Der antijüdische Pogrom in Bagdad vom Juni 1941 - Ausarbeitung - © 2007 Deutscher Bundestag WD 1 - 061/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Der antijüdische Pogrom in Bagdad vom Juni 1941 Ausarbeitung WD 1 - 061/07 Abschluss der Arbeit: Fachbereich WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - 1. Einleitung Der Pogrom (Farhud) an den jüdischen Einwohnern Bagdads, bei dem am 1. und 2. Juni 1941 etwa 130 Menschen1 getötet wurden (andere Quellen sprechen von bis zu 180 Todesopfern und 800 Verletzten2) war der erste in der 2500jährigen Geschichte der mesopotamischen Juden3. Im Zusammenhang mit diesen Ereignissen stellen sich die Fragen lauten, was die Ursachen für diese gewalttätigen antijüdischen Auseinandersetzungen waren und welchen Anteil die Politik des Deutschen Reiches im Allgemeinen und das Wirken der deutschen Gesandtschaft in Bagdad im Besonderen daran hatten. Schließlich ist zu klären, ob eine direkte oder indirekte Verantwortung deutscher Stellen für den Tod der Juden Bagdads nachweisbar ist. Im Hinblick auf die Klärung der genannten Fragen ist zu beachten, dass es nicht genügen dürfte, die deutsche Nahostpolitik zwischen 1933 und 1941 zu betrachten, da diese für sich genommen kein verlässlicher Indikator für den tatsächlichen Einfluss der nationalsozialistischen Ideologie im Irak ist. Vielmehr muss insbesondere das konkrete Wirken der deutschen Gesandtschaft im Irak betrachtet werden, weil dieses in ganz besonderer Weise geeignet war, direkten und konkreten Einfluss auf politische Bewegungen im Irak auszuüben. Anders gesagt: Nur weil sich irakische Politiker auf die Nationalsozialisten beriefen und von diesen auch Unterstützung erfuhren, lässt sich daraus noch nicht zwingend eine direkte deutsche Verantwortung für den Pogrom ableiten. Mehr noch: Auch wenn es einen nationalsozialistischen Einfluss im Irak gab, so folgt doch auch daraus nicht zwangsläufig, dass der Pogrom ursächlich auf dieses Einwirken zurückzuführen ist. Außer Frage steht hingegen, dass sich im Irak im Laufe der Dreißiger Jahre ein arabischer Nationalismus herausbildete, der durch nationalsozialistische Einflüsse mitgeprägt wurde. Dies bedeutet jedoch nicht zugleich, dass auch die Elemente des eliminatorischen Antisemitismus übernommen wurden, der die ideologische Grundlage der Ausrottungsstrategie der Nationalsozialisten bildete. Ebenso wahrscheinlich ist es, dass die antijüdischen Unruhen auf einen Ausbruch latenten arabischen Antisemitismus’ zurückzuführen sind, dessen Ursprünge in der Opposition gegen die zionistische Bewegung begründet sind4. 1 Baram, S. 103 2 Simon, S. 158 3 Baram, S. 103 4 Baram, S. 101 - 4 - Zur Forschungslage ist festzustellen, dass die Farhud von 1941 bisher nicht im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses stand. Von daher waren für die vorliegende Ausarbeitung nur wenige Quellen zugänglich, so dass auf die wenige in englischer oder deutscher Sprache vorhandene Forschungsliteratur zurückgegriffen werden musste. Von besonderer Bedeutung waren hierbei der Artikel von Hayyim Cohen in den Middle Eastern Studies (1966) sowie die Veröffentlichungen von Majid Khaddouri (1960) und Reava Simon (1986). 