Deutscher Bundestag Die politische Krise in Honduras 2009 – Ursachen, Geschehnisse, Auswirkungen, Darstellung in den Medien. Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 1 – 3000/096/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000/096/12 Seite 2 Die politische Krise in Honduras 2009 – Ursachen, Geschehnisse, Auswirkungen, Darstellung in den Medien. Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 1 – 3000/096/12 Abschluss der Arbeit: 31.08.2012 Fachbereich: WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000/096/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Vorgeschichte 4 3. Analyse 5 4. Rezeption im Ausland und in der deutschen Presse 6 5. Fazit 9 6. Literaturverzeichnis 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000/096/12 Seite 4 1. Einleitung „Am Sonntag, den 28. Juni 2009, umstellte eine Einheit des honduranischen Militärs gegen sechs Uhr morgens das Privathaus von Präsident Manuel „Mel“ Zelaya und brachte ihn außer Landes. Wenige Stunden später beschloss das Parlament einstimmig – allerdings in Abwesenheit der Abgeordneten der linksgerichteten Kleinpartei Unificación Democrática (UD) -, den bisherigen Parlamentspräsidenten Roberto Micheletti zum Interimspräsidenten zu ernennen. Micheletti kündigte an, das Amt am 27. Januar 2010 an den Sieger der für November 2009 geplanten Präsidentschaftswahl abzugeben.“1 Aus dieser am 29. November 2009 tatsächlich durchgeführten Wahl ging Porfirio Lobo Sosa als Sieger hervor. Sosa, der mit der Militäraktion gegen Zelaya sympathisiert hatte, übernahm das Präsidentenamt von Micheletti und bemühte sich in der Folgezeit um einen Kompromiss mit den Anhängern Zelayas. Am 22. Mai 2011 wurde dem vertriebenen Präsidenten gestattet, in seine Heimat zurückzukehren. Außerdem stellte Sosa eine Zulassung der Nationalen Widerstandsfront (FNRP), die zu Zelayas Unterstützern zählt, zu den nächsten Wahlen in Aussicht. Die weitere Entwicklung des Landes ist offen, eine Wiederaufnahme in die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), aus der Honduras bereits eine Woche nach Zelayas Ablösung ausgeschlossen worden war (4. Juli 2009), wird seit dem 1. Juni 2011 von der OAS beraten. 2. Vorgeschichte In den Monaten vor der Militäraktion gegen Zelaya spitzte sich eine bereits längere Zeit schwelende politische Auseinandersetzung zwischen dem damaligen Präsidenten und den übrigen Staatsgewalten, insbesondere dem Kongress, dem Verfassungs- und dem Wahlgerichtshof, immer weiter zu. Wiederholt missachtete Zelaya richterliche Anordnungen und machte sich damit in den Augen dieser übrigen demokratisch legitimierten Verfassungsorgane des mehrfachen Rechtsbruchs schuldig.2 Kristallisationspunkt aller Auseinandersetzungen war die von der Regierung auf den Weg gebrachte Volksbefragung, um einer verfassungsgebenden Versammlung den Weg zu ebnen. Diese sollte unter anderem die Wiederwahl des Präsidenten einführen und somit die Kontinuität der Regierung Zelaya ermöglichen. Da die Verfassung von Honduras aber ausdrücklich die Wiederwahl ausschließt, diesen Passus überdies mit einer der „Ewigkeitsklausel“ des Grundgesetzes vergleichbaren „Bestandsgarantie“ ausgestattet und jeden Versuch einer Änderung mit dem Ausschluss der Verantwortlichen aus dem politischen Wettbewerb sanktioniert hat3, 1 Peetz, S.1. 2 Vgl. Egenhoff, Verhandlungen, S.1. Auch Walser, S.3, beklagt „Zelaya´s wanton violation of the constitutional order in Honduras“. Eine positivere Deutung von Zelayas Politik liefert hingegen Joyce, S.42ff. 3 „Die aktuelle Verfassung schließt die Wiederwahl eines Präsidenten kategorisch aus, nicht nur die Wiederwahl im direkten Anschluss an ein Mandat, sondern auch für alle Zukunft. Laut Artikel 239 kann niemand, der das Amt schon einmal innehatte, zum Präsidenten gewählt werden. Weiter heißt es: ´Wer gegen diese Bestimmung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000/096/12 Seite 5 setzte sich Zelaya mit seinem trickreichen Versuch plebiszitärer Aushebelung der bestehenden Ordnung ins Unrecht und provozierte damit den gegen ihn gerichteten Gewaltakt. 