Deutscher Bundestag Die Gründung der CSU im Kontext des Widerstands gegen den Nationalsozialismus Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 1 – 3000/081/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000/081/11 Seite 2 Die Gründung der CSU im Kontext des Widerstands gegen den Nationalsozialismus Verfasser: Aktenzeichen: WD 1 – 3000/081/11 Abschluss der Arbeit: 31.08.2011 Fachbereich: WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000/081/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Tabelle: Welche an der Gründung der CSU beteiligten Persönlichkeiten waren im Widerstand gegen die NS-Herrschaft aktiv gewesen? Welche waren vom NS-Regime in Haft genommen? 4 1.1. Einleitung 4 1.2. Tabelle mit einer Auswahl von Gründungspersönlichkeiten der CSU die im NS-Widerstand aktiv oder inhaftiert waren 6 2. Wie schließen sich die programmatischen Aussagen aus der Gründungszeit der CSU an die Überlegungen in Widerstandskreisen zur politischen Ordnung der Nachkriegszeit an? 7 2.1. Einleitung 7 2.2. Überlegungen aus Widerstandskreisen für die Nachkriegspolitik 7 2.3. CSU-Programmatik 1945/’46 10 2.3.1. Einleitung 10 2.3.2. Christliche Sammlungsbewegung 11 2.3.2.1. Die Idee der Sammlungsbewegung in den frühen CSU-Programmen11 2.3.3. Katholische Soziallehre 11 2.3.3.1. Die Idee der katholischen Soziallehre in den frühen Programmen der CSU 11 2.3.4. Menschen- und Bürgerrechte, Demokratie 12 2.3.4.1. Menschen- und Bürgerrechte in den frühen Programmen der CSU 12 2.3.5. Rechtsstaatlichkeit 12 2.3.5.1. Rechtsstaatlichkeit in den frühen Programmen der CSU 12 3. Abschließende kurze Analyse 12 4. Literaturverzeichnis 13 5. Anlagen 13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000/081/11 Seite 4 1. Tabelle: Welche an der Gründung der CSU beteiligten Persönlichkeiten waren im Widerstand gegen die NS-Herrschaft aktiv gewesen? Welche waren vom NS-Regime in Haft genommen ? 1.1. Einleitung Bevor tabellarisch Namen von CSU-Gründungspersönlichkeiten aufgelistet werden, die im Widerstand gegen den Nationalsozialismus (NS) aktiv beziehungsweise während der Zeit des NS inhaftiert waren, müssen einige grundsätzliche Bemerkungen zur Vorgehensweise gemacht werden. Entgegen den wissenschaftlichen Regeln einer kritischen Auseinandersetzung mit den zentralen Begriffen („CSU-Persönlichkeiten“, „aktiver Widerstand“) wünscht lediglich die tabellarische Zusammenstellung. Die unter wissenschaftlichen Aspekten notwendige Klärung, wer als Gründungspersönlichkeit der CSU gelten kann, in welcher Form Widerstand geleistet wurde und welchen Widerstandsgruppen (Kirche, Militär, Monarchisten usw.) die unten genannten Personen angehörten und warum, bleibt den weitergehenden kritischen Darstellungen in der Dokumentation vorbehalten. Um die Problematik wenigstens anzureißen mag der Hinweis erlaubt sein, dass im ersten Jahr der NS-Herrschaft annähernd 100.000 Menschen aus politischen Gründen inhaftiert wurden. Die Zahl der vor Gerichten während des Nationalsozialismus aus politischen Gründen verurteilten liegt bei etwa 10.000. Wie viele davon wiederum nach 1945 an Gründungsinitiativen der CSU beteiligt waren, kann tabellarisch sicher nicht dargestellt werden. Diese Einschätzung bestätigt Thomas Schlemmer in seinem Buch „Aufbruch, Krise und Erneuerung . Die Christlich-Soziale Union 1945 bis 1955“: „Die Frage, in welchem Ausmaß die Mitbegründer der CSU mit dem nationalsozialistischen Regime in Konflikt geraten waren, ließ sich bisher nur ansatzweise beantworten . Einer breiten Öffentlichkeit sind nur wenige prominente Politiker der bayerischen Unionspartei bekannt, die Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen waren oder der braunen Diktatur aktiven Widerstand entgegengesetzt hatten. Dagegen weiß man kaum etwas darüber, wie die Träger der neuen Partei auf regionaler oder lokaler Ebene die NS-Zeit erlebt hatten, wie viele von ihnen in die Mühlen des Herrschafts- und Unterdrückungsapparats geraten waren oder welche Konzessionen sie den neuen Machthabern gegenüber gemacht hatten.