AUSARBEITUNG Thema: Alleen und Alleenstraßen in Deutschland: Historische, kulturelle und militärische Aspekte Fachbereich XI Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Verfasser/in: Abschluss der Arbeit: 18. November 2005 Reg.-Nr.: WD 1 - 143/05 Ausarbeitungen von Angehörigen der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung des einzelnen Verfassers und der Fachbereichsleitung. Die Ausarbeitungen sind dazu bestimmt, das Mitglied des Deutschen Bundestages, das sie in Auftrag gegeben hat, bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 2 - Inhaltsverzeichnis Seite 1. Einleitung 3 2. Definition und Begrifflichkeit 3 3. Historische Entwicklung der Baumalleen und Alleenstraßen 4 4. Alleenstraßen und Militär 8 5. Typologie von Alleen 9 6. Schlussbemerkung 12 7. Literaturverzeichnis 13 Abbildungen zur Ausarbeitung im Anhang - 3 - 1. Einleitung „Grüne Kathedralen, grüne Tunnel, grüne Adern“ – so bezeichnet der Naturschutzbund Deutschland (NABU) voller Begeisterung auf seiner Internetseite die Alleen1, für deren Erhalt er sich stark engagiert. Deutschland hat heute einen Alleenbestand von (geschätzten ) 23.000 Kilometern, rund die Hälfte davon in Brandenburg, etwa 2500 Kilometer in Mecklenburg-Vorpommern. Diese Alleenstraßen in Deutschland sind gefährdet durch Straßenbau, Autoabgase, Streusalze im Winter, Pflanzenkrankheiten verschiedenster Art und Überalterung. Die Verteidiger der Baumalleen führen vor allem deren vielseitigen Nutzen ins Feld, darunter die Filterung von Staub und Abgasen, die Vernetzung von Lebensräumen, das Schattenspenden, das Gewähren von Lebensraum für viele Kleinsäuger, Insekten und Vögel.2 Darüber hinaus handelt es sich bei den Alleen um ein hochrangiges Kulturgut, dessen Geschichte weit zurückreicht und verwoben ist mit Stadt- und Verkehrsentwicklung, mit militärischer Infrastruktur, mit Garten- und Landschaftsgestaltung , mit dem Repräsentationsgedanken des Absolutismus und der Idee der Volksgesundheit im Industriezeitalter. 2. Definition und Begrifflichkeit Alleen sind nach heutigem Verständnis „[…] zwei oder mehr parallel verlaufende Baumreihen an Straßen und Wegen […]3. Hinzu kommen weitere Kriterien wie die Gleichheit der Baumart und Erscheinungsform (frei gewachsen beziehungsweise beschnitten ), gleiches Alter der Bäume (einzelne Bäume werden nach der „klassischen“ Lehre nicht ersetzt), gleiche Abstände der Bäume, Geradlinigkeit und die Zielgerichtetheit . In der ursprünglichen Bedeutung (Allée vom französischen ‚aller’ = gehen, also ‚Gang’) handelte es sich viel allgemeiner um einen von Vegetation eingefassten Weg im Garten oder im Park. Bis zum 17. Jahrhundert konnte eine Allee auch ein Wandelgang aus Holz oder ein Laubengang aus Lattenwerk sein und erst von diesem Jahrhundert an geht es zunehmend um die die Wege begleitenden Baumreihen. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts ist das Wort Allee dann im deutschen Sprachgebrauch nachweisbar.4 1 http://www.nabu-mv.de/nat_alleen.htm (Stand: 19.10.2005) 2 So die Alleenschutzgemeinschaft auf ihrer Internetseite: http://www.alleenschutzgemeinschaft.de (Stand: 10.11.2005) 3 So zitiert der Bericht ‚Alleen - Gegenstand der Denkmalpflege’ (2000) den Kunst-Brockhaus: 9. 