2. Die Nahostpolitik des „Dritten Reiches“ Die strategische Bedeutung des Nahen Ostens wurde von den Nationalsozialisten erst spät erkannt. Trotz der politischen Übereinstimmungen mit arabischen Führern, wie dem Großmufti von Jerusalem, Amin al-Hussaini – etwa in Fragen der (zunächst latenten ) Gegnerschaft zu Großbritannien, der Bekämpfung der zionistischen Bewegung und des allgemeinen Antisemitismus – waren die Beziehungen zunächst nicht sonderlich ausgeprägt. Diese Phase dauerte bis ca. 1939 an und war vor allem dadurch begründet, dass das nationalsozialistische Deutsche Reich Großbritannien nicht durch eine zu starke Einmischung provozieren wollte5. Der Mufti war in seinem Kampf um die Vorherrschaft in Palästina gegen Großbritannien bereit, das nationalsozialistische Deutschland als Bündnispartner zu akzeptieren, das seine Position, wenn auch vorsichtig, stützte6. Die Unterstützung erfolgte, weil die Schaffung eines jüdischen Staates nicht im Interesse der nationalsozialistischen Machthaber lag, ohne dass zunächst konkrete Zusagen gegeben oder gar Hilfe in Form von Geld oder Waffenlieferungen geleistet worden wären7. Trotz der grundsätzlichen Übereinstimmungen gab es insbesondere im Auswärtigen Amt Vorbehalte gegenüber einer engen Zusammenarbeit mit dem Großmufti aufgrund einer „politischen Unzuverlässigkeit der Araber“8. So scheint denn auch die Initiative zur Kooperation hauptsächlich von Amin al-Hussaini ausgegangen zu sein. Die diplomatische Wetterlage änderte sich jedoch mit der Verschlechterung der deutsch-britischen Beziehungen seit Anfang 1939. Al-Hussaini, der sich seit 1939 im 5 Mallmann/Cüppers, S. 57ff. 6 Schechtman, S. 78f. 7 Dep. of State, Dok. 561, S. 746f., sowie Dok. 570, S. 760-762 8 Schechtman, S. 78 - 5 - Irak aufhielt, wurde schon seit 1937 mehr oder minder offen unterstützt. Die antibritischen und antizionistischen Bestrebungen im Irak wurden besonders durch den deutschen Gesandten in Bagdad, Fritz Grobba, gefördert. Grobba war zwar kein Mitglied der NSDAP9, war aber intensiv bemüht, die deutsche Position in der Region zu festigen und den Blick des Auswärtigen Amtes für die Bedeutung des Irak zu schärfen10. Insbesondere die Indoktrination der irakischen Jugend wurde vorangetrieben. Dieses Bestreben kulminierte im Besuch des Reichsjugendführers Baldur von Schirach 193711. Durch wachsenden deutschen Einfluss in Erziehung, Regierung und Armee fanden auch nationalsozialistische Ansichten ihren Weg in den Irak, wenn auch nicht alle Elemente der nationalsozialistischen Ideologie übernommen wurden. Mit Sicherheit kann jedenfalls davon ausgegangen werden, dass das Dritte Reich die Araber ermutigte, die „jüdische Frage“ in Übereinstimmung mit ihren Interessen zu „lösen“, und zwar mit den gleichen Mitteln, die auch in Europa hierfür zum Einsatz kamen. Die Frage nach der Wirkung der nationalsozialistischen Propaganda lässt sich jedoch nicht ausreichend beantworten. Der deutsche Gesandte Grobba schweigt hierzu in seinen Memoiren. Der deutsche Botschafter in Teheran, Erwin Ettel, wies jedoch Anfang 1941 darauf hin, dass der Aufstieg Hitlers sowie sein „Umgang“ mit den westlichen Alliierten und die Bewunderung der arabischen Seite für den raschen Wiederaufstieg Deutschlands eine positive Eigendynamik entwickelt hätten12. Die antisemitischen und nationalsozialistischen Strömungen im Irak dürften somit direkt wie indirekt durch die Politik