AUSARBEITUNG Thema: Veränderungen in der amerikanischen Gesellschaft und im Regierungsystem der USA als Folge der veränderten internationalen Rolle der USA seit dem Ende des Kalten Krieges Fachbereich XI Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Verfasser/in: Abschluss der Arbeit: 16. Dezember 2005 Reg.-Nr.: WD 1 - 159/05 Ausarbeitungen von Angehörigen der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung des einzelnen Verfassers und der Fachbereichsleitung. Die Ausarbeitungen sind dazu bestimmt, das Mitglied des Deutschen Bundestages, das sie in Auftrag gegeben hat, bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 2 - Inhaltsverzeichnis Seite 1. Einleitung 3 2. Das Verhältnis von Exekutive und Legislative nach der amerikanischen Verfassung 4 2.1. Legislative und Exekutive im historischen Prozess 6 3. Die veränderte Situation nach dem Ende des Kalten Krieges 8 3.1. Von divided government zu gridlock? 9 3.2. Was kommt nach der Containment-Politik? 11 4. Ein neuer Präsident – eine neue Herausforderung – ein neuer Krieg 13 4.1. Vom „tug of war“ zu einer neuen „imperial presidency“? 14 4.2. War on terrorism wird Wirklichkeit 16 5. Vom Rechtsstaat zum Sicherheitsstaat? 17 6. Schlussbemerkung 19 7. Literaturverzeichnis 20 - 3 - 1. Einleitung Als George Bush, der Vater des heutigen amerikanischen Präsidenten, die Präsidentschaft im Januar 1989 von Ronald Reagan übernahm, war der Sieg der Supermacht USA über die Supermacht Sowjetunion schon vorgezeichnet. Nicht aufgrund einer militärischen Auseinandersetzung, die so lange Jahre die Drohkulisse gewesen war, sondern durch die überlegene Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung trug der Westen den Sieg im Kalten Krieg davon. Der Fall der Mauer in Berlin im November 1989, der Zusammenbruch des Ostblocks und die deutsche Vereinigung 1990 waren Etappen auf dem Weg der USA zur einzig übrig bleibenden Weltmacht. Mit dem Untergang der Sowjetunion und des Kommunismus hatten die USA den Feind und das Feindbild schlechthin verloren, damit auch den „Kompass“, der Jahrzehnte lang das Land geleitet hatte. Ähnlich wie Großbritannien nach dem Ende des Empire eine neue Rolle für sich finden beziehungsweise definieren musste, sahen sich auch die USA 1990 vor die Aufgabe der Neudefinition ihrer Rolle in der Welt gestellt.1 Rückwirkungen dieses Prozesses, der auch heute noch nicht abgeschlossen ist, nach innen, auf die Gesellschaft und die politischen Akteure des Landes waren zu erwarten und sind eingetreten. Die Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges bis heute, die nur rund 15 Jahre umfasst, wurde in den Vereinigten Staaten von drei Präsidenten gestaltet, die sich – unter dem Vorzeichen der beschriebenen Herausforderung für die USA - mit jeweils unterschiedlichen Problemkonstellationen auseinanderzusetzen hatten und ihre eigenen Antworten zu finden suchten. George Bush (senior), Präsident von 1989 bis 1993, hatte mit den unmittelbaren Verwerfungen und Umbrüchen der Endphase des Kalten Krieges zu tun, konzentrierte sich vor allem auf die Außenpolitik und folgte innenpolitisch weitgehend der Linie seines Vorgängers Ronald Reagan. Bill Clinton war der erste Präsident, der mit den vollendeten Tatsachen und neuen Konstellationen der Post-Cold-War-Era konfrontiert war. Er schenkte der Innenpolitik besonders in seiner ersten Amtszeit (1993-1997) große Beachtung. Während ihm Kritiker in dieser Phase - fast schon stereotyp - sprunghafte Außenpolitik und mangelnde außenpolitische Führung (v. a. im Vergleich mit seinem Vorgänger) vorwarfen, wählten ihn die US-Amerikaner ein zweites Mal im November 1996.2 Da sich Bill Clinton in seinen innenpolitischen Reformvorhaben zunehmend eingeengt sah, nutzte er schon ab 1994, dann aber verstärkt in seiner 1 Klaus-Dieter Schwarz zitiert in diesem Vergleich Dean Acheson, amerikanischer Außenminister 1949-1953, der gesagt hatte: “Britain had lost an empire, but not yet found a role.“ Schwarz 1998: 9. Ausführlich zur neuen Weltordnung und der Rolle der USA Czempiel/Witzel 1998: 386 ff. 2 Bill Clinton war der erste Präsident im 20. Jahrhundert, der eine Wiederwahl schaffte ohne Mehrheit der eigenen Partei im Kongress. Schwarz 1998: 11. - 4 - zweiten Amtsperiode (1997-2001) den für ihn größeren Spielraum in der Außenpolitik.3 Die Wahl des dritten Präsidenten der Zeit nach dem Kalten Krieg, George W. Bush, im November 2000 kam erfolgreich zustande mit hauchdünner Mehrheit im electoral college gegenüber dem Gegenkandidaten Al Gore, bei einer Stimmenüberlegenheit von über 500.000 Stimmen für Al Gore, und nach einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofes bezüglich der Stimmenauszählung im Bundesstaat Florida. Die Präsidentschaft von George W. Bush, die in der Wahl vom November 2004 vom Wähler eindeutig bestätigt wurde, ist stark geprägt von dem terroristischen Angriff auf das World Trade Center am 11. September 2001 und den sich daraus ergebenden Konsequenzen, darüber hinaus von den neuen außenpolitischen und militärstrategischen Konzepten Bushs und seiner Regierungsmannschaft. Die innen- und außenpolitischen Entscheidungen und Möglichkeiten der Amtsführung dieser drei Präsidenten beruhen, ebenso wie ihrer Vorgänger, auf dem Verhältnis von Exekutive und Legislative, wie es die amerikanische Verfassung regelt. Im ersten Kapitel der Ausarbeitung wird dies dargestellt. In den folgenden Kapiteln wird es darum gehen, wie sich im Rahmen dieser verfassungsmäßigen Vorgaben die jeweiligen politischen Akteure unter Veränderungen, die seit den siebziger Jahren eingesetzt hatten und die schließlich das Ende des Kalten Krieges mit sich brachte, handeln und entscheiden konnten. Eine wissenschaftliche Gesamtdarstellung der Jahre seit Ende des Kalten Krieges, die die Amtszeit aller drei Präsidenten berücksichtigen würde, liegt noch nicht vor. Die vorliegende Ausarbeitung stützt sich v. a. auf eine Fülle von Aufsatzliteratur, die einzelne Themenbereiche oder/und zeitliche Teilabschnitte aufarbeitet. 