Gabriel Riesser Anwalt der Juden und liberaler Vorkämp-fer für ein freies und geeintes Deutschland - Ausarbeitung - © 2006 Deutscher Bundestag WF XI G - 070/06 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Gabriel Riess Anwalt der Juden und liberaler Vorkämp-fer für ein freies und geeintes Deutschland Ausarbeitung WF XI G - 070/06 Abschluss der Arbeit: 31.03.2006 Fachbereich XI: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Telefon: Hinweise auf interne oder externe Unterstützung bei der Recherche bzw. Abfassung des Textes Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - Die historische Zäsur der nationalsozialistischen Barbarei scheint uns bisweilen auch heute noch den Blick für die Tatsache zu verstellen, dass jüdische Deutsche vor 1933 – latentem wie offenem Antisemitismus zum Trotz – ganz selbstverständlich zur deutschen Gesellschaft gehörten und auch Führungspositionen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft der Weimarer Republik bekleideten. So war der Anteil der Abgeordneten jüdischen Glaubens bzw. jüdischer Herkunft mit rund drei Prozent an den 1795 Weimarer Reichstagsabgeordneten dreimal so hoch wie der jüdische Bevölkerungsanteil insgesamt . Dass es zum Erreichen dieser fragilen Normalität jüdischer Partizipation eines langen, von Niederlagen und Rückschlägen gesäumten Weges und des beherzten Einsatzes mutiger Menschen für Gleichberechtigung und Freiheit bedurfte, belegt der Lebenslauf des liberalen jüdischen Politikers, Juristen und Publizisten Gabriel Riesser, dessen Geburtstag sich am 2. April zum zweihundertsten Mal jährt. Aufgewachsen in einer angesehenen jüdischen Familie in Hamburg, studierte Riesser Jura in Kiel und in Heidelberg, wo er 1826 promovierte. Sein Plan, sich als Privatdozent der Rechtswissenschaft in Heidelberg bzw. in Jena zu habilitieren, scheiterte trotz seiner allseits anerkannten hohen Befähigung an den damals noch vielerorts für Juden geltenden Zulassungsbeschränkungen zum Staatsdienst. Die Erfahrungen von Ausgrenzung und Diskriminierung, die Riesser immer wieder machen musste und mit denen er sich kurze Zeit später bei seinen vergeblichen Versuchen, sich in seiner Vaterstadt Hamburg als Anwalt niederzulassen, erneut konfrontiert sah, haben Riessers weiteren beruflichen und politischen Werdegang entscheidend geprägt: Fortan galt sein gesamtes Streben der sozialen und politischen Gleichberechtigung der jüdischen Bevölkerungsminderheit. Vom juristischen Beruf ausgeschlossen, entfaltete Riesser zunächst eine rege publizistische Tätigkeit, in deren Zentrum die Auseinandersetzung mit der Rolle der jüdischen Minderheit in Deutschland stand. Bereits in seiner ersten, 1830 erschienen Schrift „Über die Stellung der Bekenner mosaischen Glaubens in Deutschland, an die Deutschen aller Konfessionen“ tat er ebenso wie in der 1834 verfassten Denkschrift an die Hamburger Bürgerschaft seine Forderung nach einer Emanzipation der Juden einer breiten Öffentlichkeit kund. Auch die von ihm 1832 gegründete und mehrere Jahre geleitete Zeitschrift „Der Jude. Periodische Blätter für Religion und Gewissensfreiheit“ diente diesem Zweck. Getreu seiner Überzeugung, dass die Frage der Judenemanzipation aufs Engste mit der Durchsetzung bürgerlicher Freiheits- und Gleichheitsrechte im Allgemeinen verbunden sei, betätigte sich Riesser als politischer und juristischer Redakteur auch für nicht kon- - 4 - fessionell gebundene Zeitungen wie das „Hamburger Abendblatt“, die „Hamburger Nachrichten“ oder die „Kritischen Blättern der Börsenhalle“. Auch sozial und politisch wirkte er auf verschiedenste Weise. So war er nicht nur Sekretär der deutsch-jüdischen Gemeinde, sondern wirkte auch im Verein gegen das Branntweintrinken, im Komitee zur Vorberatung über eine in Hamburg zu gründende Universität oder im Deutschen Club in Hamburg mit. Es konnte nicht überraschen, dass der weit über die Grenzen Hamburgs hinaus bekannte , seit 1840 als Notar tätige liberale jüdische Politiker im Revolutionsjahr 1848 ins Vorparlament nach Frankfurt am Main berufen und von den Wählern des Herzogtums Lauenburg als Abgeordneter der Deutschen Nationalversammlung gewählt wurde .Zweifellos stellt die Arbeit im Paulskirchenparlament den Höhepunkt des politischen Wirkens Riessers dar. Dank seiner fachlichen Kompetenz und enormen Tatkraft gewann der als ausgewiesener Liberaler dem linken Zentrum angehörende Abgeordnete schnell die Anerkennung seiner Parlamentskollegen. Als Vizepräsident des Parlaments, stellvertretender Vorsitzender des Petitionsausschusses und Berichterstatter im Verfassungsausschuss setzte sich der brillante Rhetoriker auch im Parlament erfolgreich für konfessionelle Gleichberechtigung und bürgerliche Freiheitsrechte ein. Die Anerkennung der Judenemanzipation sowie die Durchsetzung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts in der Paulskirchenverfassung sind nicht zuletzt dem Wirken Gabriel Riessers zu verdanken. Die Teilnahme an der Deputation, die dem preußischen König Friedrich -Wilhelm IV. vergeblich die Kaiserkrone eines zukünftigen deutschen Reiches antrug , unterstrich sein Eintreten für eine kleindeutsche Einigung Deutschlands unter preußischer Führung. Sein Engagement im Deutschen Verein für Handelsfreiheit belegt, dass Riesser sich auch für Liberalität in der Wirtschaft einsetzte. Sein Ausscheiden aus der Nationalversammlung im Mai 1849 bedeutete nicht das Ende der politischen Arbeit Riessers. Als Mitglied der Gothaer Versammlung (Juni 1849) und des Erfurter Unionsparlaments von 1850 versuchte er so viel wie möglich von der Frankfurter Reichsverfassung gegen die aufkeimende Restauration zu retten. Nach dem Scheitern dieser Bemühungen kehrte er nach Hamburg zurück, wo er - seit 1857 als Anwalt tätig – von 1859 bis 1862 als Abgeordneter und Vizepräsident der Hamburger Bürgerschaft maßgeblich an der Beratung einer neuen hamburgischen Verfassung beteiligt war. 1859 gehörte Riesser überdies zu den Gründern des Deutschen Nationalvereins , der Vorläuferorganisation der linksliberalen Fortschrittspartei. Schließlich war es Riesser noch vergönnt, mit der im Oktober 1860 erfolgten Berufung zum Rat am hamburgischen Obergericht als erster jüdischer Richter in Deutschland überhaupt zu wirken und damit seinen lebenslangen Einsatz gegen Diskriminierung und Ausgrenzung der deutschen Juden auch mit einem persönlichen Triumph zu krönen. Nur wenige Jahre - 5 - später, am 22. April 1863, starb der weithin geachtete Anwalt für die Emanzipation der Juden und Vorkämpfer liberaler Freiheitsrechte in seiner Geburtsstadt Hamburg.