des Reiches gefördert worden sein. 3. Antisemitismus in arabischen Ländern Die Herausbildung des modernen arabischen Antisemitismus fällt zusammen mit dem Entstehen des Antizionismus und eines arabischen Nationalismus Anfang des 20. Jahrhunderts . Auch im arabischen Raum gab es bereits vorher antijüdische Ressentiments; diese erreichten jedoch mit der Opposition gegen eine jüdische Präsenz in Palästina, die nach dem Ersten Weltkrieg begann, eine neue Qualität. Davon waren auch alteingesessene jüdische Gemeinden im arabischen Raum betroffen. Seit Ende der Zwanziger Jahre kam es auch im Irak zu ersten antijüdischen bzw. antizionistischen Massenprotesten13. 9 Schwanitz, Middle East, S. 96 10 Schwanitz, Middle East, S. 94, 99 11 Simon, S. 40 12 vgl. Mallmann/Cüppers, S. 42 13 Baram, S. 99, Cohen, S. 5 - 6 - Der arabische Antisemitismus war jedoch geprägt durch den Antizionismus und hatte mit dem eliminatorischen Antisemitismus der Nationalsozialisten wenig gemein. Durch den Aufstieg Hitlers bekam der arabische Antisemitismus, insbesondere im Irak, Auftrieb und durch das Wirken Fritz Grobbas und Amin al-Hussainis gewichtige Protagonisten . Antijüdische Organisationen wurden gegründet und sollen vom deutschen Gesandten Unterstützung in Form von Geld und Propagandamaterial erhalten haben14. Ferner gab es Pläne zur Gründung einer irakischen nationalsozialistischen Partei15. Allerdings muss bezweifelt werden, dass diese Maßnahmen dazu geführt hätten, dass der irakische Antisemitismus im Verlauf der Dreißiger Jahre in die radikale Form des im sog.„Dritten Reich“ praktizierten übergegangen wäre. Zwar wurden Hitler und der Nationalsozialismus als erfolgreiches Modell betrachtet. In seinem Kern aber gründete sich der irakische Antisemitismus auch weiterhin auf tiefsitzende und kulturell bedingte antijüdische Ressentiments sowie auf sozioökonomische Ursachen16, ohne dass eine weitere ideologische Überhöhung erfolgt wäre. In weiten Teilen der irakischen Unter- und Mittelschicht wurden die Juden, die weite Teile des Handels und des Bankenwesens kontrollierten , als Konkurrenz und als Kollaborateure der Briten, die sie mit ökonomischen Freiheiten ausstatteten, wahrgenommen. So gab es zu keiner Zeit, auch nicht während der ultranationalistischen Herrschaft Raschid Ali al Gailanis (s.u.), Aufrufe zur Ermordung der irakischen Juden17. Die Gründe für die Farhud vom Juni 1941 sind also anderswo zu suchen. 4. Die Entwicklung im Irak 1932-1941 Nachdem Großbritannien sein Mandat über den Irak 1932 formal beendet, sich aber Militärbasen und ein Durchmarschrecht für seine Truppen gesichert hatte, wurde der Irak unter König Faisal I. in die Unabhängigkeit entlassen. Nach dessen Tod 1933 übernahm sein Sohn Ghazi, der jedoch schon 1939 bei einem Autounfall ums Leben kam, den Thron. Sein Nachfolger wurde sein unmündiger Sohn Faisal II., für den sein Cousin und angeheirateter Onkel Prinz Abdul Illah die Regentschaft übernahm18. Diese Instabilität des Königshauses wurde verstärkt durch eine Vielzahl von Putschversuchen des Militärs, das während der Dreißiger Jahre, gefördert durch die antibritische Politik Kö- 14 Cohen, S. 6f. 15 Simon, S. 34 16 Baram, S. 102 17 Baram, S. 103 18 Khaddouri, S. 69, 140-42 - 7 - nig Ghazis, immer größeren Einfluss auf die Politik gewann19. Der