"Klassischer Terrorismus" und "transnationaler Terrorismus". Gemeinsamkeiten und Unterschiede - Ausarbeitung - © 2008 Deutscher Bundestag WD 1 - 075/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: "Klassischer Terrorismus" und "transnationaler Terrorismus". Gemeinsamkeiten und Unterschiede Ausarbeitung WD 1 - 075/08 Abschluss der Arbeit: 26.05.2008 Fachbereich WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Telefon: - Zusammenfassung - Trotz zahlreicher Gegensätzlichkeiten lassen sich einige Gemeinsamkeiten von „altem“ Terrorismus (beispielsweise der RAF) und „neuem“ (beispielsweise der Al Kaida) zusammenfassen : Beide kennen als Hauptgegner das „kapitalistische System“, „die USA“ und „Israel“, wenn auch aus vollkommen unterschiedlichen Wurzeln. Sowohl der nationale als auch der transnationale Terror kennen politische Flügel, die die eigentlichen Anliegen der Terroristen politisch unterstützen (so beispielsweise Sin Fein bzw. die Hamas). Als weitere Gemeinsamkeit beider Erscheinungsformen des Terrorismus kann auch die Todesbereitschaft der Akteure und ihr je eigener Wertekanon genannt werden. Schließlich zeigen sich die liberalen Demokratien ausgesprochen robust gegenüber jedweder Art des Terrors: Bei der Terrorabwehr fällt als Gemeinsamkeit auf, dass es eine Tendenz zur Einschränkung freiheitlicher Rechte zugunsten innerer Sicherheit gibt, unabhängig von der Art der terroristischen Bedrohung. Erhebliche Unterschiede zeigen sich u. a. bei der Finanzierung. Während beispielsweise die RAF die Finanzierung ihres Terrors in erster Linie durch Überfälle auf Banken und Geldboten sowie Geiselnahmen sicherte, lässt sich die gesamte Bandbreite der bekannten Finanzierungsmöglichkeiten des islamistischen Terrorismus kaum darstellen. Unterschiedlich sind auch die Wurzeln des Terrorismus ebenso wie deren Organisationsstruktur : Der islamistische Terror ist durch weitgehendes Fehlen einer hierarchischen Struktur geprägt und unterscheidet sich damit von den Organisationsstrukturen beispielsweise der RAF. Al Kaida ist keine Kaderorganisation mit straffer Führung. Zudem spielen Attentate auf Personen des öffentlichen Lebens, wie zu Zeiten der RAF, heute nur noch eine Nebenrolle. Opferziele und Aktionen des neuen Terrorismus sprengen jede bislang bekannte Dimension. Die Globalisierung des Terrors, die wachsende Zahl der terroristischen Akteure seit dem Ende des Kalten Krieges und der Angriff von Organisationen auf staatliche Gemeinwesen hat die Terrorabwehr von einer inneren polizeilichen Angelegenheit zu einer äußeren militärischen und geheimdienstlichen Angelegenheit werden lassen. Schließlich ist im Informationszeitalter sowohl die mediale Inszenierung des Terrors als auch die Bedeutung des Internets in den Fokus gerückt. Inhalt 1. Einleitung 4 2. Gemeinsamkeiten 5 2.1. Hauptgegner 5 2.2. Politische Flügel 5 2.3. Todesbereitschaft 5 2.4. Soziale Herkunft 6 2.5. Eigener Wertekanon 6 2.6. Terrorabwehr: Einschränkung freiheitlicher Rechte 6 3. Unterschiede 6 3.1. Finanzierung 6 3.2. Wurzeln und Ursprünge 7 3.3. Organisationsstrukturen 9 3.4. Opferziele und Aktionen 10 3.5. Terrorabwehr 11 3.6. Waffen 12 3.7. Mediale Inszenierung 12 4. Literaturverzeichnis 13 5. Anlagen 14 - 4 - 1. Einleitung Die vorliegende Ausarbeitung versucht, Gemeinsamkeiten und Unterschiede von „klassischem “ und „transnationalem“ Terrorismus herauszuarbeiten. Dabei wird der Begriff „alter“ Terrorismus als synonym für den „klassischen“ Terror beispielsweise der RAF, der Begriff „neuer“ Terrorismus als Synonym für den „transnationalen“ Terrorismus beispielsweise den der Al Kaida benutzt. Der Vollständigkeit halber sei ein kurzer Hinweis auf die bekannten