Entwicklung des Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein seit 1945 - Ausarbeitung - © 2009 Deutscher Bundestag WD 1 - 3000 - 268/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Entwicklung des Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein seit 1945 Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 268/08 Abschluss der Arbeit: 19.01.2009 Fachbereich WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - 3 - Inhaltsverzeichnis Seite 1. Einleitung 4 2. Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein bis 1945 5 3. Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein nach 1945 5 4. Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein nach 1990 8 5. Aktuelle Situation des Rechtsextremismus in Schleswig- Holstein 9 6. Wahlerfolge von rechtextremen Parteien in Deutschland und Schleswig-Holstein nach 1945 12 6.1. Deutschland 12 6.2. Schleswig-Holstein 14 7. Literaturverzeichnis 16 - 4 - 1. Einleitung Beim Rechtsextremismus handelt es sich nicht um einen definierten Rechtsbegriff. Von Seiten des Bundesamtes für Verfassungsschutz sowie der Landesverfassungsschutzämter werden mit Rechtsextremismus diejenigen Bestrebungen in der Bundesrepublik bezeichnet , die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung agieren und aus Sicht der Dienste genügend Anhaltspunkte für eine dauernde Beobachtung bieten. In diesem Zusammenhang erläutert das Bundesamt für Verfassungsschutz auf seiner Homepage den Rechtsextremismus in Deutschland: „Rechtsextremistische Ideologieansätze erwachsen aus den beiden Wurzeln Nationalismus und Rassismus. Sie sind von der Vorstellung geprägt, dass die ethnische Zugehörigkeit zu einer Nation oder Rasse die größte Bedeutung für das Individuum besitzt. Ihr sind alle anderen Interessen und Werte, auch die Menschen- und Bürgerrechte, untergeordnet. Rechtsextremisten propagieren ein politisches System, in dem als angeblich natürliche Ordnung Staat und Volk in einer Einheit verschmelzen ("Ideologie der Volksgemeinschaft"). Tatsächlich läuft dies auf ein antipluralistisches System hinaus, das für demokratische Entscheidungsprozesse keinen Raum lässt. Zwar ist der Rechtsextremismus in Deutschland nicht ideologisch homogen. Eine Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit und eine gegen den Gleichheitsgrundsatz gerichtete Fremdenfeindlichkeit sind allerdings bei allen Rechtsextremisten festzustellen. Auch hinsichtlich seines Erscheinungsbildes stellt der Rechtsextremismus kein einheitliches, geschlossenes Phänomen dar. Er artikuliert sich in unterschiedlichen Formen, insbesondere in einer jugendlichen Subkultur gewaltbereiter rechtsextremistischer Skinheads, in neonazistischen Gruppierungen, die einen totalitären Staat propagieren, in Parteien, die auch über die Beteiligung an Wahlen politischen Einfluss erreichen wollen, im Schrifttum rechtsextremistischer Autoren und Verlage, die intellektuell oder propagandistisch agitieren …“. Von Seiten der wissenschaftlichen Rechtsextremismusforschung ist die Verwendung des Ausdrucks Rechtsextremismus von den Phänomenen und der sozialen Praxis, die damit bezeichnet werden, analytisch zu unterscheiden. Bis in die 1980er Jahre wurde in Öffentlichkeit und der Wissenschaft der Begriff zur Bezeichnung von Ideologie und Praxis von politischen Akteuren – insbesondere von Parteien, Parteipolitiker und Publizisten - benutzt. Als Folge der so genannten „Sinus-Studie“ von 1981 über die Einstellungen der Bevölkerung zu rechtsextremistischem Gedankengut erfuhr der bisherige Rechtsextremismusbegriff eine Erweiterung. Er fokussiert sich seitdem auch auf die Einstellungen der Bevölkerung zum Rechtsextremismus (Klärner; Kohlstück 2006: 13- 19). - 5 - 2. Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein bis 1945 Die NSDAP hatte in der Spätphase der Weimarer Republik insbesondere bei den Reichstagswahlen in der preußischen Provinz Schleswig-Holstein überdurchschnittliche Wahlergebnisse1 erringen können. Zudem gelang der NSDAP eine vergleichsweise frühe Verankerung in der ländlichen Bevölkerung, bei den Mittelschichten sowie wichtigen Repräsentanten der Gesellschaft. So gehörten zum Beispiel ein Viertel der schleswig -holsteinischen Gemeindepfarrer der evangelisch-lutherischen Kirche bereits im Jahr 1932 der Partei an.2 Aufgrund des frühen und erfolgreichen Aufbaues der NSDAP- Organisation galt Schleswig-Holstein bzw. der „Gau Nordmark“ schon bald als nationalsozialistischer „Mustergau“ mit der reichsweit höchsten Mitgliederdichte im Verhältnis zur Bevölkerung. So kam auf 18 Einwohner ein NSDAP-Mitglied.3 Insgesamt galt die damalige Provinz Schleswig-Holstein als Hochburg des Nationalsozialismus. Bei den Reichstagswahlen im Sommer 1932 erreichte die NSDAP mit 51,1% das reichsweit beste Ergebnis (Danker; Schwabe 2005: 186/187). 3. Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein nach 1945 Der schwierige Umgang des Landes und insbesondere der Landespolitik mit der nationalsozialistischen Vergangenheit von 1950 bis in die 1960er Jahre hinein ein war bestimmendes Merkmal in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein (Landeszentrale für Politische Bildung 1990: 8). Das Land geriet in den 1950er und frühen 1960er Jahren dadurch auch regelmäßig negativ in die deutschen und internationalen Schlagzeilen (Danker; Schwabe 2005: 189; Landeszentrale für Politische Bildung 1990: 19). Dies lag offenbar wesentlich auch in der teilweise personellen Kontinuität von ehemaligen Verantwortungs- und Funktionsträgern4 des NS-Regimes in Politik und Verwaltung des Landes Schleswig-Holstein begründet. So gehörten zum Beispiel alle Mitglieder der seit 1950 bestehenden Koalitionsregierung aus BHE5, CDU, FDP und DP6 unter Ministerpräsident Dr. Walter Bartram7 (CDU) im Jahr 19508 – mit 1 Reichstagswahl 1930 (Reich: 18,33 %; S.-H.: 27,95%); Reichstagswahl 1932 I (Reich: 37,36%; S.- H.: 51,09%); Reichstagswahl 1932 II (Reich: 33,09%; S.-H.: 45,81%) sowie Reichstagswahl 1933* (Reich: 43,91%; S.-H.: 53,27%) *= Die Wahl von März 1933, die nach der Macht- und Regierungsübertragung an die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 stattfand, kann nur bedingt als demokratisch bezeichnet werden. 2 Bohn 2006: 106. 3 Diesen Ruf behielt sie auch während der Herrschaftsphase des Nationalsozialismus (Bohn 2006: 106/107). 4 Mit Ausnahme der alten NS-Parteispitzen. 5 BHE: „Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten“. 6 DP: „Deutsche Partei“. 7 Nach einer parteiinternen Auseinandersetzung, insbesondere mit dem CDU-Landesvorsitzenden Dr. Carl Schröter, erklärte er im Juni 1951 seinen Rücktritt; sein Nachfolger als Ministerpräsident wurde der CDU-Abgeordnete Friedrich Wilhelm Lübke (Bruder des Bundespräsidenten Lübke). 8 Landesregierung aus CDU, FDP, BHE und DP. - 6 - Ausnahme von Innenminister Dr. Dr. Paul Pagel (CDU), der Mitglied des Widerstandes zur Zeit des Nationalsozialismus gewesen war – vormals der NSDAP oder anderen NS- Organisationen an9. Leiter der Staatskanzlei der Landesregierung von Schleswig- Holstein war von 1950 bis 1958 Dr. Dr. Ernst Kracht. Der ehemalige überzeugte Nationalsozialist und SS-Sturmbahnführer war in der Zeit von 1933 bis 1945 unter anderem (Ober-) Bürgermeister von Flensburg gewesen. Auch Großbehörden wie das Landesozialministerium , die Landespolizeispitze und wesentliche Teile der Landesjustiz wurden personell von ehemaligen NS-Repräsentanten getragen (Danker; Schwabe 2005: 191). Auch an der Spitze von politischen Parteien, zum Beispiel des „Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ (BHE), der im Landtagswahlkampf 195010 ein Ende der Entnazifizierung gefordert hatte und ab 1950 Mitglied einer bürgerlichen Koalitionsregierung wurde, standen zum Teil ehemalige Angehörige des NS-Regimes. So war zum Beispiel der Fraktionsvorsitzende Walter Gille Beisitzer am „Volksgerichtshof“ gewesen (Landeszentrale für Politische Bildung 1990: 8; 19; Danker, Schwabe 2005: 177/178). Mit dem im März 1951 vom Kieler Landtag nach konfliktreichen Debatten verabschiedeten „Gesetz zur Beendigung der Entnazifizierung“ wurden sämtliche Entnazifizierungsverfahren in Schleswig-Holstein beendet und weitere Überprüfungen von belasteten Personen nicht mehr durchgeführt. Das Land stellte damit die aus den alliierten Entnazifizierungsverfahren verbliebenen „Belasteten“ und „Mitläufer“ automatisch mit „Entlasteten“ gleich. Nach seiner Verabschiedung sprach der damalige Innenminister Pagel in seinem Tagebuch von einer „Renazifizierung“ in Schleswig-Holstein: „Man kann mit Recht allmählich von einer Renazifizierung sprechen. Merkwürdig, wie selbstverständlich die alten Nazis auftreten und wie feige sie im Grunde sind, wenn man ihnen hart entgegentritt.“ (Landeszentrale für Politische Bildung 1990: 8; 20; Danker; Schwabe 2005: 177/178). Alle Personen, die nach 1945 aufgrund der Entnazifizierung aus dem Öffentlichen Dienst entfernt oder in ihrer Verwaltungsposition zurückgestuft worden waren, konnten mit dem „Gesetz zur Beendigung der Entnazifizierung“ einen Anspruch auf Wiedereinsetzung in ihre alten Rechte geltend machen. Das „Gesetz zur Beendigung der Entnazifizierung“ war im Vergleich zu den Regelungen in anderen Bundesländern offenbar das weitestgehende seiner Art (Landeszentrale für Politische Bildung 1990: 16; 20). In Schleswig-Holstein fanden in den 1950er Jahren viele ehema- 9 Er gehörte der NSDAP seit 1937. Doch hat sich nach seiner Erklärung seine Verbindung zur Partei auf „rein wirtschaftliche Beratung“ beschränkt (Munzinger Online 1972). Der Finanzminister und BHE-Vorsitzende Waldmar Kraft war ehemaliger SS-Hauptsturmführer. Sozialminister Hans-Adolf Asbach (BHE) war zur Zeit des Zweiten Weltkrieges Kreishauptmann in Galizien und geriet später unter nachhaltigen Mordverdacht (Danker; Schwabe 2005: 178). 