© 2018 Deutscher Bundestag WD 1 - 3000 - 33/18 Die USA und die Friedensverhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg Akteure, Standpunkte, Positionen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 33/18 Seite 2 Die USA und die Friedensverhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg Akteure, Standpunkte, Positionen Aktenzeichen: WD 1 - 3000 - 33/18 Abschluss der Arbeit: 15. Oktober 2018 Fachbereich: WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte, Politik Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 33/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Ausgangslage 5 2.1. Waffenstillstandsverhandlungen - Wilsons Vierzehn Punkte 5 2.2. Mediale und mentale Mobilisierung 6 2.3. Paris als Tagungsort 7 3. US-Akteure bei den Friedensverhandlungen 7 3.1. Präsident Woodrow Wilson 7 3.2. American Commission to Negotiate Peace (ACNP) 8 4. US-Positionen 10 4.1. Völkerbund 10 4.2. Reparationen 11 4.3. Territoriale Vereinbarungen 11 5. Bewertungen 12 6. Auswahl weiterführender Literatur 14 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 33/18 Seite 4 1. Einleitung Das Ende des Ersten Weltkrieges vor knapp hundert Jahren bezeichnet eine Zäsur in Europa. Jahrhundertealte Ordnungen sind unwiederbringlich verloren: Das russische Zaren- und das deutsche Kaiserreich, das habsburgerische Österreich-Ungarn sowie das Osmanische Reich werden von revolutionären Bewegungen hinweggefegt oder offenbaren mit der militärischen Niederlage auch den Verlust ihrer politischen Legitimation und Gestaltungskraft. Auf der anderen Seite ist mit dem Kriegseintritt der USA deutlich geworden, dass europäische Zukunftspläne auch von jenseits des Atlantiks maßgeblich mitgestaltet werden. Von Januar bis Mai 1919 verhandeln in der französischen Hauptstadt neben den „Großen Vier“ Frankreich, Großbritannien, USA und Italien Vertreter von weiteren 28 eingeladenen Nationen nicht nur über eine zukünftige territoriale Ordnung in Europa und in anderen Teilen der Welt, darunter der Nahe Osten, Afrika und Ostasien. Unter der Leitung des US-Präsidenten Woodrow Wilson erarbeitet eine Kommission in der ersten Phase der Konferenz1 zudem eine Satzung für eine neuartige zwischenstaatliche Institution, die helfen soll, zukünftig den Frieden durch ein System kollektiver Sicherheitsmaßnahmen zu erhalten: den Völkerbund. Der folgende Sachstand befasst sich auf Wunsch des Auftraggebers mit einem Ausschnitt der Friedensverhandlungen, nämlich mit der Rolle der USA: Wer waren die maßgeblichen amerikanischen Akteure und welche Positionen vertraten sie bis zur Unterzeichnung des Versailler Vertrages am 28. Juni 1919? Welchen Verlauf nahmen die Verhandlungen und wie weit konnten die USA ihre Positionen zur Geltung bringen? Die Antworten auf diese Fragen werden auf der Grundlage der vorliegenden Forschungsergebnisse in der gebotenen Kürze zusammengefasst.2 Dabei konzentriert sich die Auswahl der amerikanischen Positionen auftragsgemäß auf die Regelungen zum Deutschen Reich. Eine Auswahl weiterführender Literatur findet sich im letzten Kapitel. 1 Von Mitte Februar bis Mitte März 1919 reist US-Präsident Woodrow Wilson zurück in die USA, wo er – letztlich vergebens – um Unterstützung für sein Völkerbund-Vorhaben wirbt. Auch der britische Premier David Lloyd George kehrt zurück nach London, um innenpolitisch Unterstützung zu erhalten. Der französische Premier und Konferenzleiter Georges Clemenceau wird derweil am 19. Februar 1919 von einem Attentäter angeschossen , erholt sich jedoch schnell und kann die Konferenz fortsetzen. Nach der Rückkehr der Staatschefs an den Konferenztisch beginnt die zweite Phase, in der es vorrangig um die Friedensbedingungen für Deutschland geht. 2 Was Umfang und Stand der Forschung zum Ende des Ersten Weltkrieges angeht, so heißt es in einem 2005 erschienenen Aufsatz: “Yet if compared with the immense literature on the causes of the 1914–18 