4 Alleen – Gegenstand der Denkmalpflege 2000: 9. Karg 1982: 492. - 4 - 3. Historische Entwicklung der Baumalleen und Alleenstraßen In den alten Hochkulturen der ägyptischen Reiche, der römischen und der griechischen Antike tauchen Alleen als Gestaltungselement zwar vereinzelt auf, spielen aber keine große Rolle. Im europäischen Mittelalter gab es in den oft mit Mauern umgebenen Burgen und eng bebauten, mauerbewehrten Städten keinen Raum für Gartengestaltung und Alleen. Erst mit der Renaissance, mit deren neuem Naturgefühl und dem Entstehen einer ganz eigenen Ästhetik entfaltete sich die Gartenkunst, und mit ihr wurden die Alleen ein wichtiges Gestaltungselement. Das geschah zuerst in Italien, dann auch in Frankreich. Der Zusammenklang von Architektur und Natur, von Mensch und Raum – darum geht es nun in der gestalterischen Einheit des Gartens. Geometrische Aufteilung von Flächen , Symmetrie und Proportionen, zunehmend auch die Perspektive werden die beherrschenden Elemente des Renaissance-Gartens. Die Allee blieb in dieser Zeit noch weitgehend auf Gärten beschränkt und war ein „Requisit des Gartenraums“5. Sie diente vor allem der Linienführung der geometrischen Aufteilung, darüber hinaus aber auch der Verbindung verschieden genutzter Gartenbereiche und auch als schöne Kulisse , hinter der sich das Nützliche, nämlich die Nutzpflanzungen (das „podere“), verbarg. Dies wurde erreicht, indem Alleen mit mannshohen beschnittenen Hecken umgeben wurden, die Spaziergängern und Reitern den Blick auf die dahinter liegenden Nutzgärten verwehrten.6 Der italienische Schriftsteller, Architekt und Kunsttheoretiker Leone Battista Alberti (1404-1472) war mit seinen Überlegungen zur Gartengestaltung seiner Zeit weit voraus: Er erkannte bereits die Möglichkeiten der Allee als Gestaltungselement zur Raumbildung . In der Anlage der ihm zugeschriebenen toskanischen Villa Quaracchi von 1459 gab es erstmals eine gerade Baumallee mit dazwischen rankendem wildem Wein, die einen Fernblick vom Hauptsaal des Hauses bis zum Fluss Arno gestattete.7 Rund 200 Jahre später in der Blütezeit der Alleen, dem Barock, finden sich derartige Raumachsen in Gärten und Parks dann häufig. Im Garten der Villa Montalto in Rom, von dem Meister des Frühbarock Domenico Fontana (1543-1607) für Papst Sixtus V. erbaut, wird zum ersten Mal die Figur der dreistrahligen Allee ausgeführt (auch „patte d’oie“ = Gänsefuß genannt). Dabei zielt die Mittelachse der drei Zypressenalleen auf die Eingangsloggia des Hauptgebäudes, des so genannten Casinos, die beiden Nebenalleen führen am Gebäude vorbei. Diese Alleenform im Dreistrahl wurde dann zu einem bestimmenden Merkmal in der französischen Gartenkunst des Barock. Die Allee als Repräsentationsmittel nimmt hier in der Anlage 5 Bührle 1988: 75. 6 Fink 1955: 48. Fink nennt als Beispiel dafür die Gärten der Villa Aldobrandini in Frascati bei Rom. 7 Näheres dazu bei Karg 1982: 492, und Fink 1955: 48. - 5 - der Villa Montalto ihren Anfang.8 Aber auch andere Gestaltungselemente im Garten der Villa Montalto waren zukunftsweisend und betonten die Bedeutung der Alleen: Die Zypressenalleen wurden zwar am Ende des Ziergartens mit schmiedeeisernen Toren abgeschlossen, aber hinter den Toren in den Park fortgesetzt, so dass zwischen Garten und Park eine gestalterische Verbindung entstand. Skulpturen oder Architektur am Schlusspunkt der Alleen dienten der Perspektive. Beete hatten sich in ihrer Form den Alleen anzupassen und freie halbrunde Plätze am Anfang der Alleen erhöhten deren Eindruck. Erst mehr als ein halbes Jahrhundert später tauchten diese Ideen in den französischen Gärten wieder auf und wurden fortgeführt und erweitert.9 Die Gartengestaltung der Villa Montalto (Abb. 1 im Anhang) wird als Übergang zum Barock angesehen. Während Frankreich zur Zeit der Renaissance von der italienischen