© 2018 Deutscher Bundestag WD 10 – 3000 – 023/18 Rückführung von Kulturgütern aus Kolonialgebieten Rechtsgrundlagen für Ansprüche auf Restitution Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Anspruchsgrundlage im nationalen Kulturgutschutzrecht 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000 – 023/18 Seite 4 1. Einleitung Im Hinblick auf den Umgang mit Kunst- und Kulturgegenständen, die während und infolge der kolonialen Herrschaftsbestrebungen Deutschlands und anderer europäischer Nationen in die heutige Bundesrepublik gelangt und hier in Museen und universitären Sammlungen aufbewahrt, beforscht und ausgestellt werden, ist die Frage der rechtlichen Notwendigkeit bzw. Möglichkeit der Rückführung derartiger Kulturgüter an ihren Herkunftsort bzw. in ihre Herkunftsgesellschaften von Belang. Hierzu werden im Folgenden insbesondere solche Regelungen des internationalen und nationalen Kulturgutschutzrechts angesprochen, welche eine Grundlage für Restitutionsansprüche darstellen könnten.1 2. Rechtliche Grundlagen für Restitutionsansprüche 2.1. Völkerrechtliche Anspruchsgrundlagen Aufgrund des übernationalen Kontexts kommen als Rechtsgrundlagen in Bezug auf etwaige Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern, die aus ehemaligen Kolonialgebieten stammen, zunächst völkerrechtliche Regelungen in Betracht. Diesbezüglich wird im Folgenden auf die im Bereich des Kulturgüterschutzes einschlägigen Vereinbarungen eingegangen, namentlich - das UNESCO-Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut von 1970 (2.1.1.), - die UNIDROIT-Konvention über gestohlene oder rechtswidrig ausgeführte Kulturgüter von 1995 (2.1.2.), - die Washingtoner Prinzipien von 1998 (2.1.3.) und - die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker von 2007 (2.1.4.). Darüber hinaus sind Ansprüche auf völkergewohnheitsrechtlicher Grundlage denkbar (2.1.5.). 1 Dabei ist zu beachten, dass alle deutschen Kolonien nach dem Ersten Weltkrieg gemäß dem Versailler Vertrag von 1919 abgetreten wurden. Vgl. Friedensvertrag von Versailles (Versailler Vertrag) vom 28. Juni 1919 (RGBl. 1919, Nr. 140, S. 687 ff.), Teil IV, Abschnitt I. Artikel 119: „Deutschland verzichtet zugunsten der alliierten und assoziierten Hauptmächte auf alle seine Rechte und Ansprüche bezüglich seiner überseeischen Besitzungen.“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000 – 023/18 Seite 5 2.1.1. UNESCO-Kulturgutübereinkommen Im UNESCO-Kulturgutübereinkommen vom 14. November 19702 verpflichten sich die Teilnehmerstaaten unter anderem, geeignete Maßnahmen zu treffen, um eine Rückführung von Kulturgütern , die auf illegale Weise in ihr Land gelangt sind, in deren Ursprungsstaat zu ermöglichen. Die einschlägige Regelung ist in Artikel 7 b) ii) des Übereinkommens niedergelegt, der folgendermaßen lautet: „Die Vertragsstaaten verpflichten sich, auf Ersuchen des Ursprungsstaats, der Vertragspartei ist, geeignete Maßnahmen zur Wiedererlangung und Rückgabe solchen Kulturguts zu ergreifen, das nach Inkrafttreten dieses Übereinkommens für beide betreffenden Staaten eingeführt wurde, mit der Maßgabe, dass der ersuchende Staat einem gutgläubigen Erwerber oder einer Person mit einem gültigen Rechtsanspruch an dem Gut eine angemessene Entschädigung zahlt. Ersuchen um Wiedererlangung und Rückgabe sind auf diplomatischem Weg zu übermitteln. Der ersuchende Staat stellt auf seine Kosten die Unterlagen und Nachweise zur Verfügung, die zur Feststellung seines Anspruchs auf Wiedererlangung und Rückgabe erforderlich sind. Die Vertragsstaaten erheben auf das nach diesem Artikel zurückgegebene Gut weder Zölle noch sonstige Abgaben. Alle Kosten im Zusammenhang mit der Rückgabe und Zustellung des Kulturguts werden von dem ersuchenden Staat getragen.