Deutscher Bundestag Wie hat die öffentliche Petition die Demokratie verändert? Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 1 – 3000-170/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-170/10 Seite 2 Wie hat die öffentliche Petition die Demokratie verändert? Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 1 – 3000-170/10 Abschluss der Arbeit: 08.09.2010 Fachbereich: WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-170/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Die öffentliche Petition 4 2. Zielsetzung 4 3. Resonanz in der Bevölkerung 5 4. Die öffentliche Petition in der parlamentarischen Demokratie 6 5. Literaturverzeichnis 7 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-170/10 Seite 4 1. Die öffentliche Petition Seit dem 1. September 2005 besteht in Deutschland für die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit , auf der Homepage des Deutschen Bundestages Petitionen von allgemeinem politischen Interesse zu veröffentlichen, diese einzusehen, zu unterstützen und sich in Diskussionsforen hierzu zu äußern. Diese sog. öffentliche Petition wurde zunächst, orientiert am Vorbild des schottischen Parlaments, als zweijähriger Modellversuch gestartet und 2008 in den dauerhaften regulären Betrieb überführt. Am 13. Oktober 2008 wurde das reguläre System freigeschaltet unter https://epetitionen.bundestag.de/. 2. Zielsetzung Die Idee für die Einführung der öffentlichen Petition beim Bundestag entstand anlässlich eines Besuches des Petitionsausschusses beim Schottischen Parlament, das bereits über ein solches System verfügte und damit positive Erfahrungen gesammelt hatte. Ab 2005 lief das Projekt zwei Jahre als Modellversuch in Zusammenarbeit mit der Edinburgher Napier Universität. Genutzt wurde zunächst das dortige Betriebssystem, bevor der Deutsche Bundestag für den regulären Betrieb ein eigenes Betriebssystem entwickelte. Neben der öffentlichen Petition wurde auch die sog. Online-Petition eingeführt. Diese ermöglicht es, per E-Mail Petitionen einzureichen. Im Gegensatz zu den öffentlichen Petitionen werden diese jedoch nicht veröffentlicht, sondern auf traditionellem Wege bearbeitet. Der Ausschuss hat sich außerdem durch Änderung seiner Verfahrensgrundsätze dazu verpflichtet, Petitionen mit mehr als 50.000 Mitzeichnern innerhalb der ersten sechs Wochen nach Veröffentlichung einer Petition in öffentlicher Sitzung zu diskutieren und die Petenten zu hören [vgl. Lindner; Riehm (2009), S. 502 f.]. Ziel war es, die Menschen noch stärker an der politischen Willensbildung zu beteiligen und sie in das parlamentarische Geschehen einzubinden. Indem die Bürgerinnen und Bürger Petitionen nun im Internet veröffentlichen, mitzeichnen und darüber diskutieren können, soll eine größere Transparenz und Publizität des Petitionsverfahrens erreicht und der Mitwirkungsgedanke in den Vordergrund gerückt werden. Jedermann soll die Möglichkeit haben, im Wege der öffentlichen Petition am parlamentarischen Geschehen teilzuhaben und unter Einsatz des Internets demokratische Prozesse zu fördern [vgl. Wissenschaftliche Dienste. Aktueller Begriff. 60 Jahre Petitionsausschuss . Vergangenheit und Gegenwart, Nr. 83/09 (16. Oktober 2009)]. Moderne Kommunikationsmittel wie das Internet sind heute - in Deutschland und in den übrigen entwickelten Ländern, aber auch in den Staaten der sog. Dritten Welt - für die meisten Menschen unverzichtbar geworden und eröffnet Kommunikationswege abseits der bisherigen politischen und gesellschaftlichen Strukturen, deren Potenzial noch nicht ermessen werden kann. Die neuen Kommunikationswege sollen für das Petitionsverfahren genutzt werden. Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages will auf diese Weise vor allem auch Bevölkerungsgruppen ansprechen , die sich bisher nur in geringem Ausmaß mit Petitionen an den Staat gewandt haben. Das Internet macht es leicht möglich, die Öffentlichkeit über Petitionen zu informieren sowie um breite Unterstützung zu werben. Durch elektronische Diskussionsverfahren kann außerdem die Informations- und Argumentationsbasis für die Entscheidung über Petitionen im Ausschuss erweitert werden [vgl. Riehm (2008), 2; Riehm; Coenen; Lindner; Blümel (2009), S 236 f.]