Deutscher Bundestag Nutzung von HbbTV für die parlamentarische Öffentlichkeitsarbeit Gyde Maria Bullinger / Antje Tiemann Sachstand Wissenschaftliche Dienste WD 10 – 3000-022/12 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000-022/12 Seite 2 Nutzung von HbbTV für die parlamentarische Öffentlichkeitsarbeit Verfasser/in: Gyde Maria Bullinger / Antje Tiemann Aktenzeichen: WD 10 – 3000-022/12 Abschluss der Arbeit: 26.03.2012 Fachbereich: WD 10: Kultur, Medien und Sport Telefon: 31253 Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000-022/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung: Funktionsweise hybrider Endgeräte 4 2. Rechtliche Möglichkeiten und Grenzen der parlamentarischen Öffentlichkeitsarbeit in der bisher betriebenen Form 5 3. Abbildung der Internet-Mediathek des Bundestages mittels einer entsprechenden Applikation auf einem hybriden Empfangsgerät mit HbbTV-Ausstattung 8 4. Fazit 11 5. Anlage 12 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000-022/12 Seite 4 1. Einleitung: Funktionsweise hybrider Endgeräte Die in der letzten Zeit häufig thematisierte „Konvergenz der Medien“ hat durch hybride Empfangsgeräte und die Markteinführung des „Hybrid Broadcast Broadband TV“ (HbbTV)1 Einzug in die Lebenswirklichkeit gehalten. Nachdem die verschiedenen Hersteller zunächst jeweils eigene Standards beim Zusammenwachsen von Fernsehen und Internet zu etablieren versuchten, wurde seit Juni 2009 an einem Standard, der auf CE-HTML (einer Programmiersprache für die Erstellung von Benutzerschnittstelle-Inhalten) basiert, namentlich an HbbTV, gearbeitet. 2010 wurde HbbTV vom Europäischen Institut für Kommunikationsnormen (ETSI) als neuer Industriestandard anerkannt.2 HbbTV ermöglicht eine inhaltliche Verknüpfung von Rundfunk- und Internetinhalten. Dazu wird in das Rundfunksignal eine Signalisierung in Form einer so genannten AIT-Tabelle eingefügt . Diese wird vom Empfänger ausgelesen und enthält eine so genannte URL auf eine spezielle HTML-Seite, die über die beim Rezipienten zusätzlich vorhandene Internetverbindung geladen wird. Mit Hilfe der roten Farbtaste der Fernbedienung werden diese HTML-Seiten sichtbar geschaltet . Auf diese Weise lassen sich TV-Editionen der Mediatheken starten, damit Sendungen zeitversetzt vom Zuschauer abgerufen werden können. Im Teletext gibt es zusätzliche Möglichkeiten für Abbildungen und Grafiken. Die HTML-Umgebung ermöglicht diverse neue Funktionen : Ein verkleinertes Fernsehbild kann in eine HTML-Seite integriert werden und von dieser Seite kann direkt auf ein anderes Fernsehprogramm umgeschaltet werden. Ferner lassen sich synchron zum Fernsehprogramm Nachrichtenticker und Menüfunktionen transparent über das laufende Fernsehbild legen.3 Hybride Endgeräte, die nicht nur das Fernsehbild, sondern zugleich Internetangebote auf den Fernsehbildschirm holen, werden immer populärer. Hybride Fernsehgeräte mit HbbTV-Ausstattung wurden erstmals im Oktober 2009 am Markt angeboten. In Deutschland wurden allein im Jahr 2009 bereits 546.000 Endgeräte mit HbbTV-Ausstattung verkauft. Es handelt sich bei dieser Zahl um 14% des Marktanteils aller in Deutschland in dem Jahr verkauften Endgeräte. Die Verkaufszahl dieser Geräte stieg im Jahr 2010 auf etwa 2 Millionen und im Jahr 2011 auf etwa 4 Millionen Stück an.4 Viele Fernsehsender strahlen bereits Online-Dienste, die speziell für diese Geräte entwickelt wurden, aus. Das Spektrum reicht von interaktivem Teletext über Abrufangebote bis hin zu Mediatheken.5 Die neuen hybriden Empfangsgeräte bieten für Fernsehveranstalter und Online-Anbieter also mannigfaltige neue Möglichkeiten und Geschäftsmodelle, was sowohl diverse rechtliche Probleme als auch einen harten Wettbewerb zwischen Fernsehveranstaltern 1 Vgl. http://www.hbbtv.org/. 