© 2017 Deutscher Bundestag WD 1 - 3000 - 048/16 Quellenlage zu einzelnen Aussagen in der Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages von 2005 Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 048/16 Seite 2 Quellenlage zu einzelnen Aussagen in der Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages von 2005 Aktenzeichen: WD 1 - 3000 - 048/16 Abschluss der Arbeit: 5. Januar 2017 Fachbereich: WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 048/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Pressezensur im Ersten Weltkrieg 4 3. Zensurvorgaben zum Thema Armenien 5 4. Verbot des Lepsius-Berichts über die Lage des Armenischen Volkes in der Türkei 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 048/16 Seite 4 1. Einleitung Grundlage dieses Sachstandes sind Fragen nach den Quellen einzelner Aussagen im Antrag „Erinnerung und Gedenken an die Vertreibungen und Massaker an den Armeniern 1915 – Deutschland muss zur Versöhnung zwischen Türken und Armeniern beitragen“, der am 15. Juni 2005 im Deutschen Bundestag von allen dort vertretenen Fraktionen eingebracht wurde.1 Darin findet sich folgende Passage: „Als der evangelische Theologe Dr. Johannes Lepsius am 5. Oktober 1915 im Deutschen Reichstag die Ergebnisse seiner im Juli/August 1915 in Istanbul durchgeführten Recherchen vortrug, wurde das gesamte Armenier-Thema von der deutschen Reichsregierung unter Zensur gestellt. Ebenso wurde 1916 von der deutschen Militärzensur die Dokumentation von Johannes Lepsius ‚Bericht über die Lage des Armenischen Volkes in der Türkei‘ verboten und beschlagnahmt.“2 Die Fragen beziehen sich auf die Quellen für diese Zensurbefehle und die Personen, die diese Befehle erteilt haben. 2. Pressezensur im Ersten Weltkrieg Zu Beginn des Ersten Weltkrieges galt im Deutschen Reich eigentlich eine weitgehende Pressefreiheit auf der Grundlage des Reichspressegesetzes vom 7. Mai 1874, das nur wenige Beschränkungen wie beispielsweise die Aufforderung zum Hochverrat oder Majestätsbeleidigung vorsah. Für den Kriegs- und Belagerungszustand blieben die vor Verabschiedung des Reichspressegesetzes bestehenden gesetzlichen Bestimmungen hinsichtlich der Presse bindend. Diese waren im preußischen Gesetz über den Belagerungszustand vom 4. Juni 1851 geregelt, das weiterhin Bestand hatte. Es trat mit der Versetzung des Reichsgebietes in den Kriegszustand am 31. Juli 1914 in Kraft. Paragraph 5 dieses preußischen Gesetzes beinhaltete die „Suspension“ des Rechts auf freie Meinungsäußerung, d.h. die Zensur. Deren Durchsetzung lag verfassungsgemäß beim Militär und der Vollzug bei den Militärbefehlshabern.3 Allgemeine Richtlinien für die Zensur gab es zu Beginn des Ersten Weltkrieges nicht. Ab August 1914 galt zunächst eine militärische Zensur für Veröffentlichungen, die die Weitergabe von strategischen und technischen Informationen an Kriegsgegner verhindern sollte.4 Schon bald wurde die Zensur weitreichend auch auf die politische Berichterstattung ausgedehnt, wobei es aufgrund 1 Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP: „Erinnerung und Gedenken an die Vertreibungen und Massaker an den Armeniern 1915 – Deutschland muss zur Versöhnung zwischen Türken und Armeniern beitragen“. BT-Drs. 15/5689 vom 15. Juni 2005. 2 Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP: „Erinnerung und Gedenken an die Vertreibungen und Massaker an den Armeniern 1915 – Deutschland muss zur Versöhnung zwischen Türken und Armeniern beitragen“. BT-Drs. 15/5689 vom 15. Juni 2005. Seite 4. 3 Vgl. Eisermann, Thilo. Pressephotographie und Informationskontrolle im Ersten Weltkrieg. Deutschland und Frankreich im Vergleich. Hamburg. 2000. Seite 46/47. 4 Vgl. Brocks, Christine. Unser Schild muss rein bleiben. Deutsche Bildzensur und –propaganda im Ersten Weltkrieg , Militärgeschichtliche Zeitschrift. Band 67, Heft 1. Juni 2008. Seite 28. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 048/16 Seite 5 fehlender Richtlinien anfangs zu einer uneinheitlichen Handhabung der Zensur kam. Das preußische Kriegsministerium und die Oberzensurstelle des Kriegspresseamtes erließen nach und nach eine Vielzahl von Zensurverfügungen, die zusammengestellt erstmals 1915 in Buchform als alphabetischer Stichwortkatalog von den Redaktionen bezogen werden konnten. Dieses Zensurbuch sollte der Presse die Arbeit „erleichtern, indem es ihr darüber Aufschluß gibt, welche Veröffentlichungen im vaterländischen Interesse unterbleiben müssen“.5 Es wurde in nummerierter Stückzahl verteilt. Die Redaktionen hatten es vertraulich zu behandeln und mit größtmöglicher Sorgfalt aufzubewahren.6 Ein weiteres zentrales Instrument der Pressepolitik und der Zensur waren seit August 1914 zunächst tägliche „Sprechstunden“ für die Vertreter der Berliner Presse auf Einladung des Generalstabes . Diese entwickelten sich schon bald zu mehrmals wöchentlich stattfindenden Pressebesprechungen , an denen auch Vertreter weiterer Behörden und der Provinzpresse teilnahmen. Sie wurden zunehmend als „Pressekonferenzen“ bezeichnet. Dabei gab es auch vertrauliche Mitteilungen und „Mitteilungen nur zur persönlichen Unterrichtung“ mit Informationen, die nicht öffentlich verwendet werden durften.7 3. Zensurvorgaben zum Thema Armenien In der dritten und letzten Auflage des „Nachschlagebuchs für die Pressezensur“ vom 1. August 1917 sind unter mehr als 1.000 Stichworten die wichtigsten Zensurverfügungen zusammengefasst . Dort steht unter „Armenien“: „Die armenische Frage darf nicht in einer der Türkei nachteiligen Weise behandelt werden. Veröffentlichungen hierüber sind nur mit ausdrücklicher Zustimmung des O.Z. zulässig.