Deutscher Bundestag Zur Frage der rechtlichen Definition und zum Gebrauch der Begriffe „deutsche Minderheit“ und „deutsche Volksgruppe“ unter besonderer Beachtung des nationalsozialistischen Deutschen Reichs und der Bundesrepublik Deutschland Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 1 – 3000-071/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-071/10 Seite 2 Zur Frage der rechtlichen Definition und zum Gebrauch der Begriffe „deutsche Minderheit“ und „deutsche Volksgruppe“ unter besonderer Beachtung des nationalsozialistischen Deutschen Reichs und der Bundesrepublik Deutschland Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 1 – 3000-071/10 Abschluss der Arbeit: 18. Mai 2010 Fachbereich: WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-071/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Minderheit – ein Definitionsversuch – 4 2.1. Völkerrechtliche Definition 6 2.2. Weitere Definitionsansätze 8 2.3. Problemfelder dieser Definitionsansätze und fehlenden Definition im völkerrechtlichen Regelwerk 10 3. Die deutsche Minderheit im heutigen Sprachgebrauch 11 4. Die deutsche Minderheit zu Zeiten des Nationalsozialismus 12 5. Die deutsche Volksgruppe zu Zeiten des Nationalsozialismus 13 6. Die deutsche Volksgruppe im heutigen Sprachgebrauch 14 7. Der Gebrauch der Bestimmungen im Vergleich 15 8. Die Entwicklung des Minderheitenverständnisses in Europa und seinen Institutionen 15 9. Literaturverzeichnis 16 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-071/10 Seite 4 1. Einleitung „Die Definition von Minderheiten stellt ein altes völkerrechtliches Problem dar, das mit einem weitgehenden Paradox gelöst wurde: einem Minderheitenschutz ohne eine abschließende Definition der Qualität der Minderheitenzugehörigkeit. Einerseits wurde der Minderheitenschutz nach der Gründung der Vereinten Nationen als im Menschenrechtsschutz inbegriffen verstanden. Andererseits hegten die völkerrechtlichen Subjekte, die Nationalstaaten, Bedenken gegenüber den Konsequenzen eines ausgebauten Minderheitenschutzes. Dies zeigt auch das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarats , das am 1. Februar 1998 in Kraft trat. Es ist der erste völkerrechtliche Vertrag, der sich vollumfänglich dem Minderheitenschutz widmet. (…)Das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarats, verfasst 1995, stellt sich in diesem Kontext als Kompromiss dar. Der Minderheitenschutz wird vorangetrieben, aber in der allgemeinen und nur wenig verbindlichen Form einer Rahmenkonvention. Auf die Festlegung kollektiver Rechte wird verzichtet , und eine abschließende Definition der nationalen Minderheiten, welche dass Rahmenübereinkommen schützt, wird nicht gegeben. (…)Die Festlegung, welche Gruppen auf ihrem Territorium als nationale Minderheiten gelten, wird den Vertragsstaaten dieses Rahmenübereinkommen überlassen“ (Angst 2005: 5). Schon dieses kurze Zitat aus einer wissenschaftlichen Arbeit neuesten Datums macht deutlich, welchen Schwierigkeiten jede Auseinandersetzung mit der Frage begegnen muss, was eine –in diesem Falle deutsche- Minderheit sei und auf welcher rechtlichen Basis sie definiert werden könne. Auch wenn deshalb davon auszugehen ist, dass im Folgenden wesentlich der Sprachgebrauch im Mittelpunkt stehen wird, soll doch zunächst auf die rechtliche Seite des Begriffs „Minderheit“ näher eingegangen werden. 2. Minderheit – ein Definitionsversuch – Gemäß Art 27. des Bürgerrechts-Paktgesetzes (IPBürRG) vom 9. Oktober 1968 darf in Staaten mit ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten solchen Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen. Durch die Unterzeichnung dieses Pakts hat sich die Bundesrepublik Deutschland dazu verpflichtet, in gesetzeskonformer Weise den in der BRD lebenden Minderheiten genannte Rechte einzuräumen. Zudem verpflichtete sich die Bundesrepublik im Kopenhagener Dokument über die menschliche Dimension der KSZE1, dessen Artikel 30-40 dem Minderheiten- 1 Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) Die KSZE wurde 1973 als Gesprächsforum ost- und westeuropäischer Staaten, Kanadas und der USA mit dem Ziel gegründet, gemeinsame Projekte in den Bereichen Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft, Umweltschutz und Abrüstung durchzuführen und zur Sicherheit und Durchsetzung der Menschenrechte in Europa beizutragen (Schlussakte von Helsinki, 1975). Die vielfältigen Kooperationen und Beziehungen trugen wesentlich zur Ver- Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-071/10 