insbesondere Folgendes zu beachten: Liegt ein ernsthafter Versuch zur Wahrheits- und Erkenntnisgewinnung vor und wurden nicht systematisch Fakten, Quellen, Ansichten und Ergebnisse zur Unterstützung vorgefasster Meinungen oder Ergebnisse ausgeblendet. Ist dies der Fall, sind selbst Mindermeinungen sowie Forschungsansätze und -ergebnisse, die sich als irrig oder fehlerhaft erweisen, von der Wissenschaftsfreiheit verfassungsrechtlich geschützt. 6. Sanktionen für verfassungswidrig agierende Anbieter von Plattformen Strafrechtliche Konsequenzen für verfassungswidrig agierende Anbieter von Plattformen sind nicht erkennbar. Zivilrechtliche Ansprüche gegen verfassungswidrig agierende Anbieter von Plattformen umfassen – siehe oben – die uneingeschränkte Wiederherstellung des sanktionierten Beitrages. Dies bedeutet – je nach von dem Anbieter der Plattform ergriffenen Maßnahme – beispielsweise die Wiederherstellung eines gelöschten Beitrages oder die Entfernung einer Reichweitenbegrenzung. Daneben wäre ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch denkbar. Dies setzt aber voraus, dass der Vertragspartner des Anbieters einer Plattform einen vermögensrechtlichen, also in Geld zu beziffernden, Schaden erlitten hat. Dieser müsste von dem Vertragspartner des Anbieters einer Plattform nicht nur beziffert, sondern auch nachgewiesen werden. 7. Besonderheiten im Hinblick auf Mandatsträger, Parteien etc. Rechtliche Besonderheiten im Hinblick auf Mandatsträger, Parteien, Fraktionen etc. sind – von eventuellen besonderen Vereinbarungen zwischen dem Anbieter einer Social Media-Plattform und dem Nutzer – s. 2.4.2. nicht ersichtlich. 8. Fazit Die zentrale Frage bei der rechtlichen Beurteilung der Löschungspraxis/Sperrpraxis der Plattformbetreiber ist, ob von der allgemeinen Meinungs- bzw. Wissenschaftsfreiheit umfasste Äußerungen von Nutzern aufgrund von sog. „Gemeinschaftsstandards“ der Plattformbetreiber sanktioniert werden dürfen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 026/21 Seite 32 Die von dem Betreiber einer Plattform einseitig festgelegten sog. „Gemeinschaftsstandards “ sind nach überwiegender Auffassung Allgemeine Geschäftsbedingungen und unterliegen einer entsprechenden Inhaltskontrolle durch die Zivilgerichte. Im Rahmen dieser Inhaltskontrolle wird u.a. geprüft, ob das so statuierte „virtuelle Hausrecht“ des Betreibers einer Plattform ein wirksamer Bestandteil des Vertrages zwischen ihm und dem Nutzer geworden ist. Dies wäre nur dann der Fall, wenn durch die sog. „Gemeinschaftsstandards“ eine Balance zwischen den Grundrechten des Nutzers und denjenigen des Betreibers der Plattform gewahrt wäre. Fraglich ist dabei, unter welchen Voraussetzungen genau dies gewährleistet ist und in welcher Ausprägung eine Grundrechtsbindung des Anbieters einer Social Media-Plattform gegeben ist. Dabei müsste im konkreten Einzelfall geprüft werden, ob und gegebenenfalls welche Sanktionierung eines bestimmten Beitrages eines Nutzers aufgrund eines Verstoßes gegen eine oder mehrere Regelungen des oft sehr umfangreichen Regelungswerks der Betreiber von Plattformen verfassungskonform und damit wirksam ist. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zu diesen Fragen divergiert. Eine höchstrichterliche Entscheidung liegt derzeit nicht vor. Der Bundesgerichtshof wird als Fachgericht zu der Problematik am 22. Juli 2021 Stellung nehmen. ****