© 2020 Deutscher Bundestag WD 10 – 3000 – 023/20 Marktortprinzip und Herkunftslandprinzip im Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 023/20 Seite 2 Marktortprinzip und Herkunftslandprinzip im Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes Aktenzeichen: WD 10 – 3000 – 023/20 Abschluss der Arbeit: 15. Juni 2020 Fachbereich: WD 10: Kultur, Medien und Sport Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 023/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorbemerkung 4 2. Europarechtliche Zulässigkeit des Marktortprinzips im derzeit geltenden NetzDG 4 2.1. Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (ECRL) 5 2.1.1. Argumentation im Entwurf des NetzDG: 6 2.1.1.1. Eröffnung einer nationalen Regelungskompetenz nach Art. 14 Abs. 3 ECRL 7 2.1.1.2. Ausnahme nach Art. 3 Abs. 4a i) ECRL 8 2.1.2. Reaktionen auf die Argumentation im Gesetzentwurf des NetzDG: 9 2.1.3. Eröffnung einer nationalen Regelungskompetenz nach Art. 14 Abs. 3 ECRL 9 2.1.3.1. Ausnahme nach Art. 3 Abs. 4a i) ECRL 10 3. Herkunftslandprinzip für Anbieter von Videosharingplattform-Diensten 12 3.1. Rechtliche Grundlage 12 3.2. Gründe 13 4. Regelungen für Diensteanbieter 13 4.1. Regelung im bisherigen NetzDG 13 4.1.1. Adressaten: soziale Netzwerke 13 4.1.2. Rechtswidrige Inhalte im Sinne des NetzDG 14 4.2. Regelung im NetzDGÄndG-E 15 4.2.1. Adressaten: Videosharingplattform-Dienste 15 4.2.2. Sonderfall: „kleine“ Videosharingplattform-Dienste mit Sitz im Inland 16 4.2.3. Sonderfall: nicht in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Videosharingplattform-Dienste 19 4.2.4. Videosharingplattform-Dienst als wesentlicher, aber untrennbarer Dienst eines sozialen Netzwerkes 20 4.2.5. Trennbare Videosharingplattform-Dienste 20 4.2.6. Weitere Gesetzgebungsvorhaben 21 5. Zusammenfassung 22 6. Anlagen 22 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 023/20 Seite 4 1. Vorbemerkung Die Bundesregierung hat am 1. April 2020 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDGÄndG)1 beschlossen. Die erste Lesung dieses Entwurfes fand am 6. Mai 2020 im Bundestag statt. Der Entwurf wird im Folgenden als NetzDGÄndG-E bezeichnet. Dieser Gesetzentwurf soll u.a. auch die AVMD-RL-Änderungsrichtlinie2 in deutsches Recht umsetzen. Aus der Umsetzung dieser Richtlinie ergeben sich neue Regularien für Videosharingplattform -Dienste. Dieser Sachstand stellt schwerpunktmäßig diese und die sich aus dem geltenden Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG)3 ergebenden Regelungen für soziale Netzwerke dar. Besondere Beachtung findet die Frage, ob die Anbieter von sozialen Netzwerken und Videosharingplattform -Diensten dem Recht des Ortes, an dem sie ansässig sind (Herkunftslandprinzip), oder dem Recht des Ortes der unternehmerischen Tätigkeit (Marktortprinzip) unterliegen. Dabei sind die Auswirkungen der gleichzeitigen Anwendung des Marktortprinzips für soziale Netzwerke und des Herkunftslandprinzips für Videosharingplattform-Dienste in einem einzigen Gesetz besonders zu betrachten. Die Verpflichtung von Diensteanbietern, in bestimmten Fällen Daten an das Bundeskriminalamt zu übermitteln und einen transparenten Beschwerdemechanismus vorzuhalten, ist nicht Gegenstand der Darstellung. Die Fragen der Vereinbarkeit der Datenübermittlung an das Bundeskriminalamt mit den Vorschriften des Herkunftslandes und der Schlichtungsstellen werden in einer gesonderten Darstellung behandelt. 2. Europarechtliche Zulässigkeit des Marktortprinzips im derzeit geltenden NetzDG Der Fachbereich Europa der Unterabteilung Europa des Deutschen Bundestages hat sich in einer Ausarbeitung vom 29. Mai 2017 im Vorfeld der Verabschiedung des NetzDG mit der 1 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Bundestags-Drucksache 19/18792. Abrufbar unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/187/19118792.pdf. Zuletzt abgerufen – wie alle URL dieses Sachstands – am 11. Juni 2020. 2 RICHTLINIE (EU) 2018/1808 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES zur Änderung der Richtlinie 2010/13/EU zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste) im Hinblick auf sich verändernde Marktgegebenheiten vom 14. November 2018. Amtsblatt der Europäischen Union vom 28. November 2018, L 303/69ff. 3 Netzwerkdurchsetzungsgesetz vom 1. September 2017 (BGBl. I S. 3352). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 023/20 Seite 5 europarechtlichen Zulässigkeit des Marktortprinzips in dem damals vorliegenden Gesetzentwurf beschäftigt.4 Daher seien an dieser Stelle nur die Grundzüge der Problematik und aktuellere Entwicklungen skizziert. 2.1. Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (ECRL) Grundlegend für die Beantwortung der Frage, ob das Marktortprinzip oder das Herkunftslandprinzip anzuwenden ist, ist die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (ECRL)5. Gemäß Art. 3 Abs. 2 ECRL6 dürfen die Mitgliedstaaten den freien Verkehr von Diensten der 4 Deutscher Bundestag – Unterabteilung Europa – Fachbereich Europa: Der Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes – Vereinbarkeit mit dem Herkunftslandprinzip. Az.: PE 6 – 3000 – 32/17. Ausarbeitung vom 29. Mai 2017. Abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/510384/c5bdf3939cf1a4529d2f7abf11065ee5/pe-6-032-17-pdfdata .pdf. 5 RICHTLINIE 2000/31/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES VOM 8. JUNI 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt ("Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr"). Amtsblatt Nr. L 178 vom 17. Juli 2000 S. 0001 – 0016. 6 Artikel 3 - Binnenmarkt (1) Jeder Mitgliedstaat trägt dafür Sorge, daß die Dienste der Informationsgesellschaft, die von einem in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen Diensteanbieter erbracht werden, den in diesem Mitgliedstaat geltenden innerstaatlichen Vorschriften entsprechen, die in den koordinierten Bereich fallen. (2) Die Mitgliedstaaten dürfen den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat nicht aus Gründen einschränken, die in den koordinierten Bereich fallen. (3) Die Absätze 1 und 2 finden keine Anwendung auf die im Anhang genannten Bereiche. (4) Die Mitgliedstaaten können Maßnahmen ergreifen, die im Hinblick auf einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft von Absatz 2 abweichen, wenn die folgenden Bedingungen erfuellt sind: a) Die Maßnahmen i) sind aus einem der folgenden Gründe erforderlich: – Schutz der öffentlichen Ordnung, insbesondere Verhütung, Ermittlung, Aufklärung und Verfolgung von Straftaten, einschließlich des Jugendschutzes und der Bekämpfung der Hetze aus Gründen der Rasse, des Geschlechts, des Glaubens oder