Deutscher Bundestag Von der Politik- zur Demokratieverdrossenheit? Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2009 Deutscher Bundestag WD 1 – 470/09 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 470/09 Seite 2 Von der Politik- zur Demokratieverdrossenheit? Verfasser/in: Ausarbeitung: WD 1 - 470/09 Abschluss der Arbeit: 30.12.2009 Fachbereich: WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 470/09 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Begrifflichkeiten 5 3. Gründe für Politikverdrossenheit 5 4. Indikatoren für „Politikverdrossenheit“ 8 4.1. Wahlbeteiligung 9 4.2. Mitgliederentwicklung der Parteien 10 5. Das öffentliche Ansehen der Politiker 11 6. Die Erwartungshaltung der Bevölkerung gegenüber Politikern 12 7. Literatur und Quellen 13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 470/09 Seite 4 1. Einleitung Die Ergebnisse der Bundestagswahl 2009, Schlusspunkt eines von großen Teilen der Bevölkerung eher distanziert wahrgenommenen Wahlkampfes, sind in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert.1 Erstens ist wie am Ende der ersten großen Koalition 1969 eine der beiden vormaligen Regierungsparteien bzw. -fraktionen weiterhin an der Regierung beteiligt. Auf die Regierungskoalition, die von SPD und CDU/CSU gebildet wurde, folgt nun eine Regierung, die von den Parteien der CDU/CSU und der FDP gestellt wird. Zweitens ist bemerkenswert, dass unter den fünf im 17. Deutschen Bundestag vertretenen Parteien die beiden großen an Stimmen verloren haben, hingegen die kleineren Parteien – FDP, Bündnis 90/Die Grünen sowie Die Linke – deutlich gestärkt vertreten sind. Besonders bemerkenswert ist schließlich drittens, dass sich an dieser Bundestagswahl fast 30 Prozent der Wahlberechtigten NICHT beteiligten. Aus der Tatsache, dass sich ein Drittel der wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik der Möglichkeit einer Mitarbeit an der Demokratie durch den Gang zur Wahlurne verschließt, schlussfolgert die Journalistin Tissy Bruns, die politischen Repräsentanten würden inzwischen in einer Sphäre agieren, die vom gesellschaftlichen Leben abgekoppelt sei. Dass fünf Parteien im Bundestag vertreten seien , bedeute zwar eine Erhöhung der Wahloptionen für den einzelnen Bürger, dieser würde aber eher gesunkene Erwartungen hegen, inwieweit seine Anliegen durch die Parteien vertreten würden . Daraus resultiere eine schwindende Partizipation der Bürger am politischen Geschehen; die Bürger seien „politikverdrossen“. Mit „Politikverdrossenheit“ wird die zunehmende Distanz und negative Einstellung von Bürgern gegenüber der etablierten Politik sowie das Misstrauen gegenüber der Problemlösungskompetenz von politischen Parteien und Politikern umschrieben. Die seit fast zwei Jahrzehnten andauernde Vertrauenskrise in „die Politik“ in der Bundesrepublik könnte sich nach Meinung einiger Beobachter – insbesondere im Zusammenspiel mit einer möglichen sozial- und ökonomisch sehr kritischen Situation des Gesamtstaates – längerfristig zu einer Gefahr für das demokratische Gemeinwesen entwickeln. Noch ist die Unzufriedenheit mit Politikern und Parteien nicht zu einer allgemeinen Vertrauenskrise der Demokratie und ihrer Institutionen angewachsen, denn die Grundidee der Demokratie erhält in der Bevölkerung regelmäßig eine breite Zustimmung. Verdrossenheit an Politik, Politikern und Parteien ist kein spezifisch deutsches Phänomenen, sondern eine internationale Erscheinung, die in unterschiedlicher Intensität in allen westlichen Industriestaaten verbreitet ist. Allerdings besitzt die Politik-, Politiker - und Parteienverdrossenheit in Deutschland im Vergleich zu anderen westlichen Demokratien eine lange und tief verwurzte historische Tradition in der politischen Kultur.2 1 Vgl. Bruns, Tyssy (2009): Mehr Optionen, gesunkene Erwartungen. Essay, in: APuZ, 51/2009 (14.12.2009), S. 3-5. 