Die Bedeutung der Reichsexekution in der Weimarer Reichsverfassung und ihre Anwendung 1923 in Sachsen und Thüringen - Ausarbeitung - © 2006 Deutscher Bundestag WF XI G - 055/06 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Die Bedeutung der Reichsexekution in der Weimarer Reichsverfassung und ihre Anwendung 1923 in Sachsen und Thüringen Ausarbeitung WD XI G - 055/06 Abschluss der Arbeit: 31.03.2006 Fachbereich XI: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Telefon: Hinweise auf interne oder externe Unterstützung bei der Recherche bzw. Abfassung des Textes Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. Inhalt 1. Einleitung 4 2. Die Anwendung der Reichsexekution 1923 in Sachsen und Thüringen 4 2.1. Die Reichsexekution gegen Sachsen im Oktober 1923 4 2.2. Die Reichsexekution gegen Thüringen im November 1923 8 2.3. Sachsen und Thüringen nach der Reichsexekution 9 3. Die Bedeutung des Bundeszwangs im Deutschen Grundgesetz 9 4. Das Instrument des Bundeszwangs in anderen Verfassungen 10 4.1. Die Bundesexekution in der Bundesverfassung der Schweiz 11 4.2. Die Regelung des Bundeszwangs in Österreich 12 4.3. Der „Bundeszwang“ in der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika 13 5. Literatur 13 - 4 - 1. Einleitung Bereits im Heiligen Römischen Reich war der Begriff der Reichsexekution gebräuchlich . Er bezeichnete einerseits die Vollstreckung von Urteilen des Reichskammergerichts und des Reichshofsrates. Andererseits war er auch ein Mittel, um den Landfrieden , nötigenfalls durch den Einsatz von Truppen, unabhängig von einem gerichtlichen Verfahren aufrechtzuerhalten. In der Reichsverfassung von 1871 wurde die Reichsexekution durch Art. 19 geregelt. Dieser sah vor, dass die vom Bundesrat beschlossene Reichsexekution gegen einen seinen Pflichten nicht nachkommenden Gliedstaat vorgenommen wird. Durchgeführt wurde sie vom Kaiser. In der Weimarer Reichsverfassung beinhaltete Art. 48 Abs.11 die Möglichkeit der Reichsexekution, um die Länder zur Erfüllung der ihnen nach der Reichsverfassung obliegenden Pflichten anzuhalten. Die Anordnung und Durchführung standen dabei dem Reichspräsidenten zu. Im Grundgesetz schließlich findet man in Art. 372 den Begriff des Bundeszwangs. Die Anwendung des Bundeszwangs ist das letzte Mittel, um das Gebot des bundesfreundlichen Verhaltens (Bundestreue) durchzusetzen. Der Begriff „Bundeszwang“ ist weitgehend gleichbedeutend mit dem der „Reichsexekution“, seine Durchsetzung mit Waffengewalt jedoch ausgeschlossen. 2. Die Anwendung der Reichsexekution 1923 in Sachsen und Thüringen 2.1. Die Reichsexekution gegen Sachsen im Oktober 1923 Im Jahr 1923 verschlechterte sich in Folge der Ruhrbesetzung die gesamtdeutsche Sozial - und Wirtschaftslage. Auch das mitteldeutsche Industriegebiet blieb davon nicht unberührt . Die Arbeitslosigkeit nahm rapide zu, die unbeständige wirtschaftliche Lage führte vielerorts zu dem Gedanken, die bestehende Ordnung radikal zu ändern. Während einige die Abkehr von der Weimarer Verfassung forderten, löste die gefürchtete 1 Art.48 (1) WRV: „Wenn ein Land die ihm nach der Reichsverfassung oder den Reichsgesetzen obliegenden Pflichten nicht erfüllt, kann der Reichspräsident es dazu mit Hilfe der bewaffneten Macht anhalten.“. 