Deutscher Bundestag Das Reichskonkordat von 1933 Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 1 – 3000 – 052/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 – 052/10 Seite 2 Das Reichskonkordat von 1933. Entstehung und Geltung Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 1 – 3000 – 052/10 Abschluss der Arbeit: 17.05.2010 Fachbereich: WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 – 052/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Die Entstehungsgeschichte von den Ansätzen bis zur Ratifizierung 4 2. Bestimmungen des Reichskonkordats 5 3. Historischer Forschungsstand und Kontroversen 6 4. Die aktuelle Bedeutung des Reichskonkordats 7 5. Die Problematik der „Aufhebung“ 9 6. Literatur 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 – 052/10 Seite 4 1. Die Entstehungsgeschichte von den Ansätzen bis zur Ratifizierung Mit den Änderungen im Codex Iuris Canonici im Jahr 1917 wurde eine klare Rechtsbasis geschaffen , die den Orientierungsrahmen der Konkordatspolitik des Vatikans bildete.1 Am CIC hatte u. a. Eugenio Pacelli mitgearbeitet, einer der fähigsten Diplomaten des Heiligen Stuhls. Pacelli, der 1917 als Nuntius in Bayern akkreditiert war und drei Jahre später auch zum Nuntius bei der Deutschen Reichsregierung ernannt wurde,2 gilt als Hauptinitiator der Konkordatsverhandlungen auf Seiten des Heiligen Stuhls.3 In Deutschland machten das Ende des protestantisch geprägten deutschen Kaisertums, die Erfahrungen des November 1918 und der ersten Monate der Weimarer Republik zweierlei deutlich. Zum einen waren die durch die Erfahrungen des Kulturkampes sensibilisierten deutschen Bischöfe sich darin einig, die katholische Kirche und die Wahrung ihrer Aufgaben rechtlich schnellstmöglich abzusichern. Dazu trugen nicht zuletzt Diskussionen bei, wie sie Adolph Hoffmann , der sozialistische preußischen Kultusminister, anregte, der eine radikale Trennung von Staat und Kirche forderte und der das Ende jeder kirchlichen Mitwirkung im Schul- und Bildungswesen durchsetzen wollte.4 Gleichzeitig boten die tiefe Spaltung der sozialistischen Parteien , die ständig wechselnden parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse sowie mit dem Zentrum eine starke Fraktion des politischen Katholizismus die Chance, auf parlamentarischem Wege zu einer vertraglichen Übereinkunft zwischen Staat und katholischer Kirche zu gelangen.5 Eine solche Möglichkeit wurde frühzeitig erkannt, denn bereits im Mai 1920 übermittelte Pacelli der Preußischen Staatsregierung und der Reichsregierung die kirchlichen „Punktationen“ für ein Konkordat. Entscheidende Verhandlungsgegenstände waren die „Schulfrage“, d. h. die Sicherung des konfessionellen Religionsunterrichts in allen öffentlichen Schulen, die Sicherung der Bekenntnisschulen , die Sicherstellung kirchlichen Einflusses auf die Ausbildung der Lehrer, Entscheidungsfreiheit bei der Besetzung theologischer Lehrstühle, die Eigenverantwortung der Kirche bei der Vergabe geistlicher Ämter sowie die freie Seelsorge in kircheneigenen und öffentlichen Einrichtungen. Für diese Gegenstände wünschte man auf Seiten der katholischen Kirche die Garantie durch die staatliche Gesetzgebung, doch scheiterte die Verabschiedung eines Konkordats auf Reichsebene mehrfach an den fehlenden Mehrheiten im Parlament. Hingegen wurde 1929 mit Preußen ein 1 Vgl. David Wengenroth (2001): Die Rechtsnatur der Staatskirchenverträge und ihr Rang im staatlichen Recht, Berlin: Verlag für Wissenschaft und Forschung, S. 28. 