© 2016 Deutscher Bundestag WD 1 - 3000 - 045/16 Einfluss von Meinungsumfragen und Demoskopien auf Wählerverhalten und Wahlergebnisse Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 045/16 Seite 2 Einfluss von Meinungsumfragen und Demoskopien auf Wählerverhalten und Wahlergebnisse Aktenzeichen: WD 1 - 3000 - 045/16 Abschluss der Arbeit: 01.12.2016 Fachbereich: WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 045/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Hypothesen zur Wirkung von Meinungsumfragen und Demoskopien 4 3. Empirische Befunde 6 4. Regulierung von Meinungsumfragen 8 5. Fazit 9 6. Literaturverzeichnis 11 7. Anlagenverzeichnis 14 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 045/16 Seite 4 1. Einleitung Die US-Wahl am 8. November 2016 hat erneut die Debatte angefacht, ob Meinungsumfragen das Wählerverhalten und somit die Wahlergebnisse beeinflussen. In Spiegel-Online hieß es: „ Die ständigen Veröffentlichungen der neuesten Umfragen aus den Bundesstaaten könnte manchen US-Wähler kurzfristig beeinflusst haben. Trump-Wähler fühlten sich womöglich motiviert, unbedingt wählen zu gehen, weil Hillary Clinton bis zuletzt als klare Favoritin galt. Und Anhänger der Demokraten, vor allem jene, die mit Clinton fremdelten, blieben eventuell zu Hause, weil die Sache ja angeblich gelaufen war.“1 In Deutschland wurde das Thema zuletzt vor der Bundestagswahl 2013 kontrovers diskutiert, als das ZDF entschied, die bisher von allen öffentlich-rechtlichen Sendern eingehaltene freiwillige Veröffentlichungssperre von Meinungsumfragen im Fernsehen zehn Tage vor der Wahl zu brechen . Am Donnerstag vor der Wahl strahlte der Sender nochmals aktuelle Umfrageergebnisse aus. Dies stieß auf massive Kritik und wurde teils als Grund für den Nichteinzug der FDP in den Bundestag angeführt2. Stärkere Volatilität, geringere Parteibindung und kurzfristigere Wahlentscheidungen mehrten den Einfluss von Meinungsumfragen auf die Wählerinnen und Wähler, so die Annahme3. Ob Meinungsumfragen und Demoskopien allerdings einen messbaren Einfluss auf das Wählerverhalten und damit auf die Wahlergebnisse haben, soll im Folgenden genauso erörtert werden wie die Frage, ob Meinungsumfragen im Vorlauf von Wahlen zukünftig reguliert werden sollten. 2. Hypothesen zur Wirkung von Meinungsumfragen und Demoskopien In der Literatur lassen sich verschiedene Hypothesen zur Wirkung von Meinungsumfragen auf das Wählerverhalten finden. Die Forscher beschäftigen sich zudem damit, wie Umfragen sich auf Wahlteilnahme und Wahlentscheidung auswirken. Zur Wahlteilnahme gibt es vier verschiedene Hypothesen: die Mobilisierungshypothese die Bequemlichkeitshypothese die Defätismushypothese die Lethargiehypothese 1 Dambeck, Hagen/Henrichs, Stotz: Kaum zu glauben, Spiegel Online, 10.11.2016 (zuletzt abgerufen am 28.11.2016) (s. Anhang). 2 Hoffmann, Hanna: Beeinflussen veröffentlichte Umfrageergebnisse die Wählerschaft?. In: T. Faas, Demokratie und Demoskopie, S. 97, 2017. 3 Faas, Thorsten: Demoskopische Befunde – ihre Hintergründe, ihre Verarbeitung, ihre Folgen: einige (ein)leitende Überlegungen. In: T. Faas, Demokratie und Demoskopie, S. 20, 2017. