© 2021 Deutscher Bundestag WD 10 – 3000 – 026/20 Rechtliche Bewertung von volksverhetzenden Hörbüchern im Internet und Hinweisen auf sie Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 026/20 Seite 2 Rechtliche Bewertung von volksverhetzenden Hörbüchern im Internet und Hinweisen auf sie Aktenzeichen: WD 10 – 3000 – 026/20 Abschluss der Arbeit: 24. Juni 2020 Fachbereich: WD 10: Kultur, Medien und Sport Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 026/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorbemerkung 4 2. Hörbücher 4 2.1. Gerard Menuhin: Wahrheit sagen – Teufel jagen! 4 2.1.1. Jugendschutz 4 2.1.2. Allgemeines Strafrecht 5 2.2. Benton L. Bradberry: Das Märchen vom bösen Deutschen 5 3. Erfüllung von Straftatbeständen 5 3.1. Mögliche Strafbarkeit des Sprühers 5 3.2. Mögliche Strafbarkeit der Autoren 6 3.3. Mögliche Strafbarkeit derjenigen Person, die das Hörbuch auf die Plattform eingestellt hat 6 3.4. Mögliche Strafbarkeit von Internet-Providern 6 3.4.1. Access-Provider 6 3.4.2. Host-Service-Provider 7 3.4.3. URL-Verkürzungsdienst 7 4. Strafverfolgung 7 5. Zusammenfassung 7 6. Anlage 8 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 026/20 Seite 4 1. Vorbemerkung Dieser Darstellung der rechtlichen Bewertung – mit Ausnahme von Beleidigungsdelikten und Sachbeschädigung – von im Internet zugänglichen volksverhetzenden Hörbüchern und von Hinweisen auf diese Hörbücher in Deutschland liegt folgender Sachverhalt zugrunde: In einer deutschen Großstadt wurden mittels einer Sprühschablone Titel jugendgefährdender bzw. vermutlich volksverhetzender Bücher und darauf hinweisende verkürzte URL1 auf die Fahrbahn einer belebten Straße gesprüht. 2. Hörbücher Im Rahmen dieses Sachstandes kann eine rechtlich bindende Bewertung der beworbenen Hörbücher nicht vorgenommen werden. Dennoch sei auf einige Aspekte hingewiesen: 2.1. Gerard Menuhin: Wahrheit sagen – Teufel jagen! 2.1.1. Jugendschutz Das diesem Hörbuch zugrunde liegende Buch wurde von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien am 28. Mai 2018 von Amts wegen auf Anregung des Bundesamtes für Verfassungsschutz und der Staatsanwaltschaft Gießen in Teil B der Liste jugendgefährdender Medien eingetragen.2 Nach Auffassung der Bundesprüfstelle verharmlost das Buch den Nationalsozialismus und reizt den Leser zum Rassenhass an. Der Autor bediene sich wissenschaftlicher Quellen, um die Fakten des Zweiten Weltkrieges infrage zu stellen. Dies geschehe gezielt durch die Aneinanderreihung einer Vielzahl von Zitaten. Diese sollen zur Belegung von Aussagen dienen, die bei dem Leser selbst eine kritische Haltung und ein Hinterfragen der allgemein bekannten Fakten über den Zweiten Weltkrieg hervorrufen sollen. Der Autor habe in seinen Text Wertungen eingearbeitet, die die Literatur über die Geschehnisse des Zweiten Weltkrieges als erfunden bezeichnet. Er rücke sich selbst in das Licht eines unvoreingenommenen Forschers, der jedoch fast ausschließlich zum Nachteil des Nationalsozialismus voreingenommene Quellen vorfinde.3 Mit Bekanntmachung der Indizierung im Bundesanzeiger gelten weitreichende Abgabe-, Präsentations-, Verbreitungs-, Vertriebs- und Werbebeschränkungen nach § 15 Abs. 1 JuSchG4. 1 Die Abkürzung URL steht für „Uniform Resource Locator", auf Deutsch bedeutet dies "einheitlicher Ressourcenanzeiger". Es handelt sich dabei um einen Standard, mit dem bestimmte Inhalte aufgerufen werden. Hauptsächlich werden URLs verwendet, um Webseiten anzusteuern. 2 Entscheidung Nr. 13441 (V) vom 4. Mai 2018 – bekannt gemacht im Bundesanzeiger AT vom 28. Mai 2018. 3 Ausführlich dazu: Ebenda. 