2 Vgl. Sewczyk, Jürgen, „Das Fernsehen wächst über sich hinaus – Eine Einführung in die Technik des Hybrid- TV“ in: Tv Diskurs, „Hybridfernsehen – Die neue Dimension der Medienkonvergenz“, 2/2011, S. 33. 3 Vgl. Wikipedia, Artikel: Hybrid Broadcast Broadband TV, Intention und Funktionsweise, abrufbar unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Hybrid_Broadcast_Broadband_TV (Stand: 14.3.2012). 4 Vgl. http://www.broadbandtvnews.com/2010/05/07/hbbtv-retail-success-in-germany/ (Stand: 16.3.2012). 5 Vgl. zu Informationen hinsichtlich diverser Angebote von Pro Sieben, Sat. 1 und RTL sowie ARD und ZDF den Artikel von Greif, Björn vom 1.9.2010, abrufbar unter: http://www.zdnet.de/news/41537118/pro-sieben-sat-1- und-rtl-starten-hbbtv-livebetrieb.htm. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000-022/12 Seite 5 und den Anbietern von Telemedien mit sich bringt. Auf die grundsätzlich existierenden Problemkreise kann hier jedoch nicht näher eingegangen werden. Es wird sich aber zeigen, dass das gleichzeitige Anbieten und Abrufen von linearen und nicht-linearen Inhalten auf einem Bildschirm auch relevant für die Frage ist, inwieweit der Bundestag seine Mediathek über eine entsprechende Applikation in zulässiger Weise mittels HbbTV abbilden kann. 2. Rechtliche Möglichkeiten und Grenzen der parlamentarischen Öffentlichkeitsarbeit in der bisher betriebenen Form Die Öffentlichkeitsarbeit des Bundestages, die sich zur Zeit unterteilt in die reinen Direktübertragungen des eigenen Parlamentsfernsehens ohne jegliche Aufbereitung und in die journalistischredaktionell gestalteten Angebote der Bundestagsmediathek, sind – der beigefügten Ausarbeitung folgend – in dieser Form zulässig und jeweils nicht als Rundfunk zu qualifizieren. Die Möglichkeit des Bundestages, Öffentlichkeitsarbeit über ein eigenes Parlamentsfernsehen zu betreiben, beschränkt sich auf die reine Direktübertragung der Plenardebatten, öffentlichen Ausschusssitzungen und Anhörungen in unkommentierter Form. Die Sendung journalistischredaktionell gestalteter Inhalte durch ein Parlamentsfernsehen des Bundestages würde als Rundfunk gegen das in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verankerte Gebot der Staatsferne des Rundfunks verstoßen . Dieses Gebot kann auch nicht durch das Recht des Bundestages zur Öffentlichkeitsarbeit und Selbstdarstellung verdrängt werden.6 Die Zulässigkeit des Parlamentsfernsehens in der beschriebenen Art und Weise ergibt sich aus der Tatsache, dass es nach der hier vertretenen Ansicht bei genauerer Betrachtung weder unter den einfachgesetzlichen noch unter den verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff fällt. Das Parlamentsfernsehen erfüllt nicht die Voraussetzungen des einfachgesetzlichen Rundfunkbegriffs im Sinne des Rundfunkstaatsvertrages. Es bedarf daher keiner Zulassung gem. §§ 20 Abs. 1 Satz 2, 20a RStV für bundesweit verbreiteten Rundfunk. Eine solche könnte der Bundestag als juristische Person des öffentlichen Rechts nach § 20a Abs. 3 Satz 2 RStV auch gar nicht erhalten. Im Bereich Berlin/Brandenburg wäre die Erteilung einer Sendeerlaubnis ebenfalls gemäß § 27 Abs. 3 MStV für den Bundestag als staatliche Stelle ausgeschlossen. In § 2 Abs. 1 Satz 1 RStV wird Rundfunk legaldefiniert. Rundfunk ist danach ein linearer Informations - und Kommunikationsdienst. Er ist die für die Allgemeinheit und zum