Biologisches Geschlecht und soziale Geschlechterrolle Zur Aussage "durch die Gender-Mainstreaming-Bewegung wird propagiert, der Mensch könne und solle sein Geschlecht und seine sexuelle Orientierung (homo-, bi- oder transsexuell) frei wählen" - Ausarbeitung - © 2009 Deutscher Bundestag WD 1 - 3000 - 082/09 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Biologisches Geschlecht und soziale Geschlechterrolle Ausarbeitung WD 1 - 3000 – 082/09 Abschluss der Arbeit: Fachbereich WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. verlehmannpe Textfeld 02.06.2009 Inhalt 1. Einleitung 3 2. Gender-Mainstreaming 5 3. Queer-Forschung und Queer-Aktivismus 7 3.1. Judith Butler 7 3.2. Antke Engel 8 3.3. Queer-Aktivismus 9 4. Positionen der Kritiker der Gender-Mainstreaming- Bewegung 10 4.1. Christl Ruth Vonholdt 10 4.2. Gabriele Kuby 11 4.3. Bettina Röhl 13 4.4. Weitere Kritiker der Gender-Mainstreaming-Bewegung 14 5. Schlussbemerkung 15 6. Quellen- und Literaturverzeichnis 17 - 3 - 1. Einleitung Mit dem Aufruf „Für Freiheit und Selbstbestimmung – gegen totalitäre Bestrebungen der Lesben- und Schwulenbewegung“ richten sich Kirchenvertreter, Wissenschaftler und Publizisten1 gegen angeblich von der Gender-Mainstreaming-Bewegung ausgehende „Bestrebungen, die Redefreiheit und den wissenschaftlichen Diskurs beim ‚6. Internationalen Kongress für Psychotherapie und Seelsorge’ vom 20. bis 24. Mai 2009 in Marburg zu beschneiden.“2 Als Urheber dieser Bestrebungen werden der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) sowie Bündnis 90 / Die Grünen genannt. Diese hätten mit ihrem Offenen Brief an den Marburger Oberbürgermeister und die Universitätsleitung die Seriosität der Veranstaltung“3 in Zweifel gezogen und mit ihren Bemühungen, den Auftritt von Markus Hoffmann und Christl R. Vonholdt auf dem Kongress zu verhindern , „die Rede-, Wissenschafts- und Therapiefreiheit“ versucht einzuschränken.4 Zur Untermauerung ihrer Kritik an dem Offenen Brief des Schwulen- und Lesbenverbandes und der Bündnisgrünen bemühen sich die Autoren des Aufrufs „Für Freiheit und Selbstbestimmung“ um Verständnis für die Positionen der im Offenen Brief als unwissenschaftlich apostrophierten Konferenzteilnehmer Hoffmann und Vonholdt. In diesem Zusammenhang heißt es unter anderem: „Es ist ein Widerspruch, wenn durch die Gender -Mainstreaming-Bewegung propagiert wird, der Mensch könne und solle sein Geschlecht und seine sexuelle Orientierung (homo-, bi- oder transsexuell) frei wählen, andererseits aber die Möglichkeit zur Veränderung von der Homosexualität zur Heterosexualität geleugnet wird und konkrete therapeutische Angebote für Menschen, die eben dies anstreben, unterdrückt werden. […] International ausgewiesene Wissenschaftler und klinische Therapeuten […] bezeugen mit ihrer Arbeit, dass Veränderung einer homosexuellen Neigung möglich ist. Niemand will einen Menschen zu einem solchen therapeutischen Weg drängen. Dass aber die Lesben- und Schwulenverbände die Möglichkeit eines solchen Therapieangebots, ja sogar die wissenschaftliche Information und Auseinandersetzung unterdrücken wollen, ist eine Missachtung der Wissenschaftsfreiheit , der Meinungsfreiheit, des Leidens der betroffenen Menschen und ihres Rechts auf Selbstbestimmung. Dies darf in einem freiheitlichen Staat nicht hingenommen werden !“5 1 Für die Liste der Erstunterzeichner und Initiatoren vgl. http://www.medrum.de/?q=node/2448 (Stand 6.5.2009), 2 Vgl. http://www.medrum.de/?q=node/2448 (Stand 6.5.2009). 3 Die Veranstaltung wurde von der „Akademie für Psychotherapie und Seelsorge“ mit der Absicht, „Begegnungen zwischen Psychotherapie und christlicher Seelsorge in Wissenschaft und Praxis zu fördern, organisiert. Vgl. http://www.akademieps.de/ (Stand 27.5.2009) 4 Vgl. http://www.medrum.de/?q=node/2448 (Stand 6.5.2009). 5 http://www.medrum.de/?q=node/2448 (Stand 6.5.2009). - 4 - Im Rahmen der nachfolgenden Darstellung wird versucht, Herkunft und Bedeutung der These von der „freien Wahl des Geschlechts und der sexuellen Orientierung“ näher zu bestimmen sowie kurz zu skizzieren, welche Rolle diese These im gesellschaftspolitischen Diskurs über Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung spielt. Hierzu ist vorab festzustellen, dass die betreffende Passage des Aufrufs sehr verschwommen formuliert ist und aus ihr nicht klar hervorgeht, wer hier konkret als Befürworter der These von der Veränderbarkeit der sexuellen Orientierung identifiziert wird und sich daher aufgrund der Ablehnung so genannter „Konversions- oder Reparationstherapien “ in logische Widersprüche verwickelt. Bei der zitierten Passage handelt es sich um eine konditionale Formulierung („Wenn-dann“-Aussage). Dies bedeutet, dass die Autoren des Aufrufs der Gender-Mainstreaming-Bewegung nicht notwendigerweise unterstellen, sie propagiere, „der Mensch könne und solle sein Geschlecht und seine sexuelle Orientierung (homo-, bi- oder transsexuell) frei wählen“, sondern lediglich , dass sie sich in Widersprüche verwickle, falls sie dies propagiere und gleichzeitig Therapieangebote ablehne. Gleichwohl sprechen Kontext und Zielrichtung der betreffenden Passage dafür, dass die Autoren des Aufrufs die Gender-Mainstreaming- Bewegung tatsächlich als Verfechter der „These von der freien Wahl der sexuellen Orientierung “ identifizieren.6 Welche gesellschaftlichen Akteure mit dem Etikett „Gender- Mainstreaming-Bewegung“ bezeichnet werden, wird von den Autoren des Aufrufs allerdings nicht spezifiziert. Unklar