10 Die Partei erreichte 1950 ein Ergebnis von 23,4 % und wurde nach der SPD und vor der CDU zweitstärkste Kraft (in Schleswig-Holstein lag der Flüchtlingsanteil aus den deutschen Ostgebieten unter der Bevölkerung innerhalb der Bundesrepublik am höchsten). Der BHE scheiterte bei den Landtagswahlen 1962 mit 4,2 % an der Fünf-Prozent-Hürde. - 7 - lige Angehörige des NS-Regimes unter anderem in Justiz, Verwaltung, Polizei sowie Schul- und Hochschulwesen wieder eine Anstellung und konnten dabei teilweise wichtige Positionen besetzen bzw. ihre unterbrochenen Karrieren fortsetzen (Danker; Schwabe 2005: 183). Ab 1950 setzte ein personelles „Roll-Back“ in Schleswig-Holstein ein. In diesem Zusammenhang teilte Ministerpräsident Wilhelm Lübke (CDU) im Jahr 1954 mit, dass 6.000 ehemalige Angehörige des Öffentlichen Dienstes aus der NS-Zeit wieder Beschäftigung im Land gefunden hätten. Damit waren in Schleswig-Holstein zu dieser Zeit ca. 50% aller Dienststellen mit Personen besetzt, die auch in der NS-Zeit dem Öffentlichen Dienst angehört hatten. Das vom Bundesgesetzgeber am 11. Mai 1951 beschlossene „Bundesausführungsgesetz zum Artikel 13111 des Grundgesetzes“12 hatte deutliche niedrigere Quoten bei der Besetzung von Stellen im Öffentlichen Dienst mit Bediensteten aus der NS-Zeit vorgesehen. In Verknüpfung mit dem „Bundesausführungsgesetz zum Artikel 131 GG“ führte das „Gesetz zur Beendigung der Entnazifizierung “ in Schleswig Holstein dazu, dass nahezu allen ehemaligen Angehörigen des Öffentlichen Dienstes ein Anspruch auf Wiedereinstellung bzw. auf eine entsprechend verbesserte Versorgung zugesprochen wurde. Die nicht gezogenen oder zurückgenommenen personellen Konsequenzen im Zusammenhang mit dem vormaligen Personal aus der Zeit des NS-Regimes wurden verschiedentlich als schleswig-holsteinische „Sonderentwicklung “ gewertet (Danker; Schwabe 2005: 178). Vor diesem Hintergrund hätten in Schleswig-Holstein ehemalige NS-Funktionäre offen bar leichter eine (Wieder-) Anstellung finden können als in anderen Regionen der Bundesrepublik . Neueste Forschungen zur Landesgeschichte weisen aber darauf hin, dass sich diese oft behauptete „Sonderentwicklung“ von Schleswig-Holstein im Umgang mit dem Nationalsozialismus nach 1945 empirisch nicht völlig abgesichert behaupten lässt. Denkbar wäre auch, dass die personelle Kontinuität und die Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit in Schleswig-Holstein erfolgloser kaschiert wurde als in 11 Wortlaut Artikel 131 GG: „Die Rechtsverhältnisse von Personen einschließlich der Flüchtlinge und Vertriebenen, die am 8. Mai 1945 im öffentlichen Dienste standen, aus anderen als beamten- oder tarifrechtlichen Gründen ausgeschieden sind und bisher nicht oder nicht ihrer früheren Stellung entsprechend verwendet werden, sind durch Bundesgesetz zu regeln. Entsprechendes gilt für Personen einschließlich der Flüchtlinge und Vertriebenen, die am 8. Mai 1945 versorgungsberechtigt waren und aus anderen als beamten- oder tarifrechtlichen Gründen keine oder keine entsprechende Versorgung mehr erhalten. Bis zum Inkrafttreten des Bundesgesetzes können vorbehaltlich anderweitiger landesrechtlicher Regelung Rechtsansprüche nicht geltend gemacht werden.“ 12 Durch das Ausführungsgesetz vom 11. Mai 1951 wurde faktisch das Recht auf Wiedereinstellung nach Art. 131 GG für ehemalige NS-Beamte (und Angestellte) zu einem Rechtsanspruch auf Wiedereinstellung . Sie besagte, dass alle Beamten, die beim Entnazifizierungsverfahren nicht als Hauptschuldige oder Belastete eingestuft worden waren, wieder verbeamtet werden durften. Der Deutsche Bundestag hatte diese Regelung mit Zustimmung aller Fraktionen einstimmig beschlossen. - 8 - der übrigen Bundesrepublik (Landeszentrale für Politische Bildung 1990: 8/9; 21; Danker ; Schwabe 2005: 177; 184).13 Ein weitere Personalentscheidung der damaligen Landesregierung, die vielleicht charakteristisch für den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in Schleswig- Holstein zu dieser Zeit war, ist der Umstand, dass Anfang 1957 der bisherige Leiter des Entschädigungsamtes für NS-Opfer, der selber ein NS-Opfer gewesen war, durch ein ehemaliges NSDAP-Mitglied, das als Kriegsrichter und Staatsanwalt Karriere gemacht hatte, abgelöst wurde (Landeszentrale für Politische Bildung 1990: 8; 20). Insbesondere in den 1950er Jahren beschäftigten die Öffentlichkeit in Schleswig- Holstein und im Bundesgebiet immer wieder Fälle von großzügigen Pensionszahlungen an ehemalige NS-Eliteangehörige. Dabei sprachen die Gerichte des Landes auch maßgeblichen Tätern der NS-Zeit öffentliche Versorgungsansprüche zu. Dazu gehörten zum Beispiel an Verurteilungen und Morden beteiligte hochrangige Juristen, Polizisten und „Euthanasie-Mediziner“ (Danker; Schwabe 2005: 180). Umgekehrt zeigte sich die schleswig-holsteinische Nachkriegsgesellschaft gegenüber den Opfern der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft bürokratisch und finanziell zurückhaltend. Die durchschnittliche Höhe der Entschädigung für die Opfer der NS-Diktatur lag deutlich unter der der „Täter“ (Danker; Schwabe 2005: 183). Die landes- und regionalgeschichtliche Erforschung der Zeit des Nationalsozialismus und ihre Folgewirkungen wurden in Schleswig-Holstein bis in die 1980er Jahre – mit Ausnahme der Aufstiegsphase der Nationalsozialisten – nur in Ansätzen verfolgt (Landeszentrale für Politische Bildung 1990: 8; Danker; Schwabe 2005: 191). 4. Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein nach 1990 Im vereinten Deutschland sensibilisierten insbesondere in der ersten Hälfte der 1990er Jahre mehrere Ereignisse in Schleswig-Holstein mit rechtsextremistischem Hintergrund die Öffentlichkeit. Dazu gehörte zum Beispiel der Wahlerfolg der DVU bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein im Jahr 1992. Außerdem zogen mehrere von Rechtsextremisten verübte Anschläge in Schleswig-Holstein die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich. So verübten am 22./23. November 1992 zwei junge Rechtsextreme, die der Skinhead-Szene angehörten, in Mölln an einem Abend zwei Brandanschläge. Sie warfen sog. Molotowcocktails gegen zwei von türkischen Familien bewohnte Häuser . Es handelte sich laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung um den ersten ausländerfeindlichen Brandanschlag in der Bundesrepublik, bei dem Menschen ums Leben ka- 13 Im Übrigen sei hervorgehoben, dass auch in der damaligen DDR gleichartige Vorgänge stattfanden, so dass nicht der Eindruck entstehen sollte, dass Verdrängung und Kaschierung der NS–Vergangen heit und der Verbrechen ein Spezifikum der Bundesrepublik Deutschland darstellt. - 9 - men. Im dem als erstes angegriffenen Haus verletzten sie neun Bewohner zum Teil schwer. In den Flammen des Brandsatzes im zweiten Haus kamen zwei Mädchen und ihre Großmutter zu Tode. In einem späteren Prozess wurden die beiden Tatbeteiligten vom Oberlandesgericht Schleswig zu Höchststrafen, zu zehn Jahren Jugendstrafe sowie zu lebenslanger Freiheitsstrafe, verurteilt (Friedrich-Ebert-Stiftung 2007: 31; von Altenbockum 1996; Munzinger Online 2008). Am 25. März 1994 verübten vier junge Lübecker, von denen drei engen Kontakt zur rechtextremistischen Szene hatten, mit Hilfe von „Molotow-Cocktails“ einen Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge. Die im oberen Stockwerk des Hauses schlafenden Menschen konnten gerettet werden. Es entstand ein Sachschaden von 150.000 D-Mark. Laut Frankfurter Allgemeine Zeitung war der Synagogenbrand von Lübeck der erste Anschlag auf ein jüdisches Gotteshaus in Deutschland seit 1945. Die Tatbeteiligten wurden im April 1995 vom Schleswiger Oberlandesgericht wegen einfacher Brandstiftung zu Haftstrafen zwischen 45 und 54 Monaten verurteilt. Am 7. Mai 1995 kam es am Vortag der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des Kriegsendes zu einem weiteren Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge, bei dem ein Sachschaden von 20.000 D-Mark entstand. Die Ermittlungen wurden ohne Ergebnis im August 1997 eingestellt. Ohne eindeutige Klärung der Täterschaft blieb auch eine Brandstiftung gegen ein Asylbewerberheim in der Lübecker Hafenstraße in der Nacht zum 18. Januar 1996. In dem einstigen Seemannsheim, das seit 1985 als Asylunterkunft diente, kamen zehn Asylbewerber, unter ihnen zahlreichen Jugendliche und Kinder, um. Ein aus dem Libanon stammender Tatverdächtiger wurde vor Gericht frei gesprochen (von Altenbockum 1996; Berliner Zeitung vom 5. Oktober 2000; Pieper 1996: 84ff.) 5. Aktuelle Situation des Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein Der im Jahr 2008 veröffentlichte Verfassungsschutzbericht des Landes Schleswig- Holstein für das Jahr 2007 sieht trotz eines im Vergleich zu den letzten Jahren anhaltenden rückläufigen Trends bei rechtsextremistischen Straftaten nach wie vor ein hohes Niveau von rechtextrem motivierten Straftaten im Land: „Die vorläufige polizeiliche Straftatenstatistik weist für das Jahr 2007 einen merklichen Rückgang aus. Die Gesamtzahl der Straftaten reduzierte sich von 510 im Jahr 2006 auf 440 Fälle im Jahr 2007. Dies entspricht einem Rückgang von knapp 14%. Die Zahl der registrierten Gewalttaten (ganz überwiegend Körperverletzungen) belief sich im Jahr 2007 auf insgesamt 59. Im Vergleich zu 2006 mit 65 Delikten in diesem Bereich bedeutet dies einen Rückgang um rund 9%. Die sonstigen politisch motivierten Straftaten - größtenteils Propagandadelikte - beliefen sich im Jahr 2007 auf 381 Fälle. 