zeitgleichen Empfang bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Angeboten in Bewegtbild oder Ton entlang eines Sendeplans unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen. Merkmale des einfachgesetzlichen Rundfunkbegriffs sind demnach die Verbreitung an die Allgemeinheit, die zum zeitgleichen Empfang bestimmt ist und entlang eines Sendeplans erfolgt. Direktübertragungen des Parlamentsfernsehens erfüllen – wie die beigefügte Ausarbeitung näher erläutert - auf den ersten Blick diese Voraussetzungen und unterfallen damit zunächst dem einfachgesetzlichen 6 Vgl. dazu die weiteren Ausführungen in der als Anlage beigefügten Ausarbeitung von Bullinger, Gyde Maria, WD10-3000-038/11, „Gesetzlicher Rahmen für ein Parlamentsfernsehen“, S. 3, 7ff.. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000-022/12 Seite 6 Rundfunkbegriff. Zu beachten ist jedoch die Ausnahmeregelung des § 2 Absatz 3 Nr. 4 RStV, wonach nicht journalistisch-redaktionell gestaltete Angebote vom Rundfunk ausgenommen sind.7 Ein solches nicht journalistisch-redaktionell gestaltetes Angebot liegt wegen des Standbildcharakters und in Ermangelung redaktioneller Mittel bei den Aufnahmen des Parlamentsfernsehens vor.8 Ferner sind die Direktübertragungen des Parlamentsfernsehens auch nicht unter den verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff zu subsumieren. Eine Definition des verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriffs ist in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht enthalten. Trotz seiner zahlreichen Entscheidungen zur Rundfunkfreiheit hat auch das Bundesverfassungsgericht keine abschließende Definition getroffen.9 Der Inhalt des Rundfunkbegriffs sei vielmehr an einer am Normzweck orientierten Betrachtungsweise zu erschließen.10 Das Bundesverfassungsgericht hat einen spezifisch verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff entwickelt und diesen richtungsweisend zugunsten eines entwicklungsoffenen, dynamischen Verständnisses festgelegt, um auf diese Weise neuen technischen Entwicklungen Rechnung zu tragen.11 Auf die technische Art der Übertragung kommt es dabei nicht an. Entscheidend ist aus verfassungsrechtlicher Sicht die publizistische Wirkung für die öffentliche Meinungsbildung.12 Dementsprechend sind Aktualität, Breitenwirkung und Suggestivkraft die charakteristischen Merkmale des Rundfunks.13 Der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff wird geprägt durch die Merkmale der Bestimmung für die Allgemeinheit , der fernmeldetechnischen Verbreitung und der Darbietung.14 Die Direktübertragungen des Parlamentsfernsehens sind für die Allgemeinheit bestimmt und erfüllen auch das Merkmal der fernmeldetechnischen Verbreitung. Einzig das Merkmal der Darbietung, welches das Kernstück des verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriffs bildet, ist in diesem Zusammenhang genauer zu untersuchen. Unter den Begriff der Darbietung fallen Inhalte jeglicher Art und Form, also die Präsentation von Fakten und Meinungen auf sämtlichen Themengebieten.15 Bezüglich der weiteren Anforderungen an das Vorliegen einer Darbietung existieren hingegen divergierende Ansichten.16 So wird einerseits vertreten, einzig Angebote ohne jegliche meinungsbildende Relevanz seien nicht vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG erfasst, während andererseits eine beson- 7 Für vertiefende Informationen vgl. die Ausarbeitung S. 8f. 8 So der Vorsitzende der ZAK im Schreiben vom 24. Mai 2011 (Anlage der beigefügten Ausarbeitung). 9 Holznagel/Nolden, in: Hoeren/Sieber, „Multimedia-Recht“, 29. Ergänzungslieferung 2011, Teil 5, Rn. 42. 