Beginn der Regentschaft Abdul Illahs 1939 und der nahende Kriegsbeginn verstärkten diesen Einfluss noch und trugen zur Instabilität des Landes bei. Je mehr aber das deutschfreundliche Militär die Oberhand gewann, desto mehr geriet der Irak in Gegensatz zur ehemaligen Mandatsmacht Großbritannien, welche die Region militärisch dominierte und ein strategisches Interesse an der Kontrolle über das Land hatte. Dennoch blieb der Irak bei Kriegsausbruch zunächst neutral. Dies änderte sich mit dem durch das Militär geförderten Staatsstreich Raschid Ali al- Gailanis Anfang April 1941. Dieser erfuhr zwar die Unterstützung breiter Bevölkerungskreise 20; seine Regierung wurde jedoch wegen seiner Deutschfreundlichkeit und seiner engen Beziehungen zu Amin al-Hussaini von Großbritannien nicht anerkannt. Mehr noch: Nach Beginn des deutschen Balkanfeldzuges am 6. April fürchtete Großbritannien ein generelles deutsches Vordringen in den Nahen Osten und entschied, militärisch gegen die Regierung al-Gailani vorzugehen, um die eigene Präsenz im Irak langfristig zu sichern. Am 29. April begann der irakisch-britische Krieg, der einen Monat später mit der Niederlage und Flucht al-Gailanis und Amin al-Hussainis endete. Die Rückkehr des Regenten aus dem Exil am 1. Juni markiert den Beginn des Pogroms an den Juden Bagdads, ausgelöst durch die enttäuschten zurückgebliebenen Anhänger al- Gailanis, die den Juden vorwarfen, mit den Briten kollaboriert zu haben. 5. Die Farhud Über den ungefähren Verlauf der Farhud vom 1. und 2. Juni 1941 besteht in der verfügbaren Forschungsliteratur weitgehend Einigkeit21. Danach floh al-Gailani in Begleitung der meisten seiner Anhänger am 29. Mai 1941 aus Bagdad in Richtung Transjordanien . Einer seiner radikalsten Gefolgsleute, Yunis al-Sabawi, Führer einer pronazistischen Jugendorganisation (Futuwa), war hingegen in Bagdad geblieben und hatte sich zum Militärgouverneur von Bagdad ausgerufen. Er soll die jüdischen Einwohner der Stadt schon am 30. Mai gewarnt haben, sich mit Lebensmitteln zu versorgen und in ihren Häusern zu bleiben. Am darauf folgenden Sonntag, dem 1. Juni, der mit Pfingsten bzw. dem jüdischen Siebenwochenfest zusammenfiel, kehrte der Regent Abdul Illah nach Bagdad zurück, und einige Juden sollen ihn erfreut am Flughafen empfangen haben . Auf dem Weg zurück in die Stadt gab es dann das erste Todesopfer. An den Über- 19 Khaddouri, S. 69ff., 141 20 Khaddouri, S. 214f. 21 Cohen, S. 10-17, Khaddouri, S. 245, Baram, S. 103, Simon, S. 158-161, Wien, S. 108 - 8 - griffen beteiligt waren sowohl Soldaten als auch Polizisten und Zivilisten, ausgelöst wurden sie aber wohl durch Anhänger der Jugendbewegung al-Sabawis, die darin ihrer Wut über die Niederlage al-Gailanis gegen die britischen Truppen freien Lauf ließen. Augenfällig ist dabei, dass der Pogrom erst nach der Niederlage begann und nicht schon während der Herrschaft der nationalistisch orientierten Machthaber. Dies ist ein Indiz dafür, dass sich die Wut nicht gegen die jüdische Bevölkerung an sich richtete, sondern gegen die jüdische Bevölkerung, die man der Zusammenarbeit mit den britischen Truppen verdächtigte und deshalb für die Niederlage verantwortlich machte. Die antisemitischen Anhänger al-Gailanis könnten demzufolge die Gunst der Stunde genutzt haben, um von ihrer