© 2016 Deutscher Bundestag WD 10 - 3000 - 009/16 Vorkaufsrecht des Staates im Rahmen des Kulturgutschutzes in Deutschland Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 009/16 Seite 2 Vorkaufsrecht des Staates im Rahmen des Kulturgutschutzes in Deutschland Aktenzeichen: WD 10 - 3000 - 009/16 Abschluss der Arbeit: 22.02.2016 Fachbereich: WD 10: Kultur, Medien und Sport Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 009/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Rechtliche Einschätzung zur Einführung eines Vorkaufsrechtes des Staates im Rahmen des Kulturgutschutzes 4 2. Auswirkungen des Bundesverwaltungsgerichtsurteils von 1993 auf eine Einführung des Vorkaufsrechtes 8 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 009/16 Seite 4 1. Rechtliche Einschätzung zur Einführung eines Vorkaufsrechtes des Staates im Rahmen des Kulturgutschutzes Im Zusammenhang mit der geplanten Neuregelung des geplanten Kulturgutschutzrechtes1 wird auch die Einführung eines staatlichen Vorkaufsrechtes an Kulturgütern diskutiert. Problematisch an einem solchen Vorkaufsrecht erscheint zunächst, dass nicht etwa die Abwanderung aller kulturell bedeutsamen Werke verhindert werden würde, sondern der Staat nur im Einzelfall – je nach „Kassenlage“- Werke ankaufen kann. Zudem bereitet die Berechnung des Kaufpreises Schwierigkeiten. So steht zum Zeitpunkt der Ausfuhr des Werkes der Verkaufspreis häufig nicht fest. Eine Ankaufspflicht bzw. ein Ankaufsrecht des Staates könnte überdies dazu führen, dass die ohnehin extrem hohen Preise des Kunstmarktes im Wege von Scheinverkäufen noch mehr in die Höhe getrieben werden würden. Dies wäre nicht mit dem Grundsatz des sparsamen Umgangs mit öffentlichen Mitteln vereinbar.2 Belegt ein Staat ein Kulturgut mit einer Ausfuhrsperre, so wird sein Marktpreis deutlich sinken. Wenn der Staat nun mittels eines Vorkaufsrechtes das im Preis gesunkene Werk selbst ankaufen möchte, könnten plötzlich nicht mehr der Kulturgutschutz, sondern fiskalische Interessen des Staates im Vordergrund stehen.3 Es fällt auf, dass bei den bisherigen rechtlichen Überlegungen4 die zugrunde liegende Rechtsfigur nicht ausreichend herangezogen und gewürdigt wird: das öffentliche Interesse. Das öffentliche Interesse ist zwar einerseits ein unbestimmter Rechtsbegriff, der sowohl im Verwaltungsrecht als auch im Strafrecht zur Anwendung und damit zur Auswirkung kommt. Andererseits ist nicht zu verkennen, dass diese Rechtsfigur inzwischen auch in anderen Gebieten zur Anwendung kommt. Dies ist folgerichtig, sofern es um die Abwägung zwischen Individualinteresse und öffentlichem Interesse geht. Denn die Grundrechte der Verfassung dienen dazu, die Macht des Staates zu begrenzen und den Bürger vor zu weitgehenden Eingriffen in seine Individualrechte zu schützen. 1 Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Neureglung des Kulturgutschutzrechts, Stand 04.11.2015, abrufbar unter: http://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/BKM/2015/2015-11-04-novelle-kulturgutschutzgesetz .pdf?__blob=publicationFile&v=3 2 BVerwGE, 27.05.1993 – 7C 33/92. 3 Elmenhorst, Lucas; Wargalla, Moritz, Sinnloser Behördenaufwand oder drängende Notwendigkeit? Der Entwurf zur Neuregelung des Kulturgutschutzrechts, ZRP 2016, 15 (17). 4 So schlug Bayern die Übernahme eines staatlichen Vorkaufsrechtes für Deutschland bereits 2008 vor. Vgl.: Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gemäß § 6 Abs. 1 NKRG – Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Kulturgutschutzrechts (NKR- Nr. 3358) vom 29.10.2015, abrufbar unter: https://www.normenkontrollrat .bund.de/Webs/NKR/Content/DE/Download/2015-11-10_download_kulturgutschutzrecht.pdf?