“ (SCHLEMMER, S. 31) Horst Möller hat in seinem Beitrag zum christlich-konservativen Widerstand gegen Hitler nachfolgende Anmerkungen gemacht, die die Problematik einer tabellarischen unkritischen Darstellung unterstreichen: „Von den 154 verfolgten bayerischen Abgeordneten, die nach 1945 bzw. 1949 wiederum Abgeordnete im Landtag, im Wirtschaftsrat, im Parlamentarischen Rat oder im Bundestag wurden, gehörten zur CDU/CSU immerhin 15, das waren: Curt Wilhelm Fromm, Georg Gehring, Michael Horlacher, Alois Hundhammer, Konrad Kübler , Andreas Kurz, Georg Meixner, Anton Pfeiffer (nach dem Krieg übrigens Staatsminister und Mitgründer des Instituts für Zeitgeschichte), Josef Piechl, Fritz Schäf- Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000/081/11 Seite 5 fer, Alois Schlögl, Karl Schmid, Georg Stang, Fritz Strobel, Hans Wutzlhofer. Natürlich besitzt dieser Anteil nur einen begrenzten Aussagewert, weil er lediglich einen Teil der christlichen Oppositionellen umfasst, eben nur die, die vor 1933 bayerische Landtagsabgeordnete waren. Deutlich wird das, wenn wir auf die Unionsfraktion des 1. Bundestags schauen: Von den 142 Christlich-demokratischen bzw. Christlich -sozialen Abgeordneten werden 61 als Verfolgte eingestuft, also 43 Prozent (Adalbert Hess). Diese wenigen Zahlen beweisen, ein wie großer Teil der späteren christlich-demokratischen Politiker, sofern sie schon vor 1945 bzw. vor 1933 tätig waren, vom NS-Regime als oppositionell oder widerständig eingestuft wurde. Die Zahlen zeigen deutlich, dass die Zuordnung des Widerstands zur politischen Linken nur einen Teil der Realität trifft.“ (MÖLLER, S. 29f.) Thomas Schlemmer hat in seiner bemerkenswerten Untersuchung zu den Gründungsjahren der CSU den Erweiterten Landesausschuss1 der CSU vor dem Hintergrund der Rolle seiner Mitglieder im Nationalsozialismus untersucht: „Von den ca. 220 Delegierten und Gästen, die zwischen Januar und Oktober 1946 an den Tagungen des (Erweiterten) Landesausschusses teilnahmen, konnten 178 mehr oder weniger vollständig erfaßt werden. Davon kamen mindestens 95 Personen, also immerhin mehr als die Hälfte, in der einen oder anderen Weise mit dem nationalsozialistischen Herrschaftssystem in Konflikt; bei weiteren legt die Biographie – politische Betätigung oder Aktivitäten in kirchlichen Organisationen - die Vermutung von Verfolgung oder nicht systemkonformem Verhalten nahe, ohne daß dies explizit nachzuweisen ist. 61 Männer und Frauen wurden zwischen 1933 und 1945 zum Teil wiederholt verhaftet und zumeist für mehrere Wochen in „Schutzhaft" gehalten. […]Soweit feststellbar, waren darüber hinaus 46 Personen „nur" oder zusätzlich von beruflicher Benachteiligung betroffen. Die Palette der Diskriminierungen reichte dabei von der Nichtberücksichtigung bei Beförderungen über disziplinarische Maßnahmen und Strafversetzungen bis hin zur Entlassung und zum Verlust der beruflichen Existenz. […]Von den Personen, die 1946 an den Sitzungen des (Erweiterten) Landesausschusses teilnahmen, hatten mindestens zehn der braunen Diktatur aktiven, organisierten Widerstand entgegengesetzt, für den sie zum Teil teuer bezahlen mußten. So zählten Franz Fackler, Georg Gamperl, Albert Kaller, Josef Messmer und Josef Stürmann zum Kreis der bayerischen Monarchisten um den 1945 hingerichteten Josef Zott und den kurz nach Kriegsende verstorbenen Adolf von Harnier, die sich die Restauration einer konstitutionellen Monarchie auf christlich-sozialer Basis auf ihre Fahnen geschrieben hatten. […] Von 15 weiteren Mitgliedern des (Erweiterten) Landesausschusses, die das Glück hatten, nach 