Politikverdrossenheit in Deutschland - Ausarbeitung - © 2008 Deutscher Bundestag WD 1 - 050/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Politikverdrossenheit in Deutschland Ausarbeitung WD 1 - 050/08 Abschluss der Arbeit: 23.04.2008 Fachbereich WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. Inhaltsverzeichnis Seite 1. Einleitung 3 2. Zu möglichen Gründen der Politikverdrossenheit 3 3. Zu Erscheinungsformen und Indikatoren der Politikverdrossenheit 6 4. Zum öffentlichen Ansehen des Politikers 8 5. Zur Erwartungshaltung der Bevölkerung gegenüber den Politikern 10 6. Zusammenfassung 11 7. Literaturverzeichnis 12 - 3 - 1. Einleitung Der Begriff „Politikverdrossenheit“ wird in Deutschland in der Regel synonym zu ähnlichen Schlagwörtern wie „Politiker-„ oder „Parteienverdrossenheit“ gebraucht (Arzheimer 2002: 16; Lösche 2002: 360/361; Huth 2003: 9). Verstärkt in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit geriet der Terminus im Jahr 1992, als ihn die Gesellschaft für Deutsche Sprache als Ergebnis einer das ganze Jahr anhaltenden öffentlichen Diskussion über die Rolle von Parteien und (Partei-) Politikern in Deutschland – in der sich auch der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker kritisch zur Rolle der politischen Parteien im parlamentarischen System der Bundesrepublik äußerte – zum Wort des Jahres kürte (Arzheimer 2002: 17/18; Huth 2003: 9). Allerdings existiert der Verdruss über Politiker und Parteien mindestens so lange wie die Bundesrepublik besteht (Huth 2003: 15). 2. Zu möglichen Gründen der Politikverdrossenheit Der Grad der Zufriedenheit bzw. der Unzufriedenheit der Bürger mit der Politik wird in der Regel mit Hilfe empirischer Untersuchungen erfasst. Gleichwohl lässt sich mit den Mitteln der Demoskopie nur bedingt eine genaue Analyse der Gründe für die Politikund Parteienverdrossenheit durchführen, da letztere nicht monokausal erklärbar sind (Huth 2003: 14; Schulze 2007; Gaiser; Gille; Krüger; de Rijke 2000: 12/13). Bis jetzt stellt die Gruppe der politikverdrossenen Bürger noch nicht die Mehrheitsmeinung in der bundesrepublikanischen Gesellschaft dar. Allerdings gibt es Kritikpunkte am politischen System und dessen Repräsentanten, die laut den Ergebnissen von Meinungsumfragen mehrheitlich in der Bevölkerung auf breite Zustimmung stoßen. Aus Sicht der politikwissenschaftlichen Forschung misstrauen Politikverdrossene insbesondere den zentralen Akteuren der Politik1, zweifeln an der Leitungsfähigkeit der Politik, sind mit den Ergebnissen politischer Entscheidungen nicht einverstanden, empfinden Politik persönlich häufig als ungerecht und kritisieren die Strukturen des politischen Systems. Das Ansehen der Parteien2 und die Glaubwürdigkeit der Politik sind demnach bei diesen Menschen stark erodiert (Kister 2006; Gaiser; Gille; Krüger; de Rijke 2000: 12; Arzheimer 2002: 17). Politikverdrossene Bürger werfen den Akteuren des politischen Systems – wie zum Beispiel eine bundesweite Repräsentativerhebung des Meinungsforschungsinstituts Dimap aus dem Jahr 2006 zum Thema „Das Verhältnis der Bürger zu Staat und Politik. Politikverdrossenheit in Deutschland“ im Auftrag der „Initiative Pro Dialog“ ergab – unter 1 Hierbei insbesondere den Institutionen der etablierten Politik wie den politischen Parteien und den Parteipolitikern. 