2 Vgl. Arzheimer, Kai (2002): Politikverdrossenheit. Bedeutung, Verwendung und empirische Relevanz eines politikwissenschaftlichen Begriffs, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 16/17; Friedrich-Schiller- Universität Jena (2004): Wissenschaftler der Universität Jena veröffentlicht politikdidaktisches Lehrbuch. Pressemitteilung vom 16.01.2004; Kleinert, Hubert (2007): Abstieg der Parteiendemokratie, in: APuZ, 35- 36/2007, S.3-11, hier S. 7; Gaiser, Wolfgang/Gille, Martina/Krüger, Winfried/de Rijke, Johann (2000): Politikverdrossenheit in Ost und West? Einstellungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen; in: APuZ, 19-20/2000, hier S. 12f, 20. (http://www.bpb.de/publikationen/R6LTDN,0,Politikverdrossenheit_in_Ost_und_West.html); Lösche, Peter (2002): Parteienverdrossenheit, in: Nohlen, Dieter (Hrsg.): Kleines Lexikon der Politik, München, S.360f; Watzal, Ludwig (2007): Editorial (Parteiendemokratie), in: APuZ, Parteiendemokratie, Nr. 35/36, Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 470/09 Seite 5 Aus welchen möglichen Gründen die „Politikverdrossenheit“ resultieren kann und ob aus Politik - auf Demokratieverdrossenheit der Bürger geschlussfolgert werden kann, wird im Folgenden näher untersucht. Eingangs werden die Begrifflichkeiten geklärt. Neben den Gründen für Politikverdrossenheit werden die Beteiligung bei Wahlen und die Mitgliederentwicklung der großen Volksparteien als mögliche Indikatoren für Politikverdrossenheit näher in den Blick genommen. Schließlich wird gefragt, welches Ansehen Politikern in der Gesellschaft entgegengebracht wird und mit welcher Erwartungshaltung sie von Seiten der Bürger konfrontiert werden. 2. Begrifflichkeiten Als „Politikverdrossenheit“ gilt laut Duden die „durch politische Skandale, zweifelhafte Vorkommnisse o. Ä. hervorgerufene Verdrossenheit gegenüber Politik“ .3 In Deutschland findet „Politikverdrossenheit “ synonyme Verwendung mit Begrifflichkeiten wie „Politiker“- oder „Parteinverdrossenheit “.4 1992 wurde „Politikverdrossenheit“ vor dem Hintergrund einer anhaltenden öffentlichen Diskussion über die Rolle von Parteien und (Partei-)Politikern in Deutschland zum Wort des Jahres gekürt. An der Debatte hatte sich auch der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker mit kritischen Worten zur Rolle der politischen Parteien im parlamentarischen System der Bundesrepublik geäußert.5 Allerdings existiert der Verdruss über Politiker und Parteien mindestens so lange wie die Bundesrepublik besteht.6 Inzwischen, so der Journalist Wolfgang Herles, sei aus der in Deutschland herrschenden Politikverdrossenheit eine Demokratieverdrossenheit geworden.7 3. Gründe für Politikverdrossenheit Der Grad der Zufriedenheit bzw. der Unzufriedenheit der Bürger mit der Politik wird in der Regel mit Hilfe empirischer Untersuchungen erfasst. Gleichwohl lässt sich mit den Mitteln der Demoskopie nur bedingt eine genaue Analyse der Gründe für die – monokausal nicht erklärbare – Politik - und Parteienverdrossenheit durchführen.8 Diejenigen Bürger, die sich als politikverdrossen betrachten, vertreten noch nicht die Mehrheitsmeinung in der Gesellschaft der Bundesrepublik. Allerdings wird Kritik am politischen System und dessen Repräsentanten geäußert, die, folgt man den Ergebnissen von Meinungsumfragen, mehrheitlich in der Bevölkerung auf breite Zustimmung stößt. Aus Sicht der politikwissenschaftlichen Forschung misstrauen Politikverdrossene insbesondere den zentralen, d. h. insbesondere den etablierten Akteuren der Politik sowie den großen politischen Parteien und deren Parteipolitikern. Politikverdrossene würden an der Leitungsfähigkeit der Politik zweifeln, wären mit den Ergebnissen politischer Entscheidungen nicht einverstanden und würden Politik persönlich häufig als ungerecht empfinden, weshalb letztlich Strukturen des politischen Systems auf Kritik stießen. Das Ansehen der Parteien – hier werden in erster Linie die beiden großen Volksparteien SPD und CDU genannt – und das Vertrauen in die S.2; Huth, Iris (2004): Politische Verdrossenheit. Erscheinungsformen und Ursachen als Herausforderungen für das politische System und die politische Kultur der Bundesrepublik Deutschland im 21. Jahrhundert, Münster: Lit (= Politik und Partizipation, Bd. 3, hier S. 14f, 31. 3 Vgl. http://lexika.tanto.de (Politikverdrossenheit). 4 Vgl. Arzheimer (2002), S. 16; Huth (2004), S. 9. 5 Vgl. Arzheimer (2002), S. 17f; Huth (2004), S. 9. 6 Vgl. Huth (2004), S. 15. 7 Wolfgang Herles: Dann wählt mal schön. Wie wir unsere Demokratie ruinieren, München: Piper 2005, S. 10f. 8 Vgl. Gaiser, u.a. (2000). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 470/09 Seite 6 Glaubwürdigkeit der Politik seien demnach bei Personen, die sich als politikverdrossen betrachten – stark gesunken.9 Politikverdrossene Bürger werfen den Akteuren des politischen Systems – wie zum Beispiel eine bundesweite Repräsentativerhebung des Meinungsforschungsinstituts Dimap aus dem Jahr 2006 zum Thema „Das Verhältnis der Bürger zu Staat und Politik. Politikverdrossenheit in Deutschland “ im Auftrag der „Initiative Pro Dialog“ ergab – unter anderem vor, sie dächten nur an sich und die eigene Karriere, seien selbstbezogen, handelten nur im eigenen Interesse bzw. im Interesse der eigenen Partei und seien ausschließlich auf den nächsten Wahltermin und die damit verbundenen Hoffnung auf eine Wiederwahl fixiert. Zwar wird Politikern in der besagten Repräsentativerhebung – wie auch in anderen Umfragen – neben Ehrgeiz und Durchsetzungsvermögen auch Sachkunde sowie Sympathie von den Bürgern zuerkannt. Nur eine Minderheit der Befragten aber attestiert den Politikern Vertrauenswürdigkeit, politischen Weitblick, Glaubwürdigkeit, Bürgernähe und Ehrlichkeit.10 Echte und vermeintliche Skandale, Affären und Verfehlungen einzelner Politiker oder Parteien werden gerade durch politikverdrossene Bürger nicht als Ausnahmeerscheinung , sondern häufig als Normalität des politischen Systems eingestuft.11 Politikverdrossene Bürger zweifeln zudem an der Handlungs- und Leistungsfähigkeit der Politik in Deutschland. Insbesondere die in den ersten Jahren nach der Deutschen Einheit aufgetretenen Probleme wie der starke Anstieg der Arbeitslosigkeit, die deutliche Zunahme der öffentlichen Verschuldung sowie die Herausforderungen, die aus dem Prozess des Zusammenwachsens von West- und Ostdeutschland erwuchsen, ließen offenbar bei einem immer größer werdenden Anteil der Bevölkerung die Verdrossenheit gegenüber der Politik anwachsen. In Zusammenhang mit den seit Mitte der 1990er Jahre geführten Debatten um die Folgen der Globalisierung, die Krise des Wirtschaftstandortes Deutschland und die Zukunftsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme bezweifeln zunehmend mehr Bürgern, ob Politik, wie sie von Politikerinnen und Politikern vertreten wird, handlungs- und gestaltungsfähig bleibt.12 Weil sich aus Sicht der Bürger die Situation des Landes über Jahre hinweg nicht grundlegend zum Positiven zu verändern scheine, nehmen auch die Zweifel an der Problemlösungskompetenz der Politik insgesamt zu. Hiervon sind insbesondere die großen Volksparteien und ihre politi- 9 Vgl. Kister, Kurt (2006). Mir doch egal, in: Süddeutsche Zeitung vom 04.11.2006; Gaiser u. a. (2002), S. 12; Arzheimer (2002), S. 17; vgl. Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.): Vertrauen in Deutschland. Eine qualitative Wertestudie. Zusammenfassung der Ergebnisse, 27.12.2009 (http://www.bertelsmannstiftung .de/cps/rde/xbcr/SID-C5490428-995B030A/bst/xcms_bst_dms_30530_30531_2.pdf) 10 Vgl. Initiative Pro Dialog (2006). Das Verhältnis der Bürger zu Staat und Politik. Politikverdrossenheit in Deutschland (Ergebnisse einer bundesweiten Repräsentativerhebung des Meinungsforschungsinstituts Dimap), Pressegespräch vom 14.12.2006, Online-Ausgabe: http://www.prodialog.org/content/dialogwissen?PHPSESSID=qf198rttg85pe3vkb6mcdn4bk3 [Stand: 21.12.2009]; Gaiser u.a. (2000), S. 12; Kleinert (2007), S. 3. 11 Schulze, Verena (2007): Parteienverdrossenheit, in: Bundeszentrale für politische Bildung in Zusammenarbeit mit dem Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster (Hrsg.). Dossier Parteien http://www.bpb.de/themen/799E4S,0,0,Parteienverdrossenheit.html [Stand: 21.12.2009], Arzheimer (2002), S. 17. 