10 BVerfGE 73, 118, (154). 11 BVerfGE 73, 118, (154); Paschke, „Medienrecht“, 3. Auflage, Berlin / Heidelberg 2009, Rn. 258. 12 Schulz, in: Hahn/Vesting, „Rundfunkrecht“, 2. Auflage 2008, § 20 RStV, S. 6. 13 BVerfGE 90, 60, (87). 14 Vgl. vertiefend die Ausarbeitung S. 10ff. 15 Jarass, Hans D., AfP 1998, 133, (134). 16 Vgl. für eine ausführlichere Darstellung der Anforderungen an das Vorliegen einer „Darbietung“ die Ausarbeitung S. 11ff. mit weiterführenden Hinweisen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000-022/12 Seite 7 dere publizistische Relevanz oder eine redaktionelle Bearbeitung gefordert werden. Die Forderung nach dem Vorliegen einer redaktionellen Bearbeitung deckt sich insoweit mit dem einfachgesetzlichen Rundfunkbegriff, was dafür spricht, dieses Merkmal heranzuziehen.17 Die reine Übertragung der Abläufe des tatsächlichen Geschehens stellt gerade keine redaktionelle Gestaltung oder Auswahl von Inhalten dar. Daher ist die Direktübertragung des Parlamentsfernsehens in Ermangelung einer Darbietung nicht dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zuzuordnen .18 Das journalistisch-redaktionell aufbereitete Angebot der Mediathek des Bundestages mit Interviews , Gesprächsstunden und sonstigen redaktionellen Beiträgen unterfällt als nicht-lineares Angebot nicht dem Rundfunkbegriff des § 2 Abs. 1 Satz 1 RStV und ist dementsprechend nicht zulassungsbedürftig . Ob derartige Zugriffs- und Abrufdienste dem verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff unterfallen, ist umstritten.19 Laut Bundesverfassungsgericht ist der Umstand, dass bei den Zugriffs- und Abrufdiensten der Empfangszeitpunkt durch den Rezipienten bestimmt wird, für eine Einordnung als Rundfunk im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht von Bedeutung.20 In der Literatur wird darauf abgestellt, ob ein solcher Zugriffs- und Abrufdienst die für das Merkmal der Darbietung relevanten Kriterien erfüllt. Eine programmlich-redaktionelle Aufbereitung der Inhalte lasse dabei auf eine gewisse publizistische Relevanz schließen. Entscheidend sei, ob die rundfunkspezifische Aktualität, Breitenwirkung und Suggestivkraft bei dem Dienst vorlägen .21 Die Angebote der Bundestagsmediathek, die durchweg journalistisch-redaktionell aufbereitet sind, lassen sich unter das Merkmal der Darbietung im obigen Sinne subsumieren. Die Bundestagsmediathek unterfiele danach dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Mediathek müsste daher auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen der Rundfunkfreiheit gerecht werden. Mit der beigefügten Ausarbeitung wird hier jedoch eine andere Ansicht vertreten, die dazu führt, dass das Angebot der Bundestagsmediathek nicht in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG fällt. Sie basiert auf der Überlegung, dass die rundfunkspezifische Wirkungskraft sich nur dann entfaltet, wenn das Angebot den spezifischen Öffentlichkeitseffekt zeitgleich ausgestrahlter Darbietungen hervorruft. Die besondere Breitenwirkung des Rundfunks kommt danach nur dann zustande, wenn identische Sendeinhalte auch zeitgleich von einer Vielzahl von Menschen rezipiert werden. Die zeitgleiche Mobilisierbarkeit der Massen hat erhebliche Auswirkungen auf den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung. Die vom Veranstalter eröffnete Option des zeitgleichen Empfangs ist ein wesentliches Merkmal der besonders hohen Meinungsrelevanz von Rundfunkdiensten . Da bei der als Zugriffs- und Abrufdienst gestalteten Mediathek des Bundestages jegliche zeitliche Steuerung des Empfangs beim Nutzer fehlt, mangelt es an dem rundfunkspezifischen Multiplikator- und Öffentlichkeitseffekt. Gestützt wird diese Argumentation auch von 17 Degenhart, Christoph in: Dolzer, Rudolf/Kahl, Wolfgang/Waldhoff, Christian/Graßhof, Karin (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 6. Auflage, München 2011. 