Terrorismuserscheinungen des 20. Jahrhunderts erlaubt: Zu unterscheiden wäre der marxistischleninistisch verklärte ideologische Terrorismus (u. a. RAF, Rote Brigaden, Action Directe ), der auch über die jeweilige Gesellschaft hinaus globale Komponenten hatten. Daneben existiert ein ethno-nationaler Terrorismus seit Anfang der 70er Jahre (u. a. PLO, IRA, ETA, PKK), oftmals aus taktischen Gründen mit linksextremer Rhetorik verbunden. Davon abzugrenzen ist die religiöse Rhetorik des Terrors seit Beginn der 80er Jahre (u. a. PLO, Mudschaheddin). Schließlich gehören auch pseudo-religiöse Sekten wie die Aum-Sekte in Japan (Giftgasanschlag in der Tokioter U-Bahn 1995) und Guerillabewegungen wie die FARC in Kolumbien zu den terroristischen Erscheinungsformen (Hirschmann/Frank. 2002, S. 35). Diese Bandbreite des terroristischen Spektrums bedeutet auch eine erheblich Schwierigkeit bei der Definition des Begriffs „Terrorismus“. Es gibt keine international einheitliche Definition des Begriffs. Die Terrorismusforschung selbst umschreibt ihren Untersuchungsgegenstand als „besondere Form der Gewalt mit im weitesten Sinne politischer Zielsetzung. (Hirschmann/Frank. 2002, S. 31) Peter Waldmann definiert Terrorismus als „planmäßig vorbereitete, schockierende Gewaltanschläge gegen eine politische Ordnung aus dem Untergrund, die allgemeine Unsicherheit und Schrecken, daneben aber auch Sympathie und Unterstützungsbereitschaft erzeugen soll.“ (Waldmann 2002, S. 11) Hirschmann betrachtete über 100 Definitionen: Nur in drei von 22 ermittelten „Schlüsselpunkten“ wurde ein mehrheitlicher Befund gefunden: Gewalt (83%), Zwang (65%), polit. Hintergrund (51%). Zur Vertiefung der Problematik hinsichtlich der Erscheinungsformen und der Definitionen des Terrorismus wird auf den Aktuellen Begriff 12/2001 verwiesen (Anlage) - 5 - 2. Gemeinsamkeiten 2.1. Hauptgegner Bei terroristischen Organisationen, die die sog. Systemfrage stellen oder gestellt haben, ist „der Kapitalismus“, „die USA“ und „Israel“ als Gegner zu identifizieren. So gehörte beispielsweise bei der RAF neben der Überwindung des kapitalistischen Systems auch die Gegnerschaft zu den USA und zu Israel zum festen ideologischen Bestand. Diese Ziele der RAF waren auch anschlussfähig an die Überzeugungen bestimmter Länder. Dieser Sachverhalt ist auch heute für die Ziele von Al Kaida feststellbar: Hauptanschlagsziele des internationalen Terrorismus bleiben die USA und Israel. (Kraushaar, DeutschlandRadio: 2006) Die Forderung nach Ende des amerikanischen Engagements im Irak und Afghanistan findet ebenso Anschluss an politische Forderungen einzelner Länder wie beispielsweise des Iran. Die sog. Systemfrage des „traditionellen“ Terrorismus drückt sich bei Al Kaida allerdings in einer verstärkt kulturellen Dimension aus, bleibt aber auch antikapitalistisch . Als einigendes Band genügt dem Al Kaida Terror heute der Hass auf Amerika, der Bündnismöglichkeiten von Indonesien bis Marokko eröffnet. Jeder, der den USA Schaden zufügt, ist somit Teil der „Bewegung“. (Münkler: 2002) Die Abwendung der Fokussiertheit des Terrors auf Nationalstaaten hin zu internationaler Kooperation ist frühestens seit den 60er Jahren feststellbar. Insofern waren auch bereits Terrororganisationen wie die RAF auf dem Weg zum „internationalen Terrorismus“, wie beispielsweise die Kooperation mit der PLO zeigt. 