Seite 5 schutz gewidmet sind, zum Schutz von Minderheiten. Durch Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki am 1. August 1975 bekundeten die unterzeichnenden Staaten, dass sie Minderheiten auf ihrem Staatsgebiet Gleichbehandlung gewähren werden. In der Schlussakte heißt es unter anderem: „Die Teilnehmerstaaten, auf deren Territorium nationale Minderheiten bestehen, werden das Recht von Personen, die zu solchen Minderheiten gehören, auf Gleichheit vor dem Gesetzachten; sie werden ihnen jede Möglichkeit für den tatsächlichen Genuss der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewähren und werden auf diese Weise ihre berechtigten Interessen in diesem Bereich schützen.“ . Unter dem Topos „Nationale Minderheiten oder Regionalkulturen“ heißt es dort ebenfalls: „Die Teilnehmerstaaten, in Anerkennung des Beitrages, den die nationalen Minderheiten oder die regionalen Kulturen zur Zusammenarbeit zwischen ihnen in verschiedenen Bereichen der Bildung leisten können, beabsichtigen, wenn auf ihrem Territorium solche Minderheiten oder Kulturen existieren, diesen Beitrag unter Berücksichtigung der legitimen Interessen ihrer Mitglieder zu erleichtern.“ Da die Bundesrepublik Deutschland zu den Staaten zählt, die diese Schlussakte unterzeichnet haben, liegt die vertragliche Verpflichtung für den Schutz von Minderheiten vor. Einer Anwendung der genannten Regelungen zum Minderheitenschutz steht allerdings die Frage entgegen, welche Gruppe einer Bevölkerung als Minderheit einzuordnen ist. Die Beantwortung dieser Frage hängt ihrerseits davon ab, wie der Begriff Minderheit zu definieren ist. trauensbildung zwischen den politisch-ideologischen Blöcken bei und beendeten letztlich den Ost-West- Konflikt. Nach der politischen Wende in den Ost-West-Beziehungen erhielt die KSZE mit der Charta von Paris (1990) eigene Institutionen und in der Folge den Status einer internationalen Organisation (OSZE) mit Sitz in Wien. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-071/10 Seite 6 2.1. Völkerrechtliche Definition2 Obwohl das Völkerrecht noch keine verbindliche Definition von Minderheit kennt, sind die definitorischen Ansätze auf juristischer Ebene bis heute die am weitesten fortgeschrittenen. Im Völkerrecht spielen dabei soziale, sexuelle, berufliche oder altersbedingte Minderheiten sowie Behinderte zunächst keine Rolle (Gornig 2002: 37; vgl. auch Gessenharter;Fröchling 1991: 19). Der Begriff „Minderheit“ wird in keinem der Instrumente des völkerrechtlichen Minderheitenschutzes näher umschrieben, da in den verschiedenen Staaten sehr unterschiedliche Vorstellungen hierüber bestehen. Trotz intensiver Bemühungen in der Vergangenheit hat sich eine allgemein akzeptierte Definition bislang nicht durchsetzen können. Die mit Minderheitenfragen befassten Gremien haben sich daher zu einem praktischen Vorgehen entschlossen und minderheitenschützende Instrumente ausgearbeitet, ohne die Definitionsfrage gelöst zu haben. In der Anwendung der minderheitenschützenden Bestimmungen dienen Definitionsvorschläge als Orientierungspunkte und Kriterienkatalog, nach denen in etwa beurteilt werden kann, wann eine „Minderheitensituation “ vorliegt 3. Die am weitesten verbreitete Definition geht auf den ehemaligen Sonderberichtserstatter der UN Sub - Commission on the Prevention of Discrimination and the Protection of Minorities (Sub-Kommission), Francesco Capotorti, zurück: „A (minority is a) group numerically inferior to the rest of the population of a State, in nondominant position, whose members – being nationals of the State – possess ethnic, religious or linguistic characteristics differing from those of the rest of the population and show, if only implicitly , a sense of solidarity, directed towards preserving their culture, traditions, religion or language “ (Capotorti 1991: § 568; vgl. auch Ermacora 1988: 39-48)4. Diese Definition stützt sich auf die Rechtsprechung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs, Entwürfe der Sub-Kommission, Vorschläge zahlreicher Regierungen und Diskussionen in der VN-Menschenrechtskommission (Capotorti 1991: §§ 20-58). Die von Capotorti aufgenommene Trennung in objektive und subjektive Merkmale ist im Rechtssinne inzwischen für die herrschende Meinung von Bestand (Brockhaus, Online-Ausgabe: Minderheit). Von ihr ausgehend entwickelt jüngst auch Gilbert Gornig seine Begriffsbestimmung mit ausdrücklichem Bezug auf 2 Die im Folgenden dargestellten Definitionsansätze sind Teil eines Infobriefs, der von folgenden Personen erstellt wurde: Neumann; Pfeiffer; Troche; Ziebart. 