militärischen Niederlage abzulenken, indem die Bevölkerung gegen ihre jüdischen Mitbürger aufgewiegelt wurde. Es ist nicht zweifelsfrei zu belegen, ob es sich bei dem Pogrom um einen spontanen Gewaltausbruch gehandelt hat. Dagegen spricht die Warnung al-Sabawis, dafür hingegen , dass die Ausschreitungen erst unmittelbar nach der Niederlage eskalierten22. Auch Polizisten und Soldaten waren am Pogrom beteiligt und wurden weder vom zurückgekehrten Regenten noch vom Chef der Bagdader Polizei noch vom Gouverneur Bagdads oder vom Kommandanten der Armeedivision, die in Bagdad stationiert war, daran gehindert 23. Auf der einen Seite ist dies ein Zeichen der Schwäche einer sich in Transition befindenden Regierung24, andererseits ein Zeichen des Unwillens derjenigen, die in Bagdad die Fäden der Macht in der Hand hielten. Dies waren neben irakischer Armee und Polizei auch die britischen Truppen, die außerhalb der Stadt Halt machten und das Massaker offensichtlich geschehen ließen25, um die Position des zurückgekehrten Regenten nicht zu schwächen, dem sie die Rückkehr erst ermöglicht hatten. Die Farhud dauerte den ganzen 1. Juni über an und forderte schon am ersten Tag Dutzende Todesopfer26. Am Tag darauf setzte sich der Pogrom fort, wobei jetzt zu den Übergriffen der urbanen Bevölkerung auch noch Plünderungen von Beduinen von außerhalb der Stadt hinzukam27. Auch die Vergewaltigungen und Morde gingen weiter. Erst spät ordnete der Regent eine Ausgangssperre ab 17 Uhr an28, und erst am Abend eröffneten regierungstreue Truppen das Feuer, so dass die Gewalt ein Ende fand29. 22 Vereinzelt war es auch schon während der Herrschaft al-Gailanis zu Demonstrationen und Übergriffen gekommen, die aber keine Opfer gefordert hatten: vgl. Cohen, S. 8. 23 Simon, S. 159. 24 Khaddouri, S. 245 25 vgl. Simon, S. 158-161, Baram, S. 103, Khaddouri, S. 245 26 Cohen, S. 11 27 Cohen, S. 11f., Simon, S. 159 28 Cohen, S. 12 29 Cohen, S. 12 - 9 - Insgesamt muss unterschieden werden zwischen dem eigentlichen Pogrom, der von der jungen, urbanen Bevölkerung ausging und von Polizei und Militär unterstützt wurde, und den Plünderungen des zweiten Tages, die wohl eher materielle Ursachen hatten. 6. Zusammenfassung: Die Verantwortlichkeit für die Farhud Die Zuordnung einer direkten Verantwortung wird insofern erschwert, als sich die bisher gewonnenen Erkenntnisse nur auf Forschungsliteratur beziehen und der Zeitzeuge, der zum tatsächlichen deutschen Einfluss im Irak im Vorfeld der Ereignisse von 1941 am besten hätte Auskunft geben können, der deutsche Gesandte Grobba, keine Stellung bezogen hat. Immerhin aber kann mit einiger Sicherheit Folgendes konstatiert werden: Es gab im Irak während der Dreißiger Jahre einen wachsenden deutschen und auch nationalsozialistischen Einfluss. Doch obwohl mehrere politische Gruppen Elemente des Nationalsozialismus übernahmen und obwohl auch die deutsche Gesandtschaft vermutlich propagandistisch tätig war, waren die Beziehungen zwischen Nationalsozialismus und arabischem Nationalismus nicht gefestigt. Hitler und sein totalitäres Regime wurden schlicht als erfolgreiches Rollenmodell betrachtet30, und auch die wachsende Deutschfreundlichkeit zog nicht automatisch auch eine explizit pro-nazistische Orientierung nach sich. Insbesondere eine Adaption des eliminatorischen