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 045/16 Seite 5 Laut Mobilisierungshypothese ist die Wahlbeteiligung höher, wenn mehrere Parteien oder mögliche favorisierte Koalitionen laut Meinungsumfragen gleichauf liegen. Der einzelne Wähler hält seine Stimme entscheidend für den Wahlausgang4. Die Defätismushypothese nimmt an, dass die potenziellen Wähler einer schwächeren Partei nicht mehr zur Wahl gehen, da sie im Vergleich zur Mobilisierungshypothese genau das Gegenteil annehmen 5. Die Wähler gehen davon aus, dass das Wahlergebnis schon feststeht und sehen daher keinen Mehrwert in ihrer Stimmabgabe6. Der Bequemlichkeitshypothese liegt das Szenario zugrunde, dass laut Meinungsumfragen ein Sieger schon feststeht bzw. der Ausgang der Wahl als sicher erscheint. Unentschlossene Wähler geben dann erst gar nicht ihre Stimme ab, da sie sich keiner Partei besonders zugehörig fühlen und davon ausgehen, dass ihre Stimme keine Änderung des Ergebnisses herbeiführen würde7. Die Lethargiehypothese geht ebenfalls von der Annahme aus, dass laut Meinungsumfragen der Ausgang der Wahl als sicher erscheint und sich schon vorab ein klarer Sieger absehen lässt8. Potentielle Wähler der Partei oder Koalition, die laut Meinungsumfragen als Sieger aus der Wahl hervorgehen wird, verzichten auf die Stimmabgabe, da die eigene Stimme für den Wahlausgang als nicht entscheidend betrachtet wird9. Bezogen auf die US-Wahl könnte diese Hypothese als Erklärung für die geringe Wahlbeteiligung und die Niederlage Clintons angeführt werden. Die Demokratin konnte deutlich weniger Wähler mobilisieren als angenommen, obwohl oder gerade weil die meisten Umfragen sie bereits als klare Siegerin gesehen hatten10. In Bezug auf die Wahlentscheidung unterscheiden die Wissenschaftler zwei Hypothesen: die Bandwagon-Hypothese und die Underdog-Hypothese. Legt man das deutsche Wahlsystem zugrunde , gibt es zwei weitere Modelle: die Fallbeilhypothese und die Leihstimmenhypothese. 4 Hoffmann, Hanna/Klein, Markus: Wirkungen von veröffentlichten Wahlumfragen auf die Koalitionserwartung, die Wahlbeteiligung und die Wahlentscheidung bei der Bundestagswahl 2009: Eine Mehrebenenanalyse auf der Grundlage der Rolling Cross-Section-Befragung der German Longitudinal Election Study (GLES). In: T. Faas, Koalitionen, Kandidaten, Kommunikation, S.222, 2014. 5 Hoffmann, Hanna: Wahlumfragen und Wähler, S.39-40, 2014. 6 Ebenda. 7 Gallus, Alexander: Beeinflussen Umfragen Wählerergebnisse? Demoskopie und Demokratie im neu-alten Widerstreit . In: E. Jesse et. al., Bilanz der Bundestagswahl 2013, S. 374, 2014. 8 Brettschneider, Frank: Wahlumfragen. In: A. Wüst, Politbarometer, S. 271, 2003. 9 Ebenda. 10 Behrens, Christoph: Der Zorn der weißen Männer, Süddeutsche Zeitung, 10.11.2016 (s. Anhang). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 045/16 Seite 6 Die Bandwagonhypothese geht davon aus, dass Menschen grundsätzlich gerne auf Seiten der Sieger einer Wahl stehen11. Demnach überdenken Wähler ihre eigentliche Wahlentscheidung aufgrund von Meinungsumfragen, die eine bestimmte Partei als Sieger der Wahl sehen und rücken letztlich von ihrer ursprünglichen Wahlentscheidung ab. Sie geben ihre Stimme der laut Meinungsumfragen siegreichen Partei, damit sie am Ende auf der Seite der siegreichen Partei stehen 12. Die Underdoghypothese geht von einer gegenteiligen Vermutung