Rekrutierung von Abgeordneten und Politkern in Spitzenpositionen - Beantwortung von Einzelfragen - Ausarbeitung - © 2007 Deutscher Bundestag WD 1 - 122/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Rekrutierung von Abgeordneten und Politkern in Spitzenpositionen - Beantwortung von Einzelfragen Ausarbeitung WD 1 - 122/07 Abschluss der Arbeit: Fachbereich WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Telefon: Hinweise auf interne oder externe Unterstützung bei der Recherche bzw. Abfassung des Textes Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. verlehmannpe Textfeld 4. Oktober 2007 - 3 - Inhaltsverzeichnis Seite 1. Einleitung 4 2. Aktuelle Forschungsergebnisse zur Rekrutierung des politischen Personals 5 2.1. Politische Rekrutierung zwischen demokratischer Legitimation und Auslese der Besten 5 2.2. Die Steuerung der politischen Rekrutierungs- und Auswahlprozesse durch die Parteien 8 2.3. Merkmale und Charakteristika des politischen Führungspersonals der Bundesrepublik als Folge innerparteilicher Selektionsmechanismen 10 3. Aktuelle Defizite in der politischen Rekrutierungspraxis 12 4. Die Bedeutung von parteiinternen Netzwerken, informellen Gremien und Jugendorganisationen für die Rekrutierung und Auswahl des politischen Personals 14 5. Personalpolitische Strategien der Parteien 15 6. Literatur 16 - 4 - 1. Einleitung Neuere Studien zum Rekrutierungs- und Auswahlprozess politischer Eliten in Deutschland gibt es nur wenige. Die seit 2004 erschienenen Studien rekurrieren immer noch in einem hohen Maße auf die empirischen Befunde der siebziger und achtziger Jahre. Zumeist wurden die grundlegenden Erkenntnisse der älteren Forschung mit empirischen Befunden über die relevanten (und leicht erschließbaren) sozio-demographischen Merkmale (wie Alter, Konfession, Bildungsstatus, Beruf) der jeweils aktuellen politischen Führungsgruppen in Beziehungen gesetzt, um hieraus Thesen über neuere Entwicklungstendenzen in diesem Themenfeld abzuleiten. Intensivbefragungen von Bundestagsabgeordneten zu ihrem beruflichen und politischen Werdegang, wie sie Herzog in den 1970er-Jahren durchgeführt, hat und die wesentliche, heute immer noch gültige Erkenntnisse zur politischen Rekrutierung zu Tage gefördert haben1, sind seit damals nicht wiederholt worden. Aber auch Untersuchungen der politischen Klasse auf der Basis von standardisierten Befragungen sind angesichts des damit verbundenen hohen Aufwands und der nach wie vor geringen Bereitschaft von Politikern, zu ihrer eigenen Person Auskunft zu geben, nur selten durchgeführt worden. Dabei ist zu berücksichtigen , dass die Zielsetzungen derartiger Unternehmungen äußerst vielfältig waren und sich nicht allein auf den Aspekt der Rekrutierung und Auswahl von Politikern konzentrierten .2 In Ermangelung aktueller empirischer Befunde greifen daher die neueren Arbeiten zur politischen Rekrutierung immer noch in großem Maße auf die Daten und Ergebnisse der neunziger Jahre zurück.3 In einem zusammenfassenden Übersichtsartikel hat sich Elmar Wiesendahl in einem 2006 von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Sammelband mit der aktuellen Forschungslage zur Rekrutierung von politischen Führungskräften befasst. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass inzwischen zwar relativ gut bekannt ist, woher die Eliten kommen, welche Kriterien (Verhaltensdispositionen und soziale Merkmale) diejenigen aufweisen, die erfolgreich in die Spitze aufgestiegen sind, und auf welchen Wegen sie nach oben gekommen sind (politische Karriere).4 Dagegen sei der eigentliche Auswahlprozess des politischen Personals durch die Parteien und die hierbei entschei- 1 Herzog (1975). 2 So z.B. die „Abgeordnetenbefragung 2003“ (Wessels: o.J.) und die „Deutsche Abgeordnetenbefragung 2003/04“ des Sonderforschungsbereichs 580 der Universität Jena (Best u.a.: o.J.), die primär auf Einstellungen und Handlungsorientierungen der Abgeordneten zielen und allenfalls am Rande Fragen der Rekrutierung berücksichtigen. 