4 Jugendschutzgesetz vom 23. Juli 2002 (BGBl. I S. 2730), das zuletzt durch Artikel 11 des Gesetzes vom 10. März 2017 (BGBl. I S. 420) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 026/20 Seite 5 Diesen Beschränkungen unterliegen auch nach § 15 Abs. 3 JuSchG, ohne dass es einer Aufnahme in die Liste und einer Bekanntmachung bedarf, Trägermedien, die mit einem Trägermedium, dessen Aufnahme in die Liste bekannt gemacht ist, ganz oder im Wesentlichen inhaltsgleich sind. Nach § 16 JuSchG bleiben Regelungen zu Telemedien, die in die Liste jugendgefährdender Medien aufgenommen sind, Landesrecht vorbehalten. Verstöße gegen § 15 JuSchG sind nach §§ 27f JuSchG bußgeld- und strafbewehrt. 2.1.2. Allgemeines Strafrecht Das AG Schleswig, dass hier exemplarisch genannt sei, ordnete die Beschlagnahme von Exemplaren dieses Buches in Papierform zur Sicherung der Einziehung oder Unbrauchbarmachung gem. §§ 111b, 111q StPO5 i.V.m. § 74 Abs. 1 S. 2 StGB6 an.7 Im Auftrag der Staatsanwaltschaft Flensburg wurde gegen den Inhaber eines Verlages, der dieses Buch vertrieben hat, ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung gem. § 130 StGB geführt, das aber wegen des Todes des Verdächtigen nicht weitergeführt wurde.8 Offen bleibt daher, welche Tatbestandsalternativen des § 130 StGB verwirklicht worden wären. Vor diesem Hintergrund kann davon ausgegangen werden, dass es stichhaltige Anhaltspunkte dafür gibt, dass dieses Buch einen volksverhetzenden Charakter nach § 130 StGB hat. 2.2. Benton L. Bradberry: Das Märchen vom bösen Deutschen Polizeiliche Erkenntnisse dazu liegen nach Kenntnis des Verfassers nicht vor. 3. Erfüllung von Straftatbeständen Unter der Annahme, dass die Bücher volksverhetzend im Sinne des § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB sind, könnten sich folgende Personen strafbar gemacht haben: 3.1. Mögliche Strafbarkeit des Sprühers Dadurch, dass der Sprüher den Titel des jeweiligen Buches mit der verkürzten URL auf die Straße gesprüht hat, hat er Passanten dazu bestimmen wollen, die Seite mit dem vermutlich volksverhetzenden Hörbuch aufzurufen. Nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 StGB wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer eine volksverhetzende Schrift – und einer solchen stehend nach § 11 StGB Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und 5 Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 22. April 2020 (BGBl. I S. 840) geändert worden ist. 6 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 3. März 2020 (BGBl. I S. 431) geändert worden ist. 7 Beschluss vom 12. Februar 2019 – Az. 51 Ds 107 Js 7529/17. 8 Staatsanwaltschaft Flensburg – Az. 107 Js 7529/17. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 026/20 Seite 6 andere Darstellungen gleich – im Sinne des § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB bewirbt. Darunter wird jegliche werbende Tätigkeit verstanden.9 Insofern ist es nicht unwahrscheinlich, dass ein Strafgericht zu dem Urteil kommt, dass der aufgespritzte Titel mit der verkürzte URL tatsächlich eine strafbare Werbehandlung ist. 3.2. Mögliche Strafbarkeit der Autoren Die bloße Anfertigung volksverhetzender Schriften stellt noch keinen Straftatbestand im Sinne des § 130 StGB dar. 3.3. Mögliche Strafbarkeit derjenigen Person, die das Hörbuch auf die Plattform eingestellt hat Gem. § 130 Abs. 2 StGB wird ebenfalls mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer eine Schrift im Sinne des § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB verbreitet, der Öffentlichkeit zugänglich macht oder einer Person unter 18 Jahren anbietet, überlässt oder zugänglich macht. Zugänglich wird eine Schrift schon dann, wenn sie zum Lesezugriff ins Netz gestellt wird. Dabei reicht schon die bloße Möglichkeit des Zugriffs aus – es ist nicht erforderlich, dass tatsächlich ein Zugriff durch einen Internetnutzer erfolgt.10 Die einstellenden Personen machen sich nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 StGB auch deshalb strafbar, weil sie volksverhetzende Inhalte mittels Rundfunk oder Telemedien einer Person unter 18 Jahren oder der Öffentlichkeit zugänglich machen. 