“3 Ausweislich des Wortlauts von Artikel 7 b) i) des Übereinkommens4 kommt eine Rückgabe nur für diejenigen Kulturgüter in Frage, welche aus einem Museum, einem religiösen oder öffentlichen Baudenkmal oder einer ähnlichen Einrichtung eines Vertragsstaats gestohlen worden sind.5 Ob und mit welcher Reichweite und Bindungswirkung sich ein Rückführungsanspruch aus dem Übereinkommen selbst ergibt, wird unterschiedlich gesehen. Ein auf die Zukunft gerichteter völ- 2 Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut vom 14. November 1970, dessen amtliche deutsche Fassung abrufbar ist unter https://www.unesco.de/infothek/dokumente/uebereinkommen/konvention-gegen-illegalen-handel-mit-kulturgut .html (aufgerufen am 2.5.2018). 3 Im Übrigen sollen die betreffenden Dienststellen dergestalt zusammenarbeiten, dass eine Rückführung schnellstmöglich von statten gehen kann, Artikel 13 b). Bilaterale Abkommen sind hiervon nicht berührt, Artikel 15 des Übereinkommens. 4 „Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die Einfuhr von Kulturgut, das nach Inkrafttreten dieses Übereinkommens für die betreffenden Staaten aus einem Museum oder einem religiösen oder weltlichen öffentlichen Baudenkmal oder einer ähnlichen Einrichtung in einem anderen Vertragsstaat gestohlen worden ist, zu verbieten, sofern nachgewiesen werden kann, dass dieses Gut zum Bestand jener Einrichtung gehört.“ 5 Gilbert Gornig, Wem gehört der Pergamon Altar? Völkerrechtliche Diskussion der Forderung Griechenlands auf Rückgabe von Kulturgütern, in: Gornig/Schiller/Wesemann, Griechenland in Europa, Frankfurt a.M. 2000, S. 61 (81); Christiane Freytag, „Cultural heritage“: Rückgabeansprüche von Ursprungsländern auf ihr Kulturgut?, in: Fechner/Oppermann/Prott, Prinzipien des Kulturgüterschutzes, Ansätze im deutschen, europäischen und internationalen Recht, Berlin 1996, S. 175 (181); Andrea Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz, Köln 1993, S. 136. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000 – 023/18 Seite 6 kerrechtlicher Rückführungsanspruch wird teilweise unmittelbar aus dem Übereinkommen hergeleitet .6 Hiergegen spricht allerdings, dass das Übereinkommen schon nach Ansicht der UNE- SCO selbst an sich weitestgehend keine unmittelbare Wirkung entfaltet und seinerseits der Umsetzung in nationales Recht durch die ratifizierenden Staaten bedarf.7 Die Bundesrepublik Deutschland hat das Übereinkommen durch das 2007 verabschiedete Kulturgüterrückgabegesetz (KultGüRückG)8 umgesetzt. In der Literatur wird darauf hingewiesen, die Formulierung des Artikels 7 b) ii) suggeriere unterschwellig auch das Bestehen eines Rechtsanspruchs auf Seiten der Ursprungsstaaten auf Rückführung von Kulturgütern, die vor der Verabschiedung des Übereinkommens das entsprechende Hoheitsgebiet verlassen haben.9 Eine potentielle Bindungswirkung aber, die sich aus der Ratifizierung der UNESCO-Übereinkommen für die entsprechenden Staaten ergibt – losgelöst davon, ob man eine nationale Umsetzung für erforderlich hält oder nicht – erstreckt sich dem Wortlaut der Regelung nach explizit nicht auf den Zeitraum vor dessen Inkrafttreten.10 Demnach scheidet ein Anspruch auf Rückgabe von in der Vergangenheit aus dem Ursprungsland verbachten Kulturgütern auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens aus. 2.1.2. UNIDROIT-Konvention über gestohlene und rechtswidrig eingeführte Kulturgüter Aufgrund mangelnder Durchschlagskraft des UNESCO-Kulturgutübereinkommens auch im Hinblick auf Ansprüche von Privatpersonen trat die UNESCO im Jahr 1984 an das Internationale Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts (UNIDROIT) heran mit der Bitte um Erarbei- 6 Kurt Siehr, International Art Trade and the Law, Receuil des Cours (RdC) 243 (1993), S. 13, § 258 ff.; Matthias Friehe, Völkerrechtliche Haftung im Kulturgüterschutzrecht, Frankfurt a.M. 2013, S. 116. 