Deutscher Bundestag Stellungnahme zum ungarischen Mediengesetz Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2011 Deutscher Bundestag WD 10 - 3000 - 008/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 008/11 Seite 2 Stellungnahme zum ungarischen Mediengesetz Verfasserin: Aktenzeichen: WD 10 - 3000 - 008/11 Abschluss der Arbeit: 10.02.11 Fachbereich: WD 10: Kultur, Medien und Sport Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 008/11 Seite 3 1. Einleitung 4 2. Die neuen ungarischen Mediengesetze 4 2.1. Das Gesetz CIV von 2010 über die Freiheit der Presse und die Grundregeln über Medieninhalte („Medienverfassung“) 5 2.2. Das Gesetz CLXXXV von 2010 über Mediendienstleistungen und Massenmedien 6 2.2.1. Prinzip der Ausgewogenheit 6 2.2.2. Die Nationale Medien- und Infokommunikationsbehörde (NMHH) 6 2.2.2.1. Der Präsident der NMHH 6 2.2.2.2. Der Medienrat 6 2.2.3. Sanktionen 7 3. Hauptkritikpunkte 8 3.1. Pflicht zur Ausgewogenheit – hohe Geldstrafen – Gefahr der Selbstzensur 8 3.2. Politische Unausgewogenheit und Machtkonzentration bei der Medienaufsicht 9 3.3. Mangelnder Quellenschutz 9 3.4. Registrierung auch für Mediendienstleister und Printmedien 11 3.5. Monopol der staatlichen Nachrichtenagentur MTI 11 4. Möglichkeiten der Europäischen Union 11 4.1. Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 226 EG-Vertrag 12 4.2. Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 7 Lissabon-Vertrag 13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 008/11 Seite 4 1. Einleitung Das neue ungarische Medienrecht ist zum 1.1. 2011 in Kraft getreten. Bereits vor seinem Inkrafttreten gab es Kritik an diesen Gesetzen, im Lande sowie auf internationaler Ebene seitens der O- SZE.1 Mit turnusmäßigem Eintritt der Ungarischen Regierung in die EU- Ratspräsidentschaft zum Beginn dieses Jahres rückte das neue Medienrecht ins Zentrum der Aufmerksamkeit und der Kritik . Bei seinem Antritt im europäischen Parlament Anfang Januar sah der ungarische Präsident Orban sich mit massiven Vorwürfen konfrontiert: Das Gesetz beschneide die Pressefreiheit, es stelle alle Fernseh- und Rundfunksender, Presseerzeugnisse und Internetportale unter die Kontrolle der staatlichen Medienbehörde NMHH und des politisch einseitig von der Regierungspartei Fidesz besetzen Medienrates. Bei Verstößen gegen die vage formulierten Vorschriften des Gesetzes drohten den Medien hohe Strafen. Es werde befürchtet, dass dies zu einer Selbstzensur der Medien führen könne. Nach Prüfung der Vorwürfe durch die europäische Kommission, hat die zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes in einem Schreiben an die ungarische Regierung am 21. Januar 2011 die Regelungen des Mediengesetzes beanstandet, die nach Auffassung der Kommission gegen die EU-Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste von 2007 verstoßen und um Stellungnahme gebeten.2 Bereits vor Ablauf der hierfür gesetzten Frist antwortete die ungarische Regierung durch den Minister für Jusitz und öffentliche Verwaltung Tibor Navracsisics, sie sei weiterhin davon überzeugt, dass das Gesetz den Anforderungen des EU-Rechts vollkommen gerecht werde. Sie zeigte sich aber dazu bereit, Anpassungen vorzunehmen, sofern dies nach Erörterung ungarischer Experten mit Mitarbeitern der Kommission nötig werde.3 Kommt es zu keiner Einigung, kann die EU-Kommission ein Verfahren wegen Verletzung der EU-Verträge einleiten, auf Grund dessen der Europäische Gerichtshof Ungarn zur Umsetzung des EU-Rechts zwingen könnte. 2. Die neuen ungarischen Mediengesetze Bei dem umstrittenen neuen ungarischen Medienrecht geht es um zwei Gesetze, die beide mit Beginn dieses Jahres in Kraft getreten sind: Dies sind das als „Medienverfassung“ bekannte und bereits im November vorigen Jahres verabschiedete „Gesetz CIV von 2010 über die Freiheit der Presse und die Grundregeln über Medieninhalte“4 sowie das „Gesetz CLXXXV von 2010 über Mediendienstleistungen und Massenmedien“5, das erst kurz vor Weihnachten vom Parlament gebilligt wurde. Diese Gesetze regeln das gesamte Medienwesen in Ungarn. Sie gelten für den Rundfunk, die Presse und das Internet. Damit stehen sie soweit ersichtlich in Europa einzig da. 1 Bericht des Beauftragten der OSZE Jakubowisc. Analysis and assessment of a package of Hungarian legislation and draft legislation on media and telecommunication. http://www.osce.org/fom/71218. 