war, the literature on its conclusion is surprisingly small, and this neglect reflects a broader omission: far more scholarly work exists on why wars start than on why they continue and eventually stop.” David Stevenson (2005) 1918 Revisited , Journal of Strategic Studies, 28:1, 107-139, DOI: 10.1080/01402390500032096: https://doi.org/10.1080/01402390500032096 (abgerufen am 19.9.2019) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 33/18 Seite 5 2. Ausgangslage 2.1. Waffenstillstandsverhandlungen - Wilsons Vierzehn Punkte Nachdem die Oberste Heeresleitung (OHL) unter Führung von Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg und dessen Stabschef Erich Ludendorff noch im August 1918 die militärisch aussichtslose Lage des deutschen Heeres vor dem Kronrat beschönigt und verharmlost hatte, drängte sie seit Ende September 1918 darauf, „dass ohne jeden Verzug der Antrag auf Herbeiführung eines Waffenstillstands gestellt würde bei dem Präsidenten Wilson von Amerika zwecks Herbeiführung eines Friedens auf der Grundlage seiner Vierzehn Punkte“. 3 Dieser „militärische Offenbarungseid“4 ist mit dem Drängen der Militärs auf eine „Revolution von oben“5 verbunden, die sich damit bessere Ausgangsbedingungen für einen Friedensschluss versprechen. Anfang Oktober 1918 wird die erste parlamentarische Regierung des Deutschen Reiches unter Reichskanzler Max von Baden gebildet. Bereits am 3. Oktober versendet die neu gebildete deutsche Regierung ein Waffenstillstandsgesuch an den amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson. Bereits am 8. Januar 1918 hatte der US-Präsident dem amerikanischen Kongress sein Vierzehn- Punkte-Programm vorgelegt, das erstmals eine Neuordnung der territorialen Ordnung Europas und seiner Kolonien auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker vorsah. Als letzten Punkt fordert Wilson „a general association of nations“6, den Völkerbund, als sein grundlegendes politisches Ziel. Das Deutsche Reich verbindet mit Wilsons Vierzehn-Punkte-Programm große Hoffnungen auf erträgliche Friedensbedingungen. Diese werden bald enttäuscht. Vom 29. Oktober bis 4. November 1918 findet in Paris eine interalliierte Vor-Konferenz statt, bei der der britische Premierminister David Lloyd George und der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau mit dem Vertrauten des amerikanischen Präsidenten Edward House, genannt Oberst House, über die Waffenstillstandsbedingungen mit dem Deutschen Reich verhandeln: „Wilson verfolgte vorrangig das Ziel, Großbritannien und Frankreich auf die Vierzehn Punkte als Friedensbasis festzulegen, während die Verbündeten Modifikationen dieses Friedensprogramms wünschten – und teilweise durchsetzten.“7 Oberst House will zunächst die Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen getrennt führen, doch mit diesem Anliegen kann er sich nicht durchsetzen. Die europäischen Verbündeten sind 3 Zitiert nach: Eberhard Kolb: Der Frieden von Versailles, München 2005, S.21f. 4 Ebd., S. 23. 5 Ebd. 6 Rede von Präsident Wilson Woodrow mit Vorstellung der 14 Punkte vor dem amerikanischen Kongress am 8. Januar 1918: https://wwi.lib.byu.edu/index.php/President_Wilson%27s_Fourteen_Points 7 Eberhard Kolb: Der Frieden von Versailles, München 2005, S.30. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 33/18 Seite 6 keineswegs bereit, sich den amerikanischen Plänen unterzuordnen. Im Gegenteil, sie sind entschlossen , sich den militärischen Vorteil der gegenwärtigen Kriegslage zunutze zu machen und sich die Gestaltung des Friedens von den Amerikanern nicht aus der Hand nehmen zu lassen. Frankreich und England suchen immer wieder den Schulterschluss, um eine zu dominante Rolle der USA zu verhindern.8 Die Beratungen münden am 5. November 1918 in die sogenannte Lansing-Note, benannt nach dem amerikanischen Außenminister Robert Lansing, der sie unterzeichnet. Sie ist die Grundlage der harten Waffenstillstandsbedingungen, die der deutschen Delegation am 8. November im Wald von Compiègne mitgeteilt werden. Diese haben zum Ziel, das Deutsche Reich völlig kampfunfähig zu machen, sodass eine Wiederaufnahme der Kämpfe ausgeschlossen ist. „Mit Recht ist gesagt worden, dass mit den Waffenstillstandsbedingungen der Versailler Vertrag geboren wurde. Dessen wirkliche Grundlage war die mit dem Etikett ‚Waffenstillstand‘ versehene faktische Kapitulation des Deutschen Reiches.