Deutscher Bundestag Social Media und politische Teilhabe Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 10 – 3000/026-2011 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000/026-2011 Seite 2 Social Media und politische Teilhabe Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 10 – 3000/026-2011 Abschluss der Arbeit: 12.4.2011 Fachbereich: WD 10 Kultur, Medien und Sport Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000/026-2011 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Nutzerzahlen von Facebook 2009 bis 2011 4 2. Wer nutzt social media und zu welchem Zweck? 5 3. Ist Facebook ein Mittel zur Mobilisierung von Bürgern für politische Aktionen? 6 4. Verändert Facebook das Verfahren öffentlicher Petitionen? 9 5. Bietet Facebook die Möglichkeit des Missbrauchs von Nutzerdaten für Petitionen? 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000/026-2011 Seite 4 1. Nutzerzahlen von Facebook 2009 bis 2011 Die Bedeutung sozialer Netzwerke steigt in der ganzen Welt in rasantem Tempo. Auch in Deutschland haben die Netzwerke in den letzten Jahren erhebliche Verbreitung erfahren. Die Community von Facebook verzeichnet dabei die größten Zuwächse: Facebook selbst gibt die Zahl seiner deutschen Nutzer aktuell mit knapp 18 Millionen an, im März 2011 waren es gut 16 Millionen , im Februar 2011 waren es rund 15 Millionen.1 Der Zuwachs allein von März bis April liegt demnach bei rund zehn Prozent. Im Juli 2010 waren es 10 Millionen, im Juli 2009 knapp 3,5 Millionen . Weltweit nutzen rund 650 Millionen Menschen Facebook, Deutschland liegt im internationalen vergleich auf Rang 11. Die mit Abstand meisten Mitglieder innerhalb eines Landes gibt es mit rund 152 Millionen in den USA.2 In Deutschland nutzen nach der ARD/ZDF-Onlinestudie 20103 rund 49 Millionen Deutsche (69,4 Prozent der deutschsprachigen Erwachsenen) das Internet insgesamt. Nach dieser Untersuchung nutzen 32 Prozent der Anwender auch Online-Communitys - das sind gut 15 Millionen Anwender . Im Jahr 2009 lag ihr Anteil noch bei 27 Prozent. „Der Erfolg privater Communitys geht auch 2010 weiter“, so ein Ergebnis der Onlinestudie4. Die meisten deutschen Anwender haben sich demnach aber nicht auf ein bestimmtes Netzwerk festgelegt, sondern fahren mehrgleisig: Im Durchschnitt ist jeder Besitzer eines eigenen Profils Mitglied in zwei sozialen Netzwerken.5 Das Internet wird immer stärker in den Alltag der Bundesbürger eingebunden. Mit einer Tagesreichweite von 76 Prozent und einer durchschnittlichen Nutzungsfrequenz von 5,7 Tagen je Woche und einer Nutzungsdauer von durchschnittlich 136 Minuten erreicht das Internet inzwischen eine Reichweite, die der des Fernsehens vergleichbar ist.6 Wenn aber rund ein Drittel der „Onliner “ Mitglied in einer privaten Community sind, heißt das andererseits, dass rund zwei Drittel von diesem Angebot (noch) nicht Gebrauch machen. Nicht zuletzt der Aspekt der Datensicherheit spielt dafür eine große Rolle.7 1 Vgl. die Angaben bei: http://allfacebook.de/zahlen_fakten (Stand:12.4.2011) 2 Vgl. Artikel „Facebook“ in „Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Facebook (Stand: 12.4.2011) 3 Van Eimeren, Birgit, und Beate Frees, Fast 50 Millionen Deutsche Online – Multimedia für alle? Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2010, in: Media Perspektiven 7/8 2010, S. 334-349. 4 Busemann, Katrin, und Christoph Gscheidle, Web 2.0: Nutzung steigt – Interesse an aktiver Teilhabe sinkt. Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie, in Media Perspektiven 7/8 2010, S.359-368: 361. 5 Van Eimeren 2010: 341f. 6 Van Eimeren 2010: 345. 7 Busemann 2010: 366. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000/026-2011 Seite 5 2. Wer nutzt social media und zu welchem Zweck? Eine neue Untersuchung von Bernadette Kneidinger8 kommt zu dem Resümee, dass Facebook inzwischen zu einer beliebten Anwendung im Internet gehört. So sähen immerhin fast zwei Drittel der Nutzer im deutschsprachigen Raum Facebook als integralen Bestandteil des Alltags, eine Mehrheit der Nutzer spüre sogar eine emotionale Bindung an das Netzwerk, ein Gefühl der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft.9 Die Studie „Digitale Gesellschaft“10 hat die Nutzer sozialer Netzwerke in sechs Nutzertypen unterteilt : den „digitalen Außenseiter“, den „Gelegenheitsnutzer“ und den „Berufsnutzer“ – diese drei Typen sind die „digital wenig Erreichten“ – sowie den „Trendnutzer“, die „digitalen Profis“ und die „digitale Avantgarde“ – diese drei sind die „digital Souveränen“. Der Anteil der „digital Souveränen“ an der Gesamtbevölkerung beträgt demnach lediglich 37 Prozent, während der Anteil der „digital wenig Erreichten“ 63 Prozent ausmacht. Während knapp 80 Prozent der „digital Souveränen“ soziale Netzwerke nutzen, sind es bei den „digital wenig Erreichten“ lediglich 29 Prozent.11 Die Motive für die Nutzung von Facebook zeugten nach der Studie von Kneidinger von einer eindeutig sozialen Ausrichtung des Netzwerkes.12 Facebook werde in erster Linie zur Pflege bzw. Intensivierung bestehender Kontakte genutzt. So nutze mehr als ein Drittel der Befragten das Netzwerk weniger als 30 Minuten pro Tag, während es 16 Prozent der Befragten mehr als drei Stunden nutzten. Ein Drittel hat weniger als 50 „Freunde“, jeder Fünfte hat zwischen 50 und 100 und nur knapp 7 Prozent haben mehr als 300 Personen in ihren Freundeslisten.13 Am wenigsten bedeutsam sei die Dimension der „allgemeinen Informationsfunktion“: Wer Informationen suche, der sehe das soziale Netzwerk nicht als primäre Anlaufstelle.14 Auch die ARD/ZDF-Onlinestudie fragte diesmal differenziert nach verschiedenen Möglichkeiten der Nutzung, um auch über die reine Kommunikation hinausgehende Möglichkeiten zur aktiven Teilhabe abzufragen. Dabei zeigte sich, dass Communitys in erster Linie der reinen Kommunikation dienen. So gaben 79 Prozent der Nutzer von privaten Communitys an, dass sie mindestens einmal wöchentlich Beiträge schreiben, persönliche Nachrichten verschicken und chatten, bei 8 Kneidinger, Bernadette, Facebook und Co. Eine soziologische Analyse von Interaktionsformen in Online Social Networks. mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Rudolf Richter, Wiesbaden 2010. 9 Kneidinger 2010: 130. 10 Digitale Gesellschaft. Die digitale Gesellschaft in Deutschland – Sechs Nutzertypen im Vergleich. Eine Studie der Initiative D 21, durchgeführt von TNS Infratest, Dezember 2010. 11 Digitale Gesellschaft 2010: 24. 12 Kneidinger 2010: 129f. 13 Kneidinger 2010: 82. 14 Kneidinger 2010: 131. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000/026-2011 Seite 6 den 14- bis 19jährigen sind es sogar über 95 Prozent.15 Dabei kommt den persönlichen Nachrichten die größte Bedeutung zu. Auch das Kennenlernen neuer Personen und die Etablierung von „Online-Bekanntschaften“ spielt für die Nutzer sozialer Netzwerke kaum eine Rolle. Über das Netzwerk wird vielmehr hauptsächlich mit den Personen kommuniziert, die auch vorher schon Freunde und Bekannte waren. 