3 Bericht Eide, Asboern, Protection of Minorities, Possible ways of facilitating the peaceful and constructive solution of problems involving minorities, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1999/34, 21ff.. In deutscher Übersetzung (Pallek, Minderheitenschutz, S. 172) ist die Minderheit nach Capotorti „... eine der übrigen Bevölkerung eines Staates zahlenmäßig unterlegene Gruppe, die keine beherrschende Stellung einnimmt , deren Angehörige – Bür-ger dieses Staates – in ethnischer, religiöser oder sprachlicher Hinsicht Merkmale aufweisen, die sie von der übrigen Bevölkerung unterscheiden, und die zumindest implizit ein Gefühl der Solidarität bezeigen, das auf die Bewahrung der eigenen Kultur, der eigenen Traditionen, der eigenen Religion oder der eigenen Sprache gerichtet ist“. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-071/10 Seite 7 Capotorti. Er unterteilt in folgende objektive und subjektive Eigenschaften einer Minderheit, die kumulativ als Kriterien vorliegen müssen: (vgl. für das Folgende Gornig 2002: 34ff.) • Objektive Unterscheidungsmerkmale - individuelle objektive Merkmale (zumindest ein entscheidender Aspekt der Unterscheidung gegenüber der Mehrheit, z.B. durch Religion, Sprache oder Ethnie5); - numerische Inferiorität (Relation der Minderheit zur gesamten restlichen Bevölkerung – also nicht zu anderen Minderheiten); - machtmäßige Unterlegenheit (Gruppe darf keine dominierende Stellung einnehmen, wie z.B. die weiße Bevölkerung in Südafrika); - Staatsangehörigkeit des Wohnsitzstaates (Differenzierung zwischen Minderheiten und Fremden, z.B. Arbeitsimmigranten); - Stabilität (Kriterium soll verhindern, dass eine sich nur vorübergehend im Lande aufhaltende Volksgruppe mit Hilfe des Völkerrechts den Status als Minderheit beanspruchen kann und damit zu Lasten der Rechte autochtoner Gruppen wirkt); - Rückführung der Entstehung der Minderheit auf einen territorialbezogenen Akt des Völkerrechts (z.B. auf die Staatsgründung eines Mehrheitsvolkes unter Einbeziehung des Siedlungsgebietes von Minderheiten oder auf Grenzverschiebungen durch Zessionen, Sezessionen , Annexion oder Fusion sowie schließlich auf Zwangsumsiedlungen, Flucht und Vertreibung ). • Subjektive Unterscheidungsmerkmale - Zugehörigkeitsgefühl (persönliches Bekenntnis des Einzelnen zur Zugehörigkeit zu einer Minderheit); 5 Unter dem ethnischen Unterscheidungsmerkmal subsumiert Gornig Abstammung, Kultur, Geschichte, Kastenoder Stammeszugehörigkeit, aber auch Rasse. Ebenso versteht Gornig die „nationale Minderheit“ als Synonym für „ethnische Minderheit“, selbst wenn sich die „nationale Minderheit“ auf eine Gruppe bezieht, die in einem anderen Staat das Staatsvolk stellt. Auch in diesem Fall erkennt Gornig darin nur eine Untergruppe zur religiösen, sprachlichen und ethnischen Minderheiten. Vgl. Gornig, De-finition, S. 36 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-071/10 Seite 8 - Solidaritätsgefühl (Wille der Minderheit zur Traditionspflege und zur Bewahrung, zum Schutz und zur Förderung der Identität). 2.2. Weitere Definitionsansätze Die Sozialwissenschaften verfolgen bei der Bestimmung von Minderheiten weniger einen analytischen , als vielmehr einen deskriptiven Ansatz. Demnach zeichnen sich Minderheiten dadurch aus, dass sie Objekt von Vorurteilen, Stigmatisierung, negativen Projektionen, diskriminierenden Verhaltensweisen und Aggressionen durch die „Mehrheit“ sind. Gemeinsam ist Minderheiten weiterhin, dass sie sich gegenüber der Mehrheit durch abweichende Normen, Verhaltensweisen oder Identitäten auszeichnen: „dass sie eben ‚anders‘ sind“ (Heckmann 1978: 775). Auch die zahlenmäßige Unterlegenheit wird immer wieder als charakteristisches Merkmal für Minderheiten genannt (vgl. Gessenharter/Fröchling 1991: 19f.). Die Verwendung des Minderheitenbegriffs geht jedoch so weit, dass Autoren wie Thomas Pogge unter Minderheiten auch Gruppen subsumieren, die sich selbst explizit nicht als Minderheiten verstanden wissen wollen und somit − blickt man zurück auf völkerrechtliche Definitionsansätze − das Merkmal der Zugehörigkeit und Identität nicht besitzen (Pogge 2001: 188). Im Blickpunkt sozialwissenschaftlicher Ansätze stehen Untersuchungen über soziale Vorurteile gegenüber Minderheiten, über den Gebrauch und die Genese von Stereotypen − also generell über das Verhältnis von Mehrheit und Minderheit. Minderheiten erscheinen dabei als Objekte von Einstellungen und Handlungen