3 Zu verweisen wäre hier vor allem auf die Potsdamer Elitestudie von 1995, deren empirische Befunde immer noch als Reservoir für zahlreiche neuere Forschungsarbeiten dienen; vgl. Bürklin / Rebenstorf (1997) 4 Vgl. hierzu die zusammenfassende Übersicht in - 5 - denden Faktoren und Bestimmungsgrößen immer noch wenig erforscht. Insbesondere empirische Studien, die die verschiedenen Auswahlverfahren vor dem Einzug in politische Spitzenämter unter die Lupe nehmen, seien nach wie vor Mangelware.5 Auch von anderen Autoren ist dieser Befund in den letzten Jahren wiederholt beklagt worden.6 2. Aktuelle Forschungsergebnisse zur Rekrutierung des politischen Personals 2.1. Politische Rekrutierung zwischen demokratischer Legitimation und Auslese der Besten Wiesendahl thematisiert in seinem bereits erwähnten Aufsatz von 2006 den Zusammenhang von demokratischen Auswahlprozeduren und der Eignung, Qualität und Effizienz des politischen Führungspersonals. Dabei geht er von einem Spannungsverhältnis zwischen demokratischer Legitimation auf der Basis der Gleichstellung aller Bewerber und der Offenheit der Verfahren einerseits und der Auswahl nach Eignung und Befähigung mit einer bewussten Tendenz zur Selektivität und Schließung andererseits aus. Dabei geht Wiesendahl davon aus dass die Qualität der Politiker auch die Leistungsfähigkeit der politischen Institutionen in entscheidendem Maße determiniert wird und die Qualität von Politik angesichts wachsender Problemkomplexität in immer stärkerem Maße von der Mitwirkung hochqualifiziertem und entscheidungsfreudigem Personal abhängt. Dem stehen allerdings Forderungen nach einer stärkeren Demokratisierung des Rekrutierungs - und Auswahlprozesses und einer Verbreiterung der Partizipationschancen gegenüber .7 Vor dem Hintergrund dieses grundlegenden Dilemmas der demokratischen Elitenauswahl beschäftigt sich Wiesendahl mit der Frage, wie die spezifischen Instanzen, Mechanismen , Faktoren, Selektionskriterien und Akteure der personalpolitischen Auswahlverfahren im politischen System der Bundesrepublik Deutschland sich auf Eignung und Befähigung des politischen Personals auswirken. Dabei stehen für Wiesendahl insbesondere drei Fragen im Zentrum des Interesses. 1) Ist der Politikerberuf tatsächlich attraktiv genug, um ausreichend qualifizierten Führungsnachwuchs für eine Karriere in der Politik zu gewinnen? 2) Inwieweit führen die etablierten Auswahlverfahren tatsächlich zur Selektion der Besten? 3) Welche unerwünschten Effekte haben die eingefahrenen Prozeduren auf die Qualität des politischen Führungspersonals? Angesichts des bereits konstatierten Mangels an aktuellen empirischen Daten bewegen sich Wie- 5 Wiesendahl (2006: 96). 6 Schüttemeier (2002: 145f.); Römmele (2003: 259f.). 7 Wiesendahl (2006: 94f.); Schüttemeyer (2005: 540); Demuth (2004: 703) - 6 - sendahls Analysen weitgehend auf der theoretischen Ebene und tragen demzufolge stark „explorativen“ Charakter.8 Neben Ambitionen und Neigung der Bewerber wird die Attraktivität einer hauptamtlichen Karriere in der professionellen Politik im Wesentlichen von deren Chancen- bzw. Opportunitätsstruktur bestimmt. Diese ergibt sich, so Wiesendahl, unter anderem aus folgenden Bedingungen und Merkmalen des Politikerberufs:9 - Anzahl der erreichbaren und vakanten Führungspositionen; - Art und Dauer der Zugangs- und Auswahlverfahren; - Verdienst- und Versorgungsmöglichkeiten; - Kontakt- und Geschäftsanbahnungsgelegenheiten; - Privilegien und gesellschaftlicher Status; - Aufstiegschancen; - Berufsrisiko; - Gestaltungsspielräume; - physische und psychische Belastungen. Bezogen auf die aktuelle Situation des politischen Stellenmarktes in der Bundesrepublik Deutschland sind folgende Tatsachen und Zusammenhänge zu konstatieren: - Die Aussichten auf ein Mandat im Bundestag, im Europaparlament oder einem Landtag – was gemeinhin als Grundvoraussetzung für eine politische Karriere gilt – sind für potentielle Bewerber nicht besonders günstig. Die Zahl der Kandidaten übersteigt die Zahl der verfügbaren Mandate (2006: 2697) um ein Vielfaches. So gab es bei der Bundestagswahl 2005 für die 598 Sitze insgesamt 3648 Kandidaten .10 - Da im bundesdeutschen Wahlsystem eine realistische Chance auf ein Parlamentsmandat nur bei einer Bewerbung in einem – für die jeweilige Partei – sicheren Wahlkreis oder auf einem günstigen Listenplatz besteht, können sich Neulinge nur dann Hoffnung auf einen Parlamentssitz machen, wenn ein amtierende Abgeordneter ausscheidet. Auch aus dieser Perspektive sind die Aussichten für neue Bewerber nicht gerade vielversprechend. So bewegte sich die Erneuerungsquote bei den letzten Wahlen zwischen einem Fünftel und einem Drittel der Abgeordneten mit einer insgesamt rückläufigen Tendenz.11 2005 schieden 23 Prozent der Abgeordneten aus. Auch die durchschnittliche Dauer der Parlamentsmitgliedschaft hat sich in den 8 Wiesendahl (2006: 95f.); s. auch Schüttemeyer (2005: 540). 9 Wiesendahl (2006: 99). 