12 Vgl. Kleinert (2007), S. 7; Huth (2004), S. 12f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 470/09 Seite 7 schen Vertreter betroffen.13 Der Anteil derjenigen Bürger, die überhaupt keiner Partei die Lösung der wichtigsten Probleme in Deutschland zutrauen, nimmt seit Jahren stetig zu.14 Allerdings wächst das Vertrauen der Bürger in die Kompetenz der Politik anlässlich von Regierungswechseln auf Bundesebene sowie in Zeiten konjunktureller Erholungsphasen jeweils an.15 Durch den föderalen Staatsaufbau der Bundesrepublik und die Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sind viele Bürger offenbar nicht in der Lage, politische Entscheidungen und ihre Ergebnisse der jeweiligen staatlichen Handlungsebene korrekt zuzuordnen. Möglicherweise kann hier die jüngst vorgenommene Änderung von politischen Zuständigkeitsbereichen zwischen Bund und Ländern im Rahmen der Föderalismuskommission I diese Situation mittel- und längerfristig ändern helfen.16 Eine zunehmende Anzahl von Bürgern hat laut Meinungsumfragen zudem das Gefühl, dass die etablierte Politik ihre Interessen überhaupt nicht oder nicht ausreichend vertreten und berücksichtigen würde. Gleichzeitig wird der Zustand der Gesellschaft in Deutschland von einer Mehrheit der Menschen als „ungerecht“ empfunden,17 und dies bereits vor den im Jahr 2003 eingeleiteten umfassenden wirtschaftlichen und sozialen Reformmaßnahmen im Zuge der so genannten Agenda 2010 der Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder, die vielfach als für die empfundene Ungerechtigkeit verantwortlich darzustellen gesucht werden. Viele Bürger betrachten sich als politikverdrossen, weil sie ihre Möglichkeiten demokratischer Einflussnahme auf die Entscheidungsprozesse im repräsentativen System der Bundesrepublik als unzureichend empfinden. So glauben offenbar zunehmend weniger Deutsche daran, durch ihre Wahlentscheidung die politische Entscheidungsfindung tatsächlich beeinflussen zu können. Diese Kritik bezieht sich auch auf die ausschließliche Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten durch die politischen Parteien.18 Die zunehmende Distanz der Bürger zur Politik und die daraus möglicherweise resultierende Abwendung von politischen Beteiligungsformen korrelieren mit einem abnehmenden Interesse an Politik. Einige Beobachter wenden dabei ein, dass das Interesse an der Politik durch die Verdrossenheit über die Politik abnehmen würde. Trotz der öffentlichen Diskussionen der vergangenen Jahre über die Chancen, die dem Einzelnen in der Bürger- und Zivilgesellschaft offen stehen, sowie ungeachtet der Forderungen nach mehr Partizipationsmöglichkeiten für die Bürger, rangiert offensichtlich bei der überwiegenden Mehrheit der Bürger – und überproportional bei den unter 30-Jährigen – die Politik in der Wichtigkeitsskala deutlich hinter anderen Lebensbereichen wie der privaten Lebensführung sowie Ausbildung und Beruf. Allerdings existiert trotz aller Distanz in der Bevölkerung ein Bewusstsein dafür, dass die Rahmenbedingungen für die eigenen Lebensbedingungen durch die Politik grundsätzlich mit beeinflusst werden. Der weitere Erfolg 13 Kister (2006). 14 Lösche (2002), S. 360f. 15 Kleinert (2007), S. 3ff. 16 Vgl. Schulze (2007). 17 Gaiser u. a. (2000), S. 19; Kister (2006). 18 Friedrich-Schiller-Universität Jena (2004); Gaiser u. a. (2000), S. 12; Watzal (2007), S. 2; vgl. hierzu insbesondere Hans Herbert von Arnim: Volksparteien ohne Volk. Das Versagen der Politik, München: Bertelsmann 2009. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 470/09 Seite 8 des parlamentarischen Systems der Bundesrepublik wird auch davon abhängen, dass sich die Bürger in das demokratischen Gemeinwesen einbringen. Wenn allerdings zum Beispiel bei Wahlen politische Programme von Parteien und die zur Wahl stehenden Kandidaten sowie deren Positionen offensichtlich einer zunehmenden Anzahl von Bürger nicht bekannt sind oder sogar nicht einmal mehr auf ihr Interesse stoßen – wobei letzteres wesentlich eine Ursache des ersteren sein dürfte –, stehen zukünftig nicht nur die sich zur Wahl stellenden politischen Parteien und ihre Kandidaten, sondern die gesamte Demokratie vor großen Herausforderungen.19 Der feststellbare Trend der zunehmenden Verdrossenheit der Bürger gegenüber den politisch Verantwortlichen wird nach Ansicht von Wissenschaftlern auch durch die veränderte mediale Darstellung von Politik befördert. Das Bild von der Politik und von Politikern, welches sich den Bürgern über den medialen Zugriff eröffnet, wird immer stärker insbesondere vom Fernsehen geprägt. Dessen zum Teil veränderte Berichterstattung im Rahmen neuer Sendeformate – wie zum Beispiel politische Talkshows – führe auch zu einer Boulevardisierung der Politik, d. h. zur Übermittlung politischer