bleibt des Weiteren auch, wer von den Autoren als Gegner der so genannten Konversionstherapien ausgemacht wird. Zwar liegt es auch hier nahe, dass die Autoren diese Haltung der Gender-Mainstreaming-Bewegung zuschreiben , aber der exakte Wortlaut der passivisch formulierten Aussage gibt auch hier Spielraum für andere Interpretationen. Im weiteren Verlauf des Textes ist aber allein von den „Schwulen- und Lesbenverbände[n]“ (im Plural), nicht dem LSVD die Rede, wenn es um die entschiedenen Gegner der Therapierbarkeit von Homosexualität geht. Um eine Einordnung der unklaren und verschwommenen Aussagen des Aufrufs vornehmen zu können, ist zunächst zu klären, was das Konzept des Gender-Mainstreaming beinhaltet und welche Rolle es in der aktuellen gesellschaftspolitischen Debatte einnimmt . Im Anschluss hieran wird der Frage nachzugehen sein, welche Einzelpersonen oder Gruppen die These von der freien Wählbarkeit des Geschlechts und der sexuellen Orientierung vertreten, in welchem sachlichen und gesellschaftspolitischen Kontext dies geschieht und welchen gesellschaftlichen Bewegungen oder Organisationen die betreffenden Personen und Gruppen zuzuordnen sind. Zu diesem Zweck werden verschiedene Positionen der Gender- und Queer-Forschung kurz vorgestellt. Ein Blick auf den so 6 Unabhängig davon, welche Lesart man präferiert, wird in der entsprechenden Passage des Aufrufs einer bestimmten sozialen Gruppierung eine bestimmte inhaltliche Position zugeschrieben. Es handelt sich aber keinesfalls um eine Definition der Gruppierung selbst. - 5 - genannten Queer-Aktivismus soll schließlich Aufschluss darüber geben, welche Forderungen erhoben werden und wer diese propagiert. Abschließend wird zu untersuchen sein, ob und – wenn ja – wie die Kritiker der Gender-Mainstreaming-Bewegung diese These benutzen, um die Gender-Mainstreaming-Bewegung zu diffamieren und sich auf diese Weise Vorteile in der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung zu verschaffen. Ein besonderes Interesse gilt in diesem Zusammenhang der ideologischen und politischen Verortung der Kritiker. 2. Gender-Mainstreaming Gender-Mainstreaming hat sich inzwischen im allgemeinen Sprachgebrauch als Oberbegriff zur Bezeichnung von Bemühungen um eine Gleichstellung der Geschlechter in allen Bereichen des Lebens etabliert. Ziel des Gender-Mainstreaming ist es, auf allen gesellschaftlichen Ebenen eine durchgängige Gleichstellungsorientierung bzw. eine geschlechtersensible Folgenabschätzung zu verankern. Vor allem die 3. UN- Weltfrauenkonferenz in Nairobi 1985 und die 4. UN-Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 haben dazu beigetragen, den Begriff und die mit ihm verbundenen Strategien der Gleichstellungspolitik zu propagieren sowie im allgemeinen Sprachgebrauch und im öffentlichen Bewusstsein zahlreicher Staaten (insbesondere in den Demokratien westlicher Prägung) zu verankern. Im Amsterdamer Vertrag von 1997 wurde Gender- Mainstreaming zum offiziellen Ziel der Gleichstellungspolitik der Europäischen Union erhoben. 7 Das Gender-Mainstreaming-Konzept basiert auf der Prämisse, dass die Geschlechterrollen von Frauen und Männern – im Unterschied zum unveränderlichen biologischen Geschlecht (englisch: sex) – im Laufe des Sozialisationsprozesses erlernt werden, somit sozial und kulturell vermittelt und damit auch veränderbar sind. In diesem Zusammenhang spricht man daher auch von sozialem Geschlecht (englisch: gender) Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es keine geschlechtsneutrale Realität gibt, zielt Gender- Mainstreaming als politische Strategie darauf ab, „bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen. […] Gender-Mainstreaming ist damit ein Auftrag an die Spitze einer Verwaltung, einer Organisation, eines Unternehmens und an alle Beschäftigten, die unterschiedlichen Interessen und Lebenssituationen von Frauen und Männern in der Struktur, in der Gestaltung von Prozessen und Arbeitsabläufen , in den Ergebnissen und Produkten, in der Kommunikation und Öffentlichkeitsar- 7 Vgl. http://www.brockhaus-enzyklopaedie.de/be21_article.php (Stand 26.5.2009). - 6 - beit, in der Steuerung (Controlling) von vornherein zu berücksichtigen, um das Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern effektiv verwirklichen zu können.8 Das Konzept des Gender-Mainstreaming wurde als Reaktion auf die zunehmende Kritik an der so genannten „Frauenpolitik“ entwickelt, die sich im Zuge der Frauen- und Emanzipationsbewegung herausgebildet hatte und nach Ansicht zahlreicher Kritiker einseitig auf frauenspezifische Probleme und Politikfelder sowie auf die Förderung von Frauen ausgerichtet war. Demgegenüber nimmt das Gender-Mainstreaming-Konzept die spezifische Situation beider Geschlechter in den Blick und strebt – im Interesse einer wirklichen Gleichstellung der Geschlechter – die Integration einer geschlechtersensiblen Perspektive („gender perspective“) in allen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen an. Spätestens seit der Regierungszeit der rot-grünen Regierungskoalition (1998-2005) sind Strategien zur Umsetzung des Gender-Mainstreaming-Konzepts fester Bestandteil der Politik der Bundesregierung und werden insbesondere vom Bundesministerium für Familie , Senioren, Frauen und Jugend entwickelt und umgesetzt. Seitdem haben Behörden und öffentliche Institutionen Maßnahmen ergriffen, um die Idee des Gender- Mainstreaming in ihrem Bereich zu institutionalisieren.9 Auch in der Wirtschaft, im Verbands- und Organisationswesen