2.2. Politische Flügel Bei zahlreichen Terrororganisationen im 20. Jahrhundert, besonders bei denen mit separatistischen Zielen, entstanden neben den terroristischen Gruppierungen gleichzeitig auch politische Flügel: so beispielsweise Sin Fein als politischer Arm der IRA oder Batasuna in Spanien und Frankreich, die im Verdacht steht, als politischer Arm der baskischen Untergrundorganisation ETA zu fungieren. Entsprechend kann beispielsweise auch die Hamas betrachtet werden: Aus der Muslimbruderschaft hervorgegangen, gliedert sie sich in einen politischen und einen militärischen Teil. (Laqueur: 2002) 2.3. Todesbereitschaft Walter Laqueur sieht in der Todesbereitschaft eine weitere Gemeinsamkeit zwischen alten und neuen Formen des Terrors. Bombenleger, die bereit sind, sich selber in die Luft zu jagen, habe es zu allen Zeiten und in allen Kulturkreisen gegeben. Junge Araber, - 6 - die sich in die Luft sprengen, seien insofern bloß Glieder in einer alten und langen Kette . (Laqueur: 2002) Diese fanatische Dynamik und Pathologie der Selbstmörder sieht auch Peter Schneider als Schnittmenge zwischen altem und neuem Terrorismus. (Schneider: 2007) 2.4. Soziale Herkunft Der amerikanische Psychiater Marc Sageman hat die sozialen Daten von 400 Terroristen untersucht und eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit festgestellt: Führende Köpfe der islamistischen Terrorszene kommen, ähnlich wie bei der RAF oder den Roten Brigaden , aus eher privilegierten Kreisen: Kaum einer der 400 Terroristen kann als arm oder unterprivilegiert gelten. Neunzig Prozent von ihnen kamen aus intakten Familien; 63 Prozent hatten Universitäten besucht; 75 Prozent waren berufstätig oder hatten Jobs; 73 Prozent waren verheiratet. (Sageman: 2004) 2.5. Eigener Wertekanon Eine weitere Gemeinsamkeit ist der eigene, selbst fabrizierte Wertekanon terroristischer Gruppierungen: „Sie kommen nicht darum herum, sich einen ‚revolutionären’ Katechismus zu erschaffen, der ihnen erlaubt, im Namen einer vermeintlich höheren Moral zu morden.“ Diese vermeintlich „höhere Moral“ kann politisch-ideologischer Natur sein, wie beispielsweise bei der RAF oder auch kulturell-religiös motiviert, wie heute bei Al Kaida. (Schneider: 2007) 2.6. Terrorabwehr: Einschränkung freiheitlicher Rechte Die Reaktionen freiheitlicher Demokratien auf terroristische Bedrohung jedweder Art ähneln sich häufig in ihrer Grundtendenz: Das bedrohte Gemeinwesen ist bereit, freiheitliche Rechte einzuschränken, wenn damit ein Zugewinn an Sicherheit – sowohl im Sinne körperlicher Unversehrtheit als auch im Sinne der Besitzwahrung – verbunden ist. 3. Unterschiede 3.1. Finanzierung Die weltweite Suche nach den Geldströmen des islamistischen Terrors ist zu einer der Hauptaufgaben der weltweiten Terrorbekämpfung geworden. Bis zum 31. Dezember 2005 wurden mehr als 150 Millionen Dollar, die als Terroristengelder identifiziert waren , aus dem Geldverkehr gezogen. (Dietl/Hirschmann/Tophoven 2006) Während beispielsweise die RAF die Finanzierung ihres Terrors in erster Linie durch Überfälle auf Banken und Geldboten sowie Geiselnahmen sicherte, ist der „neue“ islamistische Terror hinsichtlich der Finanzierung wesentlich komplexer. - 7 - Die gesamte Bandbreite der bekannten Finanzierungsmöglichkeiten des islamistischen Terrorismus ist kaum darstellbar: So finanzieren u. a. arabische Länder und Privatpersonen aus reichen Ölstaaten vor allem sog. „Vorfeldbereiche des Terrorismus“ wie radikale Religions- und Koranschulen (Hirschmann: 2002). Internationale religiöse Stiftungen und islamische Länder wie beispielsweise der Iran sind ebenfalls als Finanzquellen nachweisbar. Darüber hinaus dienen selbst Vereinsgründungen u. a. auch in Deutschland der finanziellen Absicherung von Ausbildung und Anschlägen von Terroristen . In diesem Zusammenhang muss allerdings ergänzend darauf hingewiesen werden, dass der „neue“ Terrorismus auch die „alten“ Mittel zur Finanzierung aufgreift, umgekehrt aber gerade bei separatistischen Terrororganisationen ähnliche