2 Art.37 GG: „(1) Wenn ein Land die ihm nach dem Grundgesetze oder einem anderen Bundesgesetze obliegenden Bundespflichten nicht erfüllt, kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates die notwendigen Maßnahmen treffen, um das Land im Wege des Bundeszwanges zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten. (2) Zur Durchführung des Bundeszwanges hat die Bundesregierung oder ihr Beauftragter das Weisungsrecht gegenüber allen Ländern und ihren Behörden.“. - 5 - Radikalisierung der Republik von rechts eine Annäherung aller proletarischen Richtungen aus.3 Man sah vor allem im angrenzenden Bayern einen möglichen Ausgangsort für diese Radikalisierung. Der 1920 als bayerischer Ministerpräsident bestellte Gustav Ritter von Kahr war bestrebt, die vor 1918 herrschenden Verhältnisse wiederherzustellen und Bayern zu einer „Ordnungszelle“ des Reiches zu formen.4 Diese die Reichsverfassung ablehnende und die politische Rechte begünstigende Politik blieb auch nach dem Rücktritt des Ministerpräsidenten im Jahr 1921 bestehen. Diese Orientierung nach rechts gipfelte schließlich in dem durch die bayerische Landesregierung unter Berufung auf Art. 48 Abs.4 WRV5 im Herbst 1923 über Bayern verhängten Ausnahmezustand. Der frühere Ministerpräsident Gustav Ritter von Kahr wurde zum „besonderen Generalstaatskommissar“ ernannt. Er nutzte die ihm übertragenen Vollmachten, um in den folgenden Wochen das Republikschutzgesetz6 in Bayern außer Kraft zu setzen, sozialdemokratische Selbstschutzorganisationen und linke Zeitungen zu verbieten und mehrere hundert jüdische Familien aus Bayern auszuweisen.7 Diesen Bestrebungen wollte man in Sachsen entgegentreten. KPD und SPD verständigten sich bereits vor den Landtagswahlen, die am 21. März 1923 stattfinden sollten, über die Bildung proletarischer Abwehrorganisationen.8 Der Sozialdemokrat Dr. Erich Zeigner wurde mit den Stimmen der KPD mit knapper Mehrheit zum Ministerpräsidenten Sachsens gewählt. In einer gemeinsamen Regierungserklärung wurden die Aufgaben der proletarischen Abwehrorganisationen festgelegt . Sie sollten u. a. Demonstrationen, Versammlungen und das Eigentum der Arbeiterorganisationen schützen.9 Schließlich wurde am 17. Mai 1923 die Umwandlung der bisher noch getrennt operierenden Selbstschutzeinheiten in eine einheitliche Organisation - die proletarischen Hundertschaften - beschlossen. Diese regional organisierten Arbeiterwehren setzen sich aus 3 Weiler, S.9. 4 Weigand, S.1. 5 Art.48 (4) WRV: „Bei Gefahr im Verzuge kann die Landesregierung für ihr Gebiet einstweilige Maßnahmen der in Abs.2 bezeichneten Art treffen. Die Maßnahmen sind auf Verlangen des Reichspräsidenten oder des Reichstags außer Kraft zu setzen.“. 6 auf Grundlage des Art. 48 (5) WRV erlassenes »Gesetz zum Schutz der Republik« vom 21. 7. 1922, enthielt vor allem Strafbestimmungen zum Schutz des Lebens und der Ehre von Regierungsmitgliedern , gegen das Verächtlichmachen der Verfassung und der Symbole des Reichs; es ermöglichte das Verbot extremistischer Vereinigungen und Presseverbote. 7 Sturm, S.24. 8 Weiler, S.12. 