Ausarbeitung THEMA: Lobbyingaktivitäten der deutschen Wirtschaft Fachbereich XI: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Bearbeiter/in: Abschluss der Arbeit: 20. März 2003 Reg.-Nr.: WD 1 — 031/03 Ausarbeitungen von Angehörigen der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung des einzelnen Verfassers und der Fachbereichsleitung. Die Ausarbeitungen sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 2 2. Das Netzwerk der Wirtschaftsverbände in Deutschland 4 3. Möglichkeiten der politischen Einflußnahme durch Wirtschaftsverbände 6 3.1 Allgemeines 6 3.2 Der Bundestag 7 3.2.1 Anhörungen 7 3.2.2 „Innere Lobby" 8 3.3 Die Ministerien 9 3.3.1 Anhörungen 9 3.3.2 Beiräte der Ministerien 9 4. Exkurs: Die Rolle von Unternehmen als autonome Akteure 10 5. Fazit und Ausblick 11 6. Literaturverzeichnis 13 1 1. Einleitung Die verfassungsrechtliche Grundlage der Existenz von Interessengruppen bildet Artikel 9 des Grundgesetzes, in dem das Recht auf Bildung von „Vereine[n] und Gesellschaften" (Absatz 1) sowie Vereinigungen „zur Wahrung und Förderung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen " (Absatz 3) verankert ist. Der Wunsch, den Aktivitäten von Interessengruppen mehr Transparenz zu verleihen, führte 1972 zu der vom Bundestag beschlossenen Einführung der sogenannten „Lobbyliste". In der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages' ist seitdem festgelegt, dass der zu registrierende Verband Name, Sitz, Zusammensetzung von Vorstand und Geschäftsführung, Interessenbereich, Mitgliederzahl, Namen der Verbandsvertreter sowie die Anschrift der Geschäftsstelle am Parlaments- und Regierungssitz angeben. muss t. Nach Erfüllung dieser Kriterien erhält die Organisation die Möglichkeit zur Mitwirkung an den institutionalisierten Formen des politischen Entscheidungsprozesses. Hierzu gehören im Deutschen Bundestag beispielsweise die Anhörungen der Ausschüsse oder auch die Sachverständigentätigkeit in Enquete-Kommissionen. 3 Die Bundesrepublik Deutschland wird in der sozialwissenschaftlichen Forschung als korporatistischer Staat beschrieben. Gemeint ist damit die in allen Politikfeldern zu konstatierende Verflechtung von „Regierung, Parteien und Interessengruppen" 4 bzw. Verbänden5 . Das Korporatismusmodell begreift somit die Verbände als funktionalen Bestandteil des politischen Willensbildungsprozesses. Die ihnen in diesem theoretischen Rahmen zugewiesenen Aufgaben liegen in der Interessenbündelung und —artikulation sowie in einer Vermittlerrolle zwischen Gesellschaft, Wirtschaft und Politik, auf die der moderne Staat aufgrund der immer komplexer gewordenen Aufgaben und Anforderungen, die an ihn gestellt werden, angewiesen ist. Interessengruppen tragen zusätzlich entscheidend zur Entlastung des politischen Systems bei, indem sie den politischen Akteuren durch die innere Willensbildung mit der daraus folgenden 1 Vgl. GOBT, Anlage 2, Absatz 1 und 2. 2 Martin Sebaldt: Verbände und Demokratie: Funktionen bundesdeutscher Interessengruppen in Theorie und Praxis (in: ApuZ B 36-37/1997, S. 27-37), S. 28, zukünftig zitiert als: Martin Sebaldt: Verbände und Demokratie . 3 Vgl. Bernhard Weßels: Kommunikationspotentiale zwischen Bundestag und Gesellschaft: Öffentliche Anhörungen , informelle Kontakte und innere Lobby in wirtschafts- und sozialpolitischen Ausschüssen (in: Zparl 2/1987, S. 285-311), S. 286, zukünftig zitiert als: Bernhard Weßels: Kommunikationspotentiale zwischen Bundestag und Gesellschaft. 