Finanzierungsquellen nachweisbar sind, wie sie eben für Al Kaida skizziert wurden. (Dietl/Hirschmann/ Tophoven 2006) Vollkommen neu bei der Finanzierung des Terrors ist die industrielle Geschäftsbasis, wie sie beispielsweise für den Multimillionär Osama Bin Laden nachweisbar ist, ebenso wie das „Sponsoring“ aus Opiumgeldern und die Transaktionen des sog. Hawala- Systems1. (Dietl/Hirschmann/Tophoven 2006) „Als Faustregel gilt jedoch heute – Terrorismus ist ein `low cost business`. Dies grenzt ihn von früheren Geldbeschaffungs- und Finanzierungsmöglichkeiten ab. Diese waren aufwändiger und erforderten größere kriminelle Energie. Im Zuge der Globalisierung des Terrorismus werden auch seine finanziellen Bewegungen verstrickter und unübersichtlicher .“ (Dietl/Hirschmann/Tophoven 2006) 3.2. Wurzeln und Ursprünge Nicht nur die Ursprünge des „alten“ und des „neuen“ Terrorismus sind verschieden, auch die Erkenntnisse über die Ursprünge sind völlig verschieden. Während die Wurzeln des Terrorismus der siebziger Jahre gut aufgearbeitet sind, liegen zu Al Kaida nur wenige verlässliche Informationen vor, und die Wissenschaft ist hinsichtlich der Bedeutung einzelner Aspekte gespalten. Grundsätzlich lassen sich historische, politologische, theologische, kulturelle, ökonomische , geographische und militärische Ursprünge für den islamistischen Terror der Gegenwart voneinander abgrenzen. 1 Mit dem Hawala-System, einem jahrhundertealten arabischen Geheimsystem, kann Geld schnell und vertraulich transferiert werden, ohne dass dabei Quittungen oder andere Nachweise über die Transaktion anfallen. - 8 - Im Folgenden sollen nur einige Wurzeln des islamistischen Terrorismus kurz beleuchtet werden. Die Motive der Terroristen haben sich grundlegend gewandelt: „Während [..] im sozialrevolutionären [z. Bsp. RAF] und ethnoseparatistischen [z. Bsp. IRA] Terrorismus ideologische Vorgaben dominant waren und aus ihnen die Strategie der Gruppen abgeleitet wurde, hat sich in den jüngeren Formen des internationalen Terrorismus die Grammatik der Gewalt gegenüber politisch-ideologischen Vorgaben weithin verselbständigt.“ (Münkler: 2002) Hirschmann sieht in der Abwehr des globalen Modernisierungs- und Säkularisierungsprozesses das Hauptmotiv für den „neuen“, religiös motivierten Terrorismus. (Hirschmann : 2002). Die „Werte“ der westlichen Moderne wie Pluralismus, religiöse Vielfalt und Materialismus würden von vielen Menschen in der islamischen Welt abgelehnt. Parallel dazu werde die jüngere Geschichte von vielen Muslimen als „Erniedrigung ihrer Kultur“ durch den Westen interpretiert. Hinzu kommt ein explosionsartiger Bevölkerungswachstum in vielen muslimischen Ländern, mit dem die Infrastruktur nicht mithalten konnte und dessen Konsequenz ein Urbanisierungs- und Verelendungsprozess ist: „Innerhalb vieler Gesellschaften haben sich ‚soziale Inseln’ entwickelt, mit Menschen, die sich marginalisiert und ausgeschlossen fühlen. Die sozio-ökonomischen Entwicklungen jenseits der ersten Welt und die sich vergrößernden Lücken unterschiedlichen Wohlstands tun ihr Übriges und leisten einem Graubereich der Gesellschaft Vorschub, in dem sich Terrorgruppen mit karitativen Handlungen und dem Anbieten einer Art sozialen Netzes profilieren können.