aus. Sie nimmt an, dass Wähler gerade der Partei ihre Stimmen geben, die laut Meinungsumfragen zurückliegt. Als Grund für diese Wahlentscheidung führt die Underdoghypothese Mitleid oder Trotz der Wähler an13. Die zwei weiteren Hypothesen wurden auf der Grundlage der Koalitionsdemokratie und der Fünf-Prozent-Sperrklausel entwickelt: Die Fallbeilhypothese besagt, dass Wähler ihrer bevorzugten Partei nur ihre Stimme geben, wenn diese laut Meinungsumfragen mit absoluter Sicherheit ins Parlament einzieht und nicht an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert14. Sollte laut Meinungsumfragen der Einzug ins Parlament nicht gewiss sein, votiert der Wähler für eine andere Partei, da er seine Stimme nicht verschenken will15. Die Leihstimmenhypothese bezieht sich auf die Koalitionsdemokratie in Deutschland. Die Wähler der großen Parteien leihen ihre Zweitstimme aus taktischen Erwägungen einer kleineren Partei , die sie sich als Koalitionspartner für die große Partei wünschen16. 3. Empirische Befunde Grundsätzlich gibt es zu der Frage, wie sich Meinungsumfragen und Demoskopien auf das Wählerverhalten und damit auf die Wahlergebnisse auswirken, immer noch vergleichsweise wenige empirische Forschungen. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass in großem Umfang 11 Hopmann, David Nicolas: Vom emotionalen Underdog zur bewussten Strategie: Wie Meinungsumfragen die Parteipräferenz der Wähler beeinflussen. In: T. Faas, Information – Wahrnehmung – Emotion, S. 53-54, 2010. 12 Hopmann, David Nicolas: Vom emotionalen Underdog zur bewussten Strategie: Wie Meinungsumfragen die Parteipräferenz der Wähler beeinflussen. In: T. Faas, Information – Wahrnehmung – Emotion, S. 53-54, 2010. 13 Dumrath, Christoph: Rechtsprobleme kurz vor der Wahl, S. 53-54, 1986. 14 Hoffmann, Hanna: Wahlumfragen und Wähler, S. 40, 2014. 15 Hoffmann, Hanna: Wahlumfragen und Wähler, S.39-40, 2014. 16 Brettschneider, Frank: Wahlumfragen. In: A. Wüst, Politbarometer, S. 273, 2003. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 045/16 Seite 7 nur amerikanische Studien zu den Auswirkungen existieren und diese sich aufgrund der unterschiedlichen Wahlsysteme nicht auf Deutschland übertragen lassen17. Zugleich lässt sich festhalten , dass die Hypothesen sich offensichtlich gegenseitig ausschließen bzw. neutralisieren, so dass empirisch kein Befund nachgewiesen werden kann18. Erwiesen ist, dass Meinungsumfragen und deren Ergebnisse einen starken Einfluss auf die Erwartungen der Wähler in Bezug auf den Ausgang der Wahl haben19. Strijbis, Paltins und Bouare stellen für die Bundestagswahl 2013 fest, dass Bündnis 90/ DIE GRÜ- NEN aufgrund der zunehmenden Unwahrscheinlichkeit einer rot-grünen Koalition Stimmenverluste hinnehmen mussten. Dies sei den Linken zugutegekommen20. Es ließen sich jedoch keine Anzeichen dafür finden, dass es zu einem Bandwagoneffekt zu Ungunsten der SPD gekommen sei oder dass die FDP vom Leihstimmeneffekt profitiert hätte21. Allerdings geben die Autoren zu, dass es weiterer Untersuchungen bedürfe22. Hoffmann sieht für die Bundestagswahlen 2005 und 2009 in ihren Studien keine Wirkungen veröffentlichter Wahlumfragen im Hinblick auf die Wahlbeteiligungsabsicht und im Hinblick auf die Wahlabsicht23. Es lasse sich zwar