4 Bernhard Weßels: Die Entwicklung des deutschen Korporatismus (in: ApuZ 26/27 2000, S. 16-30), S. 16, zukünftig zitiert als Bernhard Weßels: Korporatismus. 5 Die Begriffe „Interessengruppe" und „Verband" werden in dieser Darstellung synonym verwendet. 2 interessenbündelnden Artikulation eine verbandsintern mehrheitsfähigen Position vorlegen 6 und damit politische Diskussionsprozesse verkürzen. Durch die Verbandstätigkeit werden Verbänden Partizipationsmöglichkeiten im politischen Proess eröffnet und somit die Integration der Vielzahl der verschiedenen Interessen in die ministeriellen und parlamentarischen Abläufe ermöglicht. Als konkrete Beispiele korporatistischer Willensbildung kann man die von dem damaligen Wirtschaftsminister Prof. Schiller angeregte „Konzertierte Aktion" (1967-1977) und das Bündnis für Arbeit, das 1998 von Bundeskanzler Schröder ins Leben gerufen wurde, anführen. Die Verbandslandschaft der Bundesrepublik Deutschland umfasste 1998 rund 1.700 registrierte Interessengrupped. Die Anzahl der Gruppierungen ist seit Gründung der Bundesrepublik stetig angestiegen: Im Jahre 1974 existierten beispielsweise erst 635 Interessengruppen, die Zahl der Lobbyorganisationen ist also seitdem um mehr als das Zweieinhalbfache gewachsen 8 . Der Bereich „Ökonomie", zu dem beispielsweise die Interessengruppen der Unternehmer und der Arbeitnehmer (Gewerkschaften) sowie Berufsverbände gehören, dominiert zahlenmäßig traditionell: 1974 waren drei Viertel der Lobbygruppen ökonomisch orientierte Zusammenschlüsse. Es ist allerdings über die letzten Jahrzehnte hinweg zu beobachten, dass der Anteil des Sektors „Ökonomie" zugunsten anderer Bereiche prozentual rückläufig ist. Im Jahr 1994 machen die Wirtschaftsorganisationen „nur" noch 64,5 Prozent des Gesamtspektrums aus. Ursächlich hierfür ist die im Verlauf der letzten 20 Jahre zu beobachtende verstärkte Ausbildung einer „alternativen" Verbandslandschaft. Die starke Ausbreitung von Umwelt-, Naturund Tierschutzorganisationen sowie von Behinderten- und Familienverbänden, die sich der Abwehr von Fehlentwicklungen der modernen Gesellschaft (z.B. Umweltzerstörung) und der Unterstützung sozial benachteiligter Gruppen (z.B. Behinderte) verschrieben haben, sei hier als Beispiel angeführt. Insgesamt haben wir es also heute mit einer sehr viel stärker ausdiffe- 6 Vgl. Martin Sebaldt: Verbände und Demokratie, S. 27 f. Vgl. Klaus Mayer, Natalie Naji: Die Lobbyingaktivitäten der deutschen Wirtschaft (in: Recht und Politik. Vierteljahreshefte für Recht und Verwaltungspolitik 36/2000. S. 31-43), S. 32, zukünftig zitiert als: Klaus Mayer , Natalie Naji: Lobbyingaktivitäten. 8 Vgl. Martin Sebaldt: Organisierter Pluralismus. Kräftefeld, Selbstverständnis und politische Arbeit deutscher Interessengruppen, Opladen 1997, S. 76 ff., zukünftig zitiert als: Martin Sebaldt: Organisierter Pluralismus. 9 Vgl. ebd. S. 176 ff. 3 renzierten Verbandslandschaft zu tun, die damit auch die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen widerspiegelt. Die Erforschung der deutschen Verbandslandschaft hat in den letzten Jahrzehnten in der Sozial - und Politikwissenschaft reges Interesse gefunden. Eine lange Liste von Veröffentlichungen belegt dies m. Besonders die Tätigkeit der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft war immer wieder Ziel wissenschaftlicher Untersuchungen, während dies für die nachgeordneten Organisationen (Fachverbände, Berufsverbände) nicht im gleichen Maße festzustellen ist' 1 . Bei der wissenschaftlichen