“ (Hirschmann: 2002). Autoritäre Regime, denen die Fürsorge gegenüber der eigenen Bevölkerung wenig wichtig scheint führen dazu, dass in diese entstandene Lücke radikale und islamistische Organisationen stoßen. (vgl. Kap. 2.2) Für den Politikwissenschaftler und Anthropologen Mahmood Mamdani, ist der globalisierende Terror charakteristisch für die letzte Phase des Kalten Krieges: Er werde bedingt durch die so genannten Stellvertreterkriege ("Kriege niedriger Intensität") als die gängige Form des Konflikts zwischen den beiden konkurrierenden Imperien Sowjet- Union und USA. (http://www.dradio.de/dlf/sendungen/essayunddiskurs/638603/) Bei Al Kaida war der Afghanistan-Krieg der UdSSR ein wesentlicher Aspekt der Militarisierung des Kampfes. Staatszerfall und das Ende der bipolaren Ordnung haben die Anzahl der „Akteure“ erheblich ansteigen lassen. (Dietl/Hirschmann/Tophoven: 2006) Theologisch betrachtet ist die Bedeutung der islamischen Lehre, bzw. des Korans, für den „neuen“ Terrorismus höchst umstritten. So haben Islamwissenschaftler wie Hanspeter Raddatz den Islam als Wurzel u. a. der Modernisierungsfeindlichkeit ausgemacht: - 9 - Säulen der Modernisierung wie die Trennung von Religion und Staat, die Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols und die Gleichberechtigung der Frau seien auf Grundlage des Korans nicht möglich. Andere Islamexperten betonen demgegenüber die Komplexität des Islam und dessen Friedfertigkeit. Geographisch liegen die Wurzeln vor allem in Ägypten, Saudi-Arabien, Jemen, Jordanien und Algerien. Es handelt sich nicht um ein globales, sondern zu weiten Teilen immer noch um ein regionales, um ein innerarabisches Phänomen, unter dessen Auswirkungen auch der Westen leiden muss. 3.3. Organisationsstrukturen Der islamistische Terror ist durch große Flexibilität und weitgehendes Fehlen einer hierarchischen Struktur geprägt und unterscheidet sich damit von den Organisationsstrukturen beispielsweise der RAF. Al Kaida ist keine Kaderorganisation mit straffer Führung . Die Dschihad-Bewegung ist dezentral organisiert. (Boelinger: 2006) Der „alte“ Terrorismus wird auf ein hierarchisch strukturelles Organisationsmodell zurückgeführt – trotz Kombination aus Einzelorganisation und Zellenformation. Strukturen des „alten“ Terrorismus sind an militärischen Organisationsformen orientiert (Kraushaar: 2006) Im Gegensatz dazu gibt es im islamistischen Terrorismus nicht mehr „nur“ eine Gruppe, sondern „spontane“ Gruppierungen, lose Netzwerke, internationale und nationale Verflechtungen von Personen. Der Islamismusexperte Guido Steinberg hat dieses Phänomen mit dem Begriff des "führerlosen Widerstands" beschrieben – ein neuartiges Phänomen, das erst in dem Moment entstanden ist, als Al-Qaida langsam zerschlagen wurde. Es gibt seitdem Gruppierungen, die über keinerlei nachweisbare Verbindungen zu Al-Qaida verfügen (z. Bsp. die Attentäter von Madrid und London). Beeinflusst werden diese Gruppierungen von der „Ideologie“ und der strategischen Ausrichtung . (Steinberg: 2005.) Wolfgang Kraushaar spricht von der Ablösung hierarchischer Organisationsformen durch multiple Netzwerke. (Kraushaar: 2006) Al Kaida organisiere sich am Modell eines multinationalen Konzerns. Es existiere ein Nebeneinander von vertikalen und horizontalen Ebenen: klar erkennbare Führungsebenen ohne zentrale Steuerung der einzelnen Aktivitäten („Weintraubenmodell“). Eine Unterscheidung zwischen „Mitgliedern“ und „Anhängern“ sei nur schwer möglich. Ein weiterer organisatorischer Unterschied ist die Tatsache, dass die RAF zu einem Leben im Untergrund gezwungen war – man kannte die Terroristen – während der islamistische Terror unerkannt „unter uns“ („Home-Grown Terrorism“) lebt. Deutschland wird - 10 - zudem organisatorisch als Rückzugsgebiet für islamistische Terroristen genutzt, der Schutz des Rechtsstaates wird in Freiheit ausgeschöpft. Schließlich muss noch das Internet erwähnt werden, das es dem islamistischen Terrorismus erlaubt, ein Netz von Kommunikationsforen aufzubauen, die die Kommunikation islamistischer Terroristen und Sympathisanten weltweit erleichtert. 