Inhalte und Zielsetzungen in unterhaltsamer, manchmal sogar primitiver Form, die nur durch die radikale Reduzierung von Komplexität erreichbar ist.20 4. Indikatoren für „Politikverdrossenheit“ Die wissenschaftliche Forschung macht Politikverdrossenheit und ihre möglichen Folgen unter anderem an der politischen Grundstimmung in der (Wahl-)Bevölkerung gegenüber Parteien und Politikern, an bestimmten Entwicklungen bei Wahlen – wie zum Beispiel an der Wahlbeteiligung der Wahlberechtigten, dem Grad der Wahlenthaltung oder dem Abschneiden von Kleinst- und Protestparteien – sowie der Mitgliederentwicklung der Parteien fest, da sich politischer Verdruss in den meisten Fällen als Entzug politischer Unterstützung äußert.21 Seit den 1990er Jahren besteht in der Bundesrepublik in Bezug auf das öffentliche Ansehen von Parteien und Politikern in der Bevölkerung laut demoskopischer Untersuchungen ein historischer Tiefstand. Sowohl beim Wechsel zur rot-grünen Koalition 1998 als auch beim Amtsantritt der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD 2005 wurde jedoch der verhaltene Optimismus der ersten Wochen und Monate in der Wahlbevölkerung schon bald wieder von einer kritischen Grundstimmung abgelöst, so dass bei Teilen der wahlberechtigten Bevölkerung offenbar ein tiefes Misstrauen gegenüber der Politik besteht.22 Als Zeichen von Politikverdrossenheit wird auch gewertet, dass sich seit den 1990er Jahren die Identifikation der Bürger mit einer bestimmten Partei verringert und der Anteil der Stammwähler abnimmt. Hingegen steigt der Anteil der Wechselwähler. Die Focussierung des Parteiensystems auf die beiden großen Volksparteien – und deren Dominanz –, in deren Schatten die kleineren Parteien eher beiläufig wahrgenommen werden, geht zunehmend zurück. Allerdings trägt zu dieser Entwicklung nicht alleine die Politikverdrossenheit bei, sondern auch andere Faktoren wie zum Beispiel die Erosion bisheriger so genannter sozialmoralischer Milieus in der Wahlbevölke- 19 Vgl.Gaiser u. a. (2000), S. 12f. ; Watzal (2007), S. 2. 20 Vgl. Kleinert (2007), S. 7. 21 Vgl. Huth (2004), S. 11. 22 Vgl. Kleinert (2007), S. 3, 7f.; Arzheimer (2002), S. 16f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 470/09 Seite 9 rung.23 Als bisherige Höhepunkte dieses zuletzt genannten Trends können die Ergebnisse der letzten Landtags- und der Bundestagswahl 2009 angesehen werden.24 Parallel dazu nehmen seit einigen Jahren bei Wahlen die Stimmen kleinerer Parteien – jenseits des etablierten Parteiensystems – zu. Freilich gelang ihnen bisher nur in seltenen Fällen der Einzug in die Parlamente. Die zunehmenden Wahlerfolge von bisherigen Kleinstparteien werden ebenso wie die Wahl von Protestparteien am linken oder am rechten Rand des Parteienspektrums auf eine bewusste Wahlentscheidung zurückgeführt, die sich auch aus der Unzufriedenheit und der Verdrossenheit gegenüber den etablierten Parteien und Politikern sowie der von ihnen vertretenen Politik speist.25 4.1. Wahlbeteiligung In der Bundesrepublik Deutschland besteht keine gesetzliche Wahlpflicht, weshalb aus der Wahlbeteiligung der Bürger auf deren politisches Engagement geschlussfolgert wird. Offenbar aus grundsätzlicher Unzufriedenheit mit der politischen, sozialen und ökonomischen Situation, aber auch mit der eigenen persönlichen Situation, nehmen zunehmend mehr Wahlberechtigte anlässlich von Kommunal-, Landtags-, Bundestags- und Europawahlen nicht mehr ihr Bürgerrecht des Wählens wahr.26 So blieben seit 1990 anlässlich der Bundestagswahlen durchschnittlich über 22 % der Wahlberechtigten den Wahlurnen fern. Bei den vier Europawahlen seit 1990 enthielten sich sogar durchschnittlich fast 48 % der Bürger ihrer Stimme. Erstmals seit 1949 lag bei bundesweiten Abstimmungen die Wahlbeteiligung in den Jahren 1999, 2004 und 2009 unter der 50-%-Grenze. Bei den Landtagswahlen der vergangenen vier Jahre blieb die Wahlbeteiligung bis auf eine Ausnahme – Schleswig-Holstein – unter der 70-%-Grenze, davon bei zehn Landtagswahlen sogar unter der 60-%-Grenze. Mit einer Wahlbeteiligung von 44,4 % bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Jahr 2006 war erstmals überhaupt bei Landtagswahlen in der Bundesrepublik die Zahl der Nichtwähler größer als die der Wähler. Die Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl 2006 in Baden-Württemberg war mit 53,4 % die niedrigste, die in den alten Ländern bei Landtagswahlen bisher gemessen wurde.27 Bei der Bundestagswahl am 27. September 2009 waren 62,1 Millionen (62.168.489) Bundesbürger wahlberechtigt. Die Wahlbeteiligung betrug 70,8 Prozent, d. h. 6,9 Prozentpunkte weniger als bei der Bundestagswahl 2005.28 Damit ist der Trend sinkender Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen ungebrochen. 