2 http://www.pesterlloyd.net/2011_04/04eubriefBayer/EUKommission_Ungarn.pdf. 3 Antwortschreiben vom 31. Januar 2011. http://www.euractiv.de/fileadmin/images/Answer_to_Mme_Neelie _Kroes.pdf. 4 http://www.kim.gov.hu/misc/letoltheto/act_civ_media_content.pdf. 5 http://www.nmhh.hu/dokumentum.php?cid=25694. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 008/11 Seite 5 2.1. Das Gesetz CIV von 2010 über die Freiheit der Presse und die Grundregeln über Medieninhalte („Medienverfassung“) Dieses Gesetz umfasst auf zehn Seiten 25 Artikel. Es enthält Regelungen zu Inhalten der Berichterstattung sowie Rechten und Pflichten der Journalisten. Der erste Abschnitt dieses Gesetzes enthält in Art. 1 Begriffsdefinitionen und in Art. 2 und 3 des dritten Abschnitts Erläuterungen des Anwendungsbereichs. Der mit „Freiheit der Presse“ überschriebene dritte Abschnitt der Medienverfassung stellt in Art. 4 Abs. 1 fest, dass die Republik Ungarn die Pressefreiheit anerkennt und respektiert und die Vielfalt der Presse garantiert. Nach Abs. 2 umfasst diese Freiheit die Unabhängigkeit vom Staat sowie von Vereinigungen und Interessengruppen. Ihre Ausübung darf allerdings kein Verbrechen darstellen oder begünstigen, die guten Sitten nicht verletzen und die Rechte Dritter nicht beeinträchtigen (Art. 4 Abs. 3). Für Mediendienstleistungen und Printmedien kann eine offizielle Registrierung als Vorbedingung für die Aufnahme ihrer Tätigkeit vorgesehen werden; die Bedingungen hierfür dürfen die Pressefreiheit nicht beschränken (Art. 5 Abs. 1). Art. 6 regelt den Quellenschutz, der zu Gunsten jeder Person besteht, die bei einem oder für einen Anbieter von Mediendienstleistungen arbeitet. Ein Nachsatz hält allerdings fest, dass Daten über die Identität der Quelle nicht vertraulich gehalten werden dürfen, wenn diese „ qualifizierte Daten widerrechtlich offenlegt“. In Absatz 2 heißt es dann, dass „sogar“ in juristischen und anderen offiziellen Verfahren der Informantenschutz gelte, vorausgesetzt, so der letzte Halbsatz, dass die jeweils übermittelten Informationen „im Interesse der Öffentlichkeit“ offengelegt worden seien. Absatz 3 enthält eine weitere Einschränkung: In besonders begründeten Fällen dürften die Gerichte oder Behörden „im Interesse der Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder der Aufdeckung oder Verhinderung von Straftaten“ von dem jeweiligen Anbieter sowie von jeder Person, die bei diesem oder für diesen arbeitet, verlangen, die Identität des Informanten zu offenbaren. Unter dem Titel „Verpflichtungen der Presse“ werden in Abschnitt 6 Art. 13 Abs. 1 der Medienverfassung alle Medienunternehmer dazu verpflichtet, „wahrhaftige, schnelle und genaue Informationen über lokale, nationale und EU-Angelegenheiten sowie jedes für ungarische Bürger und Mitglieder der ungarischen Nation relevante Ereignis anzubieten. Anbieter von audiovisuellen Medienangeboten („Linear and on-demand media content providers engaged in new couverage operations“6) sind verpflichtet, „umfassend, sachlich, aktuell, objektiv und ausgewogen“ über die nämlichen Themen zu berichten (Art. 13 Abs. 2). Bei der Erarbeitung und Veröffentlichung von Medieninhalten ist die „menschliche Würde“ zu wahren. Eine selbstgefällige und abträgliche Darstellung von Personen in erniedrigenden oder schutzlosen Situationen ist nicht erlaubt (Art. 14 Abs. 1 und 2). Medieninhalte dürfen nicht den „Hass auf Personen, Nationen, Gemeinschaften sowie nationale, ethnische, sprachliche oder andere Minderheiten oder Mehrheiten ebenso wie kirchliche oder religiöse Gruppen schüren“. Verboten ist es auch, alle diese Personenkreise „explizit oder/und implizit zu diskriminieren“ (Art. 17 Abs. 1 und 2). 6 Vgl. die Definitionen im Gesetz CLXXXV in Part Five. Interpretation. Section 203 Nr. 35 und 36. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 008/11 Seite 6 2.2. Das Gesetz CLXXXV von 2010 über Mediendienstleistungen und Massenmedien Das Gesetz CLXXXV enthält 228 Artikel. Es konkretisiert die Pflichten der Medien, wie etwa in Art. 12 das Prinzip der „Ausgewogenheit“ und es regelt das Verfahren bei Verstößen gegen diese Verpflichtungen (Art. 185 ff). Ferner regelt es unter anderem die Zusammensetzung und die Befugnisse der Nationalen Medien- und Infokommunikationsbehörde (NMHH) und des Medienrates . Darüber hinaus fasst es die bisher vier öffentlich-rechtlichen Anstalten Ungarns unter dem Dach eines gemeinnützigen Fonds zusammen und trifft Regelungen zu Fusionen und Konzentration im Mediensektor und regelt den Jugendschutz. 2.2.1. Prinzip der Ausgewogenheit Art. 12 Abs. 1 des Gesetzes CLXXXV verweist auf die Ausgewogenheitsverpflichtung in Art. 13 der Medienverfassung, die „nach Art des Programms“ gewährleistet sein müsse (Art. 12 Abs. 2). Abgesehen von einer Erläuterung dürfen die Angestellten der Medienanbieter die politischen Nachrichten nicht mit einer „Meinung oder wertenden Erklärung“ versehen, es sei denn, diese Ausführungen sind klar von der jeweiligen Nachricht zu unterscheiden (Art. 12 Abs. 3 und 4). 2.2.2. Die Nationale Medien- und Infokommunikationsbehörde (NMHH) Die Nationale Medien- und Infokommunikationsbehörde (NMHH) ist die Aufsichts- und Regulierungsbehörde für den Mediensektor. Sie ist autonom und nur dem Gesetz unterworfen (Art. 109 Abs. 1). Nach Art. 109 Abs. 3 umfasst die NMHH drei Dienststellen mit unabhängigen Befugnissen : den Präsidenten der NMHH, den Medienrat der NMHH sowie das Büro der NMHH, das der Unterstützung der beiden Ersteren dient. Die Behörde hat dem Parlament jährlich zu berichten (Art. 109 Abs. 4). 2.2.2.1. Der Präsident der NMHH Der Präsident der NMHH wird vom Ministerpräsidenten für neun Jahre ernannt; eine Verlängerung ist möglich (Art. 111 Abs. 3 und 5). Der Präsident ernennt zwei Vize-Präsidenten (Art. 112 Abs. 1) und den Direktor des Büros (Art. 114 Abs. 1). Art. 118 Abs. 1 führt aus, welche Personen für diese Ämter nicht wählbar sind, nämlich unter anderem Regierungsmitglieder, Medienunternehmer , Funktionäre und Angestellte politischer Parteien. Vorgeschrieben ist ferner, dass diejenigen , die diese Ämter bekleiden, sich nicht parteipolitisch engagieren oder für Parteien auftreten dürfen (Art. 118 Abs. 3). Der Ministerpräsident hat auch das Recht, den Präsidenten der NMHH zu entlassen, etwa wenn dieser nach der Ernennung einen „Interessenkonflikt“ nicht binnen dreißig Tagen beenden sollte (Art. 113 Abs. 2). 2.2.2.2. Der Medienrat Der Medienrat ist das eigentliche Aufsichtsorgan, das die Einhaltung der Bestimmungen der Medienverfassung und des Gesetzes CLXXXV überwacht (Art. 132 und 182). Er hat dem Parlament an jedem 31. Mai einen Bericht über die Aktivitäten des vergangenen Jahres vorzulegen (Art. 133 Abs. 1). Der Medienrat ist ein unabhängiger Teil der NMHH mit dem Status einer juristischen Person. Der Medienrat und seine Mitglieder sind nur dem ungarischen Recht unterworfen und von Weisungen frei („may not be instructet with respect to the fulfilment of their official duties “) bei der Erfüllung ihrer Rechtspflichten (Art. 123 Abs. 1 und 2). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 008/11 Seite 7 Der Präsident und die vier Mitglieder des Medienrats werden vom Parlament mit einer Zweidrittelmehrheit für eine Amtszeit von 9 Jahren gewählt (Art. 124 Abs. 1). Für die Nominierung gewählt werden die Kandidaten durch ein Ad-hoc-Komitee, in das jede parlamentarische Fraktion einen Repräsentanten entsendet, das Nominierungskomitee (Art. 124 Abs. 3). In jeder Wahlrunde haben die einzelnen Mitglieder des Nominierungskomitees eine Stimmzahl, die der Größe der sie entsendenden Fraktion entspricht (Art. 124 Abs. 4). Die Nominierung der Mitglieder erfolgt dann einstimmig („nominated by the unanimous vote of an ad-hoc-committe“, Art. 124 Abs. 3). Der Präsident der NMHH ist kraft seines Amtes Kandidat für das Amt des Medienratspräsidenten . Selbst wenn er nicht gewählt wird, hat er das Recht, Sitzungen einzuberufen und ihnen mit beratender Funktion vorzusitzen (Art. 125 Abs. 1 und 4). Die Entscheidungen des Medienrats werden mit einfacher Mehrheit der fünf gleichwertigen Stimmen gefällt (Art. 144 Abs. 2 und 4). 