“9 2.2. Mediale und mentale Mobilisierung Die Öffentlichkeit im Deutschen Reich ist unvorbereitet auf die Nachrichten zum Waffenstillstand . Sie reagiert geschockt auf die als ungerecht empfundenen Waffenstillstandsbedingungen. Zugleich muss sie mitansehen, wie die bisherige politische Ordnung in Deutschland zerfällt und der bisherige Regent Kaiser Wilhelm II. am 28. November 1918 abdankt. Während des Krieges waren die Bevölkerungen in Europa nicht nur mit Kampfhandlungen konfrontiert gewesen, die das bisherige technische und militärische Kriegsgeschehen in den Schatten stellte, sondern sie hatten auch eine mediale und mentale Mobilisierung ungeheuren Ausmaßes erlebt: „Über vier Jahre lang hatten auf beiden Seiten die Propagandamaschinerien durch eine bis dahin ungekannte Intensität des publizistischen Trommelfeuers die nationalen Leidenschaften mobilisiert und dem Krieg immer stärker den Charakter eines Kreuzzugs für bestimmte Ideale und Ideologien zu verleihen versucht – mit der sich daraus ergebenden Konsequenz einer Verteufelung der jeweiligen Feindnationen.“10 8 Vgl. Payk, Markus: Frieden durch Recht? Der Aufstieg des modernen Völkerrechts und der Friedensschluss nach dem Ersten Weltkrieg. Berlin 2018, S. 158. 9 Eberhard Kolb: Der Frieden von Versailles, München 2005, S. 39. 10 Eberhard Kolb: Der Frieden von Versailles, München 2005, S.42. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 33/18 Seite 7 Alle Beteiligten hatten im Krieg große militärische und zivile Verluste erlitten.11 Frankreich sowie kleinere Länder wie Serbien und Belgien hatten zudem erhebliche Zerstörungen in Städten und Dörfern zu beklagen.12 Der britische Diplomat und Konferenzteilnehmer Harold Nicolson kommt daher zu dem Schluss: „Die Stimmung jener Zeit vorausgesetzt und die leidenschaftliche Erregung, die sich in vier Kriegsjahren aller Demokratien bemächtigt hatte, wäre es auch für Übermenschen unmöglich gewesen , einen Frieden der Mäßigung und Gerechtigkeit zu ersinnen.“13 2.3. Paris als Tagungsort Paris als Tagungsort für die Friedensverhandlungen zu wählen, die am 18. Januar 1919 im Uhrensaal des französischen Außenministeriums beginnen, ist daher ein Zugeständnis an die französische Seite und eine Entscheidung von großer Tragweite. Die Leitung der Konferenz liegt nun in französischer Hand; Tagungssprache ist Französisch. Ursprünglich hatte der amerikanische Präsident Woodrow Wilson die Konferenz in Genf abhalten wollen, um sich auf neutralem Boden zu begeben. Mit diesem Vorschlag hatte er sich jedoch nicht durchsetzen können. In den nächsten anderthalb Jahren werden die Grundlagen für einen Frieden ausgehandelt, der – so die Hoffnung – Bestand haben würde. 14 Die Sieger des Krieges bleiben jedoch zunächst unter sich; Vertreter der besiegten ‚Mittelmächte‘, Deutsches Reich, Österreich-Ungarn, Osmanisches Reich und Bulgarien, werden erst im Mai 1919 eingeladen und größtenteils nur schriftlich angehört . 3. US-Akteure bei den Friedensverhandlungen 3.1. Präsident Woodrow Wilson Bereits bei der Vorkonferenz war deutlich geworden, dass der 28. Präsident der Vereinigten Staaten , Woodrow Wilson, nicht in der vom Deutschen Reich erhofften Rolle als Vermittler, sondern als Kriegspartei mit eigenen Interessen wahrgenommen wird. Wilson kommt zudem innenpolitisch geschwächt in Paris an. Seine Partei, die Demokraten, hatten am 5. November bei den US- Senatswahlen eine Niederlage erlitten. 