7 Vgl. Deutsche UNESCO-Kommission, https://www.unesco.de/kultur/kulturgutschutz/unidroit-konvention.html (aufgerufen am 2.5.2018). 8 Gesetz zur Ausführung des UNESCO-Übereinkommens vom 14. November 1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut und zur Umsetzung der Richtlinie 93/7/EWG des Rates vom 15. März 1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern (Kulturgüterrückgabegesetz – KultGüRückG) eingeführt durch Artikel 1 Gesetz vom 18. Mai 2007 - BGBl I S. 757. 9 Kurt Siehr, Mystifizierung und Entmystifizierung von Kulturgütern und das Recht, Kunst und Recht (KUR) 2011, S. 87 (90). 10 Gleichwohl wurde mehrfach versucht, auf dieser Grundlage in der Vergangenheit verbrachte Kulturgüter zurückzufordern , vgl. am Beispiel der Büste der Nofretete Kurt Siehr, The Beautiful One Has Come – to Return: The Return of the Bust of Nefreteti from Berlin to Cairo, abrufbar auf https://law.wustl.edu/harris/Conferences /imperialism/Siehr_PAPER_The%20Bust%20of%20Nefertiti%202.pdf (aufgerufen am 2.5.2018). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000 – 023/18 Seite 7 tung einer neuen Konvention. Ergebnis der Arbeiten war die UNIDROIT-Konvention über gestohlene oder rechtswidrig ausgeführte Kulturgüter11, die im Unterschied zum UNESCO-Übereinkommen keines staatlichen Umsetzungsaktes bedarf und unmittelbare Wirkung innerhalb der Vertragsstaaten entfaltet.12 Die Konvention sieht unter anderem Rückführungsansprüche von illegal exportierten Kulturgütern 13 sowie Rückgabeansprüche bezüglich gestohlener Kulturgüter vor, die auch von Privatpersonen geltend gemacht werden können.14 Die hier getroffenen, weitreichenden Regelungen in Bezug auf die Rückführung sind unter anderem ein Grund dafür, dass bisher nur wenige Staaten die Konvention ratifiziert haben.15 Die meisten Vertragsstaaten der Konvention sind Ursprungsländer; Deutschland ist bislang nicht beigetreten.16 Folglich können aufgrund der UNIDROIT-Konvention ebenfalls keine Rückführungsansprüche von Seiten der Ursprungsstaaten oder betroffenen Privatpersonen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland geltend gemacht werden. 2.1.3. Washingtoner Prinzipien Die „Grundsätze der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden“ vom 3. Dezember 1998 (Washingtoner Prinzipien) 17 stellen eine nicht bindende Übereinkunft der unterzeichnenden Staaten zur Förderung des Auffindens und der Rückgabe von entsprechenden Kunstwerken dar. Die Prinzipien sind Grundlage für die „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem 11 Unidroit Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects, im Internet abrufbar unter: https://www.unidroit.org/english/conventions/1995culturalproperty/1995culturalproperty-e.pdf (aufgerufen am 2.5.2018) 12 Vgl. Deutsche UNESCO-Kommission in https://www.unesco.de/kultur/kulturgutschutz/unidroit-konvention .html (aufgerufen am 2.5.2018). 13 Artikel 5 Abs. 1 UNIDROIT-Konvention, „A Contracting State may request the court or other competent authority of another Contracting State to order the return of a cultural object illegally exported from the territory of the requesting State.” 