2.2.3. Sanktionen Wird die Pflicht zu ausgewogener Berichterstattung, wie sie in Art. 13 Abs. 2 der Medienverfassung und Art. 12 Abs. 2 des Gesetzes CLXXXV für alle audiovisuelle Medienangebote festgelegt ist, verletzt, hat jedermann das Recht, vom Sender zu verlangen, dass Ansichten, die angeblich für die Ausgewogenheit erforderlich sind, im Programm nachgereicht werden. Sollte dem Antragsteller nicht abgeholfen werden, kann er sich an die NMHH wenden und auf diesem Wege erreichen , dass sein „Standpunkt“ bekannt gemacht wird (Art. 181). Die NMHH kann den Medienanbieter dazu verpflichten, diese Entscheidung ohne weiteren Kommentar zu veröffentlichen. Im letzten Satz von Art. 181 Abs. 5 wird ausdrücklich klar gestellt, dass weitere rechtliche Konsequenzen wie Straf- und Verwarnungsgelder (Art. 186 – 187), nicht zur Anwendung kommen. Das rechtliche Vorgehen bei Rechtsverstößen regeln die Artikel 185 ff. Dabei verpflichtet Art. 185 Abs. 2 den Medienrat ausdrücklich auf ein Vorgehen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach Maßgabe der Schwere und Dauer der Verletzung und der Umstände des Einzelfalls. Bei einmaligen, wenig bedeutenden Verstößen kann eine Verwarnung ausreichen (Art. 186). Der gestaffelte Strafrahmen reicht von maximal 200 Millionen Forint (etwa 720 000 Euro) für audiovisuelle Medien („JBE media service provider“) über 25 Millionen Forint (etwa 90 000 Euro) für landesweit verbreitete, täglich erscheinende Printmedien und zehn Millionen Forint (36 000 Euro) für wöchentlich erscheinende, landesweit verbreitete Printmedien bis zu 5 Millionen Forint (etwa 18 000 Euro) für sonstige Zeitungen und Zeitschriften (Art. 187 Abs. 3 b)) Zusätzlich kann das Erscheinen des jeweiligen Medienerzeugnisses für eine bestimmt Zeit untersagt werden , bei wiederholten und schweren Verstößen bis zu eine Woche(Art. 187 Abs. 3 d)) und die vorgeschriebene Registrierung nach Art. 41 kann entzogen werden (Art. 187 Abs. 3 e)). Die Festsetzung der Sanktionen muss im Verwaltungsverfahren erfolgen (Art. 187 Abs. 8). Gegen die Sanktionen kann innerhalb von dreißig Tagen Rechtsmittel eingelegt werden, das jedoch nur Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 008/11 Seite 8 dann aufschiebende Wirkung hat, wenn das Gericht einem entsprechenden Antrag stattgibt (Art. 163 Abs. 1 und 3). 3. Hauptkritikpunkte 3.1. Pflicht zur Ausgewogenheit – hohe Geldstrafen – Gefahr der Selbstzensur Eine Gefahr für die Meinungs- und Pressefreiheit kann sich aus den hohen und möglicherweise existenzbedrohenden Geldstrafen ergeben, die bei Verstößen gegen Vorschriften der Mediengesetze verhängt werden können. Insbesondere angesichts so unbestimmter Rechtsbegriffe wie der „Pflicht zur ausgewogenen Berichterstattung“ mag dies manchen Journalisten zur Selbstzensur veranlassen. Eine Verpflichtung zur ausgewogenen Berichterstattung ist allerdings auch in andren europäischen Ländern für den Rundfunk üblich.7 Die Auslegung solcher unbestimmten Rechtsbegriffe wird durch die Rechtsprechung konkretisiert. Nach dem ungarischen Gesetz gilt das Ausgewogenheitsgebot aber für alle audiovisuellen Angebote, selbst für Blogs und On-Demand -Dienste, ungeachtet ihrer Größe, Zielgruppe und thematischen Gestaltung, wie die EU-Medienkommissarin Neelie Kroes in ihrem Schreiben an die ungarische Regierung kritisiert.8 Bereits im September 2010 legte die OSZE einen Bericht über die ungarische Gesetzgebung zu Medien und Telekommunikation vor.9 Der mit der Analyse beauftragte polnische Medienwissenschaftler Karoly Jakubowicz kam zu dem Schluss, dass die neue ungarische Mediengesetzgebung ein „hoch zentralistisches Leitungs- und Regulierungssystem mit vielen neuen und unnötigen Gremien der Aufsicht und Überwachung“ einführe. Möglichkeiten der politischen Kontrolle würden vermehrt und Selbstzensur gefördert.10 In Deutschland wird die Aufsicht über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk durch binnenpluralistisch organisierte Rundfunkgremien wahrgenommen, bei den privaten Rundfunkanstalten durch die staatsfernen Landesmedienanstalten. Verstöße gegen das Gebot der Ausgewogenheit als Teil der Programmrichtlinien können in Deutschland (nur) zu organschaftlichen Reaktionen im Verhältnis zwischen Rundfunkrat und Intendant führen, nicht aber zu strafrechtlichen Sanktionen .11 Vor diesem Hintergrund kann man in den ungarischen Bestimmungen durchaus eine Gefahr für die Pressefreiheit sehen. 