2. Das Verhältnis von Exekutive und Legislative nach der amerikanischen Verfassung Der amerikanische Präsident ist der Regierungschef, also Chef der Exekutive, und Oberbefehlshaber der Streitkräfte. In Personalunion ist er auch das Staatsoberhaupt des Landes. Er führt die vom Kongress beschlossenen Gesetze aus. Das alleinige Gesetzesinitiativ- und -verabschiedungsrecht hat der Kongress. Alle vom Kongress verabschiedeten Gesetze müssen dem Präsidenten vorgelegt werden, der ihnen zustimmen oder sie durch sein Veto blockieren kann (Artikel 1, Abschnitt 8). Sein Veto kann aber mit Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern, Kongress und Senat, aufgehoben werden. Der Präsident hat das Recht völkerrechtliche Verträge abzuschließen, der Senat muss ihnen aber mit Zweidrittelmehrheit zustimmen. Will er das umgehen, kann er Regierungsabkommen (executive agreements) abschließen. Nicht umgehen kann er aber die Tatsache, dass nur der Kongress Krieg erklären kann und die 3 Ausführlich dazu Czempiel 1996 und Weston 1995. - 5 - dazu notwendigen Mittel bewilligen muss, obwohl er Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist. Dies sind nur die Eckpfeiler eines politischen Systems4, das darauf angelegt ist, in einem austarierten Verhältnis von checks and balances zu garantieren, dass „imperiale“ Bestrebungen des Präsidenten in Innen- und/oder Außenpolitik von vornherein gebremst werden können5, dass aber auch eine straffe Führung in Krisenzeiten möglich ist. In den innenpolitischen Entscheidungen, wie Steuersenkungen oder Gesundheitsreform, braucht der Präsident immer die Zustimmung von Kongress und Senat, die Außenpolitik hingegen stimmt er mit seinen Beratern6 ab. Und auch wenn er dazu gehalten ist, den Senatsausschuss für auswärtige Angelegenheiten zu unterrichten, und auch wenn er den Senat für völkerrechtliche Verträge braucht, so ist der Präsident in der Gestaltung der Außenpolitik doch viel freier als in der Gestaltung der Innenpolitik. In der Außenpolitik gibt der Präsident die Richtung vor. Durch das Budgetrecht des Kongresses (power of the purse) bleibt aber dennoch die Kontrolle der Exekutive gewahrt. Bei den alle vier Jahre stattfindenden Präsidentschaftswahlen finden gleichzeitig Wahlen zum Kongress und für ein Drittel der Sitze zum Senat statt. Präsident und Kongress werden für verschiedene Zeiträume gewählt, für vier beziehungsweise für zwei Jahre, müssen aber dennoch miteinander auskommen. Gehören Präsident und Kongressmehrheit einer Partei an, spricht man von unified government, gehören sie verschiedenen Parteien an, von divided government.7 In der Zeit nach 1945 waren die Beziehungen zwischen Kongress und Präsident häufiger von einem divided government (1945-2005: 36 Jahre) als von einem unified government (1945-2005: 22 Jahre) bestimmt.8 Unabhängig von diesen Machtverhältnissen zwischen Exekutive und Legislative, kann sich der Präsident kaum auf Fraktionsdisziplin verlassen, da sie in der amerikanischen Politik so gut wie keine Rolle spielt. So ist der Präsident intensiv damit befasst, politische Mitstreiter im Kongress zu suchen (coalition building). Das coalition building ist ein zeitaufwendiges, von außen wenig wahrnehmbares, aber zentrales Element der amerikanischen Politikgestaltung: „Die Exekutive tritt im Kongress als 4 Detaillierter dazu Oldopp 2005: 63-74. 5 Der frühere langjährige Kongressabgeordnete Stanley R. Sloan meint, die „founding fathers“ wollten mit dem in der Verfassung niedergelegten demokratischen System dafür Sorge tragen, dass niemals ein König über das amerikanische Volk würde herrschen können. Sloan 2003: 17. 6 Der Secretary of State hat dementsprechend auch nicht dasselbe Gewicht wie etwa der deutsche Außenminister. Dazu Dittgen 1998: 438. 7 Nach der Logik des deutschen parlamentarischen Systems wäre ein divided government ausgeschlossen, es sei denn als Minderheitsregierung. Darauf weist Oldopp (2005: 64) hin. 8 Tabelle dazu bei Oldopp 2005: 66-67. - 6 - Lobbyist auf.“9 Wichtige Elemente sind dabei positive Anreize wie Einladungen ins Weiße Haus oder Unterstützung im Wahlkreis (Androhungen werden als kontraproduktiv abgelehnt) und nicht zuletzt die beiden Verbindungsbüros für Kongress und Senat im Weißen Haus.10 2.1. Legislative und Exekutive im historischen Prozess Der Präsident und der Kongress müssen seit vielen Jahren miteinander auskommen und Lösungen für das Land erarbeiten. Im Rückblick lassen sich folgende Phasen in der amerikanischen Geschichte feststellen: - Bis Ende der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts kann man von Kongressherrschaft (congressional government) sprechen. - Seitdem sieht man eher eine Präsidentenherrschaft (presidential government). - Letztere gipfelte in der so genannten „imperial presidency“11 von Richard Nixon (Präsident 1969 -1974).12 - Seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts brachte der Kongress mit großen Anstrengungen seine Rechte wieder mehr zur Geltung, so dass seitdem von einem Gleichgewicht zwischen Präsident und Kongress gesprochen werden kann.13 Die unter dem Druck des Kalten Krieges in weiten Teilen vertrauensvolle Zusammenarbeit von Kongress und Präsident hatte einen bis heute nachwirkenden Vertrauensbruch erlitten durch den Vietnamkrieg14 und die Watergate-Affäre (1972- 1974), die zum Rücktritt Nixons im August 1974 geführt hatte. Aufgerüttelt von den sich abzeichnenden Gefahren einer sich der Kontrolle des Kongresses entziehenden Präsidentschaft, versuchte der Kongress gegenüber der Exekutive wieder mehr Gewicht zu erlangen. Hier ist der War Powers Act (1973)15 zu nennen, der auf die Ebene der 9 Oldopp: 65. 10 Die Erfolgsquote des Präsidenten misst sich u. a. daran, welche Zustimmung Vorlagen, die der Präsident ausdrücklich unterstützte, gefunden haben. So kam Bill Clinton bei unified government auf 86,4 Prozent, bei divided government auf 48,1 Prozent. George W. Bush kommt bei unified government auf 87 Prozent. Oldopp 2005: 67-68. 11 So zitiert Oldopp Arthur M. Schlesinger, Historiker und enger Mitarbeiter von Präsident John F. Kennedy, (1973) 2005: 71. 12 Diese Kategorisierung bei Oldopp 2005:71. 13 Dittgen 1998: 422. 14 Als Wendepunkt wird neben dem Vietnamkrieg auch das Jahr 1965 angeführt, als Präsident Lyndon B. Johnson (Präsident 1963-1969) den Einsatz amerikanischer Truppen zum Eingriff in den Bürgerkrieg in der Dominikanischen Republik anordnete, ohne zuvor den Kongress auch nur informiert zu haben. Dittgen 1998: 422. 