Gartenkunst bestimmt blieb, wobei die dabei auch übernommenen Alleen eher zur Gartenbegrenzung10 und ohne Bezug zu den Gebäuden eingesetzt wurden, entwickelte sich die barocke Gartenkunst in der Zeit des französischen Absolutismus zur führenden von ganz Europa . Bis heute sind beeindruckende Zeugnisse dieser Gartenkunst die Garten- und Parkanlagen von Vaux-le-Vicomte und Versailles11, die beide von André Le Nôtre (1613- 1700), dem Gartenarchitekt von Ludwig XIV. (1638-1715), geschaffen wurden. Basierend auf den Grundprinzipien von Logik und Rationalität, von Ordnung und Klarheit kamen nun vor allem die Regeln von Proportion und Perspektive zur Geltung. Wesentliche Neuerung war dabei, dass sich alle Teile des Gartens einem Gesamtkonzept unterzuordnen hatten: Der barocke Garten war Bestandteil des Schlosses, eine Fortsetzung des Schlosses im Freien, wobei komplizierte Räume und Raumbeziehungen12 zu einer Gesamtkomposition geführt wurden. Träger dieser Kompositionen waren die Alleen „[…] mit ihrer einprägsamen richtungsbetonten Form, die zum wichtigsten Faktor für den Gesamteindruck der Parkanlage [wurden].“13 Auf zwei zentralen Ideen beruhten die nun entstehenden Gartengestaltungen: Die Öffnung des Gartens in die Landschaft und die Betonung des Schlosses als Mittelpunkt der gesamten Anlage. Im Ersteren realisierte sich der Wunsch nach Raum und Perspektive, im Zweiten der Re- 8 Fink 1955: 48, ebenso Bührle 1988: 75. 9 Fink 1955: 48. 10 Auch die Tuilerien in Paris, die Katharina von Medicis in italienischen Stil anlegen ließ, dienten mehr als massive Begrenzung und ließen keinen Blick in die Weite zu. Ähnlich die Alleen des Jardin du Luxembourg, ebenfalls von Katharina de Medici veranlasst, die den Garten gliedern und ihn auch abschließen. So Fink 1955: 49. 11 Dieter Hennebo weist darauf hin, dass die Anlage von Vaux-le-Vicomte schon „das ganze Programm des französischen Fest- und Repräsentationsgartens“ verwirklichte, und Versailles es dann in anderen Dimensionen präsentierte. Hennebo 1965:132. 12 Zum Beispiel das ‚Parterre’, das den Festsaal des Schlosses im Freien weiterführt, daran anschließend die ‚Bosketträume’ (vom französischen ‚bosquet’ = Busch) analog zur Zimmerflucht der Privaträume im Schloss. Fink 1955: 49. 13 Bührle 1988: 76. - 6 - präsentationswille des Absolutismus.14 Beides ließ sich in der schon existierenden Alleenfigur der „patte d’oie“ (= Gänsefuß) aus der Renaissance vereinen, die nur umgedreht wurde: Die Alleen führten nun strahlenförmig auf das Schloss zu, wobei die zentrale Mittelachse auf das Schlossgebäude zulief. Ein mehr oder weniger kompliziertes Achsensystem von Diagonal-, Quer- und Umgangswegen, von Haupt- und Nebenachsen konnte sich um diese Grundstruktur legen. In perfekter Form wurde dieses Modell in Versailles von Le Nôtre realisiert: „Flächenüberspannende Alleen leiten die Gäste des Hofes von weit her zum Haus des Königs . Alleen gliedern die Parkanlage und führen den Blick wieder weit über die Grenzen des Parks in die Landschaft hinaus. Schloss und Park sind hier Modell und Symbol der Subordination aller unter den einzigen Willen des Königs.