__blob=publication File&v=2 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 009/16 Seite 5 Derartige Abwägungen erfolgen z.B. bei der Bestimmung von individuellen Persönlichkeitsrechten bei Personen des öffentlichen Lebens (Prinzessin Von Monaco)5 oder auch bei Fragen der Enteignung bei öffentlichen Projekten der Infrastruktur (Straßenbau, Verkehrsführung, Energieleitungsbau ), also bei Maßnahmen, die der Daseinsvorsorge dienen. Die Daseinsvorsorge umschreibt die staatliche Aufgabe zur Bereitstellung der für ein menschliches Dasein als notwendig erachteten Güter und Leistungen − die so genannte Grundversorgung. Nach überwiegender Auffassung zählen dazu auch Bildungs- und Kultureinrichtungen. Folglich könnte ein Vorkaufsrecht des Staates über den Begriff der Daseinsvorsorge sehr wohl begründet werden. Allerdings hat die Rechtsprechung den Maßstab für die fallbezogene Abwägung durch neue Formulierungen wie „besonderes öffentliches Interesse“ oder „erhebliches öffentliches Interesse“ angepasst. So wird bei sogenannten „drittschützenden Normen“ eine intensive Abwägung zwischen Individual- und öffentlichem Interesse verlangt.6 Es kann über die Rechtsfigur der Daseinsvorsorge kein genereller Vorrang des öffentlichen Interesses vor dem Individualinteresse begründet werden. Es ist also perspektivisch abzuschätzen, welche Rechtsfolgen bei Einbindung bzw. Auslassen eines staatlichen Vorkaufsrechtes im Kulturgutschutzgesetz (KGSG) eintreten könnten. Fraglich ist, ob ein staatliches Vorkaufsrecht auch konkret gegen Grundrechte verstoßen würde. a) Verstoß gegen die Vertragsfreiheit, Art 2 I GG ? Durch ein staatliches Vorkaufsrecht könnte die Vertragsfreiheit eingeschränkt werden. Diese ist als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art 2 I GG ein verfassungsmäßiges Recht. 7 Zunächst müsste ein verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigter Eingriff in den Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit vorliegen. Dem Eigentümer des Kulturgutes steht weiterhin frei, zu entscheiden, ob er den Gegenstand überhaupt veräußern möchte. Jedoch wird der Veräußerer in der Wahl seines Vertragspartners eingeschränkt. Der Staat träte im Falle der Ausübung seines Vorkaufsrechtes an die Stelle des vorgesehenen Erwerbers . In einigen europäischen Ländern, in denen ein staatliches Vorkaufsrecht gesetzlich geregelt ist, wäre hier als Kaufpreis der übliche Marktpreis zu entrichten. Andere Länder überlassen dies dem Verhandlungsgeschick der Parteien. Als einzige Folge der Ausübung des Vorkaufsrech- 5 BGH, Urteil vom 06.03.2007: Veröffentlichung von Urlaubsfotos eines Prominenten, GRUR 2007, 523. 6 Wahl, Rainer, in: Schoch, Friedrich/Schneider, Jens-Peter/Bier, Wolfgang, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar , 29. EL Stand Oktober 2015, Vorbemerkung § 42 Abs. 2 Rn. 94 – 97. 7 Di Fabio, Udo, in: Maunz, Theodor/Dürig, Günter, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar , 75. EL Stand September 2015, Art 2 Rn. 101 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 009/16 Seite 6 tes bliebe also übrig, dass das Kulturgut an einen anderen Erwerber gelangt. Bei einer Interessenabwägung wäre dann zu klären, ob das möglicherweise bestehende Interesse des Eigentümers, sein Kulturgut an einen bestimmten Vertragspartner zu veräußern, hinter dem öffentlichen Interesse wertvolle Kulturgüter im Land zu halten, zurückstehen muss. b) Verstoß gegen Art 14 GG ? Außerdem könnte durch die Einführung eines Vorkaufsrechtes die verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsfreiheit des Art 14 