11 Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland und Frankreich jeweils mehr als 80 Prozent der wehrfähigen Männer mobilisiert wurden. Dreizehn Prozent der französischen Soldaten starben, zwölf Prozent der deutschen Soldaten. Insgesamt wird die Zahl der militärischen und zivilen Opfer auf fast 22 Millionen geschätzt. Vgl. Michael Epkenhans: Der Erste Weltkrieg, Paderborn, 2015, S. 251. 12 Die französische Regierung ließ die deutsche Delegation im Mai 1919 auf ihrem Weg zur Friedenskonferenz nach Paris absichtlich im Schritttempo durch Gebiete wie das nordfranzösische Lens fahren, um ihnen das Ausmaß der Zerstörung vor Augen zu führen. 13 Zitiert nach: Eberhard Kolb: Der Frieden von Versailles, München 2005, S. 42. 14 Nach dem 28. Juni 1919 geht die Pariser Friedenskonferenz in eine zweite Phase über, die bis zum Sommer 1920 andauert und mit der Unterzeichnung der sogenannten Pariser Vorortverträge endet. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 33/18 Seite 8 Obwohl seine Berater abraten, besteht er darauf, persönlich an der Pariser Friedenskonferenz teilzunehmen . Im so genannten „Council of Five“15, in dem die Regierungschefs von Großbritannien, Frankreich, USA, Italien und Japan sitzen, ist er das einzige Staatsoberhaupt. Er will „dort mit seiner physischen Präsenz seinem Führungsanspruch und seiner Überzeugung von der wissenschaftlich -objektiven Überlegenheit der amerikanischen Expertise“16 in der Außenpolitik Geltung verschaffen. Der vor seinem Einstieg in die Politik als Rektor der Princeton Universität amtierende Historiker und Jurist ist weniger von seiner Demokratischen Partei als vom akademischen Milieu der Ostküste geprägt. Wilson entstammt einer irischstämmigen, tief christlich geprägten Familie und wächst in den Südstaaten auf. Eines seiner wichtigsten Ziele ist es, den Völkerbund zu etablieren, für den er bereits am 27. Mai 1916 ein erstes öffentliches Plädoyer gehalten hatte: „The nations oft the world must in some way band themselves together.“17 Was für ihn auf dem Spiel steht, hatte er bei der Präzisierung seiner Vierzehn Punkte vor dem US-Kongress am 11. Februar 1918 deutlich gemacht: „What is at stake now is the peace of the world. What we are striving for is a new international order based upon broad and universal principles of right and justice, no mere peace of shreds and patches.”18 Schnell ist deutlich, dass es zwischen den siegreichen Mächten schwierige Debatten und erhebliche Spannungen gibt. Nicht nur Frankreich und England, auch die übrigen Alliierten zeigen sich entschlossen, ohne Rücksicht auf Wilsons Friedensprogramm ihre Forderungen und (territorialen ) Interessen möglichst weitgehend durchzusetzen.19 Dabei hat es Wilson mit wechselnden Partnern und Gegnern zu tun: „Während bei den Territorialfragen Wilson und Lloyd George meist gemeinsame Sache gegen Clemenceau machten, war Wilson in der Reparationsfrage isoliert und hatte Lloyd George und Clemenceau gegen sich.“20 3.2. American Commission to Negotiate Peace (ACNP) Schätzungen gehen davon aus, dass für die Friedenskonferenz von Januar bis Mai 1919 etwa 12.000 bis 15.000 Personen nach Paris kommen, davon 100 entscheidungsbevollmächtigte Repräsentanten und rund weitere 1.000 Teilnehmer aus 27 Delegationen. Die restlichen Personen sind als Berater, Journalisten, Angestellte und Angehörige in der französischen Hauptstadt. 15 Ab März 1919 ist es der „Council of Four“ ohne Japan. In der ersten Phase der Friedenskonferenz sitzen auch noch die Außenminister im „Council of Ten“. 16 Markus Payk: Frieden durch Recht? Der Aufstieg des modernen Völkerrechts und der Friedensschluss nach dem Ersten Weltkrieg. Berlin 2018, S. 186. 17 Zitiert nach Payk, S. 140. 18 Ebd., S. 173. 19 Vgl. Klaus Schwabe: Die USA, Deutschland und der Ausgang des Ersten Weltkrieges. In: Manfred Knapp/Werner Link/Klaus Schwabe/Hans-Jürgen Schröder: Die USA und Deutschland 1918-1975. Deutsch-amerikanische Beziehungen zwischen Rivalität und Partnerschaft, München 1978, S. 53. 