sowie den großen christlichen Kirchen werden Gender-Mainstreaming-Konzepte und -Strategien entwickelt und angewendet. Angesichts dieser bereits weit fortgeschrittenen Anwendung und Institutionalisierung von Gender-Mainstreaming-Konzepten stellt sich die Frage, ob man tatsächlich (noch) von einer sozialen Bewegung sprechen kann, die außerhalb der institutionell vorgegebenen Wege auf eine Umsetzung des Gender-Mainstreaming drängt. Aber selbst wenn es neben den institutionellen Akteuren in diesem Bereich noch weitere Akteure geben sollte, die eher Merkmale von sozialen Bewegung aufweisen, so bleibt angesichts der Vielfalt der vorfindbaren Konzepte und Umsetzungsstrategien festzuhalten, dass die verschiedenen Akteure derart inhomogen sind, dass keinesfalls von einer einheitlichen Gender- Mainstreaming-Bewegung mit gemeinsamen Organisationsformen, Zielsetzungen und Aktivitäten die Rede sein kann. Schon aus diesem Grund ist es überaus problematisch, wenn die Verfasser des Aufrufs „Für Freiheit und Selbstbestimmung“ von der Gender- Mainstreaming-Bewegung sprechen. Noch problematischer ist es, wenn angesichts der vielfältigen theoretischen Grundlagen, Konzepte, Zielsetzungen und Handlungsstrategien der – wie auch immer sozial zu verortenden – Gender-Mainstreaming-Bewegung unterstellt wird, sie propagiere die freie Wählbarkeit des Geschlechts und der sexuellen 8 http://web.archive.org/web/20071130090105/http://www.gender-mainstreaming.net/gm/definition. html (Stand 26.5.2009). 9 Siehe hierzu auch: http://www.bmfsfj.de/bmfsfj/generator/BMFSFJ/gleichstellung,did=76920.html (Stand 26.5.2009). - 7 - Orientierung. Selbst wenn eine Reihe der Befürworter des Gender-Mainstreaming diese Überzeugung teilen sollten, bedeutet dies noch lange nicht, dass sich alle Anhänger des Gender-Mainstreaming diese These zu Eigen machen oder dass diese Aussage zum theoretischen Kernbestand des Gender-Mainstreaming gehört. Angesichts dieser Widersprüchlichkeiten ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, dass es sich bei der betreffenden Passage des Offenen Briefs um eine undifferenzierte und polemische Aussage handelt, die nicht eine angemessene Beschreibung von Tatsachen und Zusammenhängen anstrebt, sondern auf die Diffamierung des Gegners in einer wichtigen gesellschaftspolitischen Debatte zielt. 3. Queer-Forschung und Queer-Aktivismus Während die Gender-Forschung (englisch: Gender Studies) die Erzeugung, Geschichte, Relevanz und Praxis der sozialen und kulturellen Unterschiede der Geschlechter untersucht ,10 hat sich die Queer-Forschung (englisch: Queer Studies) auf den Bereich „sexuelle Identität und Neigung“ spezialisiert.11 In Deutschland sind Queer Studies oft eng an die Gender-Forschung angebunden. Sie sind interdisziplinär ausgerichtet und umfassen neben Theorien und Ansätzen der Gender-Forschung in der Regel auch soziologische, psychologische und philosophische Methoden und Erkenntnisse. In den USA hat sich die Queer-Forschung als eigenständiger Fachbereich an den Universitäten etabliert. 3.1. Judith Butler Die Aussage, der Mensch könne sein Geschlecht und seine sexuelle Orientierung frei wählen, kann unter anderem auf die Theorien der amerikanischen Philosophin und Literaturwissenschaftlerin Judith Butler zurückgeführt werden. In ihrem Buch „Das Unbehagen der Geschlechter“12 behauptet Butler, selbst wenn „sexuelle Binarität“ (englisch: binary sex), d. h. das Vorhandensein eines weiblichen und männlichen Geschlechts, als biologische Prämisse akzeptiert werde, folge daraus nicht zwingend eine eindeutige „Geschlechtsidentität“ (englisch: gender).13 Der sexuellen beziehungsweise biologischen Ausprägung des Geschlechts stellt sie eine soziale und kulturelle Dimension von Geschlecht gegenüber. Geschlechtsidentität bezieht sich – vereinfacht betrachtet – auf die gesellschaftliche und soziale Rolle als Mann und Frau und nicht auf die biologischen Unterschiede. Mit Simone de Beauvoir argumentiert Butler, dass „das Geschlecht 10 Vgl. http://www.brockhaus-enzyklopaedie.de/be21_article.php?document_id=b24_600079993 (Stand 25.5.2009). 11 Das englische Wort „queer“ bedeutet nicht nur „homosexuell“, „schwul“ oder „lesbisch“, sondern auch „sonderbar“ oder „zweifelhaft“. Es bezieht sich ursprünglich also nicht nur auf sexuelle Neigungen , sondern auf grundsätzliche Andersartigkeit. 12 Butler 1991. 13 Butler 1991: 22 f. - 8 - (sex) definitionsgemäß schon immer Geschlechtsidentität (gender) gewesen ist.“14 Wenn in einer gesellschaftlichen Diskussion von Geschlecht die Rede ist, bezieht man sich laut Butler also immer auf Geschlechtsidentität. Während das biologische Geschlecht gegeben ist, entwickelt sich die Geschlechtsidentität unter gesellschaftlichem und kulturellen Rahmenbedingungen, bleibt aber prinzipiell wandelbar.15 Butler analysiert in ihrem Buch stereotype und binäre Denkmuster, die im Zusammenhang mit Geschlecht und Geschlechtsidentität vorzufinden sind. Dabei verwendet sie die Methode der Dekonstruktion. Auf diesem Weg soll das gesellschaftlich vermittelte Geschlecht sowie die sozial geprägte sexuelle Identität analysiert und „entblättert“ (dekonstruiert ) werden. Von ihrer Definition des Geschlechtsbegriffs ausgehend, thematisiert Butler auch die verschiedenen sexuellen Neigungen, wozu sie unter anderem auch auf psychoanalytische (z. B. Freud, Lacan) und philosophische Überlegungen zurückgreift , um Motivation, Ursachen und Auswirkungen der sexuellen Identität zu untersuchen . Butler hat mit ihrer Arbeit wesentlich zur Entwicklung einer Queer-Theorie beigetragen , die sich mit dem Zusammenhang von Geschlecht (sex), Geschlechtsidentität (gender) und sexuellen Neigungen befasst. 