7 § 11 Abs. 3 RStV für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland. Zum Prinzip der Ausgewogenheit für öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstalter in Deutschland Herrmann/Lausen. Rundfunkrecht (2004). § 23 Rdn. 6 ff; für den privaten Rundfunk § 23 Rdn. 16 ff, insbes. 21. 8 So Schreiben an die ungarische Regierung vom 21. Januar 2011. http://www.pesterlloyd.net/2011_04/04eubrief- Bayer/EUKommission_Ungarn.pdf . 9 Jakubowicz. Analysis and assessment of a package of Hungarian legislation and draft legislation on media and telecommunication. http://www.osce.org/fom/71218. 10 Vgl. Ebert. Ungarns Mediengesetz ist ein Angriff auf europäische Werte. epd medien Nr. 3 vom 21.01.2011 S. 9. 11 Herrmann/Lausen. Rundfunkrecht (2004). § 10 Rdn. 51. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 008/11 Seite 9 In der Verhängung von Strafen durch die Verwaltung kann jedoch nicht ohne weitere eine Verletzung von rechtsstaatlichen Grundsätzen erkannt werden, wie manche Kritiker behaupten.12 Auch bei uns gibt es Verwaltungsstrafrecht mit zum Teil empfindlichen Bußen. Entscheidend ist die Möglichkeit gerichtlicher Kontrolle. Die Strafanordnungen auf Grund des ungarischen Mediengesetzes können im Rechtsweg überprüft werden. 3.2. Politische Unausgewogenheit und Machtkonzentration bei der Medienaufsicht Ein Hauptgegenstand der Kritik ist der politisch einseitig besetzte Medienrat. Diese Einseitigkeit ist allerdings nicht durch das Gesetz vorgegeben, sondern Folge der parlamentarischen Zweidrittelmehrheit der regierenden Fidesz-Partei. Wie bereits oben dargestellt, werden die vier Kandidaten vom Nominierungskomitee bestimmt. In diesem Gremium stimmt von jeder im Parlament vertretenden Fraktion ein Vertreter mit der Stimmzahl, die der Fraktionsstärke entspricht. Da die Nominierung für die Wahl im Parlament einstimmig erfolgen muss (s. o. 2.2.2.2), zwingt das Gesetz zur Verständigung und Einigung. Dadurch sollte die für die Demokratie so wichtige Berücksichtigung von Minderheiten eigentlich gewährleistet sein. Für die Wahl der Mitglieder im Parlament ist sodann eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Auch dadurch besteht unter normalen parlamentarischen Verhältnissen mit kleineren Fraktionen und weniger deutlichen Mehrheiten ein Zwang zur Verständigung über die Kandidaten, der auch ihre Unabhängigkeit sicherstellen kann.13 Bei den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen im ungarischen Parlament, wo die regierende Fidesz-Partei eine Zweidrittel-Mehrheit hält, entfällt diese Notwendigkeit, so dass die Vorschläge parlamentarischer Minderheiten hier nicht mehr zum Zuge kommen können. Die Medienbehörde NMHH und der Medienrat sind nicht nur für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zuständig, sondern auch für private Rundfunkveranstalter, sowie für alle Print- und Online-Medien. Die OSZE-Beauftragte für Pressefreiheit, Dunja Mijatovic, urteilte daher am 22. Dezember 2010 in Wien, eine solche Machtkonzentration sei in europäischen Demokratien beispiellos und schade der Medienfreiheit.14 Die Kritik des Menschenrechtsbeauftragten des Europarats Hammarberg ging in dieselbe Richtung.15 3.3. Mangelnder Quellenschutz Die Regelungen zum Quellenschutz stehen in Art. 6 des Gesetzes CIV von 201016, der Medienverfassung (zum Inhalt oben 2.1). Danach gilt der Quellenschutz nicht, wenn qualifizierte Daten wi- 12 So Martin Schulz (MdEP) im Interview mit der Stuttgarter Zeitung am 18. 1. 2011. http://www.stuttgarter-zeitung .de/stz/page/2779449_0_8271_-interview-zum-ungarischen-mediengesetz-das-ist-nichts-anderes-als-zensur- .html. 13 Vgl. Dörr, in: Dörr/Kreile/Cole (Hrsg.), Handbuch Medienrecht. Recht der elektronischen Massenmedien. 2. Aufl. 2011, Rdn. 104., der als Vorbild für dieses Ratsmodell auf die Regelung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes über die Richterwahl verweist. 14 Vgl. epd medien Nr. 1 vom 07.01.2011 S. 28. 15 http://www.coe.int/t/commissioner/News/2011/110201Hungary_en.asp. 16 http://www.kim.gov.hu/misc/letoltheto/act_civ_media_content.