Die Lage der Christen in der Türkei - Ausarbeitung - © 2008 Deutscher Bundestag WD 1 - 3000 - 097/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Die Lage der Christen in der Türkei Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 097/08 Abschluss der Arbeit: 21.08.2008 Fachbereich WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. Inhalt 1. Einleitung 3 2. Die historische Entwicklung des türkischen Laizismus 3 3. Das Präsidium für Religiöse Angelegenheiten 5 4. Die christlichen Religionsgemeinschaften in der Türkei 5 5. Der rechtliche Status der christlichen Minderheiten 9 5.1. Stiftungsrecht 10 5.2. Christlicher Klerus 11 5.3. Baurecht 12 5.4. Vereinsrecht 13 5.5. Missionstätigkeit 13 6. Literaturverzeichnis 14 - 3 - 1. Einleitung Gemäß Art. 2 der Verfassung vom 18. Oktober 1982 ist die „Republik Türkei […] ein […] laizistischer Rechtstaat“. Religions- und Gewissensfreiheit sind verfassungsrechtlich verankert und allen Bürgerinnen und Bürgern werden ungeachtet ihres religiösen Bekenntnisses die gleichen Rechte garantiert. Gleichwohl kommt es von staatlicher Seite in der Praxis immer wieder zu Einschränkungen der Religionsfreiheit, von denen insbesondere die nicht-muslimischen Religionsgemeinschaften betroffen sind. Anders als es die Bestimmung „laizistischer Rechtsstaat“ möglicherweise erwarten lässt, kennt das Laizismusmodell der Türkei keine Trennung von Staat und Kirche oder eine staatliche Neutralitätspflicht gegenüber den unterschiedlichen Religionsgemeinschaften . Die Mehrheitsreligion – der sunnitische Islam – ist vielmehr einer umfassenden staatlichen Verwaltung und Kontrolle unterworfen, die in der Absicht erfolgt, seine politische Instrumentalisierung zu verhindern, eine umfassende Säkularisierung der Gesellschaft durchzusetzen und darüber hinaus einen möglichst homogenen Nationalstaat zu schaffen1. Der türkische Staat richtet sich dabei ausschließlich – sowohl kontrollierend als auch fördernd – an die Mehrheitsreligion. Er lässt die muslimischen Aleviten, deren Gemeinschaft in der Türkei rund 15 – 20 Millionen Personen umfasst, weitgehend unbeachtet und schränkt die Freiheit der nicht-muslimischen Religionsgemeinschaften ein. 2. Die historische Entwicklung des türkischen Laizismus Schon bevor Mustafa Kemal Atatürk zum Staatsgründer der modernen Türkei avancierte , hatte er einen klaren Begriff von den Umständen, die nach seiner Auffassung die Rückständigkeit seines Landes verursachten: Nach seiner Ansicht war es insbesondere der Islam, der den Fortschritt des Osmanischen Reiches behindert hatte. Folglich musste es die primäre Aufgabe der Politik sein, Staat und Gesellschaft umfassend zu säkularisieren 2. Nach der Gründung der türkischen Republik kam es deshalb im Zuge der kemalistischen Kulturrevolution in rascher Folge zu Reformen, mit denen der Islam umfassend marginalisiert werden sollte: Man schränkte den Religionsunterricht an den Schulen zunächst sukzessive ein und verbot ihn schließlich vollständig, die Koranschulen 1 Vgl. Seufert, Günter, Staat und Islam in der Türkei, Berlin 2004, S. 11f und Karakas, Cemal, Türkei: Islam und Laizismus zwischen Staats -, Politik- und Ge sellschaftsinteressen, Frankfurt a. M. 2007 (HSFK-Report 1/2007), S. 6f. 2 Vgl. Steinbach, Udo, Die Türkei im 20. Jahrhundert. Schwieriger Partner Europas, Bergisch Gladbach 1996, S. 93ff. - 4 - und theologischen Lehranstalten des Landes wurden geschlossen, die religiösen Ordensgemeinschaften verboten. Das islamische Recht wurde abgeschafft, die arabische Schrift durch die lateinische ersetzt, die islamische Zeitrechnung durch den gregorianischen Kalender abgelöst, das Tragen religiöser Kleidung verboten. 