10 Wiesendahl (2006: 100) 11 Anteil der ausgeschiedenen bzw. neuen Bundestagsabgeordneten:12. WP: 35,5 %; 13. WP: 30,2 %; 14. WP: 24,8 %; 15. WP: 28,7; 16. WP: 23,0 %; vgl. Feldkamp (2006) - 7 - letzten Jahren erhöht und damit die Chancen für den politischen Nachwuchs weiter verschlechtert.12 - Der Aufstieg in die kleine Gruppe der Spitzenpolitiker in Top-Positionen erfolgt in der Regel über eine lang andauernde politische Karriere, in der sich die Protagonisten in einer Vielzahl von Funktionen und Positionen bewähren müssen.13 - Die unterschiedlichen Regelungen zur Gleichstellung und Quotierung von Frauen zeitigten inzwischen Wirkung und haben die Aufstiegsmöglichkeiten für Frauen in der Politik – im Gegensatz zu anderen Elitesektoren der deutschen Gesellschaft – spürbar verbessert. So hat sich der Anteil der weiblichen Bundestagsabgeordneten zwischen der 11. und der 16. Wahlperiode mehr als verdoppelt.14 - Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung erhalten Berufspolitiker ein relativ hohes Einkommen und gute Versorgungsleistungen, ohne dass sie damit bereits zu den Reichen und Vermögenden der Gesellschaft zu zählen. Inhabern von Spitzenpositionen in Wirtschaft, im Verbandswesen oder in Justiz und Verwaltung bietet die Politik kaum materielle Anreize.15 - Der Gestaltungsspielraum von Berufspolitikern, insbesondere derjenige, die nicht Inhaber von Top-Positionen sind, wird durch den Widerstreit von Wählererwartungen , Verbandsinteressen, Haushaltszwängen und Gruppendruck (Anforderung und Erwartungen von Partei und Fraktion) stark eingeengt.16 - Ein Großteil der Arbeitskapazitäten von Berufspolitikern wird von Aktivitäten, die auf die Erhaltung der eigenen Position abzielen, absorbiert.17 - Spitzenpolitiker zählen zwar aufgrund ihrer Machtausstattung und ihrer Entscheidungskompetenz zu den gesellschaftlichen Positionseliten, besitzen einen gewissen Prominentenstatus und stehen im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Aber sie sind gut beraten, ihrem Elitestatus nicht durch einen entsprechenden Lebensstil und eine elitäres öffentliches Auftreten Ausdruck zu verleihen, da dies ihrem Ansehen und ihren Wahlchancen nicht zuträglich wäre. Zudem müssen Politiker damit leben, dass sie über ein geringes Sozialprestige verfügen und ihr Ansehen in der Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten rapide gesunken ist.18 Angesichts der hohen Belastung, des geringen Sozialprestiges und der mit großen Unsicherheiten verbundenen politischen Karriere attestiert Wiesendahl dem politischen Führungssektor trotz der Aussicht auf politische Einflussnahme und eine solide Versorgung eine insgesamt geringe Attraktivität für qualifizierte Führungsaspiranten.19 12 Mandatsdauer in Jahren (jeweils am Ende der Wahlperiode): 12. WP: 9,05 13. WP: 9,69; 14. WP: 10,64; 15. WP: 9,6; vgl. Feldkamp (2006). Wiesendahl nennt mit Bezug auf ein Quelle von 1997 eine durchschnittliche Mandatsdauer von 14. Jahren; vgl.Wiesendahl (2006: 100). 13 Wiesendahl (2006:100); vgl. hierzu zusammenfassend . 14 Wiesendahl (2006: 100f.). Anteil der weiblichen MdB (jeweils zu Beginn der Wahlperiode): 12. WP: 15,4 %; 13. WP: 20,5 %; 14. WP: 30,9 %; 15. WP: 32,5; 16. WP: 23,0 %; vgl. Feldkamp (2006). 15 Wiesendahl (2006: 102f.) 16 Wiesendahl (2006: 101). 17 Wiesendahl (2006: 101). 18 Wiesendahl (2006: 102). 19 Wiesendahl (2006: 103). - 8 - 2.2. Die Steuerung der politischen Rekrutierungs- und Auswahlprozesse durch die Parteien In einer parlamentarischen Demokratie besitzen die politischen Parteien ein Monopol auf die Rekrutierung und Auswahl von politischen Eliten („Karriere-Gatekeeper“). Infolge der den Parteien vom Wahl- und Parteiengesetz zugewiesenen Funktion, Kandidaten für Parlamentsmandate zu nominieren, ist parteiinternen Gremien und Instanzen die Entscheidung darüber, wer eine politische Karriere machen darf und wer diese zu beenden hat, übertragen worden. Für die Rekrutierungsforschung ist es daher von hohem Interesse die am Entscheidungsprozess beteiligten Akteure und Gremien (Selektoren) zu identifizieren und die Kriterien offenzulegen, nach denen diese die Auswahl der Kandidaten treffen.20 Als wichtige parteiinterne Selektoren wären zu nennen:21 1. die Mitglieder bzw. Delegierten der Landes- und Wahlkreisnominierungskonferenzen 22, die die Kandidaturen mit ihrem Votum gemäß den Bestimmungen der Bundes - und Landeswahlgesetze demokratisch legitimieren; 2. die entscheidenden (formellen wie informellen) Gremien auf Kreisebene, die in hohem Maße die Auswahl der Direktkandidaturen in den Wahlkreisen bestimmen; 3. die relevanten (formellen wie informellen) Gremien auf Landesebene befinden über die Auswahl der Kandidaturen für die Landeslisten. Nur in Ausnahmefällen nehmen Parteiinstanzen bzw. -akteure auf Bundesebene Einfluss auf die Kandidatenaufstellung auf Kreis- und Landesebene. Dies ist fast ausnahmslos nur dann der Fall, wenn bisherige Amtsinhaber sich zurückziehen und das entsprechende Mandat somit vakant ist. Dabei ist davon auszugehen, dass