18 Vgl. dazu die Ausarbeitung S. 12. 19 Vgl. zur Darstellung des Streitstandes die beigefügte Ausarbeitung S. 12ff. 20 BVerfGE 74, 297ff. (350ff.). 21 Degenhart, Christoph, AfP 2010, 324, (330). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000-022/12 Seite 8 der Tatsache, dass das Angebot mangels Linearität ebenso wenig dem einfachgesetzlichen Rundfunkbegriff des § 2 RStV unterfällt.22 Zu beachten ist, dass ein mit der Mediathek identisches Angebot, welches vom Bundestag in Eigenregie im Fernsehen direkt übertragen würde, unzulässig wäre. 3. Abbildung der Internet-Mediathek des Bundestages mittels einer entsprechenden Applikation auf einem hybriden Empfangsgerät mit HbbTV-Ausstattung Auf den ersten Blick scheint sich an der rechtlichen Bewertung der vom Bundestag betriebenen Öffentlichkeitsarbeit auch in Bezug auf die Nutzung der neuen Möglichkeiten von HbbTV nichts zu ändern. Schließlich handelt es sich auch bei der in Frage stehenden Applikation der Bundestagsmediathek um ein nicht-lineares Angebot, das die Inhalte der Mediathek nach Abruf durch den Nutzer auf den Bildschirm holt. Zu berücksichtigen sind jedoch die Eigenheiten, die ein gleichzeitiger oder sogar synchroner Empfang von Fernsehen und Internet auf einem Bildschirm mit sich bringt. Diese Eigenheiten könnten dazu führen, die Einstufung der Mediathek hier anders - sprich gegebenenfalls als Rundfunk - zu bewerten. Die Praxis eines solchen Angebots soll im Folgenden kurz aufgezeigt werden, um sodann diesbezügliche rechtliche Erwägungen anzuschließen. Der Zuschauer und Nutzer eines Endgeräts mit HbbTV-Ausstattung, der gerade über das Fernsehbild eine unkommentierte Direktübertragung des Parlamentsfernsehens verfolgt, empfängt dabei Signale, die parallel über einen Broadcast-Channel gesendet werden und dem Nutzer einen „Hinweis“ auf vorhandene spezifische Informationen zu einer Sendung liefern. Konkret sieht es dann so aus, dass auf dem Bildschirm ein sogenannter „Red Button“ erscheint. Durch Anklicken wird eine Verbindung zu einem Server hergestellt, über den der Nutzer zusätzliche Informationen als Multimediadaten, die der Anbieter zur Verfügung stellt, abrufen kann. Es ist aber auch möglich, dass solche Zusatzinformationen, zumindest ein minimaler Anteil von diesen, gleich mit dem Broadcast-Signal übertragen werden und die Zuschauer nicht unbedingt eine Verbindung zum Internet haben müssen.23 Der Rezipient könnte also neben dem Fernsehbild mit der Direktübertragung über seine Fernbedienung die Mediathek des Bundestages als Applikation, auch „Widget“ genannt, abrufen. Damit legen sich die Inhalte aus dem Internet über oder neben das Fernsehbild. Es entsteht auf diese Weise eine Verknüpfung von Parlamentsfernsehen und Online-Abruf-Dienst. Mithin handelt es sich um eine Vermischung von linearen und nicht-linearen Angeboten. Hierdurch können Einordnungsprobleme entstehen, da die Kategorien und Grenzen von Individual- und Massenkommunikation weitgehend verschwimmen. So wird die Ansicht vertreten, bei derartigen Hybriddiensten sei eine Differenzierung nach Zugriffsmöglichkeiten auf längere Sicht nicht mehr sinnvoll. Vielmehr sei eine rein inhaltsbezogene Unterscheidung anhand der Wirkung eines Dienstes auf die öffentliche Meinungsbildung überzeugender.24 22 Vgl. die Ausarbeitung S. 13f. mit weiteren Nachweisen. 