1928 verlor der Islam seinen Rang als Staatsreligion. An seine Stelle trat 1937 das Prinzip des Laizismus3. Zu einer Rückkehr des Islams in den öffentlichen Raum kam es erst, als der Übergang zur Demokratie und zum Mehrparteiensystem im Jahr 1946 die Politik zwang, auf die religiösen Überzeugungen der türkischen Bevölkerung verstärkt Rücksicht zu nehmen. Der Wahlsieg der konservativen Demokratischen Partei im Jahr 1950 hatte einen Ausbau staatlicher religiöser Bildung und eine Lockerung des Ordensverbotes zur Folge. Die Situation wandelte sich erneut nach dem Militärputsch des Jahres 1980. Das von der militärischen Führung vertretene Konzept einer „Türkisch-Islamischen Synthese“ bestimmte die Kultur- und Bildungspolitik bis 1997. Entlang seiner Linien kam es einerseits zu einem umfassenden Ausbau der religiösen Bildung – so wurde unter anderem der sunnitisch geprägte Religionsunterricht für alle Schüler obligatorisch –, andererseits wurden die säkularisierenden Reformen der zwanziger und dreißiger Jahre in die Verfassung aufgenommen. Das von dieser Synthese geschaffene islamische Klima in Gesellscha ft und Politik trug 1995 zum Wahlerfolg der pro- islamischen Wohlfahrtspartei bei, deren Vorsitzender, Necmettin Erbakan, ab Juni 1996 das Amt des Ministerpräsidenten innehatte, bis das türkische Militär erneut intervenierte: Das Kabinett Erbakan musste zurücktreten, die Wohlfahrtspartei wurde 1998 verboten. Ihr reformorientierter Flügel organisierte sich in der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) neu, die seit 2002 zunächst mit Abdullah Gül und dann ab 2003 mit Recep Tayyip Erdogan den türkischen Ministerpräsidenten stellt. Das Verhältnis der AKP zum Laizismus wird kontrovers diskutiert. Erblicken eine Re ihe von Wissenschaftlern in der Reformpolitik, durch die die AKP in den letzten Jahren zahlreiche religionsrechtliche Bestimmungen gelockert hat, den Versuch, die säkulare Ordnung der Türkei zu beseitigen und einen islamischen Staat zu errichten, erkennen andere Beobachter in den Anstrengungen der AKP nur das Bemühen, die Religion stärker in die Hände der Zivilgesellschaft zu legen und damit eine „Anpassung an europäische Standards“ (Günter Seufert) vorzunehmen. 3 Vgl. zum Folgenden: Seufert, Günter, Staat und Islam in der Türke i, Berlin 2004, S. 14-16 und Karakas , Cemal, Türkei: Islam und Laizismus zwischen Staats-, Politik und Gesellschaftsinteressen, Frankfurt a. M. 2007 HSKF-Report 1/2007), S. 8-37. - 5 - 3. Das Präsidium für Religiöse Angelegenheiten Die Religion – oder vielmehr: der sunnitische Islam – wird in der Türkei von einer staatlichen Behörde, dem Präsidium für Religiöse Angelegenheiten (Diyanet Isleri Baskanligi) verwaltet, die schon kurze Zeit nach der türkischen Staatsgründung am 3. März 1924 eingerichtet wurde4. Die Behörde ist gemeinsam mit dem „Ministerium für Nationalerziehung“ (Milli Egitim Bakanligi), das für den staatlichen Religionsunterricht und die Kontrolle der theologischen Fakultäten verantwortlich zeichnet, die zentrale Institution zur Durchsetzung des türkischen Laizismus. Sie untersteht direkt dem Ministerpräsidenten . Ihre Geschäfte werden von einem auf akademischem Niveau islamkundigen Präsidenten geleitet – derzeit handelt es sich dabei um Professor Ali Bardakoglu. Der Aufgabenbereich der Diyanet Isleri Baskanligi wurde seit ihrer Gründung kontinuierlich erweitert, so dass die Behörde inzwischen zu den größten staatlichen Institutionen der Türkei zählt. Mit einem Budget von rund 700 Millionen Euro ausgestattet, beschäftigte sie nach eigenen Angaben im Jahr 2007 84.195 Personen und war für knapp 80.000 Moscheen in der Türkei verantwortlich5. Die primären Aufgaben des Präsidiums für Religiöse Angelegenheiten sind die Verwaltung und Kontrolle der Moscheen sowie die Ernennung von Vorbetern (imam), Predigern (vaiz) und Gebetsrufern (müezzin). Ferner arbeitet die in Ankara