Antisemitismus der Nationalsozialisten durch die Bevölkerung oder auch nur die Elite kann ausgeschlossen werden. Auch wenn der deutsche Einfluss im Irak während des Jahrzehnts zwischen 1932 und 1941 anwuchs, so folgt daraus nicht, dass das „Dritte Reich“ die Möglichkeit gehabt hätte, die irakische Politik zu steuern. Das Gegenteil ist der Fall. Auch nach der formalen Unabhängigkeit 1932 wurde der Irak noch von Großbritannien dominiert und war ihm in einem Bündnis verpflichtet. Da das Reich bis 1939 nicht in offenen Gegensatz zu Großbritannien treten wollte, waren seine Möglichkeiten, über die deutsche Gesandtschaft in Bagdad direkten Einfluss auf die Politik des Irak zu nehmen, beschränkt. Auch nach Kriegsbeginn hatte das NS-Regime nicht die Möglichkeiten bzw. nicht das Interesse , die Kontrolle über den Irak zu erlangen, wie der rasche Sieg Großbritanniens über Raschid Ali al-Galiani 1941 zeigt. Hinzu kommt, dass der deutsche Gesandte sich zwischen September 1939 und Mai 1941 nicht im Irak befand; so dass die Verbindungen zu deutschfreundlichen Kräften im Irak, auch zum Großmufti al-Hussaini, in dieser Phase über die deutsche Botschaft in 30 Wien, S. 41, 115 - 10 - Ankara laufen mussten, was die direkten Einflussmöglichkeiten im Vorfeld des Pogroms vom 1./2. Juni 1941 minimierte. Ruft man sich dann die Ereignisse vom 1./2. Juni in Erinnerung, so wie sie in der Forschungsliteratur dargestellt werden, so kommt man zu dem Schluss, dass die Farhud einen spontanen Ausbruch antijüdischer Gewalt darstellt, der auf einen inhärenten arabischen Antisemitismus zurückzuführen ist und sich auch deshalb gegen die Juden richtete , weil sie für die Niederlage im Krieg gegen Großbritannien verantwortlich gemacht wurden. Es mag nationalsozialistische Einflüsse gegeben haben, die zu diesem Ausbruch beitrugen, aber weder gab es Aufrufe zur Gewalt durch irakische Nationalisten noch ist ein solcher durch die deutsche Botschaft belegt. Es scheint auch fraglich, ob ein solcher Aufruf im Interesse des „Dritten Reiches“ gelegen hätte, da Großbritannien diesen propagandistisch ausgenutzt hätte. - 11 - 7. Literatur: Baram, Amatzia, Der moderne Irak, die Baath-Partei und der Antisemitismus, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 12 (2003), S. 99-119. Cohen, Hayyim J., The Anti-Jewish Farhud in Palestine, in: Middle Eastern Studies 3 (1966), S. 2-17. Elpeleg, Zvi, The Grand Mufti Haj Amin al-Hussaini, Founder of the Palestinian National Movement, London 1993. Gensicke, Klaus, Der Mufti von Jerusalem, Amin el-Husseini, und die Nationalsozialisten , Frankfurt u.a. 1988. Grobba, Fritz, Männer und Mächte im Orient, Göttingen 1967. Hirszowicz, Lukasz, The Third Reich and the Arab East, London 1966. Khaddouri, Majid, Independent Iraq, 1932-1958. A Study in Iraqi Politics, London u.a. 1960. Mallmann, Klaus-Michael und Martin Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina, Darmstadt 2006. Schechtman, Joseph B., The Mufti and the Fuehrer. The Rise and Fall of Haj Amin el- Hussaini, New York 1965. Schröder, Bernd Philipp, Irak 1941, Freiburg 1980. Schwanitz, Wolfgang G, Paschas, Politiker und Paradigmen: Deutsche Politik im Nahen und Mittleren Orient 1871-1945, in: COMPARATIV 14 (2004), S. 22-45. Ders. 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