3.4. Opferziele und Aktionen Grundlegend veränderte Organisationsstrukturen bedeuten auch grundlegend veränderte Ziele (Münkler: 2002). Attentate auf Personen des öffentlichen Lebens, wie z. Zt. der RAF, spielen heute nur noch eine Nebenrolle. Hinsichtlich der Schäden lässt sich der Unterschied zwischen „altem“ und „neuem“ Terrorismus anhand nachfolgender Zahlen verdeutlichen: Die RAF ermordete in 20 Jahren 34 Menschen, heute sterben bei Selbstmordanschlägen bspw. im Irak hundert Menschen. Rand Corporation gibt an, dass die 3.000 Toten vom 11. September mehr Tote seien, als bei allen Terroranschlägen seit 1968 zusammen (Kraushaar: 2006); Während des gesamten 20. Jahrhunderts soll es weltweit lediglich 14 Terroranschläge mit mehr als 100 Toten gegeben haben. (Kraushaar : 2006). Auch was die globale Stoßrichtung des „neuen“ Terrorismus betrifft, treffen wir auf eine gegnüber dem „alten“ Terrorismus veränderte Situation : Eine für Deutschland eigene und typische Form des Terrors gibt es nicht mehr (Tolmein: 2002) Basen und Operationsgebiete des modernen Terrorismus lassen sich nicht mehr so relativ eindeutig lokalisieren wie in der Vergangenheit. (Hirschmann: 2002) Wolfgang Kraushaar bezeichnet die Zielrichtung des neuen Terrorismus mit dem Begriff „Ubiquität der Opferziele“: Der alte Terrorismus habe die spezifische Auswahl der Opfer gekannt. „Unschuldige“ durften nicht getroffen werden. Ziele waren Militär, Polizei , Justiz, Repräsentanten des Staates, Wirtschaft und Finanzen. Beim neue Terrorismus fielen die Opferziele wahllos aus, so Wolfgang Kraushaar, weil kaum einer der genannten Adressaten wie „die Juden“, „die Israelis“, „die Amerikaner“, „der Westen“ oder „die Feinde des Islams“ gezielt zu treffen seien. Die Anwesenheit von Kindern etwa spiele nicht nur keine Rolle mehr, sondern Kinder werden, wie in Beslan, gezielt angegriffen. Ins Zentrum des Terrors ist der Selbstmordattentäter gerückt. Der Selbstmord ist mit dem Attentat und das Attentat mit dem Selbstmord identisch, so Kraushaar. Die Absicht des „alten“ Terroristen, war es, sich möglichst wenig eigenen Risiken auszusetzen und sich dem Zugriff von Polizei und Justiz zu entziehen. Entsprechend stoßen heute die „alten“ staatlichen Sanktionsdrohungen bis hin zur Todesstrafe ins Leere. (Kraushaar: 2006) - 11 - Aber auch der langfristige materielle Schaden, den beispielsweise die Anschläge vom 11. September 2001 auslösten, unterscheidet sich deutlich von den Zielen der RAF: „Nicht hochgeschützte amerikanische Botschaften sondern kaum zu schützende wirtschaftliche Versorgungsrouten werden zu Angriffszielen, um panisches Wirtschaftshandeln auszulösen, das zu einer Destabilisierung westlicher Ökonomien führt.“ (Münkler: 2002) Auch Djerba und Bali sind in erster Linie Angriffe auf wirtschaftliche Aktivitäten durch Tourismus. Neben diesen veränderten Opferzielen, sind weitere grundlegende Veränderungen in den Zielen des islamistischen Terrors erkennbar: dazu gehört die Computerisierung als Ziel von Anschlägen (Laqueur 2002) ebenso wie der mögliche Einsatz unkonventioneller Waffen und damit eine „Entgrenzung von Zerstörungsmitteln “ (Kraushaar: 2006). 3.5. Terrorabwehr Aus den „neuen“ Opferzielen und Methoden des islamistischen Terrorismus folgt, dass dieser mit den konventionellen Methoden der Terrorbekämpfung nur unzureichend bekämpft werden kann. Terrorismus, ob „alter“ oder „neuer“ Terrorismus, ist zwar immer ein Zusammenwirken mehrerer Straftaten, deren Bekämpfung auch heute Teil der Terrorabwehr ist. Zur Terrorismusbekämpfung heute kommen allerdings weitere Aspekte hinzu, die in den Mittelpunkt der Bekämpfung gerückt sind: Die Internationalität der Terrorabwehrmaßnahmen und die Terrorabwehr als Teil