2006 wurden noch insgesamt 445 Delikte verzeichnet, dies entspricht einer Verringerung um rund 14%“ (Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein 2008: 14). - 10 - Unter Propagandadelikte, die auch auf Bundesebene den Großteil der rechtsextrem motivierten Straftaten ausmachen, fallen zum Beispiel Straftatbestände wie Hakenkreuzschmierereien , Volksverhetzung oder Leugnung des Holocaust (Friedrich-Ebert- Stiftung 2007: 18). Die Gesamtanzahl der in Schleswig-Holstein gegenwärtig lebenden Rechtsextremen beträgt laut Verfassungsschutzbericht 2007 derzeit ca. 1410 Personen und ist damit relativ stabil. Darunter fallen die Mitglieder der Parteien NPD (240 Personen) und DVU (250 Personen) sowie parteiungebundene „nicht neo-nationalsozialistische Rechtsextremisten (80 Personen), „überwiegend neo-nationalistisch orientierte Rechtextremisten“ (100 Personen) sowie gewaltbereite rechtsextremistische Skinheads (740 Personen). Letztere stellen seit Anfang der 1990er Jahre – wie in ganz Deutschland – die größte Gruppe der gewaltbereiten Rechtsextremisten. Sie sind Hauptbestandteil der organisatorisch nicht gebundenen rechtsextremistischen- durch männliche Jugendliche und junge Männer geprägten - „Subkultur-Szene“, die regelmäßig durch eine hohe Gewaltbereitschaft auffällt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz definiert sie folgendermaßen: „Der Skinhead-Szene gehören überwiegend männliche Jugendliche und Heranwachsende an, deren Lebenseinstellung wesentlich durch ihr Zugehörigkeitsgefühl zu dieser jugendlichen Subkultur geprägt wird. Bestimmende Elemente dieser Lebensweise sind Skinhead-Musik und -Konzerte, hoher Alkoholkonsum sowie Gewaltbereitschaft. Die rechtsextremistisch orientierten Anhänger der Skinhead-Szene besitzen in der Regel keine geschlossene Ideologie; ihr diffuses rechtsextremistisches Weltbild wird von fremdenfeindlichen, nationalistischen, antisemitischen und den Nationalsozialismus verherrlichenden Einstellungen bestimmt. Da Aggressivität und Gewaltbereitschaft zu ihrem Selbstverständnis gehören, treten Skinheads immer wieder durch spontane, häufig durch starken Alkoholkonsum geförderte Gewalttaten gegen Fremde und politische Gegner in Erscheinung.“ (Bundesamt für Verfassungsschutz 2008). Gegenwärtig gehören insbesondere der Großraum Lübeck, der Kreis Ostholstein sowie der Raum Neumünster zu den regionalen Schwerpunkten des Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein, wobei er laut Verfassungsschutz offenbar in den größeren Städten auf geringere Resonanz stößt (Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein 2008: 12; 25; 47ff: 59). Unter der Gruppe der „überwiegend neo-nationalistisch orientierten Rechtsextremisten“ werden die Mitglieder von so genannten „Freien Kameradschaften“ geführt. Sie zeichnen sich durch dezentrale bzw. informelle Strukturen aus und sind auch eine Reaktion der rechtsextremistischen Szene auf staatliche Verbote. Sie knüpfen an die Ideologie des Nationalsozialismus an und streben einen autoritären Führerstaat auf rassistischer Grundlage an. Die „Kameradschaften“ bilden auf lokaler und regionaler Ebene kleine - 11 - Gruppen in Größenordnungen von in der Regel fünf bis 25 Personen mit einem Durchschnittsalter zwischen 20 und 25 Jahren. Die „Freien Kameradschaften“ oder auch "Freie Nationalisten" sind stark aktionistisch orientiert und trotz ihrer autonomen Strukturen miteinander in Schleswig-Holstein wie auch im gesamten Bundesgebiet vernetzt. Mit Hilfe ihrer inneren Organisationsstruktur - ohne Vereins- oder Parteistatut, offiziellen Mitgliederstatus und Vermögen – versuchen sie, für staatliche Verfolgungsbehörden weniger angreifbarer zu sein (Friedrich-Ebert-Stiftung 2007: 34; Bundesamt für Verfassungsschutz 2009). Der rechtsextremen NPD in Schleswig-Holstein, die in sechs Kreisverbände organisiert ist, gehören derzeit ca. 240 Personen an. Trotz ihrer partiellen (Wahl-) Erfolge in einigen Bundesländern ist es der Partei in Schleswig-Holstein bislang noch nicht gelungen, außerhalb ihrer eigenen Klientel im Land Gehör zu finden. Die mangelnde Akzeptanz ihres politischen Spitzenpersonals, die