23 Vgl. Schulze (2007); Lösche (2002), S. 360f. 24 Vgl. deren Ergebnisse auf Election.de. 25 Vgl. Schulze (2007); Lösche (2002), S. 360f. 26 Vgl. Arzheimer (2002), S. 16f; Gaiser u. a. (2000), S. 13. 27 Vgl. Election.de 28 Vgl. http://www.bundeswahlleiter.de/de/bundestagswahlen/BTW_BUND_09/ergebnisse/bundesergebnisse/ind ex.html [Stand 22.12.2009]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 470/09 Seite 10 Tab.: Wahlberechtigte und Wahlbeteiligungen bei den Bundestagswahlen29 Wahl Wahlberechtigte in 1000 Wahlbeteiligung in Prozent 1990 60437 77,8 1994 60452 79,0 1998 60763 82,2 2002 61433 79,1 2005 61871 77,7 2009 62168 70,8 Am 27. September 2009 blieben demzufolge drei von zehn Bundesbürgern den Wahlurnen fern. Die Nichtteilnahme an den Wahlen bedeutet jedoch nicht, dass sich die Bürger nicht mit den politischen Zielen der Parteien auseinander gesetzt hätten. So bekundete die Hälfte derer, die nicht zur Wahl gingen, sie hätten sich im Vorfeld mit den Zielen der Parteien beschäftigt.30 48 Prozent der Befragten waren sich von vornherein jedoch darüber im Klaren, dass sie nicht zur Bundestagswahl 2009 gehen würden, darunter „überdurchschnittlich viele Wahlberechtigte mit einfachem Bildungs- und Berufsstatus“.31 Unter den Gründen, die als ausschlaggebend für eine Nichtbeteiligung an der Wahl genannt wurden , spielt der Eindruck, „dass die heutigen Politiker Wählerinteressen im politischen Alltag zu wenig repräsentieren“ mit 64 Prozent jedoch eine herausragende Rolle. Über die Hälfte der Nichtwähler sehen in den Parteien nicht mehr die Repräsentanten und Vertreter ihrer persönlichen Interessen. 4.2. Mitgliederentwicklung der Parteien In der seit Jahren sinkenden Anzahl der Mitglieder insbesondere der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien – derzeit sind ca. über 1,4 Millionen Menschen Mitglied bei CDU, CSU, SPD, FDP, Die Linke oder Bündnis 90/Die Grünen – wird eine weitere Erscheinung der Politikverdrossenheit gesehen. Alle Parteien haben seit 1990 in unterschiedlicher Intensität eine Verringerung der Mitgliederzahlen zu verzeichnen. So ist der Organisationsgrad – der Mitglieder- Wähler-Quotient – in Deutschland auf unter vier Prozent gesunken, das heißt, in Deutschland sind weniger als vier Prozent der Wähler gleichzeitig Parteimitglieder.32 Insbesondere die beiden Volksparteien SPD und CDU, die mit Abstand die meisten Parteimitglieder in Deutschland in ihren Reihen vereinigen, verzeichnen seit annähernd zwei Jahrzehnten einen starken Mitgliederschwund. So verlor die SPD – die derzeit ca. 513.340 Mitglieder hat33 – seit der Deutschen Einheit rund 40 % ihrer Mitglieder. So verlor die Partei allein auf Bundesebene zwischen 1998 und 2005 25 Prozent ihrer Mitglieder. Bei der CDU – die momentan ca. 533.000 Mitglieder hat – reduzierte sich die Zahl der Mitglieder seit der Deutschen Einheit um 29 Vgl. Datenreport 2008. Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland, hrsg. vom Statistischen Bundesamt, Bonn bpb 2008, S. 383. 30 Vgl. ARD-Deutschland Trend Oktober 2009. Eine Umfrage zur politischen Stimmung im Auftrag der ARD-Tagesthemen und sechs Tageszeitungen, S. 15. (http://www.infratestdimap .de/uploads/media/dt0910_bericht_01.pdf) [Stand 22.12.2009]. 31 Ebd. 32 Vgl. Lösche (2002) S. 360f; Hildebrandt, Tina (2006): Wir sind dann schon mal weg, in: Die ZEIT; Nr. 30, S.7, Online-Version: http://www.zeit.de/2006/30/Buergertum [Stand: 22.12.2009]; Arzheimer (2002), S. 17. 