ansässige Behörde die bedeutsame Freitagspredigt (hutbe) aus, die an alle Moscheen des Landes übermittelt wird. Dem Präsidium für Religiöse Angelegenheiten obliegen zudem die Erteilung religiöser Handlungsanleitungen für den Alltag (fetwa), die Ausrichtung der offiziellen Korankurse, die Organisation und Kontrolle der Pilgerfahrt nach Mekka sowie die religiöse Betreuung türkischer Muslime im Ausland. Ferner zeichnet sie in den staatlichen Medien für die inhaltliche Gestaltung von Sendungen über den Islam und Koranrezitationen sowie für die Publikation religiösen Schrifttums verantwortlich. 4. Die christlichen Religionsgemeinschaften in der Türkei In den Grenzen der Türkei lebt heute nur noch ein Bruchteil der christlichen Bevölkerung , die zu Zeiten des Osmanischen Reiches auf diesem Territorium ansässig war. Fielen nach wissenschaftlichen Angaben der Politik der jungtürkischen Regierung in den 4 Zur Geschichte und Organisation der Behörde vgl. Tröndle, Dirk, Die Debatte um den Islam und seine Institutionalisierung in der Türkei, in: Zeitschrift für Türkeistudien 14 (2001), S. 21-48. 5 Vgl. http://www.diyanet.gov.tr [Stand: 14. August 2008]. - 6 - Jahren 1915 – 1917 zwischen 800.000 und 1.400.000 Armenier zum Opfer6, so mussten infolge der mit Griechenland im Jahr 1923 abgeschlossenen Konvention über den Austausch der muslimischen und christlichen Bevölkerung beider Staaten rund 1,2 Millionen Christen – unter ihnen auch die turkophonen Orthodoxen (Karamanli) – die Türkei verlassen. Der asiatische Teil der Türkei, dessen Bevölkerung vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Jahr 1914 zu etwa 80 Prozent muslimischen Glaubens war, hatte bis zur Staatsgründung im Jahr 1923 einen muslimischen Bevölkerungsanteil von rund 98 Prozent erreicht. Seither sinkt der Anteil der Christen an der türkischen Gesamtbevölkerung kontinuierlich und beträgt inzwischen nur noch rund 0,2 Prozent. Gegenwärtig leben nach inoffiziellen Schätzungen 100.000 bis 150.000 Christen in der Türkei7. Bei ihnen handelt es sich nicht um eine homogene Gemeinschaft : Die nach Zahlen größte christliche Gruppe wird von der armenisch-orthodoxen Kirche mit ca. 60.000 Angehörigen gestellt. Ihr Mittelpunkt ist das Patriarchat in Istanbul, dem der armenische Patriarch Mesrob II. Mutafyan vorsteht. Die armenische Kirche der Türkei unterteilt sich in vier Istanbuler und einen anatolischen Bezirk. Sie verfügt über eigene Schulen, ein Krankenhaus und zwei Waisenhäuser. Bei der historisch bedeutsamsten Kirche der Türkei handelt es um das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel. Es wird geleitet von dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I., dessen Titel vom türkischen Staat nicht anerkannt wird. Seiner Kirche gehören insgesamt rund 3,5 Millionen orthodoxe Christen an, von denen allerdings nur noch ein Bruchteil in der Türkei lebt. Die griechisch-orthodoxe Gemeinschaft, deren Angehörige vorwiegend in Istanbul ansässig sind, umfasst derzeit noch 2.000 – 4.000 Gläubige. 6 Sowohl die Bewertung der Vertreibung und Massaker an den Armenier als auch die Zahl der Opfer sind in der historischen Forschung umstritten. Einen Überblick über den Forschungsstand gibt: Schaller, Dominik J., Der Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs und seine Darstellung in der Historiographie, in: Wojak, Irmtrud; Meinl, Susanne (Hg.) Völkermord und Kriegsverbrechen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main, New York 2004 (Jahrbuch 2004 zur Geschichte und Wirkung des Holocaust), S. 99–127. Der Deutsche Bundestag hat am 16. Juni 2005 mit den Stimmen aller Fraktionen eine Entschließung zum Gedenken an die armenischen Opfer verabschiedet. In der Resolution selbst ist nicht von "Vö lkermord " die Rede, wohl aber in der Antragsbegründung. Dort heißt es: „Zahlreiche unabhängige Historiker, Parlamente und internationale Organisationen bezeichnen die Vertreibung und Vernichtung der Armenier als Völkermord“. Zit. Drs 15/5689: „Erinnerung und Gedenken an die Vertreibungen und Massaker an den Armeniern 1915 – Deutschland muss zur Versöhnung zwischen Türken und Armeniern beitragen“ vom 15. Juni 2005. 