15 Der War Powers Act gestattet es zwar dem Präsidenten, in Kampfhandlungen einzutreten, verpflichtete ihn aber, den Kongress spätestens in 48 Stunden zu informieren. Der Kongress kann dann durch ein Gesetzgebungsverfahren den Präsidenten zwingen, die Kampfhandlungen zu - 7 - Außenpolitik abzielte, ebenso wie der Budget and Impoundment Control Act16 (1974), der den Bereich der Innenpolitik betraf. Auch strukturelle Maßnahmen, die in dieser Zeit ergriffen wurden, sollten die Kontrollmöglichkeiten des Kongresses über die Exekutive verbessern: Hierher gehören u. a. auch die Einsetzung von zusätzlichen Unterausschüssen und neuen Ausschüssen, der Ausbau der wissenschaftlichen Dienste des Kongresses und die Schaffung eines eigenen Fernsehprogramms, um die Öffentlichkeit besser erreichen zu können.17 Der Kongress kann es sich zugute halten, dass „imperiale“ Bestrebungen auf Seiten der Exekutive eingedämmt wurden und das Gewicht der Legislative wieder mehr zur Geltung gelangen konnte.18 Diese Veränderung ist e i n Bestandteil innerhalb eines umfassenderen Prozesses seit den siebziger Jahren, der politische Entscheidungen für alle politischen Akteure komplexer, damit schwieriger und speziell für den Präsidenten auch unberechenbarer machte. Eine stärkere Diffusion und Fragmentierung der Entscheidungsprozesse war das Ergebnis von - der zunehmenden Interdependenz von Außen- und Innenpolitik, - dem Anwachsen der (und insbesondere der außenpolitischen) Bürokratie, - der wieder gewonnenen aktiven Rolle des Kongresses (siehe oben), - dem wachsenden Einfluss von Interessengruppen oder so genannten intermediären Gruppen19 und - den (besonders in den achtziger Jahren) explodierenden Kommunikationsmöglichkeiten.20 beenden. Präsident Nixon versuchte vergeblich durch sein Veto die Verabschiedung des War Powers Act zu verhindern. Weitere Details dazu bei Oldopp 2005: 72, und bei Schweigler 2004: 497-499. Schweigler führt auch Beispiele dafür an, wie der War Powers Act sich auswirkte in außenpolitischen Entscheidungsprozessen. Er betont, dass es vor allem darum ging, ein „zweites Vietnam“ zu verhindern. 16 Mit diesem Gesetz begegnete der Kongress der insbesondere von Richard Nixon exzessiv ausgeübten Praxis, vom Kongress bewilligte Gelder einfach nicht auszugeben (impoundment). Mit dem besagten Gesetz schuf der Kongress Mechanismen, mit denen der Präsident zur Ausgabe bewilligter Mittel gezwungen werden konnte. Der Kongress schuf sich zusätzlich ein eigenes Haushaltsamt (Congressional Budget Office) als Gegengewicht zum präsidialen Office of Management and Budget. Oldopp 2005: 72-73. 17 Mehr dazu bei Schweigler 2004: 496. 18 Hönicke Moore weist darauf hin, wie auch andere Autoren, dass das wieder gewonnene Gewicht der Legislative im Bereich der Außenpolitik auch die in der Verfassung angelegte „invitation for struggle“ (oder auch die Konkurrenz) zwischen Exekutive und Legislative wieder verschärfte. Hönicke Moore 2003: 30 f. 19 Innenpolitisch denke man z. B. an die Lobby der Hersteller von Handfeuerwaffen oder an die Autolobby, außenpolitisch etwa an die Exilkubaner in Florida. 20 Zusammenstellung bei Dittgen 1998: 438-439, beziehungsweise Sloan 2003: 19-20. Dittgen merkt auch die im Kongress nicht vorhandene Fraktionsdisziplin als erschwerend an, was aber kein neues Faktum darstellt. (432). - 8 - Für die außenpolitischen Entscheidungsprozesse sind zusätzlich einige weitere Faktoren zu nennen, die seit den siebziger Jahren zunehmend an Bedeutung gewannen: - die weltweiten Interdependenzen, - das Phänomen der „intermestics“21 („All politics are local.“ – „All local politics are global.“), - die Zunahme der Mitwirkenden bei der Exekutive (Regierungsstellen verschiedenster Art) und bei der Legislative und - die Beteiligung fast aller Ausschüsse an außenpolitischen Themen.22 Alle diese politischen Entwicklungen setzten sich nach dem Ende des Kalten Krieges weiter fort oder verschärften sich in einigen Bereichen noch, da das einende Band eines gemeinsam zu bewältigenden Konfliktes entfiel.23 3. Die veränderte Situation nach dem Ende des Kalten Krieges Mit einer Mischung aus Beherztheit und Zurückhaltung hatte George Bush die Vereinigten Staaten durch die letzte Phase des Kalten Krieges geführt, was ihm weltweite Anerkennung einbrachte, aber keine Wiederwahl im November 1992. Den Sieg trug Bill Clinton davon, der die Innenpolitik und die Wirtschaft („It’s the economy!“) zu den wichtigsten Themen des Wahlkampfes gemacht hatte. Dieses Wahlergebnis 1992 zeigte deutlich, dass sich die amerikanischen Bürger jetzt mehrheitlich von der Weltpolitik ab- und den internen Belangen zuwandten.24 Nach vier Jahrzehnten außenpolitischer Auseinandersetzung mit der Sowjetunion stand es nun an, die drängenden Probleme wie Haushaltsdefizit, Verbrechensbekämpfung, Drogenhandel oder Gesundheitsreform anzugehen.25 Bill Clinton wurde gewählt, weil er versprochen 21 Darunter versteht man einerseits allgemein die Verflechtung von innen- und außenpolitischen Themen, andererseits – und darum geht es hier – die Tatsache, dass vom Präsidenten als außenpolitisch definierte Themen von Senatoren oder Kongressabgeordneten unter innenpolitischem Blickwinkel gesehen werden: „All politics are local“ – „All local politics are global“. Sloan 2003: 19-20. Hönicke Moore beschreibt dieses Phänomen ebenfalls und zitiert Ralph Carter folgendermaßen: „Presidents will call them foreign policy issues, but members of Congress will react to them based on their domestic consequences.“ Hönicke Moore 2003: 37. 22 Zusammenstellung bei Sloan 2003: 19-20. 23 Ob die Bedrohung der USA durch internationalen Terrorismus die einende Wirkung wie der Kalte Krieg erlangen wird, wird in der wissenschaftlichen Literatur als noch offen angesehen. Dazu z. B. Sloan 2003: 22. 24 Ob die Haltung der amerikanischen Bürger in dieser Situation als „Apathie“ bezeichnet werden kann, wie Hönicke Moore das tut, ist allerdings fraglich. Hönicke Moore 2003: 29. 25 Czempiel bezeichnet die anstehenden innenpolitischen Probleme als „Schäden, die der Konflikt [i. e. der Kalte Krieg] auch in den USA hinterlassen hatte.“ Czempiel 1996: 25. In diesem Zusammenhang wird auch der Begriff des „imperial overstrech“ verwendet, der die USA während der Jahre des Kalten Krieges überfordert hatte und der schon 1973 von Arthur M. Schlesinger geprägt worden war. Dazu z. B. Schwarz 1998: 20. - 9 - hatte, sich dieser Dinge anzunehmen, was er auch nach Amtsantritt im Januar 1993 ohne Zögern in Angriff nahm.26 Die Tatsache, dass die Innenpolitik in den USA mehr in den Vordergrund getreten war und die Außenpolitik in den Hintergrund drängte, machte es allen am politischen Prozess Beteiligten nicht gerade leichter, eine Antwort auf die Frage zu finden, wie die neue Rolle der USA als einziger Weltmacht auszusehen habe. Dazu gehört als Kernfrage, wie die nationalen Interessen der USA in der Welt zu definieren wären.27 Wir haben es hier mit zwei miteinander zusammenhängenden Fragen zu tun, zu der bis heute in der amerikanischen Gesellschaft kein Konsens hergestellt werden konnte.28 Auf die Konzepte der amerikanischen Außenpolitik und die jeweiligen außenpolitischen Ansätze und Realisierungen der Präsidenten Bill Clinton und George W. Bush (seit 2001) näher einzugehen, ist im Rahmen des vorliegenden Ausarbeitung nicht möglich. Es sei an dieser Stelle auf einen Info-Brief der Wissenschaftlichen Dienste hingewiesen, der dies erarbeitet hat und in der Anlage mitgeschickt wird.29 3.1. Von divided government zu gridlock30? Bill Clintons innenpolitische Agenda geriet mit den midterm-Wahlen 199431, in der die Republikaner den Sieg davon trugen, völlig ins Stocken. Diese Konstellation, in der Bill Clinton sogar beide Häuser gegen sich hatte (divided government) und das bis zum Ende seiner zweiten Präsidentschaft (2001), verurteilte viele innenpolitische Projekte zum Scheitern.32 Hatte sich schon seit den siebziger Jahren der Kongress mehr und mehr Handlungsfähigkeit zurückerobert33, so zeigte der 104. Kongress, mit republikanischer Mehrheit und Newt Gingrich als Parlamentspräsident, eine gesetzgeberisch aktive und entschlossene Haltung wie nie zuvor. Gingrich legte ein Zehn-Punkte-Programm vor („Vertrag mit Amerika“), ähnlich einem Regierungsprogramm und setzte sich im „Präsidialstil“34 eine Hundert-Tage-Frist. Hier erlebten die US-Bürger erstmals den 26 Zu Bill Clintons Innenpolitik im Detail Thunert 1995 und 1996. 