© 2019 Deutscher Bundestag WD 1 - 3000 – 028/19 Zur Diskussion um einen neuen Gedenktag am 18. März Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 – 028/19 Seite 2 Zur Diskussion um einen neuen Gedenktag am 18. März Aktenzeichen: WD 1 - 3000 – 028/19 Abschluss der Arbeit: 27. November 2019 Fachbereich: WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte, Politik Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 – 028/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Der Beginn der bürgerlichen Revolution am 18. März 1848 4 3. Die Diskussion um den 18. März als Gedenktag in Deutschland 5 3.1. Gedenktage für die Demokratie 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 – 028/19 Seite 4 1. Einleitung Der folgende Sachstand gibt neben einer kurzen Schilderung der Ereignisse am 18. März 1848 auf Wunsch des Auftraggebers die Diskussion um die Einführung eines neuen Gedenktages am 18. März wieder. Dabei soll auch die Frage beantwortet werden, ob bereits bei den Gedenktagen am 8. Mai, 23. Mai, 17. Juni und 9. November der Gedanke eines „Gedenktages für die Demokratie“ leitend sei. 2. Der Beginn der bürgerlichen Revolution am 18. März 1848 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es inspiriert von der Französischen Revolution und aufgrund von tiefgreifenden wirtschaftlichen Krisen, Massenarmut und wachsender politischer Unzufriedenheit in weiten Teilen Europas zu einer zunehmenden politischen Destabilisierung.1 Auch in den Staaten des Deutschen Bundes konnten die herrschenden Kräfte aus Adel, Beamtenschaft und Klerus nur mühsam die Bestrebungen nach Freiheit, Demokratie, besseren Lebensbedingungen und deutscher Einheit unterdrücken. In Berlin forderten protestierende Bürgerinnen und Bürger unter anderem Versammlungsfreiheit, die Abschaffung der Zensur und die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung. Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. gab schließlich nach. Dennoch kam es am 18. März 1848 in Berlin zu heftigen Straßen- und Barrikadenkämpfen mit hunderten von Toten und über tausend Verletzten. Schließlich kapitulierten die preußischen Truppen. Die Revolution hatte gesiegt. 183 tote Revolutionäre wurden am 22. März vor dem Deutschen Dom aufgebahrt. Als der Trauerzug schließlich am Schloss vorbeizog, verneigte sich der König vor den Toten. Den einige Wochen später einberufenen verfassunggebenden Versammlungen blieb der Erfolg jedoch versagt, zu groß waren die beharrenden, restaurativen Kräfte im Reich. Jedoch gilt die bürgerliche Revolution in Berlin heute als wegweisend für die deutsche Demokratiegeschichte: „Über viele Um- und Irrwege wurde der Traum der deutschen 1848er endlich wahr. Der 18. März 1848 ist ein wichtiger Tag der deutschen Geschichte, auf den sich alle demokratisch gesinnten Menschen berufen können. Er war der Höhepunkt des Kampfes für ein freies parlamentarisches Leben und ist Symbol für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.“2 1 Vgl. Wilhelm Weege: 18. März 1848: Ausbruch der bürgerlichen Revolution. Aktueller Begriff der Wissenschaftlichen Dienste vom 16. März 2010. 2 Michael Cramer: Ein Nationaler Gedenktag am 18. März. In: Christoph Hamann/Volker Schröder: Demokratische Tradition und revolutionärer Geist: Erinnern an 1848 in Berlin, Freiburg 2010, S. 176. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 – 028/19 Seite 5 3. Die Diskussion um den 18. März als Gedenktag in Deutschland Bereits seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland wird auf die Bedeutung des 18. März 1848 verwiesen. Frühere Bundespräsidenten wie Theodor Heuss und Gustav Heinemann würdigten das Jahr 1848 als besonders bedeutsam für die deutsche Demokratie.3 Seit 1978 engagiert sich die Bürgerinitiative „Aktion 18. März“ dafür, in Erinnerung an die Märzrevolution in Berlin 1848 diesen Tag zum nationalen Gedenktag zu erklären.4 Zudem wird darauf verwiesen, dass am 18. März 1793 in Mainz die erste Republik in Deutschland ausgerufen wurde und am 18. März 1990 die ersten freien Volkskammerwahlen in der DDR stattfanden. Viele Politiker unterstützen das Projekt, etwa Wolfgang Thierse (SPD), Petra Pau (Die Linke) oder Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen).5 Zusätzlich zum eher „blutleeren 3. Oktober“6, der historisch lediglich auf einen formalen bürokratischen Akt verweise, könne man am 18. März einschneidende historische