2 Vgl. zur Tätigkeit Pacellis als Nuntius in Deutschland http://www.pacelli-edition.de. 3 Vgl. zum Folgenden: Friedrich Wilhelm Saal (1994): Die innerkirchlichen Folgen des Reichskonkordats: Die Bedeutung der Artikel 31 und 32, in: Sechzig Jahre Reichskonkordat (1933-1993). Falle oder Schutzwall für den deutschen Katholizismus? Fachtagung 1993, S. 17-48. 4 Vgl. Adolph Hoffmann (1903): Die zehn Gebote und die besitzende Klasse. 5 Etliche MdR waren Priester und Theologen, so der Trierer Kirchenrechtler Ludwig Kaas, der ab 1928 Vorsitzender des Zentrums und Vertrauter Pacellis war, sowie Prälat Albert Lauscher, Prälat Ernst Föhr, Prälat Carl Ulitzka . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 – 052/10 Seite 5 Konkordat abgeschlossen, wobei, um zu einem Abschluss gelangen zu können, die Schulfrage allerdings ausgeklammert blieb. Als Pacelli Ende 1929 aus Deutschland abberufen wurde, hatte er sich zwar zu einem Kenner Deutschlands, deutscher Gepflogenheiten und nicht zuletzt der deutschen Sprache entwickelt, jedoch war es nicht gelungen, ein Konkordat mit dem Deutschen Reich zum Vertragsabschluss zu bringen. Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler durch Reichspräsident Paul von Hindenburg und der „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten erfuhren die Verhandlungen eines Konkordates zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich eine deutliche Beschleunigung . Die Abfolge der Ereignisse bietet dabei der historischen Forschung reichlich Raum für Spekulationen .6 Erste Meldungen über Konkordatspläne Adolf Hitlers datieren auf den 23. März 1933, dem Tag, an welchem die Zentrumspartei dem Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich – dem „Ermächtigungsgesetz“ – zustimmte. Fünf Tage später, am 28. März 1933, distanzierten sich die deutschen Bischöfe von ihrem noch vor der Reichstagswahl beständig wiederholten Verbot, sich in der NSDAP politisch zu engagieren.7 Zwischen dem 10. und dem 20. April 1933 weilten zu einer ersten Verhandlungsrunde Franz von Papen als Bevollmächtigter der Reichsregierung und Ludwig Kaas als Vorsitzender der Zentrumspartei im Vatikan. Eugenio Pacelli , seit Anfang 1930 Kardinalstaatssekretär, führte die Verhandlungen auf Seiten des Vatikan. Zu einer zweiten Verhandlungsrunde vom 29. Juni bis 5. Juli 1933 stieß in Rom der Freiburger Erzbischof Conrad Gröber dazu. Währenddessen lösten sich am 4. Juli die Bayerische Volkspartei und am 5. Juli die Zentrumspartei in Deutschland selbst auf. Am 20. Juli schließlich wurden die Verhandlungen zum Reichskonkordat mit der Unterzeichnung im Vatikan abgeschlossen. Am 10. September 1933 wurde es durch das Deutsche Reich ratifiziert. 2. Bestimmungen des Reichskonkordats Die wesentlichen Bestimmungen des Reichskonkordates (RK) folgten den Bestimmungen des Bayerischen Konkordats von 1924, des Preußischen Konkordates (PrK) von 1929 sowie des Badischen Konkordates von 1932. Deren Fortbestand wurde in Artikel 2 RK festgehalten.8 So erklärte Artikel 1 die Freiheit des Bekenntnisses und der öffentlichen Ausübung der katholischen Religion , die Abordnung eines Botschafters des Deutschen Reiches beim Heiligen Stuhl sowie einen Gesandten desselben in der Reichshauptstadt (Artikel 3). Weitere Gegenstände waren u. a. die freie Korrespondenz zwischen dem Heiligen Stuhl und allen deutschen Katholiken (Artikel 4), der Schutz des Beichtgeheimnisses (Artikel 9), das Recht der Kirche, ihre Ämter frei zu besetzen, wobei der