GG beeinträchtigt werden. Bei einem konsequenten Ansich -ziehen der Kulturgüter durch den Staat könnte eine unzulässige Beschränkung der Institutsgarantie des Eigentums vorliegen. Diese besagt nämlich, dass der Staat das Rechtsinstitut des Eigentums zwar inhaltlich regeln und gestalten darf, dieses aber im Kern gewährleisten muss und nicht auf Null reduzieren darf. Der Gesetzgeber muss solche Rechtsvorschriften erlassen oder bestehen lassen, „die dem eigentumsspezifischen Freiheitsraum im vermögensrechtlichem Bereich Entfaltungs- und Entwicklungsperspektiven eröffnen.“8 Ein Eingriff in die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG in Form einer entschädigungspflichtigen Enteignung kommt wohl nicht in Betracht. Wie bereits dargelegt, trifft der Eigentümer selbst die Entscheidung das Kulturgut zu veräußern. c) Derzeitige staatliche Beteiligung an Käufen im Bereich Kulturgüter Doch auch ohne ein verbindliches Vorkaufsrecht des Staates beteiligt sich Deutschland bereits regelmäßig an den Ankäufen wichtiger Kulturgüter. Durch die 1988 gegründete Kulturstiftung der Länder (KSL) sollen Museen beim Erwerb von Kunstwerken unterstützt werden. Ein Ankauf von Kulturgütern durch den Staat findet somit bereits häufig statt. Seit der Gründung der KSL in 1988 wurden über 160 Millionen Euro an Ländermitteln investiert. Durch die regelmäßige Beteiligung von Bund und privaten Geldgebern konnte Kunst im Wert von über 600 Millionen erworben werden.9 d) Weiterführende Überlegungen Ein Vorkaufsrecht könnte zunächst den Vorrang des öffentlichen Interesses weiter ausbauen. Denn neben der schon bestehenden Möglichkeit des Rückgriffs auf die Liste national wertvollen 8 Axer, Peter, in: Epping, Volker/Hillgruber, Christian, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Beck‘scher Online Kommentar, 27. Edition Stand 01.12.2015, Art 14 Rn. 19. 9 Vgl. Aktuelles der Bundesregierung, Interview mit Monika Grütters vom 13.11.15, abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Interview/2015/11/2015-11-13-gruetters-hbl.html (Stand: 15.02.16). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 009/16 Seite 7 Kulturgutes gäbe es dann folglich ein doppeltes Instrument zur Absicherung staatlicher oder öffentlicher Interessen. Es ist nicht auszuschließen, dass sich diese Instrumente jedoch im Falle eines Rechtsstreites gegenseitig blockieren würden. Es wäre möglicherweise kaum noch zu begründen und rechtlich aufrecht zu erhalten, warum ein Kulturgut noch auf die Liste national wertvollen Kulturgutes gesetzt werden sollte, wenn schon gesetzlich ein Vorkaufsrecht des Staates (bzw. der öffentlichen Hand) besteht. Im Sinne der Güterabwägung könnten die Gerichte im Vorkaufsrecht ein zureichendes Instrument der Absicherung öffentlicher Interessen sehen (auch wenn es dann teurer wird) im Verhältnis zum Individualinteresse des Eigentümers und seiner ja auch grundrechtlichen schutzwürdigen Interessen und freien Verfügungshoheiten über sein Eigentum. Im Ergebnis wäre nicht auszuschließen, dass ein Instrument wie das allgemeine Vorkaufsrecht letztendlich eher das Gegenteil bewirkte, weil dann nämlich die Aufnahme in die Liste als zweite Maßnahme kaum mehr begründbar wäre. Auch wäre zu präzisieren, ob ein Vorkaufsrecht generell für alle Kulturgüter bestehen solle, oder allein für jene, die auch auf die Liste national wertvollen Kulturgutes stehen. Sofern alle Kulturgüter gemeint wären, würde das eine generelle Erfassung aller in privatem Eigentum befindlichen Kulturgüter (mit allen Schwierigkeiten der genauen Abgrenzung, was überhaupt ein Kulturgut ist) zur Voraussetzung und zur Folge haben. Das