3.4. Mögliche Strafbarkeit von Internet-Providern 3.4.1. Access-Provider Access-Provider bieten Dienste, Inhalte oder technische Leistungen, die für die Nutzung oder den Betrieb von Inhalten und Diensten im Internet erforderlich sind an. Ohne sie wäre die informationelle und physische Verbreitung von volksverhetzenden Inhalten nicht möglich. Insofern läge es nahe, hier eine Strafbarkeit in Erwägung zu ziehen. Access-Provider sind Diensteanbieter im Sinne des Telemediengesetzes (TMG)11. Gemäß § 10 Satz 1 TMG sind Dienstanbieter für fremde Informationen, die sie für den Nutzer speichern, nicht verantwortlich, sofern sie keine Kenntnis von der rechtswidrigen Handlung oder der Information haben oder sie unverzüglich tätig geworden sind, um die Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren, sobald sie Kenntnis erlangt haben. Diese Haftungsprivilegierung erstreckt sich nicht nur auf zivilrechtliche Belange, sondern beansprucht laut Beschluss des Kammergerichts Berlin „rechtsgebietsübergreifend Geltung“ aufgrund der Einheit der Rechtsordnung und somit auch eine Anwendung im Strafrecht. Diese Beschränkung der 9 Fischer, Strafgesetzbuch Kurzkommentar, 66. Aufl. 2019, § 184, Rn. 16. 10 BeckOK StGB/Ziegler 46. Ed. 1. Mai 2020, StGB § 184b Rn. 12 mwN. 11 Telemediengesetz vom 26. Februar 2007 (BGBl. I S. 179), das zuletzt durch Artikel 11 des Gesetzes vom 11. Juli 2019 (BGBl. I S. 1066) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 026/20 Seite 7 strafrechtlichen Verantwortlichkeit sei vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollt. Eine strafrechtliche Belangung der Anbieter als Gehilfe nach § 27 StGB sei daher ausgeschlossen, sofern nicht eine positive Kenntnis von der Begehung der Haupttat und damit eine Kollusion vorliege. 12 3.4.2. Host-Service-Provider Auch dem Host-Service-Provider, der den Speicherplatz für die volksverhetzende Schrift zur Verfügung stellt, ist dies nicht zurechenbar, weil die inhaltsfreie Bereitstellung des Speicherplatzes als solche keine rechtlich missbilligte Gefahr schafft. Auch hier ist die Strafbarkeit bei einem kollusiven Zusammenwirken von Host-Service-Provider und Nutzer anzunehmen.13 Ob dies im Einzelfall zutrifft, ist Tatfrage. 3.4.3. URL-Verkürzungsdienst Diese Gedanken sind auch auf den URL-Verkürzungsdienst zu übertragen, sodass auch hier grundsätzlich keine Strafbarkeit besteht. 4. Strafverfolgung Problematisch – und darauf sei hier nur allgemein hingewiesen14 – ist die Strafverfolgung, wenn ein möglicher Täter sich im Ausland aufhält oder der Server, auf dem die volksverhetzende Datei gespeichert ist, sich außerhalb der Bundesrepublik Deutschland bzw. der EU befindet. Zum einen ist ein sehr hoher Ermittlungsaufwand erforderlich, zum anderen ist bei einem abstrakten Gefährdungsdelikt wie der Volksverhetzung umstritten, welches Recht anzuwenden ist. Schließlich sei noch erwähnt, dass nicht nur fehlende Kooperation mit Ländern außerhalb der EU problematisch ist, sondern auch die die Rechtslage dort. In den vereinigten Staaten von Amerika beispielsweise ist die Leugnung des Holocausts kein Straftatbestand. 5. Zusammenfassung Im vorliegenden Fall könnten sich bei angenommenen Vorliegen des Straftatbestandes der Volksverhetzung der Sprüher wegen der Werbung für eine volksverhetzende Schrift nach § 130 12 KG Berlin, Beschluss vom 25. August 2014 – 4 Ws 71/14. Juris Rn. 16 mwN. 13 Vgl. Fischer, Strafgesetzbuch Kurzkommentar, 66. Aufl. 2019, § 184, Rn. 28ff mwN. 14 Ausführlich dazu: Götting, Bert: Das Tatortprinzip im Internet anhand des Beispiels der Volksverhetzung. In: Kriminalistik 2007, S. 615-620. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 026/20 Seite 8 Abs. 2 Nr. 3 StGB und die einstellende Person nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB wegen Zugänglichmachung der Schrift strafbar gemacht haben. 6. Anlage Götting, Bert: Das Tatortprinzip im Internet anhand des Beispiels der Volksverhetzung. In: Kriminalistik 2007, S. 615-620. ****