1933 einer Verhaftung zu entgehen, ist bekannt, daß sie von anderen Verfolgungsmaßnahmen wie Überwachung und Polizeiaufsicht, Vermögensbeschlagnahme , Haussuchungen und Verhören, Zensur und Redeverbot oder körperlichen Mißhandlungen betroffen waren oder durch kritische Äußerungen, kirchliches Engagement und Hilfe für politisch oder rassisch Verfolgte mit dem Regime in Konflikt gerieten. […]Erwähnenswert sind überdies zwei weitere Fälle: Friedrich Wilhelm von Prittwitz und Gaffron, ein überzeugter Demokrat, legte 1933 aus Protest gegen die 1 Der (Erweiterte) Landesausschuss war die erste landesweite Vertretung der bayerischen Unionspartei, noch bevor die Delegierten am 17. Mai 1946 erstmals zu einem ordentlichen Parteitag zusammentraten. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000/081/11 Seite 6 Machtübernahme der Nationalsozialisten sein Amt als Botschafter in den USA nieder , der Journalist Flans Geiselberger, der zeitweilig als Sekretär der BVP- Reichstagsfraktion fungiert hatte, wurde in den Wirren der letzten Kriegstage von einem SS-Standgericht zum Tode verurteilt, konnte sich jedoch der Vollstreckung des Urteils entziehen.“ (SCHLEMMER, S. 31ff.) 1.2. Tabelle mit einer Auswahl von Gründungspersönlichkeiten der CSU die im NS-Widerstand aktiv oder inhaftiert waren Anton Pfeiffer Schutzhaft 1933 Josef Schwalber Schutzhaft 1933 Joseph-Ernst Fürst Fugger von Glött aktiver Widerstand Michael Horlacher inhaftiert 1933, Schutzhaft 1944, aktiver Widerstand Alois Hundhammer inhaftiert 1933, KZ Dachau 1933, Widerstand Georg Meixner Schutzhaft 1933, Widerstand Josef Müller inhaftiert 1941, 1941 – 1945 KZ Buchenwald, KZ Flossenbürg, KZ Dachau, KZ Reichenau (Innsbruck ), aktiver Widerstand Fritz Schäffer inhaftiert 1933, 1944 KZ Dachau, Widerstand Karl Scharnagl KZ Dachau 1944, aktiver Widerstand Adam Stegerwald inhaftiert 1944 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000/081/11 Seite 7 2. Wie schließen sich die programmatischen Aussagen aus der Gründungszeit der CSU an die Überlegungen in Widerstandskreisen zur politischen Ordnung der Nachkriegszeit an? 2.1. Einleitung Auch hier wird der Bitte entsprochen, in möglichst thesenhafter Form „Überlegungen aus Widerstandskreisen“ mit „programmatischen Aussagen aus der Gründungszeit der CSU“ in Verbindung zu bringen. Ähnlich wie bei den für die Beantwortung der ersten Frage dargestellten Problemen ergeben sich auch hier Konflikte zwischen der gewünschten Darstellungsform und einer wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden kritischen Prüfung. Letztere ist in den in der Dokumentation beigefügten Aufsatz von Winfried Becker und dem in der Anlage beigefügtem Auszug aus der Untersuchung von Thomas Schlemmer Rechnung getragen. Probleme bereitet zunächst der Begriff „programmatische Aussagen aus der Gründungszeit der CSU“: Nach 1945 bildeten sich auf kommunaler Ebene in Bayern ungezählte Parteien mit programmatischen Aussagen zur Zukunft von Staat und Gesellschaft, die sich im Laufe der Jahre 1945/’46 der „Sammlungsbewegung“ CSU anschlossen beziehungsweise in ihr aufgingen. Wenn nun lediglich die landesweiten Programme der Jahre 1945, 1946 herangezogen werden, kann dies nur einen winzigen Ausschnitt der Programmatik der unmittelbaren Nachkriegszeit bedeuten. Geklärt werden müsste darüber hinaus, was sich hinter dem Begriff „Überlegungen aus Widerstandskreise “ verbirgt. Erstens sind viele dieser Überlegungen bereits zu Zeiten der Weimarer Republik diskutiert worden – es ist mitunter deshalb nur schwer begründbar, solche Überlegungen originär einzelnen Widerstandskreisen zuzuordnen. Noch schwerer erscheint es, den inneren Zusammenhang zwischen einer Formulierung in einem Programm und den Überlegungen aus Widerstandskreisen nachzuweisen. Zweitens stellt sich – gerade bei