3.2. Antke Engel Neben Judith Butler kann auch Antke Engel als Befürworterin der These, der Mensch könne und solle sein Geschlecht und seine sexuelle Orientierung frei wählen, angesehen werden. In ihrem Buch „Wider die Eindeutigkeit. Sexualität und Geschlecht im Fokus queerer Politik der Repräsentation“16 zielt Engel auf eine Dekonstruktion der Heteronormativität . Mit „Heteronormativität“ ist eine normative Orientierung gemeint, die von der Queer-Forschung kritisiert wird, da nur die heterosexuelle Neigung als eine „normale “ Neigung wahrgenommen wird. Mit ihrem Vorgehen greift Engel damit ebenfalls auf die zentrale Methode der Queer-Forschung, die Dekonstruktion von gesellschaftlich vermittelter sexueller Identität, zurück. Für sie ist die Annahme, dass eine binäre Geschlechtsvorstellung „keine Naturgegebenheit, sondern Bedingung und Effekt soziodiskursiver Macht- und Herrschaftsregime ist“, eine innovative Erkenntnis der Queer- Theorie.17 Um die vermeintliche Eindeutigkeit der Trennung von männlicher und weiblicher Geschlechtsidentität zu hinterfragen und zu dekonstruieren, verwendet Engel den Begriff der „VerUneindeutigung“. Diesem liege eine bestimmte Strategie zugrunde: VerUneindeutigung „setzt da an, wo Identitäten […] das gesellschaftliche Feld organisieren. Sie 14 Butler 1986. 15 Butler 1991: 25 f. 16 Engel 2002. 17 Engel 2002: 48. - 9 - stellt diesen nicht eine weitere (provisorische) Identität zur Seite und erhebt erneut die Forderung nach Inklusion, sondern statuiert das Recht, Mehrdeutigkeit und Vieldeutigkeit zu leben. […] Damit ist VerUneindeutigung eine Strategie, die nicht in der Alternative Identitätspolitik oder Neutralisierung der Differenz gefangen bleibt, sondern geschlechtliche und sexuelle Unterschiedlichkeit als prozessual, kontextuell und konstituiert in Machtverhältnissen, als relationale Singularität oder als différance darstellt.“18 Mit der Strategie der VerUneindeutigung sollen „Normen oder Normalitäten“ in Frage gestellt werden, „ohne jedoch in Opposition zu treten oder ihrerseits eine erneute normative Schließung vorzunehmen“.19 Die Norm der Heterosexualität soll aufgelöst werden , ohne Homo-, Bi- oder Transsexualität zur Norm zu erheben. 3.3. Queer-Aktivismus Mit „Queer-Aktivismus“ werden die Bemühungen bezeichnet, die Theorien und Modelle der Queer-Forschung gesellschaftspolitisch umzusetzen. Queer-Aktivisten vertreten zumeist gemäßigte Positionen und bemühen sich, ihre Aktivitäten durch zahlreiche Rückverweise auf die Erkenntnisse der Queer-Forschung zu legitimieren. Doch die Queer-Bewegung ist nach ihrer Gründungsphase in den 90er Jahren mittlerweile eine Art Auffangbecken für Menschen und Gruppen geworden, die „anders“ sind oder sich zumindest so wahrnehmen. Bei manchen geht es nicht mehr um die Geschlechtsidentität , sondern um jede Form von Identität und Rolle in einer Gesellschaft. Vereinfacht heißt das: um „queer“ zu sein, genügt es, anders zu sein. Der Queer-Aktivismus ist daher keine einheitliche Bewegung. Als Queer-Aktivist bezeichnet sich etwa auch der bekennende Pädophile Dieter Gieseking , der die Pädophilengruppe „Krumme 13“ gründete.20 Die Forderungen nach Abschaffung des § 176 ff. (Verbot des sexuellen Missbrauchs von Kindern) und des § 184 StGB (Verbreitung pornographischer und jugendgefährdender Schriften) sowie das Aufklärungsbedürfnis zu Pädophilie und Pädosexualität21 werden unter anderem mit Erkenntnissen der Queer-Forschung begründet. Während die Queer-Forschung ihrem interdisziplinären Ansatz gemäß auch auf Erkenntnisse der Psychologie zurückgreift, widersprechen pädophile Aktivisten der in der Sozialpsychologie mehrheitlich vertretenen These, eine einvernehmliche Sexualbeziehung sei zwischen Erwachsenen und Kindern aufgrund des Macht- und Abhängigkeitsverhältnisses nicht möglich. Genau dies 18 Engel 2002: 224. 19 Engel 2002: 224. 20 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Krumme_13 (Stand 19.05.2009) und http://k13- online.krumme13.org/ (Stand 19.5.2009). 21 Vgl. Interview der Österreichischen Journalistin Solmaz Khorsand mit Dieter Gieseking im September 2007 http://k13-online.krumme13.eu/text.php?s=read&id=558 (Stand 6.5.2009). - 10 - nutzen viele Pädosexuelle aber als Ausgangspunkt zur Legitimation ihres Verhaltens.22 Innerhalb des Queer-Aktivismus sind pädophile Vorstellungen und Bestrebungen allerdings äußerst umstritten. Obwohl sich viele Homo-, Bi- und Transsexuelle als „Queers“, anders Denkende und Handelnde sehen, kann der LSVD, gegen dessen Brief23 sich der Aufruf „Für Freiheit und Selbstbestimmung – gegen totalitäre Bestrebungen der Lesben- und Schwulenbewegung “ richtet, nicht pauschal als Teil der Queer-Bewegung bezeichnet werden. Während Anhänger der Queer-Theorie die Veränderbarkeit des sozialen und kulturellen Geschlechts und der sexuellen Orientierung unterstellen, sprechen sich die Verfasser des Offenen Briefs gegen Bestrebungen aus, durch Therapie die sexuelle Orientierung zu ändern. Unter Verweis auf die Bundestagsdrucksache 16/8022 werden die Gefahren solcher Therapiemaßnahmen hervorgehoben. Sie werfen unter anderem der Organisation „Wüstenstrom e.V.