2 Dabei werden vor allem die Volksparteien CDU und SPD genannt. - 4 - anderem vor, sie würden nur an sich und die eigene Karriere zu denken, selbstbezogen sein, nur im eigenen Interesse bzw. im Interesse der eigenen Partei zu handeln und ausschließlich auf den nächsten Wahltermin (Wiederwahl) fixiert sein. Zwar wird Politikern in der besagten Repräsentativerhebung - wie auch in anderen Umfragen - durchaus Ehrgeiz, Durchsetzungsvermögen, Sachkunde sowie Sympathie von den Bürgern zuerkannt , auf der anderen aber Seite attestiert nur eine Minderheit von ihnen Politikern Vertrauenswürdigkeit, politischen Weitblick, Glaubwürdigkeit, Bürgernähe und Ehrlichkeit (Initiative Pro Dialog 2006: 8; Gaiser; Gille; Krüger; de Rijke 2000: 12; Kleinert 2007: 3). Echte und vermeintliche Skandale, Affären und Verfehlungen einzelner Politiker oder Parteien werden gerade durch politikverdrossene Bürger nicht als Ausnahmeerscheinung , sondern häufig als Normalität des politischen Systems eingestuft (Schulze 2007; Arzheimer 2002: 17). Politikverdrossene Bürger zweifeln zudem an der Handlungs- und Leitungsfähigkeit der Politik in Deutschland. Insbesondere die in den ersten Jahren nach der Deutschen Einheit auftretenden Probleme wie der starke Anstieg der Arbeitslosigkeit, die deutliche Zunahme der öffentlichen Verschuldung sowie die Herausforderungen beim Zusammenwachsen zwischen West- und Ostdeutschland ließen offenbar bei einem zunehmenden Teil der Bevölkerung die Verdrossenheit gegenüber der Politik anwachsen. Zusammen mit den seit Mitte 1990er Jahre geführten Debatten um die Folgen der Globalisierung , die Krise des Wirtschaftstandortes Deutschland und die Zukunftsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme kommen offensichtlich zunehmend mehr Bürgern Zweifel an der Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit der Politik (Kleinert 2007: 7; Huth 2003: 12/13). Weil sich aus Sicht der Bürger die Situation des Landes über Jahre nicht grundlegend zu verbessern scheint, nehmen auch die Zweifel an der Problemlösungskompetenz der Politik insgesamt zu. Auch hiervon sind gerade die Volksparteien besonders betroffen (Kister 2006). Der Anteil derjenigen Bürger, die keiner Partei die Lösung der wichtigsten Probleme im Lande zutrauen, nimmt seit Jahren stetig zu (Lösche 2002: 360/361), auch wenn bei Regierungswechseln auf Bundesebene sowie in Zeiten konjunktureller Erholungsphasen das Zutrauen der Bürger in die Kompetenz der Politik zwischenzeitlich für kurze Zeit wieder zunimmt (Kleinert 2007: 3ff.). Durch den föderalen Staatsaufbau der Bundesrepublik und die Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden stehen viele Bürger offenbar auch vor dem Problem, politische Entscheidungen und ihre Ergebnisse der jeweiligen staatlichen Handlungsebene korrekt zuzuordnen (Schulze 2007). Möglicherweise kann hier die jüngst vorgenommene Änderung von politischen Zuständigkeitsbereichen zwischen - 5 - Bund und Ländern im Rahmen der Föderalismuskommission I diese Situation mittelund längerfristig ändern helfen. Eine zunehmende Anzahl von Bürgern hat laut Meinungsumfragen zudem das Gefühl, dass die etablierte Politik ihre Interessen überhaupt nicht oder nicht ausreichend vertreten und berücksichtigen würde. Gleichzeitig wird auch die Gesamtsituation in Deutschland von einer Mehrheit der Menschen als „ungerecht“ empfunden (Gaiser; Gille; Krüger ; de Rijke 2000: 19; Kister 2006). Dieses Meinungsbild existierte in diesem Zusammenhang bereits vor den im Jahr 2003 eingeleiteten umfassenden wirtschaftlichen und sozialen Reformmaßnahmen in