“8 O.Z. ist die Abkürzung für die im Oktober 1914 eingerichtete Oberzensurstelle in der preußischen Armee.9 Bei den regelmäßigen Pressekonferenzen wurden ebenfalls Anweisungen gegeben, die von Kurt Mühsam, dem damaligen Direktor der „Berliner Nationalzeitung“, in seinem Buch „Wie wir belogen wurden“ auszugsweise dokumentiert wurden.10 Demnach wurden die Journalisten in einer Pressekonferenz am 7. Oktober 1915 ermahnt: „Über die Armeniergreuel ist folgendes zu sagen: 5 Vgl. Eisermann, Thilo. Pressephotographie und Informationskontrolle im Ersten Weltkrieg. Deutschland und Frankreich im Vergleich. Hamburg. 2000. Seite 56/57. 6 Vgl. Altenhörner, Florian. Kommunikation und Kontrolle. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten in Berlin und London 1914/1918. München. 2008. Seite 74. 7 Vgl. Altenhörner, Florian. Kommunikation und Kontrolle. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten in Berlin und London 1914/1918. München. 2008. Seite 70; sowie Wilke, Jürgen. Presseanweisungen im zwanzigsten Jahrhundert: Erster Weltkrieg, Drittes Reich, DDR. Köln 2007. Seite 20 – 24. 8 Nachschlagewerk für die Pressezensur. Herausgegeben von der Oberzensurstelle des Kriegspresseamtes. Dritte Auflage. Abgeschlossen am 1. August 1917. Berlin. 1917. Seite 10. 9 Vgl. Altenhörner, Florian. Kommunikation und Kontrolle. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten in Berlin und London 1914/1918. München. 2008. Seite 53/54. 10 Wilke, Jürgen. Presseanweisungen im zwanzigsten Jahrhundert: Erster Weltkrieg, Drittes Reich, DDR. Köln. 2007. Seite 106. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 048/16 Seite 6 Unsere freundschaftlichen Beziehungen zur Türkei dürfen durch diese innertürkische Verwaltungsangelegenheit nicht nur nicht gefährdet, sondern im gegenwärtigen, schwierigen Augenblick nicht einmal geprüft werden. Deshalb ist es einstweilen Pflicht, zu schweigen.“11 Bei einer weiteren Pressekonferenz am 23. Dezember 1915 sei den Pressevertretern empfohlen worden: „Über die armenische Frage wird am besten geschwiegen.“12 Angaben zu konkreten Zensurbefehlen oder Personen, die solche erteilt haben, sind in den genannten Quellen nicht zu finden. 4. Verbot des Lepsius-Berichts über die Lage des Armenischen Volkes in der Türkei Laut einem thematischen Lexikon im mehrbändigen Werk „Deutschland, Armenien und die Türkei 1895 – 1925“, in dem Dokumente und Zeitschriften des Dr. Johannes-Lepsius-Archivs an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ausgewertet wurden, erfolgte das Verbot des im Juli 1916 als Buch erschienenen Berichts durch eine Beschlagnahmeverordnung des Oberkommandos in den Marken vom 7. August 1916.13 Dieses Oberkommando war eine Behörde der Preußischen Armee, deren Name auf das Gebiet der früheren Mark Brandenburg zurückgeht. Zum Zeitpunkt des Verbots sollen bereits 20.000 Exemplare in ganz Deutschland per Post versandt worden sein, vor allem an die Mitglieder der von Lepsius gegründeten Deutschen Orient- Mission und an protestantische Pfarrämter. Von weiteren 500 gedruckten Exemplaren, die für Mitglieder des Reichstages, des württembergischen Landtages und Redaktionen der großen deutschen Tageszeitungen bestimmt gewesen sein sollen, sollen 191 Exemplare durch den Berliner Polizeipräsidenten beschlagnahmt worden sein.14 * * * 11 Vgl. Mühsam, Kurt. Wie wir belogen wurden. Die amtliche Irreführung des deutschen Volkes. München. 1918. Seite 76. 12 Vgl. Mühsam, Kurt. Wie wir belogen wurden. Die amtliche Irreführung des deutschen Volkes. München. 1918. Seite 79. 13 Vgl. Goltz, Hermann; Meissner, Axel. Thematisches Lexikon zu Personen, Institutionen, Orten, Ereignissen; in: Deutschland, Armenien und die Türkei 1895 – 1925. Dokumente und Zeitschriften des Dr. Johannes-Lepsius- Archivs an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Teil 3. Seite 72. 14 Vgl. Pehlivanian, Meliné (Hrsg). Armeni syn die Menschen genannt – eine Kulturbegegnung in der Staatsbibliothek . Begleitband zur Ausstellung „Armeni syn die Menschen genannt“ in der Staatsbibliothek zu Berlin vom 16. März bis 29. April 2000. Berlin. 2000. Seite 182; sowie Stark, Michael. Editorische Hinweise zum Bericht über die Lage des Armenischen Volkes in der Türkei auf der Internetseite „Literaturkritik.de“, abrufbar unter: http://literaturkritik.de/public/artikel.php?art_id=1010&ausgabe=26 (Stand: 5. Januar 2017).