3. Analyse Honduras galt vor dem Militärschlag als stabile, wenn auch mit Mängeln versehene Demokratie. Im Gegensatz zu anderen zentralamerikanischen Ländern wie Nicaragua und El Salvador blieben Bürgerkriege in den 1980er und 1990er Jahren aus, eine Polarisierung von Politik und Gesellschaft fand nicht satt.4 Die Konfrontation zwischen Zelaya und dem Rest des politischen Establishments des Landes spaltet seit Sommer 2009 die Bevölkerung in Gegner und Anhänger des gestürzten Präsidenten. Peter Peetz vom Institut für Lateinamerika-Studien, einer der besten Kenner der Region, fasst die Ereignisse des Sommers 2009 in Honduras und ihre Weiterungen folgendermaßen zusammen: - „Das Eingreifen des Militärs ist als Militärputsch zu bezeichnen und war nicht rechtens, selbst wenn es vom Obersten Gericht angeordnet war und von einem großen Teil der Bevölkerung begrüßt wird. - Zelayas Verhalten vor dem Putsch zeichnet ihn keineswegs als perfekten Demokraten aus. Dennoch hätten sich Parlament und Judikative für seine Absetzung an das rechtsstaatliche Prozedere, beispielsweise mittels eines Amtsenthebungsverfahrens, halten müssen. - Die Ursachen für die derzeitige Krise liegen in den strukturellen Defekten der honduranischen Demokratie, darunter das von polit-ökonomischen Oligarchen wie Zelaya und Micheletti dominierte Zwei-Parteien-System. - Die Darstellung der Ereignisse in den internationalen Medien unterscheidet sich fundamental von der inländischen Berichterstattung. Die honduranische Presse wird zum Teil vom Militär blockiert. Die noch funktionierenden Medien unterliegen der althergebrachten Selbstzensur, die verstößt oder ihre Änderung vorschlägt, ebenso wie derjenige, der ihn dabei in direkter oder indirekter Weise unterstützt, verliert mit sofortiger Wirkung das Amt, das er gerade ausübt, und wird für zehn Jahre von der Ausübung jeglichen öffentlichen Amtes ausgeschlossen´. In einer der Schlussbestimmungen (Art. 374) wird die Änderung dieser Regel selbst von der Möglichkeit einer Verfassungsreform ausgenommen. Das Verbot der Wiederwahl gehört somit geradezu zum Kern der honduranischen Verfassung. Da Zelaya nicht einmal seine eigenen ´Parteifreunde´ überzeugen konnte, dass seine Volksbefragung nicht letztlich auf die Abschaffung dieser Regelung abzielte, lösten seine Pläne verständlicherweise große Opposition in Politik und Rechtsprechung aus.“ Peetz, S.4. Ähnlich auch Ganter, S.2. 4 Vgl. Peetz, S.1. Allerdings ist diese Stabilität erst eine Entwicklung der jüngeren Vergangenheit. „In Sachen Staatsstreiche hielt Honduras lange einen traurigen Rekord. Nicht weniger als 125 Militärputsche erlebte das zentralamerikanische Land in den ersten 150 Jahren nach seiner Unabhängigkeit von der spanischen Krone. Erst 1982 setzte mit der damals geschaffenen Verfassung ein Prozess der Stabilisierung und demokratischen Konsolidierung ein.“ Ganter, S.1. Vgl. grundsätzlich auch Dietrich, passim. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000/096/12 Seite 6 in den oligarchischen Medienbesitzstrukturen begründet liegt. Die internationalen Medien hingegen blenden fast systematisch die zweifelhafte Rolle Zelayas vor dem Putsch aus sowie die Tatsache, dass ein beachtlicher Teil der Bevölkerung Zelayas Rückkehr ins Amt ablehnt. - Die internationale Gemeinschaft hat den Militärputsch zu Recht verurteilt. Sie sollte sich jetzt für einen pragmatischen und vor allem friedlichen Ausweg aus der Krise einsetzen, auch wenn sie dazu ihre kategorische Parteinahme für Zelaya abmildern muss.