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-170/10 Seite 5 3. Resonanz in der Bevölkerung Am 5. September 2005 wurde die erste öffentliche Petition eingereicht. Von September 2005 bis Mai 2008 kam es im Modellversuch zu veröffentlichten Petitionen an den Bundestag. Mitzeichnungen und Diskussionsbeiträge wurden in dieser Zeit registriert. Im Durchschnitt wurde die Webseite monatlich rund Mal aufgerufen. Seit Übernahme des Systems in den regulären Betrieb im Oktober 2008 bis Mai 2010 wurden öffentliche Petitionen beim Bundestag eingereicht. Diese erhielten Mitzeichnungen und Diskussionsbeiträge . Es kam zu durchschnittlich Seitenaufrufen monatlich1. Im Vergleich zur Anzahl der Aufrufe der Webseite zur öffentlichen Petition wurde die Webseite des Bundestages im Jahr 2009 insgesamt Mal aufgerufen. Die durchschnittlichen monatlichen Aufrufe variierten. So kam es im Januar 2009 beispielsweise zu Seitenansichten , im Wahlmonat September 2009 hingegen zu Aufrufen der Bundestagswebseite . In der Zeit von Januar 2010 bis einschließlich Juli 2010 wurden insgesamt Seitenaufrufe registriert. Die meisten Aufrufe der Webseite des Bundestages sind dabei im Monat Mai verzeichnet, mit Seitenansichten2. Besonders erwähnenswerte öffentliche Petitionen sind: - die Petition gegen die Einführung von Wahlcomputern (November 2006) mit rund Mitunterzeichnern , - die Petition, die eine Abgrenzung von Praktika zu Arbeitsverhältnissen (Januar 2007) forderte und die über Mitzeichnungen erreichte, - die Petition gegen die Indizierung und Sperrung von Internetseiten (Juni 2007), mit mehr als Mitzeichnungen - die Petition für ein bedingungsloses Grundeinkommen mit über Mitzeichnungen (Februar 2009), - die Petition zur Überprüfung des Geschäftsgebarens der GEMA auf seine Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz(Juli 2009), die von rund Menschen durch ihre Unterschrift unterstützt wurde sowie - die Petition deutscher Hebammen gegen schlechte Bezahlung und die drastische Erhöhung ihrer Haftpflichtversicherungsprämien (Juni 2010) mit über Unterstützern. 1 2 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-170/10 Seite 6 Die Petition gegen das Verbot von Sportarten wie Paintball oder Gotcha (Januar 2010) zeichneten über Personen, und über Petenten votierten elektronisch für die Abschaffung der Hundesteuer (Juli 2006). Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Veröffentlichung all dieser Petitionen zu teilweise hitzigen Diskussionen des jeweiligen Themas zwischen den Bürgern im Forum führte und damit erheblich zum Bekanntwerden der Themen in der Öffentlichkeit beitrug. Die Zahlen zeigen, dass das System der öffentlichen Petition von der Bevölkerung angenommen wird. Allerdings bleibt die Anzahl der öffentlichen Petitionen hinter der der traditionell eingereichten Petitionen zurück und die meisten öffentlichen Petitionen finden nur wenig Beachtung seitens der Öffentlichkeit. Auf der Webseite des Bundestages findet man überwiegend Petitionen mit weniger als 100 Mitzeichnungen. Jedoch erhält man auch zu diesen Petitionen ein Dokument , welches begründet, warum der Petition zugestimmt oder sie abgelehnt wurde. 4. Die öffentliche Petition in der parlamentarischen Demokratie Die Frage, ob sich die Demokratie durch die Schaffung der öffentlichen Petition verändert hat, ist angesichts der kurzen Frist seit ihrer Einführung nur schwer zu beantworten. Zudem hat sich die politikwissenschaftliche Forschung mit diesem Thema bisher recht spärlich beschäftigt3. Allerdings kann man sagen, dass die öffentliche Petition einen weiteren kleinen Beitrag zu mehr Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger am parlamentarischen Geschehen in Deutschland geleistet hat. Wahlen, Volksentscheide, Bürgerbegehren, traditionelle Petitionen, das Demonstrations- und Streikrecht und nicht zuletzt das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung haben sich als Beteiligungsformen in der Bundesrepublik Deutschland bewährt. Die öffentliche Petition stellt somit eine Ergänzung dieser bereits vorhandenen Möglichkeiten der Beteiligung der Bürger dar. In Zeiten der schnellen Weiterentwicklung der Kommunikationsmittel und -möglichkeiten erscheint diese Ergänzung sinnvoll. Es besteht ein Interesse innerhalb der Bevölkerung daran, dass Petitionen öffentlich über das Internet einsehbar sind. Eine Befragung von Petenten ergab beispielsweise , dass 81 Prozent von ihnen es für wichtig erachten, dass ihr Anliegen in den Medien bekannt wird. 91 % der Befragten fanden die Möglichkeit, Petitionen auf den Internetseiten des Bundestages zu veröffentlichen sehr bzw. eher interessant [vgl. Riehm (2008), S. 4; Lippa; Kubicek; Bröchler (2009), S.75. f.]