Ereignisse würdigen , bei dem Menschen ihr Leben für die Demokratie einsetzten. Zudem sei es wichtig, in der Gedenkkultur der Deutschen sowohl der Schattenseiten der deutschen Geschichte zu gedenken wie auch der Glücksmomente. „Die deutsche Geschichte weckt aus nachvollziehbaren Gründen häufig mehr ein Bedürfnis nach Distanz als den Wunsch nach Identifikation. So richtig und wichtig es ist, eine gründliche und dauerhafte Beschäftigung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus nicht aufzugeben, so unbegründet und verhängnisvoll wäre es, die Nationalgeschichte eines Landes auf eine solche Periode reduzieren zu wollen. Ein Land, das nachdrücklich der Verirrungen seiner Geschichte gedenkt, darf und sollte auch an seine herausragenden und grandiosen Errungenschaften erinnern“, so der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert.7 Dabei helfe auch der Blick auf die Gedenkkultur der Nachbarn: „Wären die Deutschen Franzosen, dann wäre der 18. März ein Tag für Jubel und Feuerwerk“, schreibt der Publizist Heribert Prantl.8 Im März 2019 schreibt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in der Wochenzeitung „Die Zeit“: „Der 18. März zeigt die demokratische Entwicklung vom Streben nach bürgerlicher Gleichheit bis hin zu freien Wahlen — und er erinnert an jenen »Völkerfrühling«, der damals Menschen in ganz Europa erfasste. In allen politischen Lagern gibt es viel Zuspruch für die Idee, den 18. 3 Vgl. Matthias Rensing: Geschichte und Politik in den Reden der deutschen Bundespräsidenten 1949-1984, Waxmann Verlag 1996, S. 188. 4 http://www.maerzrevolution.de/die-aktion-18-maerz.html 5 Auf Initiative der Bürgerbewegung hat der Platz vor dem Brandenburger Tor im Jahr 2000 den offiziellen Namen „Platz des 18. März“ bekommen. Zudem wurden 12 Barrikadenstandorte in Berlin gekennzeichnet und wird alljährlich am 18. März auf dem Friedhof der Märzgefallenen in Friedrichshain der Toten gedacht. 6 Vgl. https://www.welt.de/welt_print/kultur/article6825657/Plaedoyer-fuer-den-18-Maerz-1848-1990.html 7 Vgl. https://www.hdg.de/fileadmin/bilder/12-Museumsmagazin/Museumsmagazin_3-2014.pdf 8 Vgl. https://www.sueddeutsche.de/politik/17-juni-1953-die-besten-deutschen-tage-1.216025 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 – 028/19 Seite 6 März zum nationalen Gedenktag zu machen. Bis 2020, wenn sich die erste freie Volkskammerwahl zum 30. Mal jährt, sollten Bund und Länder die Frage beantworten, ob sie einen solchen Gedenktag erstmals gemeinsam begehen wollen.“9 Bisher haben jedoch politische Vorstöße für einen neuen nationalen Gedenktag keine breite Unterstützung gefunden. Im Jahr 2008 brachte das Land Berlin einen Antrag hierzu in den Bundesrat ein, der lediglich von Thüringen unterstützt wurde. „Ich kann die Reaktion der anderen Länder auf den Berliner Vorstoß schon verstehen“, so der renommierte Tübinger Historiker Dieter Langewiesche. Man könne nicht ein vor allem preußisches Datum zu einem Gedenktag für ganz Deutschland machen. Zwar sei der Gedanke, den Geburtstag der deutschen Demokratie auf das Jahr 1848 zu legen, nicht falsch. „Damals wurde erstmals versucht, einen gesamtdeutschen Nationalstaat mit einer liberaldemokratischen Verfassung zu schaffen.“ Aber die Berliner Ereignisse vom 18. März seien für einen gesamtdeutschen Gedenktag nicht geeignet. Hier habe sich das Abgeordnetenhaus wohl von Lokalpatriotismus leiten lassen, so Langewiesche. Er plädiert dagegen für zwei andere 1848er-Tage als Gedenkdatum: zum einen für den 18. Mai, als die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche zusammentrat, zum anderen für den 27. Dezember, als dieses Parlament die Grundrechte verabschiedete. Insgesamt bewertet die Wissenschaft die Idee eines neuen Gedenktages kritischer als die Politik. Einige Historiker bemängelten insbesondere im Vorfeld der 150-Jahrfeiern Ende der 90er Jahre die „mediale Verknappung“10 und politische Instrumentalisierung des 18. März: Eberhard Jäckel warnte davor, allzu forsch Bezüge aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu ziehen und darauf zu „verweisen, dass die Ideale der damaligen Revolution nun auch unsere geworden und weithin verwirklicht seien“.11 Man übersehe zu leicht, dass es vor allem im Wahlrecht, das man damals lediglich für Männer wollte, aber auch „in manchem anderen keineswegs zum Ziel hatte, die demokratischen Grundsätze durchzusetzen, die uns heutzutage selbstverständlich erscheinen“.12 3.1. Gedenktage für die Demokratie In Deutschland gibt es eine Vielzahl von staatlichen Gedenk- und Feiertagen, die sich auf historische Ereignisse beziehen, darunter der 8. Mai (Ende des Zweiten Weltkrieges 1945), der 23. Mai 9 https://www.zeit.de/2019/12/demokratie-nationalismus-tradition-gedenktage-geschichtsunterricht 10 Vgl. Rüdiger Hachtmann: 1848 – Bilanz eines Jubeljahres. Anmerkungen zum Problem der Traditionsbildung. Aus: Blätter für deutsche und internationale Politik. 