der CSU – die Frage, welche programmatischen Vorüberlegungen den eigentlichen programmatischen Kern der CSU in den Jahren 1945 und 1946 (in Bezug auf die oben erwähnten drei programmatischen Schriften) bestimmt haben: Beispielhaft ist auf die Schriften Adam Stegerwalds hinzuweisen, der bereits 1920 das Konzept einer christlichen Volkspartei entworfen hatte. Seine Überlegungen sind keine „Überlegungen aus Widerstandskreisen“, waren aber grundlegend für die Programmatik in der Gründungsphase der CSU und atmen selbstverständlich den Geist eines Gegenentwurfs zum NS- Staat und NS-Menschenbild. Hier gilt es schließlich zu beachten, dass es dem Auftraggeber nicht um programmatische Aussagen geht, die sich aus der totalitären Erfahrung speisen, sondern explizit um Überlegungen aus Widerstandskreisen. 2.2. Überlegungen aus Widerstandskreisen für die Nachkriegspolitik Hans Maier hat in einem Aufsatz für die Konrad-Adenauer-Stiftung die für die bürgerlichen Parteien insgesamt und damit auch für die CSU wesentlichen Überlegungen der zahlreichen Widerstandskreise zusammengefasst: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000/081/11 Seite 8 „Konzeptionell sind die stärksten Anstöße für die Nachkriegspolitik wohl von jenen Widerstandsgruppen ausgegangen, die sich mit der Zukunft, der Zeit nach dem Nationalsozialismus, beschäftigten. Hier spielen der Kreisauer Kreis, die Freiburger Kreise der Wirtschaftspolitik, Juristengruppen, die Fragen der Menschenrechte , der künftigen Verfassung, des Widerstandes erörterten, und nicht zuletzt die Zeitdeutungen von Theologen, Philosophen, Historikern, Publizisten eine Rolle. Fragt man nach der stärksten Kontinuität zwischen Widerstand und Nachkriegsdemokratie, so wird man wohl das Rechtsdenken in den Vordergrund stellen. Helmuth James Graf von Moltke […] engagierte sich für die Einhaltung des Völkerrechts, für die humane Behandlung der Kriegsgefangenen. In seinen Kontakten mit den Münchner Jesuiten spielte der Gedanke eines „Jus nativum“ - diese Formel erfand Delp für das Naturrecht - eine zentrale Rolle. In den Denkschriften des Kreisauer Kreises ging es ganz konkret um das Verhältnis von Staat und Recht - um den Rechtsstaat, der an die Stelle des Macht- und Willkürstaates treten sollte. Auch bei anderen Juristen im Widerstand - erinnert sei an Hans Peters und Paulus van Husen - steht das Verhältnis von Staat und Recht im Mittelpunkt. […] Das Recht wurde zur politischen Substanz des neuen Gemeinwesens . […]Vieles, was im Kreis der Widerstandskämpfer erörtert worden war, fand sich wieder in den Bestimmungen des Grundgesetzes. Hier ist die Kontinuität - auch zu unserer älteren Geschichte und zu spezifisch deutschen Traditionen der Freiheit und der Selbstverwaltung - am dichtesten. Um das Recht und seine ordnende Kompetenz ging es auch in den Freiburger Kreisen um Constantin von Dietze, Adolf Lampe und Gerhard Ritter, die an die ältere Zusammenarbeit von Juristen und Nationalökonomen vor dem Krieg anknüpften. Sie standen mit Dietrich Bonhoeffer und Carl Goerdeler in Verbindung. Hier wurde nach Alternativen zur Planwirtschaft gesucht, nach der Freisetzung wie nach der Ordnung der Wirtschaft. Hier wurde das neue Konzept der „sozialen Marktwirtschaft “ entwickelt, […] Es ist ein wohlbekanntes Kapitel der Geschichte, wie sich die „Freiburger Schule der Nationalökonomie“ - Walter Eucken, Franz Boehm, Hans Grossmann-Doerth - in der Nachkriegszeit auf der ganzen Linie durchsetzte. […] Fast vergessen ist aber, dass die Theorie der sozialen Marktwirtschaft auf dem Boden strenger protestantischer Ethik erwuchs und dass ihre Schöpfer ein waches Gefühl für die nicht-ökonomischen Voraussetzungen der Wirtschaft hatten. […] Die dritte Linie, die vom Widerstand im Dritten Reich zur Nachkriegszeit führt, ist das Bekenntnis zur