© 2016 Deutscher Bundestag WD 10 - 3000 - 023/16 Verfassungsmäßigkeit eines umfassenden Verbots der Werbung für Tabakerzeugnisse Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 023/16 Seite 2 Verfassungsmäßigkeit eines umfassenden Verbots der Werbung für Tabakerzeugnisse Aktenzeichen: WD 10 - 3000 - 023/16 Abschluss der Arbeit: 12.04.2016 Fachbereich: WD 10: Kultur, Medien und Sport Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 023/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung und Hintergrund 4 2. Vereinbarkeit mit den Grundrechten der Tabakindustrie: Art. 5 I 1 Alt. 1 GG (Meinungsfreiheit) 6 3. Verstoß gegen Art 12 I GG (Berufsfreiheit) 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 023/16 Seite 4 1. Einleitung und Hintergrund Nach Schätzungen der World Health Organization (WHO) sterben jährlich ca. 6 Millionen Menschen an den Folgen des Rauchens und Passivrauchens.1 Allein in Deutschland sterben pro Jahr aus diesem Grund ca. 110.000 Menschen.2 Damit gehört das Rauchen zu dem größten vermeidbaren Gesundheitsrisiko in Deutschland.3 Um ein Schrumpfen des Marktes zu verhindern und neue Kunden zu gewinnen, investiert die Tabakindustrie große Summen in die Werbung. Im Jahre 2012 lagen die Werbeausgaben in Deutschland bei ca. 221 Millionen Euro4, wobei die Ausgaben für Werbung am Verkaufsort oder auch die Verpackungsgestaltung bei diesen Zahlen nicht berücksichtigt wurden, sodass davon auszugehen ist, dass die Gesamtausgaben weit höher liegen.5 Entwicklungsbedingt reagieren gerade Jugendliche und Heranwachsende besonders stark auf Zigarettenwerbung und werden durch diese verleitet, mit dem Rauchen zu beginnen oder ihren Konsum auszuweiten.6 Die WHO hat aufgrund der schwerwiegenden Folgen des Tabakkonsums, der durch Werbemaßnahmen gefördert wird, bereits vor Jahren reagiert: Das Rahmenübereinkommen zur Eindämmung des Tabakgebrauchs (FCTC)7 – das erste und bislang einzige internationale und völkerrechtlich verbindliche Abkommen im Bereich Gesundheit – wurde am 21.05.2003 von der Weltgesundheitsversammlung einstimmig angenommen. Es wurde in Deutschland unterzeichnet und ratifiziert und trat am 16.03.2005 in Kraft. 1 World Health Organization: Tobacco. Fact sheet, No. 339, abzurufen unter: http://www.who.int/mediacentre /factsheets/fs339/en/, zuletzt abgerufen am 05.04.2016. 2 Mons, Ute: »Tabakattributable Mortalität in Deutschland und in den deutschen Bundesländern – Berechnungen mit Daten des Mikrozensus und der Todesursachenstatistik« in: Gesundheitswesen 2011, 73 (4): S. 238-246. 3 Drogen- und Suchtbericht der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, S. 23, 2014, abzurufen unter: http://www.drogenbeauftragte.de/fileadmin/dateiendba/Presse/Downloads/Drogen-_und_Suchtbericht _2014_Gesamt_WEB_07.pdf, zuletzt abgerufen am 05.04.2016. 4 Drogen und Suchtbericht der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, S. 165, abzurufen unter http://www.drogenbeauftragte .de/fileadmin/dateien-dba/ Presse/Downloads/Drogen-_und_Suchtbericht_2014_Gesamt _WEB_07.pdf, zuletzt abgerufen am 05.04.2016. 5 Aktionsbündnis Nichtraucher e.V. ABNR-Positionen 10/2015, abzurufen unter: http://www.abnr.de/files /abnr_positionen_10_2015_webfassung.pdf, zuletzt abgerufen am 05.04.2016. 