“5 4. Rezeption im Ausland und in der deutschen Presse Die Reaktion des Auslands auf die Ereignisse in Honduras war nahezu einmütig. Die OAS- Staaten, die UNO, aber auch die EU, ebenso die Bundesregierung der damaligen Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD, verurteilten die Präsidentenabsetzung und stuften das militärische Vorgehen gegen Manuel Zelaya als Putsch ein.6 Dies bildet einen markanten Kontrast zur Binnenwahrnehmung in Honduras. Die dortigen Medien und herausragende Vertreter des öffentlichen Lebens, darunter der 2005 als Papstnachfolger gehandelte Erzbischof von Tegucigalpa, Óscar Andrés Rodrígez, Oberhaupt der katholischen Kirche seines Landes, Vorsitzender von Caritas International und Träger des Bundesverdienstkreuzes, sahen die Absetzung des Präsidenten als gerechtfertigt an und werteten die eingesetzte Gewalt als Notwehr zur Verhinderung eines Verfassungsbruchs durch den Präsidenten, der in einen Bürgerkrieg hätte münden können.7 Diese Auffassung vertraten auch vehement die honduranischen Medien und, als eine der wenigen ausländischen Organisationen, die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung.8 Was die Medien anbelangt, erklären hiesige Beobachter die Parteinahme zugunsten der Präsidentenabsetzung freilich mit der grundlegend unternehmerfreundlichen „rechten“ Struktur des dortigen Pressewesens und sprechen dieser Position die Legitimität ab. Ihres Erachtens sei die Presse in Honduras von Zelaya lediglich deshalb abgerückt, weil dieser ursprünglich liberale Politiker eine Linkswende vollzogen habe und auf die Richtung des sozialistischen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez eingeschwenkt sei. Hierzu bemerkt Sarah Ganter in einem für die Friedrich-Ebert-Stiftung erstellten Dossier zu Honduras: „Zelayas Nähe zu den Mitgliedsstaaten der [von Chávez gegründeten, V.S.] ´Allianza Bolvariana de las Américas´ (ALBA), insbesondere zu Venezuela, Nicaragua und Kuba und zu Petrocaribe, 5 Peetz, S.1. 6 Vgl. Burghardt, passim und Cassel, kompletter Online-Artikel, der keine Seitenzahlen enthält. 7 Vgl. Peetz, S.3, sowie Egenhoff, Verhandlungen, S.1 und, mit deutlich kritischerer Tendenz, Burghardt in der Süddeutschen Zeitung vom 11.07.2009. 8 Dies behauptet zumindest Peter Burghardt in der Süddeutschen Zeitung vom 11.07.2009. Sein Artikel „Der Putsch, den es nie gegeben hat“, ist in der als Anlage beigefügten Pressedokumentation enthalten. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000/096/12 Seite 7 beunruhigte Unternehmer und Politiker des Landes. Unterstützt durch die Medien verfestigte sich das Bild des linken Populisten, der mit jeder Regierungsentscheidung versuchte, die Gesellschaft ein Stück weiter in den Kommunismus zu führen. Die Stimmung gegen Zelaya, die dem Putsch vorausging, wurde dabei getragen durch eine breite Interessenallianz von Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Medien sowie Vertretern staatlicher Institutionen. Durch diese fühlten sich die Gegner Zelayas moralisch legitimiert.