“ und dem „Deutschen Institut für Jugend und Gesellschaft“24 vor, dass diese der Theorie von der prinzipiellen Veränderbarkeit der sexuellen Orientierung nur deshalb zustimmten, weil sie Homosexuelle zur Therapie motivieren (oder gar zwingen) wollten. Die beiden Organisationen werden als Verfechter einer variablen Sexualität, als Gegner „vom homosexuellen Mensch als Gattung“ und als Gegner einer „unveränderbaren sexuellen Identität“ bezeichnet.25 Dies legt nahe, dass der LSVD – im Gegensatz zu den Überzeugungen der Queer-Forschung – selbst von einer unveränderbaren Sexualität ausgeht, was allerdings nicht notwendigerweise aus den Formulierungen des Offenen Briefes abgeleitet werden kann. 4. Positionen der Kritiker der Gender-Mainstreaming-Bewegung 4.1. Christl Ruth Vonholdt Insbesondere der geplante Vortrag von Dr. med. Christl R. Vonholdt auf dem „6. Internationalen Kongress für Psychotherapie und Seelsorge“ wird in dem eingangs erwähnten Offenen Brief des LSVD an den Oberbürgermeister Marburgs und an die Leitung der Universität Marburg auf Schärfste verurteilt, da Vonholdt mit ihren Positionen dem wissenschaftlichen Anspruch des Kongresses nicht gerecht werde.26 22 Vgl. http://k13-online.krumme13.org/text.php?id=102&s=read (Stand 19.5.2009). 23 http://www.lsvd.de/1126.0.html (Stand 6.5.2009). 24 „Das Deutsche Institut für Jugend und Gesellschaft forscht und informiert über zukunftsfähige Lebensgrundlagen und nachhaltige Entwicklungsarbeit in den Bereichen Lebenskultur, Ehe und Familie , Identität, Sexualität, Homosexualität, Menschenrechte, Diakonat.“ Siehe Website des DIJG: http://www.dijg.de/institut.html (Stand 27.5.2009). 25 http://www.lsvd.de/1126.0.html (Stand 6.5.2009). 26 http://www.lsvd.de/1126.0.html (Stand 6.5.2009). - 11 - Die Leiterin des „Deutschen Instituts für Jugend und Gesellschaft“, Christl Vonholdt, hat in mehreren Interviews27 und in einem Beitrag der evangelischen Zeitschrift „Zeitzeichen “28 ihre nach eigenem Selbstverständnis christlichen Positionen zu Geschlechterrollen und sexueller Identität dargestellt. Dabei hat sie sich mehrfach gegen den Vorwurf gewehrt, sie spreche sich gegen die Rechte von Schwulen und Lesben aus. Allerdings räumt sie ein, dass sie homosexuelle Ehen und Familien sowie polygame Ehen oder Geschwisterehen ablehne. Vonholdt begründet ihre Haltung mit Verweis auf das „Recht des Kindes auf Vater und Mutter“.29 Nur in einer Ehe zwischen Mann und Frau könne sich das Kind bestmöglich entwickeln, weil die „Ehe den Graben zwischen den Geschlechtern“ wie keine andere Gemeinschaft überbrücke.30 Die Rechte der Kinder hätten in diesem Fall Vorrang vor den Rechten der Eltern. „Die Umdeutung von Ehe und Familie ist kulturzerstörend.“31 In diesem Zusammenhang verweist sie darauf, dass es auch innerhalb der Lesben- und Schwulenbewegung nicht nur Befürworter der „Homo -Ehe“ gibt.32 Allerdings geben andere Äußerungen Vonholdts Anlass zu der Vermutung , dass sie Homosexualität aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen und Maximen grundsätzlich ablehnt. So bezeichnete sie in einem Debattenbeitrag Homosexualität als Sünde vor Gott. „Der ganze Mensch, ‚ha-adam’, ist nach 1. Mose I, 27 erst männliches und weibliches Geschöpf gemeinsam“.33 „Indem wir homosexuelle Lebensweisen gutheißen , verletzten wir das Bild des Menschen und verdunkeln dadurch das Bild Gottes auf der Erde.“34 Die Anschauungen Vonholdts zu Ehe, Familie und Sexualität richten sich zwar in hohem Maße gegen die Ziele und Maßnahmen des Gender-Mainstreaming aus, sie zeichnen sich aber im Gegensatz zu polemischeren Positionen dadurch aus, dass sie bemüht ist, ihre Argumente mit Verweis auf die Bibel und andere christliche Glaubensgrundsätze zu begründen, ohne die von ihr kritisierte Gender-Mainstreaming- Bewegung durch pauschale Unterstellungen zu diffamieren. 4.2. Gabriele Kuby Gabriele Kuby (Jahrgang 1944) konvertierte 1997 zum katholischen Glauben. Als konservative katholische Buchautorin, Publizistin und Vortragsrednerin hat sie es sich zum Ziel gesetzt, „die Sackgassen der modernen Gesellschaft […] und den Ausweg durch 27 http://www.dijg.de/interview-rheinmerkur.html (Stand 7.5.2009) und http://www.dijg.de/611.30. html (Stand 6.5.2009). 28 Vonholdt 2005: 33-34. 29 http://www.dijg.de/611.30.html (Stand 6.5.2009). 30 http://www.dijg.de/611.30.html (Stand 6.5.2009). 31 http://www.dijg.de/611.30.html (Stand 6.5.2009). 32 http://www.whk.de/K%f6lnerErkl%e4rung.htm (Stand 7.5.2009). 33 Vonholdt 2005: 33. 34 Vonholdt 2005: 33. - 12 - den gelebten Glauben an Jesus Christus“ aufzuzeigen35 Für Gabriele Kuby laufen die Ergebnisse der Queer-Forschung auf eine Vorstellung von sexueller Identität hinaus, derzufolge der Mensch sein Geschlecht und seine sexuelle Orientierung frei wählen kann und dies auch tun soll. Als Kritikerin der Gender-Mainstreaming-Bewegung und Unterzeichnerin des Aufrufs „Für Freiheit und Selbstbestimmung“ unterstellt Kuby in ihrem Buch „Die Gender Revolution. Relativismus in Aktion“36 den „Gender- Aktivisten“, sie zielten darauf, die Eindeutigkeit des Geschlechts zu relativieren und tatsächlich zu verschleiern. Dies führe in letzter Konsequenz zur uneingeschränkten moralischen und sozialen Akzeptanz jeglicher Formen von sexueller Abweichung: „Wenn die Zweigeschlechtlichkeit als ontologische Vorgabe der menschlichen Existenz aufgegeben wird, dann kann jede sexuelle Abweichung von der Heterosexualität als normal und erlaubt erklärt werden.