Durchdringung des Themenkomplexes traten vor allem die beiden Politikwissenschaftler Martin Sebaldt und Ulrich von Alemann hervor. In den letzten Jahren hat das Interesse an der Erforschung der Verbandslandschaft allerdings deutlich abgenommen, was durch eine rückläufige Zahl an Veröffentlichungen deutlich wird. Aus diesem Grund existieren kaum empirische Befunde neueren Datums und die Darstellung basiert vielfach auf Zahlen, die bereits vor dem Jahr 2000 erhoben worden sind. An den Anfang der Darstellung ist ein einführender Überblick über das Netzwerk der Wirtschaftsverbände in Deutschland gestellt. Daran anschließend soll verdeutlicht werden, welche Mittel und Einflußmöglichkeiten sich den Vertretern von ökonomisch orientierten Interessengruppen bieten und auf welche Weise diese Chancen von den Verbänden wahrgenommen werden. Außerdem wird im Rahmen eines Exkurses die Rölle einzelner Unternehmen als autonome Akteure im Kräftefeld der Vertretung organisierter Interessen mit in die Darstellung einbezogen. 2. Das Netzwerk der Wirtschaftsverbände in Deutschland Die Verbände der Unternehmen dominieren zahlenmäßig innerhalb des Spektrums der wirtschaftlich ausgerichteten Lobbygruppen. Im Jahre 1974 stellten sie mehr als zwei Drittel der Organisationen im Bereich der ökonomischen orientierten Verbände 12 . Allerdings ist hier ein Bedeutungsverlust feststellbar: 1994 lag der Anteil nur noch bei 63 Prozent, während andere Subsektoren wirtschaftlich orientierter Interessengruppen, beispielsweise die Berufsverbände, einen Zuwachs verzeichnen konnten: Ihr Anteil stieg von 18 Prozent (1974) auf 23 Prozent (1994) an. 10 Vgl. Martin Sebaldt: Organisierter Pluralismus, S. 13 ff. Vgl. ebd. S. 21. 4 Die einzelnen Unternehmen organisieren sich in Fach- sowie nationalen und europäischen Dachverbänden. Außerdem agieren ökonomisch orientierte Interessengruppen gegenüber politischen Entscheidungsträgern häufig im Rahmen von nicht institutionalisierten Strategiegemeinschaften , um bei grundsätzlichen Problemen, eine einheitliche und klare Position zu artikulieren und durch das Gewicht mehrerer Verbände die Interessendurchsetzung zu optimieren 13 . Durch diese organisatorische Verflechtung von Unternehmen und Interessengruppen, die sich auch in der teilweise zu beobachtenden personellen Verflechtung auf den Führungsebenen manifestiert - vor allem Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder bekleiden oft zentrale Positionen in mehreren Verbänden - entsteht ein vielschichtiges Netzwerk von lobbyistisch tätigen Organisationen. In der Bundesrepublik Deutschland existiert unter der Vielzahl wirtschaftlich orientierter Lobbygruppen ein Kreis von 15 großen und einflußreichen Interessengruppen, die aufgrund ihrer Macht und Bedeutung aus der Verbandslandschaft herausragen 14 . Diese 15 Organisationen haben sich unter dem Namen „Gemeinschaftsausschuß der Deutschen Gewerblichen Wirtschaft" zusammengeschlossen. Zu dieser Gruppe gehören nur die bedeutendsten Verbände wie z.B. der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Innerhalb dieses Gemeinschaftsausschusses bilden die sogenannten „Großen Acht" einen weiteren, informellen Kreis, zu dem neben den bereits erwähnten Verbänden der Bundesverband deutscher Banken (BdB), der Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH), der Bundesverband des deutschen Groß- und Außenhandels (BGA), der Deutsche Sparkassenund Giroverband (DSGV) und der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) gehören. Innerhalb dieses Netzwerks der „Großen Acht" wechselt der Vorsitz turnusmäßig zwischen BDI, DIHT, BDA und ZDH, die als die „Großen Vier" die informelle Spitze der Hierarchie der deutschen Wirtschaftsverbände bilden. 