7 Gesichertes statistisches Material ist nicht vorhanden. Die in der Literatur genannten Zahlen divergieren beträchtlich. Die Ausarbeitung orientiert sich im Folgenden an den vom Leiter der Fachstelle Menschenrechte des Internationalen Katholischen Missionswerks Missio, Otmar Oehring, genannten Zahlen. Vgl. Oehring, Otmar, Zur Lage der Menschenrechte in der Türkei – Laizismus = Religionsfreiheit ?, Aachen 2002 (Internationales Katholisches Missionswerk e. V., Fachstelle Menschenrechte 5), S. 11. - 7 - Die syrisch-orthodoxe Kirche der Türkei hatte ihre Zentren im Südosten des Landes. Ihre Gläubigen stammen vor allem aus dem Gebiet Tur Abdin und sind von dort nach Istanbul gekommen. Etwa 10.000 syrisch-orthodoxe Christen leben in Istanbul, 3000 im Tur Abdin. Die römisch-katholische Kirche ist in drei Bezirke unterteilt: die beiden Apostolischen Vikariate Istanbul und Anatolien sowie die Erzdiözese Izmir. Im Apostolischen Vikariat Istanbul, das den europäischen Teil der Türkei und das nordwestliche Anatolien umfasst , leben rund 15.000, im Erzbistum Izmir, das sich über das südwestliche Anatolien bis nach Alanya erstreckt, rund 1300 und im Apostolischen Vikariat Anatolien, dem das restliche Territorium der Türkei zugeordnet wird, rund 4500 Katholiken. Das Gros der römisch-katholischen Christen besitzt nicht die türkische Staatsbürgerschaft. Der katholischen Bischofskonferenz der Türkei gehören insgesamt sieben Mitglieder an. Dabei handelt es sich neben dem Apostolischen Vikar von Anatolien, Bischof Luigi Padovese, der der Konferenz seit 2008 vorsitzt, dem Apostolischen Vikar von Istanbul, Bischof Louis Pelâtre, und dem Erzbischof von Izmir, Ruggero Franceschini, um die Ordinarien der unierten Kirchen. Im Einzelnen sind dies: Msgr. Yusuf Sag, der Vertreter der syrisch-katholischen Kirche, deren Gemeinde rund 1.200 Mitglieder umfasst und als deren Zentrum die frühere Jesuitenniederlassung von Istanbul, Sacre Coeur, dient, Msgr. François Yakan, der Vertreter der chaldäischen Kirche, die noch rund 1000 Mitglieder zählt und deren Gottesdienstzentrum die Krypta der römisch-katholischen Kirche Sankt Anton in Istanbul ist, sowie zwei Vertreter der armenisch-katholischen Kirche , der in der Türkei rund 3000 Christen angehören und die ebenfalls ihr Zentrum in Istanbul hat. Darüber hinaus sind in der Türkei auch mehrere Kirchen der Reformation aktiv. Dabei handelt es sich insbesondere um die im Jahr 1843 gegründete „Evangelische Gemeinde deutscher Sprache in der Türkei“, die im Wesentlichen lutheranisch geprägt ist8, die angelikanische Kirche, das American Board of Commissioners of Foreign Missions und die Union Church. 8 Vgl. http://www.evkituerkei.ag.vu/index.html [Stand: 14. August 2008]. - 8 - Übersicht der christlichen Minderheiten in der Türkei Römisch-Katholische Kirche 15.000 4500 1300 Apostolisches Vikariat Istanbul Apostolisches Vikariat Anatolien Erzdiözese Izmir Katholische Ostkirchen Armenisch-katholische Kirche Chaldäische Kirche Syrisch-katholische Kirche 3.000 300-1000 1.200 >95% Istanbul >95% Istanbul >95% Istanbul Orthodoxe Kirchen Armenisch-orthodoxe Christen Griechisch-orthodoxe Christen Syrisch-orthodoxe Christen 50.000 – 60.000 2.000 – 4.000 10.000 3000 >95% Istanbul Erzdiözese Istanbul Erzdiözese Tur Abdin Andere Christen 10.000 – 15.000 - 9 - 5. Der rechtliche Status der christlichen Minderheiten Das grundsätzliche Problem, mit dem sich alle