WD 10 - 3000 - 007/21 (09. Februar 2021) © 2021 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. 1. Zur Vergabe der Olympischen Spiele nach Peking Im Sommer 2001 hatte das Internationale Olympische Komitee (IOC) entschieden, die Olympischen Sommerspiele der XXIX. Olympiade im Jahr 2008 nach Peking zu vergeben. Sowohl vor als auch nach der Entscheidung stand aber auch die Frage der Menschenrechte in der Volksrepublik China für den IOC zur Diskussion. Wie einem Positionspapier des Deutschen Olympischen Sportbundes – DOSB (Olympische Spiele in Peking und Menschenrechte in China, Positionspapier des Deutschen Olympischen Sportbundes – 20071, zu entnehmen ist, habe der IOC seine Entscheidung für Peking mit der Hoffnung verbunden, dass sich die Menschenrechtssituation in China im Zuge der unmittelbaren Öffnung des Landes durch die Ausrichtung der Olympischen Spiele und angesichts des überwältigenden Interesses der Weltöffentlichkeit deutlich verbessern werde. Als Beleg hierfür zitiert der DOSB in dem oben genannten Papier einen der Vizepräsidenten des damaligen Bewerbungskomitees , Liu Jingmin, mit den Worten: „Indem Sie Peking gestatten die Spiele auszutragen, helfen Sie der Entwicklung der Menschenrechte.“ Diese positive Einstellung teilte auch der DOSB in dem oben genannten Positionspapier, in dem der DOSB darüber hinaus hervorhob, die chinesische Regierung habe zugesichert, dass es für die Journalisten/innen aus aller Welt, die über die Spiele, aber auch über deren Umfeld berichten wollten, keinerlei Einschränkungen geben werden. Seinen Worten zufolge gab es somit eine Zusage der chinesischen Regierung, ausländische Berichterstattung zu den Olympischen Spielen ohne Einschränkungen zuzulassen. Unter den Mitgliedern des IOC gab es zwei Lager: Das eine vertrat die Position, man solle eine Stadt nicht wählen, bevor sie nicht einen gewissen Standard bei Menschenrechten erreicht hat. Die andere glaubte, durch die Wahl zur Verbesserung der politischen Situation und der Menschenrechte erst beitragen zu können, indem die Weltöffentlichkeit an den Spielen in China teilnehmen 1 Positionspapier des Deutschen Olympischen Sportbundes – 20071, im Internet abrufbar unter: https://cdn.dosb.de/alter_Datenbestand/fm-dosb/downloads/dosb/Menschenrechte.pdf. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Erwägungen des Internationalen Olympischen Komitees zur Vergabe der Olympischen Sommerspiele 2008 nach Peking Kurzinformation Erwägungen des Internationalen Olympischen Komitees zur Vergabe der Olympischen Sommerspiele 2008 nach Peking Fachbereich WD 10 (Kultur, Medien und Sport) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 kann. Eine weitere Isolierung Chinas wurde von den Vertretern dieses Lagers als nicht hilfreich eingeschätzt. Inspektoren des IOC, die im Februar 2001 Peking besucht hatten, betonten auf Anfrage von Journalisten , dass sie während ihrer Inspektion in allen 5 Kandidatenstädten nur die organisatorische Fähigkeit zur Ausrichtung von Olympischen Spielen beurteilt hätten. Politische Fragen fänden in ihrem Bericht keine Berücksichtigung.2 Über die Austragung der Olympischen Spiele entschied das IOC. Peking hatte sich im zweiten Wahlgang mit 56 gegen 105 Stimmen gegenüber Mitbewerbern wie Istanbul, Osaka, Toronto und Paris durchgesetzt. Das IOC war zum damaligen Zeitpunkt bemüht, die Frage der Menschenrechte und der Demokratisierung Chinas beim Auswahlverfahren für die Olympischen Spiele 2008 nicht zu sehr in den Mittelpunkt zu rücken.3 Dies lag nicht zuletzt daran, dass Peking in dem damaligen IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch einen wichtigen Unterstützter im IOC hatte.4 Wie der Spiegel berichtete, wurde der Nachfolger von Samaranch, Jacques Rogge, auf einer Pressekonferenz , auf der er die Chinesen daran erinnert habe, „ihre moralischen Versprechen“, die sie im Zusammenhang der Vergabe der