9 Ursachen und Folgen, S.473. - 6 - den Mitgliedern des kommunistischen Ordnungsdienstes, der u. a. zum Versammlungsund Funktionärsschutz der KPD gegründet worden war, zusammen. Die rund 133000 Mitglieder der Hundertschaften waren militärisch ausgebildet und verfügten über Waffen , was einen eindeutigen Verstoß gegen die Entwaffnungsvorschriften des Versailler Vertrags darstellte.10 Von der Reichsregierung wurde die Aufstellung der proletarischen Hundertschaften mit Sorge beobachtet. Beschwerden wie die des Verbandes sächsischer Industrieller über das Verhalten der Hundertschaften führten innerhalb der Reichsregierung bereits im Juli 1923 zu der Erwägung, in Sachsen den Ausnahmezustand zu verhängen.11 In den folgenden Monaten verschlechterte sich das Verhältnis zwischen der sächsischen Landes- und der Reichsregierung immer mehr. Vor allem Ministerpräsident Zeigner kritisierte vermehrt das Reichswehrministerium, warf ihm die Verbindung mit der so genannten „Schwarzen Reichswehr“12 vor. Auch von anderen sächsischen Politikern ging Kritik aus. So äußerte z. B. Polizeioberst Dr. Schützinger (Mitglied der SPD Sachsen) im Juli 1923, dass „die Reichswehr nicht in der Lage sei, des Faschismus in Bayern Herr zu werden(…)“ und wies diese Aufgabe den proletarischen Hundertschaften zu.13 Dies führte unweigerlich zu Verstimmungen mit der Reichsregierung. Am 6. Oktober 1923 wurde daraufhin erstmals die Anwendung der Reichsexekution gegen Sachsen zur Sprache gebracht. Der Reichswehrminister Otto Geßler stellte in einer Sitzung des Reichskabinetts den Antrag, die sächsische Regierung abzusetzen und einen Reichskommissar zu ernennen, falls eine Verständigung mit Sachsen nicht möglich sei.14 Am 10. Oktober 1923 kam es durch den Eintritt von drei KPD- Mitgliedern zur Bildung eines sozialdemokratisch- kommunistischen Kabinetts unter Ministerpräsident Erich Zeigner. Paul Böttcher wurde Finanzminister, Fritz Heckert Wirtschaftsminister. Der Vorsitzende der KPD Heinrich Brandler wurde zum Leiter der Staatskanzlei ernannt. 10 Die proletarischen Hundertschaften (insg. 1131) existierten auch in Thüringen, Berlin und Hamburg 133000 ist also die Gesamtmitgliederzahl; Sturm, S.25; Wenzel, S.5. 11 Weiler, S.21. 12 Die „Schwarze Reichswehr“ bestand meist aus Angehörigen aufgelöster Freikorps u. a. republikfeindlicher Organisationen und wurde im Einvernehmen mit der Reichswehr eingerichtet und finanziell von ihr unterstützt, http://www.brockhaus-enzyklopaedie.de/be21_print.php?document _id=b24_19060703. 13 Weiler, S.15. 14 Weiler, S.21. - 7 - In ihrer Koalitionsvereinbarung legten KPD und SPD fest, dass die Abwehrorganisationen verstärkt, ausgebaut und bewaffnet werden sollten. Sie sollten u. a. die Grenze Sachsens gegen Bayern sichern.15 Ministerpräsident Zeigner äußerte schon wenige Tage nach der Regierungsbildung wiederum harte Kritik an der Reichsregierung, der bayerischen Regierung, der Reichswehr und der Beamtenschaft. Die Reichsregierung wollte diesen Bestrebungen, „von Sachsen aus die bolschewistische Revolution in das Reich zu tragen“16, Einhalt gebieten. Der Reichsbefehlshaber in Sachsen-Generalleutnant Müller- verbot schließlich am 13. Oktober 1923 die proletarischen Hundertschaften.17 Dieses Verbot wurde jedoch missachtet , die Hundertschaften bestanden weiter fort und der sächsische Finanzminister Böttcher rief die Bevölkerung zur allgemeinen Bewaffnung auf. Am 22. Oktober 1923 rückte die Reichswehr daraufhin