14 Vgl. Lyndel Prott, Commentary on the Unidroit Convention on Stolen and Illegaly Exported Cultural Objects 1995, London 1997, S. 31 f. 15 Deutsche UNESCO-Kommission in https://www.unesco.de/kultur/kulturgutschutz/unidroit-konvention.html, (aufgerufen am 2.5.2018); siehe auch Matthias Friehe, Völkerrechtliche Haftung im Kulturgüterschutzrecht, Frankfurt a.M. 2013, S. 117. 16 Deutsche UNESCO-Kommission in https://www.unesco.de/kultur/kulturgutschutz/unidroit-konvention.html, (aufgerufen am 2.5.2018); Siehe dazu auch: Amtliche Begründung zum Kulturgüterrückgabegesetz (KultGüRück G), BT-Drs. 16/1371, S. 13; Matthias Friehe, Völkerrechtliche Haftung im Kulturgüterschutzrecht, Frankfurt a.M. 2013, S. 117. 17 Grundsätze der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden (Washington Principles), veröffentlicht im Zusammenhang mit der Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust am 3. Dezember 1998, abrufbar auf der Website des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste unter: https://www.kulturgutverluste.de/Webs/DE/Stiftung/Grundlagen/Washingtoner -Prinzipien/Index.html (aufgerufen am 2.5.2018). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000 – 023/18 Seite 8 Besitz“ vom 9. Dezember 1999.18 Durch die Nationalsozialisten beschlagnahmte Kulturgüter sollen demnach möglichst effizient aufgespürt, ihr Verbleib öffentlich gemacht und an ihre ursprünglichen Eigentümer, beziehungsweise deren Rechtsnachfolger zurückgeführt werden.19 Ergänzend sei die Theresienstädter Erklärung vom 30. Juni 2009 erwähnt, durch die das Ansinnen der Washingtoner Erklärung, unter anderem unter Verweis auf die Wichtigkeit der Provenienzforschung und der Zugänglichmachung entsprechender Daten für die Rückgabe von Kulturgütern , noch einmal bekräftigt wurde.20 Der Anwendungsbereich der Washingtoner Prinzipien lässt sich wegen der klar umrissenen Beschränkung auf NS-verfolgungsbedingtes Kulturgut nicht auf den Umgang mit Kulturgut aus Kolonialgebieten erweitern. Allerdings haben die Prinzipien im Hinblick auf den Umgang mit unrechtmäßig erworbenem Kulturgut eine erhebliche Vorbildfunktion, an der sich zukünftige Abkommen mit entsprechendem Bezug messen lassen. Demgemäß hat der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz eine internationale Vereinbarung zum Umgang mit kolonialem Erbe in Anlehnung an die Washingtoner Erklärung angeregt.21 2.1.4. Die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker Mit der Erklärung über die Rechte der indigenen Völker vom September 200722 haben die Vereinten Nationen einen signifikanten Schritt zur allgemeinen Bewusstseinsschärfung im Hinblick auf die Situation indigener Völker unternommen. Zur vorliegenden Thematik wird in Art. 11 Nr. 2 der Erklärung folgendes konstatiert: „Die Staaten haben durch gemeinsam mit den indigenen Völkern entwickelte wirksame Mechanismen, die gegebenenfalls die Rückerstattung einschließen, Wiedergutmachung zu leisten für das kulturelle, geistige, religiöse und spirituelle Eigentum, das diesen 18 Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 9. Dezember 1999, im Internet abrufbar unter: https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/1999/1999_12_09-Auffindung-Rueckgabe- Kulturgutes.pdf (aufgerufen am 2.5.2018). 19 Zu den Washingtoner Prinzipien siehe die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages „Raubkunst und Restitution – Washingtoner Erklärung und Limbach-Kommission“, WD 10 - 3000 - 061/16. 