Deutschland durch die so genannte Agenda 2010 der Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder. Die Politikverdrossenheit wird auch auf die aus Sicht vieler Bürger unzureichende demokratische Einflussmöglichkeit im repräsentativen System der Bundesrepublik zurückgeführt . So glauben offenbar zunehmend weniger Deutsche daran, durch ihre Wahlentscheidung die politische Entscheidungsfindung tatsächlich beeinflussen zu können. Diese Kritik bezieht sich auch auf die ausschließliche Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten durch die politischen Parteien (Friedrich-Schiller-Universität Jena: 2004; Gaiser; Gille; Krüger; de Rijke 2000: 12, Watzal 2007: 2). Diese zunehmende Distanz und die daraus möglicherweise resultierende Abwendung von politischen Beteiligungsformen korreliert auch mit einem abnehmenden Interesse der Bürger an Politik.3 Trotz der öffentlichen Diskussionen der vergangenen Jahre über die Chancen der Bürger- und Zivilgesellschaft sowie der Forderungen nach mehr Partizipationsmöglichkeiten für die Bürger rangiert offensichtlich bei der überwiegenden Mehrheit der Bürger - überproportional bei den unter 30-Jährigen - die Politik traditionell in der Wichtigkeitsskala deutlich hinter anderen Lebensbereichen wie der privaten Lebensführung sowie Ausbildung und Beruf. Andererseits existiert trotz aller Distanz in der Bevölkerung ein Bewusstsein dafür, dass die Rahmenbedingungen für die eigenen Lebensbedingungen durch die Politik grundsätzlich mit beeinflusst werden. Der weitere Erfolg des parlamentarischen Systems der Bundesrepublik wird auch davon abhängen, dass sich die Bürger weiterhin in das demokratischen Gemeinwesen einbringen. Wenn allerdings zum Beispiel bei Wahlen politische Programme von Parteien und die zur Wahl stehenden Kandidaten sowie deren Positionen offensichtlich einer zunehmenden Anzahl von Bürger nicht bekannt sind oder sogar nicht einmal mehr auf ihr Interesse stoßen, stehen nicht nur die sich zur Wahl stellenden politischen Parteien und ihre Kandidaten , sondern die gesamte Demokratie zukünftig vor großen Herausforderungen (Gaiser; Gille; Krüger; de Rijke 2000: 12/ 13; Watzal 2007: 2). 3 Einige Beobachter wenden dabei ein, dass das Interesse an der Politik durch die Verdrossenheit über die Politik abnehmen würde. - 6 - Der feststellbare Trend der zunehmenden Verdrossenheit der Bürger gegenüber den politisch Verantwortlichen wird nach Ansicht von Wissenschaftlern auch durch die veränderte mediale Darstellung von Politik befördert. Das Bild von der Politik und von Politikern, welches die Menschen gewinnen, wird immer stärker insbesondere vom Fernsehen geprägt. Dessen zum Teil veränderte Berichterstattung in Rahmen neuer Sendeformate – wie zum Beispiel politische Talkshows – führe auch zu einer Boulevardisierung4 der Politik (Kleinert 2007: 7). 3. Zu Erscheinungsformen und Indikatoren der Politikverdrossenheit Die wissenschaftliche Forschung macht Politikverdrossenheit und ihre möglichen Folgen unter anderem an der politischen Grundstimmung in der (Wahl-) Bevölkerung gegenüber Parteien und Politikern, an bestimmten Entwicklungen bei Wahlen - wie zum Beispiel der Höhe der Wahlbeteiligung, dem Grad der Wahlenthaltung oder dem Abschneiden von Kleinst- und Protestparteien - sowie der Mitgliederentwicklung der Parteien fest, da sich politischer Verdruss in den meisten Fällen als Entzug politischer Unterstützung äußert (Huth 2003: 11). Seit den 1990er