der Nationalität, sowie von Verletzungen der Menschenwürde einzelner Personen, – Schutz der öffentlichen Gesundheit, – Schutz der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Wahrung nationaler Sicherheits- und Verteidigungsinteressen, – Schutz der Verbraucher, einschließlich des Schutzes von Anlegern; Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 023/20 Seite 6 Informationsgesellschaft aus anderen Mitgliedstaaten nicht aus Gründen einschränken, die in den koordinierten Bereich fallen. Der koordinierte Bereich, der dem Herkunftslandprinzip unterfällt, umfasst nach Art. 2 lit. h i) 2. Spiegelstrich ECRL die von einem Diensteanbieter zu erfüllenden Anforderungen in Bezug auf die Ausübung der Tätigkeit eines Dienstes der Informationsgesellschaft und das Verhalten des Diensteanbieters, Anforderungen betreffend Qualität oder Inhalt des Dienstes sowie Anforderungen betreffend die Verantwortlichkeit des Diensteanbieters. Davon dürften die Verpflichtungen der Anbieter von sozialen Medien im NetzDG erfasst sein, denn diese betreffen die Verantwortlichkeit von Diensteanbietern. Das NetzDG unterwirft die Diensteanbieter dem Recht der Bundesrepublik Deutschland auch dann, wenn sie ihren Sitz in einem Mitgliedsland der Europäischen Union haben oder dort als ansässig gelten. Das so statuierte Marktortprinzip könnte gegen das in Art. 3 Abs. 2 ECRL geregelte Herkunftslandprinzip verstoßen. 2.1.1. Argumentation im Entwurf des NetzDG: In der Begründung des Entwurfs des NetzDG (NetzDG-E) wird die Vereinbarkeit des NetzDG mit dem Recht der Europäischen Union bejaht. Dabei werden insbesondere zwei Punkte, die der Bedeutung des Wortlauts wegen hier ausführlich zitiert werden, betont: ii) betreffen einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft, der die unter Ziffer i) genannten Schutzziele beeinträchtigt oder eine ernsthafte und schwerwiegende Gefahr einer Beeinträchtigung dieser Ziele darstellt; iii) stehen in einem angemessenen Verhältnis zu diesen Schutzzielen. b) Der Mitgliedstaat hat vor Ergreifen der betreffenden Maßnahmen unbeschadet etwaiger Gerichtsverfahren, einschließlich Vorverfahren und Schritten im Rahmen einer strafrechtlichen Ermittlung, – den in Absatz 1 genannten Mitgliedstaat aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, und dieser hat dem nicht Folge geleistet oder die von ihm getroffenen Maßnahmen sind unzulänglich; – die Kommission und den in Absatz 1 genannten Mitgliedstaat über seine Absicht, derartige Maßnahmen zu ergreifen, unterrichtet. (5) Die Mitgliedstaaten können in dringlichen Fällen von den in Absatz 4 Buchstabe b) genannten Bedingungen abweichen. In diesem Fall müssen die Maßnahmen so bald wie möglich und unter Angabe der Gründe, aus denen der Mitgliedstaat der Auffassung ist; daß es sich um einen dringlichen Fall handelt, der Kommission und dem in Absatz 1 genannten Mitgliedstaat mitgeteilt werden. (6) Unbeschadet der Möglichkeit des Mitgliedstaates, die betreffenden Maßnahmen durchzuführen, muß die Kommission innerhalb kürzestmöglicher Zeit prüfen, ob die mitgeteilten Maßnahmen mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind; gelangt sie zu dem Schluß, daß die Maßnahme nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, so fordert sie den betreffenden Mitgliedstaat auf, davon Abstand zu nehmen, die geplanten Maßnahmen zu ergreifen, bzw. bereits ergriffene Maßnahmen unverzüglich einzustellen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 023/20 Seite 7 2.1.1.1. Eröffnung einer nationalen Regelungskompetenz nach Art. 14 Abs. 3 ECRL Zunächst stützt sich der NetzDG-E auf Art. 14 Abs. 3 ECRL sowie die Erwägungsgründe 45 und 46 der Richtlinie: „Artikel 14 Absatz 3 e-commerce-RL eröffnet die zusätzliche Variante, ‘dass die Mitgliedstaaten Verfahren für die Entfernung einer Information oder die Sperrung des Zugangs zu ihr festlegen’. Dem entspricht der Erwägungsgrund 46, wonach ‘diese Richtlinie die Möglichkeit der Mitgliedstaaten unberührt’ lässt, ‘spezifische Anforderungen vorzuschreiben, die vor der Entfernung oder der Sperrung des Zugangs unverzüglich zu erfüllen sind.’ Dementsprechend eröffnet der Erwägungsgrund 48 den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, dass die Mitgliedstaaten von Diensteanbietern verlangen, ‘die nach vernünftigem Ermessen von ihnen zu erwartende und in innerstaatlichen Rechtsvorschriften niedergelegte Sorgfaltspflicht anzuwenden, um bestimmte Arten rechtswidriger Tätigkeiten aufzudecken und zu verhindern’.“7, 8 7 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken – (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG), Bundestags-Drucksache 18/12356, S. 13f. Abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf. 8 RICHTLINIE 2000/31/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES VOM 8. JUNI 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt ("Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr"). Amtsblatt Nr. L 178 vom 17. Juli 2000 S. 0001 – 0016: Erwägungsgrund 46: (46) Um eine Beschränkung der Verantwortlichkeit in Anspruch nehmen zu können, muß der Anbieter eines Dienstes der Informationsgesellschaft, der in der Speicherung von Information besteht, unverzüglich tätig werden, sobald ihm rechtswidrige Tätigkeiten bekannt oder bewußt werden, um die betreffende Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren. Im Zusammenhang mit der Entfernung oder der Sperrung des Zugangs hat er den Grundsatz der freien Meinungsäußerung und die hierzu auf einzelstaatlicher Ebene festgelegten Verfahren zu beachten. Diese Richtlinie läßt die Möglichkeit der Mitgliedstaaten unberührt, spezifische Anforderungen vorzuschreiben, die vor der Entfernung von Informationen oder der Sperrung des Zugangs unverzüglich zu erfuellen sind. Erwägungsgrund 48: (48) Diese Richtlinie läßt die Möglichkeit unberührt, daß die Mitgliedstaaten von Diensteanbietern, die von Nutzern ihres Dienstes bereitgestellte Informationen speichern, verlangen, die nach vernünftigem Ermessen von ihnen zu erwartende und in innerstaatlichen Rechtsvorschriften niedergelegte Sorgfaltspflicht anzuwenden, um bestimmte Arten rechtswidriger Tätigkeiten aufzudecken und zu verhindern. Artikel 14 - Hosting (1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, daß im Fall eines Dienstes der Informationsgesellschaft, der in der Speicherung von durch einen Nutzer eingegebenen Informationen besteht, der Diensteanbieter nicht für die im Auftrag eines Nutzers gespeicherten Informationen verantwortlich ist, sofern folgende Voraussetzungen erfuellt sind: Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 023/20 Seite 8 2.1.1.2. Ausnahme nach