“15 Nach dem Vorbild von Versailles (Abb. 2 im Anhang) und der französischen Gartenkunst des Barock finden sich im Laufe des 18. Jahrhunderts Alleen in den Parks von Schlossanlagen in ganz Europa: In den Niederlanden (Heemstede und Het Loo), in Schweden (Drottningholm und Carlsberg), in England (Hampton-Court), in Russland (Peterhof in St. Petersburg) und in Deutschland (Herrenhausen bei Hannover (Abb. 3 im Anhang), Nymphenburg in München, Charlottenburg16 in Berlin).17 Die Alleen fanden in der Zeit des Barock aber auch Eingang in die Stadtplanung, soweit es eine solche gab. In den Stadtanlagen seit dem 17. Jahrhundert, wo sich „fürstlicher Wille“ dokumentierte, sind sie wie die Schloss- und Gartenanlagen einer übergreifenden Gestaltungsabsicht unterworfen, in deren Zentrum die Zuordnung der Stadt zum Sitz des Herrschers stand. Die aus den Gartenanlagen der Schlösser bekannten Figuren von „patte d’oie“ (= Gänsefuß) und „étoile“, der sternförmigen Alleenanlage18, werden bei der Stadtgestaltung übernommen. Typische Beispiele dafür sind Hampton Court in England, Fertöd in Ungarn (Abb. 4 im Anhang) und das badische Karlsruhe.19 Der Gedanke der Repräsentation stand hier immer noch im Vordergrund: Alleen sollten Stadt und Schloss verbinden, wobei sich die Stadt nach dem Schloss auszurichten hatte. In der Zeit von Ludwig XIV. kamen aber auch erstmals die Bedürfnisse der Stadtbürger zum Zuge. Die Stadtbefestigungen von Paris wurden umgewandelt in Baumpromenaden von 36 Metern Breite, mit einer Mittelallee von 20 Metern und je 8 Metern für die 14 „Schloss und Park repräsentieren hier die Macht des Königs und damit des Staates, sie entfalten den Reichtum, der ihm zur Verfügung stehenden Mittel, sie beweisen die Ordnung, die seine Hand geschaffen hat, und offenbaren die Schönheit, die seinem Befehl folgt.“ Hennebo 1965: 132. 15 So zitiert Bührle 1988: 76 Hennebos Geschichte der Gartenkunst von 1981. Schloss und auch Gartenanlage von Versailles gehören heute zum UNESCO-Weltkulturerbe. 16 Die erste Planung des Parks von Charlottenburg stammte von Siméon Godeau, einem Schüler Le Nôtres. Hennebo 1965: 173. 17 Fink 1955: 65. 18 Die sternförmigen Anlagen („étoile“ genannt) kamen vor allem aus der Gestaltung der Jagdreviere um die Schlösser herum, in denen von Rondellen aus Schneisen in den Wald geschlagen wurden. So Karg 1982: 493. 19 Karg 1982: 493. - 7 - Seitenalleen – die so genannten Boulevards. Wenn auch der König in erster Linie von diesem Rahmen der Stadt aus Zufahrtsstraßen mit weiträumigen Alleen in die Umgebung und zu den königlichen Schlössern führen wollte, so waren sie doch – eher in einem Nebeneffekt - für die Stadtbevölkerung auch Treffpunkt und Erholungsraum. Zudem verbesserten die Linden die Stadtluft. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts hatten schon viele deutsche Städte Alleen vor oder auf den Wällen. In Leipzig umgab bereits 1737 eine Lindenallee das Stadtgebiet.20 In den Niederlanden gab es straßen- und kanalbegleitende Alleen und Baumreihen in der freien Landschaft, die dem Windschutz, dem Schattenwurf und der Verschönerung der Landschaft dienen sollten.21 Aber erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, mit dem Niedergang des Absolutismus, wurden Alleen zunehmend eigenständige Gestaltungselemente in der Stadt und in der freien Landschaft. Sie lösten sich von den Wegesystemen der Schlossanlagen, wobei die als „klassisch“ zu bezeichnenden Alleenfiguren wie Dreistrahl („patte d’oie“) oder Stern („étoile“) nicht verloren gingen, sondern, wenn die Gestaltung es nahe legte, weiter verwendet wurden. Selbst die „große Gartenrevolution“22, die Entstehung des Landschaftsgartens, ließ die Allee als Gestaltungselement nicht verschwinden. Diese neue Gartenbewegung, von England kommend seit den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts, die Europa nach dem „Französischen Garten“ den „Englischen Garten“ brachte, löste das regelmäßige geometrische