geringe Mitgliederzahl sowie die fehlende Präsenz in den Kommunalparlamenten sind dafür offenbar verantwortlich (Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein 2008: 19; 28/29). Allerdings stellt die NPD seit der Übernahme des Parteivorsitzes durch Udo Voigt in der zweiten Hälfte der 1999er Jahre auf Bundesebene innerhalb des rechtsextremistischen Milieus in Deutschland eine der bedeutendsten Kräfte dar. Sie wird von Seiten der Verfassungsschutzbehörden als auch von Seiten der wissenschaftlichen Forschung in der Regel als seit Jahren aktivster Bestandteil des bundesdeutschen Rechtsextremismus eingestuft. Der NPD ist es unter anderem gelungen, auf Kommunal- und Landesebene erstmals seit den 1960er Jahre wieder Wahlerfolge zu erzielen und ihre Zusammenarbeit mit den neonationalsozialistischen „Freien Kameradschaften“ deutlich zu intensivieren. Letzteres trifft auch für Schleswig-Holstein zu. Die stärkere Zusammenarbeit äußert sich unter anderem in einer zunehmenden personellen Verflechtung – so haben mittlerweile eine Reihe von Angehörigen der „Freien Kameradschaften“ hohe Parteiämter der NPD inne und/oder sind Mitglieder in Parlamenten – sowie in einem verstärkten gemeinsamen Auftreten in der Öffentlichkeit (Friedrich-Ebert-Stiftung 2007: 24). Diese und andere strukturelle Veränderungen innerhalb des rechtextremistischen Milieus, die ihren Ausgangspunkt in den 1990er Jahren hatten, führten in Deutschland wie auch in Schleswig- Holstein zu einem veränderten Charakter des Rechtsextremismus. Der so genannte „aktionistisch “ geprägte Rechtsextremismus - darunter fallen laut schleswig-holsteinischen Verfassungsschutz „Neo-Nationalsozialisten“, „Subkulturelle“ sowie die NPD – hat eine dominierende Rolle eingenommen. Sein Anteil ist von ca. 25% im Jahr 1995 auf aktuell 75% gestiegen. Der größte Teil von ihnen ist der organisatorisch nicht gebundenen rechtsextremistischen Subkultur-Szene zuzurechnen (Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein 2008: 12). - 12 - Die DVU in Schleswig-Holstein verfügt gegenwärtig über 250 Mitglieder. Laut Verfassungsschutz hat die Partei in letzter Zeit für die Öffentlichkeit keine erkennbare Aktivitäten entfaltet (Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein 2008: 35). 6. Wahlerfolge von rechtextremen Parteien in Deutschland und Schleswig -Holstein nach 1945 6.1. Deutschland In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland erlangten rechtsextremistische Parteien bisher nur phasenweise Bedeutung. Ihr Parteispektrum zeichnete sich organisatorisch durch eine starke Diskontinuität aus. Das gilt auch für das Abschneiden von rechtsextremistischen Parteien bei Landtags- und Bundestagswahlen seit 1945. Allerdings hat seit 1990 im vereinten Deutschland die Häufigkeit von partiellen Wahlerfolgen von rechtsextremistischen Parteien zugenommen. Derzeit sind rechtextremistische Parteien in den Landesparlamenten von Bremen, Brandenburg, Mecklenburg- Vorpommern und Sachsen vertreten. In Hamburg, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland gelangten rechtsextremistische Parteien nach 1945 noch nie ins Parlament. Seit 1949 schafften es rechtsextremistische Parteien nicht, in den Deutschen Bundestag durch das Überspringen der Fünf-Prozent-Hürde einzuziehen.14 Auf Länderebene gelangen ihnen dagegen zeitweise Wahlerfolge, die historisch in mehreren „Wellen“ stattfanden (Kummer 2007: 1). So erreichte zum Beispiel zu Beginn der Bundesrepublik die 1949 gegründete „Sozialistische Reichspartei Deutschlands“ (SRP) bei den Landtagswahlen 1951 in Niedersachsen 11,0% sowie bei den Bürgerschaftswahlen in Bremen 1951 7,7% der abgegebenen Stimmen (Backes; Jesse 1996: 69). Ebenso wie die 1950 gegründete „Deutsche Reichspartei“ (DRP15) war die SRP insbesondere ein Sammelbecken für ehemalige Mitglieder und Anhänger der NSDAP (Klärner; Kohlstrück 2006: 15; Schlieben 2005: 340). Die SRP wurde aufgrund eines Antrages der Bundesregierung am 23. Oktober 1952 vom Bundesverfassungsgericht wegen ihrer offenen Bezugs- 14 Allerdings zogen in den ersten Deutschen Bundestag 1949 fünf Abgeordnete der „DKP-DRP“ (Deutsche Konservative Partei – Deutsche Rechtspartei) sowie 12 Abgeordnete der „WAV“ (Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung) ein. Bei dieser Wahl gab es noch keine bundesweite Fünf-Prozent- Hürde. Für den Einzug in den Deutschen Bundestag reichte das Überspringen der Fünf-Prozent- Hürde in einem Bundesland. Die DKP-DRP erreichte 8,1% in Niedersachsen bzw. 1,8% im Bund. Die WAV konnte in Bayern 14,4% bzw. im Bund 2,9% erzielen (Schlieben 2005: 336ff.; Backes; Jesse 1996: 64). 