© 2015 Deutscher Bundestag WD 1 - 3000 - 110/15 Ghettos in Mazedonien während des Zweiten Weltkrieges Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 110/15 Seite 2 Ghettos in Mazedonien während des Zweiten Weltkrieges Aktenzeichen: WD 1 - 3000 - 110/15 Abschluss der Arbeit: 15. Dezember 2015 Fachbereich: WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 110/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Situation Mazedoniens während des Zweiten Weltkrieges 4 3. Definition Ghetto 4 4. Quellen und Rechercheergebnisse 5 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 110/15 Seite 4 1. Einleitung Diesem Sachstand liegt die Frage zu Grunde, ob es in Mazedonien während des Zweiten Weltkrieges Ghettos gegeben hat. Dabei wurde auch auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 28. Oktober 2015 verwiesen, in der die Bundesregierung ausführt, dass keine Erkenntnisse vorlägen, nach denen auf dem Gebiet des bulgarisch besetzten Teils Mazedoniens Ghettos im Sinne des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigung in einem Ghetto existiert hätten.1 2. Situation Mazedoniens während des Zweiten Weltkrieges Bulgarien hatte im April 1941 mit Unterstützung deutscher Truppen den größten Teil von Mazedonien besetzt, das bis dahin zu Jugoslawien gehört hatte.2 Ein kleiner Teil im Westen wurde an das Protektorat Groß-Albanien angeschlossen, das bis September 1943 unter italienischer und anschließend bis November 1944 unter deutscher Kontrolle stand. Laut Aussagen der deutschen Historikerin Dr. Karola Fings verblieben im bulgarisch besetzten Teil Mazedoniens anfangs noch deutsche Truppen „zur Sicherung der Kommunikationswege und kriegswichtiger Objekte“ im Land und arbeiteten die bulgarischen Sicherheitsorgane eng mit deutschen „Sicherheitsdiensten“ sowie der Gestapo zusammen.3 Die bulgarische Besetzung Mazedoniens dauerte bis September 1944.4 3. Definition Ghetto Laut dem Brockhaus Wissensservice leitet sich der Begriff „Ghẹtto“ aus dem Italienischen ab. Die Herkunft ist demnach umstritten und stammt vielleicht von hebräisch „ghet“ (Absonderung) oder von italienisch „getto“ („Gießerei“- nach der Annahme, dass sich das Judenviertel von Venedig am Anfang des 16. Jahrhunderts in unmittelbarer Nachbarschaft einer Kanonengießerei befand). Im Brockhaus wird weiter ausgeführt, dass Ghetto eine „Bezeichnung von behördlich erzwungenen und räumlich beschränkten jüdischen Wohnvierteln“ sei, die „von außen abgeriegelt werden und mit nächtlichem Ausgehverbot belegt sind“. In übertragenem Sinn hieße Ghetto „jeder Bezirk einer Stadt, in dem eine ethnische, soziale oder religiöse Minderheit (zum Teil in aufgezwungener Segregation) lebt“ (siehe den als Anlage 1 beigefügten Auszug des Brockhaus Wissensservice ). 1 Vgl. BT-Drs. 18/6493 vom 28. Oktober 2015. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. - Drucksache 18/6309 – Mögliche Probleme bei der Umsetzung des Ghettorenten-Gesetzes, insbesondere in Hinblick auf die Opfergruppe osteuropäischer Roma. Antwort auf Frage Nr. 12 auf S. 6. 2 Vgl. Ramet, Sabrina. Die drei Jugoslawien. Eine Geschichte der Staatsbildungen und ihrer Probleme. München. 2011. S. 199. 3 Siehe Fings, Karola. … einziges Land, in dem Judenfrage und Zigeunerfrage gelöst: Die Verfolgung der Roma im faschistisch besetzten Jugoslawien 1941-1945. Köln 1992. Seite 44. 4 Vgl. Ramet, Sabrina. Die drei Jugoslawien. Eine Geschichte der Staatsbildungen und ihrer Probleme. München. 2011. S. 200. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 110/15 Seite 5 Laut dem Historiker Prof. Dr. Wolfgang Benz dienten Ghettos unter „nationalsozialistischer Regie “ im Zweiten Weltkrieg der „Internierung, Ausbeutung und Vernichtung“ und waren „Durchgangsstationen in die Vernichtungslager“ sowie „Arbeitskräftereservoir und Produktionsstätten für die Rüstung“. Demnach hatten Ghettos keine einheitliche Struktur, sondern „regional unterschiedliche Erscheinungsformen und folgten keiner erkennbaren politischen und administrativen Logik“. Außerdem habe zur Definition eine gewisse Selbstverwaltung sowie die Einweisung in keineswegs selbstgewählte Wohnbezirke gehört.5 Die Bundesregierung verweist in ihrer o.g. Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE auf den unbestimmten Rechtsbegriff eines zwangsweisen Ghettoaufenthaltes. Demnach orientierten sich die deutschen Rentenversicherungsträger bei der Auslegung dieses Begriffs an den von der Rechtsprechung entwickelten drei Kriterien, die mit dem aktuellen Forschungsstand in der Geschichtswissenschaft übereinstimmten: Absonderung, Konzentrierung und internierungsähnliche Unterbringung der Verfolgten.6 4. Quellen und Rechercheergebnisse Als grundlegendes Werk zum Thema Ghettos wird in der Forschung immer wieder die vom United States Holocaust Memorial Museum herausgegebene zweibändige Ghettoenzyklopädie genannt , die einen umfassenden Überblick über die bekannten Ghettos gibt.7 Eine weitere Enzyklopädie entstand auf der Basis der Forschungsliteratur in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem .8 Zu umfassenden Publikationen über Ghettos gehört die Veröffentlichung des Nordost-Instituts „Lebenswelt Ghetto – Alltag und soziales Umfeld während der nationalsozialistischen Verfolgung “.9 Für diesen Sachstand zur Situation in Mazedonien wurde bei der Bibliothek des Deutschen Bundestages eine Literaturrecherche in Auftrag gegeben, die im Ergebnis nur sehr wenige Bücher und Aufsätze auflisten konnte, u.a. zwei Veröffentlichungen des Historikers Björn Opfer von 2005: 5 Vgl. Benz, Wolfgang. Ghetto – Definitionen, Strukturen, Funktionen. In: Hansen, Imke (Hrsg.). Lebenswelt Ghetto - Alltag und soziales Umfeld während der nationalsozialistischen Verfolgung. Wiesbaden. 2013. S. 24 - 36. 6 Vgl. BT-Drs. 18/6493 vom 28. Oktober 2015. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. - Drucksache 18/6309 – Mögliche Probleme bei der Umsetzung des Ghettorenten-Gesetzes, insbesondere in Hinblick auf die Opfergruppe osteuropäischer Roma. Antwort auf Frage Nr. 6 auf S. 4. 7 Megargee, Geoffrey P. (Hrsg.). The United States Holocaust Memorial Museum Encyclopedia of Camps and Ghettos 1933-1945. Bloomington. 2012. 8 Miron, Guy (Hrsg.). Die Yad-Vashem-Enzyklopädie der Ghettos während des Holocaust. Wiesbaden. 2009. 9 Hansen, Imke (Hrsg.). Lebenswelt Ghetto - Alltag und soziales Umfeld während der nationalsozialistischen Verfolgung . Wiesbaden. 2013. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 110/15 Seite 6 Den Aufsatz: „Der Wahn vom homogenen Großreich: die bulgarische Nationalitätenpolitik im besetzten Makedonien während des Zweiten Weltkrieges“10 und das Buch „Im Schatten des Krieges . Besatzung oder Anschluss – Befreiung oder Unterdrückung? Eine komparative Untersuchung der bulgarischen Herrschaft in Vardar-Makedonien 1915-1918 und 1941-1944“.11 Für entsprechende Informationen und Literaturhinweise wurde auch beim Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin nachgefragt sowie bei der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin, die auch den Auftrag hat, zur Erinnerung an alle Opfer des Nationalsozialismus beizutragen und „ihre Würdigung in geeigneter Weise sicherzustellen“. In keiner der genannten Quellen oder weiteren Publikationen, die von den angefragten Institutionen genannt wurden, gibt es irgendwo einen Hinweis auf Ghettos in Mazedonien. Es zeigte sich auch, dass in der deutschsprachigen Literatur der Informationsstand zur Behandlung von Minderheiten in Mazedonien während des Zweiten Weltkrieges sehr gering ist und dass es kaum Forschungen zur Situation der Roma im bulgarisch besetzten Mazedonien gibt. Laut Aussage der Historikerin und stellvertretenden Direktorin des Kölner NS-Dokumentationszentrums Dr. Karola Fings, die sich schon lange mit den Roma beschäftigt, wurden im besetzten Mazedonien die Juden an die Gestapo und SS ausgeliefert und in Vernichtungslager deportiert. Ähnliches gelte demnach für die Verfolgung der Roma, die von Mazedonien aus vor allem zur Zwangsarbeit nach Bulgarien sowie in andere Regionen z.B. nach Serbien verschleppt worden seien (siehe als Anlage 2 einen Auszug aus ihrem Buch: … einziges Land, in dem Judenfrage und Zigeunerfrage gelöst: Die Verfolgung der Roma im faschistisch besetzten Jugoslawien 1941-1945. Köln 1992. Seite 44 bis 47). Zusätzlich wurde auch eine Anfrage an den Wissenschaftlichen Dienst des Parlamentes der Republik Mazedonien (Parliamentary Institute) gerichtet, der seinerseits Nachforschungen beim Staatsarchiv der Republik Mazedonien, beim mazedonischen Institut für Nationalgeschichte, beim Fachbereich für Geschichte an der Saints Cyril and Methodius University in Skopje (der ältesten und größten Universität Mazedoniens), dem Holocaust Museum in Skopje sowie bei Professor Phd. Marjan Dimitrievski (mit dem Spezialgebiet mazedonische Geschichte während des Zweiten Weltkrieges) durchgeführt hat. Im Ergebnis hat auch der Wissenschaftliche Dienst des Parlamentes der Republik Mazedonien keine Belege oder Dokumente über die Existenz von Ghettos in Mazedonien während des Zweiten Weltkrieges gefunden, weder hinsichtlich des bulgarisch besetzten noch des italienisch besetzten Teils des Landes. 10 Opfer, Björn. Der Wahn vom homogenen Großreich : die bulgarische Nationalitätenpolitik im besetzten Makedonien während des Zweiten Weltkrieges. In: Zeitschrift für Genozidforschung: Strukturen, Folgen, Gegenwart kollektiver Gewalt. Ausgabe 6 (2005), 1. S. 42 – 71. 11 Opfer, Björn. Im Schatten des Krieges. Besatzung oder Anschluss – Befreiung oder Unterdrückung? Eine komparative Untersuchung der bulgarischen Herrschaft in Vardar-Makedonien 1915-1918 und 1941-1944“. Münster. 2005.