“37 Kuby unterstellt den „Gender-Aktivisten“ sogar, dass es ihnen nicht nur um die Anerkennung homo-, bi- und transsexueller Neigungen und Lebensweisen gehe, sondern letztlich auch um die soziale Akzeptanz von Pädophilie und Polygamie.38 Im Kern ziele die Gender-Mainstreaming-Bewegung nach Kuby auf eine völlige Umkehrung des tradierten Wert- und Normensystems. „Die längst nicht mehr diskriminierte , sondern diskriminierende Minderheit der Homo-, Bi- und Transsexuellen ist im Begriff , ihre Werte in einem historisch beispiellosen sozialrevolutionären Prozess der Mehrheit aufzuzwingen. Wie weit dieser Prozess bereits fortgeschritten ist, davon hat die große Mehrheit der Bevölkerung nicht die leiseste Ahnung.“39 Kuby sieht im „Missbrauch der Sexualität“ auch die „Wurzel der Kultur des Todes, der jährlich 50 Millionen ungeborene Kinder zum Opfer fallen“.40 In ihren Augen fördert die Gender- Mainstreaming-Bewegung diesen „Missbrauch der Sexualität“ und damit auch Abtreibungen .41 Neben den Homo-, Bi- und Transsexuellen, die die Tradition von Ehe und Familie gefährdeten, sieht Kuby die Gender-Mainstreaming-Bewegung vor allem seit der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 als Gefahr, da abweichende sexuelle Praktiken , sexuelle Promiskuität und sexuelle Aktivitäten von Jugendlichen akzeptiert und gefördert sowie sukzessive in verbindliches Recht umgestaltet würden.42 Sie fordert eine Rückkehr zum tradierten katholischen Glauben und dessen Vorstellungen von Ehe, 35 Vgl. http://www.gabriele-kuby.de/persoenliches/lebensweg/ (Stand 19.5.2009). 36 Kuby 2006. 37 Kuby 2006: 57. 38 Kuby 2006: 57. 39 Kuby 2006: 56. 40 Vgl. http://www.gabriele-kuby.de (Stand 19.5.2009). 41 Vgl. http://www.gabriele-kuby.de/wortmeldungen/gender-mainstreaming/ (Stand 20.5.2009). 42 http://www.gabriele-kuby.de/wortmeldungen/gender-mainstreaming/ (Stand 20.5.2009). - 13 - Familie und Sexualität. Damit solle der moralische Verfall, der durch die Gender- Mainstreaming-Bewegung vorangetrieben werde, gestoppt werden. Allerdings, dies muss an dieser Stelle kritisch hervorgehoben werden, bleibt fraglich, wie weit Kubys Polemik die Mehrheitspositionen der Gender-Aktivisten tatsächlich angemessen erfasst. Die verschiedenen (verwerflichen) Ziele und Absichten, die Kuby den Gender-Aktivisten zuschreibt, werden häufig bloß behauptet und unterstellt. Die Vorlage entsprechender Belege und Quellen, auf deren Basis sich nachweisen ließe, dass die von Kuby unterstellten Positionen und Aussagen tatsächlich von der Gender- Bewegung oder einigen ihrer führenden Vertreter propagiert werden, bleibt Kuby weitgehend schuldig. Daher ist nicht zu erkennen, ob es sich bei den inkriminierten Aussagen tatsächlich um eine Mehrheitsmeinung innerhalb der Gender-Bewegung oder lediglich um radikale Positionen einzelner Personen und Gruppen oder doch nur um bloße Unterstellungen seitens der Kritiker handelt. Kritisch anzumerken ist zudem auch, dass die Bezeichnung „Gender-Aktivisten“ von Kuby als pauschaler Sammelbegriff verwendet wird, ohne dass die damit zu erfassenden sozialen Gruppen konkret umrissen werden . Namen von Personen, die wie zum Beispiel der bekennende (innerhalb der Genderund Queer-Bewegung aber höchst umstrittene) Pädophile Dieter Gieseking mit extremen Ansichten hervorgetreten sind, sucht man bei Kuby jedenfalls vergebens. Letztendlich lehnt Kuby nahezu jede Form von Gender-Mainstreaming und Gleichstellungspolitik ab, nicht nur deren extreme Ausprägungen wie sie beispielsweise von Gieseking propagiert werden. Ihre generelle Negierung jeglicher Auflösung der Geschlechtspolarität von Mann und Frau zielt auf den Kern der Gender-Mainstreaming-Bewegung. Kuby erklärt die Gender-Mainstreaming-Bewegung für im Kern unchristlich und unmoralisch, da sich diese weder christlichen Werten noch den hieraus abgeleiteten moralischen Grenzen verpflichtet fühle. 4.3. Bettina Röhl Die konservative Publizistin Bettina Röhl veröffentlichte 2005 auf der Internetseite der Zeitschrift Cicero einen Artikel mit dem Titel „Die Gender Mainstreaming-Strategie“.43 Röhl bekennt sich in dieser Schrift ebenfalls als Gegnerin des Gender-Mainstreaming. Allerdings stehen bei ihr nicht die Positionen zur sexuellen Orientierung, sondern die Bemühungen um die Gleichstellung von Mann und Frau im Fokus. Unter Verweis auf die vermeintlichen oder tatsächlichen Unsinnigkeiten von Quotenregelungen in einer Reihe von Berufen etikettiert Röhl „Gender-Mainstreaming“ als das „Zauberwort der jüngsten Stufe des Feminismus“.44 Gleichstellungspolitik ziele in Wirklichkeit auf die Benachteiligung der Männer. „Von spezifischen Männerrechten […] ist in den bisher 43 http://www.cicero.de/97.php?item=581 (Stand 6.5.2009). 44 http://www.cicero.de/97.php?item=581 (Stand 6.5.2009). - 14 - veröffentlichten Texten zu GM [Gender-Mainstreaming] an keiner Stelle die Rede. Bist du Frau, bleibst du Frau, bekommst aber alles, was die Gesellschaft zu bieten hat. Zudem werden Förderprogramme für dich aufgelegt, wie der bereits eingeführte ‚Girlsday’ – offenbar reichen die Frauenbeauftragten, Gleichstellungsstellen und Quotenfrauen den Gender Mainstreamern nicht mehr, damit du endlich Männerberufe ergreifst, die du bisher ignoriert hast. Bist du Mann, kannst du wählen, ein bisschen oder auch ein bisschen mehr Frau zu werden, wenn dir danach ist. Du kannst zwar keine Kinder bekommen , aber dafür werden dir Lernprogramme angeboten, ab jetzt die Kinder großzuziehen und die Alten zu pflegen, als Kompensation dafür, dass diese Arbeiten in den vergangenen 20.000 Jahren von Frauen erledigt wurden. In den Berufen, in denen Männer bisher dominierten, zum Beispiel in Ingenieursberufen und Technikberufen, bekommst du, Mann, Quoten, die durchaus ungerecht sein dürfen, wegen der bereits genannten historischen Gerechtigkeit.