6 Effertz/Kaiser: »Die MAYBE-Kampagne von Philip Morris – Verbotenes Jugendmarketing«, in: Lebensmittel & Recht (LMuR), 06/2012, 230, 232. 7 WHO Framework Convention on Tobacco Control, abzurufen unter: http://www.who.int/fctc/text_download /en/, zuletzt abgerufen am 05.04.2016. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 023/16 Seite 5 Art 13 FCTC enthält die Verpflichtung zum Erlass von weitreichenden nationalen Tabakverboten , allerdings unter Vorbehalt entgegenstehenden nationalen Verfassungsrechts. Explizit heißt es: 1. Die Vertragsparteien erkennen an, dass ein umfassendes Verbot der Werbung, der Verkaufsförderung und des Sponsorings den Konsum von Tabakerzeugnissen vermindern würde. 2. Jede Vertragspartei erlässt in Übereinstimmung mit ihrer Verfassung oder ihren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ein umfassendes Verbot aller Formen von Tabakwerbung, Förderung des Tabakverkaufs und Tabaksponsoring. (...) Die Begriffe »Tabakwerbung« und »Förderung des Tabakverkaufs« sind in Art. 1 lit. c) FCTC definiert und erfassen in einem weiten Verständnis des Begriffes jede Form der kommerziellen Kommunikation, Empfehlung oder Handlung mit dem Ziel, der Wirkung oder der wahrscheinlichen Wirkung, ein Tabakerzeugnis oder den Tabakgebrauch unmittelbar oder mittelbar zu fördern . Darüber hinaus existieren im Rahmen der UN-Vertragsstaatenkonferenz erlassene Leitlinien für die Durchführung von Art. 13 FCTC. Diese dienen dazu, die Vertragsparteien bei ihrer Verpflichtung zur Umsetzung des Art. 13 FCTC zu unterstützen. 8 Die Bundesrepublik Deutschland hat bislang – unter Hinweis auf vermeintliche verfassungsrechtliche Bedenken – ein umfassendes Verbot der Tabakwerbung, der Verkaufsförderung und des Sponsorings nicht erlassen. Damit hinkt Deutschland der europäischen Entwicklung weit hinterher : Nach der Tobacco Control Scale 2013 in Europa ist Deutschland das einzige Land in der Europäischen Union, in welchem die Außenwerbung noch erlaubt ist.9 Bereits verboten ist in Deutschland die Werbung für Tabakerzeugnisse in Fernsehen, der Presse und anderen gedruckten Veröffentlichungen, in Diensten der Informationsgesellschaft und in 8 So heißt es in Nr. 5 und Nr. 6 der Leitlinie zum FCTC: »Ein Verbot von Tabakwerbung, der Förderung des Tabakverkaufs und des Tabaksponsoring ist nur dann effektiv, wenn es eine große Reichweite hat. Die heutige Marketingkommunikation umfasst einen ganzheitlichen Ansatz bei der Werbung und der Förderung des Kaufs und Verkaufs von Waren mit Direktvermarktung, Öffentlichkeitsarbeit, Absatzförderung, Direktverkauf durch Vertreter und interaktive Online-Marketingmethoden. Wenn nur bestimmte Formen der direkten Tabakwerbung verboten werden, verlagert die Tabakindustrie unweigerlich ihre Ausgaben auf andere Werbe-, Verkaufsförderungs - und Sponsoring-Strategien, die kreative, indirekte Wege nutzen, um den Verkauf von Tabakerzeugnissen und den Tabakgebrauch insbesondere bei Jugendlichen zu fördern. Daher sind die Auswirkungen eines teilweisen Werbeverbots auf den Tabakgebrauch nur begrenzt. Diesem wird in Art. 13 des Übereinkommens Rechnung getragen, indem die grundlegende Verpflichtung zum Verbot von Tabakwerbung, der Förderung des Tabakverkaufs und des Tabaksponsorings festgelegt wird ...