27 Dazu Weston 1995: 18 f. 28 Sloan 2003: 22. 29 Winter, Thomas von (2004), Multilateralismus und Unilateralismus in der Außenpolitik der USA. (WF II – 117/04) 30 Mit gridlock ist eine Pattsituation oder sogar eine gegenseitige Blockade von Legislative und Exekutive gemeint. 31 Diese Wahl wird auch deshalb „historisch“ genannt, weil sie die seit 1954 anhaltende Kontrolle des Kongresses durch die Demokratische Partei beendete. Thunert 1995: 10. Ursachen des Wahlsieges waren u. a. die sehr niedrige Wahlbeteiligung mit 38,5 Prozent und ein gewisser Ansehensverlust Bill Clintons (Whitewater-Affäre), aber v. a. Einstellungsveränderungen und Wählerverschiebungen in der Mitte der amerikanischen Gesellschaft. Den Republikanern gelang erstmals die elektorale Eroberung der Südstaaten. Thunert ebendort. 32 Ein bekanntes Beispiel ist die Reform des Gesundheitswesens, die Clinton nicht verwirklichen konnte. 33 Wie oben beschrieben (S. 7). 34 Thunert 1996: 18. - 10 - scharfen Antagonismus von Exekutive und Legislative der Post-Cold-War-Era, in der kein großes gemeinsames Anlegen mehr, wie früher die Eindämmung des Kommunismus, die unterschiedlichen Interessen hätte zusammenhalten können. Auch in den außenpolitischen Entscheidungen waren die Beziehungen zwischen Präsident und Kongress von Konfrontation gekennzeichnet. Die Opposition des Kongresses gegenüber außenpolitischen Initiativen des Präsidenten nahm im Laufe der neunziger Jahre sogar zu.35 Präsident Clinton strebte unter dem Motto „Kontinuität nach außen und Wandel im Innern“36 einen liberalen Internationalismus an, der kostenbewusst und daher selektiv (nicht global), aber auch multilateral (nicht unilateral) die internationale Führungsrolle der USA weiterverfolgen sollte („Engagement“). Verbreitung von Demokratie, Menschenrechten und marktwirtschaftlicher Ordnung („Enlargement37“) gehörte ebenso zu Clintons Zielen wie die Betonung der Außenwirtschaftspolitik, mit der er die Ökonomisierung der Außenpolitik einleitete. Der von den Republikanern dominierte Kongress hingegen verfolgte einen Kurs, der auf strategische Unabhängigkeit der USA zielte, was verstärkte Rüstungsanstrengungen und weitgehenden Verzicht auf multilaterale Engagements bedeutete: Im Kongress standen die Zeichen auf Unilateralismus.38 Im Kosovokrieg (1999) sprach sich der Kongress mit nur einer Stimme Mehrheit für die amerikanische Beteiligung an einer NATO peacekeeping force im Kosovo aus und brach erstmals das Tabu, das über alle Parteigrenzen hinweg gegolten hatte, nämlich dass der Kongress sich hinter den Präsidenten stellt, wenn dieser sich erst einmal für die Entsendung amerikanischer Truppen entschieden hat. Im Gegensatz zu dieser früheren Maxime sprach der republikanische Mehrheitsführer Tom DeLay von „Clinton’s War“ und der Kongress lehnte auch nach Beginn der Kampfhandlungen in drei Abstimmungen eine Kriegserklärung gegenüber Jugoslawien ab. Im ebenfalls ablehnenden Senat wurde mahnend daran erinnert, dass der Kongress 1964 mit der ‚Tonkin-Gulf-Resolution’ Präsident Johnson den Freibrief für die Eskalation des 35 So lehnte der Kongress beispielsweise Zahlungen an die Vereinten Nationen und den Internationalen Währungsfonds ab, nahm tiefe finanzielle Einschnitte bei den Budgets von außenpolitischen Programmen und Auslandsinstituten vor. Die Legislative verhinderte Regierungsinitiativen gegenüber Nordkorea und war oft anderer Meinung als die Regierung, wenn es um die friedenserhaltenden Missionen der Vereinten Nationen ging. So Sloan 2003: 21. Besonders schwer machte es der Kongress dem Präsidenten 1994/95 während des Bürgerkrieges in Bosnien- Herzegowina: Er verbot Clinton Soldaten nach Bosnien-Herzegowina zu entsenden und warf ihm gleichzeitig angesichts des Bürgerkrieges und der Massaker Tatenlosigkeit vor. Czempiel 1996: 27. 36 Zitiert bei Weston 1995: 14. 37 Das zentrale Regierungspapier dazu erschien im Juli 1994 unter dem Titel „A National Security Strategy of Engagement and Enlargement“, das aber nicht zu einer ‚Clinton-Doktrin’ wurde. Schwarz 1998: 21 ff. Das Dokument ist im Internet zu finden in der Fassung vom Februar 1996 unter: http://www.fas.org/spp/military/docops/national/1996stra.htm (Stand: 28.11.2005) 38 Ausführlich dazu Wilzewski 2000: 50-61. Hönicke Moore hält dem Kongress für diese Jahre auch Isolationismus (neo-isolationisme) und totale Blockierung (obstractionisme) vor. Hönicke Moore 2003: 29. - 11 - Vietnamkrieges gegeben hatte.39 Dies ist sowohl ein Beispiel für das seit dem Vietnamkrieg zwischen Legislative und Exekutive noch nach über 30 Jahren herrschende Misstrauen (siehe dazu weiter oben, S. 6), als auch eine Bestätigung der neuen Stärke der Legislative gegenüber dem Präsidenten. Dem Kongress gelang es in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre immer wieder, „dem Präsidenten das Heft des aus der Hand zu nehmen“40 oder ihn zumindest stark einzuengen, wenn auch von einer regelrechten Blockade(politik) (gridlock) nicht gesprochen werden kann. So bekam Präsident Clinton als erster amerikanischer Präsident zu spüren, dass das Ende des Kalten Krieges, neben vielen anderen Auswirkungen, eine deutliche Schwächung der Exekutive zur Folge hatte. Verschärft wurde in seinem Fall die Situation noch durch divided government während sechs Jahren von insgesamt acht Jahren Präsidentschaft. 