Olympischen Spiele gegeben hätten und die darin bestünden, dass die Austragung der Olympischen Spiele in China zu einer Verbesserung der Menschenrechtslage beitragen würden, einzuhalten, „umgehend von einer nachgeordneten chinesischen Funktionärin abgekanzelt: Das IOC solle sich aus Chinas ‚politischen Angelegenheiten heraushalten‘“, wird eine Sprecherin des Außenministeriums zitiert.5 2. Die Olympische Charta6 und die Menschenrechtsfrage Jens Weinreich erläutert in seiner Publikation „Die Olympischen Sommerspiele in Peking. Samaranch und Chinas Rückkehr zu Olympia“7, dass die Olympische Charta „kein Manifest des Hu- 2 Olympia 2008 und die Menschenrechte in China, vgl.: https://www.chinaseite.de/olympia-2008/china-olympia -menschenrechte.html. 3 Weinreich Jens, Die Frage der Menschenrechte in China durfte im Internationalen Olympischen Komitee schon 2001 bei der Vergabe der Spiele an Peking keine Rolle spielen. Die vage Aussicht, dass sich das Land ändern würde, erfüllte sich nicht, Der Spiegel, 27.05.2008t, im Internet abrufbar unter: https://www.spiegel.de/spiegel /spiegelspecial/d-57119193.html. 4 Vgl. z.B.: Entscheidung im Zweiten Wahlgang, Olympische Spiele 2008 in Peking, Handelsblatt 13.7.2001. 5 Weinreich, Jens, Das moralische Versprechen, Der Spiegel, 27.05.2008, im Internet abrufbar unter: OLYMPIA : Das moralische Versprechen - DER SPIEGEL 3/2008. 6 International Olympic Commitee, Olympic Charter 2007, in force as from 7. July 2007, im Internet abrufbar unter : https://stillmed.olympic.org/Documents/Olympic%20Charter/Olympic_Charter_through_time/2007-Olympic _Charter.pdf. 7 Weinreich Jens, Die Olympischen Sommerspiele in Peking. Samaranch und Chinas Rückkehr zu Olympia, Bundeszentrale für politische Bildung, 7.8.2008, im Internet abrufbar unter: bpb.de – Dossier China – Sport – Die Olympischen Sommerspiele in Peking. Kurzinformation Erwägungen des Internationalen Olympischen Komitees zur Vergabe der Olympischen Sommerspiele 2008 nach Peking Fachbereich WD 10 (Kultur, Medien und Sport) Wissenschaftliche Dienste Seite 3 manismus, keine Menschenrechtsresolution der Vereinten Nationen“ sei. Die Vokabel "Menschenrechte " tauche auf 105 Seiten nur ein einziges Mal auf, nämlich in der Erwähnung "Die Sportausübung ist ein Menschenrecht". Das IOC lehne es ab, als eine Art Weltregierung des Sports zu fungieren, obgleich es das problemlos könnte. Es wolle aber lediglich alle zwei Jahre – im Wechsel von Winter- und Sommerspielen – für jeweils 16 Tage die Regie übernehmen. Mehr nicht. In der Charta würden die Geschäftsbedingungen des Olympia-Konzerns festgeschrieben. Präzise betrachtet sei das IOC ein Franchise-Unternehmen. Es erlaube den Franchisenehmern, lokalen Organisationskomitees, die Nutzung seines Geschäftskonzepts. (…) Der Franchisegeber, das IOC, bleibe stets Rechteinhaber und bestimme den Lauf der Dinge. Die Rechte der Franchisenehmer seien begrenzt. Sie trügen das volle Risiko des olympischen Abenteuers. Was immer passiere: das IOC sei finanziell nicht in Regress zu nehmen. Die Finanzen dominierten in dieser Branche noch immer moralische Bedenken.8 3. China und die Medienfreiheit während der XXIX. Olympiade Wie oben bereits erwähnt, hatten die chinesischen Behörden für die Austragung der Olympischen Spiele die Freiheit der Medien zugesagt. Amnesty International kritisiert jedoch die nach wie vor bestehende allgemeine Einschränkung der freien Meinungsäußerung und Informationsfreiheit in China. Zwar seien seit Anfang 2007 Verordnungen in Kraft, die die Arbeit ausländischer Journalisten erleichterten, diese wären jedoch befristet erteilt worden und würden Ende 2008 auslaufen. Auch seien sie für ausländische Journalisten/innen erteilt worden. Für inländische Journalisten/innnen hätten sie keine Gültigkeit gehabt. Amnesty International beurteilt die Zensur im Internet in China als besonders streng. Kaum ein Land