12 Vgl. ebd. S. 81. 13 Vgl. Klaus Mayer, Natalie Naji: Lobbyingaktivitäten, S. 36 f. 5 3. Möglichkeiten der politischen Einflußnahme durch Wirtschaftsverbände 3.1 Allgemeines Das Zusammenspiel zwischen Interessengruppen und politischen Entscheidungsträgern wurde durch den Verbandsforscher Martin Sebaldt als Tauschgeschäft charakterisiert, in dem beide Seiten gewisse Leistungen empfangen und im Gegenzug erbringen 15 . Wirtschaftsverbände versuchen, die politischen Entscheidungsträger zu beeinflussen, um ihre wirtschafts-, sozialund arbeitsmarktpolitischen Zielvorstellungen umzusetzen. Die politischen Entscheidungsträger dagegen sind bei ihrer Arbeit auf das Expertenwissen und den praxisnahen Sachverstand der Verbandsfunktionäre angewiesen. Sie profitieren außerdem von der Unterstützung der Interessengruppen, die sich mit ihnen für gleichgelagerte Interessen einsetzen. Es besteht also ein wechselseitiges Kooperationsverhältnis im Falle einer konstruktiven Zusammenarbeit. Die Arbeit von Verbandsfunktionären ist von deren Selbstverständnis als ausführendem Akteur geprägt, der mit einem klaren Auftrag seiner Mitgliedschaft ausgestattet wird und deren Interessen zu vertreten hat. Lobbyisten sind also in der Praxis Dienstleister, die zwar an festumrissene Aufträge gebunden sind, diese aber relativ autonom und unter der Ausnutzung eigener Gestaltungsspielräume umsetzen können. Die Initiative zur Zusammenarbeit zwischen politischen Entscheidungsträgern und Verbandsfunktionären kann von beiden Seiten ausgehen. Die für die Wirtschaftsverbände mit Abstand wichtigsten Interaktionspartner im politischen Alltag sind die Ministerien und die Mitglieder des Deutschen Bundestages. Neben der geregelten Form der Kommunikation zwischen politischen Entscheidungsträgern und Verbänden in den entsprechenden Gremien, existieren auch nicht-institutionalisierte Möglichkeiten der Einflussnahme. Darunter versteht man z B die Bildung einer „inneren Lobby" im Bundestag sowie gemeinsame informelle Aktivitäten von Verbandsvertretern und Politikern bzw. Ministerialverwaltung. Neben der direkten Interaktion von Entscheidungsträgern und Lobbyisten, betreiben die Verbände zur Durchsetzung ihrer Interessen auch professionelle Öffentlichkeitsarbeit 16 . Zusätzlich zur Nutzung von Medien wie Zeitungen und Fernsehen, die dazu dienen, der Öffentlich- 14 Vgl. ebd. S. 33. 15 Vgl. Martin Sebaldt: Organisierter Pluralismus, S. 55. 6 keit Positionen, Zielvorstellungen und Tätigkeit der Organisation zu verdeutlichen und Problembewusstsein für bestimmte Sachfragen zu wecken, führen die Interessengruppen Veranstaltungen oder Tagungen durch, zu denen Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung eingeladen werden. 3.2. Der Bundestag 3.2.1 Anhörungen „Die öffentliche Anhörung ist das institutionalisierte, durch Geschäftsordnung verankerte Instrument für den deutschen Bundestag, Verbänden im Gesetzgebungsprozeß Gehör zu schenken" 17 . Öffentliche Anhörungen sind seit dem 6.12.1951 in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (Paragraph 73, Absatz 2) vorgesehen, nicht-öffentliche Anhörungen waren bereits davor Bestandteil parlamentarischer Praxis. In den ersten drei Wahlperioden fanden nur zwei Anhörungen statt, seit der fünften Wahlperiode