eine Aktivierung der Unentschlossenen zu Gunsten der SPD feststellen, jedoch bestehe keine Kausalität zu den Umfragewerten, vielmehr scheine es sich laut Hoffmann um enttäuschte Wähler der SPD zu handeln, die letztlich doch ihre Stimme der SPD gegeben hätten24. Gallus vermutet im Hinblick auf die Bundestagswahl 2013, dass es zu einem leichten Mobilisierungseffekt gekommen sei, da laut den Umfragen ein knappes Ergebnis wahrscheinlich erschien 17 Hoffmann, Hanna: Wahlumfragen und Wähler, S. 61-62, 2014; Holtz-Bacha, Christina: Politik und Wählerschaft unter Beobachtung: Die Rolle von Umfragen im Wahlkampf. In: C. Holtz-Bacha, Die Massenmedien im Wahlkampf , S. 210, 2015. 18 Faas, Thorsten: zur Wahrnehmung und Wirkung von Meinungsumfragen. In: APuZ 43-45/2014, S.9. 19 O. Strijbis et. al.: Haben die Umfragen das Wahlergebnis beeinflusst? Strategisches Wählen und Mitläufereffekte bei der Bundestagswahl 2013. In: Aktivierung und Überzeugung im Bundestagswahlkampf 2013, S. 177, 2015. 20 O. Strijbis et. al.: Haben die Umfragen das Wahlergebnis beeinflusst? Strategisches Wählen und Mitläufereffekte bei der Bundestagswahl 2013. In: Aktivierung und Überzeugung im Bundestagswahlkampf 2013, S. 178, 2015. 21 Ebenda. 22 O. Strijbis et. al.: Haben die Umfragen das Wahlergebnis beeinflusst? Strategisches Wählen und Mitläufereffekte bei der Bundestagswahl 2013. In: Aktivierung und Überzeugung im Bundestagswahlkampf 2013, S. 190-191, 2015. 23 Hoffmann, Hanna: Beeinflussen veröffentlichte Umfrageergebnisse die Wählerschaft?. In: T. Faas, Demokratie und Demoskopie, S. 105-107, 2017. 24 Hoffmann, Hanna: Beeinflussen veröffentlichte Umfrageergebnisse die Wählerschaft?. In: T. Faas, Demokratie und Demoskopie, S. 107, 2017. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 045/16 Seite 8 und die Wahlbeteiligung gegenüber der vorherigen Bundestagswahl leicht angestiegen sei25. Aber auch er gibt zu bedenken, dass es sich in der bisherigen Forschung um Plausibilitätsvermutungen handele, anstatt um empirisch belegte Gesetzmäßigkeiten26. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass alle bisherigen empirischen Befunde keine fundierten Aussagen im Hinblick auf den Einfluss von Meinungsumfragen und Demoskopien auf das Wahlverhalten und somit auf die Wahlergebnisse zulassen27. 4. Regulierung von Meinungsumfragen In verschiedenen europäischen Staaten gibt es Veröffentlichungsverbote von Meinungsumfragen im Vorlauf von Wahlen28. In Deutschland gibt es wegen der im Grundgesetz garantierten Meinungs-, Informations-, und Pressefreiheit grundsätzliche Bedenken, Meinungsumfragen zu regulieren. Verschiedene Autoren halten ein Verbot für nicht verfassungsgemäß, zum Teil mit der Einschränkung, dass mit empirisch gesicherten Befunden eine andere Beurteilung möglich wäre29. Eine erste Recherche in einschlägigen Datenbanken ergab, dass es derzeit offenbar keine neueren Studien dazu gibt. Brettschneider äußert darüber hinaus Bedenken hinsichtlich der Durchführung eines Verbotes, da die Informationen im Internet trotzdem verbreitet werden könnten30. Des Weiteren weist er darauf hin, dass es laut empirischen Befunden keine manipulativen Auswirkungen von Wahlumfragen auf das Wählerverhalten gebe31. 