© 2018 Deutscher Bundestag WD 1 - 3000 - 037/18 Aufarbeitung von Kindesmissbrauchsfällen in Australien Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 037/18 Seite 2 Aufarbeitung von Kindesmissbrauchsfällen in Australien Aktenzeichen: WD 1 - 3000 - 037/18 Abschluss der Arbeit: 26. Oktober 2018 (zugleich Abrufdatum der zitierten Internetadressen ) Fachbereich: WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 037/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Royal Commission into Institutional Responses to Child Sexual Abuse 4 3. Untersuchungsergebnisse 5 4. Reaktionen und Folgen 6 5. Anhang 7 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 037/18 Seite 4 1. Einleitung Wie in vielen Ländern bewegen Berichte über vielfachen Kindesmissbrauch in staatlichen und insbesondere kirchlichen Einrichtungen seit Jahren die australische Öffentlichkeit. Dies veranlasste die Regierung dazu, 2013 eine Königliche Kommission einzusetzen, die eine der „weltweit größten Untersuchungen von Missbrauchsfällen“ durchführte.1 In fünfjähriger Tätigkeit deckte die „Royal Commission into Institutional Responses to Child Sexual Abuse“ ein erschreckendes Ausmaß an Missbrauch und mangelnden Aufklärungswillen auf und formulierte weitgehende Vorschläge, um den – oftmals institutionell verschleierten – Missbrauch von Schutzbefohlenen zu verhindern. Als Reaktion darauf bat der australische Premierminister Scott Morrison Betroffene und deren Angehörige am 22. Oktober 2018 öffentlich um Entschuldigung und kündigte weitreichende Maßnahmen an.2 Vor diesem Hintergrund bildet die vorliegende Dokumentation die Arbeitsweise und die wichtigsten Ergebnisse der „Royal Commission into Institutional Responses to Child Sexual Abuse“ ab. Darüber hinaus werden sowohl staatliche als auch kirchliche Reaktionen auf den Kommissionsbericht kurz vorgestellt. Zudem ist eine aktuelle Pressedokumentation beigefügt. 2. Royal Commission into Institutional Responses to Child Sexual Abuse Am 12. November 2012 kündigte die damalige Premierministerin Julia Gillard an, den zuständigen Generalgouverneur des Australischen Bundes, um die Einsetzung einer Königlichen Kommission zu bitten, woraufhin dieser am 11. Januar 2013 sechs Kommissare ernannte, die die Untersuchung leiteten.3 Derartige Königliche Kommissionen sind staatliche Gremien, die häufig umstrittene oder komplexe Fragen von öffentlicher Bedeutung untersuchen und dazu mit weitreichenden gerichtsähnlichen Kompetenzen ausgestattet sind.4 Die Arbeitsgrundlage der Kommission bildeten die in der Berufungsurkunde genannten „Terms of Reference“, die unter anderem den Fokus auf den institutionellen Umgang mit Missbrauchsmeldungen, die Erfahrungen der Betroffenen , notwendige Reaktionen und mögliche Verbesserungen legten.5 In diesem Zusammenhang beschloss das australische Parlament einen Zusatz zum „Royal Commissions Act“.6 Dieser erlaubte es der Kommission, sogenannte „private sessions“ abzuhalten, in denen Betroffene ihre 1 Stefan Reis Schweizer: Priorität für kirchlichen Opferschutz, Neue Zürcher Zeitung, 18. Dezember 2017, S. 17. 2 Vgl. Kindesmissbrauch. Australische Regierung entschuldigt sich bei Missbrauchsopfern, in: Zeit-Online vom 22. Oktober 2018, online verfügbar unter: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-10/kindesmissbrauch -australien-scott-morrison-entschuldigung-katholische-kirche-opfer. 3 Vgl. https://www.childabuseroyalcommission.gov.au/final-report. 4 Diese umfassen u.a. das Recht, Informationen und Unterlagen anzufordern, Zeugen vorzuladen und – gegebenenfalls unter Eid – zu verhören sowie in bestimmten Fällen Haftbefehle zu erlassen, vgl. dazu den Royal Commissions Act von 1902, online abrufbar unter: http://www7.austlii.edu.au/cgi-bin/viewdb/au/legis/cth/consol _act/rca1902224/. 5 Vgl. https://www.childabuseroyalcommission.gov.au/terms-reference. 6 Vgl. https://www.childabuseroyalcommission.gov.au/private-sessions. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 037/18 Seite 5 Erfahrungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit schildern konnten. Die Arbeit umfasste im Wesentlichen drei Bereiche: Erstens wurde ein „Policy and Research Program“ eingerichtet, dass darauf abzielte, vertiefte Kenntnisse zu gewinnen „über Art, Umfang und Auswirkungen von sexuellem Kindesmissbrauch in Institutionen sowie die Möglichkeiten, den Missbrauch zu verhindern und darauf zu reagieren.“7 In diesem Zusammenhang wurden unter anderem mehrere Konferenzen und „round tables“ abgehalten, an denen sich Betroffene, Experten, und Vertreter kirchlicher und staatlicher Einrichtungen beteiligten. Darüber hinaus wurden 59 wissenschaftliche Berichte veröffentlicht, die sich unter anderem mit den Ursachen und der Prävention von Kindesmissbrauch beschäftigten . Zweitens wurden 57 öffentliche Anhörungen abgehalten, um zu untersuchen, wie verschiedene Kirchen, Sportvereine oder Schulen auf Missbrauchsvorwürfe reagierten. Im Rahmen dieser ausgewählten „case studies“ wurden an 444 Sitzungstagen 1302 Zeugen befragt. Drittens wurden von Mai 2014 bis Dezember 2017 insgesamt 8013 nicht öffentliche Sitzungen abgehalten, in denen 7914 Betroffene von ihren Missbrauchserfahrungen berichteten. Darüber hinaus erreichten die Kommission 1344 schriftliche Eingaben. 2562 dieser Fälle wurden an die zuständigen Polizeibehörden weitergeleitet.8 Insgesamt beschäftigte die Kommission während ihrer Arbeit über 680 Mitarbeiter, die 1,2 Millionen Dokumente auswerteten. Die Kommission schätzt die Gesamtkosten ihrer Arbeit auf 342 Millionen Australische Dollar.9 3. Untersuchungsergebnisse Am 15. Dezember 2017 veröffentlichte die Königliche Kommission einen siebzehnbändigen Abschlussbericht , der die Erkenntnisse aus den durchgeführten Untersuchungen präsentiert. Daneben enthält er 409 Empfehlungen, wie Kindesmissbrauch zu verhindern und zu ahnden sei. Insgesamt bezeichnet der Bericht den institutionellen Umgang mit Missbrauchsvorwürfen als „nationale Tragödie: „Tens of thousands of children have been sexually abused in many Australian institutions. We will never know the true number. Whatever the number, it is a national tragedy, perpetrated over generations within many of our most trusted institutions.”10 Die Statistiken zeigen in diesem Zusammenhang, dass Kindesmissbrauch „ein gesamtgesellschaftliches Phänomen“ 7 Siehe Anlage 1: A Brief Guide to the Final Report, online verfügbar unter: https://www.childabuseroyalcommission .gov.au/sites/default/files/a_brief_guide_to_the_final_report.pdf. 8 Diese Zahlen unterscheiden sich von denen des Abschlussberichts der Kommission, weil dieser nur die bis zum 31. Mai 2017 abgehaltenen „private sessions“ berücksichtigt, siehe Anlage 2: Final information update, online abrufbar unter: https://www.childabuseroyalcommission.gov.au/sites/default/files/final_information_update .pdf. 9 Vgl. Till Fähnders: Der Kindesmissbrauch hatte System. In: FAZ, 16. Dezember 2017, S. 6. 10 Final Report Preface and Executive Summary, S. 5, online verfügbar unter: https://www.childabuseroyalcommission .gov.au/sites/default/files/final_report_-_preface_and_executive_summary.pdf. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 037/18 Seite 6 ist.11 So gaben 58,1 Prozent der Betroffenen an, dass sich der Missbrauch in einer kirchlichen Einrichtung ereignet habe, während 32,5 Prozent der Fälle staatliche Einrichtung betrafen.12 Die Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen verteilen sich zu großen Teilen auf die katholischen Kirche (61,4 Prozent) und die anglikanische Kirche (14,8). In Relation zu den Gesamtzahlen ereigneten sich demnach 35,7 Prozent aller Fälle in katholischen Einrichtungen.13 Von den verschiedenen Institutionsarten ereignete sich Missbrauch häufig in Fremdunterbringungen („Out-of-Home Care“ /41,1 Prozent), in Schulen (31,6 Prozent) und im religiösen Umfeld (14,6 Prozent). Vor diesem Hintergrund richten sich die weitreichenden Kommissionsvorschläge sowohl an kirchliche als auch staatliche Institutionen. So empfiehlt die Kommission beispielsweise die Einrichtung eines „National Office for Child Safety“ und die Abschaffung des Zwangszölibats.14 4. Reaktionen und Folgen Die