internationalen Zusammenarbeit und zum Zusammenschluss Europas. Das ist umso bemerkenswerter, als viele der aktivsten Widerstandskämpfer deutsche Patrioten - einige auch deutsche Nationalisten - waren. Aber sie überwanden diesen Nationalismus in sich, sie bekannten sich zur Völkerverständigung , sie entwarfen Pläne für eine Zusammenarbeit in Europa, ja für eine europäische Integration. Ähnlich war es bei den ersten europäischen Initiativen in der Nachkriegszeit, die von Schuman, De Gasperi, Adenauer, Bech ausgingen - hier haben alte persönliche Beziehungen katholischer Parlamentarier über die Grenzen hinweg eine maßgebliche Rolle gespielt. […] Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000/081/11 Seite 9 Auf paradoxe Weise wurden sogar manchmal im Krieg Gefängnisse und Konzentrationslager zu Orten übernationaler Begegnung: Eugen Kogon, Jorge Semprun und Joseph Rovan haben das an Beispielen aus Buchenwald und Dachau geschildert. Entscheidend war, dass es im Widerstand - so schwierig die Kommunikationsbedingungen waren - zu Brückenschlägen kam: Brückenschlägen zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen Konservativen und Sozialisten, zwischen Industriellen und Gewerkschaftlern, zwischen Arbeitern und Offizieren. Das war in dieser Form vorher nicht denkbar. In der Weimarer Demokratie saßen die einzelnen Gruppen noch in ihren Gräben und Türmen. Minoritäten verschanzten sich gegeneinander. Man war wenig bereit, sich auf Gespräche, auf langfristige Zusammenarbeit einzulassen . Das Gefühl „Wir müssen aus dem Turm heraus!“ äußerte sich beim einen oder anderen, aber es war nicht allgemein verbreitet. Erst der Kampf gegen den Nationalsozialismus führte dazu, dass diese Haltung der Defensive, der wechselseitigen Abgrenzung schwand: der Horizont erweiterte sich, man lernte sich mit den Augen des anderen zu sehen, die Gesprächs- und Kooperationsbereitschaft wuchs. Zugleich verschwanden die alten Vorbehalte gegenüber dem demokratischen Staat und die in eine vage Zukunft gerichteten Erwartungen an eine andere, eine stärker katholisch oder protestantisch oder liberal oder sozialistisch geprägte Republik. Man nahm wieder unvoreingenommener den Staat in seiner konkreten Verfassung wahr, man entdeckte die umfassende, nicht nur partielle, auf Teilloyalitäten gegründete Verantwortung der Bürger für das Gemeinwesen. […] Drei Grundentscheidungen bestimmten die Richtung [von CDU und CSU]: Erstens stufte die CDU/CSU als Unionspartei bewusst die überlieferte katholischnaturrechtliche Tradition, wie sie etwa im rivalisierenden Zentrum weiterlebte, auf die für evangelische Christen und Liberale tolerable Höhe herab, sie öffnete sich, um den Evangelischen eine politische Heimat zu bieten, stärker liberalem und nationalem Denken, sie rückte gegenüber dem Weimarer Zentrum zur Mitte und nach rechts. Zweitens entschloss sie sich nach dem Erfolg der Erhardschen Wirtschaftspolitik : zur Übernahme der ordoliberalen Ideen – ein Vorgang, der von evangelischen Christen geprägten „Freiburger Schule“ vorbereitet worden war. Drittens: kehrte sie sich mit zunehmender Deutlichkeit von Vorstellungen einer deutschen Vermittlungsfunktion, einer Schaukelpolitik zwischen Ost und West ab und optierte für eine europäische Integrationspolitik, eine atlantische Bündnispolitik - auch dies eine Neuorientierung gegenüber Positionen der Zeit der Weimarer Republik. Der Sieg des Unionsgedankens überwand die „splendid isolation“ einer strukturell minoritären Konfessionspartei. Das marktwirtschaftliche Denken lockerte weltanschaulich erstarrte Klassenkampffronten und öffnete den Weg für einen freien Markt und einen bis dahin nicht gekannten „Wohlstand für alle“. Und schließlich gab die europäische und atlantische Bündnispolitik dem prekären Ge- Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000/081/11 Seite 10 bilde Bundesrepublik eine feste Verankerung in der westlichen Welt.