23 So Dr. Robert Strzebkowski, Professor im Fachbereich Informatik und Medien an der Beuth Hochschule für Technik in Berlin in einem Interview: „Wie TV und Internet zusammenwachsen“ in: TV Diskurs, „Hybridfernsehen “, Heft 2, 2011. 24 Oeter, Stefan/Wolff, Julia in: Paschke/Berlit/Meyer (Hrsg.), „Hamburger Kommentar – Gesamtes Medienrecht“, 2. Auflage, Baden-Baden 2012, 2. Abschnitt, Rn. 7. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000-022/12 Seite 9 Folgte man dieser Auffassung, wäre demnach darauf abzustellen, inwiefern bereits der reine Inhalt der Bundestagsapplikation die öffentliche Meinungsbildung beeinflusst. Das umfassende journalistisch-redaktionell gestaltete Angebot der Bundestagsmediathek bleibt nicht ohne Wirkung auf die öffentliche Meinungsbildung. Zudem erweckt der Deutsche Bundestag als Quelle der verbreiteten Informationen den Eindruck besonderer Seriosität und Vertrauenswürdigkeit. In Kombination mit den Inhalten der Direktübertragung wird die Wirkung auf die öffentliche Meinungsbildung noch verstärkt. Eine rundfunkspezifische Meinungsrelevanz des Angebots wäre danach zu bejahen. Zudem wird gerade durch das „Anreichern“ der unkommentierten Direktübertragungen im Parlamentsfernsehen mit den redaktionellen Hintergrundinformationen und Beiträgen aus der Mediathek der Sinn der reinen Direktübertragungen, als Verfassungsorgan gerade keinen zulassungsbedürftigen Rundfunk zu veranstalten, unterlaufen. Der Grundsatz der Staatsfreiheit des Rundfunks, der zu den tragenden Prinzipien der medienrechtlichen Verfassungsjudikatur zählt,25 würde dadurch verletzt. Geht man mit der hier in Bezug auf die bisherigen Formen der Bundestagsöffentlichkeitsarbeit vertretenen Ansicht davon aus, dass die Mediathek des Bundestages nicht bereits aufgrund ihres Inhalts eine rundfunkspezifische Meinungsrelevanz aufweist, sondern ihr diese gerade aufgrund der Nicht-Linearität des Empfangs fehlt, so muss diese Argumentationslinie im Hinblick auf die soeben aufgezeigte Vermischung von Linearität und Nicht-Linearität der Angebote auf einem hybriden Endgerät überdacht werden. Eine Übertragung dieser Argumentation im Hinblick auf die neuen technischen Entwicklungen des HbbTV erscheint jedenfalls schwierig. Es ließe sich allenfalls die Frage in den Raum stellen, wie groß die Zahl der Rezipienten mit einem HbbTV-Endgerät sein mag, die sich tatsächlich über die Direktübertragungen des Parlamentsfernsehens und die Bundestagsmediathek, respektive eine potentielle Applikation informieren , anstatt dabei auf ein redaktionell aufbereitetes Resümee der Sitzungen in den Fernsehnachrichten zurückzugreifen. Bei lebensnaher Betrachtung wird der Großteil der Bevölkerung sich auch weiterhin durch die klassischen Nachrichtensendungen im Fernsehen informieren. Dennoch spricht vieles im Hinblick auf das Angebot einer Bundestagsapplikation für eine rundfunkspezifische Meinungsrelevanz. Anzuführen ist dabei zunächst, dass im Rahmen der Direktübertragungen des Parlamentsfernsehens mit dem „Red Button“ auf die einzelnen Angebote in der Mediathek hingewiesen würde. Dies hätte zur Folge, dass sich eine größere Anzahl von Rezipienten gleichzeitig für die dort angebotenen Informationen interessieren und mobilisieren ließe und diese häufiger parallel, meist sogar parallel zur Übertragung der Sitzung, abrufen würde. Es lässt sich also aufgrund des mit der Applikation bezweckten Nutzerabrufverhaltens eine Verschiebung zu mehr Gleichzeitigkeit beim Abruf der Inhalte prognostizieren. Rund ein Drittel der Internetnutzer sieht bereits Online-Fernsehen und nutzt dabei sowohl das Live-Fernsehprogramm als auch zeitversetzte Angebote.26 Die Möglichkeit, Fernsehinhalte auf hybriden 25 Vgl. dazu BVerfGE 12, 205 (260); 67, 295, (320); 73, 118, (152); 74, 297, (324). 