die Vorschläge seitens der höheren Ebene der Parteihierarchie lediglich als Empfehlungen an die relevanten Gremien der zuständigen Parteiebene formuliert werden und deshalb nicht notwendigerweise umgesetzt werden. Eine zentrale und zielgerichtete personalpolitische Planung und Steuerung durch die Bundesebene der Parteien, wie sie verschiedentlich gefordert und in der Weimarer Republik teilweise praktiziert wurde, ist unter den obwaltenden Umständen jedoch nicht möglich.23 Die nach wie vor entscheidenden Instanzen für die Auswahl der Personen, die durch die Übernahme eines Landtags- oder Bundestagsmandats eine hauptberufliche politische Karriere beginnen dürfen, sind die jeweils zuständigen formellen und informellen Gre- 20 Borchert (2003: 49); Wiesendahl (2006: 104); Schüttemeyer (2005: 540f.). 21 Wiesendahl (2006: 104); Schüttemeyer (2005: 542). 22 Nach Schüttemeyer (2005: 541f.) gehen immer mehr Parteien dazu über Direktkandidaturen wie auch Listenbewerber durch die Mitgliedschaft wählen zu lassen. So wurden beispielsweise 60 Prozent der CDU-Direktkandidaten für die Bundestagswahl 2002 in Mitgliederversammlungen nominiert . 23 Schüttemeyer (2005: 546f.); vgl. . - 9 - mien auf den mittleren Ebenen der Parteihierarchie. Es sind vor allem die Orts-, Kreisund Landesvorstände sowie weiteren informelle Parteigremien und Zusammenschlüsse, in denen die entscheidenden Findungsprozesse, Vorklärungen und Absprachen stattfinden , Vorentscheidungen getroffen und die parteiinternen Koalitionen geschmiedet werden , die den vereinbarten Vorschlägen in den jeweils zuständigen Nominierungsversammlungen zu Mehrheiten verhelfen sollen. Auch wenn die hier vorab vereinbarten Personalvorschläge den Nominierungsversammlungen nur empfohlen (und nicht befohlen ) werden, besitzen sie aufgrund des überragenden Einflusses und der Organisationsmacht dieser Gremien eine hohe Realisierungswahrscheinlichkeit. Allerdings sind die parteiinternen Selektorate gut beraten, wenn sie bei der Vorauswahl möglicher Kandidaten die formellen und informellen Proporz- und Repräsentationsregeln der Partei berücksichtigen . Andernfalls können sie trotz struktureller Überlegenheit Gefahr laufen, die Gefolgschaft der Basis für ihre personalpolitischen Vorschläge zu verlieren.24 Älteren Untersuchungen zufolge entsprechen die Kriterien, nach denen die parteiinternen Selektoren ihre Kandidatenentscheidungen treffen, keineswegs den Vorgaben einer zielrationalen Personalplanung und -steuerung. So scheinen Delegierte und Parteigremien bei der Personalauswahl Eigenschaften wie Ortsverbundenheit, Wahlchancen, Berufserfolg , langjährige Bewährung in der Parteiarbeit und die Vorgaben der komplexen innerparteilichen Proporzsysteme gegenüber leistungsorientierten Persönlichkeitsmerkmalen wie Sachkompetenz, Effizienz und Durchsetzungsvermögen zu präferieren .25 Ein Spezifikum des parteiinternen Rekrutierungs- und Auswahlprozesses besteht in der Tatsache, dass bei der Auswahl von Personen für hauptberufliche Positionen fast ausschließlich Parteimitglieder Berücksichtigung finden, die sich bereits eine längere Zeit in ehrenamtliche Parteifunktionen und Mandaten auf kommunaler und regionaler Ebene für die Partei verdient gemacht haben. Die relativ lange „Bewährungsphase“ im kommunalpolitischen Bereich dient unter anderem auch dazu, mögliche Führungsaspiranten bekannt zu machen und deren Akzeptanz innerhalb der Mitgliedschaft zu erhöhen. Vor allem aber gibt sie den Kandidaten Gelegenheit, in die oligarchischen Machtzirkel der Parteien vorzudringen, die erheblichen Einfluss auf die informelle Vorauswahl der Bewerber ausüben. Dass dies tatsächlich der Fall ist, wird z.B. an folgenden empirischen Befunden über die Bundestagsabgeordneten deutlich:26 24 Schüttemeyer (2005: 545f.); vgl. . 25 Wiesendahl (2006: 104); Schüttemeyer (2005: 544) sieht mit Blick auf den wachsenden Trend in den Parteien, die Direktkandidaten von allen Mitgliedern wählen zu lassen, ebenfalls die Gefahr, dass von kurzfristigen Stimmungsschwankungen verursachte Zufallsmehrheiten rationale Kriterien bei der Personalauswahl eine zunehmend geringere Rolle spielen. 