© 2016 Deutscher Bundestag WD 10 - 3000 - 012/16 Einführung eines staatlichen Vorkaufsrechtes für Kulturgüter in Deutschland Ein Vergleich mit dem französischen System des Abwanderungsschutzes Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 012/16 Seite 2 Einführung eines staatlichen Vorkaufsrechtes für Kulturgüter in Deutschland Ein Vergleich mit dem französischen System des Abwanderungsschutzes Aktenzeichen: WD 10 - 3000 - 012/16 Abschluss der Arbeit: 24.02.16 Fachbereich: WD 10: Kultur, Medien und Sport Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 012/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Kulturgüterschutz und staatlicher Erwerb von Kulturgütern – Deutschland und Frankreich im Vergleich 4 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 012/16 Seite 4 1. Einleitung Im Rahmen der Kulturgutschutznovelle1 wird auch die Einführung eines staatlichen Vorkaufsrechtes in Deutschland diskutiert. In einigen anderen europäischen Ländern, wie Italien, Frankreich oder Spanien existiert bereits ein solches staatliches Vorkaufsrecht, wenn auch die Ausprägungen jeweils unterschiedlich sind.2 Der Abwanderungsschutz in den einzelnen europäischen Ländern ist an die jeweilige nationale kulturelle Tradition angelehnt und korrespondiert mit dem nationalen Verständnis der jeweiligen kulturellen Identität. Diese daher recht unterschiedlichen Regelungen bauen zudem auf unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Traditionen auf. In Einem Zentralstaat wie Frankreich basiert der Abwanderungsschutz auf einem zentralen System.3 In föderal verfassten Gemeinwesen wie Deutschland sind gerade in Kulturfragen die Länderhoheiten berührt. So sind zum Beispiel die Denkmalschutzgesetze der einzelnen Bundesländer recht unterschiedlich.4 Auch historisch betrachtet unterscheiden sich die Prinzipien des Abwanderungsschutzes von Deutschland und Frankreich. So baut das französische Modell auf der Regel „patrimoine national “ auf, welche bereits seit der französischen Revolution in 1789 besteht. Deutschland verfolgt erst seit 1919 das weniger ausgeprägte Prinzip der „wertvollen Kulturgüter“.5 2. Kulturgüterschutz und staatlicher Erwerb von Kulturgütern – Deutschland und Frankreich im Vergleich Der Abwanderungsschutz in Frankreich basiert auf dem System einer generellen Ausfuhrkontrolle . Es erfolgt keine Eintragung einzelner Kulturgüter in eine Liste wertvollen Kulturgutes, wie in Deutschland. Vor jeder Ausfuhr muss folglich ein Zertifikat angefordert werden, das belegt, dass es sich bei dem betreffenden Kulturgut nicht um sogenannte „trésors nationaux“ (nationale 1 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Kulturgutschutzrechts vom 14.09.2015, abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/Content/EN/_Anlagen/2015-09-15-bkm-link-referentenentwurf-kulturgutschutzgesetz .pdf?__blob=publicationFile&v=2 2 Sprecher, Jörg, Beschränkungen des Handels mit Kulturgut und die Eigentumsgarantie, Schriften zum Kulturgüterschutz De Gruyter Recht, 2004, S. 189 f. 3 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (WD 10 – 003/16) Abwanderungsschutz für Kulturgüter in ausgewählten EU-Staaten, S. 4, 2016. 4 Guckelberger, Annette, Denkmalschutz und Eigentum, NVwZ 2016, 17 (18). 5 Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen des Gesetzes zur Ausführung des UNESCO-Übereinkommens vom 14. November 1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung des rechtswidrigen Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut (Ausführungsgesetz zum Kulturgutübereinkommen) und den Schutz von Kulturgut vor Abwanderung ins Ausland, Drucksache 17/13378 29.04.2013, S. 49. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 012/16 Seite 5 Schätze) handelt.6 Solche als „nationale Schätze“ bestimmte Kulturgüter dürfen nicht dauerhaft ausgeführt werden. Für diese Güter besteht somit ein Maximalschutz. Aber auch Kulturgüter, die nicht zu den „trésors nationaux“ zählen, benötigen unter Umständen eine Ausfuhrgenehmigung. Hierbei gelten jedoch bestimmte Alters- und Wertgrenzen7 Wenn ein Kulturgut (bisher) nicht als „trésors nationaux eingestuft wurde und unter eine der Wert- und Alterskategorien fällt, steht als nächster Schritt die Erteilung eines Zertifikates an. Der Staat kann die Erteilung eines Zertifikats für die Dauer von dreißig Monaten ablehnen. Innerhalb dieser Frist kann die zuständige Behörde: – ein Verfahren einleiten, um das Kulturgut als „monuments historiques mobiliers“ oder als „archives privées historiques“ zu klassifizieren und somit die Ausfuhr verhindern, oder – die Herausgabe als archäologische Funde oder maritime Kulturgüter an den Staat fordern (vergl. Schatzregal), oder – ein Angebot zum Erwerb des Kulturgutes abgeben (d. h. Ankauf durch den Staat). Nimmt der Eigentümer im zuletzt genannten Fall die Offerte zum Erwerb des Kulturgutes nicht an, kann die zuständige Behörde einen Gutachter zur Ermittlung eines angemessenen Kaufpreises beauftragen. Stimmt der Eigentümer dem Ankauf durch den Staat noch immer nicht zu, wird die Ablehnung des Zertifikats alle drei Jahre erneuert. Wird die zuständige Behörde jedoch dreißig Monate lang nicht tätig, muss sie das Zertifikat ausstellen.8 Bei öffentlichen Versteigerungen und gewissen freihändigen Verkäufen hat der französische Staat die Möglichkeit ein Vorkaufsrecht gegenüber dem Ersteigerer geltend zu machen, um somit das Kulturgut an sich zu ziehen. Der Staat ist in diesem Moment kaufrechtlich einem Privaten gleichgestellt . Da der Staat sein Vorkaufsrecht erst nachträglich ausübt, ist der freie Handel zwischen Verkäufer und Käufer nicht eingeschränkt. Auch hier gilt9, dass der Eigentümer in der grundsätzlichen Entscheidung, ob er verkaufen möchte, frei bleibt. Es entsteht ihm kein Schaden, wenn der Staat an die Stelle des ursprünglichen Käufers tritt. Die französischen gesetzlichen Bestimmungen garantieren, dass der Eigentümer vom Staat den Marktwert des Objekts erstattet bekommt.10 Einen Nachteil erleidet zwar der vom Staat verdrängte Ersteigerer, der den Zuschlag erhalten hat, 6 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (WD 10 – 003/16) Abwanderungsschutz für Kulturgüter in ausgewählten EU-Staaten, S. 11, 2016. Die maßgeblichen Rechtsgrundlagen finden sich im Code du patrimoine , version consolidée au 6 février 2016 und den damit verbundenen Verordnungen (Dekreten). Zum Vorkaufsrecht des Staates vgl. insbesondere Art. L 121 – 1 dieses Gesetzes. 7 Diese entsprechen den Wert- und Alterskategorien der EU-Verordnung 116/2009. 8 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (WD 10 – 003/16) Abwanderungsschutz für Kulturgüter in ausgewählten EU-Staaten, S. 11 f., 2016. 9 Vgl. Überlegungen zu WD 10 – 009/16 Frage 1. 10 Sprecher, Jörg, Beschränkungen des Handels mit Kulturgut und die Eigentumsgarantie, Schriften zum Kulturgüterschutz De Gruyter Recht, 2004, S. 110. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 012/16 Seite 6 aber weder Kaufobjekt noch Wiedergutmachung erhält. Da er in diesem Moment noch nicht Eigentümer der Sache geworden ist, kann er sich nicht auf die verfassungsrechtlich verankerte Eigentumsgarantie berufen.11 Auch ein Recht auf den Erwerb von Eigentum wird von der Eigentumsgarantie nicht erfasst.12 Besonderheiten des französischen Modells des Abwanderungsschutzes sind neben dem beschriebenen staatlichen Vorkaufsrecht bei Versteigerungen, die Erhöhung des Schutzstandards der „trésors nationaux“ durch Schaffung einer eigenen sachenrechtlichen Kategorie.13 So können Kulturgüter dieser Kategorie weder gutgläubig erworben werden14, noch gepfändet werden15. Hinzu kommt, dass ein etwaiger Herausgabeanspruch bezüglich solcher Kulturgüter nicht verjähren kann.16 Um in Deutschland einen solchen weitreichenden sachenrechtlichen Kulturgutschutz wie in Frankreich überhaupt gewährleisten zu