der Mehrheit, aus denen sich die Lage der Minderheiten ableitet (Heidtmann-Frohme 1984: 389; Brockhaus 1971: 580). Erforscht wurden die individuellen und gesellschaftlichen Voraussetzungen von Ausgrenzung und Benachteiligung − und dies vor allem unter dem Aspekt ihrer Veränderbarkeit (Brockhaus, Online -Ausgabe: Minderheit). Der Soziologe Friedrich Heckmann unternahm Anfang der 80er Jahre den Versuch, am Beispiel der ethnischen Minderheiten zu einer stärkeren Differenzierung des Minderheiten- Begriffes zu gelangen. Zwar stellte er den allgemeinen, deskriptiven Minderheiten-Begriff nicht in Frage, doch hält er diesen für eine detailliertere Analyse z.B. der Sozialstruktur von Minderheiten für kaum verwendbar. Heckmann entwickelte deshalb eine historisch-genetische Typologie von ethnischen Minderheiten, die den Entstehungsprozess von Minderheiten zum entscheidenden Kriterium macht und daraus Rückschlüsse auf die Lage und politische Orientierung von Minderheiten zieht. Nach diesem Modell unterteilen sich ethnische Minderheiten in sechs Unterkategorien: 1. die nationalen Minderheiten; 2. die regionalen Minderheiten; 3. die Einwandererminderheiten; 4. die Arbeiterimmigranten; 5. die Minderheitenvölker; und 6. die neuen nationalen Minderheiten. Die Minderheitenforschung zählt zur Zeit fünf unterschiedliche Ansätze: 1. anthropologische, gruppensoziologisch orientierte Untersuchungen, in denen das Mehrheit- Minderheits-Verhältnis als der menschlichen Natur verbundenes, nicht eliminierbares Organisa- Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-071/10 Seite 9 tionsmuster vorausgesetzt wird und deshalb nur Gestaltungs-, nicht aber grundsätzliche Änderungsmöglichkeiten aufweist; 2. „sozial-pathologische“ Ansätze, die soziale Gegebenheiten und sozialpsychologische Handlungsmuster als Voraussetzung für die Herausbildung von Minderheiten untersuchen und als zu verändernde, soziale Pathologien beschreiben; 3. Ansätze, die die Konfrontation der Mehrheit mit Minderheiten als Mittel des Machterhalts handelnder Personen und die Abgrenzung als Ziel der gesellschaftlichen Mehrheit begreifen; 4. und damit eng verbunden ein Ansatz, der das Konkurrenzverhalten von Mehrheiten und Minderheiten im Ringen um Macht und Einfluss zum Untersuchungsgegenstand macht; 5. schließlich Ansätze, die die Minderheiten und deren Lebenssituationen ins Zentrum rücken und sich vor allem für die „soziale Konstruktion“ interessieren, die sich Minderheiten zur eigenen Positionierung in bestimmten gesellschaftlichen Lagen geben (Heckmann 1978: 774). Wie dargestellt ergibt sich bei der Beantwortung der Frage, was eine Minderheit ist, das grundlegende Problem, dass es eine allgemeingültige Definition des Begriffs Minderheit nicht gibt. Eine solche allgemeine Definition lässt sich nämlich allgemeingültig weder aus völkerrechtlichen Instrumenten des Minderheitenschutzes, noch aus dem Bürgerrechtspaktsgesetz, noch aus dem EU- Vertrag herleiten. Auch die sozialwissenschaftlichen Ansätze vermögen es nicht, eine allgemeingültige Definition zu geben. Üblicherweise wird versucht, Minderheiten anhand einer bestimmten Anzahl von Menschen zu definieren, die aufgrund ihrer Position in der Gesamtgesellschaft, eigenständiger ethnischer , religiöser und sprachlicher Merkmale, dem inneren Zusammengehörigkeitsgefühl und der äußeren Stabilität der Gruppe eine eigenständige Einheit bilden (Nomos, Erläuterungen zum Deutschen Bundesrecht: Art. 27 IPBürgRG). Ferner wird im europäischen Umfeld als Minderheit meist eine Gemeinschaft oder Gruppe verstanden, die schon mehrere Generationen manifest, also alt eingesessen ist, sich aber trotzdem durch die genannten Merkmale von der Mehrheitsbevölkerung unterscheidet (Dokumentation Ostmitteleuropa 1994: 121). Unbestritten ist auch, dass neben den genannten Kriterien, die zur Unterscheidung dienen, eine Minderheit auch eine Gemeinsamkeit mit der Mehrheitsbevölkerung, nämlich die Staatbürgerschaft (Art. 116 Abs. 1 GG6), aufweist. Offiziell als Minderheiten anerkannt werden in Deutschland die 6 Art. 116 GG: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-071/10 Seite 10 Dänen in Südschleswig, die Sorben in den östlichen Gebieten von Sachsen und Brandenburg (in diesen Gebieten ist in Abweichung zu § 184 des Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) neben der deutschen auch die sorbische Sprache Gerichtssprache) und deutsche Sinti und Roma anerkannt. Hierdurch werden ihnen die in Art. 27 IPBürgRG genannten Rechte, insbesondere die Anerkennung der Sprache als offizielle Zweitsprache zuteil. Die deutschen Staatsangehörigen polnischer Abstammung werden in Deutschland nicht als offizielle Minderheit geführt und genießen insoweit auch nicht die Rechte einer Minderheit. Trotz dieser Schwierigkeiten haben sich bestimmte Kriterien herausgebildet, die eine Einordnung als Minderheit ermöglichen sollen. 