christlichen Kirchen in der Türkei konfrontiert sehen, ist das ihrer fehlenden Rechtspersönlichkeit. Im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland, in der Glaubensgemeinschaften nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV selbständig Träger von Rechten und Pflichten werden können, wurde bei der Gründung der türkischen Republik die Rechtspersönlichkeit sowohl der muslimischen als auch der nicht-muslimischen Religionsgemeinschaften aufgehoben. Im Einzelnen sind die Rechte der nicht-muslimischen Minderheiten durch den Friedensvertrag von Lausanne geregelt worden, durch den die Türkei im Jahr 1923 ihre nationale Unabhängigkeit erhielt. Obwohl der Vertrag nicht zwischen einzelnen nichtmuslimischen Minderheiten unterscheidet, stellt sich die Türkei auf den Standpunkt, dass nur bestimmte Glaubensgemeinschaften als Minderheiten im Sinne des Vertrages anzuerkennen sind und damit in den Genuss entsprechender Privilegien gelangen können 9. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsauffassung lässt sich unter den christlichen Minderheiten erstens die Gruppe der Armenier und Griechen abgrenzen, die von der Türkei als nicht-muslimische Minderheiten im Sinne des Lausanner Vertrages anerkannt werden und die infolgedessen insbesondere das Recht zum Unterhalt religiöser Stiftungen und von Minderheitenschulen haben. Daneben besteht zweitens die Gruppe der christlichen Minderheiten, die zwar schon bei Abschluss des Vertrages in der Türkei präsent waren, von staatlicher Seite aber nicht als Minderheit im Sinne des Lausanner Vertrages anerkannt werden. Dies sind insbesondere die römisch-katholische Kirche, die chaldäische, die syrisch-katholische und die syrisch-orthodoxe Kirche. Die dritte Gruppe bilden die nicht-muslimischen Religionsgemeinschaften, die erst nach der Staatsgründung ihre Arbeit in der Türkei aufgenommen haben. Dabei handelt es sich insbesondere um eine Reihe evangelischer Freikirchen und die Zeugen Jehovas. Aus der Tatsache, dass die christlichen Kirchen in der Türkei keine Rechtspersönlichkeit besitzen, resultieren zahlreiche Probleme in Bezug auf das Funktionieren der entsprechenden Institutionen, da die leitenden Amtsträger nur eingeschränkte Intervent ionsmöglichkeiten in den ihrer Kirche zugeordneten Einrichtungen haben. So besteht rein rechtlich betrachtet keine Beziehung zwischen den Patriarchaten einerseits und ihren Pfarrgemeinden sowie Bildungs- und Wohlfahrtseinrichtungen andererseits, da die Gemeinden bzw. deren Einrichtungen von Gemeindestiftungen (cemaat vakiflar) getra- 9 Vgl. Oehring, Otmar, Zur Lage der Menschenrechte in der Türkei – Laizismus = Religionsfreiheit?, Aachen 2002 (Internationales Katholisches Missionswerk e. V., Fachstelle Menschenrechte 5), S. 6f. - 10 - gen werden, die zwar als Eigentümer des kirchlichen Besitzes auftreten, als Stiftung aber allein der Aufsicht der türkischen Generaldirektion für Stiftungen unterstehen. Mit ganz ähnlichen Problemen sieht sich auch die römisch-katholische Kirche der Türkei konfrontiert: Ihre Bischöfe werden vom Staat nicht rechtswirksam anerkannt und nur protokollarisch als Führer ihrer Religionsgemeinschaften behandelt. Gleiches gilt für die Kirchen respektive Kirchenführer der unierten Kirchen in der Türkei. Ihre Pfarrgemeinden und Einrichtungen sind – wie jene der armenisch-orthodoxen Kirche – durchweg zivilrechtlich als „Gemeinstiftungen“ organisiert. Die Evangelische Kirche in Deutschland beklagte 2006, dass das Aufsichtsgremium der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde mit Sitz in Istanbul durch den türkischen Staat kontrolliert werde. Eine Überführung der noch aus der Zeit des Osmanischen Re iches stammenden Rechtstitel, Besitzstände und Bestandsgarantieren in türkisches Recht sei nicht möglich; aufgrund der fehlenden Rechtspersönlichkeit sei zudem die Eröffnung eines Bankkontos verwehrt10. 