Art. 3 Abs. 4a i) ECRL „Hilfsweise“ wird auf einen außerhalb der ECRL gegebenen Spielraum für nationale Regelungen verwiesen: „Eine Ausnahme zu dem grundsätzlichen Verbot [der Einschränkung des freien Verkehrs von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat aus Gründen einzuschränken, die in den sogenannten koordinierten Bereich fallen – d.V.] sieht aber Artikel 3 Absatz 4 Buchstabe a Ziffer i e-commerce-RL vor. Danach sind Maßnahmen zulässig, die etwa aus folgenden Gründen erforderlich sind: ‘Schutz der öffentlichen Ordnung, insbesondere Verhütung, Ermittlung, Aufklärung und Verfolgung von Straftaten, einschließlich des Jugendschutzes und der Bekämpfung der Hetze aus Gründen der Rasse, des Geschlechts, des Glaubens oder der Nationalität, sowie von Verletzungen der Menschenwürde einzelner Personen’. Der Entwurf sieht insbesondere ein effektives Beschwerdemanagement zur Verbesserung der Durchsetzung der in § 1 Absatz 3 genannten Straftatbestände [§§ 86, 86a, 89a, 91, 100a, 111, 126, 129 bis 129b, 130, 131, 140, 166, 184b in Verbindung mit 184d, 185 bis 187, 201a, 241 oder 269 StGB – d.V.] in sozialen Netzwerken vor. Dies ist notwendig, um Hasskriminalität und andere strafbare Inhalte effektiv zu bekämpfen und zu verfolgen. So wird das friedliche Zusammenleben der freien, offenen und demokratischen Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland geschützt. Der Entwurf erfüllt auch die weiteren Voraussetzungen für die Ausnahme vom Regelungsverbot. So verlangt Artikel 3 Absatz 4 Buchstabe a Ziffer ii und iii e-commerce- RL, dass die Maßnahmen einen ganz bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft betreffen, der gerade die vorgenannten Schutzziele beeinträchtigt oder eine ernsthafte und schwerwiegende Gefahr einer Beeinträchtigung dieser Ziele darstellt, und dass die Maßnahmen in einem angemessenen Verhältnis zu diesen Schutzzielen stehen. Die im Entwurf geregelten Compliance-Pflichten sozialer Netzwerke betreffen spezielle Dienste der Informationsgesellschaft und dienen der Verhinderung objektiv strafbarer Taten. Darüber hinaus wird gemäß Artikel 3 Absatz 4 Buchstabe b Ziffer i 1. Spiegelstrich e-commerce-RL zwar verfahrensmäßig vorausgesetzt, dass der Mitgliedstaat, der eine Maßnahme als Ausnahme zu dem grundsätzlichen Verbot ergreifen will, zunächst den Mitgliedstaat, in dem der Diensteanbieter niedergelassen ist, zu eigenen Maßnahmen auffordert, die dieser dann jedoch entweder unterlässt oder aber die sich als unzulänglich erweisen. Weiterhin a) Der Anbieter hat keine tatsächliche Kenntnis von der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information, und, in bezug auf Schadenersatzansprüche, ist er sich auch keiner Tatsachen oder Umstände bewußt, aus denen die rechtswidrige Tätigkeit oder Information offensichtlich wird, oder b) der Anbieter wird, sobald er diese Kenntnis oder dieses Bewußtsein erlangt, unverzüglich tätig, um die Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren. (2) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Nutzer dem Diensteanbieter untersteht oder von ihm beaufsichtigt wird. (3) Dieser Artikel läßt die Möglichkeit unberührt, daß ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde nach den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten vom Diensteanbieter verlangt, die Rechtsverletzung abzustellen oder zu verhindern, oder daß die Mitgliedstaaten Verfahren für die Entfernung einer Information oder die Sperrung des Zugangs zu ihr festlegen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 023/20 Seite 9 schreibt Artikel 3 Absatz 4 Buchstabe b Ziffer i 2. Spiegelstrich e-commerce-RL für das Verfahren vor, dass der zu einer Ausnahmeregelung entschlossene Mitgliedstaat den zuvor vergeblich aufgeforderten Mitgliedstaat und die Europäische Kommission über seine Absicht unterrichten muss, nunmehr Maßnahmen zu ergreifen. In dringenden Fällen gestattet jedoch Artikel 3 Absatz 5 e-commerce-RL ein Absehen von den Verfahrensvorgaben, um ein sofortiges Handeln zu ermöglichen. Ein sofortiges Handeln ist zur effektiven Bekämpfung von Hasskriminalität und weiterer objektiv strafbarer Handlungen im Internet dringend geboten.“9 2.1.2. Reaktionen auf die Argumentation im Gesetzentwurf des NetzDG: 2.1.3. Eröffnung einer nationalen Regelungskompetenz nach Art. 14 Abs. 3 ECRL Kontrovers diskutiert wird, ob die Definition starrer Fristen für die Entfernung rechtswidriger Inhalte in § 3 Abs. 2 Nr. 2, 3 NetzDG dem Unverzüglichkeitsmaßstab von Art. 14 ECRL entspricht. Wimmers und Heymann kritisieren, dass der Gesetzgeber diese Regelung auf die Erwägungsgründe 46 und 48 der ECRL stützt. Er übersehe, dass die genannten Erwägungsgründe den Tatbestand des Art. 14 Abs. 1 ECRL und damit auch den Rechtsbegriff „unverzüglich“ unberührt ließen. Erwägungsgrund 46 erlaube lediglich die Ausgestaltung von Verfahren durch Mitgliedstaaten, die vor der unverzüglichen Entfernung von Informationen zu erfüllen seien. Auch Erwägungsgrund 48, nach dem es Mitgliedstaaten lediglich gestattet sei, Anordnungen von Gerichten und Behörden zu ermöglichen, ließe Art. 14 ECRL unberührt.10 Eifert hält die Argumentation im Gesetzentwurf im Hinblick auf Art. 14 Abs. 3 ECRL wegen der bestehenden Harmonisierung des elektronischen Geschäftsverkehrs für grundsätzlich nicht unproblematisch, aber für grundsätzlich gut vertretbar. Er sieht allerdings noch Klärungsbedarf bei der Frage, „ob die Löschfristen noch eine unionsrechtskonforme Konkretisierung der Unverzüglichkeit sind, die auch das Unionsrecht für die Löschung kennt und wie sich die von Art. 14 E-Commerce-RL als Voraussetzung für die 9 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken – (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG), Bundestags-Drucksache 18/12356, S. 14. Abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf. 10 Jörg Wimmers ; Britta Heymann: Zum Referentenentwurf eines Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) : eine kritische Stellungnahme. In: Zeitschrift für das gesamte Medienrecht : AfP. - 48 (2017), 2, S. 93ff [95]. So auch: Feldmann, Thorsten: Zum Referentenentwurf eines NetzDG: Eine kritische Betrachtung. In: K&R 2017, 292ff [296]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 023/20 Seite 10 Löschverpflichtung geforderte Kenntnis der Anbieter zum Eingang der Beschwerde nach dem NetzDG verhält.