15 Sie entstand Anfang 1950 im Wesentlichen aus der DKP-DRP sowie der nur in Hessen aktiven „National-Demokratischen Partei“ (NDP). Die Partei erreichte bei den Bundestagswahlen 1953 (1,1%), 1957 (1,0%) sowie 1961 (0,8%) nie mehr als knapp 1%. Bei den Landtagswahlen in Niedersachsen 1951 (2,2%; drei Mandate) und 1955 (3,8%; sechs Mandate), in Rheinland-Pfalz 1959 (5,1%; ein Mandat) sowie in einer Listenverbindung mit der DP in Bremen 1963 (5,1%; vier Mandate ) wurde sie ins Parlament gewählt. Im Januar 1960 wurde in Rheinland-Pfalz die DRP „als Ersatzorganisation der verbotenen Sozialistischen Reichspartei (SRP)“ aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Oktober 1952 vom damaligen Innenminister des Landes – August Wolters (CDU) – verboten (Hirsch 1989: 44ff.; Koß; Spier 2008: 294). - 13 - nahme auf die NSDAP verboten, alle Mandate wurden ihr entzogen. Die Ende 1945 in Bayern gegründete „Wirtschaftliche Aufbauvereinigung (WAV), bei der rechtsextreme Züge hervortraten, erzielte in Bayern bei den Wahlen zur Verfassungsgebenden Landesversammlung Mitte 1946 5,1%, bei den ersten Landtagswahlen Ende 1946 7,4% sowie bei den Bundestagswahlen 1949 14,4% (Backes; Jesse 1986: 64ff). In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre gelang dann der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), die 1964 aus Teilen der rechtsextremistischen DRP in Hannover gegründet worden war und bei der Bundestagswahl 1965 2% erzielt hatte, der erstmalige Einzug in insgesamt sieben westdeutsche Landtage. Dazu gehörten Bayern (7,4%) und Hessen (7,9%) im Jahr 1966 sowie Bremen (8,8%), Niedersachsen (7,0%), Rheinland -Pfalz (6,9%) und Schleswig-Holstein (5,8%) im Jahr 1967 sowie Baden- Württemberg (9,8%) im Jahr 1968. Die NPD vermochte ein nicht unerhebliches Protestpotenzial für sich zu mobilisieren. Dabei stieß sie insbesondere in den ehemaligen Hochburgen der NSDAP auf Resonanz. Als mögliche Gründe für die zwischenzeitlichen Wahlerfolge der NPD werden unter anderem die erste Wirtschaftskrise der Bundesrepublik 1966/67, die Etablierung der Großen Koalition16 aus CDU, CSU und SPD sowie die Auswirkungen der „1968er-Studentenrevolte“ genannt (Klärner; Kohlstrück 2006: 15). Bei der Bundestagswahl 1969 scheiterte die NPD mit 4,3% dann an der Fünf-Prozent-Hürde. Danach setzte für viele Jahre ein Zerfallsprozess der NPD ein. Erst im Jahr 2004 gelang der Partei durch einen Erfolg bei den sächsischen Landtagswahlen mit 9,2% nach Jahrzehnten wieder der Einzug in ein deutsches Länderparlament. Es folgte im Jahr 2006 der Einzug in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern mit 7,3%. Einer Partei aus dem selben politischen Spektrum, der 1983 von Franz Schönhuber gegründeten „Republikaner“ (REP) 17, gelang 1989 bei den Abgeordnetenhauswahlen in Berlin-West (7,5%) sowie bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg 1992 (10,9%) und 1996 (9,1%) der Einzug in ein Landesparlament. Zudem erreichten die Republikaner bei der Europawahl 1989 mit einem Ergebnis von 7,1% das bislang beste Ergebnis einer rechtsextremen Partei bei einer bundesweiten Wahl. Die 1987 vom rechtsextremen Verleger Dr. Gerhard Frey, der unter anderem die „Deutsche National- Zeitung“ herausgibt, als Bundespartei gegründete „DVU-Liste D“ ("Deutsche Volksunion - Liste D18)", seit 1991 „DVU“, zog seit ihrer Gründung in die Parlamente von Bremen19 (1987: 3,4%, 1991: 6,2%20, 1999: 3,0%, 2003: 2,3% und 2007: 2,%), 16 Die Bildung einer erstmaligen Koalition von CDU und CSU mit der SPD löste bei Teilen bisheriger Unionswähler Irritationen aus. 17 Die Verfassungsschutzbehörden haben die Partei seit 1992 als rechtsextremistisch eingestuft. Seit 2006 werden einzelne Kräfte, nicht aber die Gesamtpartei, als rechtsextrem eingestuft. 18 (D = Deutschland). 19 Im Wahlsystem Bremens gilt die Besonderheit, dass für den Einzug in die Bremer Bürgerschaft das Überspringen der 5%-Hürde in einer der beiden Städte Bremen und Bremerhaven ausreicht. Dies ist der DVU zum wiederholten Male in Bremenhafen gelungen. - 14 - Schleswig-Holstein (1992: 6,3%), Sachsen-Anhalt (1998: 12,9%) und Brandenburg (1999: 5,3; 2004: 6,1%) ein. Die DVU ist eine - bisher21 - ganz auf ihren Vorsitzenden Frey orientierte, zentralistisch organisierte Partei, deren Strukturen auf Kreis- und Ländebene nur bedingt vorhanden sind. In diesem Zusammenhang schlossen die Parteivorsitzenden von DVU und NPD im Januar 2005 den so genannten „Deutschlandpakt“, nach dem beide Parteien bei Wahlen unter anderem nicht gegeneinander antreten wollen . Bereits im Vorfeld der Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg im Herbst 2004 hatten sich beide Parteien darauf verständigt, bei diesen beiden Wahlen nicht als Konkurrenten aufzutreten. So kandidierten DVU und NPD ausschließlich in Brandenburg bzw. Sachsen. Beiden Parteien gelang dabei jeweils der Einzug in den Landtag, wobei die NPD erstmals überhaupt seit Ende der 1960er Jahre wieder in einem Länderparlament vertreten war (Munzinger Online 2008; Friedrich-Ebert-Stiftung 2007: 25; Klärner; Kohlstrück 2006: 21). 