25 Gallus, Alexander: Beeinflussen Umfragen Wählerergebnisse? Demoskopie und Demokratie im neu-alten Widerstreit . In: E. Jesse et. al., Bilanz der Bundestagswahl 2013, S. 374, 2014. 26 Gallus, Alexander: Beeinflussen Umfragen Wählerergebnisse? Demoskopie und Demokratie im neu-alten Widerstreit . In: E. Jesse et. al., Bilanz der Bundestagswahl 2013, S. 374, 2014. 27 Schroth, Yvonne: Demoskopie: Rolle und Wirkungsweise. In: T. Faas, Demokratie und Demoskopie, S. 72, 2017; Hoffmann, Hanna, Wahlumfragen und Wähler, S. 61, 2014. 28 Chung, Robert: The Freedom to Publish Opinion Poll Results A Worldwide Update of 2012 (s. Anhang). 29 Benda, Ernst: Meinungsforschung und repräsentative Demokratie. In: Baier, Horst/Keppelinger, Hans Mathias /Reumann, Kurt: Öffentliche Meinung und sozialer Wandel – Public Opinion and Social Change, S. 96-104, 1981; Donsbach, Wolfgang: Stellungnahme. In: Parlamentarische Enquete Kommission (2002): S. 49-70; Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages, Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Veröffentlichung von Wahlprognosen?, WF III 186/96 (s. Anhang); Dumrath, Christoph: Rechtsprobleme kurz vor der Wahl, S. 175-209, 1986. 30 Brettschneider, Frank: Wahlumfragen. In: A. Wüst, Politbarometer, S. 277-278, 2003. 31 Ebenda. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 045/16 Seite 9 Anstatt einer Regulierung schlägt der Autor vor, Transparenz bei der Berichterstattung sowie Qualitätssicherung auf Seiten der Meinungsforschungsinstitute zu fordern, damit die Qualität der Informationen verbessert werde und der Wähler Zugang zu objektiven Informationen erhalte32. 5. Fazit Der Einfluss von Meinungsumfragen und Demoskopien auf das Wählerverhalten und Wahlergebnisse ist umstritten. In der Theorie gibt es verschiedene Modelle zur Wahlteilnahme, die einen Erklärungsansatz bieten : Die Mobilisierungshypothese33: Der Wähler wird bei eng beieinander liegenden Umfragewerten mobilisiert, seine Stimme abzugeben, da diese entscheidend sein könnte. Die Bequemlichkeitshypothese34: Laut Demoskopie steht ein Sieger fest, unentschlossene Wähler sehen von einer Stimmabgabe ab. Die Defätismushypothese35: Die bevorzugte Partei ist schwach in den Umfragen, aus Sicht dieser Wähler steht das Ergebnis schon fest und es bedarf ihrer Stimme nicht. Die Lethargiehypothese36: Der Sieg einer Partei steht gemäß den Umfragen fest, die Wähler dieser Partei denken, ihre Stimme sei nicht mehr entscheidend. Mit der eigentlichen Wahlentscheidung befassen sich vier weitere Hypothesen: Die Bandwagonhypothese37: Der Wähler will auf Seiten der siegreichen Partei stehen und wählt sie daher. 32 Brettschneider, Frank, Wahlumfragen. In: A. Wüst, Politbarometer, S. 278, 2003; Schroth, Yvonne, Demoskopie: Rolle und Wirkungsweise. In: T. Faas, Demokratie und Demoskopie, S. 85, 2017; Fehndrich, Martin, Wer darf was? Rechtliche Fragen zur Demoskopie in der Demokratie. In: T. Faas, Demokratie und Demoskopie, S. 94-95, 2017. 33 Hoffmann, Hanna/Klein, Markus: Wirkungen von veröffentlichten Wahlumfragen auf die Koalitionserwartung, die Wahlbeteiligung und die Wahlentscheidung bei der Bundestagswahl 2009: Eine Mehrebenenanalyse auf der Grundlage der Rolling Cross-Section-Befragung der German Longitudinal Election Study (GLES). In: T. Faas, Koalitionen, Kandidaten, Kommunikation, S.222, 2014. 