3. Ist Facebook ein Mittel zur Mobilisierung von Bürgern für politische Aktionen? Offenkundig ist Facebook als Kommunikationsbörse prinzipiell geeignet, Bürgerinnen und Bürger für politische Aktionen zu gewinnen und zu aktivieren. Aktuelles Beispiel ist der Bürgerprotest in Tunesien, Ägypten und Libyen, der nach Presseberichten durch das Internet wesentlichen Auftrieb erhielt.16 Nicht von ungefähr sind die sozialen Netzwerke der Führung in China ein „Dorn im Auge“.17 Ein fast schon „klassisches“ Beispiel dafür ist der Wahlkampf von Barack Obama, der ihm nicht zuletzt dank der Einbeziehung sozialer Netzwerke den Wahlsieg bescherte. Ein Beispiel aus Deutschland ist der Blog „Wir in NRW“, der nicht unwesentlich zur Wahlniederlage des damaligen Ministerpräsidenten Rüttgers beigetragen hat.18 Auch der Protest gegen den geplanten Neubau des Stuttgarter Bahnhofs formierte und organisierte sich nicht zuletzt via Internet.19 Ebenso wurde die Dekuvrierung der Plagiatsstellen in der Dissertation des ehemaligen Verteidigungsministers Guttenberg durch die schnelle Aktivierung vieler Internet-Nutzer beschleunigt – wie sich auch nach seinem Rücktritt in den social networks schnell Solidaritäts-Bewegungen formiert haben, die mehrere Hunderttausend Unterzeichner gefunden haben sollen.20 15 Busemann 2010: 365. 16 Vgl. z.B. „Afrika twittert sich in die Freiheit“, Welt am Sonntag, 6.3.2011 oder „Die Facebook-Generation probt den Aufstand. Proteste in Zagreb nach Internetaufruf. Tausende fordern den Rücktritt der Regierung“, Die Tageszeitung , 4.3.2011 oder „Brodeln im Netz – von Marokko bis Saudi-Arabien wächst die Wut“, Süddeutsche Zeitung, 26.2.2011 oder „Wenn aus Facebook Wirklichkeit wird – Von Online ins Offline: Wie in der arabischen Welt die Revolten aus dem Internet auf die Straße getragen werden“, Frankfurter Rundschau, 24.2.2011 oder „Arabiens Facebook-Jugend verjagt die Greise, Handelsblatt, 4.2.2011. 17 Vgl. „Soziale Netzwerke sind China ein Dorn im Auge“ Facebook eröffnet ein Büro in Hongkong, bleibt in China aber gesperrt. Peking lässt nur heimische Anbieter zu“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.2.2011. 18 Vgl. „Die Macht der Blogger“, Neue Zürcher Zeitung, 15.3.2011. 19 Vgl. z.B. „Vom Bauzaun ins Netz: der Protest 2.0 Tagesthema. Das Onlineforum Facebook hat schon bei der Bundespräsidentenwahl eine große Rolle gespielt. Auch beim Projekt Stuttgart 21 ist das Internet für die Meinungsbildung und Mobilisierung enorm wichtig“, Stuttgarter Zeitung, 1.9.2010 oder „Widerstand vernetzt sich in den neuen Medien. Im Streit um das Bahnprojekt S 21 hat das Internet zentrale Funktion“, Saarbrücker Zeitung, 5.10.2010. 20 Vgl. „Fans wollen ihren Freiherrn wiederhaben. Während einige im Internet Solidaritätsaktionen organisieren, macht Guttenberg die Abschiedstour“, Berliner Zeitung, 3.3.2011, oder „Rufe nach einem Rücktritt vom Rücktritt . Über 300.000 Guttenberg-Fans versammeln sich bei Facebook im Internet“, Die Welt, 3.3.2011, oder „Danke dafür – Karl-Theodor zu Guttenberg spricht zu seinen Fans auf Facebook“, Die Welt, 23.3.2011. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000/026-2011 Seite 7 Schließlich sind die sozialen Netzwerke auch in den Blick der Terroristen-Fahnder geraten, denn auch in Deutschland nutzen islamistische Fundamentalisten die sozialen Netzwerke als Plattform .21 Ein weiteres Beispiel für die Möglichkeit politischer Aktivierung via Facebook sind die Nachrichten über Rechtsradikale, die über soziale Netzwerk in teilweise subtiler Art und Weise Gefolgschaft zu rekrutieren versuchen22, und entsprechende Gegenkampagnen im Netzwerk.23 Inwieweit die sozialen Netzwerke tatsächlich eine politische Mobilisierung ausgelöst haben, ist in der Presse gerade mit Blick auf die Unruhen in Nordafrika kontrovers diskutiert worden. Einerseits wurde die wichtige Rolle der Netzwerke beschworen („Facebook-Revolution“), andererseits wurde davor gewarnt, die Rolle der Netzwerke höher zu bewerten als die Aktivität der Menschen - das Internet sei letztlich nur ein Mittel unter mehreren, Protest auszudrücken und zu organisieren .24 Rolle und Bedeutung sozialer Netzwerke lassen sich für politische Akteure offenbar schwer kalkulieren . Nach dem erfolgreichen Wahlkampf von Barack Obama haben auch in Deutschland Politiker und Parteien versucht, über Netzwerke Anhänger zu rekrutieren und zu mobilisieren. Sie haben allerdings (mit Ausnahme der erfolgreichen Piratenpartei) die Erfahrung gemacht, dass sich die in Amerika erfolgreiche Strategie nicht einfach kopieren und auf die Verhältnisse – also etwa Art und Grad der Organisation - im deutschen Wahlkampf übertragen ließ.25 Christoph Bieber verbucht die Versuche, soziale Netzwerke in den Wahlkampf einzubinden, als „Experimente “,26 die bald wieder in die zweite Reihe gedrängt wurden hinter den „klassischen“ Formen 21 Vgl. „Wenn Surfen radikal macht“ – Tausende Deutsche sind in islamistischen Netzforen aktiv – das Phänomen stellt die Behörden vor Probleme“, Süddeutsche Zeitung, 9.3.2011 oder „Tödliche Welt. Der Frankfurter Flughafenattentäter Arid U. mochte Waffen und Ballerspiele und radikalisierte sich über das Internet. Die Ermittler wollen nun verstärkt soziale Netzwerke überwachen“, Der Spiegel, 14.3.2011. 22 Vgl. „Extrem unerwünscht. Rechtsradikale versuchen verstärkt, in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Studi VZ ihr braunes Gedankengut zu verbreiten. Die Betreiber wehren sich – mit unterschiedlichem Erfolg“, Hamburger Abendblatt, 25.2.2011. 23 Vgl. z.B. „Kampagne gegen Neonazis in sozialen Netzwerken“, Die Welt, 12.10.2010. 24 Vgl. „Überschätzte Netzwerke“, Berliner Zeitung, 9.3.2011 oder „Tweets geschickt, Diktatoren gestürzt? Die Rolle der sozialen Netzwerke bei den Umstürzen in Nordafrika und im Nahen Osten wird überschätzt. Sie sind ein wichtiges Werkzeug, mehr jedoch nicht“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.3.2011 oder „Wir fangen bei null an. War das in Ägypten nun eine Facebook-Revolution oder nicht? Eine Kairoer Bloggerin berichtet“, Der Freitag, 17.3.2011 oder „Die Kinder der Facebook-Revolution“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.2.2011 oder „Die letzte Schlacht der Cyber-Utopisten. Die Opposition in Ägypten gewinnt auch ohne Internet-Verbindungen an Kraft“, Neue Zürcher Zeitung, 3.2.2011 oder „Revolution offline. Die Umstürze brauchen kein Internet – es kann die Demonstranten sogar gefährden“, Die Zeit, 3.2.2011 oder „Die zwei Gesichter des weltweiten Netzes. Das Datennetz und soziale Netzwerke helfen Regimekritikern – und autoritären Regierungen“, Frankfurter Rundschau, 2.2.2011 oder „Hoffen auf das Web 3.0. Das Netz wird als Mittel politischer Einflussnahme immer wichtiger. Deshalb ist es aber noch lange kein Allheilmittel“, Süddeutsche Zeitung, 1.2.2011. 25 Vgl. Bieber, Christoph, Politik Digital. Online zum Wähler, Salzhemmendorf 2010: 33-37. 