“ Während den Unterstützern der Präsidentenabsetzung die Mediensituation in Honduras entgegenkam, vermochte es der spektakulär aus seiner Privatwohnung entführte und ins Ausland deportierte Zelaya – er trug zu diesem Zeitpunkt nur seinen Schlafanzug (!) - umgekehrt, durch geschickte PR-Arbeit die Medien und Regierungen des Auslandes auf seine Seite zu ziehen. Im Länderbericht „Verhandlungen um die Zukunft Honduras“ der Konrad-Adenauer-Stiftung heißt es dazu im Juli 2009: „Seit dem Staatsstreich…haben die Vertreter der von Venezuelas Präsident Hugo Chávez angeführten ALBA-Gruppe in medial eindrucksvoller Manier gezeigt, wie man das Drehbuch dieser Krise schreibt. Geschickt wurden die Bilder der ersten Pressekonferenz des abgesetzten Präsidenten Zelaya im Pyjama genutzt, um nicht nur die korrekte und einhellige Verurteilung des Staatsstreiches auf internationaler Ebene zu beschleunigen, sondern gleichzeitig die Wiedereinsetzung des abgesetzten Präsidenten Zelaya zur Bedingung sine qua non zu machen. (…) Präsident Zelaya bediente sich insofern zunächst erfolgreich einer lauten medialen Offensive, um internationale Zustimmung zu gewinnen. CNN und andere internationale Fernsehsender folgten den Ereignissen, die von Zelaya vorgegeben wurden. In Tegucigalpa war in den letzten Tagen auf Spruchbändern zu lesen ´CNN = Chávez News Network´. Demonstranten entluden auf diese Weise ihren Frust, weil in ihren Augen international sehr einseitig über die Lage in Honduras berichtet wurde.“9 Diese Einseitigkeit kann auch für die deutsche Presselandschaft tendenziell bestätigt werden. In hiesigen Zeitungen und Zeitschriften wurde nicht selten die Position der Anhänger Zelayas übernommen und Zelaya als Märtyrer volksnaher Politik betrachtet.10 Damit lag die Deutungshoheit über die Ereignisse eindeutig bei Kritikern seiner Absetzung. Hervorzuheben ist auch, dass in der breiteren Öffentlichkeit kaum liberal-konservative Stimmen im Meinungswettbewerb berücksichtigt wurden, was die Tendenz zur Einseitigkeit in der Ereignisanalyse verstärkt. Im Wikipedia-Eintrag zu Honduras beispielsweise wird die Zelaya- Absetzung ausnahmslos aus Sicht linksliberaler bis linker deutscher Presseorgane beschrieben, hinsichtlich der moralischen Beurteilung der Ereignisse stützen sich die anonymen Autoren des 9 Egenhoff, Verhandlungen, S.1 und 2. 10 Dies zeigt sich etwa an den pauschalen Negativ-Darstellungen der Zelaya-Gegner. So schreibt etwa die Süddeutsche Zeitung dem Zelaya-Nachfolger, Interimspräsident Micheletti, persönlichen Ehrgeiz als handlungsleitendes Motiv zu und unterstellt ihm pauschal, nach dem Präsidentenamt gegiert zu haben. Als Grund für seinen Ehrgeiz wird seine Herkunft als „reaktionärer“ Unternehmer angeführt. Dies ist bestenfalls eine verzerrte Darstellung der Wahrheit und blendet völlig aus, dass Zelaya und Micheletti Parteifreunde sind, über die gleiche Herkunft verfügen und dass Micheletti nur deswegen die Interimspräsidentschaft antrat, weil sie ihm als amtierendem Parlamentspräsidenten nach der Verfassung des Landes zustand. Im Falle einer Ablösung des Staatsoberhaupts geht diese Würde nämlich automatisch an den Vize-Präsidenten über oder (wie im gegebenen Fall) bei dessen Verhinderung an den Vorsitzenden des Parlaments. Vgl. Peetz, S.5, der diese „Thronfolgeregelung“ ausführlich beschreibt. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000/096/12 Seite 8 Online-Beitrags sogar auf die Sichtweise der „Jungen Welt“, der Zeitung des politischen Nachwuchses der SED-Nachfolgerin „Die LINKE“.11 Dies unterstreicht den vorliegenden Urteils- Bias zu Ungunsten des bürgerlich-liberalen Spektrums, aus dem partiell auch andere Interpretationen des Vorgefallenen hätten kommen können, die aber im vorherrschenden Meinungsbild keine Berücksichtigung finden. Dies erscheint unter dem Gesichtspunkt einer für objektive Berichterstattung notwendigen Bemühung um Meinungspluralität problematisch und wird inzwischen auch von wissenschaftlicher Seite beklagt.12 Peetz etwa kritisiert diese Einseitigkeit und beklagt die Tendenz der Medien, selbst oligarchische und eindeutig undemokratische Züge Zelayas, die sein volkstümliches Image untergraben könnten, in der Berichterstattung bewusst zu