Kompositionsprinzip ab durch eine an Landschaft orientierte Gestaltung von Parks. Sowohl Peter Joseph Lenné (1789-1866) als auch Hermann von Pückler- Muskau (1785-1871), beide entschiedene Vertreter des Landschaftsgartens, anerkannten die repräsentative und gliedernde Wirkung der Alleen. So schrieb Lenné: „Symmetrie und ängstliche Regelmäßigkeit lässt der Abwechslung und Freiheit kaum Raum; obgleich ich weit entfernt bin, alle Regelmäßigkeiten aus öffentlichen Spaziergängen oder Volksgärten verbannen zu wollen; man verlangt in diesen Gärten das Vergnügen der Gesellschaft und den Anblick anderer Umhergehender zu genießen; man will sehen und finden, und hierzu sind offene, breite, gerade und sich durchkreuzende Alleen nötig. Ich habe aus dieser Überzeugung alle passenden Alleen […] beibehalten.“23 Auch Friedrich Ludwig von Sckell (1750-1823)24, bekannt für seine Umgestaltungen von Barockgärten im französischen Stil in den landschaftlichen Stil des englischen 20 Karg 1982: 493. 21 Kurfürst August von Sachsen (1526-1586) soll alle nach Dresden führenden Straßen schon 1580 mit Obstbäumen bepflanzt haben. Alleen 2000: 9. Ein weiteres Beispiel einer frühen weit ausgreifenden Landschaftsgestaltung ist Kleve, die Residenzstadt des Fürsten Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604-1679), die mehrere Parkanlagen mit einem Alleensystem verband. Alleen 2000:9. Dazu auch Bührle 1988: 78. 22 So zitiert Karg 1982: 495 Clifford. Ausführlich zum Landschaftsgarten: Hoffmann, Alfred (1963). Der Landschaftsgarten. Hamburg Broschek Verlag. 23 Zitat bei Karg: 1982: 495. 24 Friedrich Ludwig von Sckell war Hofgärtner in Schwetzingen, später Gartenbaudirektor von Kurpfalz und Bayern und maßgeblich an der Errichtung des Englischen Gartens in München ab 1803 beteiligt. - 8 - Gartens (z. B. Nymphenburg in München), befasste sich in seinen „Beiträgen zur Gartenkunst “ (1818) ausführlich mit den Alleen und betonte ihre unübertreffliche Eignung für repräsentative Auffahrten. Für Alleen im Landschaftsgarten bevorzugte er allerdings eine „Maskierung“ oder „Verschleierung“ der Regelmäßigkeit und eine Aufhebung der trennenden Wirkung der Allee durch vorgesetzte Pflanzungen.25 Die Gartentheoretiker und Hofgärtner des späten 18. und des 19. Jahrhunderts wie Lenné, Pückler, Sckell, aber auch Eduard Petzold („Die Landschaftsgärtnerei“, 1862) und Gustav Meyer („Lehrbuch der schönen Gartenkunst“, 1860) würdigten aber insbesondere die Rolle von Alleen in Volksgärten, an ‚Avenuen’ in der Stadt und an Landstraßen über Land. So erlangten die Alleen seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zunehmende Bedeutung als eigenständiges Gestaltungselement in den wachsenden Städten, aber auch in der freien Landschaft, ganz losgelöst von den vormals vorgegebenen Wegesystemen der Barockzeit und den Vorstellungen der Repräsentation und des Herrschaftsgefühls des absolutistischen Zeitalters. In den Städten des 19. Jahrhunderts, mit den Alleen zur Begrenzung von innerstädtischen Grünanlagen, in Wallanlagen, auf Promenaden und Plätzen, in den Volksparks, ging es natürlich um den ästhetischen Aspekt von Stadtgestaltung und gelungener innerstädtischer Verbindung von Altstadt und Vorstädten. Mindestens genau so wichtig waren die Alleen aber in den rapide größer werdenden Städten des Industriezeitalters als Begegnungsstätte, als Ort von Erholung und Geselligkeit. Mit der zunehmenden Industrialisierung und dem wachsenden Verkehr gewann auch der Aspekt der Bioklimatologie an Bedeutung. Bis heute haben diese