. Vor allem die Möglichkeit, öffentlich in den Foren ohne Einmischung „der Politik“ die in den Petitionen behandelten Themen diskutieren können, macht die öffentliche Petition für viele Bürger attraktiv. Es besteht jedoch kein Recht auf Zulassung einer öffentlichen Petition und keine Gewähr dafür, dass die Inhalte der Diskussionsbeiträge in den Entscheidungsprozess mit einfließen. Dies bleibt im Ermessen des Ausschusses. Von direkter politischer Beteiligung kann mithin nicht gesprochen werden, so dass die öffentliche Petition insoweit kein Element einer Entwicklung zu einer immer wieder geforderten direkten oder zumindest direkteren Demokratie darstellt. Ob dies die tatsächliche Bedeutung der öffentlichen Petition in den Augen mancher Bürger herabmindern könnte, kann nicht festgestellt werden. Unstreitig dürfte jedoch sein, dass die öffentliche Diskussion einen Beitrag zur Willensbildung des Parlaments leisten kann. 3 Die politikwissenschaftliche Forschung beschäftigt sich zwar mit der öffentlichen Petition. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-170/10 Seite 7 Die Möglichkeit, Petitionen auf der Webseite des Bundestages zu veröffentlichen, hat auch nicht zu einer Zunahme der Gesamtzahl von Petitionen geführt [vgl. Lindner; Riehm (2009), S. 509]. Mit der Einführung des Systems ist es nach Auffassung der zitierten Autoren aber gelungen, jüngere Bevölkerungsgruppen zu erreichen [vgl. Riehm; Trenel (2009), S. 516]. Ältere Personen greifen hingegen weiterhin auf das herkömmliche Petitionssystem zurück, was auch darin liegen mag, dass viele von ihnen mit der modernen Kommunikationstechnologie nicht vertraut sind. Zu bemängeln ist hier, dass ihnen dadurch die Möglichkeit verwehrt wird, ihre Anliegen mit gleicher Wirksamkeit in der Öffentlichkeit zu verbreiten wie die Nutzer der Diskussionsforen im Internet . 2007 lag der Anteil der über 60-jährigen Autoren einer öffentlichen Petition bei 15 Prozent . Bei den traditionellen Petenten machen sie hingegen einen Anteil von 46,2 Prozent aus [vgl. Riehm (2009), S. 4]. Letztendlich hat die öffentliche Petition das Petitionswesen modernisiert und gestärkt, zumal die Entwicklung der Kommunikationstechnologien unaufhaltsam vorangeht und damit auch eine verbesserte Partizipation über die Angebote der sogenannten E-Democracy von immer mehr Bürgerinnen und Bürgern gewünscht werden dürfte. Diesen neuen Technologien darf sich der Deutsche Bundestag nicht verschließen; er sollte aber deutlicher als bisher darauf hinweisen, welche vielfältigen Formen der Teilhabe am demokratischen Prozess bereits jetzt in unserem Grundgesetz garantiert sind und von den demokratischen Institutionen angeboten werden, da eine repräsentative Demokratie Bürgerbeteiligung nicht ausschließt, sondern voraussetzt. Es sollte also deutlich bleiben, dass die Teilhabe über elektronische Kommunikationsmedien eine weitere Möglichkeit der Partizipation darstellt. 5. Literaturverzeichnis Lindner, Ralf; Riehm, Ulrich (2009). Modernisierung des Petitionswesens und der Einsatz neuer Medien. Zeitschrift für Parlamentsfragen (ZParl), Heft 3/2009, S. 495-512. Lippa, Barbara; Kubicek, Herbert; Bröchler, Stephan (2009). Bekanntheit und Ansehen des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages und Nutzung des Petitionsrechts in Deutschland. Gutachten im Rahmen des TA-Projekts „Öffentliche elektronische Petitionen und bürgerschaftliche Teilhabe". Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag. Berlin: http://www.tab-beim-bundestag.de/de/pdf/publikationen/berichte/TAB-Hintergrundpapierhp 017.pdf [Stand: 08.09.2010]. Riehm, Ulrich; Coenen, Christopher; Lindner, Ralf; Blümel, Clemens (2009). Bürgerbeteiligung durch E-Petitionen. Analysen von Kontinuität und Wandel im Petitionswesen. Studie des Büros für Technologiefolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag - 29. Berlin: Edition Sigma. Riehm, Ulrich (2008): Öffentliche elektronische Petitionen beim Deutschen Bundestag. Karlsruhe : ITAS Pre-Print: 08.07.2008; http://www.itas.fzk.de/deu/lit/epp/2008/rieh08-pre01.pdf [Stand: 08.09.2010]. Riehm, Ulrich; Trenel, Mathias (2009). Öffentliche Petitionen beim Deutschen Bundestag. Ergebnisse einer Petentenbefragung. Zeitschrift für Parlamentsfragen (ZParl), Heft 3/2009, S. 512-528. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-170/10 Seite 8 Weitere Literatur Deutscher Bundestag. Jahresbericht des Petitionsausschusses. Ausgabe 2009. Deutscher Bundestag. Jahresbericht des Petitionsausschusses. Ausgabe 2010. http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuessel7/a02/Docs/PetJahresbericht2010.pdf [Stand: 08.09.2010]. Guckelberger, Annette (2008). Neue Erscheinungen des Petitionsrechts: E-Petitionen und öffentliche Petitionen. DÖV 2008, S. 85-94. Schmund, Hillmar (2009). E-Demokratie. Eine kleine Geschichte der Online-Petition. Spiegel- Online am 14.08.2009. http://www.Spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,641904,00.html [Stand: 08.09.2010].