“11 Kritischer sehen dies Spindler und Liesching, die die Auffassung vertreten, dass die Spezifizierung des unbestimmten Rechtsbegriffs durch einzelne Mitgliedstaaten weder nach den Erwägungsgründen der ECRL noch nach dem Regulierungsziel einer koordinierten einheitlichen Rechtspraxis in allen Mitgliedstaaten zulässig sei und daher kein Spielraum für nationale Lösungen bestehe.12 Nach Auffassung von Höch dagegen räumt der Erwägungsgrund 48 der ECRL dem nationalstaatlichen Gesetzgeber die Möglichkeit ein, den Begriff der „Unverzüglichkeit“ zeitlich zu definieren.13 2.1.3.1. Ausnahme nach Art. 3 Abs. 4a i) ECRL Nach der überwiegenden Meinung in der Literatur ermöglicht die Vorschrift keine abstraktgenerelle Verweisung, sondern bedarf eines die Ausnahme begründenden Einzelfalls.14 Grundsätzlich könne der Begriff „Maßnahme“, der in Art. 3 Abs. 4 ECRL verwendet wird, sowohl Gesetze als auch Einzelakte umfassen. Er deute aber nach einem allgemeinen Sprachverständnis eher auf eine Aktivität im Einzelfall als auf die abstrakt-generelle Lösung hin. Dies werde systematisch auch dadurch untermauert, dass es sich bei diesen Maßnahmen um solche gegen „einen bestimmten Dienst“ handeln müsse. Ebenfalls in diese Richtung deute, dass 11 Eifert, Martin: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz und Plattformregulierung. In: Eifert, Martin; Gostomzyk (Hrsg.): Netzwerkrecht. Die Zukunft des NetzDG und seine Folgen für die Netzwerkkommunikation. Baden- Baden 2018, S. 9ff [23] mwN. 12 Spindler, Gerald: Der Regierungsentwurf zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz - europarechtswidrig? In: Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht : ZUM. - 61 (2017), 6, S. 473ff [478f]. Liesching, Marc in: Spindler, Gerald; Schmitz, Peter; Liesching, Marc: Telemediengesetz : mit Netzwerkdurchsetzungsgesetz : Kommentar 2. Auflage. München 2018. Stand Dezember 2017. § Eins NetzDG, Rn. 20. 13 Höch, Dominik: Nachbessern: ja, verteufeln: nein. Das NetzDG ist besser als sein Ruf. In: K&R 2017, 289ff [291]. 14 S. dazu mwN: Deutscher Bundestag – Unterabteilung Europa – Fachbereich Europa: Der Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes – Vereinbarkeit mit dem Herkunftslandprinzip. Az.: PE 6 – 3000 – 32/17. Ausarbeitung vom 29. Mai 2017, S. 6f. Abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/510384/c5bdf3939cf1a4529d2f7abf11065ee5/pe-6-032-17-pdfdata .pdf. Spindler, Gerald; Schmitz, Peter; Liesching, Marc: Telemediengesetz : mit Netzwerkdurchsetzungsgesetz : Kommentar 2. Auflage. München 2018. Stand Dezember 2017. § 1 NetzDG, Rn. 16. Mit sehr umfangreichen weiterem Nachweis: Liesching, Marc: Gilt das NetzDG für Facebook, Youtube und Twitter? beck-community vom 11. Februar 2020. Abrufbar unter: https://community.beck.de/2020/02/11/giltdas -netzdg-fuer-facebook-youtube-und-twitter. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 023/20 Seite 11 die ECRL Gerichtsverfahren, die in der Regel Einzelfälle betreffen, in Abs. 4 b neben „Maßnahmen“ nennt. Dafür spreche auch, dass Ausnahmen von dem zentralen Herkunftslandprinzip vor dem Hintergrund der Bedeutung des gemeinsamen Marktes in der Europäischen Union eng auszulegen seien.15 Entsprechend könnte auch die Begründung des NetzDGÄndG-E interpretiert werden, in der ein anderes Verständnis der ECRL durchscheint: „Dass § 3e Absatz 3 NetzDG eine Einzelfallzuständigkeit des Bundesamts für Justiz bei Unterschreiten dieses Schutzniveaus vorsieht, ist mit der AVMD-RL vereinbar. Die AVMD- RL verweist in Artikel 28a Absatz 5 ausdrücklich auf Artikel 3 E-Commerce-RL, das heißt auf das danach in bestimmten Fällen zulässige Tätigwerden des Marktort-Mitgliedstaates, wenn ein bestimmtes Konsultationsverfahren durchlaufen ist. Auf die entsprechende nationale Regelung in § 3 Absatz 5 des Telemediengesetzes (TMG) wird mit § 3e Absatz 3 NetzDG Bezug genommen.“16 „Befindet sich der Sitz des Anbieters eines Videosharingplattform-Dienstes in einem anderen EU-Mitgliedstaat, bietet der betreffende Anbieter seine Dienste aber auch in Deutschland an, so kann sich – im Bereich von den der Mindestharmonisierung unterliegenden Inhalten, Anbietern und Compliance-Vorgaben – eine Zuständigkeit der deutschen Behörden am sogenannten Marktort (sogenanntes Marktortprinzip) nur noch in Fällen besonderer Erforderlichkeit, und grundsätzlich erst nach Durchlaufen eines Konsultationsverfahrens mit dem jeweiligen Sitzland ergeben (Artikel 28a Absatz 5 AVMD-RL in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 4 der Richtlinie 2000/31/EG (E-Commerce- RL). Voraussetzungen und notwendige Verfahrensschritte für ein Tätigkeitwerden des Bundesamts für Justiz ergeben sich insofern aus § 3 Absatz 5 TMG, der wiederum Artikel 3 Absatz 4 E-Commerce-RL umsetzt und auf den Bezug genommen wird. Die nach § 3e Absatz 3 Satz 1 NetzDG mögliche Anordnung der Geltung der Verpflichtungen nach dem NetzDG muss dabei einem der in § 3 Absatz 5 TMG genannten Zwecke dienen (zum Beispiel Schutz der öffentlichen Sicherheit – wie Verhütung von Straftaten oder Bekämpfung der Hetze aus Gründen der Rasse – vor Beeinträchtigungen oder ernsthaften und schwerwiegenden Gefahren), und es müssen die weiteren dort genannten Voraussetzungen erfüllt sein (angemessenes Verhältnis zwischen Schutzziel und Maßnahme, Durchführung von Konsultations- und Informationsverfahren).“17 15 Hain, Karl-E.; Ferreau, Frederik; Brings-Wiesen, Tobias: Regulierung sozialer Netzwerke revisited. In: K&R 2017, 433ff [433f]. 16 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Bundestags-Drucksache 19/18792, S. 22. Abrufbar unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/187/19118792.pdf. 17 Ebd., 52. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 023/20 Seite 12 Außerdem wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass ausnahmsweise durch abstraktgenerelle Normen regelbare Bereiche für Diensteanbieter aus dem EU-Ausland im Inland abschließend in Art. 3 Abs. 3 ECRL iVm Anhang zu Art. 3 ECRL geregelt seien.18 Auch nach der Meinung von Eifert spricht „manches“ dafür, dass nur konkrete Einzelmaßnahmen und nicht bereichsspezifische Regelungen zulässig sind. Er sieht die Begründung des Gesetzentwurfes aber nicht als „Ergebnis europarechtlicher Ignoranz“ an, sondern gibt zu bedenken: „Wir müssen uns vor Augen halten, dass die betroffene E-Commerce-RL von Anfang des Jahrhunderts datiert und noch den oben beschriebenen Geist der Technologieförderung atmet. Es entspricht einer breiten Einschätzung, dass der Regulierungsrahmen für Plattformen medialer Inhalte überarbeitungsbedürftig ist, und in Brüssel wird intensiv darüber diskutiert. Wenn ein mitgliedsstaatlicher Gesetzgeber hier durch einen kalkulierten Verstoß eine Dynamik befördern will, entspricht das ganz sicher nicht dem rechtsstaatlichen Ideal, liegt aber vielleicht auch noch im Bereich politisch akzeptabler Provokation.