des Kampfes gegen die organisierte Kriminalität. Aus einer innerstaatlichen Bedrohung ist eine Herausforderung für die internationale Ordnung geworden, aus einer polizeilichen Aufgabe ist eine militärische und geheimdienstliche Herausforderung geworden. (Münkler: 2002) Darüber hinaus sind Bereiche in das Visier der Terrorabwehr gerückt, die bislang eher zur allgemeinen Kriminalitätsbekämpfung gehörten. An erster Stelle ist in diesem Zusammenhang das Internet zu nennen. Gleichzeitig stehen die bedrohten Gesellschaften vor der Herausforderung, ihre grundlegenden Werte, vor allem die Freiheit, zu schützen, ohne sie erheblich einschränken zu müssen. (vgl. auch Kap. 3.6) In diesem Kontext haben die Terroristen auch die Gegenwehr vor allem der USA als Teil ihrer Strategie entdeckt: die eingeschlagene Taktik der Amerikaner, mit starkem materiellen und personellen Aufwand den Terror zu bekämpfen, Macht und Stärke zu demonstrieren, ist ein Wesensmerkmal des staatlichen Kampfes gegen den „alten“ Terrorismus . Die mit dem sog. „Anti-Terrorkrieg“ verbundene Absicht der USA, das Heft des Handelns in der Hand zu behalten und ihr Auftrag, Sicherheit und Freiheit zu verteidigen , wird von den islamistischen Terroristen durch Anschläge im Irak und Afgha- - 12 - nistan und deren mediale Inszenierung zu einer moralischen Diskreditierung dieser eigentlich hehren Ziele der USA genutzt. (Münkler: 2002) 3.6. Waffen Bill Clinton hat vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen bereits 1998 bemerkt : „Terrorismus hat in den 1990er Jahren ein neues Gesicht erhalten. Die heutigen Terroristen machen sich die größere Offenheit und die explosionsartigen Entwicklungen in der Informations- und Waffentechnik zunutze. Die neuen Technologien des Terrors und ihre steigende Verfügbarkeit, gepaart mit einer steigenden Mobilität der Terroristen, schaffen beunruhigende Aussichten in Bezug auf die Verletzbarkeit gegenüber chemischen , biologischen und anderen Anschlägen und bringen so jeden von uns in die Rolle eines möglichen Opfers. Dies ist eine Bedrohung für die gesamte Menschheit.“ (Hirschmann: 2002, S. 28) Im Unterschied zum „alten“ Terrorismus greift der „neue“ islamistische Terrorismus auf die gesamte Bandbreite möglicher Waffen zurück. Dazu gehören auch biologische und chemische Substanzen. Bei biologischen und chemischen Waffen besteht allerdings ein „Ausbringproblem“. Deshalb werden diese Waffen eher für sog. „Indoor- Anwendungen“, wie Milzbrandbriefe, herangezogen. Experten sehen auch Ansätze für den Versuch, in Besitz von radiologischem Material zu kommen. Das Problem bislang ist die Herstellung, Lagerung und Anwendung radiologischen Materials. Dazu ist die Unterstützung durch Staaten, Sponsoren oder Lieferanten nötig. Das Risiko für die „Vermittler“ (Staaten, Sponsoren, Lieferanten) ist enorm hoch. Schließlich muss auch auf die Möglichkeiten des sog. „Cyberterrorismus“ hingewiesen werden, d. h. Anschläge auf Informationsstrukturen. Computerisierung macht den Staat verletzlicher (Laqueur: 2002). Obwohl Al Kaida bislang „traditionelle“ Waffen (Bomben, entführte Flugzeuge als Waffe…) eingesetzt hat, gehen Experten davon aus, dass neue Methoden erprobt werden . Massenvernichtungswaffen und Cyberterrorismus haben aus Sicht der Terroristen auch Vorteile hinsichtlich der medialen Aufmerksamkeit. (Hirschmann: 2002) 3.7. Mediale Inszenierung Die mediale Inszenierung terroristischer Aktionen sind im „alten“ Terrorismus in erster Linie im Kontext von Flugzeugentführungen und Kommando-Aktion wie Entführungen (vgl. Schleyer-Entführung) bekannt. - 13 - Heute stehen wir vor einer globalen Ausweitung medialer Multiplikatoren des Terrorismus : So war der 