Jahren besteht in der Bundesrepublik in Bezug auf das öffentliche Ansehen von Parteien und Politikern in der Bevölkerung laut der Demokopie ein historischer Tiefstand, auch wenn der jeweils amtierende Kanzler in der Regel – wie derzeit auch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel der Fall – über das eigentliche Regierungslager hinaus bei den allen Befragten beachtliche Zustimmungswerte erzielt. Sowohl beim Wechsel zur rot-grünen Koalition 1998 als auch beim Amtsantritt der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD 2005 wurde jedoch der verhaltene Optimismus der ersten Wochen und Monate in der Wahlbevölkerung schon bald wieder von einer kritischen Grundstimmung abgelöst, so dass bei Teilen der Wahlbevölkerung offenbar ein tiefes Misstrauen gegenüber der Politik besteht (Kleinert 2007: 3; 7/8; Arzheimer 2002: 16/17). Dieses scheint auch dann fortzubestehen, wenn sich unter anderem Wirtschaftswachstum , staatliche Steuereinnahmen und die Zahl der Arbeitslosen positiv entwickeln , wie es in der Bundesrepublik seit dem Jahr 2005 der Fall ist (Kister 2006). Als Zeichen von Politikverdrossenheit wird auch gewertet, dass sich seit den 1990er Jahren die Identifikation der Bürger mit einer bestimmten Partei abschwächt , der Anteil der Stammwähler abnimmt, der Anteil der Wechselwähler ansteigt und der Zentralisierungsgrad des Parteiensystems in Hinblick auf die bisherige Dominanz der beiden Volksparteien CDU und SPD zurück geht. Allerdings trägt zu dieser Entwicklung nicht alleine die Politikverdrossenheit bei, sondern auch andere Faktoren wie zum Beispiel 4 Hierzu gehören u.a. die unterhaltsame Vermittlung von politischen Zusammenhängen und die Reduzierung der Komplexität von politischen Themen auf wenige Kernsätze. - 7 - die Erosion bisheriger so genannter sozialmoralischer Milieus in der Wahlbevölkerung (Schulze 2007; Lösche 2002: 360/361). Als bisherige Höhepunkte dieses zuletzt genannten Trends können die Bundestagswahl 2005 – als CDU/CSU und SPD auf zusammen weniger als 70 % der abgegebenen Stimmen kamen – sowie die Landtagswahl in Sachsen im Jahr 2004 – als CDU und SPD zusammen lediglich noch ca. 51 % der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen konnten – angesehen werden (Election.de 2008). Parallel dazu nehmen seit einigen Jahren bei Wahlen die Stimmen kleinerer Parteien – jenseits des etablierten Parteiensystems – zu. Freilich gelang ihnen bisher nur in seltenen Fällen der Einzug in die Parlamente. Die zunehmenden Wahlerfolge von bisherigen Kleinstparteien werden ebenso wie die Wahl von Protestparteien – wie zum Beispiel die Wahl von rechtsextremen Parteien5 – auf eine bewusste Wahlentscheidung zurückgeführt , die sich auch aus Unzufriedenheit und Verdrossenheit gegenüber den etablierten Parteien und Politikern und deren Politik speist (Schulze 2007; Lösche 2002: 360/361). Das gilt möglicherweise auch für die seit Jahren sinkende Wahlbeteiligung sowie steigende Wahlenthaltung bei Landtags-, Bundestags- und Europawahlen. Offenbar aus grundsätzlicher Unzufriedenheit mit der politischen, sozialen und ökonomischen Situation , aber auch mit der eigenen persönlichen Situation, nehmen zunehmend Wahlberechtigte nicht mehr ihr Bürgerrecht des Wählens wahr. (Bundestag/Wissenschaftliche Dienste 2006; Arzheimer 2002: 16/17; Gaiser; Gille; Krüger; de Rijke 2000: 13) So machten bei den Bundestagwahlen seit 1990 im Durchschnitt rund 21 % der Wahlberechtigten