3.2. Was kommt nach der Containment-Politik? Die Politik des containment, der Eindämmung des Kommunismus, seit 1947 hatte nicht nur das Grundmuster für die außenpolitische Strategie und einen gewissen Zwang zur Verständigung der wesentlichen Akteure bewirkt, sondern auch die nationale Identität der amerikanischen Gesellschaft gestärkt. Die Weltführungsrolle der USA als Gegenpart zur Sowjetunion hatte breiteste gesellschaftliche Zustimmung gefunden, da nationale Sicherheit und gleichzeitig amerikanische Wertvorstellungen von der sowjetischen Weltmacht bedroht schienen. So konnten auf amerikanischer Seite machtpolitisches Interesse und idealistischer Impuls zusammenfallen.41 Alles dies ist mit dem Ende des Kalten Krieges für die USA verschwunden, viele Handlungszwänge entfallen und zentrifugale Kräfte wirken an vielen Stellen in Politik und Gesellschaft.42 Die amerikanische Öffentlichkeit hat sich in einer Umfrage von 1992 für folgende Prioritäten ausgesprochen: - „America first“, d. h. die USA sollen sich erst um ihre eigenen Probleme kümmern anstatt um die anderer Länder, gleichzeitig aber auch für - „America Number One“, d. h. ein Engagement der USA als Führungsmacht der (demokratischen) Welt.43 39 Wilzewski 2000: 59. 40 Wilzewski 2000: 58. 41 Rudolf/Wilzewski 2000: 10-11. 42 So ist es nicht erstaunlich, dass es auch nostalgische Überlegungen gibt zu den „guten alten Zeiten“ des Kalten Krieges. So Hönicke Moore 2003: 29. 43 Schwarz 1998: 10. Die Amerikaner sprachen sich bei dieser Umfrage mit nur minimalem Unterschied für diese beiden Ziele aus. Auch in einer Umfrage des Chicago Council on Foreign Relations von 1995 bejahten 65 Prozent der befragten Amerikaner eine aktive weltpolitische Rolle des Landes. Weston 1996: 20. - 12 - Aber von diesem Bekenntnis ist es offenbar noch ein weiter Weg bis zu einer weitgehend anerkannten Strategie amerikanischer Weltpolitik („Grand Strategy“), wie die Clinton-Jahre mit den Auseinandersetzungen um Unilateralismus und Multilateralismus, um die Rolle von internationalen Organisationen oder die Höhe des materiellen und ideellen Einsatzes für internationale Konflikte zeigten. So wie die bipolare Welt nach 1990 zu einer multipolaren Welt wurde, so lassen sich auch in der amerikanischen Gesellschaft und Politik Veränderungen in Richtung einer Fragmentierung beobachten, die das Finden einer neuen weltpolitischen Rolle auf der Basis eines breiten gesellschaftlichen Konsenses eher erschweren. Erwähnt wurden schon (siehe S. 7 und 8): - das Anwachsen der (außenpolitischen) Bürokratie durch die Vermehrung von Regierungsstellen, - die so genannten „intermestics“, - die explodierenden Kommunikationsmöglichkeiten (Internet), - die Vermehrung der Ausschüsse, die sich mit Außenpolitik befassen, - der wachsende Einfluss von Interessengruppen oder so genannten intermediären Gruppen auf die Politik. Diese Zusammenstellung kann ergänzt werden durch folgende Beobachtungen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben): - Kongress und Senat haben sich (seit 1994) deutlich verjüngt, und die jüngeren Mitglieder sind nicht mehr vom Kalten Krieg geprägt und insgesamt an Außenpolitik weniger interessiert. - Im Kongress sind die Meinungen auch innerhalb der Parteien mehr aufgesplittet und die extremen Flügel beider Parteien haben mehr Einfluss gewonnen. - Mit eher niedrigen Wahlbeteiligungen wird jeder einzelne Wähler mit seinen Anliegen wichtiger und so dringen immer mehr Spezialinteressen in die Wahlkampagnen und die Politik ein.44 Zudem gibt es kritische Töne bezüglich der politischen Kultur in Exekutive und Legislative, vor allem was den Umgang miteinander betrifft. Da ist die Rede von Arroganz der Regierung45, auch von mangelnder oder misslungener Kommunikation46 zwischen Exekutive und Legislative. Dem Kongress wird aus den eigenen Reihen Ängstlichkeit vorgehalten und mangelnde Bereitschaft, Verantwortung für politische 44 Diese Punkte nach Sloan 2003: 24-25. 45 Hönicke Moore 2003: 34. 46 Hönicke Moore 2003: 34, beziehungsweise Sloan 2003: 26. - 13 - Entscheidungen zu übernehmen. Man überließe im Kongress bei schwierigen Fragen, wie z. B. bei Militärinterventionen, lieber dem Präsidenten die Verantwortung. Auch neige der Kongress zu einfachen, aber tatsächlich uneffektiven Lösungen wie Sanktionen. Es gäbe eine Mischung aus sich Aufspielen und Ablehnung von Verantwortung, die auf eine „Führung auf billige Weise“ (leadership on the cheap) hinauslaufe.47 Am Ende des Jahrtausends und 10 Jahren nach Ende des Kalten Krieges fanden sich die Vereinigten Staaten zwar als Sieger der jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit der Sowjetunion wieder, gleichzeitig aber konfrontiert mit der Frage nach der eigenen Führungsrolle in einer multipolaren Welt. Legislative und Exekutive der USA standen sich im Jahr 2000 in harter Konfrontation gegenüber wie lange nicht mehr, angesichts einer amerikanischen Gesellschaft, die sich durch die nach Ende des Kalten Krieges entfesselten zentrifugalen Kräfte in Politik und Gesellschaft in vielerlei Hinsicht verändert hatte. 4. Ein neuer Präsident – eine neue Herausforderung – ein neuer Krieg Die Wahl von George W. Bush im November 2000 zeigte eine gespaltene amerikanische Gesellschaft48: Der Wahlausgang war denkbar knapp mit 48,38 Prozent für Al Gore und 47,87 Prozent für George W. Bush, bei einer hauchdünnen Mehrheit im electoral college für Bush. Erst als der Oberste Gerichtshof den Streit um den Wahlausgang in Florida beendet hatte, konnte Bush Präsident werden. Dieser holprige Beginn für den neuen Präsidenten wurde zusätzlich erschwert durch für ihn sehr knappe Verhältnisse auf legislativer Seite: Im Kongress verfügte die Republikanische Partei über drei Stimmen mehr als die einfache Mehrheit (von insgesamt 435 Abgeordneten), im Senat standen sich 50 Senatoren von jeder Partei gegenüber. Der Präsident hatte weder ein eindeutiges politisches Mandat noch Gestaltungsspielraum. Diese Situation verschärfte sich für Bush noch, als wenige Monate nach der Wahl ein republikanischer Senator aus der Partei austrat, und sich der neue Präsident in der Konstellation des divided government wiederfand wie sein Amtsvorgänger.49 47 So zitiert Hönicke Moore den ehemaligen (1965-1999) demokratischen Kongressabgeordneten Lee Hamilton. Hönicke Moore 2003: 34-35. 48 Das betont auch Schweigler im Rahmen seiner Analyse der Wechselwirkungen zwischen Innen- und Außenpolitik: Obwohl Al Gore und Bush derselben „Fraktion“ der Vertreter von ‚America Number One’ angehörten, also der Anhänger einer Weltführungsrolle der USA, habe sich die Gesellschaft der USA entlang anderer Kriterien in extremer Weise gespalten. Schweigler 2003: 65. 