können, müsste zunächst klar definiert werden, was ein Kulturgut ist. Hierbei gibt es enge und weite Definitionsversuche. So würden nämlich in diesem Moment nicht nur Kulturgüter von nationaler Bedeutung (also „wertvolle Kulturgüter“), sondern nach dem Wortlaut alle Kulturgüter erhöhtem sachenrechtlichem Schutz unterstellt werden. Dies könnte zu einer logistischen und faktischen Überforderung führen. Der Staat sollte für seine Maßnahmen auch beachten, dass er nicht zu stark und restriktiv durch gesetzliche Maßnahmen in die Eigentumsrechte der Bürger eingreift. So könnten die verfassungs- 11 Sprecher, Jörg, Beschränkungen des Handels mit Kulturgut und die Eigentumsgarantie, Schriften zum Kulturgüterschutz De Gruyter Recht, 2004, S. 103 f. 12 Sprecher, Jörg, Beschränkungen des Handels mit Kulturgut und die Eigentumsgarantie, Schriften zum Kulturgüterschutz De Gruyter Recht, 2004, S. 190. 13 Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen des Gesetzes zur Ausführung des UNESCO-Übereinkommens vom 14. November 1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung des rechtswidrigen Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut (Ausführungsgesetz zum Kulturgutübereinkommen) und den Schutz von Kulturgut vor Abwanderung ins Ausland, Drucksache 17/13378 29.04.2013, S. 49. 14 Sprecher, Jörg, Beschränkungen des Handels mit Kulturgut und die Eigentumsgarantie, Schriften zum Kulturgüterschutz De Gruyter Recht, 2004, S. 104. 15 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (WD 10 – 003/16) Abwanderungsschutz für Kulturgüter in ausgewählten EU-Staaten, S. 12, 2016. 16 Sprecher, Jörg, Beschränkungen des Handels mit Kulturgut und die Eigentumsgarantie, Schriften zum Kulturgüterschutz De Gruyter Recht, 2004, S. 89; Zu den Verfahren und Schutzmaßnahmen vgl. http://www.culturecommunication .gouv.fr/Politiques-ministerielles/Circulation-des-biens-culturels/Informations-pratiques/Procedures -d-exportation Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 012/16 Seite 7 rechtlich gewährleistete Institutsgarantie sowie das Recht auf freie Verfügbarkeit des Eigentums 17nach Art 14 GG durch ein staatliches Vorkaufsrecht berührt sein. (s. Ausführungen zu WD 10 – 009/16 Frage 1). Der Staat mag zwar im Einzelfall Kulturgut vor Abwanderung sichern, aber möglicherweise um den Preis, dass für die künftigen Kulturgüter die Bürger sich deutlich restriktiver dem Staat gegenüber verhalten. Das Signal, das bereits heute einzelne Künstler setzen, indem sie Leihgaben aus öffentlichen Museen abziehen, sollte durchaus ernst genommen werden.18 Auch sollte der Gesetzgeber bedenken, dass die politische Integration Europas und die Entstehung einer gesamteuropäischen kulturellen Identität, sofern sie politisch überhaupt gewollt ist, durch eine zu starke Akzentuierung nationaler Kulturgüter zugleich konterkariert wird. Berühmte italienische, niederländische oder deutsche Gemälde, die im französischen Museum untergebracht sind, bleiben italienischen, niederländischen oder deutschen Ursprungs und sind doch zugleich Kulturgüter europäischen Ranges geworden. Der Gesetzgeber sollte diese mittelfristige europarechtliche Perspektive im Blick behalten und die Auswirkungen seiner nationalen gesetzlichen Regelungen auch. 17 S. auch Heuer, Carl-Heinz, „Welches Kulturgut ist national wertvoll? Auch für Kunst gilt die Eigentumsgarantie, wesentliche Entscheidungen muss der Gesetzgeber treffen – daran muss sich jede Regel messen lassen“, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 04.02.16, abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/politik/staat-undrecht /gastbeitrag-kulturgut-welches-kulturgut-ist-national-wertvoll-14050349.html 18 Tittel, Cornelius, „Baselitz zieht Leihgaben aus deutschen Museen ab, Welt vom 12.07.2015, abrufbar unter: http://www.welt.de/kultur/kunst-und-architektur/article143878734/Baselitz-zieht-Leihgaben-aus-deutschen- Museen-ab.html