Staat aufgrund der Politischen Klausel über ein Vetorecht für neu zu benennende Bischöfe verfügte (Artikel 14), die Garantie über das Fortbestehen der theologischen Fakultäten an den Universitäten (Artikel 19), die Sicherstellung des Religionsunterrichtes als ordentliches 6 Vgl. Wilfried Loth (1994): Das Reichskonkordat und der Untergang des politischen Katholizismus. Bilanz einer Kontroverse, in: Sechzig Jahre Reichskonkordat (1933-1993). Falle oder Schutzwall für den deutschen Katholizismus ? Fachtagung 1993, S. 7-16, hier S. 7. 7 Vgl. Kundgebung der deutschen Bischöfe, 28. März 1933, in: Bernhard Stasiewski (Bearb.) (1968): Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. I: 1933-1934, Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag, S. 30f. 8 Vgl. Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich, 20. Juli 1933, in: RGBl. 1933, II, S. 679ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 – 052/10 Seite 6 Lehrfach (Artikel 21), die Beibehaltung und Neueinrichtung katholischer Bekenntnisschulen (Artikel 23) sowie die Garantie exemter Militärseelsorge, deren Leitung einem vom Papst zu benennenden Militärbischof obliegt (Artikel 27). Heftig gerungen wurde jedoch um die beiden Schlussartikel 31 und 32, die entscheidende Brisanz besaßen. In Artikel 31 sicherte die Reichsregierung jenen katholischen Organisationen und Verbänden, die „ausschließlich religiösen, reinkulturellen und karitativen Zwecken“ dienten und die „als solche der kirchlichen Behörde unterstellt“ waren, staatlich geschützt sein. Sofern katholische Organisationen darüber hinaus auch sozialen oder berufsständischen Aufgaben dienten, sollten sie ebenfalls in den Genuss staatlichen Schutzes gelangen, wenn sie ihre Tätigkeit außerhalb jeder politischen Partei entfalteten. Damit sicherte die katholische Kirche das Fortbestehen ihrer Verbände ab, da diese den deutschen Verbandskatholizismus schlichtweg ausmachten. Im Gegenzug erklärte sich die katholische Kirche im Artikel 32 RK bereit, den politischen Katholizismus preiszugeben, d.h. Geistlichen und Ordensangehörigen wurde die Mitgliedschaft in politischen Parteien untersagt. 3. Historischer Forschungsstand und Kontroversen Um die Bewertung jener Ereignisse zwischen der Aufnahme der Konkordatsverhandlungen im März 1933 und dem Abschluss des Reichskonkordates wurde und wird in der Geschichtswissenschaft nach wie vor gerungen. Ende der 1970er Jahre hatten Konrad Repgen und Klaus Scholder eine Debatte entfacht, die noch nicht abgeschlossen ist. Es geht um „die Frage nach dem Ende des politischen Katholizismus in Deutschland 1933“, nach den „wirklichen oder nur vermuteten Zusammenhängen zwischen Ermächtigungsgesetz, Reichskonkordat und Auflösung der Zentrumspartei “. Einerseits wurde, so Scholder, das Reichskonkordat in einem Akt der Kooperation zwischen Vertretern der Kirche sowie des deutschen politischen Katholizismus und den nationalsozialistischen Machthabern abgeschlossen. Der Preis sei die bewusste Aufgabe der Demokratie gewesen, d.h. die Zustimmung des politischen Katholizismus zum Ermächtigungsgesetz und letztlich damit seine Selbstenthauptung durch die Auflösung der Zentrumspartei im Juli 1933. Repgen hingegen verstand das Handeln der katholischen Kirche als die Schaffung einer völkerrechtlichen Basis, von der aus sie als Kirche versuchen konnte, der nationalsozialistischen Diktatur Widerstand zu leisten.9 Seit Februar 2003 sind die Deutschland betreffenden Akten des Pontifikats Pius’ XI im