20 „NS-verfolgungsbedingt entzogene Kunstgegenstände“, im Internet abrufbar unter: https://www.kulturgutverluste .de/Content/08_Downloads/DE/Theresienstaedter-Erklaerung.pdf;jsessionid =784214631F70746631135421A9CBD8BC.m7?__blob=publicationFile&v=2 (aufgerufen am 2.5.2018). 21 „Raubkunst und staatliche Museen – Parzinger will internationale Regeln“, in: Der Tagesspiegel vom 2.1.2018, S. 21. Siehe auch entsprechenden Online-Artikel unter https://www.tagesspiegel.de/kultur/praesident-der-stiftung -preussischer-kulturbesitz-hermann-parzinger-fordert-internationale-vereinbarung-zu-kolonialemerbe /20802820.html (aufgerufen am 2.5.2018) 22 United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples vom 17. September 2007, im Internet abrufbar unter: https://www.un.org/development/desa/indigenouspeoples/declaration-on-the-rights-of-indigenous-peoples .html. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000 – 023/18 Seite 9 Völkern ohne ihre freiwillige und in Kenntnis der Sachlage erteilte vorherige Zustimmung oder unter Verstoß gegen ihre Gesetze, Traditionen und Bräuche entzogen wurde.“23 Rechtliche Bindung entfaltet diese Erklärung aber nur insoweit, als dass sie auf bereits geltendes Völkerrecht rekurriert.24 Da aber weder ein völkerrechtlicher noch ein – wie unter Punkt 2.1.5. zu zeigen sein wird - völkergewohnheitsrechtlicher Anspruch auf eine Rückführung von in Friedenszeiten aus den Ursprungsstaaten verbrachten Kulturgütern besteht, kann die Erklärung für sich genommen keinen solchen Anspruch auf Seiten der Ursprungsstaaten konstituieren. 2.1.5. Völkergewohnheitsrecht Ein völkergewohnheitsrechtlicher Anspruch auf eine Rückführung von in Friedenszeiten außer Landes gebrachten Kulturgüter wird in der einschlägigen Literatur diskutiert, im Ergebnis aber abgelehnt.25 Wohl hat die Haager Landkriegsordnung von 190726 ihrerseits bereits geltendes Völkergewohnheitsrecht im Hinblick auf verschleppte Kulturgüter kodifiziert.27 Ebenso konstruiert die Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten vom 14. Mai 1954 (Haager Konvention von 1954)28 zwar einen Rückgabeanspruch auf verschleppte Kulturgüter seitens des Ursprungsstaates – und dies auch auf völkergewohnheitsrechtlicher Basis gegenüber Staaten, welche die Konvention nicht ratifiziert haben29. Doch umfasst deren Regelungsbereich lediglich Kul- 23 Text in deutscher Übersetzung abrufbar unter http://www.humanitaeres-voelkerrecht.de/ERiV.pdf (aufgerufen am 2.5.2018). 24 Die Erklärung versteht sich ausweislich ihrer Präambel als nicht bindend. „…die nachstehende Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker als ein im Geiste der Partnerschaft und der gegenseitigen Achtung zu verfolgendes Ideal“. 25 Vgl. dazu Christiane Freytag, „Cultural heritage“: Rückgabeansprüche von Ursprungsländern auf ihr Kulturgut?, in: Fechner/Oppermann/Prott, Prinzipien des Kulturgüterschutzes, Ansätze im deutschen, europäischen und internationalen Recht, Berlin 1996, S. 175 (183 ff.); Gilbert Gornig, Wem gehört der Pergamon Altar? Völkerrechtliche Diskussion der Forderung Griechenlands auf Rückgabe von Kulturgütern, in: Gornig/Schiller/Wesemann , Griechenland in Europa, Frankfurt a.M. 2000, S. 61 (83 ff.); zusammenfassend Matthias Friehe, Völkerrechtliche Haftung im Kulturgüterschutzrecht, Frankfurt a.M., S. 117 ff. 26 Reichsgesetzblatt 1910, Nr. 2, S. 132ff. 27 Statt vieler Wilfried Fiedler, Der Streit um die „Kriegsbeute“, in: Stern u.a. (Hrsg.), Gedenkschrift für Burmeister , Heidelberg 2005, S. 163 (165). 