in Sachsen ein, um die öffentliche Ordnung in den sächsischen Industriegebieten sicherzustellen. Betroffen waren vor allem Leipzig, Meißen, Dresden und Pirna. Reichspräsident Ebert hatte damit von seinem Recht der „Reichsexekution“ Gebrauch gemacht.18 Bei Zusammenstößen von Reichswehr und sächsischen Bürgern gab es mehrere Dutzend Tote und Verletzte. Am 27. Oktober 1923 forderte Reichskanzler Stresemann den sächsischen Ministerpräsidenten auf, den Rücktritt der sächsischen Landesregierung herbeizuführen19. Für Stresemann und den Reichskanzler Ebert war die an der sächsischen Regierung beteiligte KPD eine gegen die parlamentarische Demokratie gerichtete Partei, Kommunisten in Staatsämtern untragbar.20 Er forderte außerdem, die proletarischen Hundertschaften endgültig aufzulösen. Zeigner ging auf diese Forderungen nicht ein. Reichspräsident Ebert erließ daraufhin am 29. Oktober 1923 eine Verordnung, die ihn ermächtigte, die Mitglieder der sächsischen Landesregierung und der sächsischen Landes- und Gemeindebehörden ihres Amtes zu 15 Weiler, S.22. 16 Weiler, S.24. 17 Ursachen und Folgen, S.486. 18 vgl. Art.48 (1) WRV. 19 Ursachen und Folgen, S.498f.. 20 Sturm, S.25. - 8 - entheben und andere Personen mit der Führung der Dienstgeschäfte zu betrauen.21 Dies markierte den eigentlichen Beginn der Reichsexekution gegen Sachsen. Die Reichswehr besetzte daraufhin die Ministerien in Dresden, die Minister wurden von Dr. Rudolf Heinze (DVP22), der von Stresemann zum Reichskommissar ernannt worden war, abgesetzt. Plenar-, Ausschuss- und Fraktionssitzungen wurden untersagt. Schließlich teilte Erich Zeigner am 30. Oktober 1923 dem Landtag den Rücktritt der Regierung mit. Tags darauf wurde ein neues Kabinett gewählt, dem keine KPD- Mitglieder mehr angehörten. Neuer Ministerpräsident wurde der sozialdemokratische Abgeordnete Karl Fellisch. 2.2. Die Reichsexekution gegen Thüringen im November 1923 Am 16.Oktober ging auch die SPD in Thüringen eine Koalition mit der KPD ein. Ihr gehörten die Kommunisten Dr. Karl Korsch als Justizminister und Albin Tenner als Wirtschaftsminister an. Der Sozialdemokrat August Frölich wurde vom Landtag zum Ministerpräsidenten gewählt. Das gemeinsame Regierungsprogramm war dem der sächsischen Regierung ähnlich. In ihm wurde wiederum die Schaffung bzw. der Ausbau republikanischer Notwehren zum Schutz der Verfassung vereinbart23, da „die besondere Aufgabe der thüringischen Regierung dadurch bestimmt (wird), daß Thüringen das Grenzland ist desjenigen deutschen Gliedstaates, in dem die Gegner der Republik faktisch die Staatsgewalt bestimmen “.24 Das Regierungsprogramm löste bei der Reichsregierung großes Missfallen aus. Eine Regierungsteilnahme der Kommunisten sollte nicht länger toleriert werden. Man befürchtete einen mitteldeutschen Linksputsch, und tatsächlich strebten Teile der KPD 21 Diese Verordnung hielt ausdrücklich den am 26. September über ganz Deutschland verhängten Ausnahmezustand nach Art. 48 (2) WRV aufrecht, Art. 48 (2) WRV: „Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Art. 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen.“; Ursachen und Folgen, S.500, Weiler, S.193ff. 22 Deutsche Volkspartei. 23 Ursachen und Folgen, S.485. 