ist eine wachsende Bedeutung des Instrumentes zu konstatieren. Ein Blick auf die Zahlen verdeutlicht dies 18 : In der neunten Wahlperiode, also 1980 bis 1983, wurden insgesamt 87 „Hearings" abgehalten, in der zehnten Wahlperiode fanden 165, in der elften 235 Anhörungen statt, in der zwölften Legislaturperiode waren es bereits 301. Eine besonders starke Präsenz zeigten die Wirtschaftsverbände in der Vergangenheit bei Anhörungen des Finanz- und Haushaltsausschusses. Ein Beispiel mag diese Beobachtung verdeutlichen : Zu dem Mineralöl- und Branntweinsteueränderungsgesetz von 1981 waren die beiden größten durch den Finanzausschuß geladenen Verbandsgruppen mit 71 Prozent der Teilnehmenden die Unternehmer- und Arbeitgeberverbände. Neben den institutionalisierten Einflußkanälen spielen vor allem die informellen Kontakte, die auf persönlichen Beziehungen beruhen, eine wichtige Rolle. Die beliebtesten Interaktionspartner für die Verbandsfunktionäre sind die Berichterstatter der Ausschüsse 19 . Eine Untersuchung gibt Aufschluß über die Bedeutsamkeit dieser Form von Kommunikation zwischen wirtschaftlich orientierten Interessengruppen und politischen Entscheidungsträgern: Auf die Frage, ob regelmäßige Kontakte zu Bundestagsausschüssen, Parteivorständen, Fraktionen und Fraktionsarbeitskreisen bestünden, antworteten 1981 von 277 befragten Unter- 16 Vgl. Klaus Mayer, Natalie Naji: Lobbyingaktivitäten, S. 39. 17 Vgl. Bernhard Weßels: Kommunikationspotentiale zwischen Bundestag und Gesellschaft, S. 290. 18 Vgl. ebd. S. 291. 19 Vgl. Bernhard Weßels: Kommunikationspotentiale zwischen Bundestag und Gesellschaft, S. 289 ff. 7 nehmern 24 mit ja, von 172 Vorsitzenden von Wirtschaftsverbände berichtete die Hälfte über einen regelmäßigen Meinungsaustausch. 3.2.2 „Innere Lobby" Eine weitere Möglichkeit für Wirtschaftsverbände, Einfluß auf das Parlament zu nehmen, stellt die Formierung einer „inneren Lobby" im Parlament dar. Dieser Begriff trägt dem Sachverhalt Rechnung, dass im Bundestag Abgeordnete vertreten sind, die gleichzeitig auch eine Funktion innerhalb eines Wirtschaftsverbandes innehaben. Ungefähr 25 Prozent der großen Verbände haben an ihrer Spitze Persönlichkeiten, die auch als politische Entscheidungsträger (vor allem als Abgeordnete) fungieren 20 . Die „Verbandsfärbung" des Deutschen Bundestages war vor allem in früheren Wahlperioden sehr ausgeprägt: Der Anteil von Verbandsfunktionären und Unternehmern erreichte einen Höhepunkt in der zweiten Wahlperiode mit über 45 Prozent, in der neunten Wahlperiode waren nur noch 19 Prozent der Mandatsträger gleichzeitig auch Funktionäre 21 . Seitdem ist ein weiterer Rückgang festzustellen 22 . In den für die Interessenwahrnehmung ökonomisch orientierter Verbände besonders attraktiven Ausschüssen (z.B. Wirtschafts-, Haushalts- oder Finanzausschuss) des Deutschen Bundestages waren Verbandsfunktionäre während des Zeitraums von 1949 bis 1985 besonders stark vertreten: Von den 74 Personen, die während der besagten Jahre. Vorsitzende oder stellvertretender Vorsitzender eines dieser Ausschüsse waren, bekleideten 43 zumindest vor Antritt des Mandats Funktionen in Interessenorganisationen. Betrachtet man die zwar abnehmende, aber immer noch deutliche Präsenz von Mitgliedern des Deutschen Bundestages, die gleichzeitig Funktionäre wirtschaftlich orientierter Interessengruppen oder Unternehmer sind, wird deutlich, dass die „personelle Integration aus dem Wirtschaftsbereich Bestandteil des parlamentarischen Systems der Bundesrepublik" 23 ist. 20 Vgl. Klaus Mayer, Natalie Naji: Lobbyingaktivitäten, S. 38. 