verschiedenen Aspekte der Alleen im städtischen Raum Gültigkeit , und es gibt ein zunehmendes Bewusstsein für die vielseitigen Gefährdungen und drohenden Verluste der Alleen.26 Dies gilt in gleichem Maße für die außerstädtischen Alleenstraßen (vgl. dazu auch die Einleitung unter Punkt 1), die überall in Deutschland im Laufe des 19. Jahrhunderts angelegt worden waren und die erst in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg (vor allem in Westdeutschland) in großem Ausmaß dezimiert worden sind. 4. Alleenstraßen und Militär Die militärische Bedeutung von Alleenstraßen über Land ist bisher nicht umfassend erforscht und aufgearbeitet worden.27 In unterschiedlichem Kontext wird das Thema aber hin und wieder gestreift, woraus sich Folgendes resümieren lässt: 25 Alleen 2000: 10. 26 Dazu Hönes 2002: 63-66. 27 Eine Anfrage beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam bestätigte dieses Rechercheergebnis . - 9 - Napoleon erkannte nicht nur die generelle Bedeutung guter Straßen für das Militär, sondern insbesondere auch die positiven Aspekte von Alleenstraßen für seine Armeen. Waren die Landstraßen von Bäumen gesäumt, dann hatten die Soldaten im Sommer Schatten und ermüdeten auf den langen Märschen weniger, waren also ausgeruhter für Gefechte. Zudem konnte jederzeit Holz geschlagen werden, für unterschiedlichste Zwecke ; handelte es sich um Obstbäume, kam das der Verproviantierung zugute. Im Winter, bei geschlossener Schneedecke, konnten die Alleebäume marschierenden Armeen die Orientierung erleichtern. Das ‚Alleenprogramm’ von Napoleon prägte stark die Landschaft in Frankreich und strahlte auf ganz Europa aus.28 5. Typologie von Alleen Alleen treten in unterschiedlicher Gestalt auf und unterscheiden sich durch - Standort - Grundriss - Aufriss - Baumart - Wegebelag - und Funktion.29 Standort und Verwendungsart - innerhalb eines Gartens oder Parks - als Verbindung zwischen separaten Gärten oder Gartenteilen - in Fortsetzung eines Gartens außerhalb der Begrenzung - innerhalb eines Waldreviers (Jagdpark) - als Zufahrt zu einem dominanten Gebäude (Gutshof, Landgut, Schloss) - als Verbindung zwischen Residenzstadt und Schloss, zwischen Haupt- und Nebenschloss - innerhalb von Städten und Ortschaften o straßenbegleitend o platzsäumend o in öffentlichen Grünanlagen, wie Volksparks, Friedhöfen, Sportanlagen - entlang von Landstraßen, Militärstraßen - entlang von Kanälen 28 Naef 2004: 6 29 Typologie nach Alleen 2000: 11-14. - 10 - Grundriss - Anzahl der Baumreihen o zweireihige Allee (allée simple, einfache Allee) o dreireihige Allee o vierreihige Allee (allée double, Doppelallee): meist mit breitem Hauptweg in der Mitte und schmaleren Seitenwegen, die Hauptallee häufig offen , die Nebenalleen (Contrealleen) gedeckt. Nach der klassischen barocken Gartenlehre soll die Hauptallee etwa doppelt so breit sein wie die Seitenalleen. o Alleen mit mehr als vier Reihen; vor allem in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gebräuchlich, später oft um zwei Reihen reduziert. - Offene und bedeckte Allee o offene Allee (allée découverte): Sie besitzt häufig einen breiten Reihenabstand . Der „Himmelsstrich“ wird z. T. durch Ausästung sichergestellt. In den Barockgärten handelte es sich meist um offene Alleen. o bedeckte Allee (allée couverte): Die Baumkronen berühren sich und bilden ein schattiges Dach. (Abb. 5 im Anhang). Die Bäume stehen in ihrer Reihe in engerem Abstand, manchmal werden sie in Form geschnitten, z. B. zu gestreckter Kastenform, an der Unterseite wie ein