34 Gallus, Alexander: Beeinflussen Umfragen Wählerergebnisse? Demoskopie und Demokratie im neu-alten Widerstreit . In: E. Jesse et. al., Bilanz der Bundestagswahl 2013, S. 374, 2014. 35 Hoffmann, Hanna: Wahlumfragen und Wähler, S.39-40, 2014. 36 Brettschneider, Frank: Wahlumfragen. In: A. Wüst, Politbarometer, S. 271, 2003. 37 Hopmann, David Nicolas: Vom emotionalen Underdog zur bewussten Strategie: Wie Meinungsumfragen die Parteipräferenz der Wähler beeinflussen. In: T. Faas, Information – Wahrnehmung – Emotion, S. 53-54, 2010. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 045/16 Seite 10 Die Underdoghypothese38: Der Wähler hat Mitleid oder wählt aus Trotz die laut Umfragen schwächste Partei. Hinzukommen für das deutsche Wahlsystem aufgrund der Fünfprozenthürde sowie der Koalitionsdemokratie : Die Fallbeilhypothese39: Die Wähler wollen ihre Stimme nicht verschenken, daher stimmen sie nur für Parteien, die mit Sicherheit ins Parlament einziehen. Die Leihstimmenhypothese40: Die Wähler der großen Parteien geben kleinen Parteien ihre Zweitstimme, um die favorisierte Koalition zu stärken. Alle bisherigen empirischen Befunde in Deutschland und den USA lassen keine belastbaren und zweifelsfreien Aussagen über den Zusammenhang zwischen dem Veröffentlichen von Meinungsumfragen und das Wählerverhalten sowie das Wahlergebnis zu41. Zusammenfassend ist festzustellen, dass es verschiedene theoretische Erklärungsansätze zum Einfluss von Meinungsumfragen und Demoskopien auf das Wählerverhalten und somit auf die Wahlergebnisse gibt. Dieser Einfluss ist bisher allerdings nicht empirisch belegt. Ohne belastbare empirische Befunde scheint eine Regulierung von Meinungsumfragen im Vorlauf von Wahlen auf rechtliche Bedenken zu stoßen. *** 38 Dumrath, Christoph: Rechtsprobleme kurz vor der Wahl, S. 53-54, 1986. 39 Hoffmann, Hanna: Wahlumfragen und Wähler, S. 40, 2014. 40 Brettschneider, Frank: Wahlumfragen. In: A. Wüst, Politbarometer, S. 273, 2003. 41 Faas, Thorsten: zur Wahrnehmung und Wirkung von Meinungsumfragen. In: APuZ 43-45/2014, S.9; Hoffmann, Hanna: Beeinflussen veröffentlichte Umfrageergebnisse die Wählerschaft?. In: T. Faas, Demokratie und Demoskopie , S. 109-111, 2017. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 045/16 Seite 11 6. 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In: Zeitschrift für Parlamentsfragen, Heft 4/2015, S. 746-759 Hoffmann, Hanna, Wahlumfragen und der Willensbildungsprozess der Wähler im Vorfeld der Bundestagswahl 2013, Zeitschrift für Parlamentsfragen, Heft 4/2015, S. 708-729 Hoops, Christian/Glantz, Alexander/Michael, Tobias: Innovationen im Rolling-Cross-Section-Design : neue Ansätze zur Analyse des Wahlverhaltens. In: Zeitschrift für Politikwissenschaft, Heft 2/2013, S. 213 – 240 Kruke, Anja: Fragen über Fragen: zur Geschichte der politischen Umfrage. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, 64. Jahrgang, 43-45/2014, S. 11-17. Petersen, Thomas: Staatliche Regulierung und die Freiheit der Umfrageforschung weltweit. In: Zeitschrift für Parlamentsfragen, Heft 4/2015, S. 760-777 Roth, Dieter/Wüst, Andreas: Missgeschick oder Trend? Zur Prognosetauglichkeit von Wahlumfragen . 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