verfüge über ein so ausdifferenziertes System der Internetüberwachung wie China. Angeblich würden mehr als 30000 Polizisten das Internet rund um die Uhr überwachen. Darüber hinaus würden verschiedene Technologien zum Filtern von Inhalten sowie zum Blockieren von Internetseiten eingesetzt, die fast alle von ausländischen Unternehmen wie Yahoo, Google und Microsoft stammten. Wer aus Sicht der chinesischen Behörden das Internet missbrauche, um dort Informationen zu suchen oder seine Meinung zu verbreiten, dem drohe die Festnahme und im schlimmsten Fall eine langjährige Gefängnisstrafe.9 Für die Austragung und Organisation der Olympischen Spiele in Beijing war das Chinesische Olympische Komitee (Beijing Organizing Committee for the Olympic Games - BOCOG) zuständig. Dieses hatte einen „Service Guide for Foreign Media Coverage of the Beijing Olympic Games and the Preparatory Period“ für die XXIX Olympiade veröffentlicht10. Dieses Papier nimmt Bezug auf 8 Ebd. 9 Vgl.: https://www.amnesty.ch/de/ueber-amnesty/publikationen/magazin-amnesty/2007-4/china-olympischespiele . 10 BOCOG, Service Guide for Foreign Media Coverage of the Beijing Olympic Games, im Internet abrufbar unter: http://bb.china-embassy.org/eng/xwfw/P020070904068474220087.pdf. Kurzinformation Erwägungen des Internationalen Olympischen Komitees zur Vergabe der Olympischen Sommerspiele 2008 nach Peking Fachbereich WD 10 (Kultur, Medien und Sport) Wissenschaftliche Dienste Seite 4 besondere Freiheitsrechte, die während der Olympischen Spiele ausländischen Medienvertretern gewährt werden sollten. So heißt es in diesem Papier, das auf der Webseite des chinesichen Olympischen Komitees veröffentlicht wurde, dass diese Freiheitsrechte für die Dauer der Olympischen Spiele für ausländische Medienvertreter zur Anwendung kommen sollten. Auch die Befristung dieser Rechte ist hier festgeschrieben, nämlich für die Zeit vom 1. Januar 2007 bis 17. Oktober 2008. Zudem wird darauf verwiesen, dass das BOCOG unterstützt von den betroffenen Abteilungen der chinesischen Regierung sowie von Regierungsinstitutionen, diesen “Service Guide for Foreign Media Coverage of the Beijing Olympic Games and the Preparatory Period” sowie den “Service Guide for Hong Kong/Macao Media Coverage of the Beijing Olympic Games and the Preparatory Period” und den “Service Guide for Taiwan Media Coverage of the Beijing Olympic Games and the Preparatory Period” erstellt habe. In ihm würden grundlegende Informationen, Durchführungsbestimmungen und Maßnahmen für die verschiedensten Bereiche aufgefüht. Zu diesen Bereichen gehörten beispielsweise der Zugang, die Unterbringung, Transport, Kommunikation, Versicherung und andere Bereiche. Unterstrichen wird auch, dass mit diesem Papier nicht nur die ausländischen Medien unterstützt werden sollen, sondern auch gezeigt werden sollte, dass die chinesische Regierung auf all ihren Ebenen dazu beitragen wolle, dass ausländische Medienvertreter auch das Land China besser verstehen können. Von Menschrechtsorganisationen wird nun in diesem Zusammenhang kritisiert, dass China diese Medienfreiheit nur in Bezug auf die Olympischen Spiele gewähren wollte und die Berichterstattung zu anderen Gegenständen im gleichen Zeitraum untersagte.11 Die chinesische Regierung hatte zwar im März 2004 eine Verfassung verabschiedet, in der es hieß, dass der Staat die Menschenrechte respektiere und beschütze. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty Internaional berichten jedoch von Verstößen in den Bereichen Todesstrafe, Machtmißbrauch, Haftbedingungen oder Zensur im Internet.12 Das chinesische Olympische Komitee verstand sich aber in erster Linie als Anlaufstelle für Sportler und Journalisten aus aller Welt, um in der Zeit der Austragung der olympischen Spiele die administrativen Bedingungen zu schaffen, um über die Spiele berichten zu können. Bei einer gemeinsamen öffentlichen Anhörung des Ausschusse für Menschenrechte und humanitäre Hilfe sowie des Sportausschusses im Deutschen Bundestag13 schilderte DOSB-Präsident Thomas Bach aus Sicht des Sports die Fortschritte, die sich aus den Verpflichtungen Chinas und 11 Vgl.: China – Media Freedom under Assault Ahead of 2008 Olympics, im Internet abrufbar unter: https://www.hrw.org/news/2007/05/31/china-media-freedom-under-assault-ahead-2008-olympics, siehe auch: Zhang, Xiaomeng, Guide on researching Chinese Mass Media Law, im Internet aufbrufbar unter: https://www.nyulawglobal.org/globalex/China_Mass_Media_Law1.html. 12 People’s republic of China. The Olympic countdown. Broken promises, im Internet abrufbar unter :https://www.humanrights.ch/cms/upload/pdf/110503_broken_count_down_AI.pdf. 13 Deutscher Bundestag, Öffentliche Anhörung am 24.01.2008, Protokoll 16/45. Kurzinformation Erwägungen des Internationalen Olympischen Komitees zur Vergabe der Olympischen Sommerspiele 2008 nach Peking Fachbereich WD 10 (Kultur, Medien und Sport) Wissenschaftliche Dienste Seite 5 der Stadt Peking als Ausrichter der Spiele ergeben hätten. Das Organisationskomitee der Spiele habe sich in einem Vertrag mit dem IOC zur Einhaltung von bestimmten Regeln verpflichtet. Danach würden alleine rund 20.000 internationale Journalisten im Vorfeld und während der Spiele ohne Einschränkung der Meinungs- oder Bewegungsfreiheit berichten können. Die wissenschaftlichen Sachverständigen verwiesen in dieser Anhörung insbesondere auf die längerfristigen Entwicklungszyklen. Der Strafrechtler Prof. Hans-Jörg Albrecht führte zum Rechtssystem in China aus und diagnostizierte Fortschritte bei der Todesstrafe, die allesamt vom obersten Gericht überprüft werden müssten und eine Halbierung der Exekutionen zur Folge hätten aber auch Fortschritten bei der Heranbildung einer unabhängigen Anwaltschaft. Eine kritische Position vertrat Dirk Pleiter von amnesty international, der auf die Tatsache verwies , dass sich Menschenrechtsorganisationen bei China seit Jahrzehnten mit den gleichen Fragen befassten. Er bezweifelte, dass die Austragung der Olympischen Spiele zwangsläufig zu einer Öffnung des Ausrichterlandes beitrage. „Wir sehen hier keinen Automatismus. Daher mahnen wir zur Vorsicht und warnen vor einseitigen Analysen“, erklärte Pleiter. Allerdings kündigte er an, dass auch amnesty international, um nicht als Spielverderber aufzutreten, auf einen Boykottaufruf verzichte.14 Der seit zehn Jahren in China tätige Journalist Georg Blume dagegen sah eine eher positive Entwicklung . Das Geschehen sei grundsätzlich positiv. Chinesen hätten heute Zugang zu Informationen , insbesondere über das Internet, die Sie vor zehn Jahren nicht gehabt hätten. Sportwissenschaftler Prof. Helmut Digel verwies ebenfalls auf die Dimension der Kommunikation . China befinde sich in einem zivilisatorischen Prozess. Sport sei international und werde zur Internationalisierung des Landes beitragen, so der Sachverständige. Die Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte, Frau Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD) bemerkte abschließend: „Wir sollten aber auch die Fähigkeiten und die Möglichkeiten der Chinesinnen und Chinesen , ihre Rechte selber durchzusetzen und zu stärken, im Auge halten.“ 15 Die nächsten Olympischen Winterspiele werden vom 04. bis zum 20. Februar 2022 in der chinesischen Hauptstadt Peking ausgetragen. Für die Austragung dieser Spiele gibt es „Recommendations for an IOC Human Rights Strategy“.16 *** 14 Sportausschuss, 45. Sitzng, 24.01.2008, S. 24. 15 Ebd. Sportausschuss, 45. Sitzng, 24.01.2008, S. 49. 16 Prince Zeid Ra’ad Al Hussein und Rachel Davis, Independent Expert Report, Recommendations for an IOC Human Rights Strategy, March 2020, im Internet abrufbar unter: https://stillmedab.olympic.org/media /Document%20Library/OlympicOrg/News/2020/12/Independent_Expert_Report_IOC_HumanRights.pdf.