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 008/11 Seite 10 derrechtlich offen gelegt werden (Abs. 1) oder in besonders begründeten Fällen, wenn die Offenlegung der Quelle im Interesse der Öffentlichkeit liegt oder der Aufdeckung oder Verhinderung einer Straftat dient (Abs. 3); in juristischen und offiziellen Verfahren gilt der Quellenschutz nur, wenn die erbrachte Information im Interesse der Öffentlichkeit lag (Abs. 2). Diese Bestimmungen sind sehr unbestimmt und es erscheint fraglich, ob sie unserem Verständnis von Pressefreiheit genügen. Die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Hs.1 GG) gewährleistet als eigenständiges Grundrecht „die institutionelle Eigenständigkeit der Presse von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht“.17 Die Pressefreiheit enthält damit sowohl eine institutionelle Garantie als auch ein Individualgrundrecht. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist seit langem anerkannt, dass die Pressefreiheit auch das Redaktionsgeheimnis schützt. Die Presse kann ihre öffentliche Aufgabe nur dann wirksam erfüllen, wenn die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit vor Eingriffen durch den Staat und insbesondere das Vertrauensverhältnis zwischen der Presse und ihren Informanten entsprechend geschützt ist.18 Allerdings ist auch die Pressefreiheit durch die Schranken der allgemeinen Gesetze begrenzt (Art. 5 Abs. 2 GG). Diese müssen jedoch selbst wieder mit Blick auf den Grundwert der Pressefreiheit einschränkend ausgelegt werden, um jeden Eingriff zu verhindern, der nicht durch mindestens gleichwertige rechtsstaatliche Interessen und Rechtsgüter zwingend geboten ist.19 Ausprägungen dieses Prinzips sind die Vorschriften über das Zeugnisverweigerungsrecht.20 Das Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StPO, nach dem Presseangehörige u.a. das Zeugnis über die Person ihres Informanten im Strafverfahren verweigern dürfen, besteht nach unserer Rechtsordnung nur in besonderen Fällen nicht, nämlich wenn die Aussage zur Aufklärung eines Verbrechens beitragen soll oder wenn Gegenstand der Untersuchung beispielsweise eine Straftat des Friedensverrats und der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats etc. ist (vgl. im Einzelnen § 53 Abs. 2 StPO). In jedem Fall ist es geboten, Normen, aus denen sich eine Zeugnispflicht von Medienangehörigen ergeben kann, im Lichte der Gewährleistung der Presseund Rundfunkfreiheit verfassungskonform so auszulegen, dass die Medien jedenfalls in der Regel nicht gezwungen werden können, ihre Quellen zu offenbaren.21 Eine solchermaßen begrenzte Abwägung ermöglicht Absatz 3 von Art. 6 Gesetz CIV, wonach der Quellenschutz nicht gilt, wenn in besonders begründeten Fällen die Offenlegung der Quelle im Interesse der Öffentlichkeit liegt oder der Aufdeckung oder Verhinderung einer Straftat dient. Sie trägt damit der Pressefreiheit ausreichend Rechnung. Sowohl Absatz 1 als auch Absatz 2 von Art. 6 Gesetz CIV knüpfen für den Quellenschutz an die fragliche Information an, die weitergegeben wurde. Nach unserem Verständnis ist die Verbreitung jeder Information durch die Presse ge- 17 BVerfG 10, 118, 121. 18 BVerfG, NJW 1966, 1603, 1605 (Spiegel-Teilurteil). 19 BVerfG, std. Rspr., vgl. NJW 1966, 1603, 1605; NJW 2007, 1117, 1118 (Cicero). 20 Vgl. hierzu ausführlich Soehring. Presserecht. 4. Aufl. 2010. § 8. 21 Soehring. Presserecht. 4. Aufl. 2010. § 8 Rdn. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 008/11 Seite 11 schützt. Eine Einschränkung dieses Schutzes, wie es die Verpflichtung zur Preisgabe des Informanten bedeutet, bedarf der Rechtfertigung durch andere öffentliche Interessen, die mindestens ebenso gewichtig sind. Das Interesse an der Information ist dabei nicht zu gewichten. Das sollte auch für widerrechtliche erlangte Informationen gelten (vgl. Abs. 1). Art. 6 Abs. 1 und 2 Gesetz CIV wäre daher wohl mit unseren Anforderungen an die Pressefreiheit nicht vereinbar. 