Gewölbe. Die Seiten werden manchmal noch mit Hecken oder Lattenwerk geschlossen. Im Barockgarten wird die bedeckte Allee gern am Gartenrand hoch gezogen . o Abstand der Bäume innerhalb der Reihe: Enger oder weiter, je nach gewünschtem Gesamtbild und nach Baumart. Wird Einzelkronenwirkung gewollt, ist der Abstand weiter. Bei engerem Abstand geht es in der Regel um eine gemeinsame architektonisch Form der Baumreihe (wie Kastenschnitt oder Hochhecke). Die Bäume der beiden Reihen stehen sich paarweise gegenüber (gegenständig) oder versetzt gegenüber (wechselständig ). - Alleetypen nach dem Verlauf o gerader Verlauf (häufigste Form) o gebogen und ringförmig o abknickend o unregelmäßig, der Topographie folgend o Schlängelallee - 11 - - Alleensysteme o Alleenkreuz o Alleenfächer, Dreistrahl („patte d’oie“ = Gänsefuß) o Alleenstern („étoile“), ursprünglich aus dem Jagdpark stammende Form (z. B. Berliner Tiergarten, Karlsruhe, Clemenswerth) o komplexe Alleensysteme (z. B. Versailles) Aufriss - Freiwachsende Allee: der natürliche Wuchs bestimmt den Aufriss der Allee - Beschnittene und geformte Allee o Gekappte Allee (oft auf Dorfstraßen der Mark Brandenburg) o Beschnittene Einzelkronen: Kugel, Kegel, Würfel; auch Wechsel unterschiedlicher Kronenschnitte innerhalb einer Allee üblich o Durchgehend beschnitten: Kastenform, Hochhecke (z. B. Herrenhausen), dabei die Untersicht in Gewölbeform o Besondere Formgebung; häufiger anzutreffen: Fächerform (z. B. Benrath ). Seltener: girlandenartig geschnittene „Festonallee“ (z. B. Schloss Bothmer bei Klütz (Abb. 6 im Anhang)) - Baumallee mit zusätzlicher Hecke: die Seiten der Alleen werden gelegentlich mit Hecken geschlossen. Unterschieden werden dabei die niedrigeren „parapettes “ (= Brustwehren) und die übermannshohen „éventails“ (= Windweher) und „rideaux“ (= Vorhänge). Baumarten - Allee aus einer Sorte Baum: Unter der großen Anzahl in Alleen verwendeter Baumarten sind wegen der Gleichmäßigkeit des Wuchses, wegen des ausgeprägten Schattenwurfs oder guter Formbarkeit besonders geeignet: Linde, Ulme, Kastanie. Darüber hinaus finden sich u. a.: Platane, Buche, Hainbuche, Eiche, Pappel, Fichte, Ahorn, Birke, Eibe, Maulbeere, Zypresse, Olivenbaum.30 - Allee mit Wechsel von zwei Baumsorten: Meist mit Bäumen in kontrastierender Farbe oder Form (z. B. Kastanien und Tannen im Garten des Palais Lichtenstein in Wien, Linden und Fichten in Rheinsberg). 30 „Viele Landschaftsräume werden noch heute durch bestimmte Arten von Alleebäumen charakterisiert – man denke an die Platanenalleen Südfrankreichs, die Pappelalleen in Flandern, die Birkenalleen in Skandinavien und die Eichenalleen in Mecklenburg-Vorpommern. Und dann gibt es natürlich noch die vielen Raritäten: die Sumpfzypressenallee im französischen Rambouillet, die Maulbeerbaumallee im deutschen Rüdesheim, die Olivenbaumallee im spanischen Toledo […].“ Mader 1997: 5-6. - 12 - - Allee mit komplexem regelmäßigem Wechsel (z. B. Wechselrythmus Taxus, Linde , Kastanie, Linde, Kastanie, Taxus im Charlottenburger Schlosspark). - Gemischte Allee mit unregelmäßigem Wechsel (z. b. Linde, Kastanie und Ahorn in der großen Emkendorfer Allee). Wegbelag Alleenwegbelag in unterschiedlichster Art möglich (wasserbindend: Rasen, Sand, Kies, etc. oder fest: Pflasterungen, etc.). Im Barockgarten gab es zwei Grundtypen: die grüne Allee („allée verte“ = Rasenallee) und die weiße Allee („allée blanche“ = mit feinem weißem Sand belegte Allee). Funktion - schmücken - Schatten spenden - Verkehrsfunktionen: erschließen, verbinden, leiten - Raum bilden: gliedern, trennen, rahmen, Perspektive bilden - soziale Funktion: Repräsentation (vor allem im Barock), Spiel, Stätte gesellschaftlicher Begegnung (Kurorte, Volksparks) - hygienische und sozialhygienische Funktion v. a. in den Städten: Verbesserung des Klimas, Erholung - Funktion als Bedeutungsträger (v. a. im Barock als Zeichen des absolutistischen Herrschaftsanspruches) 6. Schlussbemerkung Für Fachleute wie Denkmalschützer, Landschaftsarchitekten oder Kunsthistoriker ist die kulturgeschichtliche Bedeutung der Alleen ganz unstrittig.31 So wurde schon auf dem internationalen Symposium „Historische Gärten und Anlagen“ vom Oktober 1975 in Schwetzingen in einer Resolution festgehalten, dass historische Gärten und Grünanlagen sowie Anpflanzungen wie z. B. Alleen unverzichtbare Bestandteile des kulturellen Erbes Europas und ein Teil der Vielfalt und Unverwechselbarkeit unserer Umwelt in Stadt und Land sind. Auch der Arbeitskreis „Historische Gärten“ der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst hat immer wieder zu Fragen der Erhaltung geschlossener Gestaltungselemente aus Bäumen wie Alleen, Baumwänden und –reihen Stellung genommen. Seit dem Jahr 2000 liegt, herausgegeben von der Arbeitsgruppe Denkmalpflege der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland, erstmals 31 Zum Folgenden Hönes 2002: 63 ff. - 13 - eine Zusammenfassung der Schutz- und Erhaltungsmaßnahmen für Alleen vor.32 Diese vielfältigen Bemühungen um die Erhaltung von Alleen richten sich unermüdlich gegen die nicht geringe Zahl der Kritiker von Alleen, deren Gegnerschaft sich ausschließlich auf die Alleen entlang von Landstraßen bezieht. Im Zentrum dieser Diskussion stehen die so genannten „Baumunfälle“, die keine Unfälle aufgrund von auf die Straße stürzenden Bäumen oder Ästen meinen, sondern Auffahrunfälle auf Alleebäume. Im Namen des Schutzes von Leben und körperlicher Unversehrtheit kämpfen die Alleekritiker für ihre Sache – gegen die Alleen. Die Kritiker der Alleen und die Freunde der Alleen stehen sich bislang weitgehend unversöhnlich gegenüber. 7. Literaturverzeichnis ALLEEN – Gegenstand der Denkmalpflege. Möglichkeiten des Schutzes, ihrer Erhaltung und Erneuerung (2000). Berlin: Landesdenkmalamt Berlin. (Berichte zur Forschung und Praxis der Denkmalpflege in Deutschland, 8). [P 770838] BÜHRLE, Sabine (1988). Die Alleen im Barock. Anmerkungen zur Entwicklung, Bedeutung und Erhaltung. Das Gartenamt 37 (2) 75-80. FINK, Eberhard (1955). Die Baumallee, ihre Entwicklung und Bedeutung in der Gartenkunst . Das Gartenamt 5 (3) 47-49, 5 (4) 65-67. HENNEBO, Dieter und HOFFMANN, Alfred (1965). Der architektonische Garten. Renaissance und Barock. Hamburg: Broschek Verlag. HÖNES, Ernst-Rainer (2002). Historische Alleen – ein Teil unserer Umwelt, Opfer unserer Umwelt. Denkmalschutzinformationen 26 (1) 63-74. HOFFMANN, Alfred (1963). Der Landschaftsgarten. Hamburg: Broschek-Verlag. KARG, Detlef (1982). Alleen als Gegenstand der Denkmalpflege – Anmerkungen zur Entwicklung, Bedeutung und Erhaltung. Architektur der DDR XXXI (8) 492-496. MADER, Günter (1997). Alleen - Les allées. anthos 36 (1) 5-7. 32 Alleen – Gegenstand der Denkmalpflege. Möglichkeiten ihres Schutzes, ihrer Erhaltung und Erneuerung (2000). Berlin: Landesdenkmalamt Berlin. - 14 - NAEF, Felix (2004). Verkehrsbegleitgrün und die Schweiz. Bäume – Begleiter des Menschen (Teil 3). Der Gartenbau (7) 6-7. Internetadressen: http://www.alleenschutzgemeinschaft.de (Stand: 10.11.2005) http://www.nabu-mv.de (Stand: 19.10.2005)