übergehen. Als Beispiel für dieses systematische Ausblenden der „zweifelhafte[n] Rolle Zelayas vor dem Putsch“13 nennt er den Anfang 2009 (vergeblich) unternommenen Versuch Zelayas, Sonia Dubón, die Ehefrau seines Premierministers, als Kandidatin für das neu geschaffene Oberste Gericht durchzudrücken.14 Dieser Versuch einer manipulativen Besetzung eines Verfassungsorgans mit einer engen Vertrauten blieb in der Berichterstattung unerwähnt und trug zu der von Peetz beklagten Gefahr bei, dass die internationale Gemeinschaft politische Festlegungen letztlich vorschnell und auf der Basis unzureichender Informationen trifft, was sich längerfristig als verhängnisvoll erweisen könnte. Dazu Peetz: „Mit der uneingeschränkten Parteinahme für Zelaya spricht sie [die internationale Gemeinschaft, V.S.] dem demokratisch gewählten Parlament, dem verfassungsgemäß besetzten Obersten Gericht und weiteren Institutionen, etwa der Wahlbehörde, jede Legitimität ab [also jenen Institutionen, die die Absetzung Zelayas für rechtens erklärt haben, V.S.]. Sollte Zelaya es tatsächlich schaffen, die Regierungsmacht wieder an sich zu ziehen, hätte ihm die internationale Gemeinschaft damit das perfekte Argument für das geliefert, was gemeinhin als ´Selbstputsch´ (autogolpe) bezeichnet wird: die Schließung all jener Institutionen, die Gesetzgebung per Dekret und womöglich die Verschiebung der Wahlen. Honduras würde nachhaltig destabilisiert, das Chaos wäre perfekt.“15 11 Vgl. den Eintrag „Honduras“ unter http://de.wikipedia.org/wiki/Honduras. Hier sind der Spiegel, der Stern, die taz und die Junge Welt zitiert, Beiträge aus bürgerlicheren Presseorganen wie Zeit, FAZ, Welt, Tagesspiegel und Neue Züricher Zeitung fehlen komplett. Dass es diese Beiträge sehr wohl gibt und auf ihrer Basis eine etwas differenziertere Sicht auf die Ereignisse durchaus möglich wäre, belegt die im Anhang beigefügte Pressedokumentation des Deutschen Bundestages. 12 Z.B. von Egenhoff, Verhandlungen, S.1-3, ähnlich auch Walser, S.1-3. 13 Peetz, S.1. 14 Vgl. ebd., S.7. Ein weiteres Beispiel für selektive Medienwahrnehmung im Zusammenhang mit Honduras liefert die taz in ihrem Artikel über die Rückkehr Zelayas im Frühjahr 2011. Dort werden die Anhänger Zelayas beschrieben und ihre T-Shirt-Aufdrucke erwähnt, mit denen sie am Flughafen ihrer Begeisterung für den ankommenden Zelaya Ausdruck verliehen. Zelaya wurde hier ehrerbietig als „Chef aller Chefs“ willkommen geheißen, also mit einer Formulierung belegt, die in Lateinamerika üblicherweise für Drogenbosse verwendet wird. Die taz weist in ihrem Bericht „Er ist wieder da“ zwar auf diesen Zusammenhang hin, aber nur in einem Nebensatz, und sieht in der vielsagenden Beinamen-Wahl keinen Grund, die Qualität von Zelayas demokratischer „Überzeugung“ zu hinterfragen. Vgl. Romero, Er ist wieder da, in: taz vom 30.05.2011. 15 Peetz, S.7. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000/096/12 Seite 9 5. Fazit Zu den hauptsächlichsten Vorwürfen der Weltöffentlichkeit an die neuen Machthaber in Honduras gehört die Tatsache, dass sie sich militärischer Gewalt bedienten, statt auf zivile Möglichkeiten des Präsidentenwechsels zu setzen (z.B. ein Amtsenthebungsverfahren anzustrengen). Zwar zeigt ein Blick auf jüngere Ereignisse in anderen Weltgegenden, dass dieses Argument nur bedingt stichhaltig ist. So spielten etwa bei der Entmachtung Mubaraks in Ägypten ebenfalls die Generäle eine entscheidende Rolle, ohne dass dies in der Öffentlichkeit kritisiert worden wäre.16 Und das, obwohl der Blutzoll der Gewaltaktionen rund um den Präsidenten-Sturz in Kairo ein deutlich höherer war als in Tegucigalpa.17 Da aber der gewaltsame Tod selbst einer kleineren Zahl von Menschen prinzipiell verwerflich ist, gehört es zur fairen Betrachtung der Ereignisse dazu, abschließend darauf hinzuweisen, dass die Zelaya-Gegner gar nicht erst versucht haben, den zivilen, geordneten Weg zu gehen. Dies beklagt, bei allem Verständnis für die Motivation der neuen Machthaber, auch Peetz unmissverständlich: „Wie auch immer die neuen Machthaber in Tegucigalpa es drehen und wenden, trotz ihrer verfassungsrechtlichen Argumente und ihrem großen Rückhalt in der Bevölkerung, am Sonntag, den 28. Juni 2009, hat in Honduras ein Militärputsch stattgefunden.