5.1. Stiftungsrecht In der Praxis sehen sich die Gemeindestiftungen mit zahlreichen Problemen und Behinderungen von staatlicher Seite konfrontiert. Eines der bedeutendsten Probleme besteht darin, dass die im Jahr 1936 erlassenen Ausführungsbestimmungen zum Stiftungsgesetz die Verzeichnung des Eigentums der muslimischen und nicht-muslimischen Stiftungen vorsahen und der türkische Kassationsgerichtshof in einem umstrittenen Urteil 1974 entschied, dass nicht nur die Immobilien, die 1936 nicht registriert worden waren, sondern auch der Besitz, der seither von den Gemeindestiftungen durch Kauf, Schenkung oder Erbschaft erworben wurde, konfisziert werden darf. Infolge dieser Entscheidung kam es zu zahlreichen Konfiskationen durch den türkischen Staat, die erst in den letzten Jahren ein Ende fanden, als die Türkei mit Blick auf einen möglichen Beitritt zur Europäischen Union ihr Stiftungsrecht mehrfach novellierte11. In einem ersten Schritt wurde den Stiftungen 2002 und 2003 mit dem 3. und 4. EU- Harmonisierungsgesetz gestattet, ihre Immobilien innerhalb einer bestimmten Frist ver- 10 Vgl. http://www.ekd.de/ausland_oekumene/pm194_2005_ekd_christen_in_der_tuerkei.html [Stand: 21. August]. 11 So notiert Otmar Oehring, dass seit 1974 „hunderte“ Gerichtsverfahren in Eigentumsfragen angestrengt wurden. Vgl. Oehring, Otmar, Zur Lage der Menschenrechte in der Türkei – Laizismus = Religionsfreiheit?, Aachen 2002 (Internationales Katholisches Missionswerk e. V., Fachstelle Menschenrechte 5), S. 11 - 11 - zeichnen zu lassen und damit in einen gesicherten rechtlichen Status zu überführen. Seit 2003 können Gemeindestiftungen zudem mit Erlaubnis der staatlichen Stiftungsgeneraldirektion auch Immobilien erwerben und verkaufen, um religiöse Aufgaben zu erfüllen . Die praktische Ausführung dieser Gesetze wurde aber von der Europäischen Kommission als unzureichend erachtet. So konstatiert ihr Fortschrittsbericht vom 9. November 2005, dass von 2.285 Anträgen auf Eintragung von Eigentum, die infolge der Reform des Stiftungsrechtes gestellt worden seien, nur 341 von der zuständigen Generald irektion für das Stiftungswesen angenommen worden wären12. Weitreichende Hoffnungen verbinden sich deshalb mit einem Reformgesetz, das schon im Jahr 2006 vom türkischen Parlament angenommen, dann aber vom damaligen Staatspräsidenten Ahmet Necdet Sezer nicht unterzeichnet und erst am 25. Februar 2008 von seinem Amtsnachfolger Abdullah Gül in Kraft gesetzt wurde. So erlaubt das neue Stiftungsgesetz den Gemeindestiftungen nunmehr, Güter zurückzuverlangen, die infolge der Entscheidung des türkischen Kassationsgerichtshofes konfisziert wurden, sofern sie sich noch im Besitz des türkischen Staates befinden. Ferner sollen Stiftungen Eigentum künftig frei erwerben und transferieren sowie Schenkungen und Spenden aus dem Ausland annehmen dürfen13. Zu berücksichtigten ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass sich die Neuerungen im Stiftungsrecht nur auf die Situation der christlichen Minderheiten im Sinne des Lausanner Vertrages auswirken, da die römisch-katholische Kirche oder die Kirchen der Reformation über keine Gemeindestiftungen verfügen. 5.2. Christlicher Klerus Ein weiteres gravierendes Problem, mit dem sich die christlichen Minderheiten konfrontiert sehen und das insbesondere im Falle kleinerer Religionsgemeinschaften ein existentielles Ausmaß annehmen kann, sind die Beschränkungen, denen der Klerus unterliegt . Nach den rechtlichen Rahmenbestimmungen müssen in der Türkei arbeitende Kleriker grundsätzlich die türkische Staatsangehörige besitzen. Einheimische Ausbildungsstätten sind deshalb von größter Bedeutung, doch sind die Hochschulen des Ökumenischen und des Armenischen Patriarchats seit den 70er Jahren geschlossen, da nach aktueller Rechtslage die Ausbildung von Theologen aller Glaubensrichtungen in der Türkei nur an staatlichen Hochschulen erfolgen kann. Eine christlich-theologische Fakultät besteht aber an keiner der türkischen Hochschulen. 