“19 3. Herkunftslandprinzip für Anbieter von Videosharingplattform-Diensten 3.1. Rechtliche Grundlage Die Begründung zum NetzDGÄndG-E hebt hervor – s.o. –, dass Artikel 28a Abs. 5 AVMD-RL auf die Anwendung der ECRL für Anbieter von Videosharingplattform-Diensten verweise. Für Videosharingplattform-Dienste, die nicht in der Bundesrepublik Deutschland ansässig sind oder als dort ansässig gelten, soll nach § 3e Abs. 3 NetzDG-E das NetzDG daher grundsätzlich nicht gelten. Die nach § 4 NetzDG zuständige Behörde (Bundesamt für Justiz) soll unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 5 TMG die grundsätzliche Anwendbarkeit des NetzDG und ihren Umfang im Hinblick auf die Pflichten nach §§2, 3 und 3b NetzDG bzw. NetzDG-E im Einzelfall festlegen können. Diese mögliche Anordnung der Geltung der Verpflichtungen nach dem NetzDG muss dabei einem der in § 3 Absatz 5 TMG genannten Zwecke dienen (zum Beispiel Schutz der öffentlichen Sicherheit – wie Verhütung von Straftaten oder Bekämpfung der Hetze aus Gründen der Rasse – vor Beeinträchtigungen oder ernsthaften und schwerwiegenden Gefahren). Außerdem müssen die 18 Jörg Wimmers ; Britta Heymann: Zum Referentenentwurf eines Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) : eine kritische Stellungnahme. In: Zeitschrift für das gesamte Medienrecht : AfP. - 48 (2017), 2, S. 93ff [96]. Hain, Karl-E.; Ferreau, Frederik; Brings-Wiesen, Tobias: Regulierung sozialer Netzwerke revisited. In: K&R 2017, 433ff [434]. 19 Eifert, Martin: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz und Plattformregulierung. In: Eifert, Martin; Gostomzyk (Hrsg.): Netzwerkrecht. Die Zukunft des NetzDG und seine Folgen für die Netzwerkkommunikation. Baden- Baden 2018, S. 9ff [24]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 023/20 Seite 13 weiteren dort genannten Voraussetzungen erfüllt sein (angemessenes Verhältnis zwischen Schutzziel und Maßnahme, Durchführung von Konsultations- und Informationsverfahren). Damit wird dem in der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (ECRL) verankerten Herkunftslandprinzip, auf das in der AVMD-RL verwiesen wird, Rechnung getragen. 3.2. Gründe Da die ECRL – und damit das Herkunftslandprinzip – sowohl für die Anbieter von sozialen Netzwerken als auch – sei es direkt oder indirekt über Art. 28a AVMD-RL – Videosharingplattform -Dienste gilt, wird die Frage aufgeworfen, warum Anbieter von sozialen Netzwerken, die nicht in Deutschland ansässig sind oder dort als ansässig gelten, nach Nutzung einer nationalen Regelungskompetenz in der ECRL dem NetzDG unterliegen, nicht in Deutschland ansässige oder dort als ansässig geltende Videosharingplattform-Dienste aber nicht.20 4. Regelungen für Diensteanbieter 4.1. Regelung im bisherigen NetzDG 4.1.1. Adressaten: soziale Netzwerke Der Anwendungsbereich des NetzDG wird in § 1 NetzDG bestimmt. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift gilt das NetzDG für die Anbieter von Telemediendiensten, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die es Nutzern ermöglichen, beliebige Inhalte mit anderen Nutzern auszutauschen, zu teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen (soziale Netzwerke). Damit sollten sowohl Plattformen, auf denen gleichermaßen Bilder, Videos sowie Texte der Nutzer eingestellt werden, als auch solche Plattformen, die Einstellung nur einer der genannten Kategorien ermöglichen, umfasst werden. Nicht erfasst werden damit soziale Netzwerke, über die nicht „beliebige Inhalte“ ausgetauscht werden, sondern die auf bestimmte Inhalte ausgerichtet sind. Zu den Anbietern solcher Dienste gehören z.B. Videosharingplattform-Dienste, die auf die Verbreitung von bestimmten Szenen aus Computerspielen ausgerichtet sind.21 Ausgenommen davon sind nach § 1 Abs. 1 S. 2 NetzDG Plattformen mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten, die vom Diensteanbieter selbst verantwortet werden. 20 Ohne Antwort auf diese Frage: Liesching, Marc: Gilt das NetzDG für Facebook, Youtube und Twitter? beckcommunity vom 11. Februar 2020. Abrufbar unter: https://community.beck.de/2020/02/11/gilt-das-netzdg-fuerfacebook -youtube-und-twitter. 21 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Bundestags-Drucksache 19/18792. Begründung von § 3e NetzDG, S. 50. Abrufbar unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/187/19118792.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 023/20 Seite 14 Nach § 1 Abs. 2 NetzDG ist der Anbieter eines sozialen Netzwerks von den Pflichten nach § 2 NetzDG (Berichtspflicht) und § 3 NetzDG (Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte) befreit, wenn das soziale Netzwerk in der Bundesrepublik Deutschland weniger als zwei Millionen Nutzer hat. Der Grund für diese „Bagatellgrenze“ liegt darin, dass kleinere soziale Netzwerke von aufwändigen Prüfpflichten befreit werden sollen. Damit trägt der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass die umfassenden gesetzlichen Anforderungen des NetzDG nur von sozialen Netzwerken mit entsprechenden Ressourcen und Kapazitäten bewältigt werden können.22 Außerdem sei bei einer größeren Anzahl von Nutzern die Reichweite der Inhalte regelmäßig höher, was mit einem Anstieg der diffamierenden Wirkung einherginge.23 Der Gesetzgeber legte die sogenannte „Bagatelleschwelle“ auf zwei Millionen Nutzer fest, da nach damaligen Daten (der Gesetzentwurf wurde am 16. Mai 2017 von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD in den Bundestag eingebracht) die in der Öffentlichkeit relevanten und breit vertretenen soziale Netzwerke mindestens zwei Millionen Nutzer gehabt hätten. Diese sozialen Netzwerke seien vom Gesetz zu erfassen, damit Sinn und Zweck des Gesetzes erfüllt würden.24 4.1.2. Rechtswidrige Inhalte im Sinne des NetzDG Nach § 3 NetzDG muss ein Anbieter von sozialen Medien für Beschwerden über rechtswidrige Inhalte ein wirksames und transparentes Verfahren vorhalten. Rechtswidrig sind im Sinne dieser Vorschrift sind nach § 1 Abs. 3 NetzDG Inhalte, die den Tatbestand der §§ 86, 86a, 89a, 91, 100a, 111, 126, 129 bis 129b, 130, 131, 140, 166, 184b in Verbindung mit 184d, 185 bis 187, 201a, 241 oder 269 des Strafgesetzbuchs erfüllen und nicht gerechtfertigt sind. Darunter sind also zu verstehen: § 86 StGB: Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen § 86a StGB: Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen § 89a StGB: Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat 22 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken – (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG), Bundestags-Drucksache 18/12356. Begründung von § 1 Abs. 2 NetzDG, S. 19. Abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf. 