“45 Röhl wirft der Gender-Mainstreaming-Bewegung „Allmachtsphantasie“ vor und bezeichnet „Desorientierung in Sachen Sex und Gesellschaft“ als eine „wesentliche Stütze der Gender-Mainstreaming-Theoretiker“. Sie bezieht sich damit auf „Patchwork- Familien, temporäre Lebenspartnerschaften, Abschaffung der Monogamie und das Lockern der festen Bindungen zu den eigenen Kindern, das Revitalisieren von Sex und Liebe durch Seitensprünge“. „Gender Mainstreaming heißt im Klartext kompletter Umbau der Gesellschaft und Neuerfindung der Menschheit. Gender Mainstreaming ist eine Art totalitärer Kommunismus in Sachen Sex und Geschlechterbeziehung.“46 4.4. Weitere Kritiker der Gender-Mainstreaming-Bewegung Wie bereits des Öfteren erwähnt, umfasst „Gender-Mainstreaming“ ein sehr breites Spektrum an Grundüberzeugungen, Einstellungen und gesellschaftspolitischen Zielsetzungen . In der öffentlichen Debatte geht es zumeist um Fragen der Gleichstellung der Geschlechter und um verschiedene Maßnahmen im Rahmen der Gleichstellungspolitik. Allerdings melden sich in jüngsten Zeit auch immer mehr Kritiker zu Wort, die in den Bemühungen um Gender-Mainstreaming, wie sie etwa vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend forciert werden, eine Gefahr für traditionelle christliche Wertvorstellungen und das traditionelle christliche Familienbild sehen. Bei diesen Kritikern handelt es sich zumeist um Publizisten, Wissenschaftler und Verbandsvertreter mit extrem wertkonservativen, reaktionären oder christlich-fundamentalistischen Grundüberzeugungen und Einstellungen. Sie polemisieren auf verschiedenen Ebenen und mit den unterschiedlichsten Mitteln gegen – ihrer Meinung nach – zu weitgehende , der natürlichen (gottgegebenen) Ordnung widersprechende und nur auf die 45 http://www.cicero.de/97.php?item=581 (Stand 6.5.2009). 46 http://www.cicero.de/97.php?item=581 (Stand 6.5.2009). - 15 - egoistische Selbstverwirklichung der Frauen abzielende Formen weiblicher Emanzipationsbestrebungen , die nur allzu häufig mit Kinderlosigkeit, Abtreibungen, der Zerstörung von Familien, der Zunahme von Alleinerziehenden und der psychischen und somatischen Schädigung von Kindern (wie Erwachsenen) einhergehe. Neben den bereits genannten Publizistinnen Kuby und Vonholdt gehören die ehemalige Nachrichten- Sprecherin Eva Hermann47, FAZ-Redakteur Volker Zastrow („Gender-Mainstreaming. Politische Geschlechtsumwandlung“)48 und SPIEGEL-Redakteur René Pfister („Der neue Mensch“)49 zu den bekanntesten Autoren, die in dieser Weise als Kritiker des Gender-Mainstreaming aufgetreten sind. Auch aus dem kirchlichen Bereich ist immer wieder Kritik an den Bemühungen um eine Gleichstellung der Geschlechter oder an libertären Einstellungen zur Sexualität zu vernehmen . Hierzu ist vorab festzuhalten, dass die Themen Gleichstellung und gewandelte Sexualmoral und -praxis längst bei den Kirchen angekommen sind. Von offizieller Seite wurde Gender-Mainstreaming weder durch die katholische noch die evangelische Kirche pauschal abgelehnt. Im Gegenteil: in verschiedenen Organisationsbereichen der beiden großen christlichen Kirchen finden – im Rahmen der durch die Kirchenhierarchie vorgegebenen Möglichkeiten – verschiedene Aspekte des Gender-Mainstreaming durchaus Berücksichtigung.50 Daneben gibt es jedoch vorwiegend aus konservativen und fundamentalistischen kirchlichen Kreisen auch erhebliche Kritik an den Gleichstellungs - und Gleichberechtigungskonzepten des Gender-Mainstreaming sowie an den hieraus abgeleiteten Programmen und Maßnahmen. Während ein Großteil der gemäßigt konservativen Kritiker sich aber mehr oder weniger sachlich und differenziert mit einzelnen Positionen der Gleichstellungspolitik auseinandersetzt, sind es vor allem Publizisten und Initiativen51 im fundamentalistischen christlichen Spektrum, die jegliche Gleichstellungsbemühung und Liberalisierung christlicher Sexualvorstellungen ablehnen und dabei – wie Gabriele Kuby – nicht davor zurückschrecken, mit Generalverdikten wie der These von der freien Wählbarkeit von sexueller Identität und Orientierung sämtliche Gender-Mainstreaming-Aktivitäten pauschal zu verdammen. 52 5. Schlussbemerkung Die These, „der Mensch könne und solle sein Geschlecht und seine sexuelle Orientierung […] frei wählen“, steht tatsächlich auch mit Erkenntnissen und Theorien der so 47 Hermann 2006. 48 Zastrow 2006. 49 Pfister 2006. 50 Vgl. http://www.zdk.de/salzkoerner/salzkorn.php?id=237&page (Stand 26.05.2009). 51 Wie zum Beispiel das Internetforum http://www.kreuz.net/ (Stand 26.5.2009). 52 Vgl. http://www.welt.de/wams_print/article1716969/Pastor_kritisiert_eigene_Kirche.html (Stand 26.5.2009) und http://www.kreuz.net/article.4854.html (Stand 26.05.2009). - 16 - genannten Queer-Forschung im Einklang und wird von einer Reihe von Vertretern dieses Forschungsansatzes sowie von Queer-Aktivisten öffentlich unterstützt.53 Allerdings decken sich die Vorstellungen und Ziele der Vertreter der Queer-Forschung und der Queer-Aktivisten nur partiell mit den Anliegen der Gender-Mainstreaming-Bewegung. Es wäre von daher falsch zu behaupten, die in ihren Zielen, Interessen und Positionen heterogene Gender-Mainstreaming-Bewegung habe sich in ihrer Gesamtheit diese Vorstellung von sexueller Identität und Orientierung zu Eigen gemacht. Tatsächlich sind manche Positionen der Queer-Theorie mit den Positionen anderer Gruppen innerhalb der Gender-Mainstreaming-Bewegung unvereinbar, zum Beispiel, was die Frage der prinzipiellen Veränderungsfähigkeit (und damit „Therapierbarkeit“) von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität betrifft. Der Aufruf „Für Freiheit und Selbstbestimmung“ richtet sich gegen den Offenen Brief des LSVD.54 Der Verband ist zwar durchaus im Umfeld der Gender-Mainstreaming- Bewegung aktiv, steht aber mit den von ihm vertretenen Einstellungen und Zielen den Anschauungen der Queer-Theorie eher skeptisch gegenüber.55 Dies betrifft insbesondere die These von der Veränderbarkeit der sexuellen Orientierung. Dies ergibt sich unter anderem auch daraus, dass der LSVD in seinem Offenen Brief Angebote zur „Therapie von Homosexualität“ beispielsweise durch Organisationen wie „Wüstenstrom e.V.