26 So die Pressemeldung der Polizei Hamburg vom 1.9.2011, abrufbar unter: http://www.hamburg.de/clp/polizeimeldungen /clp1/pm/8664/2104738/online-goes-tv-hybrid-fernseher-erobern-den-deutschen-markt. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000-022/12 Seite 10 Endgeräten anzusehen, wird zu einer Zunahme der Nutzung von Fernsehen allgemein und insbesondere von den nicht-linearen Diensten führen.27 Dementsprechend könnte es schwierig werden , die Argumentation aufrechtzuerhalten, wonach die Mediathek mangels gleichzeitiger Rezeption der dort angebotenen Informationen durch die Nutzer keine rundfunkspezifische Relevanz entfaltet. Neben den rein abrufspezifischen Aspekten im Hinblick auf die Bundestagsapplikation ist natürlich auch die verstärkte Suggestivkraft beider Angebote, die sich aus der Kombination von unmittelbarer Übertragung einer Debatte und darauf zugeschnittener redaktioneller Informationen ergibt, bei der Bewertung der Zulässigkeit einer Bundestagsapplikation zu berücksichtigen . Vor diesem Hintergrund erscheint es vorzugswürdig, mit der eingangs erwähnten Ansicht eine rein inhaltsbezogene Einordnung der Bundestagsapplikation als Hybriddienst anhand der Wirkung auf die öffentliche Meinungsbildung zu treffen. Wie bereits aufgezeigt, wäre die Grenze zum zulassungsbedürftigen Rundfunk aller Wahrscheinlichkeit nach bei diesem Vorhaben überschritten . Aufgrund des in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verankerten Gebots der Staatsferne des Rundfunks , wäre dem Bundestag eine Zulassung zu versagen. Demnach wäre das in Rede stehende Angebot, würde es durch den Bundestag in Eigenregie erbracht, als parlamentarischer Rundfunk einzustufen und aufgrund des Gebots der Staatsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG unzulässig. Eine andere Sicht ist auch nicht dadurch veranlasst, den Rundfunk und seine Staatsferne primär im Demokratieprinzip des Grundgesetzes anstatt im Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verankert zu sehen. Demokratie setzt auf Willensbildung aus der Gesellschaft heraus. Dennoch beseitigt sie die Herrschaft nicht. Als repräsentative Regierungsform verlagert sie auch nicht die Herrschaft oder einzelne Teilfunktionen ihrer Ausübung in die Gesellschaft. Demnach veranlassen diese Strukturen nicht dazu, parlamentarischen Rundfunk dem gesellschaftlichen Bereich als Hervorbringung des Gemeinwesens aus dem Kreise seiner Bürger zuzuordnen. Das Parlament ist in einem allein demokratisch legitimierten Gemeinwesen zentraler Steuerungsort der Staatsleitung . Es wird nicht flankiert von einem abstrakten oder tieferen oder höheren „Staat“, dem die Hoheit des Souveräns erst zukäme. Es ist gerade das Parlament selbst, das im Wechsel seiner Mehrheiten diesen Staat in allen politischen Fragen leitet. Demnach entspricht es nicht der Demokratie des Grundgesetzes, wenn eine Verankerung des freien Rundfunks im demokratischen Gefüge dazu führt, das Parlament und einen etwa von ihm betriebenen Rundfunk dem gesellschaftlichen Bereich zuzuordnen und es deshalb – trotz seiner Einordnung als Rundfunk – vom Erfordernis der Staatsfreiheit zu entbinden und dies als verfassungskonform anzusehen.28 Die Rundfunkfreiheit als „dienende Freiheit“ zugunsten des gesellschaftlichen Lebens und im Interesse staatsfreier individueller Meinungsbildung, welche in die demokratische Willensbildung mündet, schließen eine Ansiedlung von Rundfunk bei einem hoheitlich tätigen Verfassungsorgan und dessen Verwaltung aus.29 27 So die PwC-Studie “German Entertainment and Media Outlook 2011-2015”, abrufbar unter: http://www.pwc.de/de/technologie-medien-und-telekommunikation/german-entertainment-media-outlook- 2011.jhtml. 