wäre schon praktisch und logistisch nicht realisierbar , und gesellschaftlich nicht einmal wünschenswert oder erstrebenswert. Man denke allein daran, welche Probleme schon die Museen in der Erfassung des bereits gesammelten und in Depots befindlichen Kulturgutes haben. Also kann es allein um eine beschränkte Menge von Kulturgütern gehen, die durch andere Kriterien qualifiziert sind. Da böte sich an, sich auf jene zu beschränken, die durch Eintrag auf die Liste als national wertvolles Kulturgut qualifiziert sind. Das jedoch könnte auch zu jener obengenannten Abwägung zwischen zweien Instrumenten führen, so dass im Ergebnis dem staatlichen Interesse nicht wirklich gedient wäre. Bei Nichtaufnahme eines staatlichen Vorkaufsrechtes für Kulturgüter in das KGSG könnte die Gefahr der partiellen Nichterfüllung der staatlichen Daseinsvorsorge im Raum stehen. Dagegen könnte allerdings stehen, dass der Staat den Zweck der Daseinsvorsorge in vergleichbarere Weise durch andere Kulturgüter - ohne einen Eingriff in Individualrechte - gleichwertig gewährleisten könnte. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 10 - 3000 - 009/16 Seite 8 2. Auswirkungen des Bundesverwaltungsgerichtsurteils von 1993 auf eine Einführung des Vorkaufsrechtes In Deutschland gilt gemäß Art 20 II 2 HS 2 GG das Prinzip der Gewaltenteilung. Demnach sind Legislative, Exekutive und Judikative voneinander zu trennen.10 Sinn und Zweck ist die gegenseitige Kontrolle und das Eindämmen staatlicher Macht.11 Würde also die Bindungswirkung (höchst) richterlicher Entscheidungen (hier: die Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht von 1993)12 dem Gesetzgeber ein bestimmtes Verhalten verbieten, wäre dies ein unzulässiger Eingriff in den Grundsatz der Gewaltenteilung. Die obersten Gerichtshöfe des Bundes, somit auch das Bundesverwaltungsgericht, haben die Aufgabe , Rechtsfragen grundsätzlicher Art zu klären und dadurch die Rechtsanwendung zu vereinheitlichen . Ihre Rechtsprechung hat größte Autorität. Dennoch gilt: „Höchstrichterliche Urteile schaffen kein Gesetzesrecht“.13 Dem vorliegenden Urteil des Bundesverwaltungsgerichts kommt mithin richtungsweisende Bedeutung zu, indem es präzise Hinweise gibt, wie das KGSG formuliert werden sollte. Hinzu kommt, dass das Zitat des Bundesverwaltungsgerichtes „… daß es nicht Sache des Staates sein kann, sich durch Ausübung eines Vorkaufsrechts am internationalen Kunsthandel zu beteiligen und auf diesem Wege wertvolles Kulturgut zu verstaatlichen.“ Teil des „obiter dictum“ (lat. „nebenbei Gesagtes“) ist und nicht etwas Teil der Leitsätze. Es ist eine Rechtsansicht, die nicht die gefällte Entscheidung trägt. Im Interesse der Rechtssicherheit und der Verwaltungsökonomie ist es dennoch ratsam, dass die gesetzgebende Gewalt der wegweisenden Entscheidung der Judikative entspricht und nicht sehenden Auges Gesetze schafft, die höchstrichterlicher Rechtsprechungspraxis zuwiderlaufen. Den Gerichten kommt also ein Gestaltungsanspruch zu, die Handlungsfreiheit des Gesetzgebers darf dabei aber nicht unterbunden werden. Die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts haben vielmehr faktischen Einfluss auf die Auslegung des Verwaltungsrechts. 10 Herdegen, Matthias, in: Maunz, Theodor/Dürig, Günter, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar , 75. EL Stand September 2015, Art 79 Rn. 146. 11 Huster, Stefan/Rux, Johannes, in: Epping, Volker/Hillgruber, Christian, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Beck‘scher Online Kommentar, 27. Edition Stand 01.12.2015, Art 20 Rn. 156. 12 Siehe Fußnote 2. 13 BVerfG, Beschluss vom 05.11.2015, NZG 2016 61 (62).