24 In der Erklärung der Thüringischen Landesregierung vom 17. Oktober 1923 war der Gliedstaat Bayern gemeint; Ursachen und Folgen, S.487f. - 9 - einen „deutschen Oktober“ nach dem Vorbild der russischen Oktoberrevolution von 1917 an.25 Die Reichswehrführung verlangte daher Reichseingriffe auch in Thüringen26. Die Reichsregierung ordnete daraufhin den Einmarsch der Reichswehr an und entzog der Landesregierung am 6. November 1923 die Exekutivgewalt. Die Landesregierung hielt dem politischen und militärischen Druck nicht stand und veranlasste am 12. November 1923 den Rücktritt der beiden kommunistischen Minister. Mit diesem Zugeständnis wurde zunächst die drohende Auflösung der Landesregierung verhindert. Schließlich trat die Regierung Frölich am 7. Dezember 1923 zurück und erklärte den Landtag für aufgelöst. Damit blieb Thüringen die formelle Reichsexekution erspart.27 2.3. Sachsen und Thüringen nach der Reichsexekution Sowohl in Sachsen als auch in Thüringen fanden Neuwahlen statt, aus denen jeweils Regierungen ohne die Beteiligung von KPD- Abgeordneten hervorgingen. Die KPD- Führung brach in Anbetracht der Entwicklungen in Sachsen und Thüringen und der geringen Kampfbereitschaft der Arbeiterschaft die Vorbereitungen für eine Revolution ab.28 Am 23.November 1923 wurde die KPD schließlich deutschlandweit verboten.29 3. Die Bedeutung des Bundeszwangs im Deutschen Grundgesetz Der in Art. 37 GG geregelte Bundeszwang soll dazu beitragen, die bundesstaatliche Ordnung gegenüber den Ländern aufrechtzuerhalten und zu sichern. In der Verfassungspraxis der Bundesrepublik Deutschland ist der Bundeszwang bislang nicht angewendet worden. 30 Das Verhältnis von Bund und Ländern wird durch das Grundgesetz umfassend geregelt; sollte es zu Auseinandersetzungen kommen, kann das 25 www.dhm.de/lemo/html/weimar/innenpolitik/oktober/index.html; www.thueringen.de/imperia/md/content/lzt/115.pdf. 26 Ursachen und Folgen, S.502. 27 Anders als in Sachsen erging zwar keine Aufforderung des Reichskanzlers, das Kabinett aufzulösen, betrachtet man jedoch bereits den Einmarsch der Reichswehr als eine Maßnahme iSd. Art.48 Abs.1 WRV, so kann man von einer vollzogenen Reichsexekution gegen Thüringen sprechen; www.thueringen.de/imperia/md/content/lzt/115.pdf. 28 www.dhm.de/lemo/html/weimar/innenpolitik/oktober/index.html. 29 Nach Aufhebung des Ausnahmezustands durch Reichspräsident Ebert am 28.02.1924 wird die KPD am 03.03.1924 wieder zugelassen. 30 Bauer, Art.37, Rn.6. - 10 - Bundesverfassungsgericht angerufen werden. So besteht z. B. die Möglichkeit, ein Verfahren nach Art.93 Abs.1 Nr.3 GG, §§ 13 Nr.7, 68 ff. BVerfG (Bund- Länder- Streit) vor dem Bundesverfassungsgericht einzuleiten, um Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder aus dem Bundesstaatsverhältnis beizulegen . Art. 37 GG kommt jedoch eine wichtige Reserve- und Auffangfunktion zu, wenn beispielsweise eine gerichtliche Konfliktentscheidung zwischen Bund und jeweiligem Land nicht rechtzeitig realisierbar wäre.31 Durch Art.37 GG wird der Bund zu Zwangsmaßnahmen gegen einzelne Länder, die ihren Bundespflichten nicht nachkommen, ermächtigt. Bundespflichten sind dabei solche Pflichten, die das Verhältnis zwischen Bund und Ländern oder das Verhältnis der Länder untereinander betreffen. Die wichtigste Bundespflicht ist