28 Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict with Regulations for the Execution of the Convention 1954, im Internet abrufbar unter: http://portal.unesco.org/en/ev.php- URL_ID=13637&URL_DO=DO_TOPIC&URL_SECTION=201.html (aufgerufen am 2.5.2018). 29 Vgl. dazu mit weiteren Nachweisen Matthias Friehe, Völkerrechtliche Haftung im Kulturgüterschutzrecht, Frankfurt a.M. 2013, S. 44. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000 – 023/18 Seite 10 turgüter, die im Rahmen bewaffneter Konflikte verschleppt worden sind. Ein übergreifendes Verständnis dahingehend, die Zeit kolonialer Besetzung insgesamt als eine Art bewaffneten Dauerkonflikt zu sehen, und so einen Anspruch zu konstruieren, dürfte im Übrigen abzulehnen sein. 2.2. Anspruchsgrundlage im nationalen Kulturgutschutzrecht An die Stelle der Regelungen des Kulturgüterrückgabegesetzes von 2007, mit dem das UNESCO- Übereinkommen von 1970 umgesetzt wurde, ist seit 2016 das Kulturgutschutzgesetz (KSGS)30 getreten . Es regelt in seinem 5. Kapitel die Ansprüche von Nicht-EU-Mitgliedstaaten auf Rückgabe ihnen zuzuordnender Kulturgüter. Danach haben diese Staaten unter den Voraussetzungen des § 52 Abs. 1 KGSG einen Anspruch auf Rückgabe von Kulturgütern, die vormals aus ihrem Hoheitsgebiet entfernt wurden. Allerdings ist diese Anspruchsgrundlage nur einschlägig, sofern das in Rede stehende Kulturgut nach dem in § 52 Abs. 1 Nr. 2 KGSG gesetzten Stichtag des 26. April 2007, dem Tag der Ratifizierung des UNESCO-Kulturgutübereinkommens durch die Bundesrepublik Deutschland, unter Verstoß gegen Rechtsvorschriften des Ursprungsstaates aus diesem verbracht wurde. 31 Darüber hinaus verjährt ein etwaiger Anspruch auf Rückführung von Drittstaaten gemäß § 55 Abs. 2 spätestens 30 Jahre, nachdem das Kulturgut aus dem Ursprungsstaat entfernt wurde, ohne Rücksicht auf eine entsprechende Kenntnis. Bei Zweifeln bezüglich des Stichtages stellt § 52 Abs. 2 KSGS die widerlegliche Vermutung auf, dass das entsprechende Kulturgut nach dem benannten Zeitpunkt ausgeführt wurde. Allerdings wird diese Regelvermutung für die in Rede stehenden Kulturgüter aus der Kolonialzeit regelmäßig nicht greifen, beziehungsweise leicht widerlegbar sein, da die Daten ihrer Ausfuhr regelmäßig und größtenteils ausführlich dokumentiert weit vor dem gesetzlichen Stichtag liegen.32 Somit ist festzustellen, dass auch nach dem Kulturgutschutzgesetz kein Anspruch auf die Rückführung kolonialer Raubkunst von Seiten der betreffenden Staaten besteht, die vor dem Stichtag aus dem jeweiligen Ursprungsstaat entfernt wurden. Weitere einfachgesetzliche Regelungen hierzu existieren derzeit nicht. **** 30 Gesetz zum Schutz von Kulturgut (Kulturgutschutzgesetz - KGSG) vom 31. Juli 2016, BGBl. I S. 1914 (Nr. 39), zuletzt geändert durch Artikel 6 Abs. 13 G. v. 13.04.2017 BGBl. I S. 872. 31 Vgl. dazu Peter Häberle in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Kulturgutschutzgesetz § 52 Rn. 4. Damit hat der Gesetzgeber die nach dem früheren Wortlaut des Kulturgüterrückgabegesetzes bestehenden Streitfrage , ob als Stichtag nur das Verbringen nach Deutschland oder die Ausfuhr aus dem Ursprungsstaat maßgeblich ist, obsolet werden lassen. zum vormaligen Streitstand siehe VG München Beschl. v. 27.1.2010 – Az. M 17 E 09.4833, VG Köln Urt. v. 25.4.2012 – Az. 10 K 3537/11, sowie die Besprechung von Karl-Sax Feddersen, Präkolumbianische Kunst und Anhalteverfügung gem. § 8 Abs. 2 Satz 1 KultGüRückG, KUR 3/4 2012, S. 125 f. 32 Vgl. dazu Peter Häberle in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 212. EL Januar 2017, Kulturgutschutzgesetz § 52 Rn. 8.