6.2. Schleswig-Holstein Nach 1945 gelang in Schleswig-Holstein bisher zwei rechtsextremen Parteien der Einzug in den Kieler Landtag: Der NPD im Jahre 1967 (5,8 %, vier Mandate) in der sechsten Wahlperiode und der DVU im Jahre 1992 (6,3%, sechs Mandate) in der 13. Wahlperiode - bisher zwei rechtsextremistischen Parteien der Einzug in den Kieler Landtag. Im Jahr 1992 erhielt zudem die Partei „Die Republikaner“ 1,2% der Stimmen, so dass die rechtsextremen Parteien bei dieser Wahl zusammen auf 7,5% der abgegebenen Stimmen kamen. Beide Parteien - NPD und DVU - konnten ihre Wahlerfolge bei der darauf folgenden Wahl nicht wiederholen. Die NPD hatte vor ihrem Wahlerfolg auf Landesebene bei den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein zuvor zum Teil beachtliche Wahlerfolge erzielt. So erhielt sie in Oldenburg (Holstein) 11,2 Prozent und in Timmendorfer Strand 9,5% (Friedrich-Ebert-Stiftung 2007: 22; Bohn 2006: 114; Danker 1995: 103). Die DVU erzielte 1992 ihre größten Erfolge im südlichen Landesteil und dort in den großen Städten, insbesondere in den sozial schwächeren Stadtquartieren. Innerhalb der Wählerschaft war die Zustimmung bei der Gruppe der unter 25-jährigen - vor allem bei jungen Männern - mit 15% am größten (Danker 1995: 104). Die 1992 gewählte Fraktion der DVU, die sechs Mitglieder hatte und damit nach SPD und CDU die drittstärkste Fraktion bildete, löste sich schon zu Beginn der Legislaturperiode - im Mai 1993 – aufgrund von Auseinandersetzungen zwischen der Münchner Parteizentrale und dem größ- 20 In Fraktionsstärke. 21 Auf dem Bundesparteitag der Partei am 11. Januar 2009 wurde Matthias Faust (37 Jahre) zum neuen Bundesvorsitzenden der DVU gewählt. Der bisherige Vorsitzende und Finanzier Gerhard Frey trat nicht mehr zur Wahl an. Faust war unter anderem bis Ende 2006 NPD-Mitglied. Seit Frühjahr 2007 der DVU angehörend, war er im Februar 2008 bei den Hamburger Bürgerschaftswahlen Spitzenkandidat seiner Partei (Scholz 2009). - 15 - ten Teil der DVU-Abgeordneten um den Fraktionsvorsitzenden Ingo Stawitz als Fraktion auf. Der Großteil ihrer - ehemaligen - Abgeordneten trat 1993/94 der nicht im Parlament vertretenen und im Jahr 1991 gegründeten rechtsextremen Partei „Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) bei. Zusammen konnten sie zwischenzeitlich im Kieler Landtag eine Fraktion bilden. Nach der Rückkehr eines Abgeordneten der DLVH zur DVU im Jahr 1995 verlor die Fraktion der DLVH wieder ihren Fraktionsstatus. Bei der anschließenden Landtagswahl 1996 scheiterten sowohl die DVU mit 4,3% sowie die DLVH mit 0,2% an der Fünf-Prozent-Hürde. Die NPD trat bei der Wahl nicht an (Munzinger Online 2008; Friedrich-Ebert-Stiftung 2007: 22; 25; Lepszy/Veen 1994: 87; 90). Bei der letzten Landtagswahl in Schleswig-Holstein im Februar 2005, bei der die DVU wie bei der Wahl im Jahr 2000 nicht antrat, konnte die NPD mit 1,9 Prozent ihr Ergebnis von 2001 (1%) fast verdoppeln. Allerdings hatten im Vorfeld der Landtagswahl viele Wahlforscher der NPD, auch vor dem Hintergrund des spektakulären Wahlerfolges der Partei bei den sächsischen Landtagswahlen im Herbst 2004 mit 9,2%, den Einzug in den Kieler Landtag prognostiziert. Beim Wahlkampfauftakt der NPD war es zuvor zu Gewalttätigkeiten zwischen NPD-Mitgliedern und Gegendemonstranten gekommen. Dies hatte offenbar mögliche Wähler abgeschreckt. Bei den Landtagswahlen 2005 erzielte die NPD in Schleswig-Holstein überdurchschnittliche Ergebnisse in Neumünster (3,1 Prozent), Lübeck-West (2,9 Prozent), Lauenburg-Süd (2,8 Prozent), Lübeck-Ost (2,9 Prozent) und Steinburg-Ost (2,5 Prozent) (Friedrich-Ebert-Stiftung 2007: 23). Bei den letzten drei Bundestagswahlen erreichten die rechtsextremen Parteien NPD (1998: 0,2%; 2002: 0,3%; 2005: 1,0%), DVU (1998: 1,3%; 2002: -; 2005: -) und Republikaner (1998: 0,4%; 2002: 0,1%; 2005: -) in Schleswig-Holstein keine nennenswerten Erfolge (Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein 2005: 6). - 16 - 7. Literaturverzeichnis - Altenbockum, Jasper von (1996). Zehn Tote bei Brand in Asylbewerberheim/ Drei Festnahmen/ Behörden: Ursache noch nicht geklärt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19. Januar 1996. - Backes; Uwe; Eckhard, Jesse (1996). Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn. - Bohn, Robert (2006). 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