28 Goerlich, Helmut; Laier, René, „Parlamentsfernsehen und Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Bundestages“ in: ZUM 2008, 475, (483). 29 Goerlich, Helmut; Laier, René, ZUM 2008, 475, (482). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000-022/12 Seite 11 Wie bereits in der beigefügten Ausarbeitung näher erläutert,30 kann der Bundestag mit der Veranstaltung eines auch redaktionelle Beiträge umfassenden Parlamentsfernsehens einen privaten Rundfunkveranstalter beauftragen, wobei er aufgrund des Gebots der Staatsferne keinen bestimmenden Einfluss auf das Rundfunkunternehmen haben dürfte. Auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter könnten umfassend und redaktionell gestaltete Sitzungen übertragen und über die Arbeit des Bundestages berichten, wenn dies nicht aufgrund einer Verpflichtung durch den Bundestag erfolgte. Andernfalls verstieße dies gegen das Gebot der Staatsfreiheit. Diese Grundsätze lassen sich auch auf das Angebot einer Bundestagsapplikation für hybride Endgeräte übertragen. 4. Fazit Die tradierte Unterscheidung von Individual- und Massenkommunikation verliert unter den erwähnten Konvergenzbedingungen an Trennschärfe. Es zeigen sich zunehmend fließende Übergänge von individueller zu überindividueller Kommunikation.31 Die technische Entwicklung nimmt Einfluss auf die inhaltliche Struktur von Kommunikationsvorgängen in einer Weise, dass sich die Massenkommunikation graduell individualisiert und die Individualkommunikation graduell entindividualisiert.32 Am Beispiel von Rundfunk und Abrufdiensten wird dies deutlich. So wird im Rundfunk der massenkommunikative Charakter durch Zielgruppen- und Spartenprogramme sowie durch EPG (elektronische Programmführer) abgeschwächt, während Abrufdienste aufgrund der Möglichkeit, diese bequem auf demselben Endgerät wie die Fernsehsendung anzusehen und aufgrund der Hinweise im Fernsehen, die während einer ausgestrahlten Sendung eingeblendet werden, zunehmend von einer Vielzahl von Nutzern gleichzeitig abgerufen werden. Die Frage nach der Zulässigkeit einer vom Bundestag angebotenen Bundestagsapplikation mit redaktionellen Beiträgen für die Nutzung auf einem hybriden Endgerät begegnet Bedenken. Problematisch erscheint dabei die Tatsache, dass sowohl der Inhalt eines solchen Angebots als auch die Vermischung von Linearität und Nicht-Linearität der Dienste „Mediathek“ und „Parlamentsfernsehen “ für eine rundfunkspezifische Meinungsrelevanz sprechen, die einer Zulassung bedürfte. Aufgrund des Gebots der Staatsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG darf eine solche dem Bundestag als staatlichem Organ jedoch nicht erteilt werden. 30 Vgl. die Ausarbeitung S. 25ff. 31 Paschke, Marian, Medienrecht, 3. Auflage, Berlin / Heidelberg 2009, Rn. 19f. 32 Bullinger, Martin; Mestmäcker, Ernst-Joachim, „Multimediadienste, Struktur und staatliche Aufgaben nach deutschem und europäischem Recht“, 1. Auflage, Baden-Baden 1997, S. 16 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 – 3000-022/12 Seite 12 5. Anlage Ausarbeitung „Gesetzlicher Rahmen für ein Parlamentsfernsehen“ von Gyde Maria Bullinger (WD10-3000-038/11).