7/1998, S. 1489. 11 Eberhard Jäckel: Jahrestage 1998. Ein historischer Spaziergang auf der Achter-Bahn. Aus: Politik und Zeitgeschichte . B3-4/98, S. 10. 12 Ebd. Vgl. hierzu auch: Claudia Klemm: Erinnert – umstritten – gefeiert. Die Revolution von 1848/49 in der deutschen Gedenkkultur. In: Formen der Erinnerung, Bd. 30. 2007. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 – 028/19 Seite 7 (Verkündung des Grundgesetzes 1949), der 17. Juni (Aufstand in der DDR 1953) und der 9. November (Novemberrevolution 1918, Hitlerputsch 1923, Progromnacht 1938, Fall der Mauer 1989).13 Auch wenn es galt, der einzelnen Ereignisse zu gedenken, gab es doch stets den Grundgedanken, sich der Vergangenheit zu erinnern, um sich der demokratischen Gegenwart zu vergewissern. So betont die Vorsitzende des Bundesausschusses Politische Bildung (bap) e.V, Barbara Menke, anlässlich der Feiern zur Verkündung des Grundgesetzes: „Ohne die Erinnerung an 70 Jahre Grundgesetz , denke ich, wird das Jahr 2019 als Gedenkjahr für die deutsche Demokratie nicht rund. Unser Grundgesetz ist so etwas wie die "geglückte Summe" aus den beiden vorauslaufenden Verfassungen , der von Frankfurt am Main und der von Weimar. Und es verkörpert darüber hinaus - der ehemalige Bundespräsident, Gustav Heinemann hat das gesagt – ‚die erlittene Erfahrungsweisheit der besten unserer Vorfahren‘.“ Insbesondere bei den Gedenkfeiern zum 9. November wird stets die Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit der deutschen Geschichte betont, die es gilt zu erinnern. So ruft die Kultusministerkonferenz dazu auf, in den Schulen an jedem 9. November eine „vertiefte Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert anzuregen und damit zur Demokratieerziehung beizutragen“.14 Während der 17. Juni zum Bedauern vieler ostdeutscher Bürgerrechtler in Vergessenheit gerät15, hat der 8. Mai in der Gedenkkultur von Ost und West eine bemerkenswerte Wandlung erfahren. In der DDR als Vergewisserung zum Antifaschismus verordnet, fand er in der Bundesrepublik spätestens seit der Rede des damaligen Bundespräsidenten Friedrich von Weizsäcker am 8. Mai 1985 breite Resonanz. Vierzig Jahre nach Kriegsende wies von Weizsäcker auf die demokratischen Anfänge der Bundesrepublik hin: „Es gab keine ‚Stunde Null‘, aber wir hatten die Chance zu einem Neubeginn. Wir haben sie genutzt so gut wir konnten. An die Stelle der Unfreiheit haben wir die demokratische Freiheit gesetzt.“16 *** 13 Das Haus der Geschichte in Bonn widmete der Gedenkkultur in Deutschland 2014 eine Ausstellung: „Seit der Nachkriegszeit hatten beide deutsche Teilstaaten auf verschiedene Weise und mit unterschiedlichem Erfolg darauf hingewirkt, Erinnerungskulturen zu gestalten. Während in der Bundesrepublik in öffentlichen Diskussionen über die deutsche Vergangenheit und die daraus zu ziehenden Folgerungen gestritten wurde, gab in der DDR die SED das Geschichtsbild vor. Auf diese Weise entstand ein gespaltenes Geschichtsbewusstsein der Deutschen, das diese langfristig geprägt hat und nach wie vor zur Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit herausfordert.“ https://www.hdg.de/fileadmin/bilder/12-Museumsmagazin/Museumsmagazin_3-2014.pdf 14 Viele Publizisten und Wissenschaftler halten den 9. November für den deutschen Gedenktag:14 „Als Gedenktag ist er jedoch einmalig – spiegelt er doch die facettenreiche Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert konzentriert wider“.14 Vgl. Jörg Koch: Dass Du nicht vergessest der Geschichte. Staatliche Gedenk- und Feiertage in Deutschland von 1871 bis heute. Darmstadt, 2019, S. 321. 15 Vgl. https://www.deutschlandfunkkultur.de/birthler-bedauert-abschaffung-des-17-juni-als-gedenktag .990.de.html?dram:article_id=153971 16 Vgl. http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Richard-von-Weizsaecker/Reden /1985/05/19850508_Rede.html