26 Vgl. Wiesendahl (2006: 104f.) mit Bezug auf ältere Ergebnisse der Rekrutierungsforschung. - 10 - - Nach einer Untersuchung aus dem Jahre 1997 erhielten Bundestagsabgeordnete ihr Mandat durchschnittlich 10,5 Jahre nach der Übernahme des ersten lokalen Parteiamts . - Einer Studie von 1998 zufolge waren Bundestagsabgeordnete vor ihrem Einzug ins Parlament neun Jahre als einfaches Parteimitglied und weitere neun Jahre als Mandatsträger im lokalen oder regionalen Bereich aktiv. - Abgeordnete waren bei ihrem erstmaligen Eintritt in den Deutschen Bundestag in den letzten Wahlperioden durchschnittlich 42 bis 44 Jahre alt.27 - Auch Landtagsabgeordnete sind nach einer Studie von 2003 vor Übernahme dieser Funktion in kommunalpolitischen Mandaten aktiv gewesen (76,7 %) und / oder gehörten lokalen bzw. regionalen Parteivorständen an (61,1 %). - Zur Absicherung ihrer Wiederwahl behalten über 90 Prozent der Landtags- oder Bundestagsabgeordneten ihrer lokalen und regionalen Parteiämter bei. Für Wiesendahl gleicht die Rekrutierungs- und Auswahlpraxis in den Parteien dem Beförderungssystem des öffentlichen Dienstes, das – so Wiesendahl sich nicht an der Befähigung der Kandidaten orientiert, sondern diejenigen mit einem beruflichen Aufstieg belohnt, die sich in ihrer langjähriger treuer Pflichterfüllung ihre Verdienste erworben haben. „Eine Auslese von Besten für politische Spitzenämter liegt außerhalb der Reichweite dieses Systems, weil dessen Sensorik hierauf nicht justiert ist. Genug Dynamik für hoch talentierte junge Senkrechtstarter, die eine Blitzkarriere hinlegen wollen, kann die Laufbahn- und Beförderungsmechanik nicht entfalten ... Parteien fördern politischen Breitensport; sie sind keine Talentschmiede für politische Spitzensportler.“28 2.3. Merkmale und Charakteristika des politischen Führungspersonals der Bundesrepublik als Folge innerparteilicher Selektionsmechanismen Die Begrenzung der Auswahl von Berufspolitikern auf diejenigen, die sich als langjährige Funktions- und Mandatsträger in der Kommunalpolitik verdient gemacht haben, charakterisiert einen der entscheidenden Auswahlfilter im politischen Rekrutierungssystem der Bundesrepublik. Auch wenn Seiteneinstiege aus anderen Elitesektoren in die Politik daher mit großen Schwierigkeiten verbunden sind und demzufolge überaus selten stattfinden, sind die untersten Stufen der Elitenrekrutierung und -auswahl durch Parteien – zumindest formal – relativ offen: Jeder kann einer Partei beitreten und sich für politische Funktionen und Mandate bewerben, ohne vorher seine Befähigung für derartige Tätigkeiten nachweisen zu müssen. Gleichwohl lässt sich für die einzelnen Selektionsstufen (Parteibeitritt, Wahrnehmung der Mitgliederrolle, Übernahme ehrenamtlicher Funktionen und Mandate, Übernahme von Karrierepositionen auf überlokaler Ebene, 27 Durchschnittsalter zu Beginn der Wahlperiode: 13. WP: 44,3; 14. WP: 43,2; 15. WP: 42,5; 16. WP: 43,9; Quelle: Deutscher Bundestag, Datenbank MdB-Stamm. 28 Wiesendahl (2006: 105f.). Konkrete Angaben darüber, welche Eigenschaften die am besten für politische Spitzenämter geeigneten Personen besitzen sollten und wie diese erworben und nachgewiesen werden können, macht Wiesendahl allerdings nicht. - 11 - Eintritt in die Berufspolitik) in der parteipolitischen Praxis seit vielen Jahren ein sozialer Schließungs- und Verdrängungsprozess beobachten, der im Ergebnis zu einer Dominanz der neuen Mittelschichten, insbesondere von Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes, geführt hat.29 Wie schon vor Jahrzehnten beobachtet wurde, sind in den von den Parteien monopolisierten Rekrutierungs- und Auswahlprozessen Selektionsmechanismen wirksam, die die soziostrukturelle Zusammensetzung des politischen Führungspersonals in spezifischer Weise formen. Dabei spielt die berufliche Tätigkeit eine zentrale Rolle. Da ambitionierte Führungsaspiranten für den politischen Elitesektor in dem für die Bundesrepublik gültigen Rekrutierungssystem nicht unmittelbar nach der Ausbildung in die hauptamtliche (und bezahlte) Politik einsteigen können, sondern zunächst die „Ochsentour“ als kommunal oder regional aktiver Freizeitpolitiker absolvieren müssen, sind sie darauf angewiesen, zunächst für eine relativ lange Zeit einen Beruf außerhalb der Politik auszuüben und sich gleichzeitig in ihrer Freizeit kommunal- und parteilpolitisch zu engagieren . Neben persönlichen Eigenschaften wie gute Kommunikationsfähigkeit, physische und psychische Belastbarkeit, zeitliche Dispositionsfreiräume, ein hohes Maß an intellektueller Frustrationstoleranz sowie Ausdauer und Durchsetzungsvermögen kommt es bei dieser Form der beruflichen und politischen Doppelbelastung darauf an, ob die berufliche Tätigkeit genügend Freiraum für die ehrenamtliche politische Arbeit lässt (berufliche Abkömmlichkeit). Personen, die körperlich anstrengenden, kräftezehrenden oder auch zeitintensiven Berufen nachgehen, sind bei der Konkurrenz um wichtige Parteipositionen und Mandate stets im Nachteil. Dagegen werden Angehörige von Berufsgruppen mit flexibel gestaltbaren Zeitbudgets und Personen, deren berufliche Tätigkeit in hohem Maße von kommunikativen, vermittelnden und