Vatikanischen Geheimarchiv der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich, seit Oktober 2006 die gesamten Aktenbestände dieses Pontifikats. Die Frage, inwieweit sich aus der Auswertung dieser Aktenbestände, der digitalen Aufbereitung der Nuntiaturberichte Eugenio Pacelllis und Cesare Orsenigos – seines Nachfolgers im Amt des päpstlichen Nuntius in Berlin – weitere und über den bisherigen Kenntnisstand hinausreichende Erkenntnisse gewinnen lassen, wird die Geschichtswissenschaft mit Sicherheit in der Zukunft beantworten. 9 Vgl. http://www.dhi-roma.it/fileadmin/user_upload/pdfdateien /Tagungsberichte/2004/polit_Katholizismus_dt.pdf; vgl. zum Ergebnis dieser „Giornata di Studi” Thomas Brechenmacher (Hrsg.) (2007): Das Reichskonkordat 1933. Forschungsstand, Kontroversen, Dokumente, Paderborn u.a.: Schöningh. (http://www.kfzg.de/Publikationen/Zusammenfassungen/B109_- _Brechenmacher_Thomas_-_Das_Reichskonkordat_1933_-_dte_-_abstract.pdf; vgl. Andreas Burtscheidt (2008): Edmund Freiherr Raitz von Frentz. Rom-Korrespondent der deutschsprachigen katholischen Presse 1924-1964, Paderborn u.a.: Schöningh, insbesonder S. 240ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 – 052/10 Seite 7 4. Die aktuelle Bedeutung des Reichskonkordats Beim Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich handelt es sich um einen nach wie vor gültigen völkerrechtlichen Vertrag, der von beiden Vertragsparteien zu erfüllen ist.10 Allerdings wird in der Forschungsliteratur wiederholt von der „Janusköpfigkeit“ des Reichskonkordats gesprochen, da es einerseits zwar in der staatskirchenrechtlichen Tradition der Weimarer Republik steht, andererseits aber Elemente eines „so nur mit einem autoritären Führerstaat möglichen Abkommens“ enthält11 (Wengenroth 2001, S. 30). Aus diesem Grunde war die Weitergeltung des RK nach 1945 politisch und rechtlich umstritten. Das sogenannte Konkordats- Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 23. März 1957 kam aber zu dem Ergebnis, dass das RK weiter fortbestehe, wenn es auch die „Bindungswirkung hinsichtlich der Länder vor dem Hintergrund veränderter staatlicher Kompetenzverteilung stark einschränkte“ (Wegenroth 2001, S. 30). Demnach sei das Reichskonkordat als „Vertrag gültig zustande gekommen, zu innerstaatlichem Recht geworden und über den Zusammenbruch“ des nationalsozialistischen Staates hinaus „in Geltung geblieben“ ( 2004, S. 3). „Die völkerrechtliche Weitergeltung des Reichskonkordats hat zur Folge, dass die sich daraus ergebenden beiderseitigen Verpflichtungen von den Vertragsparteien zu erfüllen sind.“ (BVerfG 6, 309 [170]). Das Reichskonkordat von 1933 bildet demnach auch heute noch den Rahmen des mit der katholischen Kirche vereinbarten Vertragskirchenrechtes. Im Geltungsbereich von Länderkonkordaten (wie z.B. mit Bayern) gilt es ergänzend und subsidiär, „soweit die Konkordate mit den Bundesländern es in Bezug nehmen“ (Wengenroth 2001, S. 31). Folgende Gegenstände werden durch Staatskirchenverträge und insbesondere das RK geregelt:12 1. Religions- und Kirchenfreiheit und staatsunabhängige Geltung der kirchlichen Rechtsordnung, Art. 1, 4, 33 Abs. 1 RK sowie Art 1 PrK; 2. Errichtung einer Apostolischen Nuntiatur und einer Deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl, Art. 3 RK; 3. Rechtsstellung, freie Betätigung und Ausbildung der Kleriker Art. 5-10, 20 (mit Schlussprotokoll ) RK sowie Art. 9 (mit Schlussprotokoll), 10, 12 (mit Schlussprotokoll) PrK; 10 Vgl. (2004): Das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom 20. Juli 1933 und seine heutige Problematik, Ausarbeitung FB WD 3-162/04. Ich danke , für Hinweise und Korrekturlesen, insbesondere der Kapitel 4 und 5. 