21 Vgl. Bernhard Weßels: Kommunikationspotentiale zwischen Bundestag und Gesellschaft, S. 300. 22 Vgl. Bernhard Weßels: Korporatismus, S. 12f. 23 Bernhard Weßels: Kommunikationspotentiale zwischen Bundestag und Gesellschaft, S. 309. 8 3.3 Die Ministerien 3.3.1 Anhörungen Der Deutsche Bundestag stellt somit einen in seiner Bedeutung herausragenden Adressaten lobbyistischer Aktivitäten dar. Den wichtigsten Interaktionspartner sehen die ökonomischen orientierten Interessengruppen jedoch in den Ministerien und hier insbesondere im Bundeswirtschaftsministerium 24 . Untermauert wird diese These durch folgende Zahlen: Von den 473 in den BDI-Jahresberichten 1960/61 bis 1982-1984 dokumentierten Eingaben zur Wasserwirtschaft sowie zu Immissions- und Umweltfragen, waren 269 (57%) an Bundesministerien gerichtet , an den Deutschen Bundestag dagegen nur 66 (14%) 25 . Das institutionalisierte Zusammenspiel in Form von Anhörungen der Interessengruppen durch Ministerien ist in den Geschäftsordnungen derselben seit dem Stabilitätsgesetz von 1967 geregelt . Dort ist festgeschrieben, dass bei beabsichtigten Normenänderungen die Vertreter der betroffenen Gruppen angehört werden müssen 26 . Die Gründe für die Bevorzugung der Kommunikation mit der Ministerialbürokratie liegen auf der Hand. Verbandsfunktionäre legen verständlicher Weise Wert auf eine möglichst frühe Beeinflussung des politischen Prozesses, um so die Effizienz der Interessenvertretung zu maximieren . Demzufolge richtet sich das Interesse automatisch auf die Ministerien, in denen die Formulierung der meisten Gesetzesvorlagen stattfindet. Zudem ist zu diesem frühen Zeitpunkt des Gesetzgebungsprozesses die Einflussnahme auf die Akteure effektiver, da Veränderungen des Entwurfs in den Bundestagsausschüssen schwerer durchsetzbar sind als im Stadium eines Referentenentwurfes. 3.3.2 Beiräte der Ministerien Neben den ministeriellen Anhörungen bietet sich Wirtschaftsvertretern die Möglichkeit, in den mehreren hundert Beiräten der Bundesregierung mitzuwirken 27. Diese Expertenrunden, die aus Wissenschaftlern, Politikern, Ministerialverwaltung und Verbandsvertretern zusammengesetzt sind, dienen der Beratung der Bundesregierung und der Vermittlung von Fachwis- 24 Vgl. Klaus Mayer, Natalie Naji: Lobbyingaktivitäten, S. 35. 25 Vgl. Bernhard Weßels: Kommunikationspotentiale zwischen Bundestag und Gesellschaft, S. 290. 26 Vgl. Klaus Mayer, Natalie Naji: Lobbyingaktivitäten, S. 35. 27 Vgl. Matthias Mock: Verbände und Wirtschaftspolitik — Zur Funktion der Verbände in der Wirtschaftspolitik, Göttingen 1991, S. 113. 9 sen. Darum ist bei den Beiräten ein projektbezogener Einfluß, etwa zu einzelnen Gesetzen, nicht möglich, sondern lediglich die langfristige Vertretung der politischen Linie des Verbandes . Diese vermeintlich geringe Bedeutung für die Umsetzung konkreter politischer Projekte erklärt die geringe Bedeutung, die Verbandsvertreter dieser institutionalisierten Kontaktform zumessen. Befragte Funktionäre stuften die Bedeutung der Anhörungen durch Bundestag und Ministerien höher ein28 . Neben dieser institutionalisierten Form der Interessenvertretung von Wirtschaftsverbänden in den Ministerien existieren natürlich auch hier vielfältige persönliche und informelle Berührungspunkte verschiedenster Dauer und Intensität. Die Interessengruppen pflegen in der Regel gute Kontakte zu den Referenten der Ministerialbürokratie im allgemeinen und besonders zu denen des Wirtschaftsministeriums, die bei der Ausarbeitung von Gesetzentwürfen auf den Sachverstand und den eventuellen Informationsvorsprung der Verbandsfunktionäre angewiesen sind29 . 