Veröffentlichung des Kommissionsberichts im Dezember 2017 wurde nicht nur in den australischen Medien breit rezipiert.15 Der damalige Premierminister Malcom Turnbull würdigte den Abschlussbericht und die Arbeit der Kommission, die eine „nationale Tragödie“ offengelegt habe. Darüber hinaus erklärte der aktuelle Premierminister Scott Morrison am 22. August 2018: „The Australian government has not rejected a single recommendation of the royal commission. We are now actively working on 104 of the 122 recommendations that were addressed to the commonwealth. The 18 remaining are being closely examined, in consultation with states and territories.”16 Die australische Bischofskonferenz und die Organisation „Catholic Religious Australia“ richteten ein gemeinsames „Truth Justice and Healing Council“ ein, das der Königlichen Kommission als Ansprechpartner diente und die Antwort der katholischen Kirche Australiens koordinierte.17 Im August 2018 veröffentlichten diese Institutionen eine gemeinsame Stellungnahme zu den Empfehlungen der Königlichen Kommission, der sie für ihre Arbeit dankten: 11 Stefan Reis Schweizer: Priorität für kirchlichen Opferschutz, Neue Zürcher Zeitung, 18. Dezember 2017, S. 17. 12 Die genannten Zahlen stammen aus dem aktualisierten „Final information update“, vgl. Anm. 8. 13 Ebd., S. 2. 14 Vgl. für einen Überblick über öffentlich debattierte Punkte https://www.abc.net.au/news/2017-12-15/royal-commission -recommendations-you-should-know-about/9262758. 15 Vgl. die in Anlage 5 beigefügte Pressedokumentation. 16 Die vollständige Rede siehe Anlage 3; online verfügbar unter: https://www.theguardian.com/australianews /2018/oct/22/scott-morrisons-national-apology-to-australian-survivors-and-victims-of-child-sexual-abusefull -speech. 17 Vgl. den vierbändigen Final Report, online verfügbar unter: http://www.tjhcouncil.org.au/. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 037/18 Seite 7 „You will see in this document that the bishops and religious leaders have accepted or accepted in principle or supported 98 per cent of the Royal Commission’s recommendations. The one recommendation we cannot accept is Recommendation 7.4, which refers to the seal of the Sacrament of Penance. This is because it is contrary to our faith and inimical to religious liberty. We are committed to the safeguarding of children and vulnerable people while maintaining the seal. We do not see safeguarding and the seal as mutually exclusive.”18 Neben den durch die Kommission angestoßenen Veränderungen steigerten die Untersuchungen die öffentliche Aufmerksamkeit für den institutionellen Umgang mit Fällen von Kindesmissbrauch . In diesem Kontext stehen aufsehenerregende Gerichtsprozesse gegen hohe Würdenträger der katholischen Kirche in Australien. So wurde im Juli 2018 der Erzbischof von Adelaide, Peter Wilson, wegen Vertuschung von Kindesmissbrauch zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt. Darüber hinaus wurde im Mai 2018 gegen Kardinal George Pell ein Strafverfahren wegen Kindesmissbrauchs eröffnet. Wilson trat von seinem Amt zurück, während Papst Franziskus Pell für die Dauer des Prozesses beurlaubte.19 5. Anhang Royal Commission into Institutional Responses to Child Sexual Abuse: A Brief Guide to the Final Report Royal Commission into Institutional Responses to Child Sexual Abuse: Final information update Rede des australischen Premierministers Scott Morrison vom 22. August, aus: The Guardian Online, 22. Oktober 2018 Auszug aus: Australian Catholic Bishops Conference/Catholic Religious Australia: Response to the Royal Commission into Institutional Responses to Child Sexual Abuse, S. 1- 7. Pressedokumentation *** 18 Siehe den Auszug in Anhang 4 ; Australian Catholic Bishops Conference and Catholic Religious Australia’s Response to the Royal Commission into Institutional Responses to Child Sexual Abuse, online verfügbar unter: https://www.catholic.org.au/acbc-media/media-centre/media-releases-new/2139-acbc-and-cra-response-to-theroyal -commission/file. 19 Vgl. Evelyn Finger: Im Namen der Opfer, Die Zeit, 6. September 2018, S. 46.