von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch. Bei den drei Europawahlen seit 1990 enthielten sich sogar durchschnittlich fast 51 % der Bürger ihrer Stimme. Erstmals bei bundesweiten Abstimmungen seit 1949 lag die Wahlbeteiligung sowohl 1999 als auch 2004 unter der 50-%-Grenze. Bei den Landtagswahlen der vergangenen fünf Jahre blieb die Wahlbeteiligung stets unter der 70-%-Grenze, davon bei zwölf Landtagswahlen sogar unter der 60-%-Grenze. Mit einer Wahlbeteiligung von 44,4 % bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Jahr 2006 war erstmals überhaupt bei Landtagswahlen in der Bundesrepublik die Gruppe der Nichtwähler größer als die der Wähler. Die Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl 2006 in Baden-Württemberg war mit 53,4 % die niedrigste , die in den alten Ländern bei Landtagswahlen bisher gemessen wurde (Deutscher Bundestag/Wissenschaftliche Dienste 2006; Election.de 2008). In der seit Jahren sinkenden Anzahl der Mitglieder insbesondere der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien – derzeit sind ca. über 1,4 Millionen Menschen Mitglied bei CDU, CSU, SPD, FDP, Die Linke oder Bündnis 90/Die Grünen – wird eine weitere 5 Wie zum Beispiel der Einzug der NPD in die Landtage in Sachsen im Jahr 2004 sowie in Mecklenburg -Vorpommern im Jahr 2006. - 8 - Erscheinung der Politikverdrossenheit gesehen. Alle Parteien haben seit 1990 in unterschiedlicher Intensität an Mitgliedern eingebüßt. So ist der Organisationsgrad – der Mitglieder-Wähler-Quotient – in Deutschland auf unter vier Prozent gesunken, das heißt, in Deutschland sind weniger als vier Prozent der Wähler gleichzeitig Parteimitglieder (Lösche 2002: 360/361; .Hildebrandt 2006; Arzheimer 2002: 17). Insbesondere die beiden Volksparteien SPD und CDU, die mit Abstand die meisten Parteimitglieder in Deutschland in ihren Reihen vereinigen, verzeichnen seit annähernd zwei Jahrzehnten einen starken Mitgliederschwund. So verlor die SPD – die derzeit ca. 534.000 Mitglieder hat – seit der Deutschen Einheit rund 40 % ihrer Mitglieder.6 Bei der CDU – die momentan ca. 533.000 Mitglieder hat - reduzierte sich die Zahl der Mitglieder im selben Zeitraum um 25%. Insbesondere der Anteil der jüngeren Parteimitglieder an der Gesamtmitgliedschaft ist absolut wie auch relativ stark zurückgegangen, so dass die Parteien auch eine große Überalterung verzeichnen. So liegt das Durchschnittsalter bei beiden Parteien bei ca. 56 Jahren (Kleinert 2007: 3 und 7; Lösche 2002: 360/361). 4. Zum öffentlichen Ansehen des Politikers Das öffentliche Prestige von Politikern ist laut verschiedenen demoskopischen Befragungen im Vergleich zu anderen Berufsgruppen oder Berufsständen durch einen niedrigen Grad des Ansehens und des Vertrauens gekennzeichnet. Auch politische Parteien genießen im Vergleich zu anderen Verbänden, Institutionen oder Einrichtungen offenbar seit geraumer Zeit nur wenig Sympathie in Deutschland (Gaiser; Gille; Krüger; de Rijke 2000: 18/19). Laut der aktuellen “Allensbacher Berufsprestige-Skala 2008" des Allensbacher Instituts für Demoskopie („Allensbach“) ist das Ansehen von Politikern im Vergleich zu 16 anderen Berufsgruppen in Deutschland mit sechs Prozent auf einem sehr niedrigen Niveau . Ein geringeres Ansehen als die Politiker genießen demnach nur noch die Buchhändler mit fünf Prozent. Die Frage, die das Institut für Demoskopie Allensbach dabei seit 1966 in einem Mehrjahresrhythmus an die Befragten richtet, lautet: "Hier sind einige Berufe aufgeschrieben. Könnten Sie bitte die fünf davon heraussuchen, die Sie am meisten schätzen, vor denen Sie am meisten Achtung haben?" Den Befragten wird dabei eine Liste mit siebzehn verschiedenen Berufen bzw. Berufsgruppen7 vorlegt, die im Jahr 2008 bei der Ansehensfrage prozentual folgendermaßen abschnitten8: Arzt (78 %), Pfarrer /Geistlicher (39 %), Hochschulprofessor (34 %), Grundschullehrer (33 %), Unter- 6 Alleine in der rot-grünen Regierungszeit auf Bundesebene verlor die Partei zwischen 1998 bis 2005 25 % ihrer Mitglieder. 7 Hauptsächlich akademische Berufe. 8 Der prozentuale Wert in den Klammern spiegelt jeweils den Grad des Ansehens wider. - 9 - nehmer (31%), Rechtsanwalt (27 %), Ingenieur (27 %), Botschafter/Diplomat (25 %), Atomphysiker (25 %), Apotheker (24 %), Direktor in einer großen Firma (17 %), Studienrat (14 %), Journalist (11 %), Offizier (8 %), Gewerkschaftsführer (8 %), Politiker (6 %) und Buchhändler (5 %) (Institut für Demoskopie Allensbach 2008). Laut Aussage von Allensbach sei bei einer Langzeitbetrachtung der verschiedenen Allensbacher Berufsprestige-Skalen der vergangen Jahre der Beruf des Politikers von einem fortdauernden Prestigeverlust gekennzeichnet. Zwar sei das Ansehen der Politiker als Berufsgruppe im Vergleich zu anderen genannten Berufsgruppen niemals sehr groß gewesen9, doch würde zurzeit mit gesamtdeutsch noch 6 % der Befragten die Wertschätzung des Politikerberufs auf dem niedrigsten – von Allenbach - je gemessenen Stand stehen (Solm-Laubach 2008; Institut für Demoskopie Allensbach 2008). Der „GfK-Vertrauensindex“ von „GfK Custom Research“10 untersucht seit 2003 einmal pro Jahr das Vertrauen der Bürger in die Berufsgruppen der Juristen, Journalisten, Kirchenvertreter , Lehrer, Manager, Mediziner, Militärangehörige, Polizisten und Politiker in 18 verschiedenen Ländern anhand eines Vertrauensindexes.11 In der letzten Befragung im Jahr 2007 waren insgesamt - wie in den Jahren zuvor - Ärzte und Pädagogen die am meisten akzeptierte Berufsgruppe. Mit einem Durchschnittswert von 3,2 bzw. 3,1 verbuchten sie über alle Länder hinweg den höchsten Vertrauensindex, der auf einer Skala von 1 „misstraue sehr“ bis 4 „vertraue sehr“ basiert. Es folgten Polizei (Index: 2,9), Militär (Index: 2,9), Kirchenvertreter (Index: 2,7), Juristen (Index: 2,4), Journalisten (Index: 2,2), Manager (Index: 2,1) sowie die Berufsgruppe der Politiker (Index: 1,7) (GfK Custom Research 2007). Prozentual12 gesehen hielten von allen Befragten 83 % Mediziner für vertrauenswürdig, es folgten Lehrer (mit 82 %), Polizisten (mit 71 %), Militärs (mit 70 %), Kirchenvertreter (mit 59 %), Juristen (mit 48 %), Journalisten (mit 39 %), Manager (mit 34 %) sowie Politiker (mit 17 %) (GfK Custom Research 2007). In Deutschland erhielten die Berufsgruppen von den Befragten folgende Bewertungen: Mediziner (mit 85 %), Lehrer (mit 82 %), Polisten (mit 82 %), Militärs (72 %), Kirchenvertreter (mit 72 %), Juristen (mit 60 %), Journalisten (mit 31 %), Manager (mit 15 %) sowie Politiker (mit 10 %). Damit schnitten in Deutschland die Berufsgruppen Journalisten , Manager und Politiker in der Frage der Vertrauenswürdigkeit im Vergleich zum ermittelten Gesamtwert aller Länder unterdurchschnittlich ab. In Deutschland – 9 Der bisherige Höhepunkt des allgemeinen Berufsansehens für Politiker bei den Befragten wäre bisher Anfang der 1970er Jahre mit 27 % gewesen. 