12 Vgl. die detaillierten Ausführungen des entsprechenden Berichtes der Europäischen Kommission: www.ec.europa.eu/enlargement/archives/pdf/key_documents/2005/package/sec_1426_final_progres s_report_tr_de.pdf [Stand: 16. August 2008]. 13 Vgl. Oehring, Otmas, What difference does the latest Foundations Law make?, unter: http://www.forum18.org/Archive.php?article_id=1100 [Stand 19. August 2008]. - 12 - Das Interesse des Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus I. richtet sich deshalb seit Jahren auf die Wiedereröffnung der Theologischen Schule von Halki, die 1971 geschlossen wurde. Seine Forderung, die sich auch das Europäische Parlament in seiner Entschließung zum Fortschrittsbericht der Europäische Kommission vom 6. November 2007 zu Eigen gemacht hat, wird von türkischer Seite bislang dezidiert abgelehnt14. Mit Blick auf einen möglichen Beitritt zur Europäischen Union hat die Türkei jedoch auch im Bereich der Beschäftigung ausländischer Seelsorger gewisse Lockerungen eingeführt . So wurde mit „Gesetz über die Arbeitsgenehmigungen für Ausländer“ vom 6. März 2003 und die vom türkischen Arbeitsministerium erlassene Ausführungsverordnung erstmals eine rechtliche Grundlage für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis geschaffen. Ihre Möglichkeiten sind in den letzten Jahren sowohl von der katholischen als auch der evangelischen Kirche Deutschlands mehrfach erfolgreich genutzt worden. Nicht zu verkennen ist allerdings, dass die Türkei die mit diesem Gesetz verbundene Ausweitung der Beschäftigung ausländischer Seelsorger streng auf die Betreuung kle iner ausländischer Gemeinden oder der Touristen begrenzt. Zur Betreuung orthodoxer Gemeinden erhalten ausländische Geistliche weiterhin keine Arbeitserlaubnis. 5.3. Baurecht Grundlegende Verbesserungen haben sich in den letzten Jahren auch im Bereich des Kirchenbaus ergeben. So wurden durch das 6. EU-Harmonisierungsgesetz vom 15. Juli 2003 unter anderem wichtige Änderungen im Baurecht vorgenommen. Bei der Aufstellung von Bebauungsplänen ist künftig im Grundsatz nicht mehr nur Platz für Moscheen, sondern – ganz allgemein – Platz für „Gebetsstätten“ vorzusehen. Die Erfahrungen, die die christlichen Minderheiten seither mit der Umsetzung des Gesetzes gemacht haben, sind laut EU-Kommission je nach religiöser Tole ranz der lokalen Bevölkerung und der örtlichen Administration unterschiedlich. So vermerkt der Forschrittsbericht der EU- Kommission vom 6. November 2007, dass in einzelnen Provinzen die Erteilung von Baugenehmigungen verweigert worden sei15. 14 Vgl. den Text unter http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P6- TA-2008-0224+0+DOC+XML+V0//DE [Stand 16. August 2008]. 15 Vgl. www.ec.europa.eu/enlargement/pdf/key_documents/2006/nov/hr_sec_1385_de.pdf [Stand 16. August 2008]. - 13 - 5.4. Vereinsrecht Mit Blick auf einen möglichen EU-Beitritt hat das türkische Parlament im November 2004 auch das Vereinsgesetz novelliert. War bislang die Gründung eines Vereins auf der Grundlage einer bestimmten Religionszugehörigkeit untersagt, so wurde diese Beschränkung nun aufgehoben. Ob damit für türkische Gerichte weiterhin die Möglichkeit besteht, unter Berufung auf den in der Verfassung verankerten Laizismus einen in religiöser Absicht gegründeten Verein zu verbieten, wird in der juristischen Fachliteratur kontrovers diskutiert16. Der Fortschrittsbericht der EU-Kommission für die Türkei vom 6. November 2007 vermerkt, dass in einem Verfahren gegen