die Pflicht des bundesfreundlichen Verhaltens (Bundestreue), Bund und Länder haben danach die gemeinsame Aufgabe, die grundgesetzmäßige Ordnung in allen Teilen und Ebenen des Gesamtstaates herzustellen und zu wahren.32 Sollte ein Bundesland gegen diese oder eine andere Bundespflicht verstoßen, steht es der Bundesregierung gem. Art.37 Abs.1 GG mit Zustimmung des Bundesrates frei, den Bundeszwang anzuwenden. Art. 37 Abs.2 GG beinhaltet ein mögliches Zwangsmittel, wonach die Bundesregierung dem pflichtwidrig handelnden Land Weisungen erteilen kann. Darüber hinaus sind als zulässige Maßnahmen z.B. finanzielle und wirtschaftliche Sanktionen seitens des Bundes oder die vorübergehende treuhänderische Übernahme der Landesstaatsgewalt durch Organe des Bundes weitgehend anerkannt. Auch die Ersatzvornahme der unterlassenen Handlung durch Bundesorgane ist verfassungsgemäß. Ausgeschlossen ist jedoch die Amtsenthebung einer Landesregierung oder die Auflösung eines Landes. Dies widerspräche dem Sinn und Zweck des Art.37 GG, wonach der Bundeszwang immer nur vorübergehenden Charakter besitzen darf. Auch der Einsatz der Bundeswehr oder Maßnahmen mit repressivem Strafcharakter sind verboten.33 4. Das Instrument des Bundeszwangs in anderen Verfassungen 31 Bauer, Art.37, Rn.6. 32 Bauer, Art.37, Rn.5. 33 Stettner, Art.37, Rn.85. - 11 - Die Form des Bundesstaates ist im internationalen Vergleich durchaus stark verbreitet34, so dass grundsätzlich auch eine Verfassungsbestimmung zum Bundeszwang vorstellbar ist. Ein dem Bundeszwang vergleichbares Zwangsmittel ist jedoch in anderen Verfassungen nur sehr selten vorzufinden. Die Verfassungen der Schweiz und der Vereinigten Staaten von Amerika enthalten beispielsweise Bestimmungen, die mit dem Bundeszwang des Grundgesetzes vergleichbar sind. 4.1. Die Bundesexekution in der Bundesverfassung der Schweiz Verfassungsrechtliche Grundlage für die Anwendung der Bundesexekution gegen einzelne Kantone sind Artikel 49 Abs.2 und 52 Abs.2 der schweizerischen Bundesverfassung 35. Die Bundesexekution muss dem jeweiligen Kanton zunächst angedroht werden.36 Kommt dieser auch dann seiner Bundespflicht nicht nach, kann diese Pflicht durch den Bund im Wege der Ersatzvornahme erfüllt werden. Die Ersatzvornahme wird in einigen Gesetzen des Bundes ausdrücklich vorgesehen.37Die daraus entstehenden Kosten werden dem Kanton auferlegt. Eine weitere mögliche Zwangsmaßnahme stellt die vorübergehende Einstellung von Subventionszahlungen an den Kanton dar. Dies ist jedoch nach überwiegender Ansicht38nur zulässig, wenn es sich um Pflichtverletzungen des Kantons handelt, für die er vom Bund Subventionen erhält. Nur in diesen Fällen darf der Bund entsprechende Subventionen zurückhalten. Der Einsatz von militärischen Mitteln kommt nur als ultima ratio in Betracht. Der Kanton muss elementare Bundespflichten verletzt und dadurch die öffentliche Ordnung gefährdet haben. Seit der Gründung des Bundesstaates im Jahr 1848 ist es in der Schweiz noch nie zu einer militärischen Bundesexekution gekommen. 34 z.B. in Kanada, Australien, Brasilien, Mexiko; Stettner, Art.37, Rn.99. 35 Art.49 (2)Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft: „Der Bund wacht über die Einhaltung des Bundesrechts durch die Kantone.