überzeugenden Aufgaben bestimmt wird, eindeutig bevorzugt.30 Die ausgrenzende bzw. verengende Wirkung derartiger Selektionsmechanismen lässt sich an einer Reihe soziostruktureller Merkmale ablesen, die die politischen Führungseliten der Bundesrepublik seit vielen Jahren in typischer Weise auszeichnen. Dabei zeigt sich ein eindeutiges Übergewicht von Berufsgruppen, die sich mit verrechtlichter politisch -administrativer Tätigkeit und mit der Vermittlung von Interessen befassen, wohingegen Vertreter des ökonomischen Produktionssektors unter den Berufspolitikern immer seltener anzutreffen sind:31 - Auch heute sind Angehörige des öffentlichen Dienstes in den politischen Führungseliten – wie schon seit Jahrzehnten – überproportional vertreten. 29 Wiesendahl (2006: 107); zu den Hintergründen für die Privilegierung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes bei der Rekrutierung von politischem Personal vgl. 30 Wiesendahl (2006: 108); 31 Wiesendahl (2006: 108 - 12 - - Stetig zugenommen hat auch der Anteil der Angestellten des politischen Vermittlungsbereichs in Parteien und Verbänden. - Der Anteil der Freiberufler, deren Tätigkeit ebenfalls in hohem Maße auf die Vermittlung von Interessen zielt, ist gestiegen. - Arbeitnehmer aus der freien Wirtschaft sind unter den Berufspolitikern erheblich unterrepräsentiert. - Dies gilt auch – wenn auch weniger stark – für Selbständige und leitende Angestellte aus der freien Wirtschaft. - Die Unterrepräsentation von Frauen bei den Abgeordneten hat zwar in den letzten beiden Jahrzehnten stark abgenommen, ist aber immer noch vorhanden. - Unabdingbare Voraussetzung für den Aufstieg in politische Führungspositionen ist die Absolvierung einer akademischen Ausbildung. Dabei lässt sich seit einer Reihe von Jahren beobachten, dass das einstige „Juristenmonopol“ von eine zunehmenden Pluralisierung der Ausbildungsgänge abgelöst wird. Diese Befunde deuten daraufhin, dass die von den Parteien gesteuerte Rekrutierung des politischen Personals mit ihren spezifischen Einlasssperren und Aufstieghürden systematisch Angehörige solcher Berufsgruppen an der Aufnahme einer hauptberuflichen Karriere in der Politik behindert, die – wie der größte Teil der Bevölkerung – am Wert schöpfenden Wirtschaftsprozess in Fertigungs-, Verkaufs- und Dienstleistungsberufen beteiligt und aufgrund ihrer beruflichen Beanspruchung für ein politisches Engagement nicht oder kaum abkömmlich sind. Dies führe, so Wiesendahl, zur weiteren sozialen „Abschottung und Abgehobenheit der politischen Klasse“, die ihr Führungspersonal aus dem eigenen Nachwuchs rekrutiere, der zuvor beim Staat und angrenzenden Vermittlungsbereichen beschäftigt war und nie die „beruflichen und alltagsweltlichen Lebensumstände “ der breiten Bevölkerungsschichten geteilt habe.32 3. Aktuelle Defizite in der politischen Rekrutierungspraxis Eine wissenschaftlich systematische Untersuchung der Schwachstellen und Defizite in der aktuellen Praxis der Rekrutierung und Selektion des politischen Personals wurde bislang noch nicht vorgelegt. Die einschlägigen wissenschaftlichen Studien zur Rekrutierungsforschung verweisen häufig am Beginn eigener systematischer Untersuchungen ausgewählter Fragen des politischen Rekrutierungsprozesses kursorisch auf die in Medien und Öffentlichkeit artikulierte Kritik an der politischen Klasse, ohne jedoch die verschiedenen Kritikpunkte detailliert und systematisch in die eigenen Überlegungen einzubinden oder deren Plausibilität empirisch zu überprüfen.33 Die vor allem in der allgemeinen politischen Debatte erhobenen Vorwürfe gegen die Mitglieder der politischen Führungseliten, die in hohem Maße Ausfluss der allgemein 32 Wiesendahl (2006:110). 33 Vgl. z.B. Schüttemeyer (2005: 539f). - 13 - verbreiteten Politik- und Politikerverdrossenheit ist, zielen mehr oder weniger auf das Erscheinungsbild und das Handeln der Berufspolitiker, also auf die Ergebnisse des Rekrutierungsprozesses und weniger auf die Rekrutierungs- und Auswahlprozeduren als solches. Ein weiteres kennzeichnendes Merkmal der Debatte über politische Führungsgruppe ist die Vielfalt und Widersprüchlichkeit der Kritik am politischen Personal. Dass die Kritik vielfach von allfälligen Vorurteilen und ungeprüften Pauschalvorwürfen gegenüber „denen da Oben“ gespeist wird, versteht sich angesichts der hohen öffentlichen Aufmerksamkeit, die Politik und ihren Akteuren entgegengebracht werden, beinahe von selbst. Dabei wird allerdings auch deutlich, dass es über die Kriterien zur Beurteilung der Qualität des politischen Personals im Grunde genommen keinen Konsens gibt und deshalb je nach Anlass oder Blickwinkel völlig unterschiedliche und sich