10 Nach eigenen Angaben ist die GfK Gruppe Deutschlands größtes Marktforschungsunternehmen. 11 17 europäische Ländern sowie die USA. 12 Das heißt, der Anteil der Befragten, die der jeweiligen Berufsgruppe „traut“. - 10 - wie auch in Frankreich (10 %) sowie mit annährend gleichem Wert auch in Polen (11 %) – vertrauen demnach 10 % der Befragten ihrer politischen Führung. Schlechter fiel dieser Wert noch in Italien (mit 9 %), in Tschechien (mit 9 %) sowie in Bulgarien (8 %) aus (GfK Custom Research 2007). 5. Zur Erwartungshaltung der Bevölkerung gegenüber den Politikern Die repräsentative Meinungsforschung trägt bei Ihren Befragungen über die Wertschätzung von Politikern und politischen Parteien auch Daten zusammen, die Auskunft über die Erwartungshaltungen der Menschen an die politischen Repräsentanten in der Bundesrepublik geben. So formulierte zum Beispiel die überparteiliche „Initiative Pro Dialog “13 im Jahr 2006 aus den Ergebnissen der von ihr in Auftrag gegebenen Meinungsumfrage zum Thema „Das Verhältnis der Bürger zu Staat und Politik. Politikverdrossenheit in Deutschland“ auch das „Idealbild“ eines Politikers aus Sicht der Bevölkerung : „Die Erwartungen der Bürger an die Repräsentanten des politischen Systems sind aber auch sehr hoch gesteckt. Jeweils mehr als neun Zehntel wünschen sich, dass Politiker sich für das Land einsetzen, dabei verantwortungsvoll und mit Sachkunde zu Werke gehen, politischen Weitblick und Durchsetzungskraft beweisen, ohne dass Vertrauenswürdigkeit , Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit Schaden nehmen. Fast genau so wichtig sind der Bevölkerung Bürgernähe und Ehrgeiz. Dass die Politiker bei alledem auch noch sympathisch bleiben, erwarten immerhin noch zwei Drittel der Bundesbürger.“ (Initiative Pro Dialog 2006: 7). Gemäß dieser Repräsentativerhebung wünschen sich die Bürger von einem politischen Repräsentanten auch mehr Bürgernähe sowie eine verständlichere Ausdrucksweise bei politischen Themen. Demnach würden es vier Fünftel der Bevölkerung begrüßen, wenn es mehr Möglichkeiten gäbe, mit führenden Politikern direkt zu sprechen. Dabei haben die Bürger gleichzeitig Zweifel, ob die Politiker diesem Wunsch in der Realität auch tatsächlich nachkommen würden. Zudem würden sich die Befragten von den Politikern wünschen, dass sie die stärkere Fähigkeit entwickeln würden, den Bürgern ihre Pläne und Vorstellungen verständlicher zu machen (Initiative Pro Dialog 2006: 13/14). Der Professor für Politikwissenschaft an der Fachhochschule für Verwaltung des Landes Hessen in Wiesbaden, Hubert Kleinert, formulierte in seinem Beitrag zum Thema „Abstieg der Parteiendemokratie“ in der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ im Jahr 2007 an die Politik in Deutschland gerichtete Vorschläge, die der Verdrossenheit über die Parteien und die politischen Repräsentanten entgegen wirken könnten: 13 Sie möchte nach eigener Darstellung den Dialog zwischen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft fördern und bürgernäher gestalten. - 11 - „Dazu müsste Politik (in Deutschland) freilich stärker, handlungsfähiger, identifizierbarer werden; zugleich müsste sich das mediale Bild von Politik verändern. Weniger Wahltermine, weniger Wahlkämpfe, Parteien, die identifizierbarer und kompromissfähiger zugleich sein müssten, weniger Umfragen, Politik- und Medienberater“ (Kleinert 2007: 10). 