26 Bieber 2010: 38, 45. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000/026-2011 Seite 8 einer Einbindung des Internets in den Wahlkampf.27 Die Frage, wie auch soziale Netzwerke erfolgreich in die politische Kommunikation eingebunden werden können, ist aber seitdem auf der Agenda.28 Immer stärker formieren sich neue Akteure im politischen Kommunikationsprozess wie etwa „netzpolitik.org“, „@sachalobo“ oder der „Chaos Computer Club“. Weitere Akteure werden sich formieren, so Christoph Bieber, „die sich mit dem Kontext einer neuartigen Medialisierung von Politik beschäftigen und dabei den etablierten politischen Kräften auf der einen und den Vertretern herkömmlicher Massenmedien auf der anderen Seite voraus sind. Das Resultat wird eine neue politische Öffentlichkeit sein, die sich nicht auf die Beobachtung und Begleitung politischer Prozesse beschränken wird, sondern auch … aktiv in deren Gestaltung eingreift.“29 Für Deutschland gibt es einige ältere Studien, die den Einfluss der Internet-Kommunikation auf die politische Mobilisierung und Partizipation eher skeptisch beurteilten30 Christoph Meißelbach kommt mit Blick auf diese Studien zu dem Resümee: „Politische Angebote im Internet werden hauptsächlich von Akteuren ohnehin politikaffiner Gruppen genutzt… In anderen Milieus wird das Internet (wenn überhaupt) hauptsächlich für politikferne, unterhaltungsorientierte Belange genutzt.“31 Auch die Dissertation von Sandra Huber kommt zu der Einschätzung: „ Die empirischen Ergebnisse der vorliegenden Arbeit bestätigen, dass das Internet eine Erweiterung des politischen Kommunikationsraumes darstellt, allerdings bislang vor allem für diejenigen, die auch offline aktiver an der politischen Kommunikation teilnehmen und an politischen Entscheidungen partizipieren.“32 Auch der Grad der Ausschöpfung digitaler Demokratiepotentiale sei denkbar gering: „Das Internet wird nur sehr selten für interaktive Konsultation und so gut wie nie für dezentrale Konversation in politischen Kommunikationsprozessen genutzt, in die Bürger involviert sind… Aber auch das Verlangen der Bürger selbst, sich aus der Peripherie der Kommunikation wegzubewegen und im Internet aktiv politisch zu kommunizieren, ist derzeit (noch) recht gering ausgeprägt.“33 Allerdings stammen die Ergebnisse solcher Studien noch aus einer Zeit, bevor die sozialen Netzwerke eine bemerkenswerte Rolle gespielt haben. Daher wäre zu fragen, wie groß das Mobilisierungspotential der Netzwerke ist oder ob auch soziale Netzwerke nicht lediglich ein neues, weiteres Medium sind, über das sich politisch ohnehin Aktive austauschen und organisieren. Eine repräsentative Studie dazu liegt bislang nicht vor. 27 Vgl. auch die Ergebnisse einer aktuellen „social-network-Studie „der Technischen Universität Ilmenau mit dem Tenor: „Facebook-Euphorie verflogen – Deutsche Politiker setzen kaum auf Wähleransprache via Facebook“, Pressemitteilung der TU Ilmenau vom 1.2.2911. 28 Vgl. z.B. die Einrichtung einer Abteilung „Politik 2.0“ in der CSU-Führung: „Politik 2.0. Neue Abteilung der Landesleitung“, in Bayern-Kurier, 26.2.2011. 29 Bieber 2010: 71. 30 Vgl. Meißelbach,2009: 99f. und Huber 2009: 66. 31 Meißelbach 2009: 100. 32 Huber 2009: 269. 