widersprechende Bewertungsmaßstäbe zugrunde gelegt werden. Vor dem Hintergrund, dass auch von politikwissenschaftlicher Seite allenfalls sehr allgemeine und in der Praxis nur unzulänglich überprüfbare Qualitätskriterien für Politiker genannt werden34, kann die widersprüchliche und nicht selten verwirrende Politikerschelte in der Öffentlichkeit allerdings nicht weiter verwundern.35 Angesichts der nur mangelhaften wissenschaftlichen Aufarbeitung der Defizite der politischen Rekrutierungspraxis können hier nur einige der wichtigsten, in Wissenschaft und Medien genannten Kritikpunkte stichwortartig aufgelistet werden. Auf deren theoretischen Bezug zu systematischen Fragestellungen der politikwissenschaftlichen Rekrutierungsforschung kann dabei ebenso wenig eingegangen werden wie auf die Überprüfung der Plausibilität entsprechender Aussagen. Am derzeitigen politischen Führungspersonal werden unter anderem folgende Punkte immer wieder kritisch hervorgehoben :36 - Berufspolitiker seien zu abgehoben und bewegten sich in einem von der übrigen Lebenswelt abgeschotteten Bereich („Raumschiff“), der sie darin hindere, das „wirkliche Leben“ der breiten Bevölkerungsgruppen und die sie berührenden Probleme und Interessen angemessen zu erfassen und hierauf adäquat zu reagieren. - Abgeordnete verfügten nicht über die notwendigen Sachkompetenzen und Qualifikationen , um angemessene Lösungen für die komplexen Probleme entwickeln zu können. Mangelnde Qualifikation und Kompetenzen der Abgeordneten seien auch ein wesentlicher Grund dafür, dass die Parlamente dem Sachverstand der Ministerialbürokratie nichts entgegensetzen könnten und deshalb eine wirksame Kontrolle des Regierungshandelns nur unzureichend stattfände. 34 Nach Schüttemeyer (2005: 540) müssen Politiker über „fachliche, kommunikative, soziale und prozedurale Kenntnisse verfügen, um … tragfähige Mehrheiten für Problemlösungen herzustellen“. Mit Blick auf steuerungstheoretische Funktionserfordernisse in post-industriellen Demokratien fordert Herzog (1990: 37) Politiker, die über politische Koordinations-, Vermittlungs- und Kommunikationskompetenzen verfügen; vgl. Wiesendahl (2006: 96-98). 35 Schüttemeyer (2005: 539f.). 36 Vgl. hierzu Schüttemeyer (2005: 539f); Wiesendahl (2006: 95 u. 103). - 14 - - Unter Berufspolitikern sei die Selbstbedienungsmentalität weit verbreitet, die sie dazu verleite, die von ihnen besetzten Machtpositionen und -befugnisse in unzulässiger Weise für die Erzielung persönlicher materieller Vorteile zu nutzen. - Berufspolitiker seien zu sehr mit dem Erwerb und der Sicherung einflussreicher Positionen beschäftigt und würden dadurch allzu sehr von der eigentlichen politischen Sacharbeit abgelenkt. - Die politischen Akteure seien nur unzureichend in der Lage, sich im Interesse des Allgemeinwohls den Wünschen und Bestrebungen der eigenen Partei und mächtiger Interessengruppen zu widersetzen. - Die von den Parteien monopolisierten personellen Auswahlverfahren führten zur fehlgeleiteten Auswahl des politischen Personals und seien verantwortlich für die Überforderung und Kompetenzdefizite der Politiker. Vor allem die lange ehrenamtliche , mit hohem Zeitaufwand und vielfältigen Frustrationserfahrungen verbundene Vorbereitungsphase auf kommunaler und regionaler Ebene erweise sich als eine zu große Hürde und reduziere insbesondere das Interesse ehrgeiziger und hochqualifizierter junger Talente an einer hauptberuflichen politischen Karriere. Schließlich wäre abschließend noch darauf hinzuweisen, dass vor dem Hintergrund des rasant anwachsenden Mitgliederrückgangs bei den Parteien zunehmend Sorge darüber artikuliert wird, ob das tendenziell überalterte und sich nur unzureichend erneuernde Mitgliederreservoir der Parteien zukünftig noch ausreichend wird, um genügend qualifiziertes Personal für die wichtigen politischen Ämter und Positionen zu rekrutieren. Obwohl es sich hierbei nicht um ein Problem der praktizierten Rekrutierungs- und Selektionsprozesse im eigentlichen Sinne handelt, zielt das Problem der personellen Auszehrung und Erstarrung der Parteien angesichts der dominanten Stellung der Parteien bei der Bereitstellung politischen Personals letztendlich um ein existenzielles Problem der etablierten parteienstaatlichen Demokratie.37 4. Die Bedeutung von parteiinternen Netzwerken, informellen Gremien und Jugendorganisationen für die Rekrutierung und Auswahl des politischen Personals Allgemein wird hier auf die Ausführungen über die parteiinternen Selektionsprozesse in Kapitel 2.2 verwiesen. Auf die zahlreichen Forschungsdefizite in diesem Bereich wurde bereits zu Beginn der Arbeit hingewiesen. Vor allem bezüglich der vielfältigen informellen Prozesse und Gremien38 gibt es gravierende Erkenntnislücken. Gerade weil es sich hierbei um oftmals ungeregelte und intransparente Abläufe und Interaktionen handelt (die nicht durch Satzungen oder andere formelle Regeln und Vorschriften geregelt sind, obwohl sie in großen Massenorganisation schon aus rein praktischen Gründen un- 37 Demuth (2004: 700); vgl. Niedermayer (2005). 