4. Exkurs: Die Rolle von Unternehmen als autonome Akteure Für die letzten Jahrzehnte ist zu konstatieren, dass sich die Interessenwahrnehmung und — durchsetzung innerhalb der Wirtschaft von den Verbänden zu einzelnen Unternehmen verlagert, die quasi autonom agieren und sich selbst repräsentieren 30 . Dieser Trend hat sich vor allem in den USA schon deutlich herausgebildet31 . Die Beobachtung der weitgehenden Autonomie einzelner Unternehmen trifft vor allem auf Versicherungsunternehmen, Konzerne der Großindustrie und Großbanken zu (z.B. Daimler-Chrysler, Siemens und die Deutsche Bank), aber auch kleinere Unternehmen engagieren sich verstärkt in Eigenregie. Besonders der Einfluss der „global player" auf die politischen Entscheidungsträger nimmt stark zu, da ihnen aufgrund ihrer herausragenden Stellung besondere Bedeutung für das gesamtwirtschaftliche Gefüge zukommt Aufgrund ihrer Größe und finanziellen Potenz sowie der vielfach engen Beziehungen zwischen Großunternehmern und Spitzenpolitikern durch Vorstände und Aufsichtsräte, haben diese Konzerne die Möglichkeit, unabhängig von den 28 Vgl. Martin Sebaldt: Organisierter Pluralismus, S. 271. 29 Vgl. Ulrich von Alemann: Organisierte Interessen in der Bundesrepublik, Opladen 1987, S. 78. 30 Vgl. Klaus Mayer, Natalie Naji: Lobbyingaktivitäten, S. 39. 31 Vgl. Ulrich von Alemann: Vom Korporatismus zum Lobbyismus? Die Zukunft der Verbände zwischen Globalisierung , Europäisierung und Berlinisierung (in: ApuZ 26-27/2000, S.3-6), S. 4, zukünftig zitiert als: Ulrich von Alemann: Vom Korporatismus zum Lobbyismus. 10 Aktivitäten der Verbände, ihre Ziele und Vorstellungen effektiver und zielgerichteter zu vertreten . Durch diesen Bedeutungszuwachs entsteht auch auf Seiten der politischen Entscheidungsträger der Wunsch, die direkte Kommunikation mit den dominierenden Großkonzernen zu pflegen , um neben mehrheitsfähigen Position der Verbände, die ungefilterte Meinung der bedeutendsten Unternehmen zu erfahren. Großkonzerne bedienen sich in diesem Zusammenhang verstärkt professioneller (Anwalts-)Kanzleien und Agenturen, die auf Projektbasis arbeiten und mit einem Zeitvertrag versehen werden 32 . Natürlich erstreckt sich die Interessenvertretung der Großkonzerne auch auf die Ebene der Europäischen Union, auf der ein regelrechter Wettbewerb um Einflussnahme zwischen den einzelnen, eigenständig agierenden Unternehmen und den Lobbygruppen besteht. Die Großunternehmen unterhalten in Brüssel zur Interessenvertretung unabhängige Verbindungsbüros, um den Prozeß der Gesetzvorbereitung und Gesetzgebung zu beobachten und um Kontakte zu den politischen Entscheidungsträgern zu pflegen. Nichtsdestotrotz benutzen auch die Großkonzerne das Instrument der Strategiegemeinschaften , um bestimmte Sachfragen wirksamer besetzen zu können. Durch solche taktischen und informellen Zusammenschlüsse entstehen branchenspezifische Lobbys (z.B. „Automobil- Lobbys" oder „Atom-Lobbys"), die so ihren Interessen in Form eines zeitlich befristeten Zweckbündnisses gemeinsam stärkeren Nachdruck verleihen können. 