20 Ebd., S. 64 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 33/18 Seite 9 Die amerikanische Delegation, genannt American Commission to Negotiate Peace (ACNP), umfasst etwa 1.000 Mitglieder.21 Sie hat fünf Verhandlungsführer, 144 Delegierte und Berater. Hinzu kommen weitere Personen, die zum Tross gehörten, Hilfspersonal, Hausdiener, Laufburschen, Ärzte, Angehörige.22 Intern ist die ACNP von zwei Gruppen geprägt: Die erste Gruppe ist die so genannte Inquiry, eine Studiengruppe von verschiedenen Akademikern, die Präsident Wilson bereits im September 1917 einberufen ließ, um – unabhängig vom amerikanischen Außenministerium – amerikanische Kriegsziele und Friedensplanungen zu diskutieren. Die zweite Gruppe besteht weitgehend aus Völkerrechtlern aus dem Außenministerium unter Minister Robert Lansing. Während der Pariser Friedenskonferenz arbeiten beide Gruppen zusammen, auch wenn es durchaus unterschiedliche Auffassungen über Rechtspositionen gibt. Während sich die Inquiry unter der Führung des Anwalts David Hunter Miller eher dem Primat der Politik unterstellt, vertreten die Völkerrechtler unter der Leitung von James Brown Scott eher einen legalistischen Ansatz. Diesem steht der Präsident eher skeptisch gegenüber: „Entgegen der Erwartung vieler Zeitgenossen besaßen das Völkerrecht und die Idee eines rechtsförmigen Ausbaus der internationalen Ordnung keineswegs einen besonderen Stellenwert im Weltbild des amerikanischen Präsidenten. (…) In seiner Sicht war jede äußere Verrechtlichung von sekundärer Bedeutung, lag doch der eigentliche Grund für eine – innere wie äußere – Friedfertigkeit von Gesellschaften in ihrer inneren Gerechtigkeit, wie sie sich aus der Partizipation und Zustimmung der maßgeblichen (sprich: weißen und männlichen ) Bevölkerungsteile ergeben würde. Nicht eine Konfliktregulation durch starre juristische Prozeduren war demnach entscheidend, sondern eine politische Konfliktbewältigung durch Aushandlung , Kompromisse und die flexible Integration von unterschiedlichen Interessen, innerhalb wie auch zwischen den Staaten.“23 Die Inquiry verfolgt den Ansatz einer „New diplomacy“, die die oft aristokratisch geprägte Diplomatie alter Schule ersetzen soll: Sachfragen sollen nicht nach Kräfteverhältnis entschieden werden , sondern aufgrund rationaler und wissenschaftlich belegter Sachargumente. Doch auch innerhalb der Inquiry gibt es divergierende Positionen: „Die meisten Mitglieder der ‚Inquiry‘ waren keine Wilsonianer, sondern dachten in Kategorien des Mächtegleichgewichts und strategisch-wirtschaftlicher ‚Zwangsläufigkeiten‘. (…) Viele identifizierten sich zudem mit den Interessen des Landes, für das sie Sachverständige waren (…). Einen eigenen Deutschlandexperten gab es vor Beginn der Friedenskonferenz überhaupt nicht.“24 21 Vgl. ebd. S. 52 22 Vgl. Markus Payk: Frieden durch Recht? Der Aufstieg des modernen Völkerrechts und der Friedensschluss nach dem Ersten Weltkrieg. Berlin 2018, S. 207. 23 Ebd., S. 269. 24 Schwabe, S. 44. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 33/18 Seite 10 Insgesamt hat die ACNP eine eher fragile Position, auch wenn Präsident Wilson auf die Expertise seiner Delegation angewiesen ist. Doch letztlich entscheidet er nicht selten innerhalb des kleinsten Kreises des „Council of Three“ unabhängig vom Votum seiner Berater.25 4. US-Positionen 4.1. Völkerbund Wenn auch den Zeitgenossen die Auffassungen des US-Präsidenten Wilson oft als schwankend und nicht selten widersprüchlich erscheinen, so behält er im Rückblick doch sein Ziel, die Neuordnung der internationalen Gemeinschaft mit der Errichtung eines Völkerbundes, stets im Auge. „Für Wilson besaß die Schaffung des Völkerbunds oberste Priorität, so der Historiker Eberhard Kolb.“26 „Mit dieser Institution wollte er den Grundstein legen für eine universale Friedensordnung auf der Grundlage des Rechts und eines friedlichen Ausgleichs zwischen den Völkern.