38 Vgl. Frage 7 des Auftrags „Wie wird die Rolle von speziellen innerparteilichen (oder verbandsinternen ) Gremien / Kreisen für die Rekrutierungspraxis eingeordnet und analysiert? Z.B. Strömungen in den Fraktionen (Seeheimer-Kreis, Netzwerk junger Abg. u.a; Anden-Pakt (Kreis von JU- Führungsmitgliedern); Tankstellen-Kreis (rund um Roland-Koch); der aktuelle Kreis von JU- Mitgliedern (Cafe Einstein 7/2007); Pizza-Connection (CDU und Grüne Mitglieder) etc.“ - 15 - umgänglich und für das Funktionieren dieser Organisationen von existenzieller Bedeutung sind), sind die gängigen methodischen Instrumentarien der Sozialwissenschaften kaum in der Lage, diese Vorgänge adäquat zu erfassen und die entsprechenden Befunde einer systematischen Analyse zuzuführen. Selbst wenn man in der Lage wäre, entsprechende Instrumentarien zu entwickeln und alle relevanten Akteure zu identifizieren, ist es mehr als unwahrscheinlich, dass die Beteiligten tatsächlich bereit sind, über die entsprechenden Vorgänge in ausreichendem Maße Auskunft zu geben. Denn damit würden sie ihre zentralen „Betriebsgeheimnisse“ bekannt geben, deren Funktionsfähigkeit und Durchschlagskraft wesentlich davon abhängt, dass die Öffentlichkeit hiervon keine Kenntnis hat. Der politischen Rekrutierungsforschung bleibt somit zumeist nicht anderes übrig, als die Tatsache anzuerkennen, dass die Auswahl des politischen Personals nicht allein im Rahmen der satzungsmäßig festgelegten formalen Gremien und Abläufe bestimmt wird, sondern auch eine Vielzahl von informellen Akteuren und Prozessen hierbei eine bedeutsame Rolle spielen, ohne diese ausreichend identifizieren und deren Einfluss auch nur annähernd abschätzen zu können. Es ist kann daher nur wenig verwundern , wenn Suzanne Schüttemeyer 2005 anlässlich der Vorstellung erster Ergebnisses eines empirischen Forschungsprojekts zur Kandidatenauswahl durch die Parteien mit einiger Ernüchterung feststellte,: „Über die vielfältigen Varianten der Entscheidungsprozesse , über Netzwerke und ihre Beteiligten, über Einflusschancen verschiedener Parteiakteure können wir mehr oder minder plausible Vermutungen anstellen.“39 Auf die Rolle der Jugendorganisationen40 als Ausbildungsinstanz und Rekrutierungsreservoir für den innerparteilichen Führungsnachwuchs hatte schon Herzog in seiner grundlegenden Studie von 1975 hingewiesen.41 Auch wenn im Anschluss an Herzog die wichtige Rolle der Jugendorganisationen immer wieder hervorgehoben wurde, gibt es keine Bestätigung dieser Aussagen anhand aktuellen empirischen Materials.42 5. Personalpolitische Strategien der Parteien Als Reaktion auf gravierende Mitgliederprobleme (Überalterung, Mitgliederrückgang, kaum Neuzugänge), wachsenden Führungskräftemangel und verbreitete Politikerschelte haben die Parteien schon seit geraumer Zeit personalpolitische Strategien entwickelt, um die Qualifizierung und Professionalisierung des eigenen Führungsnachwuchs durch geeignete Schulungs- und Bildungsmaßnahmen zu erhöhen. Sie sollen, den optimisti- 39 Schüttemeyer (2005: 546). Eine „mehr oder minder plausible Vermutung“ zur Rolle von Netzwerken und informellen Gremien bei der Auswahl von Kandidaten für politische Spitzenpositionen findet sich bei 40 Vgl. Frage 9 des Auftrags: „Welche Rolle spielen die politischen Jugendorganisationen der im Bundestag vertretenen Parteien für die Nachwuchs-Rekrutierung?“ 41 Herzog (1975: 75-79). 42 Vgl. hierzu . - 16 - schen Erwartungen der Parteien zufolge, nicht nur verborgene Talente in der Mitgliedschaft erschließen und für die Parteien nutzbar machen, sondern auch zu einer grundlegenden Verbesserung von Politik insgesamt beitragen. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass auf politische Professionalisierung zielende Ausund Weiterbildungsmaßnahme die bestehende Rekrutierungs- und Selektionsprozesse lediglich nicht ergänzen, aber in ihrer Substanz nicht grundlegend verändern können. 6. Literatur - Best, Heinrich u.a. (o.J.). Zwischenauswertung der Deutsche Abgeordnetenbefragung 2003/04. Friedrich-Schiller-Universität Jena. Sonderforschungsbereich 580 – Teilprojekt A3: Delegationseliten nach dem Systemumbruch. Jena. - Borchert, Jens (2003). Die Professionalisierung der Politik. 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