11 So Wengenroth 2001, S. 30; ferner: Alexander Hollerbach: Grundlagen des Staatskirchenrechtes, in: Josef Isensee /Paul Kirchhof (Hrsg.) (1989): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VI: Freiheitsrechte , Heidelberg: C.F. Müller Juristischer Verlag, S. 369-634, hier S. 480. 12 Vgl. für das Folgende Heiner Marré (1994): Das Reichskonkordat – seine staatskirchenrechtliche Bewährung in der Gegenwart, in: Sechzig Jahre Reichskonkordat (1933-1993): Falle oder Schutzwall für den deutschen Katholizismus . Fachtagung 1993, S. 55-64, S. 60ff. Ich folge hier der Argumentation Marrés, der sich wiederum auf Alexander Hollerbach und Joseph Listl stützt. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 – 052/10 Seite 8 4. Die Diözesanorganisation und Diözesanzirkumskription, Art. 11, 12 RK sowie Art. 2,3 PrK; 5. Ämtererrichtung, Ämterbesetzung, Bischofswahlrecht, Politische Klausel, Treueeid der Bischöfe Art. 12, 13 (mit Schlussprotokoll), 14 (mit Schlussprotokoll), 16 RK sowie Art. 3, 7, 9 (mit Schlussprotokoll), 10 PrK; 6. Gründungs- und Betätigungsfreiheit der Orden und religiösen Genossenschaften Art. 15, 25 RK; 7. Theologische Fakultäten (an staatlichen Universitäten), Schul- und Bildungswesen, Religionsunterricht Art. 19 (mit Schlussprotokoll), 21, 22, 23, 24 (mit Schlussprotokoll) RK sowie Art 12 (mit Schlussprotokoll) PrK; 8. Schutz des kirchlichen Eigentums und Garantie der Staatsleistungen Art. 17 (mit Schlussprotokoll ), 18 (mit Schlussprotokoll) RK sowie Art. 4 (mit Schlussprotokoll), 5 PrK; 9. Militär- und Anstaltsseelsorge Art. 27, 28 (mit Schlussprotokoll) RK; 10. Eherecht, Gebet für das Wohlergehen des Deutschen Reiches und Volkes, völkische Minderheiten Art. 26, 29 (mit Schlussprotokoll), 30 RK; 11. Katholische Organisationen und Verbände Art. 31 (mit Schlussprotokoll) RK sowie Verbot der parteipolitischen Betätigung von Priestern und Ordensleuten Art. 32 (mit Schlussprotokoll) RK. Diese Regelungsmaterien lassen sich in drei große Sachbereiche unterteilen: a) in die Gewährleistung der Religions- und Kirchenfreiheit im weitesten Sinne und mit Einbeziehung der Freiheit der Lehre, der Verkündigung und der Sakramentenverwaltung, die freie Ämterverleihung und die Garantie des Kirchengutes sowie die freie kirchliche Vermögensverwaltung ; b) in den „klassischen“ Bestand der sogenannten gemeinsamen Angelegenheiten, in denen eine Kooperation von Staat und Kirche notwendig ist. Darunter fallen der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, die theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten, die Anstalts- und Militärseelsorge, das Friedhofsrecht, das kirchliche Besteuerungsrecht und – in den neuen Konkordaten und Kirchenverträgen – der Bereich der Erwachsenenbildung sowie die Beteiligung der Kirchen an Rundfunk und Fernsehen sowie c) in die auf historischen Rechtstiteln beruhenden und im Wesentlichen auf die Säkularisation während der napoleonischen Zeit zurückgehenden Staatsleistungen sowie deren Ablösung, also Vertragsabreden über Dotationen, Pfarrbesoldungszuschüsse, Baulasten, sogenannte negative Staatsleistungen. In Korrelation mit dem GG ergeben sich für das RK daraus folgende Klassifikationen: a) einzelne Bestimmungen des RK sind zusätzliche vertragliche Sicherungen oder vertragliche