“27 Jüngere Historiker wie Marcus M. Payk weisen zwar darauf hin, es sei eine „holzschnittartige Verkürzung“ anzunehmen, „dass die Idee eines Völkerbundes das zentrale amerikanische Kriegsziel dargestellt habe“. „Zu drängend waren die Anforderungen des Tages, zu unterschiedlich die Auffassungen der beteiligten Akteure, zu vage auch die Vorstellungen, wie sich eine neuartige Assoziation souveräner Staaten überhaupt organisieren lasse.“ 28 Und dennoch: „Nicht allein für Gruppierungen wie die League to Enforce Peace, sondern auch für Woodrow Wilson wurde die Neuordnung der internationalen Gemeinschaft im Kriegsverlauf immer mehr zum ‚key to a new world order‘.“29 Wenn Wilson so großes Gewicht auf die vorrangige Behandlung des Themas Völkerbund legt, dann auch deshalb, weil ihm seit Oktober klar zu werden beginnt, dass es bei den Friedensverhandlungen zu schwierigen Debatten und erheblichen Spannungen zwischen den Mächten der siegreichen Allianz kommen würde. „Nicht nur Franzosen und Engländer, auch die übrigen Alliierten zeigten sich entschlossen, ohne Rücksicht auf Wilsons Friedensprogramm, das in den Vierzehn Punkten und mehreren Reden formuliert war, ihre speziellen Forderungen und Interessen in möglichst weitem Umfang durchzusetzen.“30 Zwar konnte Wilson während der Friedenskonferenz in den meisten Punkten seine Vorstellungen zum Völkerbund umsetzen. Doch verweigert ihm der US-Senat letztlich die Zustimmung, als 25 Vgl. Volker Prott: Tying up the loose ends of national self-determination : British, French, and American experts in peace planning, 1917 – 1919. In: The historical journal. - 57 (2014), 3, Seite 727 – 750 http://dx.doi.org/10.1017/S0018246X14000041 (abgerufen am 11. Oktober 2018) 26 Eberhard Kolb: Der Frieden von Versailles, München 2005, S. 53. 27 Ebd. 28 Markus Payk: Frieden durch Recht? Der Aufstieg des modernen Völkerrechts und der Friedensschluss nach dem Ersten Weltkrieg. Berlin 2018, S. 139f. 29 Ebd. 30 Eberhard Kolb: Der Frieden von Versailles, München 2005, S. 56. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 33/18 Seite 11 dieser es am 19. November 1919 ablehnt, den Versailler Vertrag zu ratifizieren. Die USA treten dem Völkerbund somit nicht bei.31 4.2. Reparationen Was die französischen und britischen Forderungen nach hohen Reparationen für das Deutsche Reich betrifft, die das Deutsche Reich angesichts immenser Kriegsschäden leisten solle, so zeigt sich der US-Präsident zunächst skeptisch. Er macht immer wieder darauf aufmerksam, dass ein wirtschaftlich schwaches Deutschland den bolschewistischen Umsturzversuchen wenig entgegenzusetzen hätte. Doch schließlich muss er einlenken: „Während bei den Territorialfragen Wilson und Lloyd George meist gemeinsame Sache gegen Clemenceau machten, war Wilson in der Reparationsfrage isoliert und hatte Lloyd George und Clemenceau gegen sich. Er akzeptierte schließlich nach langem Widerstand eine Regelung, die in eindeutigem Widerspruch zu seiner ursprünglichen Konzeption stand.“32 Warum gibt Wilson seine Position bezüglich der Reparationen auf? „Er fürchtete um den Bestand der Regierungen Lloyd George und Clemenceau. Beide Premierminister liefen Gefahr, von ihren Parlamenten gestürzt zu werden, wenn sie in der Reparationsfrage Konzessionen machten. An ihre Stelle wären weiter rechtsstehende Politiker getreten, mit denen ein Friedensschluss nach amerikanischen Vorstellungen vollends unmöglich geworden wären.