6. Zusammenfassung Politikverdrossenheit steht heute als ein Überbegriff für eine zunehmende Distanz und negative Einstellung von Bürgern insbesondere gegenüber der etablierten Politik sowie für ein Misstrauen gegenüber der Problemlösungskompetenz von politischen Parteien und Politikern. Diese Entfremdung zwischen Regierten und Regierenden ist weitgehend altersunabhängig und schließt – je nach empirischen Befunden - größere Teile der gesamten Bevölkerung ein. Allerdings sind wirtschaftlich und sozial besser gestellte Personengruppen weniger anfällig für den Verdruss als jene Bürger, die vergleichweise über ein niedrigeres Einkommen verfügen. Die seit fast zwei Jahrzehnten andauernde Vertrauenskrise in der Bundesrepublik könnte sich nach Meinung einiger Beobachter – insbesondere im Zusammenspiel mit einer möglichen sozial- und ökonomisch sehr kritischen Situation des Gesamtstaates – längerfristig zu einer Gefahr für das demokratische Gemeinwesen in Deutschland entwickeln. Noch ist die Unzufriedenheit mit Politikern und Parteien nicht zu einer allgemeinen Vertrauenskrise der Demokratie und ihrer Institutionen angewachsen, denn die Grundidee der Demokratie erhält in der Bevölkerung regelmäßig eine breite Zustimmung. Vor diesem Hintergrund steht gerade die etablierte Politik in der Bundesrepublik – auf die sich in erster Linie die Verdrossenheit der Menschen bezieht – vor der Aufgabe, eine Vertrauensbasis zu den kritisch eingestellten Bürgern wiederherzustellen. Dabei ist Verdrossenheit an Politik, Politikern und Parteien kein spezifisch deutsches Phänomenen, sondern eine internationale Erscheinung, die in unterschiedlicher Intensität in allen westlichen Industriestaaten verbreitet ist. Allerdings besitzt die Politik-, Politiker- und Parteienverdrossenheit in Deutschland im Vergleich zu anderen westlichen Demokratien eine lange und tief verwurzte historische Tradition in der politischen Kultur. (Arzheimer 2002: 16/17; Friedrich-Schiller-Universität Jena: 2004; Kleinert 2007: 7, Gaiser; Gille; Krüger; de Rijke 2000: 12/13 und 20; Lösche 2002: 360/361; Watzal 2007; Huth 2003: 14/15; 31). - 12 - 7. Literaturverzeichnis - Arzheimer, Kai (2002). Politikverdrossenheit. Bedeutung, Verwendung und empirische Relevanz eines politikwissenschaftlichen Begriffs, Wiesbaden, Online- Version: http://www.politik.uni-mainz.de/kai.arzheimer/politikverdrossenheit.pdf [Stand: 21.04.2008]. - Deutscher Bundestag/Wissenschaftliche Dienste (2006). 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August 2007, Nürnberg, Online-Version: http://www.gfk.com/group/press_information/press_releases/001402/index.de.html - Hildebrandt, Tina (2006). Wir sind dann schon mal weg, in: Die ZEIT; Nr. 30, S.7, Online-Version: http://www.zeit.de/2006/30/Buergertum [Stand: 21.04.2008]. - Huth, Iris (2003). Politische Verdrossenheit, Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Westfälische Wilhelm-Universität zu Münster, Münster. - Initiative Pro Dialog (2006). Das Verhältnis der Bürger zu Staat und Politik. Politikverdrossenheit in Deutschland (Ergebnisse einer bundesweiten Repräsentativerhebung des Meinungsforschungsinstituts Dimap), Pressegespräch vom 14.12.2006, Online-Ausgabe: www.prodialog.org [Stand: 21.04.2008]. - Institut für Demoskopie Allensbach (2008). Grundschullehrer und Hochschulprofessoren haben an Berufsansehen gewonnen. Die Allensbacher Berufsprestige- Skala 2008 http://www.ifd-allensbach.de/news/prd_0802.html [Stand: 21.04.2008]. - Kister, Kurt (2006). 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