49 Dazu Wilzewski 2004: 24 - 14 - 4.1. Vom „tug of war“ zu einer neuen „imperial presidency“? In dieser Lage des divided government sah sich George W. Bush mit dem aus der Clinton-Zeit wohl bekannten Tauziehen (tug-of-war) zwischen Legislative und Exekutive konfrontiert. Bush hatte unmittelbar nach Regierungsantritt begonnen, die Ziele seiner neokonservativen Berater, wie z. B. des 1997 gegründeten neokonservativen Think Tanks „Projekt eines neuen amerikanischen Jahrhunderts“ (Project for a New American Century) (PNAC), in Angriff zu nehmen. Sie liefen darauf hinaus, die weltweite amerikanische Führung zu stützen und zu fördern („promote global American leadership“)50 unter der Leitidee des Unilateralismus. Die politischen Pläne des PNAC kamen in den Rang eines Regierungsprogramms. Die ersten außenpolitischen Maßnahmen der Bush-Regierung riefen den scharfen Widerspruch des demokratischen majority leaders im Senat, Tom Daschle, hervor. Besonders im Fokus der Kritik des Senators stand dabei die Distanzierung der Bush-Administration von sechs internationalen Abkommen51 in einem Alleingang der Exekutive. Daschle betonte, dass derartige Grundsatzentscheidungen nur gemeinsam von Exekutive und Legislative getroffen werden könnten.52 Bevor die Konfrontation zwischen Präsident und Kongress beziehungsweise Senat sich ausdehnen oder verhärten konnte, brachte der terroristische Angriff auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001 eine vollkommene Wende des Verhältnisses zwischen Exekutive und Legislative. Dieser Anschlag löste in der amerikanischen Bevölkerung das tiefe Gefühl der Schutzlosigkeit und Verwundbarkeit aus53, ebenso wie ein enormes Sicherheits-, Schutz- und Handlungsbedürfnis. Die amerikanischen Bürger, sonst eher distanziert gegenüber ihrer Regierung54, nahmen diese jetzt deutlich positiver wahr, vermutlich mit einem Vertrauensvorschuss unmittelbar nach den Anschlägen und in der Erwartung, dass diese Regierung sie schützen werde.55 50 Weiteres zum PNAC und der Ideenwelt der Neokonservativen siehe beiliegende Ausarbeitung: Ströbel, Birgit (2005). Die Neokonservativen in den USA. (WD 1-134/04). Besonders S. 21-22. Außerdem Czempiel 2004: 16. 51 Es handelte sich dabei um das Kyoto-Protokoll zur Verringerung der Treibhausgasemissionen, den nuklearen Teststoppvertrag, die Biowaffenkonvention, den ABM-Raketenabwehrvertrag, die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs und die weltweite Ächtung von Antipersonenminen. Zusammenstellung bei Wilzewski 2004: 24, Anm. 4. Czempiel weist darauf hin, dass die Welt nur 8 Monate nach Bushs Regierungsantritt unruhiger geworden war (durch z. B. Kurswechsel im Nahen Osten, Behinderung der „Sonnenscheinpolitik“ des südkoreanischen Präsidenten Kim Dae-Jung, Schüren des Konfliktes zwischen China und Taiwan). Czempiel 2004: 16. 52 Wilzewski 2004: 24-25. 53 Die Anschläge wurden wohl von einem Teil der amerikanischen Bevölkerung auch als kriegerische Akte verstanden. Nach dieser Vorstellung befanden sich die USA dadurch im Kriegszustand. So Braml 2004: 6 54 Seit den sechziger Jahren sprach man von einem „confidence gap“ in der amerikanischen Bevölkerung, das jetzt erstmals mit einer Vertrauensmarke von 60 Prozent durchbrochen wurde. Braml 2004: 7-8. 55 Weitere Umfragewerte zum Vertrauen in die Regierung bei Braml 2004: 7-9, und Vorländer 2004: 289. - 15 - Der Effekt des patriotischen „rally around the flag“ rückte den Präsidenten, der auch Oberster Befehlshaber ist, in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und brachte so außer dem erwähnten Vertrauensvorschuss auch einen immensen Machtgewinn für Präsident und Exekutive mit sich. Das gab der Bush-Administration die Möglichkeit, den Führungsanspruch des Präsidenten neu zu bestimmen, mit anderen Worten: die politischen Gewichte wieder zugunsten der Exekutive zu verschieben. Vizepräsident Dick Cheney beklagte, um diesen Anspruch zu untermauern, die seiner Meinung nach vorhandene Schwäche des Präsidenten aufgrund der „unklugen Kompromisse“ seit 35 Jahren: „We are weaker today as an institution because of the unwise compromisses that have been made over the last 30 to 35 years.“56 Er stellte damit den Erfolg der Legislative, seit den siebziger Jahren wieder ein größeres Gleichgewicht zwischen Exekutive und Legislative erreicht zu haben, in Frage und brachte indirekt den Wunsch nach mehr Handlungsfreiheit für den Präsidenten zum Ausdruck. Unmittelbar wirkte das „eherne Gesetz“ des Schulterschlusses zwischen Kongress und Präsident in Zeiten von großer nationaler Bedrohung: Der Kongress stellte sich ohne Wenn und Aber hinter Präsident Bush und verabschiedete innerhalb von 72 Stunden nach dem Terrorangriff die „Joint Resolution“, mit der der Präsident zu Vergeltungsschlägen gegen die für die Terrorakte Verantwortlichen autorisiert wurde. Der Kongress betonte die außergewöhnliche Bedrohung der nationalen Sicherheit durch die Ereignisse des 11. September und genehmigte alle erforderlichen Mittel gegen jene „Staaten, Organisationen oder Personen“, die an der Planung und Durchführung der terroristischen Angriffe beteiligt waren. Der Kongress verwehrte dem Präsidenten aber weitergehende Wünsche, die darauf abzielten „to deter and preempt any future acts of terrorism or aggression against the United States“. Und der Kongress war nicht dazu bereit die Bestimmungen des War Power Act außer Kraft zu setzen, der in den siebziger Jahren hart erkämpft worden war (siehe dazu weiter oben, S. 6-7). Es lässt sich hieraus eine gewisse Sorge oder auch Misstrauen des Kongresses ablesen, dahin gehend dass der Präsident Militäreinsätze ohne klar umrissene Ziele wagen könnte.57 Dass das Gleichgewicht zwischen Exekutive und Legislative sich schon in wenigen Monaten zugunsten der Administration verschoben hatte, zeigt die Bilanz der durchgesetzten Gesetzesvorlagen des Präsidenten: Im Jahr 2001 konnte George W. Bush 71 Prozent der Gesetzesvorlagen, die er vorgeschlagen hatte, erfolgreich durchsetzen, seinem Vorgänger Clinton war das im Jahr 2000 nur mit 46 Prozent möglich gewesen. Ein weiterer Beweis für den Machtzuwachs des Präsidenten war im Oktober 2002 die Verabschiedung der Ermächtigungsresolution zum Einsatz 56 Zitat vom Januar 2002 bei Wilzewski 2004: 25. Wilzewski sieht hier schon „nostalgische“ Anklänge an die „imperiale Präsidentschaft“ unter Präsident Nixon. 57 Wilzewski 2004: 29. - 16 - militärischer Gewalt gegen den Irak in beiden Häusern der Legislative mit großer Mehrheit. Kritische Stimmen58, die es auch dazu gab, fanden wenig Resonanz. Auch die midterm-Wahlen im November 2002 bestätigten Bushs Kurs: Die Republikaner konnten im Kongress ihre Mehrheit ausbauen und im Senat wieder ihre stärkste Kraft werden.59 Die Situation des unified government stärkte von jetzt an die Position des Präsidenten ganz erheblich. 