23 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken – (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG), Bundestags-Drucksache 18/12356. Begründung von § 1 Abs. 2 NetzDG, S. 19. Abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf. 24 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken – (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG), Bundestags-Drucksache 18/12356. Begründung von § 1 Abs. 2 NetzDG, S. 19.Abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 023/20 Seite 15 § 91 StGB: Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat § 100a StGB: Landesverräterische Fälschung § 111 StGB: Öffentliche Aufforderung zu Straftaten § 126 StGB: Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten § 129 bis 129b StGB: Kriminelle und terroristische Vereinigungen § 130 StGB: Volksverhetzung § 131 StGB: Gewaltdarstellung § 140 StGB: Belohnung und Billigung von Straftaten § 166 StGB: Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen § 184b StGB in Verbindung mit § 184d StGB: Zugänglichmachen pornographischer Inhalte mittels Rundfunk oder Telemedien sowie Abruf kinder- und jugendpornographischer Inhalte mittels Telemedien § 185 bis 187 StGB: Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung § 201a StGB: Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes § 241 StGB: Bedrohung § 269 StGB: Fälschung beweiserheblicher Daten Dabei handelt es sich um eine abschließende Aufzählung. Die Tatbestände dieser Strafgesetze müssen rechtswidrig, aber nicht unbedingt schuldhaft begangen worden sein.25 4.2. Regelung im NetzDGÄndG-E 4.2.1. Adressaten: Videosharingplattform-Dienste Der Gesetzentwurf erweitert in Umsetzung der geänderten AVMD-RL den dem NetzDG unterliegenden Kreis von Diensteanbietern in §§ 3d, 3e NetzDG-E. 25 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken – (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG), Bundestags-Drucksache 18/12356. Begründung von § 1 Abs. 3 NetzDG, S. 20.Abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 023/20 Seite 16 Dabei wird der Begriff der Videosharingplattform-Dienst in § 3d NetzDG-E definiert. In § 3e NetzDG-E wird dann klargestellt, dass grundsätzlich für Videosharingplattform-Dienste die Regelungen des NetzDG gelten sollen. Nach § 3d NetzDG-E sind Videosharingplattform-Dienste „a) Telemedien, bei denen der Hauptzweck oder eine wesentliche Funktion darin besteht, Sendungen oder nutzergenerierte Videos, für die der Diensteanbieter keine redaktionelle Verantwortung trägt, der Allgemeinheit bereitzustellen, wobei der Diensteanbieter die Organisation der Sendung oder der nutzergenerierten Videos, auch mit automatischen Mitteln, bestimmt, b) trennbare Teile von Telemedien, wenn für den trennbaren Teil der in Buchstabe a genannte Hauptzweck vorliegt …“ Damit werden nun auch soziale Netzwerke, über die nicht „beliebige Inhalte“ ausgetauscht werden, sondern die auf bestimmte Inhalte ausgerichtet sind, umfasst. 26 Durch diese Regelung soll Art. 28b AVMD-RL umgesetzt werden, soweit Überschneidungen mit dem bisherigen NetzDG bestehen.27 4.2.2. Sonderfall: „kleine“ Videosharingplattform-Dienste mit Sitz im Inland Für Anbieter von Videosharingplattform-Diensten, die einerseits in der Bundesrepublik Deutschland ansässig sind bzw. als ansässig gelten und andererseits im Inland weniger als zwei Millionen registrierte Nutzer haben, soll das NetzDG nur eingeschränkt gelten. Das NetzDG soll nach § 3e Abs. 2 NetzDG-E für sie nur im Hinblick auf nutzergenerierte Inhalte gelten, die den Tatbestand der §§ 111, 130 Abs. 1 oder 2, der §§ 131,100, 140,166 oder 184b in Verbindung mit § 184d StGB erfüllen. Dabei würde es sich handeln um § 111 StGB: Öffentliche Aufforderung zu Straftaten § 130 StGB: Volksverhetzung § 131 StGB: Gewaltdarstellung § 140 StGB: Belohnung und Billigung von Straftaten 26 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Bundestags-Drucksache 19/18792. Begründung von § 3e Abs. 1 NetzDGÄndG, S. 50f. Abrufbar unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/187/19118792.pd. 27 Ebd. Begründung von § 3e NetzDGÄndG, S. 50. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 023/20 Seite 17 § 166 StGB: Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen § 184b StGB in Verbindung mit § 184d StGB: Zugänglichmachen pornographischer Inhalte mittels Rundfunk oder Telemedien sowie Abruf kinder- und jugendpornographischer Inhalte mittels Telemedien In der Begründung des Gesetzentwurfs wird dazu ausgeführt, dass auf diese Weise berücksichtigt werde, „dass die umzusetzenden Vorgaben aus Artikel 28b AVMD-RL zum Schutz vor unzulässigen Inhalten zwar grundsätzlich auch für kleinere Anbieter vorgesehen sind, andererseits für kleinere Dienste die Geltung aller Vorgaben des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes eine übermäßige Belastung darstellen könnte.“28 28 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Bundestags-Drucksache 19/18792. Begründung von § 3e NetzDG, S. 51. Abrufbar unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/187/19118792.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 023/20 Seite 18 Problematisch ist, ob mit dieser Einschränkung Art. 9, 28b Abs. 1 b) AVMD-RL29 , der sich auf Art. 21 der Charta30 bezieht, ausreichend umgesetzt ist.31 Da diese Anbieter in der Bundesrepublik Deutschland ansässig sind oder als dort ansässig gelten, sind Bedenken gegen eine Regelung durch deutsches Recht nicht ersichtlich. 29 RICHTLINIE (EU) 2018/1808 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES zur Änderung der Richtlinie 2010/13/EU zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste) im Hinblick auf sich verändernde Marktgegebenheiten vom 14. November 2018. Amtsblatt der Europäischen Union vom 28. November 2018, L 303/69ff.: … Artikel 28b (1) Unbeschadet der Artikel 12 bis 15 der Richtlinie 2000/31/EG sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass ihrer Rechtshoheit unterliegende Video-Sharing-Plattform-Anbieter angemessene Maßnahmen treffen, um a) Minderjährige gemäß Artikel 6a Absatz 1 vor Sendungen, nutzergenerierten Videos und audiovisueller kommerzieller Kommunikation zu schützen, die ihre körperliche, geistige oder sittliche Entwicklung beeinträchtigen können; b) die Allgemeinheit vor Sendungen, nutzergenerierten Videos und audiovisueller kommerzieller Kommunikation zu schützen, in denen zu Gewalt oder Hass gegen eine Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer Gruppe aus einem der in Artikel 21 der Charta genannten Gründe aufgestachelt wird; c) die Allgemeinheit vor Sendungen, nutzergenerierten Videos und audiovisueller kommerzieller Kommunikation mit Inhalten zu schützen, deren Verbreitung gemäß Unionsrecht eine Straftat darstellt, nämlich die öffentliche Aufforderung zur Begehung einer terroristischen Straftat im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie (EU) 2017/541, Straftaten im Zusammenhang mit Kinderpornografie im Sinne des Artikels 5 Absatz 4 der Richtlinie 2011/93/EU des Europäischen Parlaments und des Rates und rassistische und fremdenfeindliche Straftaten im Sinne des Artikels 1 des Rahmenbeschlusses 2008/913/JI. 30 Charta der Grundrechte der EU. Amtsblatt der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007, S. C 303/17ff.: Art. 21 Nichtdiskriminierung (1) Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung sind verboten. (2) Unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge ist in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. 