“, Art.52: (1) „Der Bund schützt die verfassungsmäßige Ordnung der Kantone. (2) Er greift ein, wenn die Ordnung in einem Kanton gestört oder bedroht ist und der betroffene Kanton sie nicht selber oder mit Hilfe anderer Kantone schützen kann.“. 36 http://www.dhs.ch/externe/protect/textes/d/D26427-1-427.html. 37 Z.B. gem. Art.55 des Bundesgesetzes über die Nationalstraßen, Art. 53 SchlT ZGB und Art. 401 (2) StGB. 38 Häfelin/Haller, S.349. - 12 - Vor der Durchführung der Bundesexekution muss stets geprüft werden, ob das in Frage kommende Zwangsmittel auch geeignet, erforderlich und angemessen39 ist, den Kanton zur Erfüllung seiner Bundespflichten anzuhalten. Zur Anordnung der Bundesexekution ist sowohl die Bundesversammlung (Art. 173 Abs.1 lit e40) als auch der Bundesrat (Art. 186 Abs.441) ermächtigt. 4.2. Die Regelung des Bundeszwangs in Österreich In der österreichischen Bundesverfassung (B-VG) ist ein Bundeszwang nicht ausdrücklich geregelt. Aus den Vorschriften in Art. 79 Abs.2 B-VG42über die Aufgaben des Bundesheeres und den Regelungen des Art. 146 Abs.2 B-VG43 zur Umsetzung der Entscheidungen des Verfassungsgerichts ergibt sich jedoch die Existenz des Bundeszwangs . In Art.79 Abs.2 B-VG ist die Mitwirkung des Bundesheeres am Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung vorgesehen. Ein selbständiges militärisches Einschreiten des Bundesheeres ist jedoch nur dann zulässig, wenn die zuständigen Behörden durch höhere Gewalt außerstande gesetzt sind, das Einschreiten herbeizuführen, oder es sich um einen Angriff gegen das Bundesheer selbst handelt. Art.146 Abs.2 B-VG sieht vor, dass auch die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes im Wege der Exekution durchgesetzt werden können. Nach überwiegender An- 39 Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. 40 Art. 173 (1): „Die Bundesversammlung hat zudem folgende Aufgaben und Befugnisse: e) Sie trifft Maßnahmen zur Durchsetzung des Bundesrechts.“. 41 Art.186 (1) „Der Bundesrat pflegt die Beziehungen des Bundes zu den Kantonen und arbeitet mit ihnen zusammen. (4) Er sorgt für die Einhaltung des Bundesrechts sowie der Kantonsverfassungen und der Verträge der Kantone und trifft die erforderlichen Maßnahmen.“. 42 Art.79 (2) B-VG: „Das Bundesheer ist, soweit die gesetzmäßige zivile Gewalt seine Mitwirkung in Anspruch nimmt, ferner bestimmt 1. auch über den Bereich der militärischen Landesverteidigung hinaus a) zum Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihrer Handlungsfähigkeit sowie der demokratischen Freiheiten der Einwohner b) zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Inneren überhaupt; 2. zur Hilfeleistung bei Elementarereignissen und Unglücksfällen außergewöhnlichen Umfangs.“. 43 Art.146 (2) B-VG: „Die Exekution der übrigen Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes liegt dem Bundespräsidenten ob. Sie ist nach dessen Weisungen durch die nach seinem Ermessen hierzu beauftragten Organe des Bundes oder der Länder einschließlich des Bundesheeres durchzuführen.(..)