“ (MAIER, Auszüge)2 2.3. CSU-Programmatik 1945/’46 2.3.1. Einleitung Die frühe CSU-Programmatik ist geprägt von innerparteilichen Auseinandersetzungen und Positionen diverser Flügel und Gruppierungen. Ein Umstand, der sich aus der Idee einer Sammlungsbewegung mit ganz unterschiedlichen Strömungen erklären lässt. Hinzu kamen die Bedingungen der Besatzungszeit, die in vielen programmatischen Fragen zu Kompromissen zwang. Viele der frühen Programme sind von keinem legitimierten Organ der Partei in einem geregelten Verfahren beschlossen worden. Hinsichtlich der Bedeutung ehemaliger Widerstandsgruppen bei der Gründung der CSU hat Thomas Schlemmer für den Erweiterten Landesausschuss bemerkt: „Dagegen blieb die Kommunikation zwischen den Vertretern der verschiedenen Traditionsstränge des Widerstands gegen den Nationalsozialismus in der CSU schwierig. So betrachteten die ehemaligen Mitglieder prononciert bayerischer Widerstandszirkel, die sich im Juli 1946 zur „Widerstandsgruppe der Christlich-Sozialen Union" zusammengeschlossen und - ihrem mehrdeutigen Namen gemäß - mit Alois Hundhammer einen erklärten Gegner der Parteiführung um den Ochsensepp zu ihrem Vorsitzenden gewählt hatten, Aktivisten der Militäropposition wie Müller und Liedig mit Skepsis und unterstellten ihnen Sympathien für Preußentum und Zentralismus. Die „bayerische Frage" überlagerte auch in diesem Fall gemeinsame Erfahrungen und ähnliche programmatische Vorstellungen in anderen Bereichen, die mit dem Bekenntnis der „Widerstandsgruppe" zu einem „Sozialismus aus christlichem Verantwortungsgefühl", einem Erbe des Zott-Flarnier-Kreises3, durchaus gegeben waren.“ (SCHLEMMER, S. 33) Im Folgenden sollen zunächst allgemein wesentliche programmatische Bausteine aufgegriffen werden, die im Vorfeld der Gründung der CSU in den frühen programmatischen Schriften offensichtlicher Konsens waren und deren Inhalt im weitesten Sinne (auch) „Überlegungen aus Widerstandskreisen “ zuzuordnen ist. Diese Schwerpunkte werden konkret überprüft an den „Zehn Punkten der Christlich-Sozialen Union“ aus dem Jahr 1945, am „Grundsatz-Programm der Christlich-Sozialen Union in Bayern“ aus dem Jahre 1946 und an den „Dreißig Punkten der Union. Richtlinien der Christlich-Sozialen Union in Bayern zur Überwindung der inneren und äußeren Not unseres Volkes“ aus dem November 1946. 2 Maier, Hans. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus: Wirkungen in Politik und Gesellschaft der Nachkriegzeit (http://www.kas.de/wf/doc/kas_6704-544-1-30.pdf?050922185334) (Stand 15. August 2011) - Auszug - 3 Der sog. Zott-Flanier-Kreis war ein Kreis der bayerischen Monarchisten um den 1945 hingerichteten Josef Zott und den kurz nach Kriegsende verstorbenen Adolf von Harnier, die sich die Restauration einer konstitutionellen Monarchie auf christlich-sozialer Basis auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000/081/11 Seite 11 2.3.2. Christliche Sammlungsbewegung Die Einsicht, dass die Erneuerung des gesamten privaten und öffentlichen Leben nur aus dem christlichen Glauben heraus und in einer gemeinsamen christlichen Front möglich sei, war unumstrittener Konsens der Gründergeneration der CSU und Grundlage aller Programmentwürfe. Josef Müller und Adam Stegerwald waren im Sommer 1945 bei einem Treffen in Rothenburg ob der Tauber der Meinung, dass „eingedenk des Widerstandes evangelischer und katholischer Christen gegen das nationalsozialistische Regime eine neue Partei nur auf interkonfessioneller Grundlage geschaffen werden könne. (vgl. SCHLEMMER, S. 52) Zu erwähnen ist allerdings auch, dass es erhebliche Auseinandersetzungen in den Gründerzirkeln gab, ob man die alte Bayerische Volkpartei (BVP) wiederbeleben solle (damit wäre