einen Verein zur Unterstützung der Zeugen Jehovas, dessen Satzung ausdrücklich religiöse Ziele enthält, der türkische Kassationsgerichtshof die Zulassung bestätigt hat. 5.5. Missionstätigkeit Obwohl gemäß Artikel 115 des neuen türkischen Strafgesetzbuches die Behinderung der Verbreitung religiösen Gedankengutes strafbar ist, kommt es in der Praxis immer wieder zu Einschränkungen. So wies die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis90/Die Grünen noch im September 2006 darauf hin, dass nach ihrem Wissensstand die Bestimmungen des neuen türkischen Strafgesetzbuches regional unterschiedlich ausge legt würden und staatliche Stellen mitunter gegen missionarische Aktivitäten im öffentlichen Raum einschritten17. Auch die Fortschrittsberichte der EU-Kommission konstatieren wiederholt, dass sich christliche Minderheiten insbesondere im Falle missionarischer Aktivitäten Anfeindungen durch die lokale Bevölkerung ausgesetzt sähen und es zu Angriffen auf Geistliche und Gebetsstätten der nicht-muslimischen Glaubensgemeinschaften komme. So weist der Fortschrittsbericht vom 6. November 2007 auf ein Rundschreiben des türkischen Innenministeriums über die Religionsfreiheit nicht-muslimischer Staatsbürger hin, in dem konzediert werde, dass die Zahl der Straftaten gegen nicht-muslimische Bürger und ihre Gotteshäuser angestiegen sei. Besonderes Aufsehen erregten in diesem Zusammenhang das Bombenattentat auf das Patriarchat in Istanbul im Jahr 2004, eine Reihe von Anschlägen auf protestantische Kirche im Jahr 2005, die Ermordung des katholischen Priesters Andrea Santoro in einer Kirche der Provinz Trabazon im Jahr 2006 und die Ermordung dreier protestantischer Christen am 18. April 2007 in dem Gebäude eines 16 Vgl. Schnabel, Patrick Roger, Die Entwicklung der Religionsfreiheit in der Türkei im Spiegel zweier jüngerer Urteile, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 53 (2008), S. 187f. 17 Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Josef Philip Winkler, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drs 16/2739 vom 27. September 2006. - 14 - christlichen Verlages in Mala tya, die von der türkischen Regierung scharf verurteilt wurde. 6. Literaturverzeichnis Europäische Kommission, Türkei. Fortschrittsbericht 2005, 9. November 2005. Europäische Kommission, Türkei. Fortschrittsbericht 2006, 8. November 2006. Europäische Kommission, Türkei. Fortschrittsbericht 2007, 6. November 2007. Grulich, Rudolf, Christen unterm Halbmond. Vom Osmanischen Reich bis in die moderne Türkei, Augsburg 2008. 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Schaller, Dominik J., Der Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs und seine Darstellung in der Historiographie, in: Wojak, Irmtrud; Meinl, Susanne (Hg.) Völkermord und Kriegsverbrechen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main, New York 2004 (Jahrbuch 2004 zur Geschichte und Wirkung des Holocaust), S. 99–127. - 15 - Schnabel, Patrick Roger, Die Entwicklung der Religionsfreiheit in der Türkei im Spiegel zweier jüngerer Urteile, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 53 (2008), S. 187-199. Seufert, Günter, Religiöse Minderheiten in der Türkei, in: APuZ 58/26 (2008), S. 20-26. Seufert, Günter, Staat und Islam in der Türkei, Berlin 2004 (SWP-Studie). Seufert, Günter; Kubaseck, Christopher, Die Türkei. Politik, Geschichte, Kultur, Bonn 2006. Steinbach, Udo, Christen im Nahen Osten, in APuZ 58/26 (2008), S. 3-7. Steinbach, Udo, Die Türkei im 20. Jahrhundert. Schwieriger Partner Europas, Bergisch Gladbach 1996. Tamcke, Martin, Christen in der islamischen Welt, in: APuZ 58/26 (2008), S. 8-14. Tröndle, Dirk, Die Debatte um den Islam und seine Institutionalisierung in der Türkei, in: Zeitschrift für Türkeistudien 14 (2001), S. 21-48.