Entfaltungen von Materien, die bereits in den Kirchenartikeln des GG garantiert sind; Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 – 052/10 Seite 9 b) neben diesen Bestimmungen des RK, die in den Kirchenartikeln des GG (Art. 140 i.V.m. Art. 136, 137,138, 139, 141 WRV) garantierte Institute zusätzlich vertraglich sichern oder entfalten, gibt es andere Artikel des RK, die erst die rechtliche Grundlage für bestimmte Einrichtungen schaffen, die im GG gar nicht (mehr) oder nicht expressis verbis festgelegt sind, so z. B. die theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten im Art. 19 RK und Art. 12 PrK und die Seelsorge in der Bundeswehr Art. 27 RK. c) letztlich gibt es vertragliche Regelungen, die, wenn sie der Staat einseitig erlassen hätte, gegen die korporative Religionsfreiheit des Art. 4 GG und/oder das kirchliche Selbstbestimmungsrecht des Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV verstoßen würden. 5. Die Problematik der „Aufhebung“ Im Falle von Konkordatsverträgen ist eine Befristung normalerweise nicht vorgesehen. Die Vertragspartner bringen in kodifikatorischen Verträgen zum Ausdruck, dass die Beziehungen zwischen Staat und Kirche „dauerhaft“ geregelt werden. Das heißt jedoch nicht, derartige Verträge seien für die „Ewigkeit“ geschaffen oder „heilig“ im Sinne von unantastbar. Eine völkerrechtliche Sonderstellung in Bezug auf ihre Auflösung ist ihnen in der Völkerrechtspraxis nicht zugestanden worden.13 Denkbar sind aber eine einverständliche Vertragsaufhebungen oder vertraglich geregelte Erledigungsgründe, bei deren Vorliegen der Vertrag endet. Als Ausdruck allgemeiner Rechtsgrundsätze ist das Recht zur Kündigung eines Konkordats anzusehen, wenn der andere Vertragsteil beharrlich das Konkordat verletzt. Allerdings muss es sich dabei um Verstöße von einem derartigen Gewicht handeln, dass dadurch die für einen Vertrag unabdingbare Vertragsgrundlage zerstört wird. Hier hat das Konkordatsurteil des Bundesverfassungsgerichtes ausdrücklich anerkannt, dass der Hl. Stuhl angesichts der permanenten schwerwiegenden Vertragsverletzungen durch den nationalsozialistischen Staat das Konkordat hätte aufkündigen können (BVerfG 6, 309 [334f]) ( 2004, S. 12).14 Das Völkerrecht kennt auch die Beendigung eines Vertrages wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (clausula rebus sic stantibus). Voraussetzung für eine mögliche Anwendung der clausula rebus sic stantibus ist, dass sich die Umstände grundlegend geändert haben, die bei Vertragsschluss vorgelegen haben und diese Änderung das Ausmaß der noch zu erbringenden vertraglichen Leistung tiefgreifend umgestaltet.15 Abgestellt wird auf die objektive Sachlage und nicht auf den wirklichen, vermuteten oder unterstellten Parteiwillen. Die internationalen Gerichte haben den Grundsatz bisher zurückhaltend angewandt.16 Die clausula rebus sic stantibus ist in Art. 62 der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) vom 23. Mai 1969 kodifiziert. Die WVK findet jedoch keine Anwendung auf das Reichskonkordat, das es nur für die Staaten nach deren Beitritt gilt. Da die clausula rebus sic stantibus aber inzwischen als Völkergewohnheitsrecht ver- 13 Otto Kimminich 1996), in: Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Auflg., Berlin: Duncker & Humblot, S. 232. 14 Vgl. Alexander Hollerbach (1965), Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland (= Juristische Abhandlungen, Bd III), Frankfurt/Main: Klostermann, S. 273ff. 15 Jost Delbrück/ Rüdiger Wolfrum (2002), Völkerrecht, Bd. I/3, 2. Auflg., Berlin: De Gruyter Recht, S. 750. 