3.4. Registrierung auch für Mediendienstleister und Printmedien Gemäß Art. 5 Abs. 1 Gesetz CIV ) kann für Mediendienstleister und Printmedien eine offizielle Registrierung als Vorbedingung für die Aufnahme ihrer Tätigkeit vorgesehen werden. Die Registrierungsbedingungen dürfen die Pressefreiheit nicht beschränken (Art. 5 Abs. 1). Ausgeführt wurde diese Ermächtigung durch Artikel 41 ff Gesetz CLXXXV, der eine Registrierungspflicht für alle Medien vorsieht. An besondere Anforderungen dürfte eine Registrierung von Mediendienstleistern und Printmedien nach unserem Verständnis der Pressefreiheit nicht geknüpft werden. Nach unserem Verfassungsverständnis sollen sich private Presseunternehmen im gesellschaftlichen Raum frei bilden können.22 Das Gleiche gilt für die Telemedien. Telemedien und Printmedien werden im Gegensatz zum Rundfunk vom Grundsatz der (medienspezifischen) Anmelde- und Zulassungsfreiheit geprägt.23 3.5. Monopol der staatlichen Nachrichtenagentur MTI Die vier öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die bisher organisatorisch getrennt waren, werden mit der nationalen Nachrichtenagentur MTI unter dem Dach eines gemeinnützigen Fonds zusammengefasst. Dabei kommt der MIT die Aufgabe zu, für die öffentlich-rechtlichen Rundfunk - und Fernsehsender die informationelle Grundversorgung bereitzustellen. Daraus ergibt sich eine Monopolisierung der Nachrichtengebung und der Berichterstattung.24 4. Möglichkeiten der Europäischen Union Die Medienpolitik fällt weitgehend in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Printmedien, die von dem ungarischen Mediengesetz erfasst werden. Im Sekundärrecht der EU gibt es daher nur wenige Vorschriften, die die Kommission zum Gegenstand eines normalen Vertragsverletzungsverfahrens nach Artikel 226 EG-Vertrag machen könnte. Außer dem normalen Vertragsverletzungsverfahren gibt es jedoch die Möglichkeit der Sanktion nach Artikel 7 des Lissabon-Vertrages. 22 Petersen. Medienrecht. Ein Studienbuch. 5. Aufl. 2010. § 2 Rdn. 10. 23 So Dörr, in: Dörr/Kreile/Cole (Hrsg.), Handbuch Medienrecht. Recht der elektronischen Massenmedien. 2. Aufl. 2011, Rdn. 109. 24 So Reinhard Olt. Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 3 vom 05.01.2022 S. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 008/11 Seite 12 4.1. Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 226 EG-Vertrag Die Europäische Kommission ist die Hüterin der Verträge und wacht über die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts . Missachtet ein EU-Mitgliedstaat das Gemeinschaftsrecht, indem er eine EU- Richtlinie nicht in nationales Recht umsetzt, kann die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EG-Vertrag einleiten. Teil des Gemeinschaftsrechts ist auch die Charta der Grundrechte der EU, die in Art. 11 Abs. 1 die Meinungs- und Informationsfreiheit und in Abs. 2 die Pressfreiheit schützt.25 Sie bindet die Organe der EU und die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinien. Im Verhältnis zu Ungarn geht es um die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste von 2007,26die bis zum 19. 12.2009 in nationales Recht umzusetzen war. Im Hinblick auf die mögliche Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens hat die zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes die ungarische Regierung mit Aufforderungsschreiben vom 21. Januar 2011 auf die Regelungen des ungarischen Mediengesetzes hingewiesen, die ihrer Ansicht nach gegen die audiovisuelle Medienrichtlinie der EU verstoßen und um Stellungnahme gebeten. Gegenstand ihrer Kritik sind im Wesentlichen drei Punkte27: Der erste bezieht sich auf die Pflicht zur Ausgewogenheit der Berichterstattung. Entsprechende Vorschriften seien zwar für den Rundfunk üblich. In Ungarn würden sie jedoch auf alle audiovisuellen Medien ausgedehnt, also auch auf Blogs und On-Demand-Videodienste. Es gebe keine Einschränkungen hinsichtlich Größe, Marktanteil, angestrebtem Publikum oder Inhalt, was ein „unverhältnismäßiges Hindernis“ für die Betreiber von Mediendiensten darstellen könne. Das sehr unbestimmte Kriterium der „Ausgewogenheit“ könne ausländische Medienanbieter von einem Eintritt in den ungarischen Markt abhalten. Hierin sieht die Kommission nicht nur einen Verstoß gegen die Mediendienste-Richtlinie, sondern auch gegen die Dienstleistungsfreiheit nach dem EU-Vertrag und gegen das Recht auf Meinungsfreiheit aus Art. 11 der EU-Grundrechtecharta . Einen weiteren Mangel sieht die Kommission darin, dass das ungarische Mediengesetz auch zu Sanktionen gegen