auch dem alten Führungspersonal der Partei eine bedeutende Rolle zugekommen). Befürworter des Wiedererstehens der BVP argumentierten, dass die BVP der stärkste Gegner im Kampf gegen den NS in Bayern gewesen sei. Gegner wiesen u. a. auf die Zustimmung der BVP zum Ermächtigungsgesetz hin. Am 12. September 1945 entschied sich die im August bestellte Kommission zur Erarbeitung eines Programmentwurfs für den Namen Bayerische Christlich-Soziale Union und damit gegen die alte Bayerische Volkspartei. Im Übrigen war die Entscheidung für den Namen „Union“ auch eine bewusste Entscheidung gegen die durch die Nationalsozialisten strapazierten Begriffe „Partei“ und „Bewegung“. 2.3.2.1. Die Idee der Sammlungsbewegung in den frühen CSU-Programmen In den „Zehn Punkten der Christlich-Sozialen Union“ heißt es gleich zu Beginn „Eingedenk der unheilvollen parteipolitischen Zersplitterung der Vergangenheit, haben sich Männer und Frauen aller Berufsstände aus einst getrennten politischen Lagern zu einer machtvollen Sammelbewegung zusammengeschlossen…“ Auch im Grundsatzprogramm von 1946 klingt der Gedanke der Sammlungsbewegung in der Einleitung an wenn es heißt, dass die Christlich Soziale Union sich als „politische Tatgemeinschaft aller“ verstehe, „die sich bekennen zur ewigen Gültigkeit des christlichen Sittengesetzes…“ 2.3.3. Katholische Soziallehre Die Sozial- und wirtschaftspolitischen programmatischen Ideen waren meist an den Prinzipien der katholischen Soziallehre ausgerichtet. Daneben finden sich in den Programmschriften aber auch Ideen, die ein gesellschaftspolitisches Leitbild charakterisierten, „das teilweise ständischkorporatistische Züge trug und zuweilen an die Volksgemeinschaftsideologie des Dritten Reiches erinnerte“ (vgl. SCHLEMMER, S. 46) Planwirtschaft und sozialistische Konzepte wurden weitgehend abgelehnt, die Kontrolle und Lenkung der Wirtschaft durch den Staat bei Anerkennung der unternehmerischen Eigeninitiative aber durchaus gefordert. 2.3.3.1. Die Idee der katholischen Soziallehre in den frühen Programmen der CSU In Punkt 2 der „Zehn Punkte“ wird die Verwirklichung christlicher Grundsätze in der Wirtschaft gefordert, ergänzt in Punkt 6 in dem soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit gefordert werden und Punkt 7 mit der Forderung nach Achtung vor dem Privateigentum und Schaffung eines Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000/081/11 Seite 12 neuen Sozialrechts. Im Grundsatzprogramm werden Ideen der katholischen Soziallehre unter Punkt III (Sozialordnung) und Punkt IV (Wirtschaftsordnung) zusammengefasst (vgl. Anlage). 2.3.4. Menschen- und Bürgerrechte, Demokratie Die Forderung nach Verankerung der Menschen- und Bürgerrechte in einem demokratischen Staat stieß auf breite Zustimmung in den Gründerkreisen der CSU. Einer weitgehenden Demokratisierung von Staat und Gesellschaft stand man aber durchaus skeptisch gegenüber: „Demokratieund Parlamentarismuskritik, wie sie in den bürgerlichen Parteien vor 1933 weit verbreitet gewesen war, und die Erfahrung des Untergangs der Weimarer Republik verbanden sich vielfach zu Vorstellungen von einem zwar demokratischen, aber am Primat der Stabilität orientierten politischen System mit einer übermächtigen Exekutive als Garant für die Funktionsfähigkeit des Staates auch in Krisenszeiten.“ (SCHLEMMER, S. 48) 2.3.4.1. Menschen- und Bürgerrechte in den frühen Programmen der CSU Das weite Feld der Menschen- und Bürgerrechte findet sich naturgemäß in den vorliegenden Programmen : So wird im Grundsatzprogramm beispielsweise das „Anrecht eines jeden auf menschenwürdiges Dasein“ (II.1) gefordert ebenso wie die „Unverletzlichkeit der Person“ (II.2). Zur Unverletzlichkeit der Wohnung heißt es „Das Heim des Menschen soll seine Freistatt sein“ (II.2). Desweiteren finden sich im Grundsatzprogramm klare Aussagen zur Gleichstellung von Mann und Frau. In den „Dreißig Punkten“ heißt es gleich im ersten Punkt: „Wir bekennen uns zur Würde und zur Freiheit der menschlichen Persönlichkeit.