4.2. War on terrorism wird Wirklichkeit Mit dem Beginn des Irakkrieges im März 2003 machte die Bush-Administration klar, dass die Strategie der Präemption, dargelegt in der Sicherheitsstrategie (NSS 2002) vom September 200260, nicht nur auf dem Papier steht, sondern auch angewandt wird. Dieser Strategiewechsel von der Abschreckung, die fünf Jahrzehnte im Zentrum der amerikanischen Außenpolitik gestanden hatte, zur Präemption war von Bush in mehreren Reden im Jahr 2002 den amerikanischen Bürgern nahe gebracht worden, noch bevor das Strategiepapier erschienen war. In diesen Reden hatte er die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus mit einer „Achse des Bösen“ in Verbindung gebracht, nämlich den Staaten Iran, Irak und Nordkorea, denen er Unterstützung des internationalen Terrorismus vorwarf. Diktatoren, die in Besitz von Massenvernichtungswaffen seien, müssten bevor sie Unheil anrichten könnten – präemptiv – ausgeschaltet werden, so Bush am 1. Juni 2002 in West Point.61 Es war nur noch der Schritt notwendig, der Regierung des Irak den Besitz von Massenvernichtungswaffen zuzuschreiben und eine Verbindung zum Terrornetzwerk Al-Qaida zu unterstellen, um die aus Sicht der Regierung notwendigen Argumente für den Irakkrieg zu haben. Die Ermächtigung zu militärischem Einsatz gegen den Irak durch beide Häuser im Oktober 2002 (siehe oben, S. 15) fiel zeitlich fast punktgenau zusammen mit der Fertigstellung der neuen Sicherheitsdoktrin NSS 2002, auch Bush- Doktrin genannt.62 58 So äußerte der langjährige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Lee Hamilton, dazu: „Congress is really handling over to the president not just the question of how you conduct the war, but the authority wether to go or not to go to war.“ Der Demokrat Robert C. Byrd zog Parallelen zur Tonkin-Gulf-Resolution von 1964, mit der Präsident Johnson den Freibrief für die Eskalation des Vietnamkrieges erhalten hatte. Wilzewski 2004: 30. 59 Ausführlich zu dieser Wahl und welche Rolle die terroristische Bedrohung der USA dabei spielte: Braml 2002: besonders S. 2-3 60 Im Internet abrufbar unter: http://www.whitehouse.gov/nsc/nss.pdf (Stand vom 14.12.2005). Hier heißt es auf S. 15: „To forestall or prevent such hostile acts by our adverseries, the United States will, if necessary, act preemptively.“ 61 Zitat bei Wilzewski 2004: 26. 62 Nach Wilzewski war der Sturz von Saddam Hussein für einflussreiche Mitglieder der Bush- Administration wie Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz, Richard Armitage oder John Bolton schon lange vor dem 11. September 2001 ein erklärtes politisches Ziel. Wilzewski 2004: 27. Czempiel zeigt im Zusammenhang mit militärstrategischen und geopolitischen Überlegungen auf, dass die im Zusammenhang mit dem Afghanistankrieg von den USA abgeschlossenen Abkommen mit Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisien das amerikanische Glacis bis nach Zentralasien erweiterte. - 17 - Die amerikanische Bevölkerung reagierte auf den 11. September hinsichtlich der außenpolitischen Präferenzen mit einem „neuen Internationalismus“, d. h. einer großen Zustimmung zu einer internationalen Rolle der USA. Im November 2001 vertraten 81 Prozent der Befragten die Ansicht, die USA sollten aktiv in internationale Angelegenheiten eingreifen. Dabei zeigten sowohl die Umfragen des „Program on International Policy Attitudes“ (PIPA) der Universität von Maryland als auch diejenigen des „Chicago Council on Foreign Relations“ (CCFR) und des „Pew Research Center for the People and the Press“ (PEW) eine Präferenz für multilaterale Strategien zur Bekämpfung des Terrorismus. Im Sommer 2002 ergaben Befragungen des CCFR eine Zustimmung zu gemeinsamem Handeln der USA mit anderen Staaten bei internationalen Problemen von 71 Prozent und eine Ablehnung eines amerikanischen Alleingangs von 61 Prozent. Auch nach dem 11. September wurde dem „team effort“ der Vorzug gegeben gegenüber dem „go-it-alone at all costs“.63 Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass die amerikanische Öffentlichkeit auf Bushs Irakpolitik gespalten reagierte und nach einem kurzzeitigen Ansteigen der Zustimmung auf 77 Prozent kurz nach Kriegsbeginn der „Rally-Effekt“ schnell verblasste: Im Juli 2004 lag die Zustimmung zum Irakkrieg nur noch bei 42 Prozent64 und nach neuesten Umfragen von Associated Press65 unterstützen nur noch 37 Prozent der Amerikaner die Irakpolitik des Präsidenten.66 Die Exekutive unter Präsident George W. Bush hat durch die Ereignisse des 11. September 2001 einen Zuwachs an Macht gewonnen und diesen genutzt für die neokonservativen Ziele der Bush-Doktrin, es aber nicht geschafft, in der amerikanischen Bevölkerung einen mehrheitlichen Konsens für diese außenpolitische Strategie und ihre Umsetzung im Irak herzustellen. Die Gesellschaft bleibt gespalten. 5. Vom Rechtsstaat zum Sicherheitsstaat?67 Fast zeitgleich mit der Joint Resolution verabschiedete der Kongress auf Vorlage der Exekutive hin am 26. Oktober 2001 den USA Patriot Act zur Verbesserung der Terrorismusabwehr nach innen, der den Behörden erheblich erweiterte Nach dem Ende des Irakkrieges erstrecke sich nun die durch Abkommen und Truppen gesicherte Einflusszone der USA 2004 bis an die Grenzen Indiens und Chinas. Czempiel 2004: 20. 63 Wilzewski betont, dass hinter dieser Haltung nicht unbedingt ein idealistischer Impuls stand, sondern das rationale Kalkül der Lastenteilung, es ging also auch darum, die eigenen Kosten zu begrenzen. Wilzewski 2004: 28. 64 Wilzewski 2004: 28-29. 65 Umfrage Associated Press Anfang November 2005, wiedergegeben in Spiegel Online vom 30. November 2005 (Irak – Bush sieht verbesserte Sicherheitssituation). 66 Beigetragen zu dieser Entwicklung hat sicher die sich auftuende Glaubwürdigkeitslücke für den Präsidenten, als die unabhängige Kommission zur Untersuchung der Geheimdienstpannen im Vorfeld des Irakkrieges offen legte, dass bei den Kriegsgründen die Wahrheit zugunsten von Manipulationen zu kurz kam. 67 Formulierung nach Braml 2004. - 18 - Überwachungsrechte einräumt.68 Es geht in den Bestimmungen um ganz unterschiedliche Regelungen, wie z. B. um den Status von gefangenen Taliban- Kämpfern, um die Einrichtung von Militärtribunalen, die Festnahme und Vorbeugehaft von verdächtigen Ausländern in den USA, aber auch um die Verschärfung von Einreisebestimmungen. Internationale Aufmerksamkeit erregte der in unterschiedlichen Regelungen anzutreffende Aspekt, dass zwei Klassen von Rechtsträgern unterstellt werden: die amerikanischen Bürger und die Nicht-Amerikaner. Ungeachtet der „due-process“- (d. h. nach ordnungsgemäßem Verfahren) beziehungsweise „equal-protection“- Bestimmungen (d. h. alle genießen den gleichen Schutz) der amerikanischen Verfassung, die die individuellen Freiheitsrechte jeder Person (any person) garantieren, genießen