ausländische Medienanbieter ermächtigt, wenn diese gegen die Anforderungen des Gesetzes wie den Jugendschutz oder das Verbot der Aufforderung zum Hass verstoßen. Hierin könne eine Verstoß gegen das Herkunftslandprinzip zu erkennen sein, nach dem die Verbreitung von Medieninhalten aus einem anderen Mitgliedsland, wo sie schon auf den Jugendschutz und Hasspropaganda geprüft worden ist, nur nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt werden darf, was das ungarische Gesetz nicht vorsehe. Und schließlich kritisiert die Kommission, dass die Registrierungspflicht des ungarischen Mediengesetzes sich auf alle Medien, auch die Presse und Onlinemedien bezieht. Zwar sei die Registrierung von Fernsehanstalten auch in anderen Mitgliedstaaten üblich. Sie auch für Internet-Sei- 25 http://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf 26 http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2007:332:0027:0045:DE:PDF 27 http://www.pesterlloyd.net/2011_04/04eubriefBayer/EUKommission_Ungarn.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 008/11 Seite 13 ten, nicht-private Blogs und wirtschaftliche Analysen vorzuschreiben, könne als „ungerechtfertigtes Hindernis“ für den Aufbau von Medienangeboten in Ungarn oder aus anderen Mitgliedstaaten angesehen werden.28 4.2. Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 7 Lissabon-Vertrag Eine sehr viel gewichtigere Strafmöglichkeit eröffnet das Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 7 Lissabon-Vertrag.29 Es regelt Sanktionen, wie beispielsweise den Entzug von Stimmrechten, für den Fall, dass ein Mitgliedstaat der Europäischen Union gegen die Grundwerte der Union verstößt. Artikel 2 des EU-Vertrags, auf den Artikel 7 verweist, zählt als Grundwerte auf: die Achtung der Menschenwürde, die Prinzipen der Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte. In Artikel 6 EU-Vertrag erkennt die Union die Rechte, Freiheiten und Grundsätze an, wie sie in der dem Vertrag gleichgestellten Grundrechtecharta 30 festgeschrieben sind. Artikel 11 der Grundrechtecharta schützt in Absatz 1 die Meinungs- und Informationsfreiheit und gebietet in Absatz 2, die Freiheit der Medien und ihre Pluralität zu gewährleisten. Diesen Grundwerten haben sich die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet. Über den Weg des Vertragsverletzungsverfahrens nach Artikel 7 könnte die Kommission in die materielle Prüfung eintreten, ob die ungarischen Mediengesetze die Meinungsfreiheit und Pressefreiheit gewährleisten. Einer Verurteilung geht ein langwieriges Verfahren voraus. Ein Drittel der EU-Staaten, das Europaparlament (mit Zweidrittel-Mehrheit) oder die Kommission können beim Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs die Feststellung beantragen, dass eine „eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung“ der Grundwerte durch einen Mitgliedstaat besteht. Diese Feststellung ist mit Vierfünftel-Mehrheit vom Rat zu treffen, wobei das gemaßregelte Land nicht mitstimmen darf. Bevor die Feststellung getroffen wird, ist das Land zu hören. Der Rat kann dann Empfehlungen aussprechen (Art. 7 Abs. 1 EU-Vertrag). Reagiert das betroffene Land darauf nicht, kann der Rat feststellen, dass eine „schwerwiegende und anhaltende“ Verletzung der Grundwerte vorliegt. Diese Feststellung muss einstimmig getroffen werden (Art. 7 Abs. 2 EU-Vertrag). Wurde diese Feststellung getroffen, kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit Rechte des Landes aussetzen, auch dessen Stimmrechte (Art. 7 Abs. 3 EU-Vertrag). Für dieses Vertragsverletzungsverfahren gibt es bislang keinen Präzedenzfall. Im Europaparlament fordern zurzeit vor allem Sozialdemokraten, Liberale und Grüne Maßnahmen gegen Ungarn . Angesichts der erforderlichen Zweidrittelmehrheit ist ein förmliches Verfahren nach Artikel 7 EU-Vertrag allerdings gegen die konservative Mehrheit nicht durchsetzbar. 28 http://www.pesterlloyd.net/2011_04/04eubriefBayer/EUKommission_Ungarn.pdf . Zum Ganzen auch Frankfurter Allgemeine. EU droht Ungarn mit Verfahren. 24.01.2011 S. 6. 29 http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2010:083:0013:0046:DE:PDF. 30 http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2010:083:0389:0403:DE:PDF.