16 Vgl. Beispiele in Jost Delbrück/ Rüdiger Wolfrum (2002), Völkerrecht, S. 747 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 – 052/10 Seite 10 standen werden kann17, kann der in Art. 62 kodifizierte Grundsatz auch bei einer möglichen Beendigung des Reichskonkordats zu Grunde gelegt werden. „Eine Kündigung muss gegenüber dem Vertragspartner schriftlich erfolgen. Sind Vertragsverletzungen oder wesentliche Veränderungen Kündigungsgrund, ist die Kündigung innerhalb einer angemessenen Frist auszusprechen. Handelt es sich, wie bei Konkordaten, um einen zustimmungsbedürftigen Vertrag, haben die zur Rechtsetzung berufenen Organe mitzuwirken. Mit der Kündigung erlischt das Vertragsverhältnis ex nunc (Hollerbach 1965, S. 279ff).18 Zur Frage einer Kündigung/Aufhebung des RK sei abschließend noch einmal Alexander Hollerbach zitiert: „Wenn der Staat in der Bundesrepublik Deutschland seit langem und immer noch für die Staat- Kirche-Beziehungen das Gestaltungsinstrument des Vertrages bevorzugt, so in der mit Argumenten aus der Verfassung selbst zu belegenden Überzeugung, dass koordinationsrechtliche Ordnung im Verfassungsstaat eine besondere sachgerechte Form der Problemlösung darstellt und dass sie sich als förderliches ‚Instrument zur Realisierung freiheitlich-demokratischer Staatlichkeit’ bewährt hat. Im Spielraum der Möglichkeiten ist diese der Wirklichkeit des Verhältnisses von Staat und Kirche angemessener, wird der Sache besser gerecht, und insofern kann man hier durchaus von größerer Legitimität sprechen. Der Staat anerkennt nämlich in der Verfassung die eigenständige Existenz der Kirchen und Religionsgemeinschaften aus eigenem Recht, er anerkennt das hohe Gut der Religions- und Kirchenfreiheit und damit, bekräftigt durch das Verbot der Staatskirche , seine eigene Selbstbegrenzung als weltliche Ordnungsmacht. Daraus folgt ein striktes Einmischungsverbot. Deshalb wird gerade der säkulare Staat, um sich nicht dagegen zu verfehlen , die Vertragsform wählen. Es ist gerade der Kompetenzmangel des neutralen Staates in religiös -weltanschaulicher Hinsicht, der für das Vertragsstaatskirchenrecht spricht.“19 17 Jost Delbrück/ Rüdiger Wolfrum (2002), Völkerrecht, S. 749 f.; so auch Internationaler Gerichtshof im Fisheries Jurisdiction Case (ICJ Reports 1973, 3, 18). 18 Vgl. auch Art. 65, 66 WVK für das Verfahren bei der Geltendmachung der clausula rebus sic stantibus. 19 Alexander Hollerbach, zitiert nach Marré 1994, S. 64. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 – 052/10 Seite 11 6. Literatur Brechenmacher, Thomas (Hrsg.) (2007): Das Reichskonkordat 1933. Forschungsstand, Kontroversen , Dokumente, Paderborn u.a.: Schöningh. Burtscheidt, Andreas (2008): Edmund Freiherr Raitz von Frentz. Rom-Korrespondent der deutschsprachigen katholischen Presse 1924-1964, Paderborn u.a.: Schöningh. Delbrück, Jost/ Wolfrum, Rüdiger (2002): Völkerrecht, Bd. I/3, Die Formen des völkerrechtlichen Handelns; Die inhaltliche Ordnung der internationalen Gemeinschaft, Berlin: De Gruyter Recht. Hollerbach, Alexander Hollerbach (1965): Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland (= Juristische Abhandlungen, Bd III), Frankfurt/Main: Klostermann. Isensee, Josef/Paul Kirchhof (Hrsg.) (1989): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VI: Freiheitsrechte, Heidelberg: C.F. Müller Juristischer Verlag. 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