“33 4.3. Territoriale Vereinbarungen Bei den Verhandlungen zu den territorialen Vereinbarungen des Friedensvertrages im Hinblick auf das Deutsche Reich kann er sich hingegen besser durchsetzen, sogar gegen das Votum seiner eigenen Berater. Diese hatten im Februar 1919 bei interalliierten Expertenbesprechungen zunächst der französischen Forderung nach einer Abtrennung des Rheinlands vom Deutschen Reich zugestimmt. Als Präsident Wilson, der sich Anfang März auf der Rückreise nach Europa an Bord der „George Washington“ befindet, davon erfährt, weist er seinen Mitarbeiter Oberst House an, die Zustimmung zurückzunehmen. „Am 14. März eröffneten Wilson und Lloyd George dann dem französischen Ministerpräsidenten, sie lehnten die Abtrennung des linksrheinischen Deutschland vom Rhein definitiv ab und würden nur einer befristeten Besetzung als Druckmittel für die Bezahlung der deutschen Reparationsschuld zustimmen.“34 Wilsons informeller Stellvertreter Oberst House hat zudem auch erheblichen deutsche Gebietsabtretungen im Osten zugestimmt, zu denen Danzig, Westpreußen und Oberschlesien gehören. 31 Vgl. Norman Graebner: The Versailles Treaty and its legacy : the failure of the Wilsonian vision. Cambridge, 2011. 32 Eberhard Kolb: Der Frieden von Versailles, München 2005, S. 64. 33 Klaus Schwabe: Die USA, Deutschland und der Ausgang des Ersten Weltkrieges. In: Manfred Knapp/Werner Link/Klaus Schwabe/Hans-Jürgen Schröder: Die USA und Deutschland 1918-1975. Deutsch-amerikanische Beziehungen zwischen Rivalität und Partnerschaft, München 1978, S. 43. 34 Eberhard Kolb: Der Frieden von Versailles, München 2005, S.59. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 33/18 Seite 12 Auch diese Entscheidung kassiert Wilson. Diesmal schwenkt er nach anfänglichem Zögern auf die Position des britischen Premiers Lloyd George ein.35 5. Bewertungen Dass man nicht mit den Besiegten verhandelte, sondern über sie, ist einer der vielen Gründe, warum der Friedensschluss den Deutschen als große Schmach in Erinnerung bleibt und eine folgenreiche Schwächung der Weimarer Republik bewirkt.36 Der Versailler Vertrag und seine moralische Diffamierung werden „bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zu einer der Säulen des politischen Selbstzerstörungsmechanismus‘ der Weimarer Republik“, so die Biografin des damaligen Außenministers und Vertragsgegners Graf Brockdorff-Rantzau.37 Aus Sicht der Deutschen sind es harte Friedensbedingungen, die ihnen „diktiert“ wurden. Insbesondere die Rolle des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson, den man seit der Vorlage seiner Vierzehn Punkte hoffnungsvoll als Friedensbringer betrachtet hat, wird des Wortbruchs beschuldigt. Mit dem Abstand von knapp 100 Jahren wird das Bild des Präsidenten hingegen heute differenzierter gezeichnet: „Weil er in realistischer Einsicht in den Zwang zum Kompromiss – von vielen seiner ursprünglichen Vorstellungen Abstand genommen hat, war sein Bild (insbesondere in Deutschland) lange dunkel umschattet. In Kenntnis der Quellen lässt sich heute jedoch nicht mehr bestreiten, dass er in Energie und Sachvertrautheit seinen Gegenspielern nicht unterlegen war und mit starkem persönlichen Einsatz eine noch drastischere Gestaltung einzelner Bestimmungen verhinderte.“38 Eberhard Kolb kommt zu dem Schluss: „Inzwischen fällt das historische Urteil recht eindeutig aus: Die Erwartungen der Unterzeichnungsgegner beruhten auf gefährliche Illusionen. (…) Schon damals konnte man wissen – und heute wissen wir es ganz genau -, dass die alliierten Armeen bereitstanden, um nach Fristablauf in Deutschland einzumarschieren, und diejenigen, die wie Marschall Foch den Vertrag als viel zu milde beurteilten, hofften geradezu auf eine deutsche Ablehnung , um ihre weitreichenden Ziele doch noch zu erreichen.“39 Und: „Es hätte für Deutschland schlimmer kommen können.“40 35 Vgl. Klaus Schwabe: Die USA, Deutschland und der Ausgang des Ersten Weltkrieges. In: Manfred Knapp/Werner Link/Klaus Schwabe/Hans-Jürgen Schröder: Die USA und Deutschland 1918-1975. Deutsch-amerikanische Be-ziehungen zwischen Rivalität und Partnerschaft, München 1978, S. 44 36 Vgl. Eberhard Kolb: Der Frieden von Versailles, München 2005, S. 47. 37 Zitiert nach ebd., S. 87. 38 Ebd., S. 52. 39 Ebd., S.85. 40 Ebd., S.103. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 33/18 Seite 13 Dennoch, so konstatiert der Historiker kritisch, sei es den auf der Pariser Friedenskonferenz versammelten Staatsmännern nicht gelungen, eine einigermaßen stabile europäische Friedensordnung oder ein Weltfriedenssystem zu errichten, das die Gewähr wenigstens relativer Dauer zu bieten schien.41 „Die ‚irreparablen Umstände‘, die der Krieg geschaffen hatte und die Voraussetzungen des Friedenschließens bestimmten, die bis dahin ungekannte Dimension einer globalen Friedensgestaltung, die beschränkte Handlungsfreiheit der beteiligten Staatsmänner – dies alles machte es extrem schwierig, wenn nicht gar schlechthin unmöglich, zu wirklich haltbaren Lösungen zu gelangen.“42 Die Rolle der Vereinigten Staaten insgesamt wird von dem amerikanischen Historiker David Stevenson eher kritisch gesehen: „American entry, in fact, probably prolonged the conflict by preventing a compromise peace that would have favoured the Central Powers.” Aus seiner Sicht hätten die Allierten das Ausmaß ihres Triumphes unterschätzt: “Part of the solution to the riddle of the armistice is that although Germany's leaders well understood that they had been militarily defeated, its opponents underestimated the extent of their triumph.”43 In einen größeren Kontext ordnet Marcus Payk den Pariser Friedensschluss ein: „Dass die Kompromisse der alliierten und assoziierten Nationen allerorten Enttäuschung und Erbitterung hervorriefen , sollte nicht den Blick für die übergreifende Entwicklungsdynamik verstellen. So ungeeignet der Friedensschluss für die Herstellung einträglicher Beziehung für die Kriegsparteien war, so sehr war er symptomatischer Ausdruck eines fortschrittsgewissen, liberalen, teils auch imperialen Ordnungsanspruchs, die politischen Weltverhältnisse völkerrechtlich zu erfassen und zu regulieren.“44 41 Eberhard Kolb: Der Frieden von Versailles, München 2005, S.41. 42 Ebd., S. 47. 43 David Stevenson (2005) 1918 Revisited , Journal of Strategic Studies, 28:1, 107-139, DOI: 10.1080/01402390500032096 To link to this article: https://doi.org/10.1080/01402390500032096 (abgerufen am 11. Oktober 2018) 44 Markus Payk: Frieden durch Recht? Der Aufstieg des modernen Völkerrechts und der Friedensschluss nach dem Ersten Weltkrieg. Berlin 2018, S. 666. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 33/18 Seite 14 6. Auswahl weiterführender Literatur Krumeich, Gerd: Die unbewältigte Niederlage: das Trauma des Ersten Weltkrieges und die Weimarer Republik. Freiburg 2018. Payk, Marcus M: Frieden durch Recht? Der Aufstieg des modernen Völkerrechts und der Friedensschluss nach dem Ersten Weltkrieg. Berlin 2018. Platthaus, Andreas: Der Krieg nach dem Krieg : Deutschland zwischen Revolution und Versailles 1918/19. Berlin 2018. Smith, Leonard V.: Sovereignty at the Paris Peace Conference 1919 Oxford, 2018. Prott, Volker: The politics of self-determination : remaking territories and national identities inEurope, 1917 – 1923. Oxford, 2016. McMillan, Margaret: Die Friedensmacher : wie der Versailler Vertrag die Welt veränderte. Berlin, 2015. Prott, Volker: Tying up the loose ends of national self-determination : British, French, and American experts in peace planning, 1917 – 1919. In: The historical journal. - 57 (2014), 3, Seite 727 – 750. http://dx.doi.org/10.1017/S0018246X14000041 Marks, Sally: Mistakes and myths : the Allies, Germany, and the Versailles Treaty, 1918 – 1921. In: The journal of modern history : JMH. - 85 (2013), 3, Seite 632 - 659 http://dx.doi.org/10.1086/670825 Graebner, Norman A.: The Versailles Treaty and its legacy : the failure of the Wilsonian vision. Cambridge, 2011. Kolb, Eberhard: Der Frieden von Versailles. München, 2005. - Schwabe, Klaus: Die USA, Deutschland und der Ausgang des Ersten Weltkrieges. In: Manfred Knapp/Werner Link/Klaus Schwabe/Hans-Jürgen Schröder: Die USA und Deutschland 1918- 1975. Deutsch-amerikanische Be-ziehungen zwischen Rivalität und Partnerschaft, München 1978. ***