“18 Dies hätte nicht passieren dürfen, sagt Peetz und ergänzt, dass die Rechtmäßigkeit der Absetzung durch vorherige zivile Anstrengungen viel glaubwürdiger hätte vermittelt werden können – mit ganz anderen Folgen für ein am Ende vielleicht doch nötiges Eingreifen durch die bewaffneten Gewalten: „Wäre Zelayas Absetzung in einem transparenten rechtstaatlichen Verfahren erfolgt, durchgeführt von den dafür zuständigen Institutionen (Verurteilung durch ein Gericht, Amtsenthebungsverfahren durch das Parlament etc.), dann hätten diese zivilen Instanzen die Polizei und gegebenenfalls das Militär mit dem Vollzug dieser Entscheidung beauftragen können.“ 19 Tatsächlich spricht auch die historische Erfahrung für diese legalistische Vorgehensweise, und es muss den neuen Machthabern als Versäumnis angekreidet werden, dass sie sich anders entschieden. Sie hätten schon aus politischer Klugheit einen Versuch unternehmen müssen, Zelaya mit zivilen Mitteln abzusetzen, und sei es auch nur, um zu beweisen, dass ein solch geordneter Weg infolge der „Verschlagenheit“ des ehemaligen Präsidenten unter Umständen nicht zum Ziel führen würde (wie Kardinal Rodríguez und andere Zelaya-Gegner behaupten). So setzten sich die um die Verfassung besorgten Politiker und „Putschisten aus Notwehr“ unnötig 16 Mubaraks Ablösung wurde insgesamt mit Erleichterung zur Kenntnis genommen und als Fortschritt im Rahmen der arabischen Rebellion gewertet. Ähnliches dürfte in Syrien passieren, wenn sich die Armee mit den Aufständischen solidarisiert und gegen den momentanen Machthaber Assad wendet, wofür es erste Anzeichen gibt. 17 Peetz schreibt: „ Ohne die während und nach dem Putsch verübte Gewalt der Sicherheitskräfte [in Honduras, V.S.]…verharmlosen zu wollen, muss anerkannt werden, dass es bislang nicht in größerem Maße zu Blutvergießen kam.“ Peetz, S.7. 18 Ebd., S.3. 19 Ebd. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000/096/12 Seite 10 dem Ruch aus, durch ihren spontanen Griff zur Gewalt die schlechtere Sache zu vertreten.20 Sie hätten beim Betrachten der Geschichte wissen können: Wer in einem Konflikt den „ersten Schuss“ abgibt, muss zwar nicht notwendig Unrecht haben, trägt aber aus eigener Schuld viel dazu bei, genau diesen Anschein zu erwecken. 6. Literaturverzeichnis Behrens, Benedikt (2010), Der Fall Honduras, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 55, 2, S.57-62. Brombacher, Daniel; Maihold, Günther (2009), Krisenfall Lateinamerika: warum die Region ihre Konflikte nicht eigenständig lösen kann. Online-Publikation der Stiftung Wissenschaft und Politik, abrufbar unter http://www.swp-berlin.org/de/publikationen/swp-aktuell-de/swp-aktuelldetail /article/krisenfall_lateinamerika.html (letzter Aufruf: 29.08.2012). Burghart, Peter (2009), Der Putsch, den es nie gegeben hat. Die Welt verurteilt den Staatsstreich in Honduras – nur die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung propagiert eine sehr andere Sicht der Dinge, Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 11.07.2009. Cassel, Doug (2009), Honduras: Coup D´État In Constitutional Clothing?, Online-Publikation der American Society Of International