2.3. Problemfelder dieser Definitionsansätze und fehlenden Definition im völkerrechtlichen Regelwerk Grundsätzlich ist es ohne klare Minderheitendefinition schwierig, im Einzelfall konkrete Entscheidungen zu treffen. Dann nämlich ist zu fragen, wer als Rechtssubjekt der behaupteten bzw. bestehenden Rechte gelten soll. Überdies eröffnet das Fehlen einer Definition einzelnen Staaten die Möglichkeit, die Existenz von Minderheiten in ihrem Hoheitsgebiet zu leugnen, um sich ihrer rechtlichen Bedingungen zu entziehen (vgl. Krugmann 2004: 61). Als Rechtsträger gelten die Angehörigen einer nationalen Minderheit. Aspekte der Gruppenrechte finden allerdings auch Anklang, da die Rechte allein oder in Gemeinschaft mit anderen wahrgenommen werden können. Ein weiteres Problem ist, dass das Rahmenübereinkommen jederzeit kündbar ist und die Vertragsstaaten die Hoheitsgebiete, auf die das Übereinkommen Anwendung findet, jederzeit erweitern oder auch zurücknehmen können. Die BRD hat also die Schlussakte unterzeichnet, bleibt aber in ihren Entscheidungen frei, da es keine Definition von Minderheit gibt und sie selbst bestimmen kann, welche Gruppen als Min- (1) Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat. (2) Frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge sind auf Antrag wieder einzubürgern. Sie gelten als nicht ausgebürgert, sofern sie nach dem 8. Mai 1945 ihren Wohnsitz in Deutschland genommen haben und nicht einen entgegengesetzten Willen zum Ausdruck gebracht haben. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-071/10 Seite 11 derheit behandelt werden. Dies kann sie jederzeit ändern oder sogar die Benennung als Minderheit wieder zurücknehmen. Es besteht nur die Verpflichtung, nach Treu und Glauben zu handeln. Die Schwierigkeit einer Definition zeigt sich schon in dem Anspruch auf territoriale Integrität der Nationalstaaten gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, welches sich wiederum unterscheidet von den Ansprüchen von Minderheiten auf eventuelle Autonomie oder weitläufige Selbstverwaltung innerhalb des Nationalstaats (vgl. Henrad 2001: 41-61). Das Selbstbestimmungsrecht verbindet sich für viele Nationalstaaten stets mit der Gefahr der Sezession, also einer Abspaltung vom bewohnten Staat. Die Definition von Capotorti wirft die Frage auf, ob sich die zahlenmäßige und politische Unterlegenheit auf das gesamte Staatsgebiet beziehen muss oder sich auch nur auf Regionen beziehungsweise Provinzen beziehen kann. Ein weiteres Problem ist die Dauer der Staatsangehörigkeit, so zum Beispiel ab wann Zugewanderte als Minderheit gelten. Bei Zugewanderten wird von Teilen der Literatur sogar der Anspruch auf rechtlichen Schutz als Minderheit angezweifelt, da diese ihren Minderheitenstatus selbst herbeigeführt haben im Gegensatz zu denen, die einer veränderten Grenzziehung zum Opfer fielen. 3. Die deutsche Minderheit im heutigen Sprachgebrauch Der Begriff „deutsche Minderheit“ bezeichnet Deutsche, die nicht in der Bundesrepublik Deutschland leben und auch nicht deutsche Staatsangehörige sind, sondern die Staatsangehörigkeit der Staaten, in denen sie leben, angenommen haben. Meist leben sie aufgrund verschobener Grenzen nicht mehr in Deutschland, sondern in einem anderen Staat. Zumeist zeichnen sie sich dadurch aus, dass sie die deutsche Sprache und Kultur pflegen und zu bewahren versuchen. Mit dem Begriff wird auch die Ausübung gewisser Rechte verbunden, die zum Erhalt der Eigenart dienen, wie der minderheitseigene Sprachunterricht an der Schule. Deutsche Minderheiten in diesem Sinne sind heutzutage beispielsweise die Nordschleswiger in Dänemark, die Karpatendeutschen in der Slowakischen Republik, die Polendeutschen in Oberschlesien , Ermland und Masuren, die Rumäniendeutschen vor allem in Siebenbürgen und die Deutschen im Elsass und Südtirol. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-071/10 Seite 12 Eine deutsche Minderheit, die sich einen eigenen Namen erworben hat, sind die sogenannten Russlanddeutschen. Dies bezeichnet ethnisch deutsche bzw. deutschstämmige Minderheiten in Russland, die heute größtenteils in Deutschland leben. Umfasst werden auch Minderheiten aus den übrigen ehemaligen Sowjetrepubliken. Es handelt sich damit um eine nationale Minderheit, da ein Mutterland mit staatstragender Mehrheit vorhanden ist (vgl. Ermacora 1988: 13). Dies unterscheidet sie von ethnischen Minderheiten , bei denen dies nicht der Fall ist (Pan; Pfeil 2006: 4). Heckmann beschreibt solche nationalen Minderheiten als sozialstrukturell heterogene Bevölkerungsgruppen , die in Folge der Konstitution des bürgerlichen Nationalstaats aufgrund historischer Siedlungsstrukturen oder Veränderungen des Staatsgebiets als Resultat von Vereinbarungen oder Konflikten zwischen Nationalstaaten innerhalb eines in Bezug auf ihre nationale Identität , Kultur und Geschichte fremden Staatsgebiets leben (Heckmann 1978: 765). Oft sind sie eines Teils ihrer bürgerlichen Rechte beraubt oder in der Ausübung von Rechten behindert. 4. Die deutsche Minderheit zu Zeiten des Nationalsozialismus Im Nationalsozialismus wurde die Minderheit nicht quantitativ bestimmt, sondern qualitativ in dem Sinne, dass jedem Volk bestimmte einmalige Eigenschaften beigemessen wurden, mit denen zugleich eine Stellung innerhalb eines fiktiven Rangsystems verbunden war. Da die deutsche Rasse und damit das deutsche Volk als höchstwertige Rasse galt, waren die deutschen Minderheiten in den anderen Staaten zu schützen und ins Reich einzugliedern bzw. ihre Umsiedlung ins Deutsche Reich zu verfolgen (vgl. Pan 1999: 76). Die deutschen Minderheiten empfanden die Bezeichnung „Minderheit“ damals mehrheitlich als abwertend; vermutlich da dies ihre Unterlegenheit gegenüber der Mehrheit im jeweiligen Staat ausdrückte (von Rimscha 1956: 33). Hitler benutzte den Begriff Minderheit dennoch in seiner ersten außenpolitischen Rede vom 23. März 1933 für die Auslandsdeutschen7, mutmaßlich, weil er die „Auslandsdeutschen“ nicht als Gruppe mit eigenen Rechten betrachtete, sondern als ein mit staatlicher Macht ausgestattetes Werkzeug seiner Interessen (vgl. von Rimscha 1956: 33ff.). Zu dieser Zeit wurden jedoch primär die Begriffe „Volksgemeinschaft“ und „Volksdeutsche“ und „Volksgruppenkonzept“ als typische Begriffe aus der Zeit des Nationalsozialismus verwendet. „Deutsche Minderheit“ ist kein typischer Begriff des Nationalsozialismus. 7 Auslandsdeutsche sind ein Synonym für deutsche Volksgruppen außerhalb des Deutschen Reiches. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-071/10 Seite 13 5. Die deutsche Volksgruppe zu Zeiten des Nationalsozialismus Größere deutsche Volksgruppen, die seit Jahrhunderten mit ihrem Heimatboden verwachsen sind, leben als Minderheiten in den Staaten Dänemark, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechoslowakei , Ungarn, Rumänien, Südslawien, Sowjetunion, Italien, Belgien, Frankreich. Sie haben im Ausland, soweit sie nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, in ihren Ländern eigenständige Volksorganisationen. Im „Verband der deutschen Volksgruppen in Europa“ haben sich 1924 die meisten deutschen Volksgruppen zum gemeinsamem Kampf um ihre Volkstumsrechte zusammengeschlossen. Weltanschaulich richtet sich der Kampf der europäischen Nationalitätenbewegung gegen den liberalistischen Nationalstaatsgedanken und die mit ihm verbundene Idee der Assimilation der Minderheiten, die als „Einschmelzung“ verstanden wurde (Der Neue Brockhaus 1938: S. 251). Der Nationalsozialismus betrachtet die Volksgruppen als „Blutsgemeinschaft“ mit völkischer Eigenart (Klauss 1937: 52) im Sinne einer überstaatlichen Gemeinschaft/ eines Teils einer größeren Volksgemeinschaft angesehen. Er vertritt die Volksgebundenheit als höchsten sittlichen Wert, fordert Achtung vor fremdem Volkstum und lehnt die Assimilation ab. Stattdessen sollen die deutschen Volksgruppen „heim ins Reich“ kommen, keinesfalls sollten die Deutschen sich einer anderen Nation unterordnen. Die Zugehörigkeit zur Volksgruppe ist nach nationalsozialistischer Auffassung allein geprägt durch objektive Merkmale, nämlich der Rassenzugehörigkeit. Der Abstammung wird damit Vorrang vor der Staatsangehörigkeit eingeräumt und diese Einordnung ist nach NS-Ideologie verbindlich , da sie von keinen subjektiven Merkmalen abhängt. Die Volksgruppen wurden in zwei große Klassen eingeteilt. Es gab artverwandte und artfremde Volksgruppen. Artverwandte waren solche, die eine ähnliche rassische Zusammensetzung wie das deutsche Volk aufwiesen, also alle germanischen bzw. im weiteren Sinne arischen Volksgruppen (vgl. Salzborn 2005: 76). Artfremd waren die, die weder blutsverwandt noch Teile der europäischen Gemeinschaft waren, vor allem Juden und Zigeuner. Artfremde stellten somit keine Glieder, sondern Fremdkörper der europäischen Völker dar. Für sie galt das Artfremdenrecht, nicht das Volksgruppenrecht (vgl. Klauss 1937: 55). Wer von Deutschen abstammte, wurde in ein Wertesystem eingestuft. Es gab deutsche, „eindeutschungsfähige “ und „rückdeutschungsfähige“ Personen, welche wiederum als deutsche Staatsangehörige , „Staatsangehörige auf Widerruf“ und „Schutzangehörige“ klassifiziert wurden (vgl. Jaguttis; Oeter 2006: 236). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-071/10 Seite 14 Auf diese Weise sollten die deutschen Volksgruppen sowohl gegeneinander ausgespielt als auch der staatlichen Souveränität zu entzogen werden, um mit ihrer Hilfe die betroffenen Gebiete leichter als Lebensraum erschließen zu können. Nach außen wurde die Autonomie der deutschen Volksgruppen gefordert, während es innenpolitisch um die Vereinigung mit Deutschland ging (Smelser 1980: 198). Diese sah keine eigenen Rechte der Volksgruppen vor, sondern sollte zu einem Verlust der Selbstbestimmung, ihres Eigenwertes und letztlich ihrer Existenz führen (Lemberg 1952: 339). Die Volksgruppen wurden zur Volksgemeinschaft gezählt, in deren Reihen nur noch zwischen Artfremden und Artverwandten unterschieden wurde (Günther 1933: 9ff.; Menghin 1934: 32ff). 6. Die deutsche Volksgruppe im heutigen Sprachgebrauch Volksgruppe und Minderheit werden oft als Synonyme verwendet. Wenn man sie voneinander abgrenzen will, gibt es verschiedene Kriterien. Einige fordern einen besonderen territorialen Bezug und andere die Tendenz der Volksgruppe, eine staatliche Existenz zu begründen (Pernthaler 1980:10). Wieder andere verstehen die Volksgruppe als besonderes Gruppengefüge, in dem eine Minderheit lebt (Blumenwitz 1992: 31). Zum Teil wird der Begriff Volksgruppe schlicht dem politischen Bereich zugeordnet (vgl. Kudlich 1977: 80). Grundsätzlich sind zwei Elemente für die Bestimmung eines Volkes bzw. einer Volksgruppe wesentlich : In subjektiver Hinsicht gehören dazu das Bewusstsein sowie der Wille, zu der Volksgruppe zu gehören. In objektiver Hinsicht ist die Bestimmbarkeit der Volksgruppenzugehörigkeit an objektive Kriterien angeknüpft, wie z.B. Abstammung im Sinne sozialer und historischer Herkunft , Sprache und Kultur. Diese Theorien werden entweder einzeln oder als gemischte Theorie vertreten, nach der es auf beide Elemente ankommt (vgl. du Buy (1977: 34ff.). Die Kultur umfasst dabei Sitten, Gebräuche und Traditionen, Religion, Gefühlswelt, Siedlungsund Wirtschaftsweise. Diese Kriterien werden in der Volksgruppentheorie unter dem Terminus „Volkstum“, eine aufgrund der historischen Entwicklung gemeinsame kulturelle Substanz eines Volkes, zusammengefasst. Bereits vor den Zeiten des Nationalsozialismus existierte das Bedürfnis besonderer Rechte zum Erhalt von Volksgruppen. Diese besonderen Rechte beziehen sich auf den Gebrauch der eigenen Sprache, das Recht auf Schule - unter Berücksichtigung der volksgruppeneigenen Besonderheiten , wie die Geschichte, Kultur und Sprache der jeweiligen Volksgruppe -, das Recht auf ungehinderte Kontakte und der Austausch von Informationen –grenzüberschreitend, um die gemeinsame Eigenart der Gruppe im Austausch mit den Menschen des Heimatstaates zu erhalten und zu fördern-, das Recht auf eigene Organisationen und politische Vertretung sowie Autonomierechte. Während des Nationalsozialismus wurden diese Rechte dann in der Weise gefördert, wie es einer Instrumentalisierung für die nationalsozialistischen Ziele dienlich war. Diese Rechte spiegeln sich in den Definitionsansätzen wieder. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-071/10 Seite 15 7. Der Gebrauch der Bestimmungen im Vergleich Es fällt auf, dass zu Zeiten des Nationalsozialismus dem Wort Volksgruppe der Vorzug gegeben wurde, während heute der Begriff Minderheit geläufiger ist. Dies folgt aus der zugrundeliegenden Vorstellung von menschlichen Rassen zur NS-Zeit und der darauf basierenden Vorstellung von der Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe. Diese wird heutzutage anhand objektiver und subjektiver Kriterien getroffen, so dass sie sich auch ändern kann. Die Abstammung und Zugehörigkeit zu einer Rasse steht nach nationalsozialistischer Vorstellung von Geburt an fest. Die Vorstellung von Minderheiten passte nicht zu dem Bild des Nationalsozialismus, in dem die deutsche Rasse als Herrscherrasse galt. Diese konnte und durfte keine Minderheit sein. Heute wird zugleich nicht scharf zwischen den einzelnen Begriffen getrennt. Die Begriffe „nationale Minderheit“, „ethnische Minderheit“ und „Minderheit“ werden synonym verwendet. Die Zielsetzung des Nationalsozialismus war die Eingliederung ins Deutsche Reich und Ausnutzung der deutschen Volksgruppen, um die übrige Bevölkerung des jeweiligen Staates zu unterwerfen . In der heutigen Zeit werden Volksgruppen als schützenswert angesehen. Sie sollen autonom handeln können und weder eingegliedert noch angeglichen werden sollen. Die Unterstützung soll helfen, die spezifische Eigenart und Kultur zu bewahren. 