11. September keine Flugzeugentführung im Sinne des „alten“ Terrorismus , kein Erpressungsversuch, kein Gefangenenbefreiungsversuch, kein räuberischer oder kriegerischer Akt, sondern ein Krieg der Bilder. (Kraushaar: 2006) Hoch entwickelte Gesellschaften weisen eine hohe Mediendichte auf. deshalb sind solche Gesellschaften wesentlich anfälliger für diese Form des „neuen“ Terrorismus. Auch psychologisch sind hoch entwickelte Gesellschaften verwundbarer. Terroristische Anschläge sind nicht an „einen als interessiert unterstellten Dritten“ gerichtet, sondern zielen auf die Phantasie der Bedrohten oder die Sicherheitspräferenzen von Touristen. (Münkler: 2002) „Der neue Terror ist generell“ (Denninger: 2003), d. h., er zielt auch darauf ab, eine allgemeine Angst zu verbreiten. Terroristen betrachten ihre Aktionen als „Kommunikationsstrategie“ mit der Öffentlichkeit und entwickelten zunehmend eine ‚symbiotische Beziehung’ zu den internationalen Medien. (Hirschmann: 2002) 4. Literaturverzeichnis Frank, Hans, Hirschmann, Kai (Hrsg.) (2002). Die weltweite Gefahr. Terrorismus als internationale Herausforderung, Berlin: Berlin Verlag Arno Spitz GmbH. Dietl, Wilhelm, Hirschmann, Kai, Tophoven, Rolf (Hrsg.) (2006). Das Terrorismus- Lexikon. Täter, Opfer, Hintergründe, Frankfurt am Main: Eichborn Verlag. Münkler, Herfried (2002). Grammatik der Gewalt. Über den Strategiewechsel des Terrorismus . Frankfurter Allgemeine Zeitung. 16.10.2002. Laqueur, Walter (2002). Das neue Gesicht des Terrors, in: Vierteljahreshefte für Politik, 30. Jahrgang, Band 1, S. 3 – 11. Laqueur, Walter (2002). Postmodern Terrorism, in: Foreign Affairs, 75. Jahrgang, Band 5, S. 24 – 36. Laqueur, Walter (2002). Postmoderner Terrorismus. Neue Regeln für ein altes Spiel, in: Vierteljahreszeitschrift für Politik, 25. Jahrgang, Band 2, S. 113 – 122. Schneider, Peter (2007). Rächer wollen sie sein, in: Die Zeit, 11/2007. Tolmein, Oliver (2002). Vom deutschen Herbst zum 11. September. Hamburg: Konkret Literatur Verlag. Sageman, Marc (2004). Understanding Terror Networks. Philadelphia: University of Pennsylvania Press. Kraushaar, Wolfgang (Hrsg.) (2006). Die RAF und der linke Terrorismus. Hamburg: Hamburger Edition HIS Verlagsgesellschaft mbH. Waldmann, Peter (2002). Terrorismus als weltweites Phänomen: Eine Einführung, in: Frank, Hans, Hirschmann, Kai (Hrsg.) (2002). Die weltweite Gefahr. Terrorismus als internationale Herausforderung, Berlin: Berlin Verlag Arno Spitz GmbH, S. 11 – 26. Hirschmann, Kai (2002). Internationaler Terrorismus gestern und heute: Entwicklungen, Ausrichtungen, Ziele, in: Frank, Hans, Hirschmann, Kai (Hrsg.) (2002). Die weltweite Gefahr. Terrorismus als internationale Herausforderung, Berlin: Berlin Verlag Arno Spitz GmbH, S. 27 – 66. - 14 - Boelinger, Mathias (2006). Interview Deutsche Welle, 27. Juni 2006. Steinberg, Guido (2005). Der nahe und der ferne Feind –Die Netzwerke der islamischen Terrorismus, München: Verlag C.H. Beck. Denninger, Erhard (2003): Experten-Forum der Bundeszentrale für Politische Bildung, 14. Mai 2003 (http://www.bpb.de/popup/popup_druckversion.html?guid= AH2ZPB&page=0) 5. Anlagen Terrorismus – Begriffsbestimmung und aktuelle Definitionsansätze. Aktueller Begriff vom 12.11.2001, lfd. Nr. 29/2001. Tendenzielle Charakteristika von Terroristen(-gruppen). Aus: Frank, Hans, Hirschmann, Kai (Hrsg.) (2002). Die weltweite Gefahr. Terrorismus als internationale Herausforderung, Berlin: Berlin Verlag Arno Spitz GmbH, Abb. 2, S. 39 Durchführungsformen des Terrorismus. Aus: Frank, Hans, Hirschmann, Kai (Hrsg.) (2002). Die weltweite Gefahr. Terrorismus als internationale Herausforderung , Berlin: Berlin Verlag Arno Spitz GmbH, Abb. 3, S. 41.