31 S. dazu: Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken – (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG), Bundestags-Drucksache 18/12356. Begründung von § 3e Abs. 2 NetzDG, S. 51. Abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812356.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 023/20 Seite 19 4.2.3. Sonderfall: nicht in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Videosharingplattform-Dienste Für Videosharingplattform-Dienste, die nicht in der Bundesrepublik Deutschland ansässig sind oder als dort ansässig gelten, gilt das NetzDG – s.o. – grundsätzlich nicht. Damit wird dem in der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (ECRL) verankerten Herkunftslandprinzip, auf das in der AVMD-RL verwiesen wird32 , Rechnung getragen. 32 RICHTLINIE 2010/13/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 10. März 2010 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste). Amtsblatt der Europäischen Union vom 15. April 2010, S. 95/1ff: Erwägungsgründe: (33) Das Herkunftslandprinzip sollte als Kernbestandteil dieser Richtlinie angesehen werden, da es für die Schaffung des Binnenmarkts unverzichtbar ist. Dieses Prinzip sollte für alle audiovisuellen Mediendienste gelten, um für die Mediendiensteanbieter die zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und zur Einführung dieser Dienste erforderliche Rechtssicherheit zu schaffen. Es ist außerdem die Voraussetzung für den freien Informationsfluss und den freien Verkehr audiovisueller Programme innerhalb des Binnenmarkts. (34) Zur Förderung einer starken, wettbewerbsfähigen und integrierten europäischen audiovisuellen Industrie und zur Stärkung des Medienpluralismus in der gesamten Union sollte jeweils nur ein Mitgliedstaat für einen Anbieter audiovisueller Mediendienste zuständig sein und sollte der Informationspluralismus ein grundlegendes Prinzip der Union sein. RICHTLINIE (EU) 2018/1808 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES zur Änderung der Richtlinie 2010/13/EU zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste) im Hinblick auf sich verändernde Marktgegebenheiten vom 14. November 2018. Amtsblatt der Europäischen Union vom 28. November 2018, L 303/69ff. Artikel 28a (1) Für die Zwecke dieser Richtlinie unterliegt ein Video-Sharing-Plattform-Anbieter, der im Sinne des Artikels 3 Absatz 1 der Richtlinie 2000/31/EG im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats niedergelassen ist, der Rechtshoheit dieses Mitgliedstaats. (2) Ein Video-Sharing-Plattform-Anbieter, der nicht gemäß Absatz 1 im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats niedergelassen ist, gilt für die Zwecke dieser Richtlinie als im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats niedergelassen, wenn dieser Video-Sharing-Plattform-Anbieter a) ein Mutterunternehmen oder ein Tochterunternehmen hat, das im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats niedergelassen ist, oder b) Teil einer Gruppe ist und ein anderes Unternehmen dieser Gruppe im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats niedergelassen ist. … Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 023/20 Seite 20 4.2.4. Videosharingplattform-Dienst als wesentlicher, aber untrennbarer Dienst eines sozialen Netzwerkes Wenn eine wesentliche Funktion des sozialen Netzwerks in der Bereitstellung von Sendungen und von nutzergenerierten Videos besteht, ist die AVMD-RL auch auf das soziale Netzwerk als solches anzuwenden. Die Bereitstellung von Sendungen und nutzergenerierten Videos könnte als wesentliche Funktion des sozialen Netzwerks angesehen werden, wenn der audiovisuelle Inhalt im Rahmen der Tätigkeit des sozialen Netzwerks nicht bloß von untergeordneter Bedeutung ist oder nur einen geringfügigen Teil der Tätigkeiten des sozialen Netzwerks darstellt. Um bezüglich der Umsetzung für Klarheit, Wirksamkeit und Einheitlichkeit zu sorgen, sieht Erwägungsgrund 5 der Änderungsrichtlinie der AVMD-RL vor, dass die Kommission nach Konsultation des Kontaktausschusses gegebenenfalls Leitlinien für die praktische Anwendung des in der Begriffsbestimmung „Video-Sharing-Plattform-Dienst“ enthaltenen Kriteriums der wesentlichen Funktion herausgeben sollte. Diese Leitlinien sollten unter gebührender Beachtung der allgemeinen Ziele von öffentlichem Interesse, die durch die von Video- Sharing-Plattform- Anbietern zu treffenden Maßnahmen erreicht werden sollen, und des Rechts der freien Meinungsäußerung ausgearbeitet werden.33 4.2.5. Trennbare Videosharingplattform-Dienste Für den Fall, dass ein trennbarer Teil eines Dienstes für die Zwecke der AVMD-RL einen Videosharingplattform-Dienst darstellt, soll nur dieser Teil von der Richtlinie erfasst werden. In 33 RICHTLINIE (EU) 2018/1808 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES zur Änderung der Richtlinie 2010/13/EU zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste) im Hinblick auf sich verändernde Marktgegebenheiten vom 14. November 2018. Amtsblatt der Europäischen Union vom 28. November 2018, L 303/69ff.: Erwägungsgründe (5) Die Richtlinie 2010/13/EU ist zwar nicht darauf ausgerichtet, soziale Netzwerke an sich zu regulieren, aber sie sollte sich auf diese Dienste erstrecken, wenn eine wesentliche Funktion des sozialen Netzwerks in der Bereitstellung von Sendungen und von nutzergenerierten Videos besteht. Die Bereitstellung von Sendungen und nutzergenerierten Videos könnte als wesentliche Funktion des sozialen Netzwerks angesehen werden, wenn der audiovisuelle Inhalt im Rahmen der Tätigkeit des sozialen Netzwerks nicht bloß von untergeordneter Bedeutung ist oder nur einen geringfügigen Teil der Tätigkeiten des sozialen Netzwerks darstellt. Um bezüglich der Umsetzung für Klarheit, Wirksamkeit und Einheitlichkeit zu sorgen, sollte die Kommission nach Konsultation des Kontaktausschusses gegebenenfalls Leitlinien für die praktische Anwendung des in der Begriffsbestimmung „Video-Sharing-Plattform-Dienst“ enthaltenen Kriteriums der wesentlichen Funktion herausgeben. Diese Leitlinien sollten unter gebührender Beachtung der allgemeinen Ziele von öffentlichem Interesse, die durch die von Video- Sharing-Plattform- Anbietern zu treffenden Maßnahmen erreicht werden sollen, und des Rechts der freien Meinungsäußerung ausgearbeitet werden. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 023/20 Seite 21 diesen Fällen bleibt die Geltung des NetzDG im Übrigen unberührt, sofern der Anbieter zugleich Anbieter eines sozialen Netzwerks ist.34 Dies entspricht Erwägungsgrund 6 der Richtlinie zur Änderung der AVMD-RL.35 § 3d Absatz 1 Nummer 1 und 2 NetzDG-E dienen der Umsetzung von Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe aa AVMD-RL (Definition Videosharingplattform-Dienste). Dabei wird berücksichtigt, dass gemäß Erwägungsgrund 6 der Richtlinie (EU) 2018/1808 für den Fall, dass ein trennbarer Teil eines Dienstes für die Zwecke der AVMD-RL einen Videosharingplattform-Dienst darstellt, nur dieser Teil von der Richtlinie erfasst werden soll. In diesen Fällen bleibt die Geltung des NetzDG im Übrigen unberührt, sofern der Anbieter zugleich Anbieter eines sozialen Netzwerks ist. 4.2.6. Weitere Gesetzgebungsvorhaben Weitergehende Regelungen aufgrund der Vorgaben nach Artikel 28b Absatz 2 und 3 Buchstabe b und c der AVMD-RL sollen ebenfalls dem TMG und einem entsprechenden gesonderten Gesetzgebungsverfahren vorbehalten bleiben.36 34 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Bundestags-Drucksache 19/18792. Begründung von § 3d NetzDG, S. 50. Abrufbar unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/187/19118792.pdf. 35 RICHTLINIE (EU) 2018/1808 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES zur Änderung der Richtlinie 2010/13/EU zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste) im Hinblick auf sich verändernde Marktgegebenheiten vom 14. November 2018. Amtsblatt der Europäischen Union vom 28. November 2018, L 303/69ff.: Erwägungsgründe (6) Stellt ein trennbarer Teil eines Dienstes einen Video-Sharing-Plattform-Dienst für die Zwecke der Richtlinie 2010/13/EU dar, so sollte nur dieser Teil von dieser Richtlinie erfasst werden und dies nur im Hinblick auf Sendungen und nutzergenerierte Videos. In die redaktionellen Inhalte elektronischer Ausgaben von Zeitungen und Zeitschriften eingebettete Videoclips und animierte Bilder wie Bilder im GIF-Format sollten von der Richtlinie 2010/13/EU nicht erfasst werden. Die Begriffsbestimmung „Video- Sharing-Plattform-Dienst“ sollte sich nicht auf nichtwirtschaftliche Tätigkeiten, wie die Bereitstellung audiovisueller Inhalte auf privaten Webseiten und nichtwirtschaftlichen Interessengemeinschaften, erstrecken. 36 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Bundestags-Drucksache 19/18792. Begründung von § 3d NetzDG, S. 50. Abrufbar unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/187/19118792.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 023/20 Seite 22 5. Zusammenfassung Die europarechtliche Zulässigkeit einer nationalen Regelung für die Anbieter sozialer Netzwerke, die nicht in Deutschland ansässig sind oder als dort nicht ansässig gelten, (Marktortprinzip) ist umstritten. Sollte der Gesetzentwurf der Bundesregierung unverändert vom Bundestag angenommen werden, so ergäbe sich folgendes Bild: Nach § 1 Abs. 1 NetzDG gilt das NetzDG für die Anbieter von sozialen Netzwerken mit mehr als zwei Millionen Nutzern in der Bundesrepublik Deutschland – mit Ausnahme von Videosharingplattform-Diensten – uneingeschränkt und unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat der EU der Anbieter ansässig ist oder als ansässig gilt. Für Videosharingplattform-Dienste mit mehr als zwei Millionen Nutzern in der Bundesrepublik Deutschland, die hier ansässig sind oder als hier ansässig gelten, gilt das NetzDG uneingeschränkt. Für Videosharingplattform-Dienste mit weniger als zwei Millionen Nutzern in der Bundesrepublik Deutschland, die hier ansässig sind oder als hier ansässig gelten, gilt das NetzDG nur eingeschränkt (s. dazu 4.2.2). Für Videosharingplattform-Dienste, die außerhalb der Bundesrepublik Deutschland ansässig sind oder als dort ansässig gelten, gilt das NetzDG nur bei einer entsprechenden Anordnung des Bundesamtes für Justiz im Einzelfall (s. dazu 4.2.3). Vor diesem Hintergrund ist es durchaus vorstellbar, dass ein soziales Netzwerk im Sinne des NetzDG mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat dem NetzDG unterliegt, ein Videosharingplattform -Dienst mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat aber nicht. Gründe für diese Regelung wurden bisher nicht genannt. 6. Anlagen Deutscher Bundestag – Unterabteilung Europa – Fachbereich Europa: Der Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes – Vereinbarkeit mit dem Herkunftslandprinzip. Az.: PE 6 – 3000 – 32/17. Ausarbeitung vom 29. Mai 2017. Eifert, Martin: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz und Plattformregulierung. In: Eifert, Martin; Gostomzyk (Hrsg.): Netzwerkrecht. Die Zukunft des NetzDG und seine Folgen für die Netzwerkkommunikation. Baden-Baden 2018, S. 9ff. Feldmann, Thorsten: Zum Referentenentwurf eines NetzDG: Eine kritische Betrachtung. In: K&R 2017, 292ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000 – 023/20 Seite 23 Hain, Karl-E.; Ferreau, Frederik; Brings-Wiesen, Tobias: Regulierung sozialer Netzwerke revisited. In: K&R 2017, 433ff. Höch, Dominik: Nachbessern: ja, verteufeln: nein. Das NetzDG ist besser als sein Ruf. In: K&R 2017, 289ff. Liesching, Marc: Gilt das NetzDG für Facebook, Youtube und Twitter? beck-community vom 11. Februar 2020. Abrufbar unter: https://community.beck.de/2020/02/11/gilt-das-netzdg-fuerfacebook -youtube-und-twitter. Spindler, Gerald: Der Regierungsentwurf zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz - europarechtswidrig? In: Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht : ZUM. - 61 (2017), 6, S. 473ff. Spindler, Gerald: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. In: K&R 2017, 533ff. Spindler, Gerald; Schmitz, Peter; Liesching, Marc: Telemediengesetz : mit Netzwerkdurchsetzungsgesetz : Kommentar 2. Auflage. München 2018. Stand Dezember 2017. Wimmers, Jörg; Heymann, Britta: Zum Referentenentwurf eines Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) : eine kritische Stellungnahme, in: Zeitschrift für das gesamte Medienrecht: AfP. - 48 (2017), 2, S. 93ff. ****