8. Die Entwicklung des Minderheitenverständnisses in Europa und seinen Institutionen Anfangs nahm man an, der Diskriminierungsschutz der Menschenrechtskonvention genüge vollumfänglich dem Minderheitenschutz, da seit der Deklaration der Menschenrechte Minderheitenrechte als im individuellen Menschenrechtsschutz enthalten verstanden wurden. Durch die Unterdrückung und Verfolgung von Minderheiten in Europa wurde offensichtlich, dass dies nicht genügte. Bevor das Rahmeinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten in Kraft treten konnte, gab es vielfältige Entwürfe und Bemühungen, die Minderheiten und ihre Rechte zu schützen. 1957 verabschiedete die parlamentarische Versammlung erstmalig eine Resolution in dieser Richtung. Die Resolution „Position of national minorities in Europe“ definierte aber weder die Minderheiten selbst noch die ihnen zustehenden Rechte. Im Abschlussdokument der KSZE-Konferenz in Kopenhagen vom 29.Juni 1990 erkannten die Teilnehmerstaaten den Zusammenhang zwischen Minderheitenschutz und Rechtsstaatlichkeit an und stellten fest, dass die Rechte von Angehörigen nationaler Minderheiten Teil des internationalen Minderheitenschutzes seien. In einer Liste wurden deren Rechte festgelegt, wie der Schutz vor Diskriminierung, das Recht auf Gleichbehandlung, auf den Gebrauch der Muttersprache und Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-071/10 Seite 16 die Ausübung ihrer jeweiligen Religion, das Recht auf Bildungs- und Kultureinrichtungen sowie Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Die Diskussion um Minderheitenrechte lief in der Folge auf zwei unterschiedliche Ansätze hinaus . Zum einen wurde ein Zusatzprotokoll zur ERK bezüglich des Minderheitenschutzes gefordert und zum anderen eine eigenständige Minderheitenkonvention. Es gab verschiedene Entwürfe, in deren Verlauf sich die Idee eines Rahmenübereinkommens durchsetzte. Dies hatte den Vorteil, dass auch Nichtmitglieder des Europarats der Konvention beitreten konnten. Mit der Erklärung des Wiener Gipfeltreffens des Europarats vom 9. Oktober 1993 wurden erste konkrete Schritte unternommen. Es wurden der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten. die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz ECRI sowie der Kongress der Gemeinden und Regionen Europas KGRI ins Leben gerufen. Das Rahmenübereinkommen trat schließlich am 1. Februar 1998 in Kraft. 35 der 48 Mitgliedstaaten des Europarats sind Vertragsstaaten geworden. andere Staaten haben das Rahmenübereinkommen unterschrieben, aber nicht ratifiziert und wieder andere, zumeist solche mit einer skeptischen Betrachtungsweise der Minderheitenfrage haben es nicht einmal unterschrieben. Das Rahmenübereinkommen enthält Ziele, zu deren Verfolgung sich die betroffenen Staaten verpflichten . Da die Zielbestimmungen nicht direkt anwendbar sind, besteht bei der Umsetzung ein Ermessensspielraum. Es wird in der Fachliteratur unter anderem kritisiert, dass es aufgrund der fehlenden Definition von Minderheit keine gerichtliche Überwachung und kein Individualbeschwerdeverfahren geben könne. Die Staaten könnten sich den Anforderungen entziehen, indem sie erklärten, in ihrem Staatsgebiet gebe es keine Minderheiten, auf die sich das Übereinkommen beziehe. Andererseits werden die Staaten verpflichtet, nach Treu und Glauben zu handeln, was ein Gegengewicht zur freien Bestimmung von Minderheiten bilden soll. 9. Literaturverzeichnis Die polnische Minderheit in Deutschland vor dem Hintergrund der anderen Bevölkerungsgruppen . In Dokumentation Ostmitteleuropa Heft 1/2. 1994. Angst, Doris (2005). Welche Minderheiten? Von der fehlenden Definition der nationalen Minderheiten zu einer dynamischen Auslegung im Rahmenübereinkommen des Europarats. Bern: http://www.humanrights.ch/home/upload/pdf/051004_angst_minderheiten_def.pdf. 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