« 9 Joossens/Raw: The Tobacco Control Scale 2013 in Europe, A report of the Association of European Cancer Leagues , S. 17, abzurufen unter: http://www.europeancancerleagues.org/images/TobaccoControl/TCS_2013_in_Europe _ 13-03-14_final_1.pdf, zuletzt abgerufen am 05.04.2016; Aktionsbündnis Nichtraucher e.V. ABNR-Positionen 10/2015, abzurufen unter: http://www.abnr.de/files/abnr_positionen_10_2015_webfassung.pdf, zuletzt abgerufen am 05.04.2016. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 023/16 Seite 6 Rundfunkprogrammen ebenso wie das Sponsoring von Hörfunkprogrammen und grenzüberschreitenden Veranstaltungen.10 Hinsichtlich erlaubter Werbung gelten einige inhaltliche Werbebeschränkungen. § 22 Vorläufiges Tabakgesetz (VTabakG) untersagt beispielsweise Werbung, wenn dadurch der Eindruck erweckt wird, dass der Genuss oder die bestimmungsgemäße Verwendung von Tabakerzeugnissen gesundheitlich unbedenklich oder geeignet ist, die Funktion des Körpers, die Leistungsfähigkeit oder das Wohlbefinden günstig zu beeinflussen. Auch ist es gem. § 22 Abs. 2 Nr. 1b) VTabakG verboten, in der Werbung allgemein oder im Einzelfall Bezeichnungen, Angaben, Aufmachungen, Darstellungen oder sonstige Aussagen zu verwenden, die ihrer Art nach besonders dazu geeignet sind, Jugendliche oder Heranwachsende zum Rauchen zu veranlassen.11 2. Vereinbarkeit mit den Grundrechten der Tabakindustrie: Art. 5 I 1 Alt. 1 GG (Meinungsfreiheit ) Zu klären ist folglich, ob durch die Einführung eines umfassenden Tabakwerbeverbots ein verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigender Eingriff in die Meinungsfreiheit vorliegt. Dazu müsste zunächst der Schutzbereich in personeller und sachlicher Hinsicht eröffnet sein, das Werbeverbot müsste einen Eingriff in den Schutzbereich darstellen und dieser Eingriff dürfte nicht gerechtfertigt sein. a) Schutzbereich Der personelle Schutzbereich des Art 5 I 1 Alt 1 GG umfasst gemäß Art 19 III GG auch inländische juristische Personen. In Deutschland ansässige Tabakunternehmen können sich somit auf Art 5 GG berufen. In sachlicher Hinsicht schützt Art 5 I 1 Alt 1 GG die Äußerung und Verbreitung von Meinungen. Der Meinungsbegriff ist dabei grundsätzlich weit zu verstehen12 und umfasst Werturteile und Tatsachenbehauptungen , soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind. Auf europäischer Ebene unterfällt jede Art von Werbung dem Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh), der Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit . In Deutschland ist jedoch umstritten und durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) noch nicht abschließend geklärt, ob die reine Wirtschaftswerbung für Produkte und 10 Aktionsbündnis Nichtraucher e.V. ABNR-Positionen 10/2015, abzurufen unter: http://www.abnr.de/files /abnr_positionen_10_2015_webfassung.pdf, zuletzt abgerufen am 05.04.2016. 11 Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ): Die Verfassungsmäßigkeit eines umfassenden Tabakwerbeverbots in Deutschland 2004, abzurufen unter: https://www.dkfz.de/de/tabakkontrolle/download/Publikationen/Fakten /Factsheet_Verfassungsmaessigkeit_Tabakwerbeverbot.pdf, zuletzt abgerufen am: 05.04.2016. 12 BVerfG: Urteil vom 22.06.1982, Az.: 1 BvR 1376/79 (zitiert nach juris: Rn. 16; Freie Meinungsäußerung für die Beurteilung herabsetzender Äußerungen über eine politische Partei im Wahlkampf) = BVerfGE 61, 1-13). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 023/16 Seite 7 Dienstleistungen unter Art. 5 Abs. 1 GG (Meinungsfreiheit) oder Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit ) fällt.13 Zu bedenken ist, dass die kommerzielle Wirtschaftswerbung durch »Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt (ist), da sie darauf gerichtet ist, den beworbenen Produkten oder Leistungen bestimmte positive Eigenschaften zuzuschreiben, sie anzupreisen und ihren Bekanntheitsgrad zu steigern«.14 Das BVerfG scheint Werbebeschränkungen jedenfalls dann an Art. 5 GG zu messen, wenn die Werbung einen wertenden, meinungsbildenden Inhalt hat.15 Die Werbung der Tabakindustrie ist traditionell dadurch geprägt, dass ein bestimmtes Image von der Marke kreiert werden soll, da das »Markenimage der entscheidende Faktor (ist), der verschiedene Marken voneinander unterscheidet«.16 Zentrale Werbebotschaften sind – häufig in einer zielgruppenspezifischen Ansprache von Jugendlichen17 – u.a. Gruppenzugehörigkeit, Spaß und Risiko, Unabhängigkeit, Individualität, Rebellion und Freiheit, Attraktivität sowie Stressbewältigung und Entspannung.18 Darüber hinaus bedienen sich die Unternehmen der gezielten Imagewerbung , um sich - trotz ihres für den Konsumenten potenziell tödlichen Produkts - als verantwortungsbewusstes und engagiertes Unternehmen darzustellen.19 Bei der Imagewerbung handelt es sich somit um eine Form der Werbung, die keine spezielle, produktbezogene Aussage enthält, sondern nur das Unternehmen, das die beworbene Ware herstellt oder vertreibt, oder eine Marke in einem als wünschenswert erachteten Licht erscheinen lässt.20 Die bloße Absicht, „sich ins Gespräch zu bringen“, ist jedoch häufig „nicht die einzig mögliche“, dann aber möglicherweise nicht geschützte Deutung einer Werbemaßnahme. Ein solches Verständnis einer Werbemaßnahme darf nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht allein zur Grundlage der Bewertung gemacht werden.21 13 Hufen: Staatsrecht II, Grundrechte, S. 413, 5. Auflage 2016. 14 Pieroth (Hrsg.)/Aubel (Bearb.): Hausarbeit im Staatsrecht, S. 88, 2011. 15 vgl. BVerfG: Urteil vom 12.12.2000, Az.: 1 BvR 1762, 95; 1 BvR 1787/95 (Benetton-Werbung; Schockwerbung); zitiert nach juris, Rn. 40. 16 Deutsches Krebsforschungszentrum (Hrsg.): Zigarettenwerbung in Deutschland – Marketing für ein gesundheitsgefährdendes Produkt, S. 38 f., 1. Auflage, 2012. 17 Deutsches Krebsforschungszentrum (Hrsg.): Zigarettenwerbung in Deutschland – Marketing für ein gesundheitsgefährdendes Produkt, S. 47 f., 1. Auflage, 2012. 18 Deutsches Krebsforschungszentrum (Hrsg.): Zigarettenwerbung in Deutschland – Marketing für ein gesundheitsgefährdendes Produkt, S. 47 f., 1. Auflage, 2012. 19 vgl. BGH: Urteil vom 18.11.2010, Az.: I ZR 137/09 »Unser wichtigstes Cigarettenpapier«. 20 Siekmann, Verfassungsmäßigkeit eines umfassendes Verbots der Werbung für Tabakprodukte in: Die öffentliche Verwaltung - Zeitschrift für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften (DÖV) 2003 S. 657 (659). 21 BVerfGE 102, 347 (360). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 023/16 Seite 8 Das Sponsoring zugunsten von Tabakprodukten wird regelmäßig eine solche reine Imagewerbung darstellen. Ob es jedoch schon als grundrechtlich geschützte Meinungsäußerung eingestuft werden darf, ist teilweise noch umstritten.22 Irgendeine von der Maßnahme ausgehende inhaltliche Botschaft muss zumindest im Ansatz zu erkennen sein.23 b) Eingriff Ein gesetzliches Verbot von Tabakwerbung und von Sponsoring stellt jedenfalls dann einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 5 I 1 Alt 1 GG dar, wenn Werbung mit einem wertenden, meinungsbildenden Inhalt vom Verbot erfasst wird. c) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Dieser Eingriff könnte aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. So kann das Recht auf Meinungsfreiheit durch die Vorschriften der allgemeinen Gesetze, der gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und durch das Recht der persönlichen Ehre (Art 5 II GG) eingeschränkt werden. Außerdem müsste der Eingriff verhältnismäßig sein. Nach der Rechtsprechung des BVerfG sind allgemeine Gesetze solche Gesetze, die »sich nicht gegen eine bestimmte Meinung als solche richten«, sondern vielmehr »dem Schutz eines schlechthin , ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen, dem Schutze eines Gemeinschaftswerts, der gegenüber der Betätigung der Meinungsfreiheit Vorrang« hat.24 An der »Allgemeinheit eines Gesetzes fehlt es, wenn eine inhaltsbezogene Meinungsbeschränkung nicht hinreichend offen gefasst ist und sich von vornherein nur gegen bestimmte Überzeugungen, Haltungen oder Ideologien richte«25 Das BVerfG verlangt insofern in Aufrechterhaltung der sog. Sonderrechtslehre die Meinungsneutralität der allgemeinen Gesetze, d.h. das Gesetz kann zwar an Meinungen anknüpfen, es darf jedoch bestimmte Meinungen nicht diskriminieren .26 Obgleich ein Tabakwerbeverbot sich gegen eine bestimmte Äußerung, nämlich das kommerzielle Anpreisen eines bestimmten Produkts wendet27, sind Werbeverbote als allgemeines Gesetz und nicht als unzulässiges Sonderrecht zu qualifizieren.28 22 Vgl BGH Geltung des Tabakverbots auch für Imagewerbung, GRUR 2011, S. 631. 23 Siekmann, Verfassungsmäßigkeit eines umfassendes Verbots der Werbung für Tabakprodukte in: Die öffentliche Verwaltung - Zeitschrift für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften (DÖV) 2003 S. 657 (659). 24 BVerfG: Urteil vom 15.01.1958, Az.: 1 BvR 400/51 (zitiert nach juris, Rn. 35; Lüth-Urteil). 25 BVerfG: Beschluss vom 04.11.2009, Az.: 1 BvR 2150/08, zitiert nach juris, Rn. 57; Jarass/Pieroth: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, Art. 5, Rn. 67, 13. Auflage, 2014. 26 Kingreen/Poscher: Grundrechte, Staatsrecht II, S. 156, 29. Auflage, 2013. 27 DKFZ (Hrsg.)/Siekmann: »Die Verfassungsmäßigkeit eines umfassenden Tabakwerbeverbotes«, S. 3, 1. Auflage, 2004. 28 s. auch: DKFZ (Hrsg.)/Siekmann: »Die Verfassungsmäßigkeit eines umfassenden Tabakwerbeverbotes«, S. 3, 1. Auflage, 2004. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 023/16 Seite 9 Der Eingriff müsste auch verhältnismäßig sein. Es muss ein legitimer Zweck verfolgt werden, der Eingriff muss geeignet sein, und es darf der Zweck nicht durch ein milderes Mittel in gleicher Weise erreicht werden.29 Darüber hinaus dürfen allgemeine Gesetze die Meinungsfreiheit nicht beliebig einschränken, sondern müssen im »Lichte der Bedeutung dieses Grundrechts« interpretiert werden und sind so in ihrer diese Grundrechte beschränkenden Wirkung selbst wieder einzuschränken (Wechselwirkungslehre).30 Notwendig ist insofern eine Rechtfertigung durch hinreichend gewichtige Gemeinwohlbelange oder schutzwürdige Rechte oder Interessen.31 Dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung kommt in der Werteordnung des Grundgesetzes ein hohes Gewicht zu.32 Das Werbeverbot hat somit den verfassungsrechtlich legitimierten Zweck, die Bevölkerung, insbesondere Kinder und Jugendliche, vor den Gefahren des Rauchens zu schützen. Das gesetzgeberische Mittel muss auch geeignet sein, den Zweck zumindest zu fördern. Hier kommt dem Gesetzgeber eine weite Einschätzungsprärogative zu; es ist ausreichend, wenn das Gesetz einen einzelnen Aspekt einer Gefahr beseitigt und somit zur Erreichung des Zwecks beiträgt . Es gilt als erwiesen, dass Tabakwerbung das Rauchen bei Jugendlichen fördert und den Gesamttabakkonsum erhöht.33 Darüber hinaus haben die Vertragsparteien in Art. 13 I FCTC anerkannt , dass ein umfassendes Verbot der Werbung, der Verkaufsförderung und des Sponsorings den Konsum von Tabakerzeugnissen vermindern würde. Das gesetzgeberische Mittel ist somit geeignet. Das Mittel muss zudem erforderlich sein, d.h. es darf kein gleich geeignetes, milderes Mittel zur Verfügung stehen. Dies ist hier nicht der Fall: Experten der Weltbank haben festgestellt , dass lediglich partielle Verbote geringe oder keine Auswirkungen auf das Rauchverhalten haben; umfassende Verbote der Zigarettenwerbung und Verkaufsförderung können hingegen das Rauchen verringern.34 Das Werbeverbot ist auch angemessen: Es ist eine Güterabwägung zwischen dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit (hier: in Form der Werbung) und den Interessen erforderlich , die mit dem allgemeinen Gesetzen verfolgt werden (hier: Gesundheitsschutz), wobei der Wert der Meinungsfreiheit angemessen zu berücksichtigen ist. Der überragend wichtige Schutz der Gesundheit der Bevölkerung, insbesondere von Kindern und Jugendlichen, hat Vorrang vor den kommerziellen Interessen, ein Produkt zu bewerben. Hier ist insbesondere zu berücksichtigen , dass es sich um ein besonders gesundheitsschädliches Produkt handelt, welches nach heutigen Maßstäben gar nicht mehr zugelassen werden dürfte. Vor diesem Hintergrund ist es verhältnismäßig, die bislang bestehenden vielfältigen Werbemöglichkeiten für ein potenziell 29 Jarass/Pieroth: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, Art. 5, Rn. 67, 13. Auflage, 2014 unter Verweis auf u.a. BVerfGE 124, 300 (332-337; Heß-Gedenkveranstaltung). 30 BVerfG: Urteil vom 15.01.1958, Az.: 1 BvR 400/51 (zitiert nach juris, Rn. 33; Lüth Urteil); BVerfG: Beschluss vom 14.05.1985, Az.: 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 (zitiert nach juris, Rn. 70 f.; Brokdorf II, Brokdorf). 31 BVerfG: Urteil vom 15.01.1958, Az.: 1 BvR 400/51 (zitiert nach juris, Rn. 38; Lüth Urteil); BVerfG: Urteil vom 12.12.2000, Az.: 1 BvR 1762, 95; 1 BvR 1787/95 (Benetton Werbung; Schockwerbung; zitiert nach juris, Rn. 1a). 32 BVerfG: Urteil vom 30.07.2008, Az.: 1 BvR 3262/07, Rn. 119 (Rauchverbot). 33 DKFZ (Hrsg.):« Zigarettenwerbung in Deutschland – Marketing für ein gesundheitsgefährdendes Produkt«, S. 46, 2012. 