“. - 13 - sicht ist dies immer dann möglich, wenn politische Konflikte oder gewaltsamer Widerstand die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes unwirksam machen.44 4.3. Der „Bundeszwang“ in der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika Die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika sieht in Artikel 4 Abschnitt 445 und Artikel 1 Abschnitt 8 Ziffer 1546 die Möglichkeit vor, die öffentliche Sicherheit und Ordnung in den Bundesstaaten auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Die Vereinigten Staaten schützen jeden der Einzelstaaten vor Invasion und auf deren Antrag auch vor inneren Unruhen. Der „Bundeszwang“ kann vom Kongress angeordnet werden. Angewendet wurde diese spezielle Bundesexekution z. B. 1957, als Bundestruppen nach Little Rock (Arkansas) entsendet wurden, um die bundesrechtlich vorgesehene Integration von farbigen Kindern in den Schulen durchzusetzen.47 5. Literatur 1. Bauer, Hartmut (1998): Kommentierung zu Art.37 GG. In: Dreier, Horst (Hrsg.).Grundgesetz Kommentar. Tübingen. 2. http://www.brockhaus-enzyklopaedie.de/be21_article.php. Stand 13.03.06 3. http://www.brockhausenzyklopaedie .de/be21_article.php?document_id=0x020e5497@be. Stand 13.03.06 www.dhm.de/lemo/html/weimar/innenpolitik/oktober/index.html. Stand 14.03.06. http://www.dhs.ch/externe/protect/textes/d/D26427-1-427.html. Stand 29.03.06. Häfelin, Ullrich / Haller, Walter (2001).Schweizerisches Bundesstaatsrecht: die neue Bundesverfassung. Zürich. 4. Michaelis, Herbert / Schraepel, Ernst (Hrsg.)(1961). Ursachen und Folgen- Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staatlichen Neuordnung Deutschlands in der Gegenwart. Fünfter Band- Die Weimarer Republik- Das kritische Jahr 1923. Berlin. 5. Pernthaler, Peter (2004). Österreichisches Bundesstaatsrecht: Lehr- und Handbuch. Wien. 44 Pernthaler, S.349. 45 „Die Vereinigten Staaten sollen jedem Staate in dieser Union eine republikanische Regierungsform gewährleisten und sollen jeden von ihnen gegen feindliche Einfälle schützen, und auf Antrag seiner gesetzgebenden Körperschaft oder der Regierungsbehörde (wenn die gesetzgebende Körperschaft nicht einberufen werden kann) auch gegen Gewalttätigkeit im Inneren.“ 46 „Dem Kongress steht es zu, (…) für das Aufgebot der Miliz Vorkehrungen zu treffen, um die Gesetze der Union zu vollstrecken, Aufstände zu unterdrücken und feindliche Einfälle abzuwehren.“ 47 Häfelin/Haller, Rn.1226ff. - 14 - 6. Schwarz, Josef. Die Reichsexekution- Die Regierung der republikanischen und proletarischen Verteidigung in Thüringen 1923. http://www.marxistischebibliothek .de/thueringen.html. Stand 15.03.06. 7. Stettner, Rupert (2005). Kommentierung zu Art.37 GG. In: Dolzer, Rudolf/ Vogel, Klaus/ Graßhof, Karin (Hrsg.). Bonner Kommentar. Heidelberg. 8. Sturm, Reinhard. Weimarer Republik: Informationen zur politischen Bildung (Heft 261).http://www.bpb.de/themen/YJWUL0,11,0,Kampf_um_die_Republik_1919_1 923.html#art11.Stand 14.03.06. 9. www.thueringen.de/imperia/md/content/lzt/115.pdf. Stand 23.03.06. 10. Weigand, Wolf. Bayern zur Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus (1918-1945).http://www.hdbg.de/polges/pages/kap7a.htm.Stand 24.03.06. 11. Weiler, Heinrich (1987). Die Reichsexekution gegen den Freistaat Sachsen unter Reichskanzler Dr. Stresemann im Oktober 1923. Frankfurt (Main). 12. Wenzel, Otto (2004). 1923- Die gescheiterte „Deutsche Oktoberrevolution “.http://www.bundesarchiv.de/imperia/md/content/abteilungen/sapmo/13.pdf. Stand 27.03.06.