Law, abrufbar ohne Downloadmöglichkeit unter http://www.asil.org/search.cfm?displayPage=1259 (letzter Aufruf: 29.08.2012). Dietrich, Wolfgang (2008), Das politische System von Honduras, in: Stüwe, Klaus; et al. (Hrsg.) (2008), Die politischen Systeme in Nord- und Lateinamerika, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, http://www.springerlink.com/content/r754v5/?MUD=MP (lizenzpflichtiger Link mit Downloadmöglichkeit, letzter Aufruf: 30.08.2012). Egenhoff, Tjark Marten (2010), Überstanden, aber nicht ausgestanden. Honduras auf der Suche nach einem neuen Gesellschaftsvertrag, in: KAS-Auslandsinformationen, 25, 1, S.34-49. Ders. (2009), Verhandlungen um die Zukunft Honduras, Online-Publikation der Konrad- Adenauer-Stiftung, abrufbar unter: http://www.kas.de/guatemala/de/publications/17051 (letzter Aufruf: 30.08.2012). Ganter, Sarah (2009), Ein Putsch – ist ein Putsch – ist ein Putsch. Hintergründe des gewaltsamen Umsturzes in Honduras, Online-Publikation der Friedrich-Ebert-Stiftung, abrufbar unter: http://library.fes.de (Titeleingabe in Such-Box erforderlich, um zum Dokument zu gelangen, letzter Aufruf am 30.08.2012), direkte Ansteuerung des Textes möglich über 20 Sie lieferten überdies einen Präzedenzfall für andere Staaten, die aus weniger guten Gründen ähnliche Putschabsichten entwickeln und mit Verweis auf den „Erfolg“ in Honduras verwirklichen könnten. Vgl. dazu die Einschätzung des amerikanischen Völkerrechtsprofessors Doug Cassel. Mit Blick auf den Coup d´état in Honduras schrieb er am 29.07.2009: „If allowed to stand, it [der Putsch, V.S.] will become a menacing precedent for democracy, not only in Honduras, but throughout the hemisphere.“ Cassel, Schlusssatz seines Artikels, der keine Seitenzahlen enthält. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000/096/12 Seite 11 http://library.fes.de/suchergebnis.html?cx=002703848436845932126%3Axo4zrrd1bs0&cof=FORI D%3A11&ie=iso-8859-1&q=Ein+Putsch+- +ist+ein+Putsch&sa=+&siteurl=library.fes.de%2F&ref=&ss=6223j1518753j30 (oberster Eintrag der Suchergebnisse). Joyce, Rosemary (2009), Culture And Politics In The Honduran Coup, Online-Publikation der Berkely University unter http://www.clas.berkeley.edu/Publications/Review/Fall2009 (letzter Aufruf: 29.08.2012). Legler, Thomas (2010), Learning The Hard Way. Defending Democracy In Honduras, in: International Journal (Toronto), 65, 3, S.601-618. Oettler, Anika; Peetz, Peter (2010), Putsch in Honduras. Störfall in der defekten Demokratie, in: Internationale Politik und Gesellschaft, 1, S.82-95. Peetz, Peter (2009), Honduras: von einem Militärputsch, der keiner sein will, Online-Publikation des German Institute Of Global And Area Studies, unter http://www.gigahamburg .de/dl/download.php?d=/content/publikationen/pdf (Titeleingabe in Search-Box erforderlich, um zum Dokument zu gelangen, letzter Aufruf am 29.08.2012), direkte Ansteuerung des Textes möglich über http://www.googlesyndicatedsearch.com/u/giga?q=Honduras%3A+von+einem+Milit%E4rputsch &sa=Suchen (oberster Eintrag der Suchergebnisse). Romero, Cecibel (2011), Er ist wieder da, Artikel aus der taz vom 30.05.2011, online abrufbar unter: http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=sw&dig=2011%2F05%2F30%2Fa0084&cHas h=4b79ccca95 (letzter Aufruf: 30.08.2012). Unterberger, Fabian (2009), Putsch in Honduras – ein Land am Scheideweg, in: International (Wien) 3, S.15-18. Walser, Ray (2009), Crisis In Honduras. A Diplomatic Balancing Act For The United States, Online-Publikation der Heritage Foundation, abrufbar mit Downloadmöglichkeit unter http://www.heritage.org/research/reports/2009/07/crisis-in-honduras-a-diplomatic-balancing-actfor -the-united-states (letzter Aufruf: 29.08.2012).