34 The World Bank (Hrsg.): Der Tabakepidemie Einhalt gebieten: Regierungen und wirtschaftliche Aspekte der Tabakkontrolle , S. 58, 2003. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 023/16 Seite 10 tödliches Produkt – im Gleichklang mit anderen europäischen Ländern – umfassend einzuschränken .35 Ein Verbot der Außenwerbung, der Vorführung von Werbefilmen und Werbeprogrammen im Kino sowie des nationalen Sponsorings steht somit im Einklang mit Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. 3. Verstoß gegen Art 12 I GG (Berufsfreiheit) a) Eingriff in den Schutzbereich Die Tätigkeit der Tabakunternehmen fällt unter die Definition eines Berufs im Sinne des Art. 12 I GG. So sind Herstellung, Einfuhr und Verkauf von Tabakerzeugnissen eine auf Dauer angelegte Tätigkeit, die der Schaffung oder dem Erhalt einer Lebensgrundlage dienen und nicht schlechthin verboten sind. Ein umfassendes Werbeverbot würde Regeln für die berufliche Außendarstellung der Tabakunternehmen aufstellen und ist daher unmittelbar berufsbezogen.36 Ein Eingriff liegt somit vor. b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Jede Beeinträchtigung der Berufsfreiheit muss verhältnismäßig sein, sie muss also wiederum geeignet , erforderlich und angemessen sein (s.o.). Die Rechtfertigung eines Eingriffs in die Berufsfreiheit hängt darüber hinaus davon ab, auf welcher Stufe (Berufsausübungsregelungen, subjektive oder objektive Berufswahlregelungen) der Eingriff erfolgt (sog. Stufentheorie).37 Nach dem bereits Gesagten verfolgt das Werbeverbot einen verfassungsrechtlich legitimen Zweck und ist auch geeignet und erforderlich. Zweifelhaft kann allenfalls sein, ob es zudem angemessen ist. Reine Berufsausübungsregeln können – als schwächste Eingriffsform – bereits durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls legitimiert sein.38 Die umfassenden Werbeverbote (Außenwerbeverbot, Kinowerbung und nationales Sponsoring) sind bereits nach dem Maßstab der Meinungsfreiheit als verhältnismäßig anzusehen (s.o.); die Werbeverbote unter dem Gesichtspunkt einer reinen Berufsausübungsregelung der Tabakunternehmen im Rahmen des Art. 12 GG sind somit bei ähnlich gelagerter Interessenabwägung ebenfalls verfassungsgemäß, zumal es sich bei dem Schutz der Gesundheit um ein »überragend wichtiges Gemeinschaftsgut« handelt.39 35 Vgl. Aktionsbündnis Nichtraucher e.V. ABNR-Positionen 10/2015, abzurufen unter: http://www.abnr.de/files /abnr_positionen_10_2015_webfassung.pdf, zuletzt abgerufen am 05.04.2016. 36 Siekmann, Verfassungsmäßigkeit eines umfassendes Verbots der Werbung für Tabakprodukte in: Die öffentliche Verwaltung - Zeitschrift für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften (DÖV) 2003 S. 657 (663). 37 BVerfG: Urteil vom 11.06.1958, Az.: 1 BvR 596/56 (zitiert nach juris: Rn. 77 ff., Apothekerurteil); vgl. auch Jarass /Pieroth: Grundgesetz für die BRD, Art. 12, Rn. 33, 13. Auflage, 2014. 38 BVerfG: Urteil vom 11.06.1958, Az.: 1 BvR 596/56 (zitiert nach juris: Rn. 77 ff., Apothekerurteil). 39 BVerfG: Urteil vom 30.07.2008, Az.: 1 BvR 3262/07, Rn. 119 (Rauchverbot); BVerfG: Beschluss vom 08.06.2010, Az.: 1 BvR 2011/07, 1 BvR 2959/07 (zitiert nach juris, Rn. 3d; Rettungsdienstwesen Sachsen).