33 Vgl. http://www.spd.de/de/pdf/mitglieder/091130_Miitgliederbestand.pdf [22.12.2009]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 470/09 Seite 11 25%. Insbesondere der Anteil der jüngeren Parteimitglieder an der Gesamtmitgliedschaft ist absolut wie auch relativ stark zurückgegangen, so dass die Parteien auch eine große Überalterung verzeichnen . So liegt das Durchschnittsalter bei beiden Parteien bei ca. 56 Jahren.34 5. Das öffentliche Ansehen der Politiker Das Prestige, das Politiker in der öffentlichen Meinung genießen, ist laut verschiedener demoskopischen Befragungen im Vergleich zu anderen Berufsgruppen oder Berufsständen durch einen niedrigen Grad des Ansehens und des Vertrauens gekennzeichnet. Auch politische Parteien genießen im Vergleich zu anderen Verbänden, Institutionen oder Einrichtungen offenbar seit geraumer Zeit nur wenig Sympathie in Deutschland.35 Laut einer Berufsprestige-Skala 2008 des Instituts für Demoskopie Allensbach ist das Ansehen von Politikern im Vergleich zu 16 anderen Berufsgruppen in Deutschland mit sechs Prozent auf einem sehr niedrigen Niveau. Nur das berufliche Ansehen von Buchhändlern ist mit fünf Prozent noch geringer als das der Politiker. Die Frage, die das Institut für Demoskopie Allensbach seit 1966 in einem Mehrjahresrhythmus an die Befragten richtet, lautet: „Hier sind einige Berufe aufgeschrieben . Könnten Sie bitte die fünf davon heraussuchen, die Sie am meisten schätzen, vor denen Sie am meisten Achtung haben?“ Den Befragten wird dabei eine Liste mit siebzehn verschiedenen Berufen bzw. Berufsgruppen – in erster Linie akademische Berufe – vorgelegt, die im Jahr 2008 bei der Ansehensfrage prozentual folgendermaßen abschnitten: Arzt (78 %), Pfarrer /Geistlicher (39 %), Hochschulprofessor (34 %), Grundschullehrer (33 %), Unternehmer (31%), Rechtsanwalt (27 %), Ingenieur (27 %), Botschafter/Diplomat (25 %), Atomphysiker (25 %), Apotheker (24 %), Direktor in einer großen Firma (17 %), Studienrat (14 %), Journalist (11 %), Offizier (8 %), Gewerkschaftsführer (8 %), Politiker (6 %) und Buchhändler (5 %) (Institut für Demoskopie Allensbach 2008).36 Das Institut für Demoskopie Allensbach kommt anhand einer Langzeitbetrachtung der verschiedenen Allensbacher Berufsprestige-Skalen der vergangen Jahre zu dem Ergebnis, dass der Beruf des Politikers von einem fortdauernden Prestigeverlust gekennzeichnet ist. Zwar sei das Ansehen der Politiker als Berufsgruppe im Vergleich zu anderen genannten Berufsgruppen niemals sehr groß gewesen und lag mit 27 % Anfang der 1970er Jahre am höchsten, doch würde zurzeit mit gesamtdeutsch noch 6 % der Befragten die Wertschätzung des Politikerberufs auf dem niedrigsten von Allenbach je gemessenen Stand stehen.37 Der „GfK-Vertrauensindex“ von „GfK Custom Research“ untersucht seit 2003 einmal pro Jahr das Vertrauen der Bürger in die Berufsgruppen der Juristen, Journalisten, Kirchenvertreter, Lehrer, Manager, Mediziner, Militärangehörige, Polizisten und Politiker in 17 europäischen Ländern und den USA anhand eines Vertrauensindexes. In der Befragung des Jahres 2007 waren wie in den 34 Vgl. Kleinert (2007), S. 3, 7; Lösche (2002), S. 360f. 35 Vgl. Gaiser u. a. (2000), S. 18f. 36 Laut einer Studie der Bertelsmannstiftung geben lediglich 7 % der Befragten an, in die Berufsgruppe der Politiker „sehr hohes“ bzw. „ziemlich hohes“ Vertrauen zu haben, Bertelsmannstiftung (Hrsg.): Deutschland 2020. Blick nach vorn! Haltungen und Ideen für Wege aus der Krise (= Change. Das Magazin der Bertelsmannstiftung . Sonderheft 2009), S. 19 (vgl. http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID- E0E9FDCE-6BC8145C/bst/xcms_bst_dms_29851_29852_2.pdf 37 Solm-Laubach 2008; Institut für Demoskopie Allensbach 2008. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 470/09 Seite 12 Jahren zuvor die Berufsgruppen der Ärzte und der Pädagogen die am meisten akzeptierten. Mit einem Durchschnittswert von 3,2 bzw. 3,1 verbuchten sie über alle Länder hinweg den höchsten Vertrauensindex, der auf einer Skala von 1 „misstraue sehr“ bis 4 „vertraue sehr“ basiert. Es folgten Polizei (Index: 2,9), Militär (Index: 2,9), Kirchenvertreter (Index: 2,7), Juristen (Index: 2,4), Journalisten (Index: 2,2), Manager (Index: 2,1) sowie die Berufsgruppe der Politiker (Index: 1,7)38 83 Prozent der der Befragten hielten Mediziner für vertrauenswürdig, es folgten Lehrer (mit 82 %), Polizisten (mit 71 %), Militärs (mit 70 %), Kirchenvertreter (mit 59 %), Juristen (mit 48 %), Journalisten (mit 39 %), Manager (mit 34 %) sowie Politiker (mit 17 %). Für Deutschland wurden dabei folgende Zahlen ermittelt: Mediziner (mit 85 %), Lehrer (mit 82 %), Polizisten (mit 82 %), Militärs (72 %), Kirchenvertreter (mit 72 %), Juristen (mit 60 %), Journalisten (mit 31 %), Manager (mit 15 %) sowie Politiker (mit 10 %). Damit schnitten in Deutschland die Berufsgruppen Journalisten, Manager und Politiker in der Frage der Vertrauenswürdigkeit im Vergleich zum ermittelten Gesamtwert aller Länder unterdurchschnittlich ab. In Deutschland – wie auch in Frankreich (10 %) sowie mit annährend gleichem Wert auch in Polen (11 %) – vertrauen demnach 10 % der Befragten ihrer politischen Führung. Schlechter fiel dieser Wert noch in Italien (mit 9 %), in Tschechien (mit 9 %) sowie in Bulgarien (8 %) aus. 6. Die Erwartungshaltung der Bevölkerung gegenüber Politikern Mit welchen Erwartungshaltungen die Bürger in der Bundesrepublik Politikern entgegentreten, ist ebenfalls ein Gegenstand repräsentativer Meinungsforschung. So formulierte zum Beispiel die überparteiliche „Initiative Pro Dialog“ im Jahr 2006 aus den Ergebnissen der von ihr in Auftrag gegebenen Meinungsumfrage zum Thema „Das Verhältnis der Bürger zu Staat und Politik. Politikverdrossenheit in Deutschland“ auch das „Idealbild“ eines Politikers aus Sicht der Bevölkerung : „Die Erwartungen der Bürger an die Repräsentanten des politischen Systems sind aber auch sehr hoch gesteckt. Jeweils mehr als neun Zehntel wünschen sich, dass Politiker sich für das Land einsetzen, dabei verantwortungsvoll und mit Sachkunde zu Werke gehen, politischen Weitblick und Durchsetzungskraft beweisen, ohne dass Vertrauenswürdigkeit, Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit Schaden nehmen. Fast genau so wichtig sind der Bevölkerung Bürgernähe und Ehrgeiz. Dass die Politiker bei alledem auch noch sympathisch bleiben, erwarten immerhin noch zwei Drittel der Bundesbürger.“39 Demnach wünschen sich die Bürger von einem politischen Repräsentanten mehr Bürgernähe sowie eine verständlichere Ausdrucksweise bei politischen Themen. Vier Fünftel der Bevölkerung würden es begrüßen, wenn es mehr Möglichkeiten gäbe, mit führenden Politikern direkt ins Gespräch zu kommen. Dass dieser Wunsch sich realisierten ließe, wird von den Bürgern allerdings bezweifelt. Die Befragten wünschten sich von den Politikern, stärker die Fähigkeit zu entwickeln , den Bürgern ihre Pläne und Vorstellungen verständlicher zu machen.40 Hubert Klein, Professor für Politikwissenschaft an der Fachhochschule für Verwaltung des Landes Hessen in Wiesbaden, formulierte in seinem Beitrag zum Thema „Abstieg der Parteiendemokratie “ in der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ im Jahr 2007 an die Politik in Deutsch- 38 GfK Custom Research 2007. 39 Initiative Pro Dialog (2006), S. 7. 40 Ebd., S. 13f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 470/09 Seite 13 land gerichtete Vorschläge, die der Verdrossenheit über die Parteien und die politischen Repräsentanten entgegen wirken könnten: „Dazu müsste Politik (in Deutschland) freilich stärker, handlungsfähiger, identifizierbarer werden ; zugleich müsste sich das mediale Bild von Politik verändern. Weniger Wahltermine, weniger Wahlkämpfe, Parteien, die identifizierbarer und kompromissfähiger zugleich sein müssten, weniger Umfragen, Politik- und Medienberater“.41 7. Literatur und Quellen Arnim, Hans Herbert von: Volksparteien ohne Volk. Das Versagen der Politik, München: Bertelsmann 2009. Arzheimer, Kai (2002). Politikverdrossenheit. Bedeutung, Verwendung und empirische Relevanz eines politikwissenschaftlichen Begriffs, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.): Vertrauen in Deutschland. Eine qualitative Wertestudie. Zusammenfassung der Ergebnisse, 27.12.2009 http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-C5490428- 995B030A/bst/xcms_bst_dms_30530_30531_2.pdf. Bertelsmannstiftung (Hrsg.): Deutschland 2020. Blick nach vorn! Haltungen und Ideen für Wege aus der Krise (= Change. Das Magazin der Bertelsmannstiftung. Sonderheft 2009), http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-E0E9FDCE- 6BC8145C/bst/xcms_bst_dms_29851_29852_2.pdf. 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