“ 2.3.5. Rechtsstaatlichkeit Hans Maier hat in seinem oben zitierten Aufsatz dem Rechtsdenken die stärkste Kontinuität zwischen Widerstand und Nachkriegsdemokratie zugeschrieben. Wesentliche Aspekte der Rechtsstaatlichkeit in den CSU-Programmen enthalten (auch) die Ideen der Denkschriften des Kreisauer Kreises. 2.3.5.1. Rechtsstaatlichkeit in den frühen Programmen der CSU Das Thema Rechtsstaatlichkeit nimmt in den vorliegenden Programmen breiten Raum ein. So heißt es in den „Zehn Punkten“: „Wiederherstellung des Rechtsstaates, Trennung von Verwaltung und Justiz, Gleichheit aller vor dem Gesetz“ (Punkt 5). Auch in den „Dreißig Punkten“ wird die „Gleichheit aller vor dem Gesetz“ und der „Rechtsschutz“ ausdrücklich genannt (Punkt 13). Im Grundsatzprogramm ist ein ganzes Kapitel dem Thema Rechtsordnung gewidmet (Kap. II, vgl. Anlage). 3. Abschließende kurze Analyse Die konkrete Verfolgungserfahrung hat bei vielen Mitbegründern der CSU eine Abkehr von antidemokratischen , monarchistischen oder autoritären politischen Vorstellungen bewirkt, wie sie in Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000/081/11 Seite 13 der Weimarer Republik noch feststellbar waren. Dies schlägt sich auch in den frühen Parteiprogrammen nieder. Die Verfolgungserfahrung wog vermutlich schwerer als eine Besinnung auf politische und gesellschaftliche Vorstellungen aus Widerstandskreisen. Trotz dieses Befunds muss konstatiert werden, dass auch die frühen CSU-Parteiprogramme nicht uneingeschränkt die Idee der pluralistischen, freiheitlich-demokratischen Regierungs- und Gesellschaftssysteme des Westens verfolgen. Die Achtung von unveräußerlichen Grund- und Menschenrechten, Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit gewannen jedoch einen bisher nicht gekannten Stellenwert. (vgl. dazu auch SCHLEMMER, S. 36) 4. Literaturverzeichnis Möller, Horst (2005). Vom christlich-bürgerlichen und konservativen Widerstand gegen Hitler zur Gründung von CDU und CSU nach 1945. In: Politische Studien, Heft 403, 56. Jahrgang, S. 26 – 38. Becker, Winfried (1995). Gründung und Wurzeln der Christlich-Sozialen Union. In: Hanns- Seidel-Stiftung (Hrsg.): Geschichte einer Volkspartei. 50 Jahre CSU 1945 – 1995. Grünwald: AT- WERB-Verlag KG. S. 69 – 108. Buchstab, Günter/Kaff, Brigitte/Kleinmann, Hans-Otto (Hrsg.) (2004). Christliche Demokraten gegen Hitler. Aus Verfolgung und Widerstand zur Union. Freiburg/Basel/Wien: Herder. (Auszüge ) Protzner, Wolfgang (2005). Josef Müller: „So etwas darf nie wieder passieren.“ In: Blessing, Werner K./Kestler, Stefan/Wirz, Ulrich (Hrsg.) (2005). Region – Nation – Vision. Festschrift für Karl Möckl zum 65. Geburtstag. Bamberg: Universitäts-Verlag. S. 387 – 398. Schlemmer, Thomas (1998). Aufbruch, Krise und Erneuerung. Die Christlich-Soziale Union 1945 bis 1955.München: R. Oldenbourg Verlag. Die Zehn Punkte der Christlich-Sozialen Union. Das Grundsatzprogramm der Christlich-Sozialen Union in Bayern, 1946. Die dreißig Punkte der Union. Richtlinien der Christlich-Sozialen Union in Bayern zur Überwindung der inneren und äußeren Not unseres Volkes, 1946. 5. Anlagen Anlage 1 Schlemmer, Thomas (1998). Aufbruch, Krise und Erneuerung. Die Christlich-Soziale Union 1945 bis 1955.München: R. Oldenbourg Verlag. – Auszug - Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000/081/11 Seite 14 Anlage 2 Die Zehn Punkte der Christlich-Sozialen Union. Anlage 3 Das Grundsatzprogramm der Christlich-Sozialen Union in Bayern, 1946. Anlage 4 Die dreißig Punkte der Union. Richtlinien der Christlich-Sozialen Union in Bayern zur Überwindung der inneren und äußeren Not unseres Volkes, 1946.