33 Meißelbach 2009: 121f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000/026-2011 Seite 9 Vorliegende Studien zum Nutzungsverhalten im Internet verweisen darauf, dass Online-Netzwerke überwiegend zur Festigung sozialer Kontakte genutzt werden. So kommt der ARD-Forschungsdienst zu dem Ergebnis: „Die Befunde [mehrerer Studien] verdeutlichen, dass Social Networking Sites in erster Linie sozialen Charakter haben… Sie erfüllen damit grundlegende menschliche Bedürfnisse nach sozialer Interaktion und sozialer Beziehung.“34 Grundsätzlich kommt politischen Themen in sozialen Netzwerken demnach eher untergeordnete Bedeutung zu. So auch das Ergebnis einer (allerdings nicht repräsentativen) Studie der Universität Siegen35, nach der die große Mehrheit der Befragten sich innerhalb des jeweiligen sozialen Netzwerkes nicht über politische Themen unterhalten. 95,5 Prozent der befragten Facebook-Nutzer gaben an, noch nie einen Politiker über das soziale Netzwerk kontaktiert zu haben, bei den befragten VZ- Nutzern waren es sogar 99,5 Prozent. Wie groß das Potential zur politischen Aktivierung wirklich ist, lässt sich vor diesem Hintergrund nur schwer abschätzen. So auch Carsten Heil in der Neuen Westfälischen Zeitung: „Seit etlichen Jahren dient das Internet schon als Informationsquelle über Politik. Doch als Instrument zur konkreten Aktivierung von Menschen wird das Netz erst seit kurzem benutzt – über soziale Gemeinschaften …. wie Facebook und Twitter. Dieser Prozess hat sich in den vergangenen sieben Monaten so rasant beschleunigt, dass es noch keine wissenschaftlichen Untersuchungen darüber gibt.“ 36 Thorsten Strufe, Juniorprofessor an der TU Darmstadt und zur Bedeutung des Internets im vergangenen Jahr Referent beim Forum W im Deutschen Bundestag, gibt auf unsere Anfrage hin folgendes Resümee auf die Frage, wie groß der Einfluss sozialer Netzwerke auf die politische Aktivität der Bürgerinnen und Bürger ist: „Derzeit gibt es ganz viele Meinungen zu der Frage, die man aber eher in den Bereich der Legenden rücken muss. Es gibt diverse Forschungsgruppen die versuchen, gerade im Moment diese Frage zu beantworten , belastbare Ergebnisse gibt es derzeit nicht.“37 4. Verändert Facebook das Verfahren öffentlicher Petitionen? Social Media sind zweifellos auch Börsen zur Gewinnung von Mitstreitern für Petitionen – aber sie sind kein Garant für den Erfolg solcher Aufrufe. Es gibt zahllose Beispiele für Petitionen, die trotz ihrer Präsenz in Facebook kaum Mitstreiter gefunden haben.38 Andererseits gibt es auch erfolgreiche Beispiele wie Franziska Heine, die innerhalb der vorgegebenen Sechs-Wochen-Frist 134.000 Mitzeichner gegen die Sperrung von Internetseiten aktivieren konnte.39 34 ARD-Forschungsdienst, Nutzung und Funktionen von Social Communitys, in Media Perspektiven 2/2011 S.115- 120: 116f. 35 Die politische Nutzung sozialer Netzwerke. Eine Zusammenfassung der Forschungsergebnisse. Studentisches Forschungsprojekt im Rahmen der Tagung „Responsibility 2.0“ an der Universität Siegen, 20/21.1.2011. Informationen und Zusammenfassung der Forschungsergebnisse unter: http://www.web-responsibility.net/politische -nutzung-sozialer-netzwerke (Stand:12.4.2011). 36 Vgl. auch Carsten Heil: „Facebook und die Politik – Funkenflug“, in: Neue Westfälische Zeitung 4.3.2011. 37 Mail von Prof. Thorsten Strufe vom 6.4.2011. 38 Vgl. Liste der abgeschlossenen Petitionen unter https://epetitionen.bundestag.de/index.php?PHP- SESSID=68674fc463ac94bb75814406a5c1fecf&action=petition;sa=list4;limit=10 (Stand:12.4.2011). 39 Vgl. den Wikipedia-Artikel über Franziska Heine unter http://de.wikipedia.org/wiki/Franziska_Heine (Stand:12.4.2011). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000/026-2011 Seite 10 Facebook eröffnet - über einen entsprechenden Link - einen zusätzlichen Weg, sich über das Internet zum Petitionsverfahren des Deutschen Bundestages anzumelden. Das Anmelde- und das Petitionsverfahren des Deutschen Bundestages selbst bleiben aber davon unberührt, die Nutzung von Facebook verändert nicht das Verfahren öffentlicher Petitionen, wie es beim Deutschen Bundestag festgelegt ist. Das Gebot der Gleichbehandlung setzt voraus, dass alle Petitionen, ganz gleich, auf welchem Wege sie Mitstreiter sammeln und eingereicht werden, auch gleich behandelt werden. Die seit 2008 regulär eingeräumte Möglichkeit der Online-Petition hat bislang die absolute Zahl eingegangener Petitionen nicht wesentlich verändert (sie liegt unverändert bei etwa 20.000 jährlich).40 Verändert hat sich lediglich der Anteil an Petitionen, die auf dem elektronischen Weg eingehen. Nach Abschluss des Modellversuch „E-Petitionen“41 von 2005 bis 2008 wurde im Oktober 2008 das aktuelle reguläre Verfahren zur Eingabe von E-Petitionen eingeführt. Im Verlauf der Jahres 2009 stiegt die Zahl der über das Internet eingegebenen Petitionen von etwa 5 auf rund 30 Prozent und liegt heute bei etwa 35 Prozent. Zu unterscheiden sind aber nach wie vor elektronische Petitionen von öffentlichen Petitionen: Auch (Einzel-)Petitionen, die elektronisch übermittelt, aber nicht veröffentlicht werden, zählen dazu. Veröffentlicht wird nach Auskunft des Sekretariates des Petitionsausschusses lediglich etwa ein Fünftel der eingegangenen E-Petitionen. (Es besteht kein Anspruch auf Veröffentlichung!). Ein begleitendes Forschungsprojekt des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag zur Untersuchung der Pilotphase ist zwar für die Zeit nach 2008 fortgesetzt worden, die Ergebnisse sind aber noch nicht veröffentlicht – und Daten speziell über die Nutzer von Facebook sind dafür nicht zugänglich gewesen. Der Einfluss von Facebook-Nutzern auf öffentliche Petitionsverfahren konnte daher im Rahmen dieser Studie nicht ermittelt werden.42 5. Bietet Facebook die Möglichkeit des Missbrauchs von Nutzerdaten für Petitionen? Der Missbrauch fremder persönlicher Daten ist beim Verfahren für E-Petitionen, wie es der Deutsche Bundestag eingeführt hat, im Prinzip unmöglich, da das Anmeldeverfahren die Rückmeldung des Adressaten zwingend voraussetzt. Im Unterschied zur Unterschriftenlisten auf Papier gibt es hier eine Kontrolle durch die Registrierung jedes Petenten: Jeder eingegangenen E-mail- Adresse teilt das System eine Nutzernummer zu und meldet Fehler, wenn Nutzernummer oder Email -Adressen mehrfach eingegeben werden. Erst die Rücksendung einer Aktivierungsmail schließt die Anmeldung des Petenten ab. Sollte jemand Postanschrift und E-mail-Adresse einer anderen Person ohne deren Wissen dort eingeben, würde eine Mail mit der Bitte um Aktivierung der Anmeldung an die betreffende email -Adresse geschickt und der Inhaber der E-mail-Adresse auf diesem Wege davon informiert 40 Vgl. Jahresbericht des Petitionsausschusses 2010: 98. 41 Vgl. dazu die begleitende Forschung des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag: Riehm, Ulrich, Christopher Coenen, Ralf Lindner, Clemens Blümel, Bürgerbeteiligung durch E-Petitionen. Analysen von Kontinuität und Wandel im Petitionswesen, Berlin 2009. 42 Telefonische Auskunft von Ulrich Riehm vom 29.3.2011. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000/026-2011 Seite 11 werden. Wenn die Anmeldung nicht durch Klicken auf einen Link aktiviert wird, wird die eingegebene E-mail-Adresse wieder gelöscht. Möglich wäre allerdings wohl die Mehrfach-Anmeldung einer Person unter verschiedenen Email -Adressen. Nach Auskunft des Sekretariats des Petitionsausschusses haben seit der Einführung des aktuellen regulären Verfahrens für E-Petitionen rund eine Million Nutzer angemeldet. Die Zahl der Mitzeichner beläuft sich im selben Zeitraum auf 2,2 Millionen – ein Indiz dafür, dass Mehrfachanmeldungen tatsächlich zumindest nicht in erheblichem Ausmaß vorkommen. Quellen und Literatur: ARD-Forschungsdienst, Nutzung und Funktionen von Social Communitys, in Media Perspektiven 2/2011 S.115-120. Bieber, Christoph, Politik Digital. Online zum Wähler, Salzhemmendorf 2010. Bieber, Christoph, Martin Eifert, Thomas Groß, Jörn Lamla (Hg), Soziale Netze in der digitalen Welt. Das Internet zwischen egalitärer Teilhabe und ökonomischer Macht, Schriftenreihe des Zentrums für Medien und Interaktivität (ZMI), Gießen, Band 7, Frankfurt a.M. 2009. Busemann, Katrin, und Christoph Gscheidle, Web 2.0: Nutzung steigt – Interesse an aktiver Teilhabe sinkt. Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie, in Media Perspektiven 7/8 2010, S.359-368. Deutscher Bundestag (Hg), Der Jahresbericht des Petitionsausschusses. Ausgabe 2010. Digitale Gesellschaft. Die digitale Gesellschaft in Deutschland – Sechs Nutzertypen im Vergleich. Eine Studie der Initiative D 21, durchgeführt von TNS Infratest, Dezember 2010. Van Eimeren, Birgit, und Beate Frees, Fast 50 Millionen Deutsche Online – Multimedia für alle? Ergebnisse der SRD7ZDF-Onlinestudie 2010, in: Media Perspektiven 7/8 2010, S. 334-349. Huber, Sandra, Das Internet als Erweiterung des politischen Kommunikationsraums: Nutzerakzeptanz und Nutzungsprofile und ihre Folgen für die politische Partizipation. Dissertation Bamberg 2009. Kneidinger, Bernadette, Facebook und Co. Eine soziologische Analyse von Interaktionsformen in Online Social Networks. mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Rudolf Richter, Wiesbaden 2010. Lindner, Ralf und Ulrich Riehm, Modernisierung des Petitionswesens und der Einsatz neuer Medien , in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 3/2009, S. 495-512. Meißelbach, Christoph, Web 2.0 – Demokratie 3.0? Demokratische Potentiale des Internets, Baden -Baden 2009. Die politische Nutzung sozialer Netzwerke. Eine Zusammenfassung der Forschungsergebnisse. Studentisches Forschungsprojekt im Rahmen der Tagung „Responsibility 2.0“ an der Universität Siegen, 20/21.1.2011. Informationen und Zusammenfassung der Forschungsergebnisse unter: http://www.web-responsibility.net/politische-nutzung-sozialer-netzwerke (Stand:12.4.2011). Riehm, Ulrich, Christopher Coenen, Ralf Lindner, Clemens Blümel, Bürgerbeteiligung durch E- Petitionen. Analysen von Kontinuität und Wandel im Petitionswesen, Berlin 2009. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000/026-2011 Seite 12 Riehm, Ulrich und Matthias Trénel, Öffentliche Petitionen beim Deutschen Bundestag. Ergebnisse einer Petentenbefragung. In: Zeitschrift für Parlamentsfragen 3/2009, S. 512-528. Richtlinie für die Behandlung von Öffentlichen Petitionen gem. Ziff 7.1 (4) der Verfahrensgrundsätze , in: http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a02/rili.pdf (Stand: 12.4.2011). Carsten Heil: Facebook und die Politik, Neue Westfälische Zeitung, 4.3.2011.