nach dem Patriot Act die sich in den USA aufhaltenden Ausländer nicht den gleichen Rechtsschutz wie die amerikanischen Staatsbürger. Werden sie des Terrorismus verdächtigt, dann gehen ihnen auch die verminderten Rechte verloren und sie werden, sobald sie noch außerhalb des Staatsgebietes der USA gefangen sind, wie etwa auf einem Marinestützpunkt wie Guantánamo Bay auf Kuba, wie Outlaws behandelt. Es gibt aber auch kritische amerikanische Stimmen, die monieren, dass die Entscheidung, wer welche Rechte besitzt, von der Exekutive getroffen wurde und von der Legislative nur ‚abgesegnet’ wurde. Sie sehen darin den Versuch, das im politischen System fest verankerte Prinzip von checks and balances auszuhebeln. Die Befürworter hingegen sehen eine Legitimation für außerordentliche Befugnisse für die Exekutive, die bedingt ist durch die Situation und die deswegen notwendige überragende Schutzrolle des Präsidenten und Obersten Befehlshabers. Der kollektive Sicherheitsaspekt solle dann legitimieren, dass das zivile Recht, das die individuellen Freiheitsrechte betont, zurückstehen muss zugunsten des Kriegsrechts. Insgesamt geht es bei dieser Argumentation um die Verhinderung künftiger Attentate.69 Die bestehenden Befürchtungen hingegen zielen darauf hin, dass auf diese Weise ein Paradigmenwechsel in der Interpretation der staatlichen Schutzfunktion stattfinden könnte, der dann den Schutz vor Attentaten über den Schutz der Bürgerechte stellt. Davon wäre das bisherige Verständnis demokratischer Rechtsstaatlichkeit berührt ebenso wie das System der sich gegenseitig kontrollierenden Gewalten. 68 Der USA Patriot Act ist unter dem Titel: Uniting and Strengthening America by Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism (USA PATRIOT ACT) Act of 2001 (Enrolled as Agreed to or Passed by Both House and Senate im Internet zu finden unter folgender Adresse: http://www.thomas.loc.gov/cgi-bin/query/z?c107:H.R.3162.ENR: (Stand vom 6.12.2005). Man kann in der gelungenen Abstimmung zum Patriot Act, obwohl es auch Bedenken gegeben hatte, ein gelungenes Beispiel für ‚Lobbying’ der Exekutive in der Legislative sehen. Hönicke Moore 2003: 65. 69 Das wird auch als ‚Ashcroft-Doktrin’ der Prävention bezeichnet, nach John D. Ashcroft, dem amerikanischer Justizminister 2001-2005, der sich für Vorbeugehaft, Festsetzung von Informanten als Zeugen und für Militärtribunale ausspricht. Dazu Braml 2004: 11. - 19 - Diese Befürchtungen wurden erst nach und nach artikuliert: In der Situation der „eindeutigen und bedrängenden Bedrohung“ im Herbst 2001 hatte der Kongress auf Veränderungen im Text weitgehend verzichtet.70 Auf dem Gebiet der inneren Terrorismusabwehr, ebenso wie bei der Frage der außenpolitischen Strategie, gibt es keine mehrheitliche Meinung, sondern Spaltung in der Gesellschaft und bei den politischen Akteuren. Nicht nur, dass es – nicht ganz unerwartet - Befürworter und Gegner des Patriot Act gibt, sondern der Kongress schwankt selbst in seiner Meinung. Änderungsanträge zum Patriot Act wurden gestellt und wieder verworfen. Ein neues Informationssystem (Terrorism Information and Prevention System), das der Justizminister Ashcroft vorgeschlagen hatte, wurde vom Kongress abgelehnt.71 Aber Ende 2005 hat der Kongress eine unbefristete Verlängerung des Patriot Act mit nur wenigen inhaltlichen Änderungen beschlossen.72 Zwei Stimmen aus dem Kongress dokumentieren die gegenläufigen Standpunkte: Der republikanische Abgeordnete Ric Keller meinte:“ Die Verlängerung des Patriot Act vor seinem Auslaufen im Dezember ist buchstäblich eine Sache von Leben und Tod.“ Der demokratische Abgeordnete James McGovern sagte: „ Wenn wir das Gesetz erlassen, so wie es geschrieben ist, wird ein kleines Stück des Freiheitsbaums sterben.“73 6. Schlussbemerkung Mit dem Ende des Kalten Krieges wurden die Vereinigten Staaten von Amerika die einzige Supermacht in einer multipolaren Welt. Die Innenpolitik bekam in den USA wieder eine größere Bedeutung, Wirtschaft und Sozialpolitik rückten wieder mehr in den Fokus der amerikanischen Bevölkerung und der Politik. Gleichzeitig sahen und sehen sich die amerikanische Gesellschaft und die politischen Akteure vor die Frage nach der neuen Rolle der USA in dieser veränderten Welt gestellt. Diese Frage konnte bis heute nicht in einem mehrheitlichen Konsens beantwortet werden. Während Präsident Bill Clinton (1993-2001) versuchte, die Kontinuität in der Außenpolitik zu wahren mit einem - wenn auch selektiven - Engagement der USA weltweit, brachte der Präsident des neuen Jahrtausends George W. Bush (seit 2001) mit einer neuen Strategie, basierend auf Unilateralismus und Präemption, eine Wende für die USA, deren Konsequenzen noch nicht absehbar sind. Der terroristische Anschlag vom 11. September 2001, durchgeführt von nichtstaatlichen Akteuren, hat den Präsidenten, aber auch das ganze Land und die Welt in eine neue Problemkonstellation geworfen. 70 Einige Maßnahmen wurden entschärft. Weiteres dazu siehe Braml 2004: 14, Anm. 46. Braml merkt allerdings auch an, viele Abgeordnete hätten den Text des umfangreichen Gesetzespaketes nicht gekannt, als sie abstimmten. 71 Braml 2004: 14. 72 Ringen um Verlängerung des Patriot Acts. In: Neue Zürcher Zeitung online vom 14. Dezember 2005. 73 Wie Anm. 72. - 20 - Das schon seit den siebziger Jahren zunehmend gut austarierte politische System von checks and balances, mit einer erstarkten Legislative, die Bill Clinton die innenpolitische Agenda weitgehend aus der Hand nahm, ist nach dem 11. September 2001 destabilisiert durch eine von dieser Situation profitierenden Exekutive. Sowohl in der Außenpolitik (Irakkrieg) als auch in der Innenpolitik (USA Patriot Act) hat die Exekutive gegenüber der Legislative Terraingewinn zu verzeichnen. Die amerikanische Gesellschaft ist vor allem eine in vieler Hinsicht gespaltene Gesellschaft. Auch der viel beschworene überparteiliche Schulterschluss nach den Anschlägen von 2001 hat schon gelitten. So scheint sich fünfzehn Jahre nach Ende des Kalten Krieges vor allem die Frage nach dem gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Konsens zu stellen, der die Basis für ein „New American Century“ sein könnte. 7. Literaturverzeichnis BRAML, Josef (2004). Vom Rechtsstaat zum Sicherheitsstaat? Die Einschränkung persönlicher Freiheitsrechte durch die Bush-Administration. Aus Politik und Zeitgeschichte (B 45) 6-15. CZEMPIEL, Ernst-Otto (1996). Rückkehr in die Hegemonie. Zur Weltpolitik unter Präsident Clinton. Aus Politik und Zeitgeschichte (B 43) 25-33. CZEMPIEL, Ernst-Otto (2004). Die Außenpolitik der Regierung George W. Bush. 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