5. Fazit und Ausblick Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die deutschen Wirtschaftsverbände vielfältige Möglichkeiten haben, die politischen Entscheidungsträger zu beeinflussen. Dies gilt sowohl für die parlamentarische als auch für die ministerielle Ebene. Die institutionalisierten Anhörungen durch Parlament und Ministerien bilden die effektivsten Instrumente, mit denen die wirtschaftlichen Interessengruppen auf die politischen Institutionen einwirken können. Die ökonomisch orientierten Interessengruppen haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten großen Herausforderungen gegenübergesehen 33 . Vor allem Globalisierung und Euro- 32 Vgl. Klaus Mayer, Natalie Naji: Lobbyingaktivitäten S. 40. 33 Vgl. Ulrich von Alemann: Vom Korporatismus zum Lobbyismus, S. 3 ff. 11 päisierung sowie die damit verbundene Verlagerung von Entscheidungsprozessen und - strukturen vom Nationalstaat auf transnationale Ebenen zwingt die Wirtschaftsverbände, neue Strategien und Methoden zu entwickeln, um ihre Interessen in einer sich wandelnden Welt weiterhin wirksam durchsetzen zu können. Durch diese Entwicklung erlangen, wie im Laufe der Darstellung erläutert wurde, international operierende Großkonzerne eine gewisse Autonomie, sodass im Hinblick auf die Zukunft der Wirtschaftsverbände zu fragen ist, ob sich der Trend zur selbstständigen Interessenvertretung einzelner Unternehmen fortsetzt und was diese Entwicklung für die Rolle der wirtschaftlichen Interessengruppen bedeutet. Hier ist zu bedenken, dass gerade für viele kleine und mittlere Unternehmen die klassischen Wirtschaftsverbände ein unverzichtbares Mittel darstellen, ihre Interessen zu formulieren und durchzusetzen. Überdies muss die eigenverantwortliche Interessenvertretung von Großkonzernen nicht unbedingt mit einem Bedeutungsverlust der klassischen Lobbyarbeit einhergehen, sie bietet auch die Chance, Synergieeffekte zu erzielen, von denen auch die traditionellen Verbände profitieren. 12 6. Literaturverzeichnis Ulrich von Alemann: Vom Korporatisrnus zum Lobbyismus? Die Zukunft der Verbände zwischen Globalisierung, Europäisierung und Berlinisierung (in: ApuZ 26-27/2000, S.3-6). Ulrich von Alemann, Rolf G. Heinze (Hg.): Verbände und Staat. Vom Pluralismus zum Korporatistrius . Analysen, Positionen, Dokumente, Opladen 1979. Ulrich von Alemann: Organisierte Interessen in der Bundesrepublik, Opladen 1987. Siegfried Mann: Macht und Ohnmacht der Verbände. Das Beispiel des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e.V. (BDI) aus analytischer Sicht, Baden-Baden 1994. Klaus Mayer, Natalie Naji: Die Lobbyingaktivitäten der deutschen Wirtschaft (in: Recht und Politik. Vierteljahreshefte für Recht und Verwaltungspolitik 36/2000. S. 31-43). Matthias Mock: Verbände und Wirtschaftspolitik — Zur Funktion der Verbände in der Wirtschaftspolitik , Göttingen 1991. Ferdinand Müller-Rommel: Interessengruppenvertretung im Deutschen Bundestag (in: Uwe Thaysen, Roger H. Davidson, Robert G. Livingston (Hg.): US-Kongreß und Deutscher Bundestag . Bestandsaufnahmen im Vergleich, Opladen 1988, S. 300-323). Martin Sebaldt: Organisierter Pluralismus. Kräftefeld, Selbstverständnis und politische Arbeit deutscher Interessengruppen, Opladen 1997. Martin Sebaldt: Verbände und Demokratie: Funktionen bundesdeutscher Interessengruppen in Theorie und Praxis (in: ApuZ B 36-37/1997, S. 27-37). Bernhard Weßels: Die Entwicklung des deutschen Korporatismus (in: ApuZ 26-27/2000, S. 16-30). Bernhard Weßels: Kommunikationspotentiale zwischen Bundestag und Gesellschaft: Öffentliche Anhörungen, informelle Kontakte und innere Lobby in wirtschafts- und sozialpolitischen Ausschüssen (in: Zparl 2/1987, S. 285-311). 13