“, die ja ebenfalls von der grundsätzlichen Veränderbarkeit der sexuellen Orientierung – hier allerdings nur einseitig als Veränderbarkeit von homo- zu heterosexuell – ausgehen, strikt ablehnen. Demzufolge ist hier festzustellen, dass der Aufruf „Für Freiheit und Selbstbestimmung“ zwar direkt gegen den Offenen Brief des LSVD gerichtet ist, die darin enthaltene These von der „freien Wahl des Geschlechtes und der sexuellen Orientierung “ aber eher von Vertretern der Queer-Bewegung (und indirekt auch von den Befürwortern einer Therapierbarkeit von Homosexualität) propagiert wird. Auch wenn nicht in jeder Debatte über Gleichstellung und Geschlechterrollen die jeweils präferierten Vorstellungen von sexueller Identität und Orientierung im Fokus stehen , so ist es dennoch gängige Methode vieler Kritiker der Gender-Mainstreaming- Bewegung, ihre Kritik gegen alle möglichen (tatsächlichen oder unterstellten) Positionen und Ziele der Gender-Mainstreaming-Bewegung zu richten, um von dieser ein möglichst negatives Bild zu zeichnen. Auch die Unterstellung des Aufrufs „Für Freiheit und Selbstbestimmung“, die Gender-Mainstreaming-Bewegung propagiere, der Mensch könne und solle sein Geschlecht und seine sexuelle Orientierung frei wählen, dürfte ein Ausfluss dieser Methode zur Diffamierung der vollständig abgelehnten Bemühungen um Gender-Mainstreaming sein. Angesichts der nicht zu übersehenden Polemik, die in 53 Zum Beispiel von Judith Butler und Antke Engel. 54 http://www.lsvd.de/1126.0.html (Stand 6.5.2009). 55 Vgl. S. 7. - 17 - solchen pauschalen Unterstellungen deutlich hervortritt, stellt sich allerdings die Frage, ob die Kritiker ihrem (durchaus berechtigten) Anliegen, ein kritisches Bewusstsein gegenüber verschiedenen unter dem Etikett Gender-Mainstreaming vorgetragenen Positionen , Maßnahmen und Zielen herzustellen, tatsächlich einen Gefallen tun. Viel eher lässt sich erwarten, dass derartige Diffamierungen bei einem kritischen Publikum, das gewohnt ist, analytisch und differenziert zu denken, eher Skepsis erzeugen und geeignet sind die Seriosität und Angemessenheit der Kritik in Frage zu stellen. 6. Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Akademie für Psychotherapie und Seelsorge. Homepage. http://www.akademieps. de/ (Stand 27.5.09). 2. Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend. Gender Mainstreaming (Definition). http://web.archive.org/web/20071130090105/http:// www.gender-mainstreaming.net/gm/definition.html (Stand 30.11.2007). 3. 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Öffentlicher Aufruf der Initiative Für Freiheit und Selbstbestimmung vom 20.4.2009. http://www.medrum.de/?q=node/2448 (Stand 25.5.2009). 9. Gender-Mainstreaming (2009). In: Brockhaus –Enzyklopädie Online: Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG. http://www.brockhausenzyklopaedie .de/be21_article.php (Stand 26.5.2009). 10. Hermann, Eva (2006). Das Eva-Prinzip. München: Pendo. 11. Interview mit Dr. Christl R. Vonholdt: Identität - Warum die Vorstellung von Mann und Frau infrage gestellt wird. In: Rheinischer Merkur vom 15.7.2004. http://www.dijg.de/interview-rheinmerkur.html (Stand 25.5.2009). 12. Interview mit Dr. med. Christl Ruth Vonholdt. In: Oberhessischen Presse am 24.4.2009. http://www.dijg.de/611.30.html (Stand 25.5.2009). 13. K13-[KRUMME13]-Online. Pädo-FAQ (Häufig gestellte Fragen zur Thematik Pädosexualität/Pädophilie). http://k13-online.krumme13.org/text.php?id=102&s= read (Stand 25.5.2009). - 18 - 14. Kölner Erklärung sexualemanzipatorischer Gruppen aus NRW, beschlossen zum Christopher-Street-Day 2000. http://www.whk.de/K%f6lnerErkl%e4rung.htm (Stand 25.5.2009). 15. Kuby, Gabriele (2006). Die Gender Revolution. Relativismus in Aktion. Kisslegg: fe-medienverlag. 16. Lesben- und Schwulenverband Deutschland (2009). Offener Brief zum 6. Internationalen Kongress für Psychotherapie und Seelsorge vom 26. März 2009. http://www.lsvd.de/1126.0.html (Stand 6.5.2009). 17. Pfister, René (2006). Der neue Mensch. In: Der Spiegel. 1 2007. http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,457053,00.html (Stand 26.5.2009) 18. Röhl, Bettina (2007). Die Gender Mainstreaming-Strategie. http://www.cicero.de/ 97.php?item=581 (Stand 6.5.2009). 19. Vonholdt, Christl Ruth (2005). Eine Frage des Menschenbildes. Warum Homosexualität Sünde ist. In: Zeitzeichen. Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft . 6 (10), S. 33. 20. Zastrow, Volker (2006). „Gender Mainstreaming“. Politische Geschlechtsumwandlung . In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Nr. 139, 19.06.2006. http://www.faz.net /s/RubFC06D389EE76479E9E76425072B196C3/Doc~E19A6FC7720554E818290 07B25E33D7E4~ATpl~Ecommon~Scontent.html (Stand 26.5.2009).